Brücke zwischen Ernährungswissenschaft und Sportpraxis

 

In den letzten drei Jahrzehnten ist eine ganze Anzahl von Büchern zum Thema Sport und Ernährung erschienen. Gegenwärtig seien auf dem Markt wohl neun Titel mit dieser Thematik erhältlich, weshalb dann ein zehntes? fragen die beiden Autoren der Neuerscheinung „Sport und Ernährung“. Die Antwort wird schon im Untertitel gegeben: „Wissenschaftliche Empfehlungen und Ernährungspläne für die Praxis“.

In der Tat, die Autoren verfolgen den Anspruch, allein solche Informationen zu geben, die wissenschaftlich erhärtet sind. Das ist Vorzug und Nachteil zugleich. Ein Nachteil deshalb, weil eine Ernährungsform wie die Vollwertkost nicht vorkommt; das umfangreiche klinische Material darüber ist in den Jahrzehnten der populären Verbreitung wissenschaftlich nicht dargestellt worden.

Der 1984 erschienene kleine Band „Sport und Ernährung“ von Prof. Dr. Klaus Jung beschränkt sich auf die Untersuchungen des Deutschlandlaufes 1981, bei dem sich die sechs Teilnehmer strikt vollwertig ernährten.

Der große Vorzug des neuen Titels „Sport und Ernährung“ von Dr. Dr. Dr. Christoph Raschka und Dr. Stephanie Ruf besteht darin, daß die meisten Informationen präzise dokumentiert sind. Wo das nicht der Fall sein kann, wird dies ausdrücklich gesagt. Das Verdienst der Autoren ist es, „daß sie konkrete Ernährungsempfehlungen nicht auf der Basis persönlicher Erfahrungen, sondern auf Grund von klaren Positionspapieren der amerikanischen Gesellschaft für Sportmedizin, der europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und gestützt durch anerkannte wissenschaftliche Fachstudien geben“, schreibt Dr. Martin Engelhardt in seinem Geleitwort. Einbezogen ist auch der Arbeitskreis Sport und Ernährung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, an der, wie bekannt, auch die Lebensmittelindustrie beteiligt ist. Immerhin erfährt der Benützer auf diese Art und Weise verläßlich, was derzeit wissenschaftliche Lehrmeinung ist.

Die beiden Autoren beginnen mit einer Definition der Sporternährung, beschreiben die „ungünstige oder gar defizitäre Versorgungslage“ von Sportlern, stellen die ernährungsphysiologischen Grundlagen zu Nährstoffen dar, behandeln die Basisernährung von Sportlern, die Energiegewinnung unter verschiedenen Belastungszeiten sowie schnelle und langsame Energiequellen. Der Bezug zum Sport, der bereits in diesen Grundlagen-Kapiteln hergestellt wird, verstärkt sich durch spezielle Kapitel wie Kohlenhydrataufnahme und körperliche Leistung, Wettkampfernährung, Ernährungstechniken für den Wettkampf, Sportriegel, Proteinzufuhr, Muskelaufbau durch Ernährung. Proteinpräparate werden unter die Lupe genommen. Versteht sich, daß der Flüssigkeitshaushalt, der Flüssigkeitsbedarf und die Getränkewahl im Sport dargestellt werden. Bei den Trinkempfehlungen für verschiedene Belastungen wird endlich auch einmal kompetent dem Ultra-Ausdauersport Platz eingeräumt. Trinken, soviel es geht? Das Fragezeichen deutet bereits an, daß der Wandel der Trinkempfehlung von der maximalen Quantität hin zum individuell angepaßten Trinken aktuell berücksichtigt wird. Auch die Kapitel Vitamine, Mineralstoffe und leistungssteigernde Substanzen einschließlich der korrigierten Rolle des Kaffees erfüllen den Bedarf an aktuellen Aussagen. Themen wie die Faktoren des Immunsystems und die Ernährung in großen Höhen geben Antworten auf spezielle Fragen. Die Beschreibung der Körperzusammensetzung und ihre Messung verhilft zu korrekten Meßergebnissen. Ein nicht selten verdrängtes Gebiet sind Eßstörungen bei Sportlern. Sporternährung in Fachzeitschriften und im Internet kommt den Sportpraktikern entgegen.

Der Wert dieses Bandes besteht außer in der wissenschaftlichen Verifikation in dem engen Praxisbezug. Dem dient auch der Anhang mit einem Tages-Ernährungsprotokoll, Ernährungsplänen und Rezepten. Die zahlreichen Literaturangaben aus jüngerer Zeit belegen die Aktualität dieser Neuerscheinung; auch Gert Uhlenbruck ist mit einer immunologischen Arbeit vertreten. Auch wenn es nur 202 Seiten sind, – die Autoren haben eine ungeheuere Fleißarbeit hinter sich und erweisen sich als Kenner des Sports. Der Band ist allgemeinverständlich und sehr konzis geschrieben und übersichtlich gegliedert. Ein Buch nicht so sehr zum Lesen als vielmehr zum Nachlesen.

Gelesen und besprochen von Werner Sonntag

Christoph Raschka und Stephanie Ruf: Sport und Ernährung. Wissenschaftlich basierte Empfehlungen und Ernährungspläne für die Praxis. Georg Thieme Verlag Stuttgart und New York, 2012. 24 x 17 cm, kartoniert, 202 Seiten, mit 27 Abbildungen. ISBN 978-3-13-167151-6. 39,99 Euro, 41,20 EUR (A), 56 CHF.

So einfach ist das: I´m here to win

Wie Chris Mc Cormack zweimal den Ironman Hawaii gewann

 

Hawaii ist das Mekka der Triathleten. "Da will ich einmal hin." Das galt auch für den jungen Australier Chris McCormack, als er vom College-Laufsport auf Triathlon umstieg. Mit seinem Freund Sean legte er eine Liste der Triathlonveranstaltungen an, die er unbedingt einmal besuchen wollte. Ehrgeizig und talentiert wie er ist, hatte er beim Triathlon sofort internationale Erfolge - zunächst auf der Kurzstrecke. Als er dann endlich auf Hawaii starten durfte, konnte er die Freude jedoch nicht mehr mit seinem Freund teilen: Der hatte sich ebenfalls qualifiziert, war aber beim Feiern anlässlich der Qualifikation vom Balkon eines Hochhauses gestürzt…

Es war nicht der einzige Schicksalsschlag in Chris McCormacks Leben. Aber McCormack ist ein Kämpfer - und davon handelt sein Buch "I´m here to win". Macca - so wird er in der Szene genannt - hat 2007 und 2010 den Ironman Hawaii gewonnen. Wie er darauf hingearbeitet hat (und es war wirklich Arbeit), beschreibt er in seiner Biografie. Aber es geht hier nicht um Trainingspläne, sondern um die mentalen und taktischen Tricks, mit denen er zum Erfolg kommt.

Weniger das Talent machte ihn zu einem der erfolgreichsten Triathleten, sondern seine Besessenheit, mit der er an seinen Schwächen und an seiner Psyche arbeitet. Er akzeptiert nicht, wenn andere meinen, er sei zu groß, zu schwer oder zu alt für einen Hawaii-Sieg. Seine Kritiker hat der immer selbstbewusst auftretende Athlet durch seinen zweiten Hawaii-Sieg vom Gegenteil überzeugt.

Bescheidenheit liegt ihm nicht. Daher ist es auch folgerichtig, dass er für den Boxer Mohammed Ali als Meister der psychologischen Kriegsführung schwärmt. Er vergleicht Triathlon mit Boxen und betont dabei, dass für ihn das Rennen oft auf einen Zweikampf hinauslief. Am Ende entscheidet über Sieg oder Niederlage schlichtweg, wer mehr leiden kann. Das war auch beim Ironman Hawaii 2010 so, als fünf Kilometer vor dem Ziel der Deutsche Andreas Raelert auf Macca aufgelaufen war. "Über fünf Kilometer Leiden nehme ich es mit jedem auf!", denkt Macca - und gewinnt. Der Australier reißt den Leser auf seine spannenden, dramatischen Berichte von seinen Siegen und Niederlagen mit. Jeder sportliche, wettkampfaktive Leser kann nachvollziehen und selber Motivation daraus schöpfen, wie man kritische Rennsituationen meistert.

Ein Beispiel, wie McCormack mit dem Belastungsschmerz im Wettkampfumgeht: Er lächelt. "Das ist meine Art, dem Schmerz meinen Respekt zu zollen. Okay, mein Freund. Da bist du. Lass es uns angehen und diesen Job hier erledigen." Diese souveräne, mentale Stärke ist schon bewundernswert und daher ist es kein Wunder, dass dieses Buch in der Triathlonszene viel Beachtung findet.

Gesehen und besprochen von Birgit Schillinger

I'm Here to Win
Wie Chris McCormack zweimal den Ironman Hawaii gewann
Chris McCormack (Autor)
Gebundene Ausgabe: 304 Seiten - 24,95 Euro
Verlag: Spomedis; Auflage: 1 (Juli 2011)
ISBN-13: 13: 978-3936376616

Früher war alles besser? Von wegen: Beispiel Tour de France 1924!

Was waren das für Zeiten, als wir deutschen Sportler uns für die Ergebnisse der Tour de France interessiert hatten?

 

Es war einmal vor einigen Jahren, da stand auch ich an der Strecke, bestaunte nicht nur die Fahrer, sondern den scheinbar unendlich langen Begleit-Tross mit Werbe- und Materialwagen. Und jetzt? Jetzt bringt der Covadonga-Verlag, spezialisiert auf Radsportliteratur, eine Lektüre heraus, die den Leser wieder staunen lässt: Es sind die Zeitungsbeiträge von 1924, die der damalige Star-Reporter Albert Londres über die Tour geschrieben hatte.

Londres war kein Sportreporter, sondern Kriegskorrespondent und Schriftsteller - deshalb sind seine Reportagen so erfrischend anders: Es geht ihm nicht um Kilometerangaben oder Fakten, sondern um die menschlichen Geschichten (und vor allem Tragödien), die sich bei dieser Rundfahrt abspielen. Diese schildert er in knapper, lakonischer Sprache.

Wer glaubt, die heutigen Fahrer müssten dopen, um die Anstrengungen durchzuhalten, wird hier nachlesen können: Die Tour, wie sie 1924 stattfand, war noch brutaler. Die Fahrer starteten im frühen Morgengrauen, um manchmal bis zum Abend im Sattel zu sitzen. Die längste Etappe dauerte 20 Stunden. Sie kämpften gegen Sitzfleisch-Probleme, Sturzverletzungen, Übermüdung, Mangelerscheinungen. Und wie überstanden sie das? Mit Doping aller Art. Die Reportage bringt es dank eines Favoritengeständnisses an den Tag.

Auch "Kleinigkeiten" erschwerten den Tour-Alltag: Die Radler fuhren stundenlang über staubige (meist nicht asphaltierte) Landstraßen. Bei einer Panne war die Annahme von Hilfe verboten. Gangschaltung gab es noch nicht, die Hinterräder hatten zwei Kränze - einer rechts, einer links - dann wurde beim Berganstieg die Laufrichtung des Hinterrades gewechselt.

Die Artikelserie erschien damals im "Le Petit Parisien", jetzt liegt sie erstmals in deutscher Übersetzung vor. Das kleine, feine Buch birgt eine historisch und literarisch reizvolle Lektüre für sportinteressierte Leser.

Gesehen und besprochen von Birgit Schillinger

Albert Londres: Die Strafgefangenen der Landstraße
Reportagen von der Tour de France
Gebundene Ausgabe: 124 Seiten - 12,80 Euro
Verlag: Covadonga Verlag; Auflage: 1. (31. Mai 2011)
ISBN-13: 978-3936973648

Saint Ralph - Ich will laufen

Kann man Wunder erlaufen?

 

Ein Weihnachtsgeschenktipp für die ganze Familie: Der Film "Saint Ralph - Ich will laufen" erzählt die Geschichte eines Teenagers, der den Boston-Marathon gewinnen will. Der 14-jährigen Halbwaise Ralph Walker wird in einer katholischen Schule erzogen: streng, gefühlskalt und prüde - wie es 1953 nicht anders zu erwarten ist. Als plötzlich seine schwerkranke Mutter ins Koma fällt, spricht die Krankenschwester unüberlegt einen Satz aus, der Ralph nicht mehr aus dem Kopf geht: "Nur durch ein Wunder kann deine Mutter aus dem Koma wieder aufwachen." Ralph ist nun auf der Suche, wie er ein Wunder vollbringen kann. Als dann der Trainer des Laufteams anmerkt, "dass ein Sieg beim Bostoner Marathon ein Wunder wäre", fügt sich das Puzzle für Ralph im Kopf zusammen: Er wird den Boston-Marathon gewinnen und damit seine Mutter aus dem Koma erwecken.

Wie sich der sympathische Ralph nun diesem Ziel hingibt, wie er trainiert, wie er Rückschläge einstecken muss, das beinhaltet - wie so oft bei Sportgeschichten - viel Lebensweisheit. Der charmante Schüler kämpft auch noch an anderen Fronten: Die Hingabe zum Glauben will nicht so recht klappen und auch die vom Philosophie-Lehrer geforderte Reinheit wird immer wieder durch kleinere "Sündenfälle" befleckt. Natürlich ist nicht alles realistisch, aber die historisch authentisch wirkenden Szenen versetzen die Zuschauer in die Nostalgie der 50er Jahre. Die mit Humor umgesetzte Geschichte rührt das Herz, endet allerdings (zum Glück) nicht kitschig. Zu empfehlen für lange Winterabende.

Gesehen und besprochen von Birgit Schillinger

Saint Ralph - Ich will laufen
Kann man Wunder erlaufen?
Adam Butcher (Darsteller), Campbell Scott (Darsteller), Michael McGowan (Regisseur) Alterseinstufung: Freigegeben ab 6 Jahren | Format: DVD

 

Das Buch der 1000 Laufzitate

"Hätte dieser alte Grieche nicht schon nach zwanzig Kilometern tot umfallen können?"

So lautet das titelgebende Zitat eines neuen Buches, in dem nahezu 1200 Sprüche, Notizen und Originaltöne aus fast 3000 Jahren rund ums Laufen, der beliebtesten aller Bewegungsformen, versammelt sind, das jetzt, rechtzeitig vor Weihnachten, im kleinen, auf Sport spezialisierten Covadonga Verlag (Bielefeld 2010, 158 Seiten, 9,80 Euro, ISBN 978-3-936973-59-4) erschienen ist. Gesagt hat dies kein geringerer als Frank Shorter, seines Zeichens Olympiasieger im Marathonlauf 1972 in München.

Damit spielt er auf zwei Dinge an, nämlich zum einen auf die unter Marathonis hinlänglich bekannte, aber keinesfalls historisch belegte Legende, wie der Marathonlauf entstanden sein soll. Der griechische Bote Pheidippides soll die Botschaft vom Sieg der Griechen über die Perser in der Schlacht von Marathon in Athen mit den Worten "Wir haben gesiegt" übermittelt haben, nachdem er die rund 35 Kilometer lange Strecke gelaufen und dann tot umgefallen sei. Zum anderen verweist Shorter auch auf das vielen Marathonläufern bekannte Phänomen, dass die echten Anstrengungen des Laufes (Mann mit dem Hammer) oft erst gegen Ende der Strecke kommen.

Mit akribischer Sammelwut zusammengetragen hat die Laufzitate Walter Drögenpütt, der im Vorfeld schon im Internet immer wieder vereinzelte Sprüche zum Laufen veröffentlichte und zusammen mit Andreas Behne im gleichen Verlag bereits das Buch "Kette rechts! Im großen Gang durch das unnütze Radsportwissen" publizierte.

Das Laufzitatebuch ist ein vergnüglich-amüsantes Sammelsurium ebenso von Laufweisheiten wie Laufdummheiten, von Nachdenklichem wie unüberlegt Dahergesagtem, dargelegt von Laufbegeisterten und Bewegungsmuffeln, von Leistungssportlern und Hobbyläufern, von Journalisten, Kabarettisten und Moralisten.

Da fehlt kein Paavo Nurmi ("Die Leute essen einfach zu viel, deshalb sind sie nicht fit") und kein Emil Zatopek ("Vogel fliegt, Fisch schwimmt, Mensch läuft"), kein Joe Douglas (Manager von Carl Lewis: "Wenn Carl sich gedopt hätte wie Ben Johnson, stünde der Weltrekord heute bei 9,4 Sekunden") und kein Ben Johnson ("Sämtliche Leute in diesem Finale waren gedopt. Nur mich haben sie erwischt"), keine Isabell Baumann ("Der Dieter nimmt doch nicht mal Vitamin C") und auch kein Dieter Baumann ("Ja, und? Von wem?" auf die telefonische Nachricht des DLV, es liege eine Dopingprobe vor). Vertreten sind Dichter, Fußballmanager und Philosophen, Fernsehkommentatoren, Mediziner und Talkmaster, Politiker, Schauspieler und Gefängnisdirektoren. Blättert man das Buch durch, so kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass das Laufen fast jeden irgendwann dazu inspiriert hat, seine Meinung abzugeben.

"Als natürlichste, ja instinktivste Form des sportlichen Kräftemessens", schreibt der Herausgeber in seinem pointierten Vorwort, "weckt das Laufen seit jeher ein gewisses, offenbar sehr dringendes und nur in den seltensten Fällen fatales Philosophier- und Mitteilungsbedürfnis. Zumindest für den Laien auf dem Gebiet der Hirnchemie hat es den Anschein, als sei ein ausdauernder Wirbel der Füße zumindest bei einer hinreichenden Zahl von Probanden dazu angetan, irgendwelche Synapsen auf eine Weise kurzzuschließen, dass hinterher Zitierbares aus Läufermund sprudelt."

Im Buch, da kann man so schöne Bonmots finden, wie jenes von Gerald Curtin, Anstaltsleiter im Gefängnis "Sing Sing" zur Organisation eines Leichtathletiksportfestes für Gefangene: "Auf einen Querfeldein-Lauf und den Stabhochsprung werden wir verzichten", oder auch jenes von Popsternchen Samantha Fox: "Ich besitze zehn Paar Laufschuhe. Eins für jeden Tag der Woche." Nett liest sich auch die Erkenntnis von 5000 Meter Läufer Arne Gabius: "Sonnenbrillen bringen mehr für den Kopf als Kompressionssocken. Ich habe das im Training gemerkt", oder: "Ich habe neun Blasen. An jedem Fuß vier" von Fußballtorwart Klaus Thomvorde nach dem Lauftraining.

Geordnet sind die vielen Laufzitate in kompakte, kleine Themeneinheiten mit jeweils einer kurzen, witzig-spritzigen Einführung, was nicht nur der Lesbarkeit zugute kommt, sondern wodurch sich einzelne Sprüche gegenseitig erhellen. Denn mit dem Zitat "Witz-Bolt" des ZDF-Sportchefs Wolf-Dieter Poschmann könnte man kaum etwas ohne das davor stehende Zitat "Natürlich bin ich von diesem Planeten" von Usain Bolt anfangen. Beide entstammen dem Kapitel "Kurz und schmerzvoll", in dem die Sprinter zu Wort kommen. Dann gibt es noch "Die goldene Mitte" für Mittelstreckler und "10 Kilometer Qual - mit 32 Kilometer Anlauf" für Marathonis.

Auch ein Kapitel für Triathleten ("Der flotte Dreier") gibt es, und eins für Frauen, sowie für Laufgegner, für richtiges Training, für das beste Material und vieles mehr. Da kann es durchaus zu sehr gegensätzlichen Auffassungen kommen. Unter "Runner's High" heißt es beispielsweise von Herbert Steffny "Lächeln statt hecheln und laufen ohne zu schnaufen", aber Sebastian Coe meint "Wenn Sie etwas von der Landschaft mitbekommen, strengen Sie sich vermutlich einfach nicht genug an", während ein deutsches Sprichwort die Erkenntnis verkündet "Das Glück lässt sich eher erschleichen als erlaufen."

Zitiert werden aber nicht nur Personen mit ihren mündlich überlieferten Aussagen, sondern auch Sprüche aus der Schuhwerbung, geflügelte Worte, Anonyma und Volksweisheiten, Passagen aus Schlagern, Gedichten oder Abzählversen, sowie Bemerkungen aus Studien, aus Trainingsplänen oder klassischen Dramen. Dabei geht es nicht immer direkt ums Laufen, sondern zuweilen auch um andere Sportarten und Sport im Allgemeinen wie: "Vergessen Sie nicht, Agon, das griechische Wort für Wettbewerb, kann genauso gut Krieg und Schlacht bedeuten", des Sporthistorikers Manfred Lämmer, oder: "Bei uns braucht der Kostedde nicht mehr zu laufen. Es genügt, wenn der im gegnerischen Strafraum steht und mit seinem Hintern noch Tore macht", von Schalkes Manager Rudi Ashauer.

Kurzum: Das schmale Bändchen der Laufzitate, eine enorme, vermutlich mehrjährige Fleißarbeit des Herausgebers, ist ein kurzweiliges, ebenso witziges wie nachdenkliches Lesevergnügen, das in jedem Läufer-Buchschrank seinen Platz finden sollte. Es wird einem dazu verhelfen, auf jede blöde Frage und auf jede dumme Bemerkung, der man öfters als Läufer ausgesetzt ist, eine passende Antwort parat zu haben, wenn man sich denn der Mühe unterziehen möchte, per Auswendiglernen einen Großteil der abgedruckten Laufweis- und -dummheiten in seinen ständig verfügbaren geistigen Zitatevorrat zu überführen, so wie es manche mit lateinischen Zitaten gerne machen, um damit zu imponieren. Während des Laufens kann man das via Kopfhörer leider noch nicht leisten, da es das Werk als Hörbuch - möglicherweise im O-Ton der Urheber - noch nicht gibt und wohl auch niemals geben wird.

Lassen wir die Besprechung ausklingen mit dem Zitat, mit dem das Laufzitatebuch sinniger Weise beginnt. Der österreichische Liedermacher Reinhard Fendrich textete einst die unverbrüchliche Wahrheit:

"Es lebe der Sport
Er ist gesund und macht uns hoart.
Er gibt uns Kraft, er gibt uns Schwung
Er ist beliebt bei Alt und Jung."

Gelesen und besprochen von Michael Schardt

Walter Drögenpütt: Das Buch der 1000 Laufzitate.
"Hätte dieser alte Grieche nicht schon nach zwanzig Kilometern tot umfallen können?".
Covadonga; broschiert, 158 S., € 9,80. ISBN 978-3-936973-59-4

 

Geschichten aus dem Triathlonalltag

- witzig und humorvoll á la Achilles

Er nennt sich der "Kaiserswerther Kenianer": Der Hobbytriathlet Lars Terörde wohnt im Düsseldorfer Stadtteil Kaiserswerth und hat seit einige Jahren den Lauf- und Triathlonsport für sich entdeckt. Nun schreibt er auf besonders witzige Weise über seine Erlebnisse auf der Jagd nach Bestzeiten und Triathlon-Erfolgen.

Das Buch "Barfuß auf dem Dixi-Klo" ist beste Unterhaltung für einen Ausdauersportler. Im Stile von Achim Achilles werden hier die Kollegen satirisch unter die Lupe genommen.

Der Leser aus der Lauf- und Triathlonszene kann in den lustigen Episoden sicher den einen oder anderen Trainingsfreund - und sogar sich selber, wenn er ehrlich ist… - wiedererkennen. Auch die Tricks, mit denen sich der Familienvater seine Trainingseinheiten in Urlaub und an Sonntag erschleicht, kommen einem irgendwie bekannt vor.

Mit einer dicken Portion Selbstironie unterhält der Autor die Leser, wenn er über seine überzogenen Trainings- und Wettkampfziele schreibt. Die besondere Würze gibt das Duell mit dem scheinbar trainingsfauleren Schwager, den es mit allen Mitteln zu schlagen gilt. Und da hält das Buch sogar ein spannendes Finale bereit.

Ein Geschenk für Leute mit Humor, die den Triathlonsport nicht immer nur ernst nehmen können.

Gelesen und besprochen von Birgit Schillinger

Lars Terörde: Barfuß auf dem Dixi-Klo
Triathlon-Geschichten vom Kaiserswerther Kenianer
Verlag: covadonga 2010. 224 Seiten, Klappenbroschur, 12,80 Euro
ISBN: 978-3-936973-56-3

Die Essensfälscher

Was uns die Lebensmittelkonzerne auf die Teller lügen

 

Manche der in diesem Buch dargestellten Fakten aus der Herstellung von Nahrungsmitteln mögen bekannt gewesen sein; doch kaum, daß wir durch eine kurze Zeitungsmeldung oder eine kritische Fernsehsendung Kenntnis davon genommen haben, sind wir weiter-geeilt. Eine emotionale Aufwallung – und dann haben wir die Nachricht vergessen. Da ist es verdienstlich, daß einer, der sich kontinuierlich Einblick verschafft hat, die Arbeitsweise der Nahrungsmittelindustrie entlarvt, Fakten der Verfälschung unter bestimmten Gesichtspunkten ordnet, schwammige Begriffe abklopft und damit in bestem publizistischen Sinne Aufklärung betreibt. Thilo Bode, der Gründer der Verbraucherrechtsorganisation Foodwatch, hat nach „Abgespeist“ nun ein weiteres Buch zum Thema vorgelegt, „Die Essensfälscher. Was uns die Lebensmittelkonzerne auf die Teller lügen“.

Die Nahrungsmittelindustrie, so macht der Autor klar, ist einer der fünf größten Industriezweige in Deutschland. Im Jahr gibt sie 2,8 Milliarden Euro für die Werbung aus, mehr als die Automobilindustrie. Wie jede Industrie strebt auch sie nach Wachstum. Dem sind jedoch natürliche Grenzen gesetzt; eine Bevölkerung, in der fast jeder Zweite bereits übergewichtig ist, sollte nicht mehr essen, als sie jetzt ißt. Also gilt es für die Industrie, eine neue Wachstumsstrategie anzuwenden.

Einer ihrer Bestandteile ist die Irreführung der Verbraucher. Darunter versteht der Autor den Ersatz teurer Inhaltsstoffe durch billigere Imitate, versteckte Preiserhöhungen durch Verkleinerung der Packungsfüllmengen, falsche Produktattribute, die eine regionale Vermarktung vortäuschen, und Produkte, die als Innovationen ausgegeben werden, darunter Convenience und Functional Food, nämlich Fertiggerichte und Funktionsnahrung. Neun von zehn Kindern essen mindestens jeden dritten Tag ein Fertiggericht. Die Branche wirbt zwar damit, daß sie täglich 50 Millionen Kundenkontakte habe, aber fast zwei Drittel aller Verbraucher beteuern, daß ihnen das Einkaufen der Lebensmittel keine Freude mache. Nur ein kleiner Teil der Verbraucher kann auf dem Wochenmarkt oder direkt beim landwirtschaftlichen Erzeuger einkaufen.

Die Nahrungsmittelhersteller versprechen mit ihren Produkten Wellness, Gesundheit, Schönheit und Schlankheit. Dank der Reklame sind diese Versprechungen bei vielen Verbrauchern verinnerlicht. Der Autor führt als Beispiele den Trinkjoghurt des französischen Herstellers Danone und die cholesterinsenkende Margarine von Unilever an. „Functional Food ist eines der letzten Wachstumsfelder auf den gesättigten Lebensmittelmärkten der westlichen Industrieländer.“ Allein die deutschen Verbraucher, so berichtet Thilo Bode, geben jährlich mehr als drei Milliarden Euro für Nahrungsmittel mit vermeintlichem Gesundheitsnutzen aus. Nach Meinung von Experten soll Functional Food schon bald ein Viertel des Lebensmittelmarkts ausmachen.

Im Jahr 2010 sollte der EU eine Liste aller zulässigen nährwert- und gesundheitsbezogenen Angaben über Lebensmittel vorliegen; doch die EU-Behörde ist mit einer Flut von etwa 40.000 Anträgen überschwemmt worden, die mittlerweile auf etwa 4.000 reduziert worden sind. Sollte die Liste doch noch veröffentlicht werden, sind nach Ansicht von Thilo Bode noch immer Hunderte, wenn nicht Tausende von Gesundheitsslogans erlaubt, deren positive Wirkung auf eine ausgewogene Ernährung fraglich sei. Das Verfahren begünstige zudem die wenigen Konzerne, die in ihren großen Forschungsabteilungen über das wissenschaftliche Know-how verfügten. Mittelständische Unternehmer haben dagegen kaum eine Chance. Functional Food ermutige wahrscheinlich entsprechende Verbraucher, den Supermarkt statt den Arzt aufzusuchen. Die These vom Nährstoffmangel, der durch Zusätze ausgeglichen werden müsse, sei höchst umstritten. Die Vitamine in vielen modernen Nahrungsmitteln ließen eher an eine Überdosierung glauben.

Insbesondere mit dem Beispiel des „Schwarzwälder Schinkens“ belegt Thilo Bode die „Traditionslüge“. Das Produkt werde im Schwarzwald hergestellt, aber nicht erzeugt. Von den 750.000 Schweinen, die jährlich in Schiltach geräuchert würden, komme kein einziges aus dem Schwarzwald. Außer Schiltacher Luft sei nur der Rauch aus Sägespänen schwarzwälderisch. Was der Produzent der Marke „Schwarzwälder Schinken“ treibe, mache die halbe Lebensmittelbranche: „Gnadenlos reitet sie auf der Regional- und Traditionswelle.“ Die EU-Gesetzgebung wirke als Steigbügelhalter; das blaugelbe EU-Siegel der „geschützten geographischen Angabe“ erfordere lediglich, daß eine einzige Produktionsstufe im Herkunftsgebiet stattfinde. Als weiteres Beispiel hat Foodwatch Bertolli untersucht, eine Marke des Lebensmittelmultis Unilever. Das „Pesto Verde“, das nach „traditioneller Rezeptur nur aus erlesenen hochwertigen Zutaten“ hergestellt werde, entpuppte sich als „dreiste Mogelpackung“; Bertolli hatte gerade mal zwei Prozent Olivenöl in sein Produkt gemischt, und die Pinienkerne, die auf der Packung leuchten, machten nur 2,5 Prozent des Inhalts aus. Und so geht es weiter: von Schwartaus „Gourmet-Frühstück Erdbeere“ über die Champignon-Creme-Suppe von Escoffier zum Schokoladenpudding „Pur Choc“ von Dr. Oetker.

Einen weiteren Ansatz, Methoden von Nahrungsmittelkonzernen zu beleuchten, sieht Bode in deren Projekten für Bildung und Verantwortung im Hinblick auf Kinder und Jugendliche, eine Zielgruppe, an der durch den Verkauf überzuckerter Nahrungsmittel Millionen von Euro verdient werden: „Die Lobby hat aus einem Gewürz, das niemand zum Leben braucht, einen Stoff gemacht, der heute von den meisten als Grundnahrungsmittel angesehen wird wie Reis, Brot oder Fleisch. Auch wenn es die Zuckerlobbyisten predigen – der Körper braucht gar keinen Zucker... Mit reinem oder gar keinem Gewissen verkauft die Lebensmittelindustrie immer süßere Süßigkeiten oder versteckt den süchtig machenden süßen Stoff als Geschmacksverstärker in einer Riesenpalette von Nahrungsmitteln, in denen er nichts zu suchen hat oder wo ihn der normale Verbraucher nicht erwartet.“ Die Konsequenz aus einer Anzahl von Fällen, in denen Kinder als Verbraucher von hoch zuckerhaltigen Nahrungsmitteln und Getränken angesprochen werden, heißt für den Autor: „Die Lebensmittelindustrie sollte sich nicht länger für Sport-Events und Frühstückstische in Schulen engagieren, sondern das tun, was sie viel besser könnte, wenn sie es nur wollte: gute, gesunde Nahrungsmittel herstellen und deren Inhaltsstoffe klar benennen, anstatt mit Wortklingelei zu beschönigen.“

Viele Unternehmen spielten sich als verantwortungsvolle, gesellschaftlich engagierte Ernährungs- und Bewegungsberater auf, darunter ausgerechnet auch noch solche Unternehmen, die zu großen Teilen vom Verkauf allzu fetter und zuckerhaltiger Nahrungsmittel lebten. Bode kritisiert, daß in der „Plattform Ernährung und Bewegung“ auch die Ernährungsindustrie sitze. Deren Manager stellten Übergewicht und Fettleibigkeit vor allem als ein individuelles Problem mangelnder Bewegung dar. Freiwillige Leistungen von Unternehmen oder Branchen seien kein Ersatz für politisches Handeln.

Mit dem Bedeutungs- und Umsatzzuwachs des Marktes für Bio-Lebensmittel sei leider auch die Tendenz gewachsen, den ursprünglichen Qualitätsanspruch von Bio-Erzeugnissen zu verwässern. Bezeichnend sei, wie wenig bei verarbeiteten Bio-Produkten über die Herkunft der Rohstoffe gesprochen werde. Auch die Bio-Siegel schafften kaum Klarheit. Den Verbrauchern sei es kaum noch möglich, verschiedene Qualitätsstufen von Bio-Lebensmitteln zu unterscheiden. Sehr erhellend ist die Schilderung der Backpraxis. Die Backmittelindustrie habe sich auf den Bio-Trend eingestellt und biete ein breites Sortiment an Backmitteln, Backvormischungen und Fertigmehlen an, die von den sogenannten „Handwerkern“ in den Bäckereien nur noch mit Wasser und Hefe angerührt werden müßten. Bode nennt Beispiele dafür, wie mit „minimalem Bio-Einsatz“ „maximale Marketingeffekte“ erzielt werden.

Die staatliche Lebensmittelkontrolle wird als „Kapitulation der Kontrolleure“ beschrieben. „Die Politik imitiert nur politisches Handeln.“ Ein Schaubild des Bayerischen Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit veranschaulicht zum Beispiel, daß der Fleischanteil in ausländischen Kochpökelwaren von 83 Prozent im Jahr 1993 auf 57 Prozent im Jahr 2008, in einem Fall gar auf nur noch 38 Prozent gesunken sei. Der Rest sind Wasser, Binde-, Gelier- und Verdickungsmittel, oft auch noch Soja- und Milcheiweiß. Damit würden die kleinen Fleischstücke, Reste der Schinkenherstellung, zusammengeklebt. „Hunderttausendtonnenweise landen diese gummiartigen, strukturlos-mehligen und süßlich schmeckenden Schinken-Imitate auf Pizzen, in Salaten oder Nudelgerichten, ohne daß diejenigen, die die Gerichte essen, davon wüßten.“ Der Staat sei offenbar nur noch in der Lage, den massenhaften Verstoß gegen Gesetze festzustellen und für die Verbraucher aufzubereiten; doch er sei unfähig, den Betrug am Kunden auch nur annähernd einzudämmen. Ähnlich verhält es sich mit dem Imitat-Käse.

Als vorbildlich schildert Thilo Bode den Verbraucherschutz in Dänemark durch das sogenannte Smiley-System; danach müssen die Betreiber von Lebensmittelgeschäften und Restaurants, einschließlich Kantinen und Mensen, darüber informieren, wie sie bei der letzten Lebensmittelkontrolle abgeschnitten hätten, und dies durch ein Symbol (Smiley) kundtun.

Ähnlich wie seinerzeit die Tabak-Industrie entwickle die Nahrungsmittelindustrie Abwehrtechniken gegen Kritiker. Die meisten Hersteller kennzeichneten zwar ihre Produkte korrekt, „aber sie verstehen es genauso gut, diese Kennzeichnung durch inhaltlich gegenläufige werbliche Aussagen oder durch das konsequente Ausnutzen der zahlreichen legalen Schlupflöcher zu konterkarieren“. In diesem Kapitel tritt Thilo Bode vehement für die „Ampelkennzeichnung“ ein, die Markierung hoher Fett-, Zucker- oder Salzanteile sowie gesättigter Fettsäuren durch die Farbe Rot. In dieser Hinsicht ist, finde ich, Kritik angebracht. Auch wenn sich die Nahrungsmittelindustrie gegen die Ampelkennzeichnung wendet, ist damit das Gegenteil noch nicht richtig. Zu Recht ist im Juni in Brüssel die Ampelkennzeichnung mit hoher Mehrheit abgelehnt worden. Die Farbkennzeichnung kann bei manchen Produkten zu falschen Simplifizierungen führen. Einerseits ist die gegenwärtige GDA-Praxis (Guideline Daily Amount) der Zahlenangaben, wie Bode zu Recht hervorhebt, ungenügend und manipulierbar, andererseits treffen Ampelfarben keine Differenzierung und veranlassen die Verbraucher möglicherweise zu falschen Schlüssen.

Dieser Einwand ändert jedoch nichts daran, daß Thilo Bode auch mit seinem Schlußkapitel wichtige Denkanstöße gibt. Sein Buch ist geeignet, das Bewußtsein der Käufer im Supermarkt zu schärfen. Als Handlungsanleitung ist es nicht konzipiert. Diese findet man bei der Ernährungslehre von Kollath/Bruker, der ich anhänge. Dr. Bruker hatte für uns einen schlichten Einkaufstip: „Essen und trinken Sie nichts, wofür Reklame gemacht wird!“ Dem wird auch Thilo Bode nicht widersprechen wollen.

Noch eine Schlußbemerkung: In voller Absicht ist diese lange Besprechung im Umfeld von Sportbüchern placiert. Außer dem Training ist gesunde Ernährung eine wichtige Voraussetzung sportlicher Leistung. Als Sportler gelten wir daher als spezielle Zielgruppe der Nahrungsmittelindustrie und der Hersteller sogenannter Nahrungsergänzung und sind daher Irreführungen besonders ausgesetzt.

Gelesen und besprochen von Werner Sonntag

Thilo Bode: Die Essensfälscher.
Was uns die Lebensmittelkonzerne auf die Teller lügen.
S. Fischer, Frankfurt a. M., 2010. 224 S., Broschur, 14,95 Euro (D). ISBN 978-3-10-004308-5

‚Herbstgold'

Leichtathletik-WM der AK 80-100 Beeindruckender Film über Sport und Alter(n)

Bei den Laufveranstaltungen, über die LaufReport regelmäßig aus aller Welt berichtet, sind die Altersklassen M/W 70-80 stets vertreten. Doch die Altersklassen jenseits der 80 sind bei den ‚normalen' Volksläufen, Marathons oder Ultras allenfalls spärlich besetzt. Anders bei der Senioren-Leichtathletik-WM, an der insgesamt bis zu 6000 Sportler teilnehmen: bei der 18. Weltmeisterschaft der ‚World Masters Athletics' (WMA), die vom 28. Juli bis 8. August 2009 in Lahti (Finnland) stattfand, umfasste die Ergebnislisten für die AK 80-100 allein 36 Seiten!

In dem Dokumentarfilm ‚Herbstgold', der seit einiger Zeit leider nur in wenigen Kinos läuft, erzählt Regisseur Jan Tenhaven, wie sich fünf Männer und Frauen im Alter von 80 bis 100 Jahren auf diese Senioren-WM in Lahti (Finnland) vorbereiten: der 82-jährige Hochspringer Jiri aus Tschechien, die 85-jährige Kugelstoßerin Ilse aus Kiel, der 93-jährige 100m-Läufer Herbert aus Stockholm, die 94-jährige Diskuswerferin Gabre aus dem italienischen Brescia sowie der 100-jährige Diskuswerfer Alfred aus Wien sind die Protagonisten des Films. "Ein absolut sehenswerter Film für jung und alt", meint LaufReporter Axel Künkeler.

Seniorensport fristet im Sportteil der Zeitungen nur ein Schattendasein. Mehr als Kuriosum in der Rubrik ‚Vermischtes' entdeckte Tenhaven 2006 zufälligerweise den Hinweis auf die 17. WMA-Weltmeisterschaft, die im Jahr 2007 in Riccione stattfinden sollte. Neugier und wohl eine Portion Voyeurismus ließen ihn nach Italien reisen. Doch die zwei Wochen unter den Seniorensportlern beeindruckten den Filmregisseur: die ungeheure Anspannung und positive Energie, Humor wie auch Ernsthaftigkeit entfalteten bei ihm eine elektrisierende Wirkung. "Da war keine Verbissenheit festzustellen", so Tenhaven. "Allenfalls Trotz: Euch zeige ich es noch". Damit war der Wunsch geboren, den Helden des Seniorensports eine filmische Bühne zu bieten, um ein Stück von deren Energie und Lebensmut an die Zuschauer weitergeben zu können.

In ‚Herbstgold' wirft Regisseur Tenhaven einen einfühlsamen, einen ebenso liebevollen wie respektvollen Blick auf den Seniorensport. Er zeigt, wie die bejahrten Sportler es auf der Zielgeraden ihres Lebens noch einmal wissen wollen, wie Disziplin und Ehrgeiz, aber auch ihre Lebensfreude das Alter mit all seinen Widrigkeiten trotzdem lebenswert machen. Witz und Humor kommen ebenso zu Wort wie Krankheit und Verlust. Die stets elegant gekleidete Gabre, die mit ihrem Alter kokettiert ("Ich frage doch Jüngere auch nicht nach ihrem Alter".) genauso wie die ebenso auf ihr Aussehen bedachte Ilse, die den Tod ihres Mannes beklagt. Der ebenso streng wie humorvoll daher kommende Herbert sowie der 100-jährige Aktmaler Herbert, der nach einer Knieoperation nur mit einem Rollator zum Diskusring gehen kann.

Die fünf Sportler unterscheidet kaum etwas von jüngeren Athleten. Da sind Disziplin und Ehrgeiz im Training. Anspannung vor dem Wettkampf und das Taxieren der Gegner. Der Austausch mit Sportlern aus der ganzen Welt, die man schon seit Jahren und den vielen Wettkämpfen kennt, von denen aber einige "einfach nicht mehr da" sind. Da sind Jubel und Enttäuschung, je nach sportlichem Abschneiden. Ilse, die unbedingt den Weltrekord ihrer AK im Kugelstoßen mit sechs Metern übertreffen möchte, ärgert sich, dass es "nur" für 5,99m reicht. Im Kugelstoßen kann man sowieso nicht Zentimeter-genau messen, habe ihr mal ein Kampfrichter erzählt, also waren es wohl doch sechs Meter, tröstet sie sich wenig später.

Doch ‚Herbstgold' ist weit mehr als ein Film über Sportler. ‚Herbstgold' ist ein Film über das Alter(n) mit all seinen Widersprüchen und Widrigkeiten. Doch kein Anlass zur Sorge und zu pessimistischer Zukunftsbetrachtung, sondern der gelungene Versuch, sich zentralen Tabus wie z. B. der Alterssexualität, Einsamkeit, Krankheit und Tod auf witzige und selbstironische Weise zu nähern. Dabei werden die Sportler, die einzelnen Protagonisten des Films sowohl in ihrer Schicksalsergebenheit, aber auch in ihrem willensstarken Kampf gegen den eigenen Körper, gegen die ablaufende Zeit und gegen ihre Konkurrenz gezeigt. ‚Herbstgold' ist eine Hommage an das Leben wie es sein kann: nicht immer glatt und faltenfrei, aber voll Humor und Willenskraft. Mit dieser lebensbejahenden Perspektive ist der Film fast schon ein Muss für Kino-Liebhaber, meint Künkeler. Schließlich zeige ‚Herbstgold', dass es immer ein Morgen gibt - auch im hohen Alter.

Für Jüngere mag es fast unglaublich wirken, dass es auch für alte Menschen ein Morgen gibt - und doch ist es so. Von daher werden sich Jiri, Ilse, Herbert, Gabre und vielleicht sogar der 1908 geborene Alfred im nächsten Jahr einen weiteren Traum erfüllen: Vom 6.-17. Juli 2011 findet die 19. WMA-Weltmeisterschaft im amerikanischen Sacramento statt.

www.herbstgold-derfilm.com

Gesehen und besprochen von Axel Künkeler

Das große Buch vom Ultramarathon

 

Mit der Besprechung dieses Buches habe ich mich etwas schwer getan, weil ich nicht so richtig wusste, wo ich es letzten Endes einordnen soll. Der Grund liegt hauptsächlich darin, dass zwischen dem Titel des Buches, der in der Einleitung formulierten Zielstellung und der tatsächlichen Wirkung aus meiner Sicht doch eine gewisse Diskrepanz besteht.

Als "Das große Buch von Ultramarathon ist" es tituliert. Das ist ein Titel, der entsprechende Erwartungen weckt, nämlich eine Art Lexikon oder Handbuch mit allem Wissenswerten zum Ultramarathon. Zumindest würde ich so etwas erwarten, etwas Umfassendes, Fundiertes, gern auch wissenschaftlich.

Vom ersten Blättern her ist das Buch ansprechend, viele Informationen, viele Bilder, Grafiken, Tabellen. Doch beim Blick auf Inhaltsverzeichnis und Einleitung offenbart sich ein Manko des Buches: Die Themen sind sehr unterschiedlich gewichtet. Die Hälfte des 270 Seiten umfassenden Buches besteht aus der Vorstellung der großen Ultraläufe, während dem für die Bewältigung eines Ultralaufs so wichtigen Thema "Mentale Stärke" nur fünf Seiten gewidmet sind.

Das Buch wirkt wie eine Kompilation verschiedener Themenbereiche aus dem Ultramarathon. Einige sind sehr ausführlich, andere nur angeschnitten und unvollständig. Beim Lesen entsteht unwillkürlich der Eindruck, der Autor habe einfach alles, was sich in seiner Laufbahn zum Thema Ultramarathon angesammelt hat, in einem Buch zusammengepackt.

In der Einleitung sind unter anderem Inhalte wie die Entwicklung zum Ultraläufer, die Ernährung, die Weiterentwicklung und erfolgreiches Ultralauftraining formuliert. Das Buch beginnt mit Grundsätzlichem zum Ultralauf: Begriffsabgrenzung, Entwicklung, Definition, wobei bereits hier viele Aussagen als subjektiv, rein von der Erfahrung des Autors geprägt, und unvollständig erscheinen. Es fällt auf, dass mit sehr vielen Tabellen und Statistiken gearbeitet wurde. Teilweise erscheinen sie als überflüssig, teilweise sind sie sogar fehlerhaft wie beispielsweise die Tabelle über die Ultralauf-Weltrekorde. Das Buch ist 2013 erschienen, zu diesem Zeitpunkt waren die (im Buch aufgelisteten) Weltrekorde der Frauen im 24h-Lauf sowohl Straße als auch Bahn schon mehrfach verbessert worden. Auch die Angaben zu einigen anderen Weltrekorden sind fehlerhaft bzw. falsch. Hier wäre eine Kennzeichnung der Quelle des Autors hilfreich gewesen.

Das Thema "Mentale Stärke" fällt wie bereits erwähnt sehr kurz aus und basiert im Wesentlichen auf persönlichen Erfahrungen (des Autors?) und der Sri-Chinmoy-Philosophie. Wenn man bedenkt, dass sich ein Ultralauf zu nahezu 50 Prozent im Kopf abspielt, wäre hier eine eingehendere Betrachtung wünschenswert gewesen.

Umfangreich dagegen sind die Kapitel Ernährung und Ausrüstung mit vielen interessanten Aspekten und wertvollen Tipps.

Ein wichtiger Bestandteil des Buches ist das Thema Training, ebenfalls sind einige Trainingspläne zum 24h-Lauf und 100 Km-Lauf enthalten. Dieses Kapitel ist leider aus meiner Sicht unzureichend und irreführend. Es wird in keiner Weise berücksichtigt, dass es für das Ultralauftraining - ebenso wie beim Training für die unteren Distanzen - unterschiedliche Trainingsphilosophien und -ansätze gibt. Die Trainingspläne, die der Autor vorstellt, sind weder für den Ultra-Einsteiger noch für den ambitionierten Läufer geeignet. Für den Einsteiger erscheinen mir die Umfänge zu hoch und schrecken eher ab bzw. ziehen schnell Verletzungen nach sich. Für den ambitionierten Läufer sind sie zu unflexibel, zu eintönig und mit zu wenig Tempoeinheiten versehen. Völlig schleierhaft sind mir die für den in jedem Trainingsplan obligatorischen Halbmarathon angegebenen Wettkampfzeiten: Beispielsweise ist für den 8:20h-Plan (100 Km) ein Halbmarathon in 1:21 (!!) zu laufen. Ehrlich, ich konnte das nie und ich kenne auch niemanden auf diesem 100 Km-Niveau, der diese Zeit schafft. Wer das kann, kann bzw. ist die 100 Km in mindestens unter 8 Stunden gelaufen.

Ähnliche Diskrepanzen gibt es beim 24h-Plan. Hier tritt noch deutlicher zutage, dass es keinen universellen Plan gibt.

Völlig irreführend sind auch die Vergleichszeiten, mittels derer der Leser seine theoretisch mögliche Bestleistung über 24h und 100 Km ermitteln kann sowie die jeweiligen Richtwerte für Intervalle. Für beispielsweise 225 km sind max. 170 Km Training die Woche vorgesehen, man sollte in der Lage sein 1000er Intervalle in 3.33 zu laufen, die 100 Km in 8:00 bis 8:20 Stunden, den Halbmarathon in 1:19 und den Marathon in 2:50. Ich persönlich schaffe lediglich die 100 Km-Vorgabe, von allem anderen bin ich (nicht nur ich) meilenweit entfernt und trotzdem sind diese Kilometerleistungen möglich.

Ein weiteres Kapitel ist den Ultralaufstars gewidmet. Leider sind es nur vier, worauf diese Auswahl fußt bleibt unklar. Außer Yannis Kouros, Wolfgang Schwerk, Ann Trason und Sri Chinmoy hätten mich noch weitere Biographien, gern auch deutscher Läufer und Läuferinnen, interessiert.

Die zweite Hälfte des Buches beinhaltet eine Vorstellung der großen Ultraläufe. Neben grundsätzlichen Informationen und Tipps zu diesen Läufen ist jeweils ein ausführlicher Erlebnisbericht des Autors beigefügt. Insofern hat dieser teil sicher einen relativ hohen Informationsgehalt für viele Leser. Eine Auflistung aller Ultramarathonläufe 2013 ist ganz nett, doch ein Jahr später bereits völlig veraltet.

Mein Fazit: Beim Kauf bzw. der Lektüre dieses Buches darf man nicht zuviel erwarten, viele Dinge wie beispielsweise das Kapitel zum Training sind allenfalls als Grundgerüst verwertbar. Für den Ultralauf-Interessierten ist es sicher eine interessante Lektüre, als Leitfaden für den Einstieg in den Ultralauf jedoch nur bedingt brauchbar. Für ultralauferfahrene oder ambitionierte Läufer dagegen wird dieses Buch höchstwahrscheinlich einen geringen Informationsgehalt haben.

Gelesen und besprochen von Antje Krause

Hubert Beck: Das große Buch vom Ultramarathon. Ausrüstung, Trainingspläne, Ernährung, Erfahrungsberichte. Stiebner Verlag GmbH, Copress Sport, München 2013. 272 S., Broschur, 254 Abb. und 44 Grafiken. 19,90 €, ISBN 978-3-7679-1153-6.

Buchtipp: Mythos Mount Everest

Ein Berg wird erobert

 

Dieses Jahr im Mai waren es 60 Jahre, dass Edmund Hillary und Tenzing Norgay als erste Menschen den Mount Everest bestiegen. Auch heute noch zieht der 8848 Meter hohe Berg Menschen aus aller Welt an. Mythos Mount Everest nähert sich dem höchsten Berg der Erde aus der Perspektive der Frankfurter Journalistin, Ultraläuferin und Ironwoman Iris Hadbawnik. Dabei wird neben der Historie, Rekorden, kuriosen Ereignissen und aktuellen Geschehnissen am Berg ein Blick auf die unterschiedlichsten Sportler - und das sind bei weitem nicht nur Bergsteiger - geworfen, die vom Berg der Berge nahezu magisch angezogen werden. Ein eigenes Kapitel widmet sich den mittlerweile zahlreichen Laufwettbewerben in der Region um den Mount Everest.

Der "Tenzing Hillary Everest Marathon" wird näher vorgestellt, welcher mit dem Start im Basislager auf 5364 Metern seit 10 Jahren (Premiere im Jahre 2003) der höchste Marathon der Welt ist. Mit Dawa Dachhiri Sherpa kommt eine der schillerndsten Figuren der Ultratrailrunning-Szene zu Wort. Die Autorin sprach mit dem Österreicher Helmut Linzbichler, der mit 67 Jahren der älteste Europäer ist, der je auf dem Everest stand und außerdem gleich im Anschluss an seine erfolgreiche Besteigung den Tenzing Hillary Everest Marathon absolvierte. Eine bisher einzigartige Leistung! Hadbawnik berichtet von einem Apnoetaucher, der in den Gokyo-Seen am Fuße des Everest den höchsten Freitauchgang der Welt absolvierte und von Stefan Gatt aus Wien, der den Abstieg vom Gipfel mit dem Snowboard bewältigte. Auch Schwimmer, Radfahrer und Gleitschirmflieger trifft man am Everest.

Das Buch beschreibt die Faszination des Berges, aber auch zahlreiche faszinierende Persönlichkeiten. Darüber hinaus ist es nicht nur für Bergsteiger interessant, sondern für alle, die das Abenteuer lieben. Neben Rekorden, Helden, Routen, Besteigungsgeschichte, tragischen Figuren, Daten, Zahlen, Fakten kommen auch die negativen Aspekte zu Wort. Vor allem der Massentourismus, die Müllprobleme und die Gefahren einer Besteigung. Es beleuchtet auch die kontroversen Diskussionen um die Besteigung mit oder ohne Sauerstoff.

Das opulent bebilderte Buch besticht durch zahlreiche faszinierende Fotos, die keinen Leser kalt lassen. Die Autorin hat vor zwei Jahren im gleichen Verlag bereits das Buch "Bis ans Limit - Faszination Extremsport" publiziert. Die Rezension darüber ist von Werner Sonntag in der Rubrik "Lesezirkel" nachzulesen.

Vorwort von Bergsteigerlegende Kurt Diemberger.

Gelesen und besprochen von Stefan Schlett

Iris Hadbawnik: Mythos Mount Everest. Ein Berg wird erobert. Verlag die Werkstatt, Göttingen 2013. 224 S., Paperback. 19,90 €, ISBN 978-3-7307-0007-5.

Als die Ägypter Ultra liefen

Zum 40. Berlin-Marathon am 29. September wird ein Buch mit Texten über die 42 Kilometer von Berlin erscheinen, herausgegeben von Professor Dr. Detlef Kuhlmann.

 

Der Band, der bis zum 31. August 2013 zum Subskriptionspreis bestellt werden kann, wird von einem neuen Kleinverlag verlegt, dem Arete-Verlag in Hildesheim. Mit dem Verlag hat sich Christian Becker vor drei Jahren den Wunsch nach Selbständigkeit erfüllt. Becker hat nach dem Studium von Geschichte und Sportwissenschaft zehn Jahre im Verlagswesen gearbeitet und sich aus Leidenschaft fürs Büchermachen auf eigene Füße gestellt. Verlagsprogramm sind Geschichte, Kultur, Sport und Gesellschaft. Becker erläutert: „Ausdrücklich gewünscht ist es, die engen Grenzen eines Faches zu überwinden und verschiedene Ansätze und Perspektiven miteinander zu verbinden.“ Der Verlagsname wird vom Kleinen Pauly, dem Lexikon der Antike, als Eigenschaft, durch die etwas hervorragt, definiert.

Unter den vorliegenden Bänden hat mich „Sport am Nil“ besonders interessiert, ein Band, der Texte aus drei Jahrtausenden ägyptischer Geschichte enthält. Die Auswahl der 59 Quellen hat der emeritierte Professor Dr. Wolfgang Decker vorgenommen, einer der besten Kenner ägyptischer Leibesübungen in der Welt. Von ihm stammt auch die zusammenfassende Darstellung „Sport und Spiel im Alten Ägypten“ (Verlag C. H. Beck). Wer sich erstmals diesem Kapitel der Sportgeschichte, das weit weniger als die Körperkultur im antiken Griechenland beachtet wird, nähert, sei dieser Band zur Einführung empfohlen.

„Sport am Nil“ ist eine Quellensammlung aus unterschiedlichen Geschichtsepochen Ägyptens, der Pharaonenzeit, der Ptolemäerzeit, der Römischen Kaiserzeit und der Byzantinischen Epoche. Decker kommentiert im Vorwort: „Die Betrachtung des Sports in der geographischen Einheit des Niltals über annähernd drei Jahrtausende, wie sie mit dieser Quellensammlung für vier unterschiedliche Kulturen angeboten wird, führt wiederum zu der Erkenntnis, daß der Sport ein universales Phänomen ist, das jedoch wie alle Kulturphänomene den jeweils herrschenden ideologischen und sozialen Kräften unterworfen ist und demnach je nach Ort und Zeit eine ganz besondere Wertewelt repräsentiert.“

Die Dokumentationen sind eine bunte Mischung unterschiedlich gearteter Texte, von der offiziellen Inschrift bis zu privaten Zeugnissen antiker Wettkämpfer. Decker selbst hat sie übersetzt, jeweils kommentiert und eine historische Einordnung samt sporthistorischer Würdigung vorgenommen.

Das Laufen kommt nur einmal vor, nämlich in der Darstellung der Lauf-Stele des Königs Taharka (685/684 v. Chr.), die erst in den siebziger Jahren gefunden worden ist. Taharka hatte sie an einer Straße aufstellen lassen, die in die westliche Wüste führt. Der Stein soll an einen militärischen Lauf über 100 Kilometer erinnern. „Seine Majestät befahl, ‹eine Stele› zu errichten ‹auf› dem Rücken der westlichen Wüste im Westen der Residenz und ihr den Namen zu geben ,Ausüben des Laufes des Heeres des Sohnes der Sonne Taharka, er lebe ewiglich.‘ Seine Majestät befahl, daß sein Heer, das für ihn ausgehoben war, laufen solle jeden Tag ‹in› seinen fünf ‹Abteilungen›.“ Der lange Text, einer der längsten der Sammlung, schildert, was sich ereignete: Der König inspizierte erst den Lauf seines Heeres von einem Gespann aus, verließ es später jedoch und lief mit den Männern. Es war ein Wendepunkt-Lauf; nach einer Pause kehrten die Läufer an den Ausgangspunkt zurück. Dort zeichnete Taharka den Ersten aus, belohnte auch andere Läufer und veranlaßte, daß gemeinsam gegessen und getrunken wurde. Die Stele rühmt: „Sie kommen wie das Kommen der Winde, wie die Falken, die mit ihren Flügeln schlagen. … Der König ist wie Month, ein Starker, dessengleichen es nicht gibt inmitten seines Heeres.“

Die wahrscheinlich 250 Elitesoldaten waren, wie Professor Decker schildert, in einem Trainingslager zusammengezogen und einem täglichen Lauftraining unterworfen worden. Der Lauf in der Wüste von Memphis sollte der Prüfung der Form dienen. Die Umrechnung der komplizierten Zeitangabe ergibt, daß die Soldaten die 100 Kilometer in etwas mehr als 9 Stunden zurückgelegt haben.

Sicher, eine solche Anthologie ist keine Lektüre für jedermann. Doch wer sportgeschichtlich interessiert ist, wird den Reiz all dieser Darstellungen, der in der Authentizität besteht, zu schätzen wissen.

Gelesen und besprochen von Werner Sonntag

Wolfgang Decker: Sport am Nil. Texte aus drei Jahrtausenden ägyptischer Geschichte. Arete-Verlag Hildesheim 2012. 224 S., kartoniert. 34,95 €. ISBN 978-3-942468-03-9

Eat & Run:

Vegan auf der Ultrastrecke

 

Wer im Laufen eine persönliche Herausforderung sieht, aufgeschlossen für Ernährungshinweise ist und die Mühe auf sich nehmen kann, Englisch zu lesen, dem sei das Buch von Scott Jurek warm empfohlen: "Eat & Run". Es ist im vorigen Jahr erschienen und liegt seit April 2013 als Taschenbuchausgabe vor.

Scott Jurek ist einer der besten Ultraläufer der Welt. Als er 1999, noch relativ unbekannt, den Western States 100 Mile Endurance Run gewann, horchte man in der Ultra-Szene auf. Ein Flachländer, der erst wenige Jahre zuvor mit dem Ultralauf begonnen hatte, erkämpfte sich auf einem der anspruchsvollsten Bergläufe den ersten Platz - und dies fortan siebenmal in Folge. Zweimal siegte er im Badwater Ultramarathon, und dreimal gewann er den Spartathlon (darunter mit 22:20 Stunden der besten Zeit nach Yiannis Kouros).

Damit und einer weiteren Kette von Erfolgen, insbesondere mit dem amerikanischen Rekord im 24-Stunden-Lauf, widerlegte er ein Vorurteil, das sich jahrelang durch die Ernährungstheorie mindestens der Ultraszene gemogelt hat: Jurek ist Veganer, also ein strenger Vegetarier, der auf jegliche Nahrung, die vom Tier stammt, verzichtet. Dies schon seit 1995. In Deutschland haben sich vegane Läufer und Laufgruppen erst in den letzten Jahren mit steigender Tendenz artikuliert. Die angebliche Notwendigkeit, im Hochleistungssport, ja, im Leistungssport überhaupt tierisches Eiweiß aufnehmen zu müssen, scheint empirisch in den Bereich einer wissenschaftlichen Doktrin verwiesen. Dies vor allem sichert Jureks Buch Interesse.

Die Kapitel von "Eat & Run" sind biographisch aufgebaut. Nach der Einstimmung durch Empfindungen und Reflexionen beim Badwater-Ultramarathon erfahren wir einiges über die Wurzeln der Motivation, die Jurek vom Skilanglauf zum Ultramarathon und hier zu Spitzenleistungen geführt hat. Es ist ein Buch, das auch menschlich stark berührt. Scotts Mutter erkrankte früh schon an Multipler Sklerose. Sein Vater warf ihn aus vergleichsweise nichtigem Anlaß aus dem Haus. Seine Ehe ging in die Brüche. Laufen lernte er von einem dem Alkohol zugeneigten Hippie.

Das Buch ist jedoch weit mehr als nur eine Biographie. Wie der Titel sagt, handelt es auch vom Essen. Die Freude am Kochen hatte ihm seine Großmutter vermittelt; hier liegen offenbar die Wurzeln seiner Sensibilität für Lebensmittel. Vom Grillmeister wandelte er sich zum Veganer. Am Schluß jedes Buchkapitels steht ein Rezept aus Jureks Erfahrungsschatz. Das sind nicht immer vollwertige Gerichte; aber sie vermitteln Veganern oder Menschen, die ihre Ernährung vegan umstellen möchten, eine Anzahl Anregungen.

Der für viele Leser wichtigste Schwerpunkt dürfte der Ultramarathon sein. Über Scott Jureks Schilderungen lernt man Ultraläufe, nicht nur solche in den USA, aus der Sicht des Läufers kennen.

Die Arbeit des Co-Autors Steve Friedman gewährleistet eine unterhaltsame Lektüre. Scott Jurek hat dazu sein Photoalbum geöffnet, so daß der Band mit biographischen und Laufbildern illustriert ist.

Gelesen und besprochen von Werner Sonntag

Scott Jurek: Eat & Run. My unlikely Journey to Ultramarathon Greatness. With Steve Friedman. Bloomsbury, 2013. Taschenbuch, 260 S., ill. 10,20 €. ISBN 978-1-4088-3340-7.

 

Born to run

Stellenweise glaubte ich, einen Roman zu lesen. Die handelnden Figuren farbig porträtiert, die Vorgänge plastisch geschildert, die Dialoge alltagsgerecht, philosophische Aphorismen eingestreut, von der ersten bis zur letzten Zeile unterhaltsam. Doch immer wenn ich mich von romanhaften Schilderungen entführen ließ, kamen da Namen und Fakten vor, die ich kannte. „Born to run“ ist ein Sachbuch, wenngleich eines ohne die Struktur eines Inhaltsverzeichnisses. Zum Teil sind den 32 Kapiteln Zitate leitmotivisch vorangestellt. Spätestens beim Wiederlesen erkennt man die innere Struktur, die Logik des Erzählers.

Sicher ist es ein Buch, das jedermann in seinen Bann ziehen kann, insbesondere aber spricht es Läufer an, speziell Ultraläufer. Schon das Reizwort „Tarahumara“ würde genügen, uns neugierig zu machen. Doch sowohl in der amerikanischen Ausgabe als auch in der Übersetzung kommen die Tarahumara, die Rarámuri (= Fußläufer), in der Titelei nicht vor. Womöglich hat der Verlag gemeint, Nichtläufer damit abzuschrecken. Christopher McDougall, ehemaliger Kriegsberichterstatter für Associated Press, Mitarbeiter von Men’s Health, hat sich in die Schluchten der mexikanischen Sierra Madre begeben, in die sich die Tarahumara, jener Indio-Stamm, der das lange Laufen mit einer Holzkugel als Kult und Geselligkeit pflegt, zurückgezogen haben. Die zentrale Frage des Autors war, wieso eigentlich sind so viele Läufer verletzt, Wölfe brauchten auch keine Eisbeutel!

McDougall hat eine Antwort gefunden. Doch das ist nur einer der Handlungsfäden. Der Autor porträtiert eine ganze Anzahl von Menschen, denen er bei seinen Lauf-Recherchen begegnet ist. Das Buch beginnt und endet mit Caballo Blanco, dem Weißen Pferd, einem Amerikaner, der sich in die Sierra Madre geflüchtet hat und die Verbindung zu den nahezu unsichtbaren Tarahumara herstellt. Eigene Fußverletzungen haben den schwergewichtigen McDougall dazu gebracht, Kontakt zu den Indios zu suchen, die der Literatur nach unglaubliche Laufleistungen vollbringen. McDougall zitiert den norwegischen Forschungsreisenden Carl Lumholtz, den französischen Schriftsteller Antonin Arraud, den amerikanischen Abenteurer Frederick Schwatka.

Insofern erinnert die Geschichte an den deutschen Sportreporter Arthur E. Grix, der nach den Olympischen Spielen 1932 in Los Angeles ziemlich spontan nach Mexiko aufbrach und seine Eindrücke und Beobachtungen, einschließlich einer Carrera (= rarájipari), eines jener legendären Fußrennen, in einem Buch geschildert hat (erschienen 1935 bei Limpert). Doch anders als Grix verschränkt McDougall seinen Expeditionsbericht mit einer Unzahl von abenteuerlichen Episoden in einem von zwei Drogenkartellen beherrschten Gebiet, Begegnungen, Charakterbildern, aktuellen Informationen der Evolutionsbiologie und Ethnologie. Dabei gelingt es ihm, die Leser von Seite zu Seite mitzunehmen. Es erwartet uns ein fesselnder Lesestoff, jedoch einer, der nicht an der Oberfläche bleibt. Ein Buch also, das man besitzt, um es wieder zu lesen. Wenn man es einem Läufer schenkt, kann man nichts falsch machen.

Obwohl McDougall in der Ich-Form schreibt, nimmt er sich selbst - anders als sein Landsmann Dean Karnazes - über dem Stoff zurück. Allenfalls, daß er manchmal stark pointiert, zum Beispiel bei der Lebensweise der Tarahumara.

 

So ganz unsichtbar sind ja auch sie nicht; zumindest sieht man sie, wenn sie sich sehen lassen wollen. Im Jahr 1994 konnte man drei von ihnen dank Vermittlung beim Swiss Alpine erleben. Sie liefen die damalige Superstrecke von Davos über Filisur, Bergün und den Sertigpaß in ihren selbstgefertigten Sandalen aus Autoreifen. Ihre dabei nicht überragenden Leistungen wurden wie anderswo damit begründet, daß die Strecke für sie zu kurz sei.

Die Tarahumara laufen in selbstgefertigten Sandalen, aufgenommen 1994 in Davos - Photo: Sonntag

Was ist nun die Ursache der vielen Laufverletzungen? Nach Christopher McDougall sind es die Laufschuhe. Er beruft sich dabei insbesondere auf die Erkenntnisse von Professor Dr. Daniel Lieberman, Harvard University, und versucht, sie durch seine Recherchen zu belegen. Für sich selbst hat er die Konsequenz gezogen: Er läuft barfuß und benützt die Gelegenheit, dies zur Nachahmung zu empfehlen. Im Buch allerdings hält er sich damit zurück. McDougall hat sorgfältig gearbeitet; dennoch habe ich meine Zweifel an dem Material, das er aus der Wissenschaft zutage gefördert hat. Auch in früheren Generationen gab es Fußverletzungen; ich selbst litt als Kind an Erfrierungen, weil meine Lederschuhe zu eng geworden waren. Niemand hat solche Verletzungen statistisch festgehalten. Als die Massen zu laufen begannen, waren bereits Fuß- und Beinfehlstellungen von Geburt an oder infolge Nichtgebrauchs oder falscher Ernährung vorhanden. Das Laufen hat diese Fehlstellungen oder zivilisatorischen Funktionsschwächen an den Tag gebracht. Falsche Laufschuhkonzepte - McDougall kritisiert Nike - haben sicher ebenso wie die falsche persönliche Schuhwahl zu Verletzungen geführt, und der unüberlegte Griff zu Einlagen vermochte nicht, sie zu heilen. Einer der frühen Warner vor dem Glaubensbekenntnis der Dämpfung ist Carl-Jürgen Diem. Doch davon ist in den USA nicht Kenntnis genommen worden. Es ist ja auch nicht so, daß alle Läufer nur noch Nike getragen hätten. In Europa hat Nike bei den Läufern längst nicht die Rolle gespielt wie in den USA. Doch auch hier gibt es Fuß- und Beinverletzungen; möglich, daß diese durch Laufschuhe nicht korrigiert werden konnten, aber daß sie durch die Laufschuhe hervorgerufen sein sollen, müßte wohl noch bewiesen werden. Ob vier Fünftel aller Läufer einmal im Jahr Beschwerden haben, möchte ich bezweifeln.

Dennoch, McDougall hat mit seinem ersten Buch eine Diskussion über das Barfußlaufen in Gang gesetzt. Es ist anzunehmen, daß sich dies nach Erscheinen der deutschen Übersetzung in den deutschsprachigen Ländern fortsetzt. Wir haben ja auch in Deutschland Barfußläufer oder Quasi-Barfüßler, nämlich Läufer in „Schuhen“ der Tarahumara-Art. Deren Erscheinungsbild wird durch dieses Buch ganz sicher aufgewertet. Selbst Schuhproduzenten wie Nike haben die Barfußläufer als Zielgruppe entdeckt und bieten nun auch Einfachstschuhe an.

An der gelungenen deutschen Ausgabe von „Born to run“ hat der Übersetzer, Werner Roller, den Hauptanteil. Ich kenne zwar das amerikanische Original nicht, aber seine Übersetzung hat aus dem Stoff ein auch auf Deutsch lesenswertes Buch gemacht. Roller hat Dialoge einfühlsam in Alltagsdeutsch umgesetzt. Wir Läufer können uns in diesem Buch wiedererkennen. Ich habe in dem 400 Seiten starken Band auch nur zwei Druckfehler (Eingabefehler) entdeckt. Der Titel ist zu Recht nicht übersetzt worden. „Born to run“ ist längst ein Zitat. Der Titel gibt präzise die generelle Aussage wieder: Wir alle sind zum Laufen geboren.

Gelesen und besprochen von Werner Sonntag

Christopher McDougall: Born to run.
Ein vergessenes Volk und das Geheimnis der besten und glücklichsten Läufer der Welt.
Aus dem Amerikanischen von Werner Roller.
Blessing-Verlag, 2010. Geb., 400 S., 19,95 Euro (D).
ISBN 978-3-89667-366-4

Buchtipp: The United States of Delirium

 

So mancher mag bei den kuriosen Nachrichten und Subkulturen die uns oftmals aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten erreichen an eine Republik im Dauerdelirium denken. Aber hier geht es um ein sportliches Event, dazu noch um die härteste Ausdauerprüfung der Welt. In maximal 12 Tagen per Fahrrad 4800 Kilometer von der West- zur Ostküste der USA, über 3000 Meter hohe Pässe und durch 40 Grad heiße Wüsten - das Race Across America (RAAM) ist ein Einzelzeitfahren, bei dem regelmäßig 50% der Teilnehmer aussteigen müssen. Das RAAM steht für Schlafentzug, Schmerzen, Halluzinationen, wund gescheuerte Hintern und eben auch extremsportliches Delirium.

Und es steht für etwas, das so nur in den USA entstehen konnte. Denn die Durchquerung des Kontinents ist seit den Pionierzeiten ein fast schon heiliges Ritual.

Seit nunmehr 29 Jahren wird das RAAM alljährlich ohne Unterbrechung ausgetragen und ist somit das am längsten existierende Transkontinentalrennen. Da können auch die handvoll Trans Amerika Läufe nicht mithalten, die es zwar schon früher gab ("Bunion Derbys" 1928 und 1929), aber nur sporadisch veranstaltet werden. Der "Mount Everest des Ausdauersportlers" wird überwiegend von Freaks aus der Ultraradsportszene in Angriff genommen. Doch regelmäßig finden sich in den erlesenen Starterfeldern auch Fremdgänger aus der Lauf- und Triathlonszene. Grund genug für LaufReport, einmal einen Blick über den Zaun zu werfen.

Als erster Mensch wagte sich der Rezensent an die Aufgabe, den Kontinent zu Fuß und per Rad, jeweils im Rahmen eines Wettkampfes zu durchqueren, scheiterte aber daran kläglich (Trans-Am 1992 - Finisher nach 64 Tagen, RAAM 1995 - Abbruch nach 8 ½ Tagen und 3400 gefahrenen Kilometern in Memphis/Tennessee). Dem Deutschen Rüdiger Dittmann aus Kempten gelang dies ein Jahr später (Trans-Am Finisher 1993, RAAM 1996 in 11 Tagen + 15:33 Stunden). Nachdem der Rezensent drei Kontinente erfolgreich zu Fuß durchquert hatte gelang ihm schließlich mit der "Tour d'Afrique 2005" doch noch eine Transkontinentaldurchquerung auf zwei Rädern: 12.000 km in 4 Monaten von Kairo nach Kapstadt. Unter den 9 Teilnehmern die diesen Trip "überlebten" (33 am Start) befand sich auch David Houghton aus Kanada, ein begnadeter Schreiber. David, der bereits für Kanada bei den Duathlon-Weltmeisterschaften am Start war, hatte gerade sein erstes Buch publiziert: "66 Days With Satan" - das Tagebuch einer zweimonatigen Durchquerung Kanadas mit dem Rennrad. Es folgte mit "The E.F.I. Club" eine Chronik der Tour d'Afrique, dortmals das längste Radrennen der Welt (E.F.I. steht für "Every Fucking Inch" - also für die handvoll Athleten, welche jeden Zentimeter zwischen Kairo und Kapstadt mit dem Rad zurückgelegt haben).

Nun also sein Drittes Meisterwerk "The United States of Delirium" - The Story of the Race Across America. Anders als die meisten Autoren setzt er sich dabei nicht mit den selbst erlebten Exzessen auseinander - David nahm am RAAM 2007 erfolgreich in der Zwei-Mann-Kategorie teil. Nein, er wollte sich dem Phänomen Race Across America literarisch nähern. Ihn faszinierten vor allem die Einzelstarter, der eigentliche Ursprung des RAAM, diesem "Feldzug der Schmerzen" quer durch den Kontinent. Es folgten umfangreiche Recherchen zur Historie, sowie den unzähligen Geschichten und Dramaturgien dieses Rennens. Dabei entdeckte er unglaubliche Fakten, nicht nur zu dem Rennen selbst, sondern auch zu Amerika und seinem Verhältnis zu Fahrrädern. Er fand heraus, dass die ersten Straßen von und für Radfahrer asphaltiert wurden. Der erste Autounfall war ein Crash mit einem Radfahrer im Jahre 1903!

David hatte bereits alles über die vergangenen Jahre des RAAM's zusammengeschrieben, hatte Dutzende Teilnehmer und die kuriosesten Typen aus der 27-jährigen Geschichte kontaktiert und interviewt. Was fehlte war eine aktuelle Geschichte, die quasi als Roter Faden Kapitel für Kapitel zusammenfügte. Und ein Protagonist auf den sich der Fokus des Buches richten sollte. In Dave Haase aus Fond du Lac in Wisconsin, einem RAAM-Veteranen, der sich auf seine 4. Teilnahme vorbereitete, wurde er fündig. Zusammen mit dem Profifotografen Lorne Bridgman kehrte er 2008 zum RAAM zurück, um das Geschehen zu verfolgen, David Haase zu begleiten und seine Leidensgenossen zu beobachten. Heraus kam ein exzellent recherchiertes, literarisches Meisterwerk und ein faszinierender Bildband, der das RAAM beschreibt wie es ist: Abnorme Strapaze, übermenschliche Leistung, seelisches Inferno, ungewöhnliche Menschen, traumhafte Landschaften und unglaubliche Geschichten.

Interessante Perspektiven eröffnet ein Vergleich mit der Tour de France, oder die Feststellung, dass es mit insgesamt rund 200 Finishern beim RAAM weniger gibt als solche, die den Mt. Everest bezwungen haben und einer, dem beides gelungen ist (Wolfgang Fasching aus Österreich). Ebenso der Fakt, dass bei Kollisionen mit Autos jährlich 700 Radfahrer auf US-Straßen getötet werden. Auch die beiden einzigen Todesfälle in der 29-jährigen Geschichte des Rennens werden behandelt. Ungewöhnliche Ereignisse wie der nächtliche Überfall auf einen Fahrer und seine Crew oder dem Österreicher Franz Preihs, der nach einem Sturz mit gebrochenem Schlüsselbein noch über 1800 Meilen bis ins Ziel weiterfuhr.

Zitat aus dem Kapitel Survival: "Die Körper der Fahrer beim RAAM degenerieren zusehends zwischen Start und Ziel; die Frage ist lediglich wie schnell er oder sie auseinander fällt, gemessen daran wie schnell sie das Ziel erreichen". Das RAAM zieht die kuriosesten Charaktere an. Da ist Rob Kish, der dieses Monsterrennen zwanzigmal in Angriff nahm und dreimal als Sieger beendete. Oder Jonathan Boyer, der erste Amerikaner bei der Tour de France. 1985 nahm er sich der Problemstellung RAAM aufgrund einer Wette an, siegte und stellte dabei den noch heute gültigen Geschwindigkeitsrekord auf (23 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit). Und da ist Johnny G aus Südafrika, der Erfinder des Spinning, der diese Methode erstmals in sein Training integrierte um sich auf das 87er Rennen vorzubereiten. Der erste Transkontinentalfahrer war übrigens ein Engländer. Thomas Stevens, 29 Jahre, startete am 22. April 1884 um 8 Uhr in San Francisco und kam 104 Tage später in Boston an. Dabei hatte er nur die wichtigste Ausrüstung: Ersatzsocken und -T-Shirt, eine Regenjacke und eine 38 Kaliber Smith & Wesson….

Dem Dominator der vergangenen Jahre ist ebenfalls ein Kapitel gewidmet: Jure Robic, Berufssoldat aus Slowenien, ist der einzige Mensch der das RAAM viermal gewinnen konnte. Jure ist ein kompromissloser Fighter und wird respektvoll als Ein-Mann-Armee bezeichnet. Das RAAM 2004 gewann er mit nur insgesamt 8 Stunden Schlaf in 9 Tagen! Ergänzung des Rezensenten: Dieses kleine Balkanland hat auch einen talentierten Transkontinentalläufer hervorgebracht. Der Slowene Dusan Mravlje, ein ehemaliger Weltklasseultraläufer, gewann den Trans Amerika Lauf 1995 in Rekordzeit!

Das Buch ist kein Ratgeber, sondern ein Leseabenteuer, reich bebildert mit hochwertigen Fotografien, für alle die sich von der Faszination des Extremsports angezogen fühlen.

Gelesen und besprochen von Stefan Schlett

David Houghton & Lorne Bridgman:
The United States of Delirium
The Story of the Race Across America
-in englischer Sprache-
145 Seiten, 75 Bilder,
19.- Euro + Versandkosten aus Übersee
ISBN: 978-0-9811304-0-8
Bezug: www.theunitedstatesofdelirium.com

Mission Marathon

 

Wer sich in der Laufszene auskennt, kennt längst auch die Autoren von Laufbüchern und laufrelevanten Büchern. Die Autoren sind Eliteläufer oder Erlebnisläufer, Trainer oder Wissenschaftler oder Läufer wie du und ich, die ihre Erlebnisse, Erfahrungen und Erkenntnisse zu Papier gebracht haben. Da Laufen die Kreativität fördert, ist das Angebot inzwischen nicht gerade spärlich. Wer jedoch ist Lothar Koopmann, der Verfasser von „Mission Marathon“? „Lothar Koopmann, einst korpulentes Kind einer rheinischen Arbeiterfamilie, wird in späteren Jahren sportlich“, viel mehr verrät der Band nicht. Da muß man schon selber recherchieren, falls einen der wenig aussagekräftige Titel, der offenbar nur wegen der Alliteration zustande gekommen ist, und die Negation des Untertitels nicht davon abhalten. Das jedoch wäre schade.

Der Stoff ist höchst durchschnittlich: Ein Mann schließt sich mit seiner Ehefrau einem Lauftreff an und versucht, einen Marathon zu laufen. Was dem Autor dabei widerfährt, was ihm dabei einfällt, schildert er launig in etwa 50 Episoden. Es sind alltägliche Begebenheiten; ganz sicher können sich die meisten von uns mit ihnen identifizieren. Obwohl uns also der Autor auf höchst vertrautes Terrain mitnimmt, folgen wir immer aufs neue gern seinen vergnüglichen Trainingsstrecken. Die Texte sind unterhaltsam, aber nicht oberflächlich; sie handeln im Grunde von einem einzigen Menschen, aber dieser, der Autor, nimmt sich dermaßen zurück, daß wir ihn nicht einmal in einem Photo zu Gesicht bekommen. Nur in den Laufkarikaturen von Thomas Plaßmann erkennen wir ihn. Und wer in Duisburg wohnt, kann sowohl eine Plaßmann-Ausstellung besuchen als auch eine Lesung des Autors.

Wer sonst wissen will, wer Lothar Koopmann ist, muß die Website seines Arbeitgebers anklicken; er ist Verlagsleiter eines eher kleineren Duisburger Verlages. Dies ist das erste eigene Buch des Achtundfünfzigjährigen. Man kann in Anbetracht der beruflichen Tätigkeit des Autors davon ausgehen, daß der Band trotz seiner Lockerheit durchaus professionell gemacht ist. Sicher haben Lektorat und Autor mit dem Zitatenschatz und den Notizen eines Redakteurs und des Verkaufsleiters ein wenig mit ihren Möglichkeiten gespielt. Ob zwei leere Seiten, nur versehen mit einem Kommentar, ebenfalls als witzig empfunden werden, muß dem Urteil der Leser überlassen bleiben. Mich haben sie an die Anzeigenseiten in den frühen rororo-Romanen erinnert.

Fassen wir zusammen: Eine unterhaltsame heitere Rückschau eines Läufers, der sich auch selbst immer wieder auf die Schippe nimmt. Dennoch seriös erarbeitet und stimmig in den läuferischen Details. Das intellektuelle Niveau des Autors läßt ihn Distanz wahren, er übernimmt nichts ungeprüft; andererseits aber respektiert er Eigentümlichkeiten und Besonderheiten des Laufsports. Er schimpft nicht über Anglizismen, er übersetzt sie und macht damit vielleicht manchen Leser nachdenklich. Da auch der Preis paßt, eignet sich das Buch durchaus als Geschenk.

Gelesen und besprochen von Werner Sonntag

Lothar Koopmann: Mission Marathon.
Wie ich kein Superläufer wurde.
Illustrationen: Thomas Plaßmann. Sportwelt-Verlag, 2010. Taschenbuch, 251 S., 8,95 Euro. ISBN 978-3-941297-04-3

Laufen

Roman von Jean Echenoz

 

Emil Zátopek ist eine Lauflegende. Bei den Olympischen Spielen in Helsinki 1952 gewann er Gold über alle drei Langstrecken, war zeitweise im Besitz von acht Weltrekorden. Mindestens ebenso berühmt wie diese Leistungen wurde seine Art zu laufen, die ihm den Spitznamen „tschechische Lokomotive“ einbrachte. Nun hat sich der französische Autor Jean Echenoz seiner angenommen.

„Laufen“, nur gut 120 Seiten lang, ist ein Roman über Emil Zátopek. Oder, wie es der Klappentext behauptet, ein „fiktionales Porträt“. Und schon geht es los mit den Fragen: Was, bitteschön, soll das sein, ein „fiktionales Porträt“? Eine Lebensskizze mit erfundenen Anteilen? Eine Erzählung, die auf Tatsachen beruht? Und wie verhalten sich dann Dichtung und Wahrheit zueinander?

Echenoz, Jahrgang 1947, begibt sich nicht zum erstenmal als Romancier auf die Spuren eines bedeutenden Mannes. Bereits „Ravel“, sein letztes Buch, verwob Fakten und Fiktion zu einem spannenden Ganzen, das einhelliges Kritikerlob hervorrief. Nun vertauscht der Franzose Konzertsaal gegen Aschenbahn, statt eines feinnervigen Komponisten ist ein schnaufender Langläufer das Objekt seines Interesses.

Der Name Zátopek fällt übrigens erst auf Seite 80, nach zwei Dritteln des Buchs. Vorher und nachher ist bloß von Emil, „einem großen, blonden Jungen mit dreieckigem Gesicht“, die Rede. Das soll Distanz schaffen zwischen Echenoz’ Figur und dem historischen Zátopek, soll den Leser hellhörig machen für die fiktionalen Anteile des Texts. Aber gelingt das, wenn überall auf dem Umschlag von Emil Zátopek die Rede ist und uns das Laufwunder der 1950er Jahre leibhaftig vom Titelblatt entgegenspringt?

Sicher, um eine Zátopek-Biographie im Wortsinne ging es dem Erzähler Echenoz nicht. Ihn interessiert das Leben seines Protagonisten vor, neben und nach der Läuferkarriere nur am Rande. Das Buch beginnt mit Emils eher zufälligem Einstieg in die Welt der Langstreckler, es folgt seinen zahlreichen Triumphen bis zum Ende seiner Laufbahn, dann blendet es langsam aus. Die Beschreibung zweier Einmärsche – 1938 durch die Deutschen, 1968 durch die Sowjetunion – rundet die Erzählung in geradezu klassischer Manier ab.

Diese bewussten Aussparungen und gestalterischen Eingriffe sind das Eine. Das Andere ist Echenoz’ Faktentreue, die auf umfangreichen Recherchen beruht. Schon in den ersten Sätzen wird beschrieben, welche Fahrzeugtypen die Nazis beim Einmarsch in die Tschechoslowakei benutzten – und am Ende des Buchs dann diejenigen der Sowjetarmee. Dazwischen erfreut sich das Läuferherz an Details zu den Wettbewerben, an denen Zátopek teilnimmt: So erfährt man, dass sein Lieblingsstadion das von Stará Boleslav ist, dass dessen Bahn nur 363,76 Meter misst und er dort „bei null km/h Windgeschwindigkeit, feuchter Luft und elf Grad Celsius“ gleich zwei neue Weltrekorde aufstellt. Es fehlt auch nicht an einem Kapitel über Emils Laufstil, dieses Schaufeln und Schaukeln, Grimassieren und Leiden – sicher ein Höhepunkt des Romans.

Das prägendste Merkmal von „Laufen“ aber ist sein Plauderton. Eine lockere, augenzwinkernde Erzählweise, die gar nicht erst so tut, als könne sie das Phänomen Zátopek ergründen, sondern sich den naiven Blick von außen bewahrt: „Seine Augen sind hell, seine Stimme sitzt sehr hoch, seine Haut ist sehr weiß“. Oder später: „Nun wissen wir ja, was er für einer ist, der Emil, wenn er nein sagt, dann mit einem Lächeln. Er lächelt sowieso die ganze Zeit, also ist er beliebt ...“

Dieser gewollt naive Blick auf Emil macht auch aus diesem einen Naivling, der lächelnd und großherzig durchs Leben geht und, so der Eindruck des Lesers, dank seiner Aufrichtigkeit stets das Richtige tut. Beim Prager Frühling etwa, als sich Emil, die ehrliche Haut, auf die Seite der Demonstranten schlägt. Prompt gerät Echenoz bei der Erwähnung von Zátopeks Parteimitgliedschaft sprachlich ins Schleudern: „Nun halte man Emil nicht für einen Opportunisten“ – wie soll der Leser diesen Satz verstehen? Ist er ernsthaft gemeint, steht er im Widerspruch zu Emils Handeln; ist er ironisch gemeint, steht er im Widerspruch zum sonstigen Bild, das von Emil gezeichnet wird. Auch im direkt vorhergehenden Absatz, der sich dem staatlichen Terror der Nachkriegs-CSSR widmet, schwankt Echenoz auffällig zwischen Ernsthaftigkeit und Sarkasmus, zwischen Anklage und ironischer Distanzierung.

An solchen Nahtstellen wird der Nachteil von Echenoz’ vielgerühmtem Plauderton sichtbar: Manches entgeht diesem ständig auf Distanz bedachten Erzähler. Auch Emil Zátopek ist als Figur nur in seinen äußerlichen Handlungen präsent; was dahinter steckt, bleibt ungesagt. So ist „Laufen“ eine streckenweise wunderbare Erzählung vom Laufen, in deren Zentrum leider eine Lücke klafft.

Gelesen und besprochen von Marcus Imbsweiler

Jean Echenoz: Laufen
Aus dem Französischen von Hinrich Schmidt-Henke
Berlin Verlag 2009, 126 Seiten, 18,- €
ISBN 978-3-8270-0863-3

 

Das Mädchen, das gehen wollte

Von Berlin zu Fuß in die Alpen
Gehört ein solches Buch - „Das Mädchen, das gehen wollte“ - in die Kategorie der Laufbücher, die an dieser Stelle behandelt werden? Von Berlin zu Fuß in die Alpen? 900 Kilometer, die und 300 dazu reißt Ingo Schulze mit seiner jährlichen Truppe in 19 Tagen herunter. Die Autorin, Barbara Schaefer, war sechs Wochen unterwegs und das auch noch in zwei Jahresabschnitten. Jedoch: Genau diesen verengten Blickwinkel weitet das Buch. Die Geschichte einer Fußreise spielt auf drei Ebenen, der physischen, der topographischen, der psychologischen.

Die üblichen Erlebnisberichte unserer Läufe geben die reale Bewältigung wieder, es fehlt ihnen die psychische Dimension. Empfindungen und Wahrnehmungen werden allzu oft durch Klischees abgedeckt. Dieser Bericht einer Wanderung zeichnet sich durch die psychische Tiefe aus, die im Verlauf der Darstellung immer mehr an Kraft gewinnt.

Die Beschreibung der Wandertour aus Berlin-Kreuzberg nach Gosau im Salzkammergut steht in einer langen Tradition. Petrarca war, als er 1336 den Mont Ventoux bestieg, der erste bekannte Schriftsteller, der über sein Bergerlebnis reflektierte. Johann Gottfried Seume philosophierte auf seinem „Spaziergang nach Syrakus“, der ihn 1801 von Leipzig nach Sizilien führte. Freiligrath wanderte literarisch durch Westfalen, Fontane durch die Mark Brandenburg. Als die Massenmotorisierung begann - in den sechziger Jahren -, galt Wandern in der jungen Generation als altväterisch, wozu wahrscheinlich die mit roten Strümpfen und Bundhose uniformierten Mittelgebirgswandervereine beigetragen haben. Seit den letzten drei Jahrzehnten erlebt es wieder eine Renaissance. Sie drückt sich auch in der stetigen Zunahme der Pilgerungen auf dem Jakobsweg aus.

Barbara Schaefer geht, weil sie gehen muß. Wandernd verarbeitet sie die Trauer um ihre beste Freundin, die am 31. Mai 2008 bei der Besteigung des Hohen Dachsteins tödlich abstürzte. Es ist eine Wanderung, die im Grunde kein Ziel hat. „Anfangs fühlte ich mich entsetzlich elend. Doch das Gehen, das Rhythmische, das tägliche Einerlei, tat seine Wirkung. Ich ging jeden Tag zwischen zwanzig und dreißig Kilometer. Und es ging mir, langsam nur, aber doch von Tag zu Tag ein kleines bißchen besser. Nach drei Wochen dachte ich, ich hätte das schlimmste Tal durchschritten. Ich empfand nun das tägliche Gehen nicht mehr als meditativ, sondern als monoton. Ich vermißte meine Freunde, meine Stadt. Ich vermißte das Leben.“ Barbara Schaefer beendete ihre Wanderung in Prag und fuhr mit dem Zug zum Hohen Dachstein. Dort blieb sie einen Tag und flüchtete zurück nach Berlin. Ein knappes Jahr später machte sie sich in Tschechien abermals auf den Weg.

In ihrem Buch schildert sie die beiden Abschnitte, die Wanderungen, die Begegnungen mit Menschen, und erinnert sich an Szenen mit ihrer Freundin. Sie zitiert viel aus dem, was sie während der Wanderung gelesen hat. Es ist ein sehr persönliches Buch. Doch es gelingt ihr, die Leser mitzuziehen, ihre Trauer zu teilen.

Mich hat gestört, daß sie durchgehend die tschechischen Ortsnamen verwendet, ausgenommen Theresienstadt. Geschichte findet nur sehr eingeschränkt statt. Doch mehrere Jahrhunderte Nachbarschaft mit Deutschen lassen sich nicht vergessen.

Es ist ein Buch, das einer Freundschaft gewidmet ist. Ich kann mir vorstellen, daß es insbesondere solche Menschen anspricht, die ebenfalls einen Verlust erlitten haben.

Gelesen und besprochen von Werner Sonntag

Barbara Schaefer: Das Mädchen, das gehen wollte.
Von Berlin zu Fuß in die Alpen.
Diana-Verlag, kart., 272 Seiten, illustriert, 16,95 Euro.
ISBN 978-3-453-28521-7

Laufbahn am Limit

Roman von Manfred Steffny

Gelesen hatte ich „Laufbahn am Limit“ zügig und durch. Doch wie nun damit umgehen? Darüber war ich mir zunächst nicht im klaren.

 

Dass sich Bücher an einem Redaktionstisch stapeln, ist eine bekannte Tatsache. Vieles wird zwischen zwei Deckel gedruckt und sucht händeringend Abnehmer. Rezensionen bringen Käufer, dabei spielt es keine so entscheidende Rolle, ob diese gut oder schlecht ausfallen. Gar keine Erwähnung eines Buches ist der „worst case“. So mancher Schmöker wandert also durch die Geschäfts- und Privaträume, wird mal angelesen, geblättert, wieder weggelegt, Härtefälle werden im Team weiter gereicht. Einige finden noch Interessenten, manche erweisen sich als unlesbar. Dabei haben wir bei LaufReport eine weite Bandbreite, vom normalen Arbeiter über Studenten bis hin zum promivierten Germanisten.

Laufbahn am Limit von Manfred Steffny zählt keineswegs zur Kategorie Bücher, bei der man das Gefühl hat, kostbare Lebenszeit zu vergeuden. Dies sei hier vorweg genannt, bevor ein Querleser auf falscher Fährte voreilige Schlüsse zieht. Dennoch fällt es mir nicht leicht, dem Autor gerecht zu werden, der als „Mr. Spiridon“ eine seltene Berühmtheit in Läuferkreisen erreicht hat. Im vierten Jahrzehnt Herausgeber der Zeitschrift Spiridon, Autor unzähliger Fach- und Lehrbücher sowie zweifacher Olympiateilnehmer im Marathon. Eine schillernde Person, bei der auch die Wurzeln der deutschen Ausgabe von Runner´s World liegen, denn der langjährige Chefredakteur Thomas Steffens hatte einst im Spiridon-Verlag sein Handwerkszeug erlernt.

Doch zur Sache: Der 1941 geborene Fachjournalist und Autor Manfred Steffny hat einen ROMAN geschrieben und ist dabei seinem Metier treu geblieben. Er verlässt die Spielwiese der Leichtathletik nicht. „Romane bleiben auch dann noch Romane, wenn sie sich mit historisch verbürgter Wirklichkeit selbstkritisch auseinandersetzen,“ heißt es bei Wikipedia. Was ist Realität, was ist Fiktion bei Steffny? Vom anerkannten Fachmann lässt man sich gern belehren, noch dazu in unterhaltender Form. Liegt darin eine Gefahr, falsch verstanden zu werden? Ist genau dies beabsichtigt, ohne stichhaltige Beweise heiße Themen anzufassen?

Eine Bettlektüre für Männer? Wie wird der Stoff von Frauen aufgenommen?

  Hier der britische Weltklasseläufer, der von Treue nichts hält und dem Erreichen seiner gesetzten Ziele alles unterordnet. Ein Saubermann in Sachen Doping, aber ein menschliches Fragezeichen, intrigant und selbstherrlich. Dort die Einfalt aus dem fernen Australien, ein Dummerchen, das immer im Bett landet und obendrein vom Trainer mit Verbotenem aufgepeppt, die von der Teilnahme an Olympischen Spielen träumt. Dazu ein Arzt, wie könnte es anders sein, aus Freiburg, der verliebt über beide Ohren dem Mädel zur Seite springt. Zwei Geschichten, die sich klassisch vereinen. Happy End oder nicht(?) - das wird nicht verraten.

Manfred Steffny nimmt uns mit in seine Leichtathletikwelt, so realitätsnah, dass es Dieter Baumann kaum glauben konnte. Wirtschaftliche Zwänge, aber mehr noch, die mit dem Sport einhergehende Aufgabe der Privatsphäre, schildert Manfred Steffny in seinem Roman eindringlich. Den Bogen spannt er bis ins Drogenmilieu, eine nicht zu weit hergeholte Metapher, die nachdenklich stimmt. 240 Seiten Unterhaltung, die Spuren hinterlässt. Dickes Lob hat der Fachjournalist für seinen Roman schon geerntet. Zahlreiche Leser wünsche ich Manfred Steffny schon deshalb, weil der Roman auch aufklärt, zeigt er ein Stück reales Leben der Athleten außerhalb des Stadionovals mit all seinen Zwängen und Schwierigkeiten.

Spannend und kurzweilig, wie es sich für einen Roman gehört. Anregend und voller Details, wie man es von einem Insider erwarten darf. Tipp: Ideale Urlaubslektüre für die anstehenden Tage am Strand!

Gelesen und besprochen von Walter Wagner - Foto © LaufReport.de Winfried Stinn

Manfred Steffny: Laufbahn am Limit
Roman
SPIRIDON Verlags GmbH, 240 S., fester Einband. 16,80 €/ 29,80 sFr
ISBN 978-3-92201-26-2

Auf den Spuren einer Legende

 

Dieses Buch ist für den Autor und den Verlag ein Glücksfall. Es ist erarbeitet worden, als auch der darin Porträtierte nicht wissen konnte, daß er einmal den Marathon-Weltrekord erlaufen würde, und es ist erschienen, kurz bevor er seinen Weltrekord noch unterboten hat. Der Name im Titel reicht, hohes Interesse zu wecken: Haile Gebrselassie.

Was bei Außenstehenden den Eindruck eines cleveren Schnellschusses erwecken könnte, dürfte in Wahrheit die Frucht harten journalistischen Mühens gewesen sein. Wie kommt man an einen prominenten Läufer im fernen Äthiopien heran, der nicht nur unentwegt trainiert und auf Laufreisen ist, sondern auch dank den erlaufenen Geldprämien ein vielbeschäftigter und sozial engagierter Unternehmer geworden ist? Der Autor, Klaus Weidt, läßt uns an der Geschichte dieses Buches teilhaben.

Sie begann im Juni 2005, und selbst zu diesem Zeitpunkt, als Klaus Weidt mit einer kleinen deutschen Reisegruppe nach Addis Abeba flog, waren bereits Jahre vergangen, in denen er sich mit Hailes Laufbahn (im Sinne des Wortes) beschäftigt hatte. Allein anderthalb Jahre dauerte es, einen äthiopischen Reiseunternehmer zu finden, der den Weg zur Teilnahme an dem reichlich improvisierten Abebe-Bikila-Marathon freischaufeln konnte. Doch der Autor, ein gestandener Ostberliner Sportjournalist, hatte schon vorher gezeigt, daß er dicke Bretter bohren kann. Im angesehenen Sportverlag Berlin hat er 1985 als Ko-Autor den Band „Kraftproben“, eine sauber recherchierte Geschichte der starken Männer, veröffentlicht.

Von ähnlicher Detail-Genauigkeit ist auch der Band „Der Wunderläufer Haile Gebrselassie“. Klaus Weidt hat eine Fülle von Informationen zusammengetragen, und kenntnisreich ist er in der Lage, sie einzuordnen. Mit Empathie hat er sich der Biographie des Ausnahme-Athleten genähert und dies, ohne wie im Sportjournalismus so häufig die objektive Distanz zu verlieren. Klaus Weidt, Gründer des Berliner Laufmagazins „Laufzeit“ und inzwischen erfolgreicher Laufreiseunternehmer, spricht mit Haile auf Augenhöhe. Selbst wen die Zahlenwerte sportlicher Leistungen eher langweilen, wird von dem Buch gefesselt, weil ihm nicht nur der Läufer Gebrselassie, sondern auch sein Land nahegebracht wird.

Die deutschen Läufer sind nicht nur als Touristen und sei es als läuferische Erlebnistouristen ins Land gekommen, sie haben auch den Bau einer Schule finanziert. Dank ihrer Initiative gibt es einen eigenständigen „Ethiopia Marathon“.

Da Haile Gebrselassie noch nicht daran denkt, seine Laufbahn zu beenden - Laufen will er ohnehin lebenslang -, besteht die Chance, daß dieses Buch in weiteren Auflagen fortgeschrieben wird. Dabei kann man dann auch den Schweden Göteborg zurückgeben, das hier nach Dänemark eingemeindet worden ist (ein Fehler von derselben Qualität wie in meinem jüngsten Buch der falsche Vorname von Galloway), bei Grete Waitz ein t einfügen, einen Zahlendreher berichtigen und einige Sprachschlampereien umformulieren.

Der Band enthält eine Tabelle der sportlichen Leistungen Gebrselassies, einen Bildteil - wobei die Bildlegenden als Schmalsatz am rechten Seitenrand gewöhnungsbedürftig sind - und eine Würdigung durch Kenner der Szene, Dr. David Martin, Mark Milde, Manfred Steffny, Paul Tergat und Wolfgang Weising. Zusammengefaßt: Ein sympathisches Buch über einen sympathischen Läufer, das zudem auch noch preiswert ist.

Klaus Weidt: Der Wunderläufer Haile Gebrselassie.
Auf den Spuren einer Legende.
Acasa Werbung & Verlag, Böttingen, ISBN 978-3-00-025532-8
2008, kart., 192 S., illustriert, 9,90 €

Gelesen und besprochen von Werner Sonntag

Tom Mc Nab Trans Amerika

 

Neu übersetzt: Roman über den Transamerikalauf

Werner Sonntag hat den neu übersetzten Roman über den Transamerikalauf gelesen. "... Wohl kaum ein Läufer bereut, sich über den 550 Seiten dieses Romans halbe Nächte um die Ohren zu schlagen. Auch wenn man zurückblickt, – er ist einer der wenigen stimmigen Läuferromane. Dabei ist er weder hohe Literatur noch tiefgründige Reflexion, es wird in angelsächsischer Tradition einfach nur eine Geschichte gut erzählt ..."

Zur Buchbesprechung im LaufReport klick HIER

Bieler Juni-Nächte

Der 100-km-Lauf von Biel/Bienne

 

Facetten eines Laufjubiläums

Ein Ratgeber für Erststarter

Werner Sonntag ist gelernter Journalist und hat bei der renommierten Stuttgarter Zeitung gearbeitet. Er sei kein Sportjournalist, das kommt von ihm fast abwehrend. Aber mitgewirkt hat er früh bei den Laufmagazinen Condition und Spiridon. Bekannt ist er einer breiteren Öffentlichkeit durch seine Kolumne bei Runners World geworden. Seit über fünf Jahren bereichert er das Internet-Journal LaufReport mit wöchentlichen Eintragungen in sein Tagebuch.

Werner Sonntag hat bereits einige Bücher geschrieben, nicht nur über das Laufen. Schon früh in seinen Läuferjahren, seit 1968 auch Marathon und ab 1972 Ultramarathon, wagte er mit der Niederschrift seiner Gedankenwelt bei einer durchlaufenen Bieler Juni-Nacht eine literarische Herangehensweise an das Thema Laufen. "Irgendwann musst du nach Biel" titulierte das Buch und viele machte er damit auf den Klassiker neugierig. Der Titel wurde zum Slogan, zur Herausforderung, zwischenzeitlich für Generationen von Ultramarathonläufern. 1978 erschienen, in einer Zeit also, wo man vom Internet nichts ahnte und Laufbücher nur langsam das Regal füllten, da sie in überschaubarer Zahl erschienen.

Damals hätte ich mir "Bieler Juni-Nächte" gewünscht, handfeste Tipps eines 100 Kilometerlaufs auf der Grundlage jahrzehntelanger Erkenntnisse. Über so manche schwere Wegstrecke hat mir auch "Irgendwann musst du nach Biel" geholfen, doch nicht vergleichbar mit "Bieler Juni-Nächte", unter anderem ein Ratgeber für Erststarter. Für diese ist das gerade erschienene Buch eine große Hilfe. Aber auch erfahrene Biel-Teilnehmer werden Freude daran haben und Lehren daraus ziehen.

Was 1959 zur ersten Durchführung dieses Laufs bewegte und das Bemühen von Franz Reist, der 40 Jahre an der Spitze der Organisation stand, aber bis heute darauf achtet, dass der Ursprung nicht verloren geht, auch darüber berichtet Werner Sonntag. Schließlich heißt der Untertitel "Facetten eines Jubiläumslaufs". Manches ist nur angerissen, komprimiert wieder gegeben. Mögen es die Veteranen von damals verzeihen, dass uns Werner Sonntag nicht mit Lückenlosem langweilt. Die dominantesten Teilnehmer sind genannt, ein paar der Kategorie "Typen" ebenso. Das "Ankommen", die Herausforderung bestehen, der persönlich Sieg, darum geht es, bei allem Respekt vor den Schnellen.

Werner Sonntag würdigt die Bedeutung des Bieler 100-Kilometer-Laufs als europäischen Vorreiter des Ultralaufs. Weit über das Sportliche hinaus geht das Erleben in einer Bieler Juni-Nacht, das belegen auch gesammelte Emotionen, mit denen das Buch schließt. Eine Erfahrung, die Biel-Teilnehmer gern teilen. Werner Sonntag zählt seit 1972 zu dieser Gruppe, die es auf immerhin 120.000 Teilnahmen bringt. Allein 32 davon gehen auf das Konto des Autors.

Nicht zu verheimlichen, ja geradezu hervorgehoben, die Sorge um den Fortbestand der Bieler Lauftage. Vielleicht die eigentliche Triebfeder für dieses Buch: Interessenten den Weg zur Teilnahme zu ebnen. Denn bei allen Perspektiven, Sponsoren überzeugen nun mal steigende Teilnehmerzahlen, und der enorme finanzielle Aufwand eines so vorbildlich organisierten 100 Kilometerlaufs auf großer Runde ist mit dem Startgeld allein nicht zu begleichen.

Ein praktisches Buch: Eine 10 Punkte umfassende Checkliste - ein Punkt: Lauftasche packen, mit einer Inhaltsaufzählung. Wichtige Adressen sind auch angegeben. Der Wissensdurst ist bekanntlich kaum zu stillen, die Unsicherheit wächst, je mehr sich das große Ereignis nähert. Leser von "Bieler Juni-Nächte", das sei hier versichert, wissen eine ganze Menge über die Laufstrecke, mögliche Wetterkapriolen, über besondere Serviceleistungen. Zu Training, keinen Plan, aber Wichtiges und Beruhigendes. Weitere Kapitel zur Bewältigung, was alles zu beachten ist, und zu Unvorgesehenem, was schon alles passiert ist.

Ich betrachte dieses Buch als Geschenk. Werner Sonntag, 1926 geboren, einer der des Schreibens mächtig ist, hat vielen Läufern damit einen Wunsch erfüllt. Zur Anschaffung dieser Mischung aus Rückblick, Vorschau und Ratgeber ist unbedingt zu raten. Eine kleine Ausgabe im Verhältnis zum enormen Aufwand, den ein 100 Kilometerlauf erfordert. Eine Investition, die - wenn es beschwerlich wird - das Ankommen retten kann. Und Erststartern sei versichert, es gibt auch beim 100 Kilometerlauf eine Mauer. Taucht diese zum gleichen Zeitpunkt wie beim Marathon auf, dann wird Werner Sonntags Erfahrungsschatz zur unverzichtbaren "Abrissbirne".

Bieler Juni-Nächte von Werner Sonntag.
Facetten eines Laufjubiläums. Ein Ratgeber für Erststarter.
Karton, 152 Seiten, 66 Abbildungen
14,00 € (Postversand in die Schweiz 25,00 CHF, nach Österreich und in andere europäische Staaten 16,00 €)

Direktbezug: Verlag Laufen und Leben
ISBN 978-3-9802835-3-4
Bestellungen: laufenundleben@t-online.de

Gelesen und besprochen von Walter Wagner

Was Läufer so brauchen

Das erste umfassende deutschsprachige Ausrüstungshandbuch

 

An Urs Webers Ausrüstungshandbuch kann man erkennen, daß wir alle irgendwie unser Training professionalisiert haben. Unsere Ansprüche sind mit den Jahren gewachsen; zum Teil sind neue Bedürfnisse entstanden, denken wir nur an die Beliebtheit der Trail-Läufe; zum Teil haben uns spezielle Angebote von Herstellern überzeugt, denken wir nur an die Laufsocken. Nein, keine Klage, daß es die alte Turnhose und der baumwollene Trainingsanzug nicht mehr tun. Es kommt immer darauf an, was man aus seinem Sport macht. Sich hilfreicher Produkte zu bedienen, ist kein Verrat am eher puristischen Läufergeist. Anderenfalls müßten wir alle die Barfußläufer der frühen Menschheit geblieben sein.

Im Grunde muß man sich wundern, daß zwar Laufanleitungsbücher immer auch die Ausrüstung behandelt haben, spezielle Bücher darüber aber selten sind. Meines Wissens war Michael Rieländer, für dessen „Gesund durch Geländelauf“ ich nur Hohn und Spott hatte, der erste, der mit „Jogging-Ausrüstung: Komplett - modern - sportmedizinisch“ den Finger drauf hatte; das geschah erst 1986. Carl-Jürgen Diem war wohl der erste systematische Laufschuhtester; sein Beruf als Physiker war eine gute Voraussetzung dazu. Hätten die Amerikaner nur auf ihn gehört, bevor sie in den Siebzigern ihre weichen Schuhe auf den Markt brachten! Diem veröffentlichte zusammen mit Heinrich Hess 1989 den „Laufschuh-Ratgeber. Die zehn erfolgreichen Schritte. Was der Läufer beachten und wissen muß“. Zehn Jahre später erschien „Der optimale Laufschuh“ von Frank Czioska, einem Insider der Sportartikelindustrie.

Ein umfassendes Handbuch wie das von Urs Weber ist überfällig gewesen. Die Singularform eines der drei Untertitel ist berechtigt: „Einkaufstipps vom Experten“. Allenfalls könnte sein Vater dagegen Einspruch erheben; Professor Alexander Weber hat wie Carl-Jürgen Diem frühzeitig die Notwendigkeit erkannt, die Produkte der Laufschuhhersteller unter die Lupe zu nehmen und Läufern in der Flut der Werbeversprechungen Orientierung zu geben. Jahrzehntelang hat Alexander Weber mit einem Team Schuhe ausprobiert und die Ergebnisse in „Spiridon“ publiziert.

Urs Weber, einst in der „Spiridon“-Redaktion, ist seit zehn Jahren in der deutschen „Runner’s World“ mit Produkttests befaßt. Lesern von Laufzeitschriften fällt es gewöhnlich schwer, in meistens namenlosen Produktbesprechungen Kompetenz zu erkennen. Nicht selten werden Produkte ziemlich zufällig vorgestellt, nämlich allein deshalb, weil der Produzent eben sein Produkt an die Redaktion geschickt oder, ganz schlimm, gleichzeitig einen Anzeigenauftrag erteilt hat. Selten können die Leser sicher sein, daß nicht, wie bei Buchbesprechungen gang und gäbe, die Waschzettel der Produzenten abgeschrieben werden. Anders bei Urs Weber. Er ist in die Materie eingedrungen, ohne sich von ihr vereinnahmen zu lassen, ist also kritisch, hat den Überblick und eine zwanzigjährige Erfahrung mit Produkttests. Der Austausch mit amerikanischen Produkttestern tut ein übriges, daß er wie kaum ein anderer in Deutschland hohe Kompetenz erworben hat. Manchmal bedauere ich, daß ihm damit ein Fulltime-Job auferlegt worden ist, weil nun seine munteren Laufreportagen ganz selten geworden sind. Wenigstens aber kommt sein Schreibtalent dem Buch zugute. Die Gefahr ist vermieden, daß wie bei Rieländer ein kommentierter Katalog herausgekommen wäre und der Band binnen kurzem unaktuell würde. Die zahlreichen Illustrationen haben überwiegend informatorischen oder dokumentarischen Wert.

Das Buch ist ein echter Ratgeber und holt die Leser dort ab, wo sie stehen, und zwar mit ziemlich unterschiedlichen Ansprüchen. Urs Weber geht darauf ein, er geht also vom Läufer und nicht vom Produkt aus. Erster Vorzug: die didaktische Aufbereitung. Er sagt nicht, was man haben „muß“, sondern was für welchen Zweck nützlich ist, und er gewichtet nach der Dringlichkeit. Zweiter Vorzug: Vermittlung von Warenkenntnis. Wer kennt schon das Innenleben seiner Laufschuhe? Wer mit dem Laufen beginnt und seine ersten Laufschuhe kauft, sollte vorher das Schuhkapitel lesen. Dritter Vorzug: Die vielen Tipps, zum Beispiel über die Reinigung, präzise Begriffserklärungen und die Antwort auf Fragen wie: Kann ich Laufschuhe reparieren? Vierter Vorzug: Der Wissenshintergrund. Es ist sicher nicht wichtig, die Entwicklungsgeschichte des Laufschuhs zu kennen. Doch uns Alte freut’s, und die erzählenden Einsprengsel fördern die Lesbarkeit und machen das Buch auch für diejenigen interessant, die schon „alles haben“. Fünfter Vorzug: Die breite Fächerung. Der Teil Bekleidung geht auch auf Kompressionssocken, den Sonnenschutz, die Oberbekleidung von Frauen und Sicherheitsaccessoires wie Stirnlampen ein, der Teil Technische Ausrüstung nicht nur auf Pulsmesser und Funktionsuhren, sondern auch auf Distanzmesser, Brillen, Babyjogger, Kameras, Musik-Player, Trainingshilfen wie Gewichte, Stöcke, Schneeschuhe, den MBT und auf Trinksysteme. Eines kommt nicht vor: Nasenpflaster. Als ich mich seinerzeit in Runner’s World darüber lustig gemacht hatte, erhielt ich einen bitterbösen Leserbrief. Vielleicht also ist es gut, daß der Ratgeber erst jetzt erscheint und das Angebot durch die Zeit und durch Webers Sieb gefiltert worden ist. Interessant und realitätsnah sind die Berechnungen: Was kostet Laufen?

Die Zielgruppe des Buches reicht also von nichtlaufenden Interessenten, die ein Bewegungstraining - kann auch Walking sein - erst vorhaben, bis zu ambitionierten Läufern und sogar zur nichtlaufenden Läufergattin, die auf der Suche nach einem Geschenk ist. Besonderer Dank, daß die modische Bezeichnung equipment nicht vorkommt und der Band ohne aufgepeppten Effekt schlicht „Ausrüstungshandbuch für Läufer“ heißt.

Gelesen und beschrieben von Werner Sonntag

Urs Weber: Ausrüstungshandbuch für Läufer.
Runner’s World, Meyer & Meyer Verlag, 2009.
Broschiert, 179 S., ill. 16,95 Euro.
ISBN 978-3-89899-456-9

25 Jahre Swiss alpine

Jubiläumsband von Peter Wirz

Wie kann man 25 Laufveranstaltungen, die seit 1986 einen neuen Laufstrecken-Typ gebildet haben, in einem Buch zusammenfassen, das seinen dokumentarischen Wert behält? Diese Frage hat sich der Herausgeber von "Erlebnis pur" gestellt, als er mit der Aufgabe betraut wurde, den Swiss Alpine in einem Jubiläumsband darzustellen. Durch den Kopf ging ihm: "Die Strecken überschneiden sich ebenso wie die Zeiten. Die Kategorien durchmischen und teilen sich. Alles befindet sich ständig und während Stunden im Fluß." Peter Wirz hat sich eine anspruchsvolle Aufgabe gestellt; sein Konzept erweist sich als tragfähig.

 

Der großformatige Band besticht zunächst durch das Bilderlebnis. Peter Wirz hat nicht den Ehrgeiz gehabt, eine Bildchronik der 25 Jahre aufzustellen. Das wäre wohl auch unmöglich – wer zum Beispiel hätte an dem Unwettertag 1998 am Scaletta photographieren wollen? Das Bildmaterial wird überwiegend aus dem Jubiläumslauf 2010 bestritten. Die Photographen hatten wie die Läufer das Glück, an diesem Tag exzellente Wetterbedingungen vorzufinden. Daher spiegelt die Auswahl aus Tausenden von Photos werbekräftig einen idealen Lauftag wider.

Wirz, erfahrener Leiter einer Werbeagentur, Herausgeber einiger anderer Bände und dem Laufsport eng verbunden, hat es verstanden, das Erlebnis Swiss alpine – die Tautologie mag erlaubt sein – im Bild erlebbar zu machen. Doppelseitige Photographien charakterisieren die Kategorien vom K 21 über den K 78 bis zum K 42. Dann erst beginnt der Text. In einem Zeitungsinterview beantwortet Andrea Tuffli Fragen, die sich vor allem Außenstehenden aufdrängen. Tuffli, der Ideengeber, Initiator und Renndirektor, macht deutlich, daß er jährlich neu über seine Laufveranstaltung reflektiert, was sich ja auch in der Vielzahl der Strecken und in jährlichen Änderungen und Initiativen ausdrückt. Der K 78 wird weiterhin die Königsdisziplin sein, eine Verlängerung der Strecke ist nicht beabsichtigt. Die Ausweitung auf 14 Stunden Laufzeit solle nicht, wie der Interviewer unterstellte, schwächere Läufer, sondern Langsamere anziehen. "Viele ältere Läufer nehmen teil, die sind topfit, aber natürlich gegenüber früheren Jahren langsamer." Schade, so sinniert der Rezensent, daß ihm dies nicht schon vor zwölf Jahren eingefallen ist. In einem Dutzend Kästen wird das Wichtigste aus der Chronologie von 24 Veranstaltungen wiedergegeben. Verschiedene Aspekte des Veranstaltungsprogramms "Highseven" werden ebenso behandelt wie die Vorbereitung des Laufereignisses. Drei Teilnehmer schildern, wie sie ihre Strecke, K31, K42, K 78, erlebt haben. Interviews mit Spitzenläufern lassen die Faszination des Wettbewerbs erkennen. Ein Gespräch mit der Familie Tuffli schließt den Band ab.

Die Qualität der Bildreproduktionen ist durchweg hervorragend. Der Herausgeber hat es auch nicht an graphischen Reproduktionstricks fehlen lassen. Das Kunststück, mit den Bildern von fünf Photographen und den Texten verschiedener Autoren eine hohe Identität mit dem Blickwinkel der Teilnehmer zu erreichen, ist gelungen. Bedauerlich ist, daß es bei dem nicht gerade niedrigen Preis und der Unterstützung zweier Sponsoren nicht zu einem Hardcover gereicht hat; schließlich ist es ja eine Dokumentation, die man immer wieder einmal zur Hand nehmen oder anderen Sportlern zeigen dürfte. Die Bindung hat leider bei zwei der drei doppelseitigen Statistiken dazu geführt, daß jeweils eine ganze Informationssäule in der Bindung verschwunden ist. Nicht geglückt ist auch das parallel geführte Layout der Interviews mit dem Schweden Jonas Buud und der Schweizerin Jasmin Munige, den Siegern des Jahres 2010. Deutschland erscheint abgekürzt als BRD und als GER. Der Textumfang ist nicht so umfangreich, daß man die Eingabefehler tolerieren könnte.

Eine Anzahl bedeutender Laufveranstaltungen ist nun in die (Jubiläums)Jahre gekommen. Es wäre ihnen zu wünschen, wenn sie nach einem Jubiläum auf ähnlich kompetente Art dargestellt würden.

Gelesen und besprochen von Werner Sonntag

"Erlebnis pur", Koordination und Redaktion: Peter Wirz, 29,5 x 23,5 cm (Bildtitel im Scan links angeschnitten), broschiert, 192 S., 69 CHF plus 27,50 CHF Porto nach Deutschland. Bestellungen über Werbeagentur Peter Wirz, Postfach 2125, 8033 Zürich, Schweiz. e-mail: werbeagentur@peterwirz.ch

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