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Running foreverDas Geheimnis lebenslangen Laufens |
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25 Läuferinnen und Läufer, die seit 30 Jahren und mehr regelmäßig laufen, haben für das im Herbst 2017 erschienene Buch "Running forever. Das Geheimnis lebenslangen Laufens" (Arete Verlag, Hildesheim) ihre Lauf-Lebens-Geschichte niedergeschrieben. Unter ihnen Jüngere und Ältere, Erlebnis- und Leistungsorientierte, ehemalige Spitzen- und Breitensportler/innen, Viel- und Wenig-Läufer/innen, "Nur"-Läufer/innen und "Allroundsportler/innen", Läufer/innen aus der früheren BRD und DDR, Prominente und Nicht-Prominente. Die Herausgeber des Buches Wolfgang W. Schüler und Klaus Richter interessierte, wie die Betreffenden sich die Freude am Laufen bewahrt haben und zu welchen "Konzepten" lebenslanger Ausübung sie gekommen sind. |
Diesen Erfahrungsschatz zu heben und weiterzugeben und ihn zum Anreiz, ja Anstoß werden zu lassen, sich selbst weiter mutig auf den Weg zu eigenen Lauferfahrungen zu machen bzw. an den gegebenen Beispielen den eigenen Horizont zu weiten, scheint gelungen. Prof. Dr. Detlef Kuhlmann titelte gar: "Dieses Buch gilt als der ,heimliche Star' unter den Neuerscheinungen des Jahres 2017!" Und Prof. Dr. Wildor Hollmann, Ehrenpräsident des Weltverbandes für Sportmedizin, schrieb in seinem Geleitwort: "Man wird lange suchen müssen, um etwas annähernd Vergleichbares in der Literatur zu finden."
Bewegung als Lebensprinzip |
von Hubert Karl |
Aller Anfang ist schwer
Das Zentrum meines sportlichen Interesses lag als 25-jähriger Mann im Fußballsport. Da ich die 90 Minuten bis zum Schluss mithalten wollte, setzte ich mir das Ziel, meine unzulängliche Kondition durch einzelne Laufeinheiten zu verbessern. Als Startpunkt meiner ersten Trainingsstrecke wählte ich den Zeiler Trimm-dich-Pfad, der auf 2 Kilometern zahlreiche Übungsstationen bietet und seit 2004 auch der Start- und Zielpunkt des von mir ins Leben gerufenen Zeiler Waldmarathons ist. 10 Minuten lief ich an diesem Tag - Minuten, die mein Leben in Zukunft extrem verändern sollten. Von Anfang an strebte ich danach, meine Laufdistanzen mit jeder Einheit zu erweitern. Ich war stolz, meine Leistung binnen zwei Monaten von 2 auf 10 Kilometer gesteigert zu haben. Das zusätzliche Training entfachte die Leidenschaft für diesen Sport in mir. Bereits Ende des Jahres plante ich die Teilnahme an einem Marathon - 42,195 Kilometer. Als Laufanfänger ist ein Marathon als Ziel grundsätzlich mutig, ich hingegen setzte bereits in meinem ersten Läuferjahr meine Messlatte noch höher.
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Kurz vor dem Ziel des Spartathlon / GR. |
In einer ZDF-Sportreportage im Oktober 1983 sah ich zufällig einen Bericht über den extremsten Ultralauf in Griechenland, den Spartathlon mit 245,3 Kilometern. Obwohl ich erst eine Stunde am Stück joggen konnte, faszinierte mich der Beitrag so sehr, dass ich anfing davon zu träumen, diesen Lauf irgendwann einmal zu bestreiten. Nicht nur die vielen Kilometer stellen eine besondere Herausforderung für die Beteiligten dar, sondern auch die griechische Hitze, die nicht vorhersehbaren Wetterbedingungen, knapp 3000 zu überwindende Höhenmeter, die Dunkelheit der Nacht und die Unebenheiten der Passstraße. Die Euphorie, der Enthusiasmus, der Stolz - die Gefühle, die ein dort teilnehmender Läufer beim Überschreiten der Ziellinie erleben darf, müssen einzigartig sein. Ob es sich bei meinem Traumbild um Utopie handeln könnte, war zu diesem Zeitpunkt nicht absehbar.
Der Appetit kommt beim Laufen
Bis zum Jahresende trainierte ich wöchentlich einmal, daneben nahm ich an den zwei Fußballtrainingseinheiten und dem sonntäglichen Punktspiel teil. Eine besondere Bedeutung in meinem Leben bekam eine Laufeinheit am letzten Tag des Jahres. Während eines morgendlichen 14 Kilometer langen Trainingslaufs mit meinem Bruder erzählte dieser von einem Wettkampf, über den er am Morgen in der lokalen Tageszeitung gelesen hatte - einem Silvesterlauf. Sofort waren wir uns einig, dort um 14 Uhr zu starten. Das Bestreben, die mit 18 Kilometern längste angebotene Strecke zu absolvieren, wurde von unseren Vereinskameraden belächelt. Edgar und ich waren lediglich zwei unbekannte Fußballer aus einem kleinen Zeiler Vorort, die offensichtlich an Selbstüberschätzung litten. Doch wir haben sie alle überrascht - mein Bruder und ich erreichten das Ziel. Die 6 x 3 Kilometer-Runden bewältigten wir unter den letzten Teilnehmern in einer Zeit von 1:32 Stunden. Nicht alleine durch die 14 Kilometer, die uns vom Training am Morgen noch in den Knochen steckten, verstand ich das Ergebnis zu diesem Augenblick als beachtlich: unsere bisherigen Tageslaufleistungen hatten wir mit den insgesamt 32 Kilometern am Silvestertag deutlich übertroffen. Starker Muskelkater und durchdringende Müdigkeit waren die logische Konsequenz - die bunte Silvesternacht fand ohne mich statt.
Im Frühjahr 1984 lief ich meinen ersten Marathon in einer Zeit von 3:53 Stunden und im Herbst war ich schon eine halbe Stunde früher im Ziel. Mit einer Zeit von 3:01 Stunden meisterte ich den dritten Marathon zu meiner vollsten Zufriedenheit. Mit diesen Ergebnissen im Rücken war ich optimistisch, die nächsten 42,195 Kilometer unter 3 Stunden zu laufen. Daher setzte ich mir ein neues Ziel - den "Berlin Marathon" im Herbst 1985.
Hals- und Beinbruch!
Zusammen mit über 12.000 Teilnehmern startete ich am Reichstag. Emil Zatopek gab den Startschuss. Die ersten Kilometer des Laufs meisterte ich mit Bravour. So passierte ich Kilometer 10 unter 40 Minuten. Bis Kilometer 33 konnte ich meinen sehr guten Schnitt halten. Dann brachte mich zum ersten Mal in meinem Leben der "Mann mit dem Hammer" gnadenlos zur Strecke. Ich musste mein Tempo deutlich verringern, viele Geh-, ja, Stehpausen einlegen. Es hatte zur logischen Konsequenz, dass Massen an Läufern an mir vorbeizogen und ich meinen Vorsprung den vielen Sportlern gegenüber verlor. Ich erreichte das Ziel auf dem Kurfürstendamm im 6er Schnitt mit einer Gesamtzeit von 3:19 Stunden. Ich war zutiefst enttäuscht.
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Einer der härtesten Läufe weltweit: der Badwater Ultramarathon / USA |
Fehlschläge hielten mich nicht davon ab, an meiner gewonnenen Leidenschaft, dem Laufen, festzuhalten. Im Gegenteil, ich wollte nun mehr erfahren: über die Funktionsweise des Körpers, über das Laufen, über den Menschen, das hochkomplexe Wunderwerk der Natur.
Ich meldete mich erneut für den Berlin-Marathon an und mit dem Ziel, jetzt die 3-Stunden-Marke zu unterbieten. Mein Vorhaben war wieder nicht von Erfolg gekrönt, ich musste erneut für ein zu schnelles Anfangstempo Tribut zollen und erreichte das Ziel wiederum nach 3:19 Stunden - offensichtlich hatte ich aus meinen Fehlern nicht ausreichend gelernt und das Malheur wiederholte sich. Der Berlin-Marathon lieferte mir erneut kein sportliches Erfolgserlebnis, da neben meiner Unerfahrenheit meine eigene Dummheit siegte. Seit diesem Tag begleitet mich auf jedem Kilometer die wertvolle Devise, die Läufe entsprechend meines Trainingszustands vernünftig zu gestalten. Das Leben ist ein ewiges Lernen, und manchmal lernt man am besten aus Fehlern!
Ich verlor mein Ziel dennoch nicht aus den Augen und startete gegen Jahresende einen neuen Versuch beim Adventsmarathon in Bad Arolsen bei Kassel. Starke Regenfälle in den Tagen zuvor hatten die fast nur durch den Wald führende Strecke sehr aufgeweicht und die Gegebenheiten für jeden Läufer deutlich erschwert. Respekt hatte ich auch vor den vielen Höhenmetern, die durchgängig bestritten werden mussten. Ich startete zurückhaltend und konnte mein Tempo zum ersten Mal perfekt über die lange Distanz halten. Auf den letzten sieben Kilometern witterte ich meine erste große Chance, einen Marathon tatsächlich unter 3 Stunden zu meistern. Ich kämpfte bis zum letzten Meter, mobilisierte alle ungeahnten Kräfte in mir und erreichte das Ziel am Twistesee nach 2:59:21 Stunden. Unfassbar, es war geschafft. Ich hatte in diesem Lauf sehr viel über Taktik und Vorgehensweise gelernt - sollte das der Beginn einer erfolgreichen Marathonserie werden?
Laufen verleiht Flügel
Es folgte tatsächlich eine Serie von 17 Marathons unter 3 Stunden mit einer persönlichen Bestzeit von 2:41 Stunden. Als diese Zeit nicht mehr zu toppen war, wagte ich mich an das Ultralaufen. Über den Swiss-Alpine-Ultramarathon und einige 24-Stundenläufe wurde meine Utopie von 1983 Wirklichkeit und ich absolvierte 1992 meinen ersten Spartathlon. Bis zum heutigen Tage habe ich mich zu einem der beständigsten deutschen Ultraläufer entwickelt und den Spartathlon 2016 als erster Mensch der Welt zwanzigmal "gefinisht".
Schaue ich zurück, bilanziere ich bis heute über 160.000 Laufkilometer. Davon entfallen ca. 15.000 Kilometer auf Wettkämpfe (662), wobei ca. 4.000 km bis einschließlich Marathon und ca. 11.000 Kilometer im Ultrabereich zurückgelegt wurden.
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Hubert Karls Laufschuh-Zaun |
Grundsätzlich bin ich dankbar für meine Lebenssituation, so wie sie ist. Glücklicherweise blieb ich bisher von Unfällen und schlimmeren Krankheiten verschont. Ich freue mich darüber, bin mir aber auch im Klaren, dass sich dies jederzeit ändern kann. Ich bin davon überzeugt, dass sich jeder Mensch mit einer eigenverantwortlichen Lebensweise eine gewisse Basis für das Alter schaffen kann. Mir geht es dabei nicht vorrangig um eine hohe Anzahl an Lebensjahren, als vielmehr um eine hohe Qualität der Lebensjahre. Immer wieder sprechen mich Leute auf das 20. Finish in Griechenland an und beglückwünschen mich zu dieser Leistung. Im selben Atemzug folgt dann die Frage: "Wie machst du das nur?" Seit dem Friedenslauf 1996 in Japan (Hiroshima - Nagasaki, 457 Kilometer) habe ich mich intensiv mit dem breiten Feld der Körperfunktionen beschäftigt. Es ist für mich sehr faszinierend und spannend, die Zusammenhänge zu analysieren und meine eigenen Schlüsse daraus zu ziehen.
Damit mein Körper gut funktioniert und ich besonders im Ultralauf die entsprechende Leistung über Jahrzehnte erbringen konnte, mussten viele Dinge fließend ineinander übergehen. Alles musste richtig geplant und dosiert sein, um gleichzeitig auch in Alltag, Beruf, Partnerschaft, Familie, Verein usw. bestehen zu können. Mentale Stärke, Bewegung und Ernährung sind nicht alles, tragen aber wesentlich zum Ganzen bei. Eine gute Basis oder ein starkes Fundament ist unerlässlich, um so etwas aufbauen zu können und das wird mir immer bewusster, je älter ich werde. Geschaffen habe ich mir die Basis, die mich im Takt hält, durch meine folgenden Taktgeber: Antioxidantien/Freie Radikale, Darmflora, Entgiftung, Entzündungen, Gefäßsystem, Immunsystem, Säure-Basen-Haushalt, Körperzellen.
Was ich noch zu sagen hätte
Bis zum heutigen Tag habe ich in meinem Leben über 160.000 Laufkilometer absolviert und mit dieser Erfahrung in den Beinen kann ich mit absoluter Überzeugung sagen, dass neben einer gesunden, natürlichen Ernährung die Bewegung hauptverantwortlich für die Gesundheit des Menschen ist. Wer Bewegung in das Leben integriert, kann langfristig von Beweglichkeit, Vitalität, Wohlbefinden und im Gesamten von einer gesteigerten Lebensqualität profitieren.
Seit über 50 Jahren tragen mich meine Füße über die fünf Kontinente unserer Erde. Jahre, in denen ich an einzigartigen Ultraläufen teilgenommen und läuferische Bestleistungen erzielt habe. Der Schwerpunkt liegt auf dem Mehrwert, den ich durch das Laufen erlangt habe. Ein wichtiger Aspekt hierbei ist, dass das Laufen besonders in gesundheitlicher Hinsicht mein Leben bereichert hat. Wir leben in einer Zeit, in der Zivilisationskrankheiten wie Diabetes, Bluthochdruck, bestimmte psychische Erkrankungen vermehrt auftreten und auch in Zukunft zahlreiche Tribute fordern werden. Es heißt, jeder ist seines eigenen Glückes Schmied und somit hauptverantwortlich für das eigene Wohl, dieses kostbare Gut des Daseins. Deshalb mein Rat: Finden Sie Ihre Art der Bewegung, genießen Sie die Natur, erfreuen Sie sich an gesundem Essen, genießen Sie das Leben in vollen Zügen als widerstandsfähiger Mensch!
Fotos © H. Karl
Vom Asthma-Inhalator zum Marathon-Erfolg |
von Anita Kaderhandt |
Aller Anfang ist
Einen Zugang zu irgendeiner sportlichen Betätigung zu finden war für mich in meinen Jugendjahren nahezu unmöglich. Abgesehen von gelegentlichen Sonntagsspaziergängen in meiner Kindheit dachten meine Eltern nicht mal im Entferntesten daran, ihre drei Töchter zu sinnvollen sportlichen Bewegungsmöglichkeiten zu motivieren. Gartenarbeit und Mithilfe im Haushalt standen im Fokus des täglichen Lebens. Und in der Schule beschränkte sich der Sportunterricht auf Völkerball und Bodenturnen. Einen weiteren Hinderungsgrund bildete für mich eine ausgesprochene Anfälligkeit für Erkältungskrankheiten. Schon im Alter von sechs Monaten hatte ich eine lebensbedrohliche Lungenentzündung nur knapp überstanden. In Jugendjahren gesellten sich zudem Heuschnupfen, Allergien und schwere Asthmaanfälle hinzu. Wahrlich keine Voraussetzungen für einen Einstieg ins Läuferleben. Welches unglaubliche Glück mir zuteil würde, dieser Endlosschleife gesundheitlicher Misere zu entkommen, kann ich in all seinen Facetten erst heute aus der Rückschau über vier Jahrzehnte wirklich erfassen: Mein Ehemann Josef Kaderhandt in der Hauptsache, aber auch seine beiden Brüder Horst und Walter eröffneten mir eine Welt, die ich vorher so nicht gekannt hatte: Laufen. Laufen als sinnvolle Freizeitgestaltung, Laufen zur Förderung des körperlichen, geistigen und seelischen Wohlbefindens, Laufen als Miteinander von Gleichgesinnten, Laufen im Wettkampf zum Messen der eigenen Stärke. Bis dahin zu kommen war für mich ein ganz schwerer Weg.
Der Appetit kommt beim
Mitte der siebziger Jahre hatte ich meinen Büroberuf aufgegeben und ein Lehramtsstudium begonnen. Mit dieser neuen Herausforderung wuchs auch die Einsicht, jetzt wirklich sportlich einen Anfang zu finden, da ich sonst den Anforderungen körperlich auf Dauer kaum gewachsen sein würde. Wie nun anfangen? Erstmal mussten Laufschuhe gekauft werden: "Hellblaue" der damaligen Marke TIGER. Ich wertete den Namen als gutes Omen und begab mich zusammen mit meinem Ehemann Josef auf die "Laufstrecke" - ein ganz flaches Wegstück am Waldrand von ungefähr 200 m Länge. Vorher noch ausgerüstet mit einem kräftigen Hub Asthmamittel - meinem damaligen zweiten Begleiter. Im Wechsel wurden 50 m gegangen, dann 50 m gelaufen. Das Laufen war eher ein Trippeln. Aber dranbleiben, aushalten und morgen wieder und keine Ausreden. So ging das einige Wochen, die Strecke wurde länger und länger, Gehpausen nur noch an Steigungen, alles ohne Atemnot - immer so, dass wir uns dabei noch unterhalten konnten. Und Josef verfügte über eine Fähigkeit, die später von vielen seiner Laufkollegen und Anfängern, die er begleitete, sehr geschätzt wurde. Er konnte sich jedem Tempo anpassen, auch dem ganz langsamen der sogenannten "Schildkröten" und "Schnecken". Das ist eine ganz wesentliche Voraussetzung zur Vermeidung von Frust bei Laufanfängern. Leider wenig beherzigt von etlichen fortgeschrittenen Läufern, die den Anfängern gern mal zeigen, wo der Hase läuft.
Zum Ende der siebziger Jahre begann in Deutschland das Lauffieber. Laufveranstaltungen wurden überall angeboten. Zunächst nur als respektvoller Zuschauer wuchs ich langsam in diese Wettkampfwelt hinein und wurde mit allen Modalitäten vertraut. Jedes Wochenende wurde von meinem Ehemann, seinen Brüdern und den sich immer zahlreicher anschließenden Nachbarn und Freunden zu gemeinsamen Laufunternehmungen genutzt. Und ich schloss mich erst zaghaft, dann aber immer häufiger an. Urkunden, Medaillen und Pokale in jeder Größe und Form zeugten bald von Erfolg und Wettkampfgeist. Ich wagte mich von der 5 km- auf die 10 km-Strecke, die damals als Kurzstrecken galten und biss mich beharrlich vom Ende des Teilnehmerfeldes bis ins Mittelfeld vor. Mein Mann und seine Brüder liefen da auf der Marathondistanz schon beachtliche Zeiten um die drei Stunden oder sogar darunter. Für mich unvorstellbar, jemals eine solche Strecke bewältigen zu können. Und so beließ ich es dabei, die Marathonkämpfer an der Strecke moralisch und mit Getränken und Läufernahrung zu unterstützen. Zunächst. 1983 nahmen wir dann eine neue Herausforderung ins Visier: Als konsequente Folge einer genaueren Beobachtung der Läuferszene gründeten wir einen Laufsportverein: den Marathon Club Menden - kurz genannt MCM -, einen Verein, in dem sich vor allem die "älteren" Läufer ab 25 wiederfinden sollten, die in den üblichen Leichtathletikvereinen eher ein Randleben fristeten. Von überall strömten Läufer und auch einige Läuferinnen in unseren Verein, die entweder schon Marathonerfahrung hatten oder unter Anleitung für einen Marathon trainieren wollten. Der MCM wuchs und wuchs. Fahrten zu allen namhaften Marathonläufen wurden zum Teil mit Bussen von uns organisiert.
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Hinzu kam noch das Durchführen zahlreicher eigener Laufveranstaltungen und interner Vereinswettkämpfe: 20 km-Waldlauf, Mendener Marathon, Bergmeisterschaft, 3 x die Große Runde, 10 km-Vereinsmeisterschaft bis hin zu Sponsorenläufen - ein riesiger Arbeitsaufwand, den wir, zwar unterstützt von Vereinskameraden, neben unseren Berufen und dem Training stemmen mussten. Oft genug ging das an die Grenzen der eigenen Belastbarkeit. Aber irgendwie schafften wir es über all die Jahre immer wieder uns neu zu motivieren - und einen gewissen Stolz auf das Geleistete gönnten wir uns auch. |
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Anita Kaderhandt mit dem Marathon-Club Menden in der franz. Partnerstadt Aire-sur-la-Lys 1988 |
Hals- und Beinbruch!
Und so, wie der Verein wuchs, steigerte sich auch mein Trainingsumfang. Der Berlin-Marathon 1986 wurde mein erster von insgesamt 25 Marathonläufen. In Hannover bin ich 2004 meinen letzten Marathon gelaufen, in genau 4 Stunden. In den ersten Laufjahren hatte ich nicht so sehr das Ziel vor Augen, immer neue persönliche Bestzeiten zu erreichen. Ich horchte in meinen Körper hinein, lotete das Befinden im Training und beim Wettkampf aus, ging nie an Grenzen; spürte ich Schwäche oder Müdigkeit, so verzichtete ich lieber aufs Training oder einen Wettkampf. Zudem warfen mich immer wieder Infektionen zurück, die ich mir in meiner Tätigkeit als Lehrerin zugezogen hatte. Früher blieben erkrankte Kinder zuhause und wurden dort gesund gepflegt. Leider verzichten viele Mütter immer öfter auf solche Gepflogenheiten und schicken ihre Kinder mit Fieber, Brechreiz, Mumps und der ganzen Palette an Infektionskrankheiten in die Schule. An die Folgen für Mitschüler und Lehrer denkt man nicht.
verleiht Flügel!
Auch wenn es bitter war, Training und Wettkämpfe ausfallen zu lassen, habe ich von Anfang an für mich immer nach dem Motto gehandelt: Nie krank an den Start gehen oder trainieren - und danach: Aufnahme des Trainings immer erst drei Wochen nach Ende der Erkrankung. Zudem habe ich stets auf eine der Witterung und Temperatur angepasste Laufkleidung geachtet und lieber eine lange Hose und eine Windjacke getragen. Besser mal mehr geschwitzt, als sich frierend durchs Trainings zu schlagen. Und drei Paar Laufschuhe im Wechsel zu benutzen war obligatorisch. Da ist mir noch eine frühere Vereinskameradin in Erinnerung, die mit Hansaplast gepflasterten Laufschuhen an den Start einer westdeutschen Meisterschaft ging und aufgeben musste, weil ihre Schuhe nach 30 km auseinanderfielen, wodurch unser schon sicherer Mannschaftssieg zerrann.
Ja, und heute, in der Rückschau auf all` die Wettkämpfe und Trainingseinheiten und dem damit verbundenen achtsamen und bisweilen vorsichtigen Umgang mit dem eigenen Körper kann ich sagen: Das hat mich wohl vor ernsthaften Krankheiten geschützt. Laut Auskunft meines Hausarztes Dr. Egberts müsste ich aufgrund meines körperlichen Zustandes eigentlich ein paar Jahre jünger sein. Und während dieser langen Zeitspanne habe ich auch verspürt, wie meine innere Stärke zunahm. Probleme und Ärger konnte ich durch das Laufen kompensieren, manche Widrigkeiten prallten einfach ab, Unwichtiges fand keine Beachtung mehr nach einem langen Trainingslauf.
Was ich noch zu sagen hätte
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Jedoch - bei einem Lebensereignis konnte mir das Laufen nicht helfen: Die Trauer um meinen Ehemann Josef, der 2009 im Alter von erst 62 Jahren an den Folgen einer viel zu spät erkannten Krebserkrankung verstarb, nahm mir längere Zeit viel Kraft und Lebensenergie. Erst mit ausgedehnten Spaziergängen gelang es mir nach und nach, mein inneres Gleichgewicht wieder zu stabilisieren. Meine Bewegungsfreude habe ich im Laufe der letzten Jahre durch Walking und Nordic Walking zurück gewonnen. Ja, und im Sommer, wenn die Sonne die Seele wärmt, laufe ich sogar wieder 5 km-Strecken. |
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Familientreffen beim Halbmarathon in Oldenburg 2008 (letzter gemeinsamer Wettkampf mit Ehemann Josef, der im Jahr darauf verstorben ist) |
Zum Schluss noch ein Wort an alle Läuferinnen und Läufer, die Vorsorgeuntersuchungen
für Blödsinn halten. Weder die gesündeste Ernähung noch
regelmäßiges Laufen können vor Krebs schützen, wenn man
eine genetisch bedingte Veranlagung dafür in sich trägt. Nur ein frühes
Feststellen steigert die Überlebenschance. Und für Männer: Jeder
ab 40 sollte seinen PSA-Wert kennen und wenigstens jährlich kontrollieren
lassen, um Abweichungen zu erkennen.
Die letzten 1000 m immer mit roter Nase - |
von Oliver Schulte |
Aller Anfang ist
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Als ich vor 48 Jahren das Laufen begann, konnte ich nicht ahnen, was das Läuferleben noch für mich vorgesehen hatte. Als ich sechs Jahre alt war, hatten meine Eltern erkannt, dass ich mich eher in der Leichtathletik und nicht im Turnsport versuchen sollte. So wurde ich zum Leichtathleten, zum Mehrkämpfer ausgebildet. Tja, das war so in den Siebzigern! Mensch, dass ich mal so reden würde Eine lehrreiche Zeit als Hochleistungssportler mit drei- bis fünfmaligem Training pro Woche und auch schon mal zwei Wettkämpfen am Wochenende begann. Wir wollten in diesen Jahren einfach nur laufen, laufen, laufen und ab und zu auch mal springen und werfen. Natürlich waren damals Urkunden, Pokale und Medaillen, gute Platzierungen schon sehr wichtig. Später sollte sich das jedoch grundlegend ändern. Nach gut 12 Jahren endete dieser Lebensabschnitt mit Beginn des Berufslebens als Masseur und medizinischer Bademeister und Physiotherapeut. |
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Foto (2): privat |
Der Appetit kommt beim
Zu dieser Zeit war ich schon auf dem Weg zum Langstreckenläufer, 5 bis 42 Kilometer - genauer 42,195 km - waren die Distanzen. Das selbst gestaltete Training war vom vorher Gelernten und der zwischenzeitlich erworbenen Trainerlizenz in der Leichtathletik (LA / Deutsche Sporthochschule Köln) und den B-Lizenzen der Parkinson- und Rheumaligaverbände geprägt. Zur Zeit des zweiten Staatsexamens zum Physiotherapeuten Anfang der neunziger Jahre, entwickelte ich unter Zuhilfenahme diverser Fachbücher (van Aaken, Cooper, Galloway etc.) ein spezielles Laufen, nicht mehr wettkampforientiert, eher ein Laufen für mein Wohlbefinden, ein Laufen, das mir gut tat, meinem Körper, meinem Geist: das achtsame Laufen. Dieses bewusste oder auch achtsame Laufen wird inzwischen auch in der Laufliteratur häufig erwähnt und empfohlen.
Bücher und Vorträge von Moshé Feldenkrais waren zu dieser Zeit sehr hilfreich, da sie den achtsamen Umgang mit dem eigenen Körper sehr gut beschreiben. Das Hineinhören in den eigenen Körper während einer körperlichen Anstrengung, beispielsweise beim Laufen, beim Schwimmen, beim Radfahren oder auch beim Kraftsport, beim Koordinations- und Dehnungstraining, selbst beim Entspannungstraining, wurde immer wichtiger und trug sehr rasch zu den nicht immer erwarteten Erfolgen bei. Das Training machte einfach wieder mehr Spaß.
Hals- und Beinbruch!
Diese Grundlagen wurden durch meine Aus- und Weiterbildung zum Lauftherapeuten am Deutschen Lauftherapiezentrum (DLZ) bei Prof. Dr. Alexander Weber ergänzt. Besonderen Anteil hatte auch der hervorragende Unterricht beim Dozenten Klaus Richter, der sehr gute Aspekte und weitere Kombinationsthemen, wie etwa die Meditation, mit einbrachte.
In den 2000er Jahren habe ich hunderte Einzelpersonen in der Lauftherapie betreut und mein erworbenes Wissen weitergegeben. So ist das auch heute noch. Eine äußerst erfüllende Aufgabe, die meine Unterrichtseinheiten in der Physiotherapie, in der der deutschen Rheumaliga, im Verbund der Physiotherapeuten Norddeutschland und im Sport absolut bereichert hat. Ein wichtiger Punkt in diesem Zusammenhang ist jedoch die Tatsache, dass man bei seinem Unterricht mit Läufern oder Patienten, man kann sie auch Klienten nennen, nie (die Gesundheit und) die Erfahrungswerte aus seinem eigenen Leben vergessen darf. Diese sind eminent wichtig, wenn es um das gesunde Sporttreiben geht.
Es ist einfach sehr interessant zu sehen, wie deckungsgleich oft verschiedene Krankheits- und Gesundungsprozesse beim betreuten Sportler und bei einem selber sind. Dies lasse ich immer noch in jegliche Therapieform und in jedes Training einfließen. Jeder sollte lernen, zu erkennen, wann es für den Körper genug ist, wann der Körper eine Pause braucht auch wenn das nicht immer leicht ist.
verleiht Flügel!
Doch erfüllender für mich wurde der neue Läuferabschnitt als Spendenläufer! Seit langem bin ich für meine Vereine und Gesellschaften wie flydoc australia, German RFDS Support Group, Sportler 4 a childrens world, Die Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger und nicht zuletzt Die Clowndoktoren in ganz Europa und in der Welt als Läufer unterwegs, um Spendengelder zu generieren, ohne die Einzelprojekte zu vergessen.
Ein paar Ereignisse, über die ich an dieser Stelle berichten möchte:
In den Jahren bin ich mehrmals von meinem Heimatort Hemer (NRW) in Etappen zur Nordsee gelaufen, oft unterstützt von meinem Team goodspeed. Das Team besteht aus fünf weiteren Sportlern, die mich läuferisch unterstützen, mal das Begleitfahrzeug auf den Etappen fahren, sich um die Verpflegung und Dinge der Organisation kümmern. Mal laufe ich für die Seenotretter, die für unser aller Sicherheit an den Küsten unseres Landes sorgen, mal für andere Organisationen, die sich zum Beispiel um benachteiligte oder misshandelte Kinder kümmern. Mit großer Freude und Dankbarkeit wurde ich oft vor Ort empfangen. Das Strahlen in den Augen, vor allem der Kinder, bleibt unvergessen! Auch die Umarmungen treiben mich immer wieder an, gewisse Strapazen auf mich zu nehmen.
Ein Highlight war der Deutschlandlauf 2015 für die Arche Deutschland über eine Distanz von genau 2015 Kilometern in 14 Tagen und Nächten - und eine Herausforderung für das gesamte Team von Sportler 4 a childrens world. Dieses Team ist ein so großartiges Gefüge von Menschen, und das sage ich hier sehr bewusst, dass man nur den Hut ziehen kann vor dem, was dort immer wieder geleistet wird auf den Feldern der Gemeinschaftsbildung und der Integration, auch von behinderten Menschen, unter ihnen auch Sportler.
Auch der hoch emotionale Lauf im Jahr 2016 von Osnabrück nach Glasgow über knapp 1000 Kilometer zugunsten von benachteiligten Kindern in Schottland, wo jedes dritte Kind in Armut lebt, war am Ende die Anstrengung der fünf Tage und Nächte sicher wert. - Die Schotten sind übrigens ein besonders liebenswertes Volk, wenn ich das hier einmal erwähnen darf.
Mein Lauf von Hemer nach Wiesbaden, 278 Kilometer in 13 Etappen, zum Sitz der Clowndoktoren, war für mich als Mitglied des Vereins eine Selbstverständlichkeit, um auch dort mit den erlaufenen Spendengeldern ein wenig zu helfen, denn die Arbeit der Clowndoktoren auf den diversen Kinderkrebsstationen und in den Seniorenheimen ist eine so wichtige Aufgabe.
Zum Schluss noch eine Begebenheit aus meiner zweiten Heimat Australien. Auch dort bin ich schon des Öfteren mit der roten Nase läuferisch unterwegs gewesen, um Geld für die ansässigen Fliegenden Ärzte (Royal Flying Doctor Service of Australia) zu sammeln. Folgende Geschichte ist außergewöhnlich, aber wahr. Als ich 2005 einen meiner schönsten 10-Kilometer-Läufe gelaufen bin, um den Monolithen Uluru (Ayers Rock) herum im roten Zentrum Australiens, kam ich am Ende meiner Runde mit einem Aboriginal Man, der dort als Mittler und Ranger arbeitete, ins Gespräch. Zehn Jahre später wollte es der Zufall, dass ich ihn im Umfeld des Sydney-Marathons - ich bin dort, inzwischen nur noch halbverrückt, den Halbmarathon gelaufen - wieder traf und er mich mit den Worten begrüßte: "G´day running clowndoctor with the red nose - yonggornh-na!" Eine phantastische Begegnung! So erfuhr ich auch die Bedeutung des Wortes yonggornh-na, was so viel heißt wie der Erste bzw. Erstgeborene. Ich war wohl für diesen Einheimischen der Erste, der mit roter Nase im roten Zentrum am Uluru herumgelaufen ist.
Erwähnte ich eigentlich schon, dass ich bei all meinen Spendenläufen die letzten 1000 Meter mit roter Clownsnase laufe? Die rote Nase setze ich jetzt schon gut zwanzig Jahre während meiner Läufe zwischendurch, wenn es nicht bergauf geht, aber immer auf den letzten Metern zum Ziel auf. Ich möchte damit meinen Mitläufern zeigen, dass es mir gut geht und ich Spaß am Laufen habe und sicher jeder Spaß haben sollte. Das Publikum honoriert dies meistens mit Extraapplaus, und die Kinder lachen immer fröhlich zurück. In Norddeutschland gibt es einen Lauf, bei dem ich schon mehrfach gestartet bin. Dort bekomme ich immer meine Medaille von derselben Frau, weil sie sich stets über die mitgebrachte rote Clownsnase so freut.
Was ich noch zu sagen hätte
Sport kann so viel! Der Laufsport verbindet Menschen auf der ganzen Welt. Das macht unseren Sport aus, man kann so viel Gutes tun, man bleibt selbst fit und gesund, man kann mit dem Sport Krankheiten positiv beeinflussen, wie zum Beispiel den Diabetes, man kann mit dem Sport Depressionen positiv beeinflussen, man kann seinen Horizont und sein Inneres erweitern, man lernt tolle und positive Menschen kennen - manchmal auch das Gegenteil! Aber die sind in der Minderheit, zum Glück!
90% meiner Freunde und Freundinnen kommen aus dem Sportbereich. Davon sind 90% Läufer und Läuferinnen. Warum wohl? Weil sie alle das Gleiche wollen. Gesund bleiben wollen sie, und Spaß wollen sie erleben, am besten draußen in unserer so wundervollen, einzigartigen Natur. So kann man sich mit dem gesunden, nicht wettkampforientierten Laufen selbst helfen.
Ich möchte noch sehr gerne sehr lange laufen, ob 20 Minuten oder 180 Minuten am Stück, das ist egal, aber es muss einen Sinn haben, für andere und auch für mich! Mein Freund John A. McGurk sagte einmal: "Je mehr Gutes ich tue, umso weniger Angst habe ich vor dem Sterben!" Er ist Spendenläufer.
Wenn es der Läufergott zulässt, hoffe ich auf weitere ein, zwei Läuferdekaden. Den Läufergott gibt es wirklich, denn ich stand schon so oft bei Regen an der Startlinie und es hörte auf zu regnen als der Startschuss fiel!
Genug von mir ich gehe jetzt laufen!
Wenn Sie dieser Beitrag interessiert hat, empfehlen wir Ihnen das komplette Buch:
Wolfgang W. Schüler und Klaus Richter (Hrsg.) |
Laufen und laufen lassen |
von Klaus Weidt |
Aller Anfang ist ...
Irgendwann musste ich ja ins Laufen kommen. Doch wann? Wann der endgültige Anstoß? Ich war schon seit einigen Jahren dazu verpflichtet. Tatsächlich. Denn ich hatte mitgeholfen, eine Idee in die Tat umzusetzen, die fast Guinnessbuch reif gewesen war. Die Aktion hieß "Eile mit Meile" und sollte dem Ausdauersport in der DDR stärkere Impulse geben. Im Mittelpunkt stand dabei das Laufen, das als Volkssport immer wieder im Schatten des Leistungssports stand. Es gelang nach längerer Vorbereitung - man sollte es heute kaum glauben -, alle Sportredaktionen aller DDR-Medien an einem Aprilwochenende des Jahres 1974 zu gewinnen, neben Schwimmen, Wandern und Radfahren vor allem das Laufen zu publizieren und "Meilenläufe" zu organisieren. Es wurden Meilenpässe gedruckt und Meilen-T-Shirts angeboten - für gesammelte 100, 500, 1000. Neue Volksläufe schossen wie Pilze aus dem Boden zwischen Oder und Elbe. Noch fünf Jahre aber brauchte ich selbst, bis ich schließlich die Schwimmkappe mit den Joggingschuhen austauschte, um mit ihnen meinen privaten "Meilenauftakt" vollziehen zu können. Der Anlass ergab sich urplötzlich, ein Zurück konnte ich mir nicht leisten. Denn die Aktion, für die auch ich gewonnen wurde, erwies sich als spektakulär. Wieder waren es Publizisten, die eine besondere Idee umsetzten: 30 einstige Olympia-Medaillengewinner sollten sich mit 30 Sportjournalisten in einer Staffel über 70 km ablösen. Von den im Zweiten Weltkrieg blutig umkämpften Seelower Höhen bis zur Berliner Seelenbinder-Halle. Box-Olympiasieger Wolfgang Behrendt führte den ersten Staffelstab, der zweifache olympische Silbermedaillengewinner im Langstreckenlauf Hans Grodotzki brachte diesen ins Ziel. Und mein Los? Derjenige, dem ich den Stab in die Hand drücken sollte, erwies sich als kein Geringerer als der Ski-Weltmeister Gerhard Grimmer. Sechs Wochen hatte ich Zeit für die Vorbereitung. Einen Trainingsplan fand ich nicht, vielleicht wäre er auch nutzlos gewesen. Also beschloss ich, für den einen Laufkilometer, den ich in der Staffel zu bewältigen hatte, einen Rundkurs über zwei Kilometer abzustecken. Im Berliner Plänterwald, schön an der Spree gelegen, deren Pfade damals noch von keinen Joggern übervölkert waren. Erst begleitete mich meine Frau auf dem Fahrradsattel, als es ihr zu langweilig wurde, schnürte sie selbst probeweise ein Paar einfache Laufschuhe. Ein weiteres Motiv für mich, unbedingt durchzustehen. Die Kilometerstaffel, der ich natürlich aufgeregt entgegenfieberte, verlief problemlos, der eine Gedanke aber beschäftigte mich auf jedem Meter: Mach eine gute Figur bei Grimmer! Die Stafette gelang und wurde in den Medien gut in Bild und Text beurteilt. Und ich - ich blieb nun (und fand es auch "standesgemäß") beim Ausdauerlaufen. Zunächst noch auf der Plänterwald-Runde, die ich erst verließ, als meine Frau die Spreewege zum historischen Treptower Eierhäuschen fand. Ich fühlte mich schwitzend recht wohl, genoss die Duschen hinterher und die Zufriedenheit, die sich einstellte. Ich machte dabei noch eine unerwartete Entdeckung. Ich konnte in meinem gemäßigten Joggertempo manches besser durchdenken. Neue Gedanken zündeten. Kühn behauptete ich manchem Nichtläufer gegenüber: "Lauf mit deinem Problem in den Wald. Wenn du aus dem heraus kommst, hast du es gelöst." Denen, die es nicht glauben wollten, empfahl ich, es einfach auszuprobieren. Dass regelmäßiges Ausdauertraining wirklich zu einer deutlichen Verbesserung des Gedächtnisses und der Kreativität führt, habe ich später durch wissenschaftliche Studien bestätigt bekommen.
Nach einem ersten Trainingsplan suchte ich erst sieben Jahre später, Jahre, in denen ich mein Hobbylaufen weiterhin moderat pflegte. Wieder gab es einen spektakulären Anlass. Ein Chefredakteur, der von meinen Rennereien wusste, wollte mich für die Berichterstattung über eine Laufveranstaltung gewinnen, für die - sehr zu seinem Erstaunen - kaum Startkarten unter normalen Bedingungen zu ergattern waren: für den "Rennsteiglauf"!
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Klaus Weidt: Bei einem meiner Besuche bei Waldemar Cierpinski in seinem Büro in Halle - (Foto: privat) |
Der Appetit kommt beim ...
Dieses Rennen über die Höhen des Thüringer Waldes war zu DDR-Zeiten ein Mythos und ist es für viele gewiss auch noch heute. Rennsteigläufer kamen mir damals, dem Laufanfänger, wie Märchenwesen mit Meilenstiefeln vor. Doch, so redete ich mir ein, wenn du schon einen solch interessanten Auftrag bekommst, musst du unter den zig Tausenden "Fabelwesen" sein, egal ob du die 45 km - die ich mir vornahm - bewältigst oder nicht. Ich erhöhte meine Runden durch den Treptower Park und versuchte die immer wieder bohrende Frage zu verdrängen: Schaffst du diesen ersten Berg-und-Tal-Marathon? Und versuchte zugleich, erste Trainingshinweise zu verstehen. Ich bewarb mich damals um keine Presseplakette, sondern setzte mich wie die meisten Rennsteigläufer in einen Zug nach Oberhof. Wo ich in einer Sporthalle übernachtete, ehe mich ein Bus zum Startort Neuhaus brachte Wo ich vor dem Startschuss mit Tausenden das Rennsteiglied "Ich wandere ja so gerne..." sang. Und wo ich danach zwar mittendrin war, doch bei meinem ersten richtigen Kampf allein gelassen wurde. Dass ich diesen damals bestand, machte mich ein wenig stolz, auch wenn ich mich erinnere, dass ich "Nie wieder!" im Ziel ausrief. Ich kam wieder, immer wieder, nicht nur, um über dieses Laufwunder zu schreiben, sondern mit zu rennen, die einzigartige Atmosphäre zu genießen, die mich damals antrieb, die Joggingschuhe immer wieder zu schnüren.
Mich Journalisten, der bisher über Bob, Fußball, Kraftsport und Leichtathletik in fast gleichen Teilen berichtete, zog es immer mehr zum Laufen. In Theorie und Praxis. Und so war ich bald dermaßen darin gefangen, dass ich es mir eigentlich gar nicht vorstellen, ja leisten konnte, die Trainingsrunden, die ich nun gewissenhaft notierte, abzubrechen. Wobei ich beruflich bedingt keine Regelmäßigkeit erzielte, aber auch nicht den Ehrgeiz entwickelte, großartige Zeiten anzusteuern. Ich wollte unter den sympathischen Läufern weilen, mich mit ihnen freuen und leiden. Spaß sollte das Running machen, und diese Philosophie begleitete mich ab sofort - und das ein Leben lang. Als ich nach der Wende, noch zur DDR-Zeit, ein Journal für Läufer gründete, das ich "Laufzeit" nannte, ließ ich als Symbolfigur eine laufende Schnecke zeichnen, die auch heute noch diese Publikation - inzwischen mit der "Condition" vereint - ziert. Jeder soll, kann ein Läufer werden, ob dick oder dünn, groß oder klein, jung oder alt, Frau oder Mann. Durch die Arbeit an diesem neuen Journal kam in den 1990er Jahren noch ein anderer Aspekt hinzu, der bei der Gründung erst nicht die große Rolle spielte: Läufer wollen laufend unterwegs sein - reisen! Mit einer zweiten Firma "Reisezeit" versuchte ich bald recht erfolgreich, diesen Reisewunsch für Tausende zu erfüllen. Und lief entsprechend selbst ungebrochen weiter, nun in die Welt hinein. Was ich in kühnsten Träumen nie erdachte, wurde ausgerechnet in Ägypten erstmals an mich herangetragen: Ich sollte laufen lassen! Nach einem dilettantisch organisierten Pyramiden-Run zwischen Kairo und Sakkara, den ich mit einer deutschen Läufergruppe besuchte, stellte mir die betreuende ägyptische Reiseagentur eine Art Schicksalsfrage: Könnten Sie uns mit deutschem Running-Knowhow helfen, einen eigenen "Ägypten-Marathon" auf die Laufbeine zu stellen? Zurück in Berlin fand ich Freunde, die organisatorische Fähigkeiten mehrfach bewiesen hatten. 1994 fand am Fuße der Sphinx der erste internationale "Egyptian Marathon" statt. Natürlich auch (Symbol Laufschnecke!) mit einigen kürzeren Strecken. Somit war ich bald laufend unterwegs, hatte im Interesse der Laufreise-Klientel noch manch anderen internationalen Run ins Leben gerufen. Ich selbst war somit natürlich auch immer bei allen Unternehmungen darin "gefangen". Scheinbar "forever". Aber gern.
Hals und Beinbruch!
Wörtlich genommen hatte ich tatsächlich mal einen Beinbruch. Der passierte mir ausgerechnet beim traditionellen, stimmungsvollen Frühstückslauf vor einem Ägypten-Marathon, auf historischen Pfaden in Luxor. Die unförmigen Pflastersteine der alten Pharaonen müssen schuld daran gewesen sein, aber wohl auch eine gewisse Ermüdung des linken Fußes. Nachdem dieser in einer ägyptischen Klinik in Gips eingemauert wurde, ließ ich mich mit einer Taxe zum Hotel und danach zum Flughafen fahren. Zurück in der Heimat fragte ich mich natürlich, wie ich meine eigene Lauf-Bahn weiter ziehen solle. Nicht lange. Nach einigen Wochen ging ich erst, dann lief ich wieder - Schritt für Schritt. Ich kann mich nicht erinnern, irgendwann läuferisch resigniert zu haben. Das mag mehrere Gründe gehabt haben. Einerseits war Laufen im Einklang mit Journalismus und Tourismus auch Berufung geworden. Andererseits hatte ich, erst mit 42 Jahren in die Jogging-Schuhe geschlüpft, nie den Ehrgeiz verspürt, großartige Zeiten zu erzielen. Für mich waren das Laufabenteuer, das Gemeinschaftserlebnis, die Laufstory, der Spaß an dem Ausdauer-Kampf immer Motiv und Ansporn. Ich suchte mir, natürlich nicht zuletzt des journalistischen Reports wegen, bemerkenswerte Veranstaltungen heraus. Nicht nur große Marathons wie den in New York oder in Athen, die ich mit viel Vorbereitungsaufwand bewältigte, sondern auch die im "Laufschatten" stehenden Events, große und kleine. Wer wusste schon, dass es im Havelland, im unbekannten Örtchen Semlin, einen reizvollen Dreiseen-Lauf gibt, der mit voller Absicht keinen Start-Euro nahm, dafür aber T-Shirt und kunstvolle Medaille für jeden kostenfrei überreichte? Also lief ich auch die 21 Kilometer dort mal mit. Wer kennt schon den Obstwein-Marathon oder weiß, dass in Wasungen der erste Silvesterlauf Deutschlands geboren wurde? Für einen, der seine Zeiten nicht vergleicht und in keine Tränen ausbricht, wenn er, älter werdend, seine Ausgangsleistungen nicht mehr schafft, wird das Lauf-Leben lebenswerter. Und verkraftet eventuelle "Rückschläge" einfacher. Achtet vielleicht wie ich mehr auf Warnzeichen seines Körpers - Schmerzen im Knie, im Rücken, in Gelenken. Und bremst dann einfach Training und Wettkampf.
... verleiht Flügel!
Dass ich laufend durch die ganze Welt flog, war bisher schon eine unerwartet schöne Lebensgeschichte. Dass ich mit vielen Lauf-Mitstreitern dem Running in Ländern wie Zypern, Tunesien oder gar in der Mongolei manchen Schub geben konnte, freut mich im Nachhinein natürlich. Doch gab es da eine Begegnung, die tatsächlich Flügel der besonderen Art verlieh, mir und bald zahlreichen ungenannten Läufern und Läuferinnen zwischen Weserland und Oderland. Im Jahre 2005 lernte ich Haile Gebrselassie kennen. Ich hatte endlich eine Einladung aus dem Läuferland Äthiopien bekommen, die einer von mir zusammengestellten Gruppe von Hobbyläufern neben Marathon auch einen "Halben" und einen 10-Kilometer-Run ermöglichte. Innerhalb des profilierten "Abebe Bikila Marathons". Wir waren damals die ersten deutschen Laufreisenden, die Addis Abeba erkundeten. Selbst der Athletik-Verband war begeistert und spendete jedem einen Trainingsanzug der Nationalmannschaft. Auch Haile zeigte sich angetan von dieser Premiere, lud uns in sein fertig gestelltes Anwesen ein und bewirtete uns nach äthiopischer Art. Das geschah nach dem Marathonrennen und einer ausgiebigen Rundreise durch das kulturvolle, landschaftlich reizvolle, aber gebeutelte Land.
Alle Reiseteilnehmer bekundeten dem Olympiasieger gegenüber, dass sie in irgendeiner nutzvollen Weise helfen wollten. Die Diskussionsrunde endete in einer Empfehlung des Gastgebers: "Tut etwas für die Bildung in meiner Heimat. Vielleicht könnt ihr für den Bau einer kleinen Dorfschule spenden." Monate später landete ich wieder in Addis Abeba, besuchte Haile abermals und ließ mich durch einen kundigen Reisemanager in ein abgelegenes Dorf in der Gurage-Region fahren. Dorthin, wo es keine Straßen, kein Licht und kaum Wasser gab. Dafür aber Hunderte von Kindern ohne Schule. Genau hier, 250 km von der Hauptstadt entfernt, beschlossen wir, eine Schule zu bauen. Mit einem Aufruf, von Haile Gebrselassie signiert, wandten wir uns an deutsche Läufer und Laufveranstalter. Mit Erfolg. Das Geld, das zusammen kam, wurde in dieses Unternehmen gesteckt. Mit 24 Kindern und zwei Lehrern eröffneten wir die Schule im Dorf Shamafu und nannten sie "Marathon". |
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Klaus Weidt bei der Buchübergabe
von "Der Wunderläufer" an Haile Gebrselassie in Berlin (Foto: privat) |
Zehn Jahre lang erweiterten wir die Gebäude und beflügelten eine ganze Region. Inzwischen unterrichten an diesem Ort in einem Dutzend einstöckiger, einfacher Gebäude 21 Lehrer eine Schar von mehr als 400 Schülern. Ein Laufsportfest war angedacht, eins möglichst mit Haile.
Was ich noch zu sagen hätte
Ich habe nicht nur ein Buch über Haile Gebrselassie geschrieben. Ein anderes prägte mich persönlich noch mehr. Eins über einen Engel. In den 1980er Jahren lernte ich in der Altmark einen Läufer kennen, der damals mit seiner Philosophie und Originalität für einiges Aufsehen sorgte. Ein Engel namens Gerd Engel. Viele nannten ihn einen "Verrückten", doch was er in die Öffentlichkeit rückte, hinterließ Spuren. Ihm ging es darum, viele noch Unentschlossene zum Bewegen zu bewegen. Mit besonderen Ideen. Er initiierte Lichterläufe um den Stendaler Stadtsee mit bis zu 10 000 Teilnehmern, organisierte eine "Meilentour" durch 79 Städte seiner anhaltinischen Heimat, lief mit Staffeln vom Fichtelberg bis Kap Arkona, schaffte mit 613 Schwimmern in 12 Stunden im Stendaler Stadtbad 715 km - einen "Weltrekord". Doch er wollte bei all diesen spektakulären Aktionen immer eins: Jogger finden, die ein Leben lang laufbegeistert bleiben sollten. Sein Leitspruch hieß: "Lieber schöne Erlebnisse als Zeiten und Ergebnisse". Mit diesem hat er in etwa 40 Jahren zig Tausende in Bewegung gebracht, darunter auch mich. Und diese Devise prägte mich persönlich, aber auch mein lauf-journalistisches Leben. In unserer Leistungsgesellschaft schaffen wir nämlich nur dann Leistung, wenn wir fit bleiben. Fit aber bleiben wir nur, wenn wir all das tun, was unserer Gesundheit nutzt. Wenn wir im Laufe des Laufens erkennen, wann Bestzeiten unseren Gelenken, gar unserem Kreislauf schaden. Wenn wir nicht das Maß verlieren und anstatt unseren Körper zu schädigen, ihn erhalten. Ich kenne nur allzu viele, die das ignorierten und nun über Knie-, Hüft- oder Rückenschmerzen klagen und die Laufschuhe an irgendeinen Nagel hängen mussten.
In Anlehnung an meinen Freund Gerd Engel, der zur ostdeutschen Lauflegende wurde, hatte ich mich stets bemüht, ein moderates Training zu absolvieren, das nur vor Laufhöhepunkten wie Rennsteig, ganze oder halbe Marathons, nach Plänen modifiziert wurde. Das war bisher mein persönlicher Erfolg, mit dem ich mein "Running forever" weiterhin anstreben werde. Laufen möchte ich immer als Erlebnis betrachten können. Auch im Alter. Die neue AK 80 sah ich als besondere Herausforderung an und suchte mir gemeinsam mit dem "Vater" des Rennsteiglaufs, Dr. Hans-Georg Kremer, zur 44. Auflage 44 Mitstreiter. Mit diesen zelebrierten wir einen Erlebnis-Halbmarathon, von denen alle noch lange schwärmten. Und wir erinnerten uns an einen Ausspruch jenes Engel: "Es ist wichtig zu wollen, was man kann, und nicht zu können, was andere wollen."
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Wolfgang W. Schüler und Klaus Richter (Hrsg.) |
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