Covid 19 - Max Kirschbaum läuft den Pfälzer HöhenwegPfälzer Höhenweg über 115km und ca. 3300hm als #FKT am Pfingstsamstag |
von Holger Czäczine im Juli 2020 |
"Die Welt ist im "Lockdown". Keine Wettkämpfe, für alle. Als ich das erfuhr, steckte ich mitten in der Vorbereitung für den Weinstraßenmarathon und wollte dort mein bestes Marathonergebnis überhaupt abliefern. Man kann noch lange drüber diskutieren, so ist es, für alle und jeden. Ehrlich gesagt brauchte ich nicht lang um den richtigen "Schalter" zu finden: Da war doch was, etwas, das mir schon seit geraumer Zeit durch den Kopf schwirrt, aber aufgrund von Wettkämpfen hier, Vorbereitung dort, nie zu realisieren war. Ich wollte ihn komplett ablaufen, so schnell wie möglich und zwar am Stück. Den Prädikatswanderweg Pfälzer Höhenweg in meiner Nordpfälzer Heimat. Von Winnweiler nach Wolfstein über offiziell 115 km und ca. 3300 Höhenmeter. Normalerweise aufgeteilt in sieben Tagesetappen. Jedoch möchte ich ihn nicht einfach so ablaufen, sondern als #FKT (fastest known time/ auf Deutsch: schnellste bekannte Zeit). Noch ist es Anfang April und die allgemeinen Einschränkungen erlauben mir die Einsamkeit im Training auf diesem Fernwanderweg." |
Das ist der Einblick in die Gefühlswelt des 33jährigen Ultratrail-Läufers Max Kirschbaum aus Otterbach bei Kaiserslautern nach ca. 2 Wochen "Lockdown". Seine Vorbereitung auf diesen Solo-Ultra-Trail gestaltete Max Kirschbaum so, dass er sich für das Wochenend-Training einzelne ausgewiesene Tagesetappen vornahm. Die genaue Ortskenntnis spielte eine sehr große Rolle, da die Wegmarkierungen des Pfälzer Höhenweges teilweise nicht mehr so gut an den Bäumen sichtbar sind oder manchmal auch fehlen. Die GPS-Uhr ist auch eine große Hilfe, aber, aufgrund von Empfangsproblemen, nicht immer eine sichere Bank.
Folgende Gedanken treiben den laufenden KfZ-Technikermeister Max Kirschbaum nach 2 Wochen Lockdown weiterhin um:
"Muss ich mein Event in totaler Autonomie planen, da die Einschränkungen Anfang April so wenig Kontakt wie möglich vorsehen? Wie kann ich mich unterwegs mit Wasser und Nahrung versorgen, da ich auf diesem Terrain gute 12 Stunden für die gesamte Distanz benötigen werde?" |
Es war zugleich eine große Herausforderung für ihn, da er ja auch den Lauf als #FKT (fastest known time) absolvieren wollte. Unterwegs gab es mit Rockenhausen, Meisenheim und Lauterecken nur 3 Kleinstädte, ansonsten passiert der Höhenweg nur kleine Dörfer oder einzelne Gehöfte und Pfälzer Wanderhütten. Also plante Max an ausgewählten Streckenpunkten Boxen mit persönlicher Verpflegung, zu platzieren, analog den Verpflegungspunkten bei professionellen Trails. Die Crux war nur, die Verpflegungsboxen möglichst so gut zu verstecken, dass sie kein Wanderer schon vorher findet. Für Max Kirschbaum entfachte sich in der Vorbereitung also schon in Gedanken ein Hauch von "Geo-Caching". Als Tag "X" kamen für ihn der 23. oder 30. Mai in Frage, schließlich wurde es Pfingstsamstag, der 30. Mai 2020. An diesem Tag hatte Max Kirschbaum schon lange vor Corona die Teilnahme am Keufelskopf-Ultratrail in der Westpfalz geplant. So hatte der Otterbacher eine super gute Alternative für den Ausfall des Trails gefunden.
"Dann ist es Ende Mai, nur noch wenige Tage vor meinem Start doch soweit und die Corona-Maßnahmen werden schrittweise gelockert und es ergeben sich mehr Möglichkeiten. Sofort melden sich einige Bekannte, die mich auf jeden Fall direkt unterstützen möchten. Zuerst war ich etwas skeptisch, ob ich das alles moralisch so akzeptieren kann und doch alles nur mit meiner Freundin und unserer Tochter durchziehen soll. Aber letztendlich entschied ich mich dazu, jede Hilfe anzunehmen." |
Am Vortag machte er sich im Auto, gemeinsam mit seiner Tochter, auf den Weg, um die fünf gepackten Verpflegungsboxen zu platzieren. Am Bastenhaus bei Dannenfels, in Rockenhausen, in Obermoschel, in Meisenheim und in Lohnweiler bei Lauterecken wurden die "Verstecke" bestückt. Nun war alles bestens angerichtet, und es konnte also am frühen Morgen des Pfingstsamstag los gehen. Um 5.45 Uhr trifft sich Max Kirschbaum am Bahnhof Winnweiler zum Kurzinterview mit dem Rheinpfalz Sport-Redakteur Sebastian Stollhof. Punkt 6 Uhr mit dem Glockenschlag der Winnweilerer Kirche startet der Otterbacher mit leichter Laufjacke bei morgendlicher Frische von 6°C in Richtung Kreuzkapelle oberhalb der Brauereistadt und genießt gleich einmal die Einsamkeit des Trailers. Unterhalb des Donnersberges bekommt Max nach einer Stunde Laufzeit mit Karl-Heinz Klos, dem Organisator des Donnersberg-Trails, etwas Begleitung für ein paar Kilometer. Weiter geht es über schöne Singletrails und Serpentinen dem Donnersberg, dem höchsten Berg der Pfalz mit 687 m über NN, entgegen.
Auf den ersten 30 Kilometern sind auch die meisten Höhenmeter (bergauf und bergab) zu bewältigen. Es läuft richtig gut und die Beine sind locker an diesem Pfingstsamstag. Am steilen Anstieg zum Donnersberg packt Max zum ersten Mal die Stöcke aus und geht auch die schwierigsten Streckenpassagen, um Kräfte zu sparen. Auf dem Donnersbergplateau bewältigt Max Kirschbaum nach ca.19 Kilometern den Königsstuhl, mit 674 Metern über NN, den höchsten Punkt des Pfälzer Höhenweges. Nun geht es rasend schnell auf einem Downhill-Abschnitt in entgegengesetzter Laufrichtung des Rocky-Mountain-Berglaufs auf breiten Forstwegen zum Falkensteiner Hof. Nach einem kurzen Zwischenanstieg verläuft der Kurs von Max weiter bergab zum Bastenhaus, wo sich die erste Verpflegungsstation befindet. Schnell wird der Trinkrucksack mit Wasser aufgefüllt und die Riegel in den Seitentaschen verstaut. Laufkilometer 32 ist passiert und es läuft sehr zügig, 4:30 Min/km, Max fühlt sich trotzdem gut, die Werte passen und er sagt sich: "Wenn es läuft, dann läuft es halt ". Er denkt aber schon daran, in den Downhill-Passagen nicht zu überpacen. Es geht nun durch Ruppertsecken, das höchste Dorf der Pfalz (498m), wieder folgen Bergab-Abschnitte. Über Würzweiler und eine zugewachsene Wiese läuft Max nach Rockenhausen, die Stadt nördlich vom Donnersberg.
Nach dem steilen Anstieg am Krankenhaus der ehemaligen Kreisstadt ist bei km 48 der zweite Verpflegungspunkt eingerichtet. Max nimmt schnell eine Banane zu sich, füllt Flüssigkeit auf und verstaut wieder seine Power-Riegel. Der Kurs verläuft nun erstmal weiter bergauf, wieder werden die Stöcke genutzt, aber mit den Höhenmeter sammeln hat sich das jetzt für die nächsten Kilometer. Dennoch folgt gleich im Anschluss der schwierigste Streckenabschnitt mit grob geschotterten Forst- und Landwirtschaftswegen. Hier rutscht jeder Schritt in irgendeine Richtung und vom Streckenprofil her geht es leicht bergan und bergab. Aber gerade in dieser schwierigen Phase des Rennens gesellt sich sein Leistungsdiagnostiker Uwe Schork für ein paar Kilometer als Supporter zu ihm, und motiviert ihn, weiter durchzuhalten. Max Kirschbaum verschwindet nun in den Nordpfälzer Höhenzügen in der Nähe von Stahlberg. Vorbei an der Burg Landsberg bei km 64 gelangt er auf einen wunderschönen Trail richtig in den Flow.
![]() |
Es geht nun weiter bergab nach Obermoschel, zur dritten Verpflegungsstation. Und hier überrascht ihn zudem noch seine Familie, was Max enorm aufbaut und neue Kräfte für die restlichen schweren Kilometer frei setzt. Er überlegt kurz, seine Schuhe zu wechseln, bleibt dann aber doch bei seinen ausgewählten Asics Fuji Lyte. Es fühlt sich immer noch alles einigermaßen gut an, obwohl die lange und schwere Distanz so langsam aber deutlich in seinen Körper kriecht. Na ja, "Vorräte auffüllen und weiter geht's Max", sagt er sich. Zum zunehmenden Kräfteverschleiß kommen jetzt gerade Wege über frei liegende Felder mit viel Sonne und Wind hinzu. Doch der Otterbacher wusste, dass diese Rennphase kommen würde, zumal er jetzt auf einem Abschnitt lief, den er im Training noch nicht bewältigt hatte. Es kommt wieder etwas Schatten und Max wechselt jetzt auf eine breite Straße, die geringe Höhenunterschiede aufweist. Ein kurzer Blick auf die Uhr, der km-Schnitt liegt gerade bei 5 min, das ist okay für diese Rennphase. Immer weiter geht's, später vorbei an riesigen Windrädern, die er gerade total laut in seiner Einsamkeit als Solist empfindet. |
|
Kurze Pause im Schatten Aber gleich geht es weiter Max |
Der Kurs verläuft nun hinunter ins Dörfchen Callbach. Er genießt die relativ leicht zu laufenden Bergab-Passagen, denn der nächste steile Anstieg folgt gleich hinter dem Ort und erstreckt sich über einige km auf einem Trail. Kurzzeitig zweifelt Max ob er noch auf dem richtigen Kurs ist, aber am nächsten Baum erkennt er das Symbol des Pfälzer Höhenweges. Über einen gut zu laufenden breiten Wirtschaftsweg und einen schmalen Pfad wird der Stadtrand von Meisenheim und Streckenkilometer 79 erreicht. Da läuft Max plötzlich sein Teamkollege Jörg Kochanski von der LG Ohmbachsee entgegen. "Hallo Max du bist zu früh hier" ruft er ihm entgegen, super. Gemeinsam laufen sie nun mitten durch die historische Altstadt von Meisenheim, der Kleinstadt an der Glan. Sie müssen etwas zickzack durch die Stadt laufen, da hier jetzt am Nachmittag relativ viel los ist.
Heraus aus der Stadt geht es auf einem schmalen Weg steil bergauf, da kommen wieder die Stöcke zum Einsatz. Plötzlich macht sich die Uhr von Max bemerkbar: "Falsche Richtung". Sie müssen umdrehen und laufen in der warmen Mai-Sonne in einem weiten Bogen um Meisenheim, bevor es wieder hinaus auf die weiten Felder der Nordwestpfalz geht. Kurz vorher wird Max nochmal am vorletzten Verpflegungspunkt von seiner Familie begrüßt. Sein zeitweiliger Begleiter verabschiedete sich ein paar Kilometer weiter wieder. Max geht in sich und baut sich selbst mental auf, er beginnt die restlichen km rückwärts zu zählen. Er greift jetzt zum Power-Gel und trinkt viel Wasser dazu, um seine Depots wieder aufzufüllen und die letzten Reserven zu mobilisieren. Der Kurs verläuft später wieder bergab in die "Zivilisation", durch die Stadt Lauterecken, vorbei an Dönerläden und Schrebergärten ins Lautertal.
Max läuft nun parallel am Fluss entlang und sehnt sich nach der letzten Verpflegungsstation in Lohnweiler. Da kommt ihm schon seine Tochter entgegen, alles passt wie am Schnürchen! Jetzt gibt es Cola, Wasser, Iso und die Reiswaffeln, auf die er sich schon so gefreut hat. Die Krampfansätze an der Innenseite seiner Oberschenkel machen ihm zwar etwas Sorgen, aber es gibt nur noch einen Gedanken: "Das Ziel in Wolfstein naht", nur noch ca. 15 Kilometer, dann ist alles geschafft! Es geht nun nochmal hinaus aus dem Lautertal, mit Stockunterstützung bewältigt Max Kirschbaum den Anstieg auf den landschaftlich vielleicht schönsten Teil des gesamten Fernwanderweges. Hier ist er zu Hause in seinem Trainingsgebiet nördlich von Kaiserslautern. Das gibt ihm natürlich viel mentale Kraft für die Schlussphase seiner "Tortour".
Auf einem Hochplateau sieht er schon von weitem die beiden Burgen Alt- und Neuwolfstein. Es geht nochmal etwas bergab und sein Laufkollege Sascha Jeric vom Potzberg wartet im Schatten der Burg auf ihn und hat spontan einen kleinen Tisch mit Salzbrezeln, Nüssen, Obst und Getränken gerichtet. Was für eine Überraschung!
![]() |
Max kann gar nicht alles genießen und bevorzugt vor allem Cola und setzt sich wieder in Bewegung, denn gerade jetzt wird es immer schwerer, nach einem Stopp wieder los zu laufen. Sein Ziel liegt nur noch wenige 100m Luftlinie von ihm entfernt, aber der Höhenweg verläuft nochmal 3km hinauf zum Gipfel des Königsberges. Jetzt sind es nur noch knapp 8 Kilometer bis zum Finish in Wolfstein. Noch einmal Gel und Wasser nachfüllen und es geht nun steil bergab auf einer neu angelegten Forststraße. Kurz vor Wolfstein gibt es nochmal positive Höhenmeter hinauf zum Selberg, nach mehr als 110 Kilometern läuft es nicht mehr ganz so passabel. Aber gleicht geht's auf einem schönen Trail wieder bergab und später an der Jugendherberge vorbei, auf das breite Asphaltband der Straße in die schöne Kleinstadt hinein. |
|
Zurecht froh und stolz: Max Kirschbaum
ist den Pfälzer Höhenweg in #FKT (fastest known time) gelaufen |
Max lässt nun seinen Emotionen freien Lauf:
"Ich erreiche die Innenstadt von Wolfstein, unter dem Empfang meiner Familie, plus vier weiteren Unterstützern. Die Atmosphäre gleicht fast einem Wettkampf. Jedenfalls besitze ich zu diesem Zeitpunkt die Phantasie dazu und das ist verdammt gut so!!! In dieser Zeit braucht man so etwas!" |
Die Daten:
Mit ein paar Tagen Abstand stellt Max Kirschbaum fest, dass der Laufsport absolut krisensicher ist und vor allem absolut kreativ. Er ist sehr froh und stolz, dass er sich selbst motiviert hat, den Pfälzer Höhenweg als #FKT (fastest known time) zu laufen.
Zum Max Kirschbaum Portrait im LaufReport HIER
![]() |
Bericht von Holger Czäczine im Juli 2020 Zu aktuellen Inhalten im LaufReport HIER |
![]() |
© copyright
Die Verwertung von Texten und Fotos, insbesondere durch Vervielfältigung
oder Verbreitung auch in elektronischer Form, ist ohne Zustimmung der LaufReport.de
Redaktion (Adresse im IMPRESSUM)
unzulässig und strafbar, soweit sich aus dem Urhebergesetz nichts anderes
ergibt.