8.2.09 - Verona Marathon

Saisoneröffnung im italienischen Vorfrühling

von Ralf Klink

Ziemlich voll sind die internationalen Marathonkalender inzwischen. So langsam nähern sich die Anzahl der Veranstaltungslinks auf den Internetseiten der Datensammler vierstelligen Werten. Und einige besonders Eifrige haben sie bereits überschritten. Alleine in den Monaten April und Mai sowie September und Oktober kann der interessierte Läufer jeweils aus ein- bis zweihundert unterschiedlichen Rennen wählen. Da stehen sich in Mitteleuropa und insbesondere im deutschsprachigen Raum die Stadtmarathons regelrecht gegenseitig auf den Füssen.

Doch auch im November oder März wird es langsam schwer für die Lauf-Organisatoren einen guten Termin zu finden. Zwar bleibt diese Periode hierzulande eher den kleinen bis mittleren Veranstaltungen vorbehalten. Aber weiter im Süden ist die Saison noch bzw. schon wieder so voll im Gange, dass auch den größeren Cityläufe so langsam die freien Wochenenden ausgehen. Immer dichter rücken deshalb die Termine vor allem in Italien und Spanien von beiden Seiten an den Jahreswechsel heran, immer kürzer wird die Winterpause.

So weit nach vorne wie der Verona Marathon im Jahr 2009 hat sich allerdings von den wichtigen Rennen auch im eher milden Mittelmeerraum noch niemand gewagt. Schon am ersten Februar-Wochenende hat man sich positioniert. Und damit vor dem spanischen Dreierpack Sevilla, Valencia und Barcelona, wo in den letzen Jahren auf dem europäischen Kontinent zuerst vierstellige Teilnehmerzahlen erreicht wurden. Der lange Reigen der Stadtmarathons wird nun im Westen der italienischen Region Veneto eröffnet.

Vor dem Start Marathon-Wegweiser mit Dom im Hintergrund

Eigentlich erstaunlich, dass ausgerechnet eine so weit nördlich auf der Stiefelhalbinsel gelegene Gemeinde einen so frühen Termin wählt. Und doch so erstaunlich auch wieder nicht. Denn Florenz und Mailand zum Beispiel, wo erst am Anfang der Adventszeit die letzten wichtigen Rennen des Jahres gestartet werden, liegen ja ebenfalls in Norditalien. Noch im März wird zudem in Treviso im Osten Venetiens einer der größten Marathons des Landes gestartet werden. Und Salsomaggiore, Piacenza und Ferrara, die Austragungsorte von zwar eher mittelgroßen, aber dennoch durchaus international beworbenen Läufen zwischen Ende Februar und Mitte März finden sich in der auch nicht viel näher am Äquator gelegenen Emilia-Romagna.

Wobei allerdings ein genauerer Blick auf die Karte zeigt, dass der größte Teil der Marathons sowieso im Stiefelschaft ausgerichtet wird und die Dichte der Rennen immer mehr abnimmt, je mehr man sich seiner Spitze und dem Absatz nähert. Gelaufen wird in Italien also ohnehin eher im kühlen Norden als im heißen Süden.

Auch wenn man sich an den Verona Marathon auf diesem Termin erst neu gewöhnen muss, ist die Veranstaltung in der bereits in der Antike bedeutenden Stadt keineswegs eine echte Premiere. Denn bis zum Jahr 2007 gab es bereits sieben Austragungen, diese allerdings noch im September oder Oktober.

Dass die danach folgende eineinhalbjährige Pause mit dem Gardasee-Marathon zu tun hat, der ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt im Abstand von nur fünfzig Kilometern sowie einer Woche die Bildfläche betrat und beim Einstieg gleich eine gewisse Bedeutung erreichte, wird man auf Seite der Organisatoren wohl eher nicht zugeben. Zu vermuten ist es allerdings trotzdem.

Doch Schwächen zu zeigen, völlig ehrlich zu sein, ist auch und gerade in Veranstalterkreisen ziemlich verpönt. Da werden stets – nicht nur in Verona sondern auch anderswo – für solche Entscheidungen irgendwelche positiv klingende Begründungen vorgeschoben. Neues wird immer lauthals verkündet, für jede Erweiterung des Angebotes oder des Leistungspakets feiert man sich gerne, um in möglichst gutem Licht zu erscheinen.

Nüchtern betrachtet sieht die Sache dann manchmal allerdings ganz anders aus. Da ist vieles dann doch bei weitem nicht so positiv, wie es den Unbedarften verkauft wird. Über weggefallene Dinge, über nicht mehr Gewünschtes oder Benötigtes schweigt man sich auf der anderen Seite nämlich lieber begründungslos aus.

Das Ergebnis ist am Ende allerdings dann doch das gleiche. Der Lauf am Gardasee hat jedenfalls inzwischen den ursprünglich angestammten Termin des Verona Marathons am letzten Septemberwochenende übernommen. Und dieser ist nun eben in den frühen Februar ausgewichen.

Hinter der Brücke bei Kilometer 1

So schlecht scheint diese Entscheidung dann am Ende auch nicht gewesen zu sein. Die Teilnehmerzahlen haben sich jedenfalls gegenüber dem letzten Lauf mehr als verdoppelt. Rund viertausend Anmeldungen sind eingegangen, wie man stolz und lauthals verkündet. Gut klingende Aussagen, die bei sachlicher Betrachtung aber dann eben doch nur gut klingen. Der Inhalt ist in Wahrheit wie so oft wesentlich dürftiger. Ein Spiel mit den Emotionen, wie man es gerne treibt, um bei Gutgläubigen und Unerfahrenen etwas zu erreichen.

Denn nicht nur Läufer auf der Königsdistanz werden hier gerechnet. Zusammen mit dem ganzen wird in Verona nämlich regelmäßig auch ein halber Marathon ausgetragen. Und natürlich wirft man wie überall sonst nur mit den Gesamtzahlen um sich. Wobei man den Veronesern dabei zugute halten muss, dass – auch wenn es durchaus Erfahrungswerte gibt – sie tatsächlich nicht genau wissen, wer sich zum laufen welcher Distanz entschließt.

Gemeldet wird nämlich nur für die Gesamtveranstaltung. Noch unterwegs kann man sich entscheiden, welchen Weg man am Abzweig nimmt. Der Preis ist für alle Streckenlängen gleich. Ein Modell, dass es in Mainz zum Beispiel seit vielen Jahren gibt. Und der Verdacht, dass sich die Veroneser da bei anderen etwas abgeschaut haben, ist wohl nicht völlig abwegig.

Wobei das Startgeld – ganz egal ob für Halb- oder Volldistanzler – wie meist in südlichen Ländern ziemlich gemäßigt ist. Zwischen zwanzig und maximal dreißig Euro je nach Meldezeitpunkt gilt es zu berappen. Und zwar für ein durchaus bemerkenswertes Leistungspaket.

Neben den üblichen Werbegeschenken – für Italien passend auch in Form von Nudeln – erhält jeder Teilnehmer noch eine Umhängetasche mit dem Veranstaltungslogo. Für Vielstarter mit überquellenden T-Shirt-Beständen durchaus eine interessante Alternative. Ein Gutschein für die Pasta-Party, der interessanterweise nach dem Rennen eingelöst werden kann, ist ebenfalls im Umschlag mit der Nummer.

Den gibt es wie alles andere rund um den Lauf am ein Stück außerhalb gelegenen Messegelände. Denn nicht nur der Termin hat sich geändert. Fanden sich früher Start und Ziel direkt in der historischen Altstadt, ist man nun in die Fiera di Verona umgezogen. Deutlich weniger spektakulär, aber eben recht praktisch. Startnummerausgabe, Marathonmesse, Nudelparty, Toiletten, Duschen und sogar der Zieleinlauf – noch so etwas, wofür es in Deutschland gleich mehrere Vorbilder gibt – lassen sich alle in einer einzigen Halle finden.

Und an Parkplätzen herrscht sowieso kein Mangel. Schließlich verkraftet man bei der hier ebenfalls veranstalteten Vinitaly, eine der größten, wenn nicht sogar die größte Weinmesse überhaupt, sechsstellige Besuchermassen. Alleine die Zahl der Aussteller bewegt sich dabei in ähnlichen Regionen, wie der Marathon an Teilnehmer zu bieten hat.

Porta Nuova

Auch die Bezeichnung „Marathon Citta dell’ amore“ ist beim Umzug verloren gegangen. Was jedoch keineswegs daran liegt, dass Verona nicht mehr als „Stadt der Liebe“ – eine Bezeichnung, mit der sich neben Verona auch andere Kommunen wie zum Beispiel Venedig oder Paris gerne einmal schmücken – für sich werben würde. Das tut man nach wie vor. Und die Souvenirgeschäfte haben sich mit ihrem in der Regel ziemlich kitschigen Angebot mehr als nur ein bisschen darauf eingestellt.

Hauptursache für dieses Hervorheben von Herzensangelegenheiten ist eine Geschichte, die angeblich hier stattgefunden hat und vor über vierhundert Jahren ausgerechnet einen Briten zu einem Theaterstück inspirierte, das einer der größten Erfolge aller Zeiten werden sollte. Die Rede ist von Shakespeare und seinem „Romeo und Julia“.

Doch wie so oft im Leben ist bei genauerem Hinsehen dabei wenig, wie es auf den ersten, nur oberflächlichen Blick erscheint. Vieles ist da gar nicht romantisch, sondern am Ende eher ernüchternd, einiges sogar ziemlich enttäuschend. Um etwas zu erreichen wird die Wahrheit auch hier gerne einmal verbogen, ist absolute Ehrlichkeit nicht wirklich gefragt.

Denn selbst wenn man sich überall in Verona auf Romeo und Julia beruft und dabei versucht den Touristen glauben zu machen, sie würden mit jedem Schritt den Spuren des berühmten Paares folgen, historisch gesichert ist an den geschilderten Ereignissen eigentlich gar nichts. Einzig der im Drama erwähnte langjährige Konflikt zwischen den beiden Familien der Capuleti und der Montecchi lässt sich noch einigermaßen belegen.

Und persönlich betreten hat der große englische Dichter – von dem es ironischerweise über seine Stücke hinaus ebenfalls kaum historische Zeugnisse gibt und der deshalb selbst ein ziemliches Mysterium ist – die Stadt an der Etsch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nie. Er kannte die von ihm geschilderten Orte nur vom Hörensagen oder hat sie sogar frei erfunden.

Der Erste, der die Geschichte zu Papier gebracht hätte, war er zudem auch nicht. Die Handlung und die Hauptpersonen stammen keineswegs von ihm. Schon drei Generationen bevor Shakespeare sich des Stoffes annahm, tauchen Giulietta und Romeo sowie der Handlungsort Verona in einer italienischen Erzählung auf. Er selbst hat ihn nur von einem anderen Engländer übernommen, der sich auf einen Franzosen bezog, der sich wiederum bei einem Italiener bedient hatte.

Das Motiv der aufgrund einer Kette von Zufällen und Fehlentscheidungen der Beteiligten tragisch endenden Liebe, der von den Gefühlen ins Verderben Geführten allerdings lässt sich über das Mittelalter hinaus sogar bis in die Antike zurück verfolgen. Die griechische Mythologie kennt zum Beispiel die Legende von Hero und Leander mit durchaus vergleichbarem Ausgang. Auch die Sagen über Pyramus und Thisbe oder Tristan und Isolde griffen ähnliches schon lange vor Shakespeare auf.

Dass dennoch ausgerechnet aus Romeo und Julia das wohl bekannteste Pärchen der Literaturgeschichte wurde, ist am Ende also wohl doch eher zufällig. Verona selbst hat jedenfalls nicht allzu viel dazu beigetragen.

Dabei hätte es Verona doch gar nicht nötig, so einseitig auf diese recht plumpe Werbeidee zu setzen. Denn die Stadt, die dort gelegen ist, wo die letzten Ausläufer der Alpen in die Poebene übergehen, hat auch ansonsten mehr als genug zu bieten. Die auf einer durch eine Schleife der Etsch gebildeten Halbinsel errichtete Altstadt zählt längst zum UNESCO-Weltkulturerbe.

Auf Corso Porta Nuova Portoni delle Bra

Bis in römische Zeit lässt sich die architektonische Geschichte in Verona zurück verfolgen. Etliche historische Baudenkmäler aus unterschiedlichsten Epochen sind übrig geblieben. Es gäbe auch ohne Romeo und Julia so viel zu sehen. Doch selbst wenn der Marathon auf den Namen “Citta dell’ Amore“ im Logo inzwischen verzichtet hat, im Text der Ausschreibung zieht man diese Karte auch weiterhin.

Für die Italiener – und wohl insbesondere für die Sponsoren – zückt man allerdings noch einen weiteren Trumpf. Denn den Organisatoren ist es gelungen, Stefano Baldini für ihr Rennen zu verpflichten. Der inzwischen fast achtunddreißigjährige Marathon-Olympia-Sieger von Athen 2008 hat zwar nach seinem zwölften Platz in Peking die internationale Karriere angeblich beendet. Und er läuft auch nur die Halbdistanz. Aber als Aushängeschild kann er noch immer absolut dienen. Natürlich bekommt er den größten Applaus, als er vor dem Start vorgestellt wird und ein paar Worte an die Mitläufer richtet.

Für das Wetter können die Veranstalter zwar wenig, doch auch dieses trägt an jenem Sonntagmorgen seinen Teil zum Gelingen des Neueinstiegs bei. War der Freitag noch bis in den Abend eher verregnet und wechselten sich am Samstag sonnigere Abschnitte mit ziemlich trüben Momenten ab, ist für den Sonntag zwar anfangs kühle aber durchgängig trockene Witterung angekündigt. Das Risiko des sehr frühen Datums wird also nicht mit winterlichen Verhältnissen bestraft. So richtiges Frühjahr ist es allerdings auch noch nicht. Vorfrühling könnte man es vielleicht nennen.

Vorhergesagte Tageshöchsttemperaturen im Bereich von zehn Grad lassen unter den Läufern, die sich bei noch morgendlicher Frische in ihren durch die unterschiedliche Farbe der Nummern abgegrenzten Startblöcken einfinden, nahezu jede nur denkbare Bekleidungskombination entdecken. Vom Netzhemd bis zur Winterlaufjacke ist alles vertreten.

Dabei kann man aber von Glück sagen, wenn man sich trotz des kurzen Weges aus der warmen Halle zur Startlinie auf der Hauptstraße vor dem Messegelände nicht gar zu dünn angezogen hat. Denn nachdem das Feld zur vorgesehenen Startzeit von 9:30 seine Position eingenommen hat, passiert erst einmal gar nichts. So nach und nach rückt man dann aber doch damit heraus, dass man die „Partenza“ um fünfzehn Minuten verschieben muss.

Das Verkehrsaufkommen sei im Innenstadtbereich noch zu hoch, die zu belaufenden Straßen noch nicht frei. Dabei war doch für dieses Datum nicht nur ein Marathon sondern auch ein „domenica ecologica“, ein ökologischer Sonntag mit deutlich eingeschränktem Autoverkehr angekündigt. Das hat wohl nicht ganz so geklappt wie geplant. Doch darauf, dass in der Organisation wirklich alles perfekt funktioniert, kann man sich auch und gerade in Italien eben nicht verlassen.

Mit ein Viertelstunde Verspätung geht es dann aber doch los. Und das langsam etwas frierende Läufervolk bekommt die Gelegenheit wieder warm zu werden. Wenig interessant ist der Anfangsteil. Man könnte ihn mit etwas bösem Willen sogar fast schon als abstoßend bezeichnen. Die weite Ausfallstraße bietet dem Feld zwar schnell Platz zur Entfaltung. Doch rundherum gibt es hauptsächlich Baustellen oder – noch schlimmer – Verfall. Gleich nach dem Start ist so etwas eigentlich kein Problem.

Piazza Bra

Doch auf dieser Straße geht es eben auch zurück. Und bei einem deutlich ausgedünnten Feld schlägt eine so lange, breite Gerade insbesondere in so einem Umfeld doch ein wenig aufs Gemüt. Ein Triumphzug, eine überwältigende Zielgerade sieht definitiv anders aus. Zumal es auf Hin- und Rückweg auch jeweils noch eine Brücke zu bewältigen gilt.

Das Bild ändert sich erst, als man nach deutlich über einem Kilometer die Bahngleise unterquert. Denn damit hat man nun den eigentlichen Stadtkern erreicht. Die als Park dienenden Bollwerke der in der Renaissance errichteten Festung von Verona, die man nun vor sich hat, sind dafür ein ziemlich eindeutiger Beleg. In einer Lücke zwischen den Wällen erhebt sich die wuchtige Porta Nouva.

Das Mitte des sechszehnten Jahrhunderts errichtete „neue Tor“ diente auch drei Jahrhunderte später den Österreichern noch als einer der Haupteingänge in ihrem immer weiter ausgebauten Festungsring. Mit dem Ende der Napoleonischen Ära hatte nämlich die Donaumonarchie die Herrschaft über Venetien übernommen. Und während sich weiter im Süden die italienischen Kleinstaaten langsam zu einem vereinigten Königreich zusammen fanden, wurde Verona bis 1866 von Wien aus regiert.

Doch nun flattert seit langem die italienische Fahne über dem Tor. Nach ihrer schweren Niederlage gegen Preußen mussten die Habsburger die Region an den südlichen Nachbarn abtreten. Daneben bewegt sich ein gelbes Kreuz auf blauem Grund im Wind. Wer aber glaubt, das habe etwas mit Schweden zu tun, der irrt. Verona kann zwar durchaus auf eine wechselvolle Geschichte mit vielen verschiedenen Herren zurück blicken, doch Wikinger waren keine dabei.

Bei genauerem Hinsehen erkennt man dann auch, dass das Kreuz genau mittig und nicht leicht versetzt wie bei den skandinavischen Flaggen sitzt. Es ist die Fahne der Stadt selbst, die sich so präsentiert. Blau und gelb sind die Farben von Verona. Beim Betrachten der Startnummer hat man das darauf abgedruckte Stadtwappen vielleicht auch schon entdeckt.

Sogar die Hinweisschilder, die den Marathonis an vielen Kreuzungen den Weg zeigen, sind ja in blau-gelb gehalten. Und einige ganz verrückte Fußballfans werden sich vielleicht erinnern, dass genau in dieser Kombination der inzwischen völlig in der Versenkung unterer Ligen verschwundene Club Hellas Verona mit deutscher Hilfe einmal die italienische Meisterschaft gewann.

Palazzo Barbieri Arena

Ein breiter Boulevard, der Corso Porta Nuova nimmt die Läufer auf, nachdem sie das Stadttor, das zugegebenermaßen auch schon bessere Zeiten gesehen hat, halb umrundet haben. Praktisch jeder, der in Verona ankommt, nimmt ihn. Es ist die Haupteinfallstraße in die Innenstadt. Denn es ist nicht nur der kürzeste Weg zur Autostrada, auch der Veroneser Hauptbahnhof liegt direkt neben dem Stadttor. Passenderweise heißt er deshalb auch nicht „Centrale“ sondern ebenfalls „Porta Nuova“. Und am Bahnhofsvorplatz kommen auch die Busse an, durch die Verona mit dem vom Stadtzentrum etwa fünfzehn Kilometer entfernten Flughafen verbunden ist.

In der Mitte zieht sich ein Grünstreifen entlang, rechts und links wechseln sich moderne Neubauten und Häuser, deren Bauphase in Deutschland als Gründerzeit bezeichnen würde, ab. Rund in der Hälfte davon sind entweder Banken oder Hotels untergebracht. Und zwar ebenfalls schön im Wechsel. Von nun ab gilt es unbedingt die Augen offen zu halten, um möglichst wenig zu verpassen. Denn obwohl der Kurs nicht allzu lange durch den doch eher kleinen Stadtkern verläuft, werden etliche der wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Stadt direkt passiert.

Die Straße wird etwas schmaler, der Grünstreifen endet, der Asphalt wird von Kopfsteinpflaster abgelöst. Vor den Läufern taucht ein Doppelbogen auf, der von seltsam wirkenden, mit ihrer abgerundeten Kerbe fast an einen Schwalbenschwanz erinnernden Zinnen gekrönt wird. Sie werden den Marathonis aber in den nächsten Minuten noch öfter begegnen. Auch der neben dem Tor aufragende fünfeckige Wachturm trägt sie.

Das Portoni delle Bra ist Bestandteil der mittelalterlichen Mauer, der zweiten Befestigungsanlage, von der die Stadt Verona in früheren Zeiten umgeben war und von der auch noch einiges erhalten ist. Läufer, die ohne Uhr am Handgelenk unterwegs sind, können zwischen den Bögen übrigens dennoch ihre ungefähre Zwischenzeit ablesen. Die Zeiger der dort eingelassenen Uhr sollten definitiv groß genug sein.

Die Verengung der Straße war nur von kurzer Dauer. Denn direkt hinter dem Tor läuft man auf die Piazza Bra hinaus. Der weite Platz trägt seinen Namen völlig zurecht, denn abgeleitet ist er vom Wort „Braida“, das aus Venetischen – aufgrund der großen Unterschiede von manchen Sprachwissenschaftlern schon nicht mehr als italienischer Dialekt sondern als völlig eigenständige Sprache betrachtet – stammt und bei etwas Phantasie des Lesers seine Verwandtschaft mit dem deutschen „breit“ nicht verleugnen kann.

Die im Bogen angeordneten und in warmen Farben gestrichenen Häuser sind eines der beliebtesten Fotomotive der Stadt. Und die darin untergebrachten Cafés locken nicht nur im Sommer die Gäste. Schon im Februar, im italienischen Vorfrühling sind etliche Stühle unter den grünen Schirmen belegt. Hier ist die Promeniermeile der Stadt. Und hier stehen auch ein paar Zuschauer, von denen es ansonsten entlang der Strecke eher wenig gibt.

Arena

Sogar eine Militärkapelle bringt hier schmissige Märsche unters Volk. Überhaupt setzt man beim Verona Marathon ziemlich stark auf die Unterstützung des italienischen Heeres. Armeeangehörige helfen beim Aufbau und Absperrung, geben Startnummern aus und auch einige Verpflegungsstände sind von ihnen besetzt.

Zum ersten Mal geht es auf der Piazza Bra auch an der Arena vorbei. Das antike Amphitheater ist zwar ein wenig kleiner als sein Gegenstück in Rom, zählt aber dennoch zu den größten seiner Art in ganz Europa. Immerhin rund 150 Meter misst das riesige Oval in der Länge. Und ungefähr gleich alt wie das Kolosseum ist die Arena auch, inzwischen knappe zweitausend Jahre. Im Gegensatz zu diesem ist sie aber auch heute noch in Benutzung.

Eigentlich müsste man sagen: „Wieder in Benutzung“. Denn nachdem sie im Mittelalter durch ein Erdbeben ziemlich beschädigt worden war, nutzen die Veroneser ihr heutiges Wahrzeichen eine Zeit lang sogar als Steinbruch. Das Innenleben liegt aufgrund dieser Umstände nun nahezu völlig offen. Die Katastrophe hat die ursprüngliche Fassade zum Einsturz gebracht. Vom äußeren Ring, der das Bauwerk früher umgab, sind lediglich vier Bogenelemente übrig geblieben. Normalerweise überragen sie deutlich sichtbar die Arena. Doch im Vorfrühling 2009 sind sie zur Renovierung eingerüstet und hinter Planen versteckt.

Nachdem das alte Amphitheater nahezu ewige Zeiten im Dornröschenschlaf gelegen hatte, kamen die Veroneser Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts dann auf die Idee, im noch einigermaßen gut erhaltenen Innenraum Opern aufzuführen. Zum einhundertsten Geburtstag von Giuseppe Verdi 1913 spielte man erstmals „Aida“ darin. Auch dank einer hervorragenden Akustik, die jedes Wort weit hinein ins Rund trägt, war die Premiere ein voller Erfolg. Jedenfalls wurde aus den Opernfestspielen schnell eine dauerhafte Einrichtung. Längst haben sie einen internationalen Ruf und locken jeden Sommer Scharen von Touristen in die Stadt.

Selbst wenn man dabei die theoretisch in die Arena passenden Besucherzahlen aus Sicherheitsgründen inzwischen nach oben begrenzt hat, lauschen dennoch immerhin rund 15.000 Menschen bei jeder der meist restlos ausverkauften Vorstellungen der Musik. Zur Zeit der Römer verfolgten sogar doppelt so viele Menschen die dort veranstalteten Gladiatorenkämpfe.

Natürlich werden dabei angesichts der monumentalen Umgebung monumentale Opern bevorzugt. Für Aida scheint das antike Bauwerk sowieso wie gemacht. Da werden neben mehr als einer Hundertschaft von Darstellern durchaus schon einmal lebende Pferde und Kamele auf die Bühne gebracht. Nicht nur ein akustisches sondern vor allem auch ein optisches Erlebnis. Aida ist definitiv die Pflichtveranstaltung der Veroneser Festspiele. Zumal diese Geschichte ebenfalls einen mit „Romeo und Julia“ durchaus vergleichbaren tragischen Ausgang hat.

Wer mit dem Flugzeug anreist, wird übrigens schon bei der Ankunft mit Aida begrüßt. Denn dort stehen mitten zwischen den Gepäckbändern einige meterhohe ägyptische Götterfiguren, die vor einigen Jahren von der Bühnendekoration übrig geblieben sind.

Aber auch Bizets Carmen lässt sich mit Dutzenden von Komparsen in der Arena entsprechend gigantisch inszenieren. Das in Sevilla spielende Stück ist die am zweithäufigsten auf dem Programm stehende Oper. Ob es ein Zufall ist, dass auch Carmen alles andere als ein Happy End hat? Vielleicht tatsächlich. Vielleicht aber auch nicht.

In den Altstadtgassen Am Casa de Giulietta Herzen an der ... ... Piazza delle Erbe

Nummer drei in der Rangliste ist nur knapp dahinter, das wie Aida ebenfalls in der Antike spielende Nabucco. Bombastische Inszenierungen bieten sich auch hier an, sind in der Arena fast schon garantiert. Mit Aufholen wird es 2009 allerdings nichts. Denn Carmen steht auf dem Programm, Nabucco dagegen nicht.

Dafür hat man in diesem Jahr zum Beispiel noch den Barbier von Sevilla und Tosca im Angebot. Alles – bei aller den Geschichten meist zugrunde liegenden Schwermut – sicher eher die leichtere Variante des Genres, mit einigen auch dem breiten Publikum bekannten Melodien. Aber eben die Möglichkeit, selbst Leute einmal in eine Oper zu bringen, die in einem normalen Theater wohl kaum je eine Vorstellung besucht hätten.

In Deutschland wäre eine Veranstaltung mit so vielen Menschen in einem solchen Bauwerk angesichts der Sicherheitsbestimmungen wohl nur schwer zu verwirklichen. Und in Amerika würde alleine der Gedanke an irgendwelche Schadenersatzklagen jeden davor zurück schrecken lassen. Doch in Bella Italia stört man sich deutlich weniger an schon ziemlich abgerundeten Stufen – einige neue kantige Steine zeugen davon, dass hier zumindest regelmäßig nachgebessert wird – oder an den völlig fehlenden Geländern der Treppen im Innenraum.

Dennoch ist es wirklich erstaunlich, eigentlich schon fast sensationell, dass dieser Vorläufer moderner Stadien auch fast zweitausend Jahre nach der Erbauung noch immer seinen Zweck so gut erfüllt. Die heutigen Nachfolger gelten ja schon nach wenigen Jahrzehnten als völlig veraltet und werden deshalb um- oder sogar neugebaut.

Auch wenn für den Besuch normalerweise sechs Euro fällig wären, können die Marathonis ohne großen Aufwand und Kosten den Zustand der Arena begutachten. Denn am Laufwochenende ist der Eintritt in alle Baudenkmäler der Stadt für sie frei. Den Startunterlagen liegt ein Pass bei, mit dessen Vorzeigen man überall einfach durch gewunken wird, statt für eine Tageskarte zehn Euro zu zahlen. Unter Berücksichtigung dieser Zugabe erscheint die für einen Stadtmarathon ohnehin niedrige Startgebühr noch ein wenig interessanter.

Im großen Bogen geht es um die auf der Piazza befindliche Grünanlage mit dem Springbrunnen in der Mitte herum. Das Gebäude mit den Säulen, auf das man dabei zuläuft, ist der Palazzo Barbieri, das neue Rathaus der Stadt. Mit seiner neoklassizistischen Architektur passt es, obwohl es nicht einmal ein Zehntel der Jahre auf dem Buckel hat, durchaus einigermaßen zum antiken Bauwerk.

Eine gute halbe Runde um die Arena später verschwindet der Kurs endgültig in einer engen Altstadtgasse. Und nach einem Linksschwenk hat man den angeblich meistbesuchten Ort von Verona erreicht. Das ist nämlich nicht das alte Amphitheater sondern die Casa de Gulietta, das Haus der Julia, auf das man im Vorbeilaufen einen kurzen Blick werfen kann. Wie vieles an der Geschichte von der großen Liebe ist auch dies ziemlich ernüchternd und desillusionierend.

Piazza delle Erbe - Palazzo del Comune Piazza delle Erbe - Torbogen mit Mammutrippe Piazza delle Erbe - Palazzo Maffei mit Markuslöwe

Nicht dass der berühmte Balkon definitiv nachträglich und wesentlich später in das allerdings tatsächlich mittelalterliche und der Familie Capuleti gehörende Haus eingebaut wurde, um schon vor Jahrhunderten die Touristen zu locken, ist das schlimmste daran. Auch wenn es die Veroneser angesichts des nicht abreißen wollenden Besucherstroms lieber verschweigen würden, kann man das überall nachlesen.

Aber fast jeder dieser „Gäste“ meint, sich auch dort verewigen zu müssen. Unzählige Pärchen haben ihre Namen an die Wänden der zum Innenhof führenden Eingangshalle gekritzelt oder geritzt. Und wenn dort kein Platz mehr war, hat man eben auf der Straßenfront weiter gemacht. Entsprechend sieht es dort auch aus. Als ob ein paar einfach nur dahin geschmierte Silben irgendeinen positiven Einfluss auf Emotionen haben könnten.

So manche mit Graffiti besprühte Bahnunterführung macht jedenfalls einen weniger verschandelten Eindruck. Dabei wird doch auf den Tafeln vor dem Eingang des als Museum dienenden Hauses in etlichen Sprachen gebeten, wenn man unbedingt etwas mitzuteilen hätte, doch die extra dafür angebrachten Briefkästen zu nutzen. Wirkliche Post scheint jedoch darin kaum zu landen.

Die meisten, die da ihre Herzchen malen, blenden ohnehin wohl den größten Teil der angeblichen Geschehnisse aus, sehen im ersten Moment nur die positiven Augenblicke in der Romanze. Vermutlich sind sie sich unter dem bekannten Balkon ja auch gar nicht bewusst, dass die Protagonisten ihre Liebe nicht lange überlebt haben. Für diese Geschichte passt sicher das Bonmot von der Leidenschaft, die Leiden schafft.

Die Geschäfte rund um die Casa de Giulietta haben das ganze Jahr über Herzen im Angebot, doch in diesen Wochen ganz besonders. Auch viele anderen Schaufenster sind entsprechend verziert. Selbst über der Straße baumeln sie von dort herab, wo nur einen guten Monat zuvor noch die Weihnachtsbeleuchtung hing. Die Stadt begeht das Festival „Verona in Love“.

Immer rund um den Valentinstag werden Konzerte und Ausstellungen passend zum Thema veranstaltet. In vielen Restaurants gibt es unter „Due Cuori a Tavola“ – zwei Herzen am Tisch – die entsprechenden Menus. Und nun hat man auch den Marathon mit dem nach Giulietta und Romeo getauften Halbmarathon in die Festtage integriert. Im Jahr 2010 wird er höchstwahrscheinlich sogar direkt am Valentinstag ausgetragen.

Ein wenig – nein wohl eher sogar ziemlich – aufgesetzt und gekünstelt wirkt das ganze irgendwie schon. Und beim Betrachten des Programmheftes scheint manches einfach mit Gewalt in diesen Rahmen gepresst worden zu sein, um wenigstens ein bisschen mehr bieten zu können. Doch man würde nicht das ganze nicht schon zum wiederholten Male aufziehen, wenn niemand darauf angesprungen wäre.

Piazza delle Erbe - Casa dei Mercanti Piazza delle Erbe - Torre di Lamberti Piazza delle Erbe - Case di Mozzanti

War es bisher schon schwer, alles was es am Streckenrand zu sehen gab, in der Kürze der Zeit aufzunehmen, wird es mit Erreichen der Piazza delle Erbe nun endgültig unmöglich. Denn wirklich nahezu jedes der Gebäude, die den Platz umgeben, hat seinen eigenen Eintrag im Reiseführer. Und obwohl sie aus unterschiedlichen Epochen mit ganz unterschiedlichen Stilen stammen, wirkt das Gesamtbild trotzdem recht harmonisch.

Da wäre auf der rechten Seite zum Beispiel der Palazzo del Comune und der aus ihm aufragende Torre di Lamberti. Von dem – wie in Verona durchaus üblich – abwechselnd aus hellen Natur- und roten Backsteinen erbauten Turm bietet sich ein herrlicher Blick über das Häuser- und Gassengewimmel der Veroneser Altstadt.

Dabei muss man nicht unbedingt die ganzen achtzig Meter zur obersten Plattform über die Treppen erklimmen. Ein moderner Aufzug nimmt Fußlahmen oder auch einfach nur Faulen einen guten Teil des Weges ab. Sowohl die Stufen als auch der Lift sind für die Läufer übrigens ebenfalls kostenlos. Der Verona Marathon Pass macht’s möglich.

Gegenüber ragen die mittelalterlichen Schwalbenschwanzzinnen des Casa dei Mercanti über die darunter liegende Bogenhalle, in der sich einst die Kaufleute trafen. Mitten auf dem Platz steht der Capitello, ein überdachtes Podest, von dem einst der auf der Piazza versammelten Bevölkerung wichtige Entscheidungen aus dem dahinter gelegenen Rathaus verkündet wurden.

Vom Palazzo del Comune spannt sich in beträchtlicher Höhe ein Bogen über das zum dritten zentralen Platz von Verona – der mit einem Denkmal für den italienischen Nationaldichter Dante und weiteren prächtigen Palazzi aufwartenden Piazza die Signori – führende Gässchen. Die an ihm baumelnde Rippe eines Mammuts wird man zwar wohl kaum als echte Sehenswürdigkeit bezeichnen, ein beliebtes Fotomotiv ist sie aber trotzdem.

Der Bogen führt hinüber zu einer mit Case di Mazzanti bezeichneten Häusergruppe. Fresken aus der Renaissance schmücken die oberen Stockwerke der im Erdgeschoss meist von Cafés belegten Gebäude. Vor den Tischen plätschert der Marktbrunnen mit der sogenannten Madonna Verona in der Mitte – einer aus der Antike stammenden Statue. Nicht nur räumlich sondern auch zeitlich den Abschluss der Bebauung bildet dann am Kopfende des Platzes der barocke Palazzo Maffei.

Und dann ist da noch eine Säule mit einer Figur, die man eher hundert Kilometer weiter östlich erwarten würde. Denn es handelt sich unverkennbar um einem Markuslöwen, dem Symbol der früheren Großmacht Venedig. So verwunderlich ist das Ganze aber nun auch wieder nicht. Schließlich herrschte nach dem endgültigen Untergang der Veroneser Stadtrepublik fast vier Jahrhunderte lang der venezianische Doge über Region und Kommune.

Corso Porta Corsari Porta Borsari Porta Borsari

Ein letzten Blick auf den Uhrturm Torre dello Gardello mit der nächsten Zwischenzeit, dann hat der Kurs die Piazza delle Erbe verlassen und ist in den Corso Porta Borsari eingeschwenkt. Die wie so viele Straßen in der Veroneser Altstadt, in die man ohnehin nur zu bestimmten Uhrzeiten einfahren darf, ebenfalls verkehrsberuhigte Gasse – nahezu alles innerhalb der mittelalterlichen Mauern ist „Zona a Traffico Limitato“ – bringt die Läufer zum gleichnamigen römischen Stadttor.

Es ist das einzige so gut erhaltene. Von der römischen Mauer, die sich als älteste und engste der drei nacheinander errichteten Befestigungsanlagen über die Etschhalbinsel zieht, ist nicht ganz so viel übrig geblieben wie von ihren mittelalterlichen und neuzeitlichen Nachfolgern weiter draußen. Die Stadt ist regelrecht über sie hinweg gewachsen.

Den Pallazzi der weiter immer geradeaus führenden nun aber nach einem der Väter der italienischen Einigung im neunzehnten Jahrhundert Corso Cavour heißenden Straße folgt mit dem Arco dei Gavi allerdings noch eine weitere antike Sehenswürdigkeit. So ganz original ist der Triumphbogen jedoch nicht mehr. Denn nachdem ihn in den napoleonischen Kriegen französische Truppen zerstört hatten, wurde er später nach alten Zeichnungen aus den Trümmern wieder zusammen gesetzt.

Inzwischen scheint man es den Franzosen jedoch wieder ein bisschen nachmachen zu wollen. Denn nicht nur das Casa de Giulietta auch der Arco dei Gavi ist zumindest bis zur ohne Hilfsmittel erreichbaren Höhe restlos mit Farbe verschmiert. Warum man sich ausgerechnet dieses eigentlich doch recht harmlose Objekt ausgesucht hat, um es so zu beschädigen, bleibt jedenfalls ein ziemliches Rätsel.

Auch das daneben gelegene Castelvecchio wurde in der Zeit Napoleons weiter lädiert - es war zuvor schon ziemlich verfallen - und erst später wieder zu voller Pracht restauriert, in der es jetzt erneut erstrahlt. Die alte Burg wird rundherum ebenfalls von jenen für Verona irgendwie typischen Backsteinzinnen mit der Kerbe in der Mitte gekrönt. Inzwischen ist in einem der Trakte das wohl bedeutendste Kunstmuseum der Stadt untergebracht.

Erbaut wurde das Kastell aber im vierzehnten Jahrhundert als Rückzugsraum für die Herrscherfamilie der Skaliger. Und zwar nicht vor äußerer Bedrohung sondern eher vor der eigenen Bevölkerung. Denn insbesondere Cangrande della Scala war selbst für die bekanntlich sowieso nicht gerade zimperlichen mittelalterlichen Verhältnisse als grausamer Tyrann verschrien. Dass er ausgerechnet von seinem eigenen Bruder ermordet wurde, zeigt allerdings, dass auch andere aus der die Stadt regierenden Sippe vermutlich kaum besser waren.

Palazzo in Corso Cavour Palazzo in Corso Cavour Castelvecchio

Kaum zwei Kilometer hat der Ausflug in die Altstadt gedauert. Und nachdem man noch in der Nähe des Schildes mit der fünf – originellerweise werden diese vom italienischen Sportartikelhändler „kmsports“ gesponsert – im Vorbeilaufen einen Blick auf die Kirche San Zeno werfen konnte, verlässt man den sehenswertesten Teil Veronas schon wieder, bevor das Rennen eigentlich wirklich angefangen hat. Das erneute Passieren des Renaissance-Festungsrings, diesmal von innen nach außen, ist dafür das endgültige Zeichen.

Es geht auf einer nun nur noch halbseitig gesperrten Straße erst in die Wohnvororte und dann sogar aus der eigentlichen Stadt hinaus. Zwar gehören die kleinen Streusiedlungen und Gewerbebetriebe, die man nach dem Überqueren der Etsch durchläuft noch immer zu Verona. Doch die nächsten immer wieder auch einmal von Grünflächen und sogar Ackerland gesäumten Kilometer wirken fast schon ländlich. Die Fläche der immerhin eine Viertelmillion Einwohner zählenden Gemeinde dehnt sich weit ins Umland aus. Und mancher Stadtteil ist eigentlich ein Dorf.

Auch Parona di Valpolicella, wo es nach zehn Kilometern zum zweiten Mal etwas zu trinken gibt, hat so gar nichts mehr von Großstadt. Das Angebot ist durchaus vielfältig. Wasser, Tee, Mineralgetränke und später auch Cola gibt es alle fünf Kilometer. Dazu auch noch Obst in Form von Bananen oder Orangen. Jeweils dazwischen zusätzlich noch Schwammstellen, die angesichts der recht kühlen Witterung zwar nicht nötig, im Reglement aber eben vorgesehen sind.

Doch nicht die Auswahl an den Versorgungsstellen ist das Problem. Zumindest bis sich die beiden Strecken geteilt haben, ist der Andrang manchmal so groß, dass die Helfer mit dem Einschenken einfach nicht mehr nach kommen. Man könnte auch sagen, die Stände sind etwas zu dünn besetzt. Wieder eines der durchaus noch vorhandenen kleinen Mängel in der Organisation. Aber man ist eben in Italien.

Nicht nur die erste Zwischenzeitmatte ist in Parona erreicht sondern auch der erste Wendepunkt. Die nördliche Schleife endet hier und der Kurs der bisher ein Stück von der Etsch entfernt verlief, schwenkt in einer Kehre von 180 Grad nun auf die Uferstraße ein, der man jetzt bis ins Stadtzentrum zurück folgen wird.

Der große Star Stefano Baldini rechtfertigt seine Verpflichtung voll und ganz. Denn gemeinsam mit Luigi la Bella und dem Marokkaner Hakim Radoum biegt er als Erster auf den Rückweg ein. Nur wenig über drei Minuten hat die Spitzengruppe bisher pro Kilometer benötigt. Roman Weger vom LC Villach, einer der in durchaus beachtlicher Zahl angereisten Österreicher liegt als Vierter etwa eine halbe Minute zurück.

Verlassen des Stadtkerns am Festungsring Parona di Valpolicella ... ... bei Kilometer 10

Eigentlich kann man den Läufern ja nicht ansehen, wer da auf welcher Strecke unterwegs ist. Doch dass aus der Gruppe mit den Kenianern John Karobia Kanyriri, Joel Yego Kiptanui und Eliud Kibet Kirui sowie dem Äthiopier Teferi Kebebe Balcha, die eine weitere halbe Minute später vorbei kommt, der Marathonsieger hervorgehen wird, darauf kann man schon hier durchaus wetten. Die seltsame Situation, die bei manchen deutschen Läufen auftritt, wenn die schnellsten Marathonläufer vor den ersten Halbdistanzlern vorbei kommen, gibt es auch dank Baldini jedenfalls nicht.

Noch keine zwanzig Männer haben Parona passiert, da eilt nach gut 34 Minuten auch schon Rosaria Console durch den Ort. Die 2:27-Läuferin, die neben Siegen in Wien, Padua und Carpi schon in Rom, Paris, Mailand und Turin auf dem Treppchen stand, hat zwischen sich und die Marokkanerin Khadija Arafi bereits fast zwei Minuten gelegt.

Die Besetzung scheint abgesehen von der überragenden Italienerin, die aber angesichts ihrer Zwischenzeit definitiv nur Halbmarathon läuft, bei den Frauen deutlich schwächer zu sein. Denn bis Marilena Curelli und die Äthiopierin Shetaye Bedasa Ordofa durch sind, vergehen drei weitere vollständige Umläufe des Sekundenzeigers. Und die für einen italienischen Club laufende und inzwischen auch mit italienischem Pass versehene gebürtige Kenianerin Josephine Wangoi Njoki ist sogar nur im Vier-Minuten-Schnitt unterwegs.

Der Weg entlang der Adige, wie die Etsch ja im Italienischen genannt wird, ist zwar nicht wirklich spektakulär aber durchaus reizvoll. In weitem Bogen nähern sich Fluss und Läufer der Stadt. Fast zehn Kilometer werden die Marathonis praktisch ununterbrochen nun seinem Bett folgen, für die Halbdistanzler sind es auch immerhin sieben. Nur langsam geht dabei das Ländliche verloren. Erst als man nach einem Drittel der Strecke – wohlgemerkt der langen Strecke – unter der vorhin überquerten Brücke durchkommt, wird es wieder ein wenig urbaner.

Es dauert dann aber doch noch ein ganzes Stück, bis man erneut im Stadtzentrum angekommen ist. Als am anderen Ufer der Etsch der schon vom Hinweg bekannte Campanile von San Zeno auftaucht, gilt es sich jedoch wirklich langsam zu entscheiden, ob man noch ein bisschen weiter laufen oder doch lieber den direkten Weg zum Ziel nehmen möchte. Denn bereits bei Kilometer 17,5 ist in Verona die Marathonweiche.

Rechts ab, über den Fluss und direkt hinein in die Altstadt oder doch lieber weiter geradeaus auf die nun nach Osten führende lange zweite Schleife. Nun auf beiden Strecken gibt es jetzt wieder etwas zu sehen. Wobei die Läufer des Halbmarathons eigentlich das größere Schmankerl vorgesetzt bekommen.

Am Etschufer

Denn der Weg ans andere Etschufer führt zuerst über den Ponte Scaligero und dann mitten durchs Castelvecchio. Die kopfsteingepflasterte Skaligerbrücke ist ein echtes Unikat. Von hohen Mauern und Backsteinzinnen – natürlich wieder mit der Kerbe in der Mitte – gesäumt, hat sie eigentlich wenig von einem reinen Flussübergang, sondern ist eher eine Befestigungsanlage.

Angeblich wurde die Brücke gemeinsam mit der Trutzburg erbaut, um Cangrande della Scala – dessen Name wörtlich übersetzt übrigens „großer Hund von der Leiter“ bedeutet – im Notfall einen Fluchtweg aus der Stadt offen zu halten. Geholfen hat ihm auch das am Ende nicht wirklich. Ein Beispiel dafür, wie wenig auch ein freier Rücken und all die Mauern rundherum bringen können, wenn man dann den Falschen vertraut und sie zu dicht an sich heran lässt.

In der ursprünglich geplanten und in der Ausschreibung abgedruckten Streckenführung war auch für den Marathon die Überquerung der Skaligerbrücke vorgesehen. Über die nächste Brücke etschabwärts, der mit pompösen Denkmalen versehen Ponte della Vittoria sollte es wieder auf die linke Flussseite zurückgehen. Man hat aus welchen Gründen auch immer darauf verzichtet und während die Halbmarathonis also dem Ziel entgegen streben, folgen die Langstreckler weiter der Uferstraße.

Stefano Baldini wird seiner Favoritenrolle zwar gerecht und liegt an der Spitze des Feldes, doch auch auf dem Weg zum zweiten Besuch der Arena und der Piazza Bra hat er seinen hartnäckigen marokkanischen Begleiter Hakim Radoum nicht abschütteln können. Und das wird auch bis zum Einlauf in der Messehalle so bleiben. Denn zeitgleich werden die beiden am Ende gewertet.

Der Olympiasieger ist jedoch einen Schritt weiter vorne. Ob beide dabei wirklich bis zum letzten Meter durchziehen oder ob Radoum sich nicht der Majestätsbeleidigung schuldig machen will und Baldini den Vortritt lässt, sei dahin gestellt. Auf jeden Fall hat man in Verona den gewünschten Sieger. Wenn es auch keine absolute Weltklassezeit mehr ist, für einen eigentlich vom Leistungssport Zurückgetretenen sind 1:04:49 ein durchaus beachtenswertes Ergebnis.

Am Etschufer

Luigi la Bella kommt nicht ins Ziel. Und so steht Roman Weger in 1:06:07 auf der dritten Stufe des Treppchens. Dahinter folgen mit Hicham el Barouki (1:07:24), Saad Ribag (1:07:43) und Boushaibe Radouane (1:09:05) drei weitere Marokkaner. Der auch hierzulande ganz gut bekannte Südtiroler Hermann Achmüller kommt auf Rang acht mit 1:09:51 als letzter unter die siebzig Minuten.

Nur noch einen weiteren Mann lässt Rosaria Console den Vortritt, dann läuft sie als Gesamtzehnte bereits nach 1:11:58 mit großem Vorsprung ins Ziel ein. Hinter der Siegerin werden noch 473 Frauen und 2069 Herren folgen. Khadija Arafi hat am Ende über einen Kilometer Rückstand, läuft erst die Brücke hinauf, als die Italienerin bereits im Ziel ist, doch muss sich die 1:16:19 benötigende Marokkanerin auch nicht mehr nach möglichen Verfolgerrinnen umsehen. Denn Marilena Curelli und Shetaye Bedasa Ordofa spurten erst weitere fünf Minuten später um den dritten Platz. Die Italienerin hat schließlich mit 1:21:02 die Nase um eine Sekunde vorne.

Die Marathonis können inzwischen den Blick über den Fluss auf die Altstadt genießen. Der Turm des Domes ragt weit aus den Häusern, nicht ganz so hoch wie der Torre di Lamberti, aber dennoch unübersehbar. An zwei weiteren sehenswerten Kirchen, San Giorgio und Santo Stefano, läuft man direkt am Ufer vorbei, bevor an der Spitze der Etschhalbinsel die älteste Brücke der Stadt – wenn schon nicht auf Überquerung dann doch zumindest auf Betrachtung – wartet.

Wobei der Ponte Pietra in seiner jetzigen Erscheinung dann doch nicht wirklich so alt ist. Hier an der strategisch wichtigen Furt errichteten zwar die Römer bereits eine Brücke, diese wurde aber wie auch die Skaligerbrücke am Castelvecchio im zweiten Weltkrieg zerstört und erst später unter Benutzung der noch zu findenden Trümmer nach alten Plänen wieder neu aufgebaut. Wenn auch also nicht mehr ganz im Originalzustand, sehenswert ist sie – und der dazugehörende Brückenturm auf der Altstadtseite – auf jeden Fall.

Nicht nur die Arena haben die Römer in Verona hinterlassen. Auch noch ein antikes Theater – mit allerdings deutlich kleinerem Fassungsvermögen – haben sie in die hier direkt hinter der Stadt beginnenden Hügel hinein gebaut. Und dieses Bauwerk – wenn auch noch etwas stärker in Mitleidenschaft gezogen – wird im Sommer ebenfalls für Konzerte und Aufführungen unter freiem Himmel genutzt.

Km 17 mit Kirche San Zeno

Dieser Teil der Uferstraße trägt den Namen Lungadige Re Teodorico. Sie ist benannt nach dem Ostgotenkönig Theoderich, der in der Völkerwanderungszeit über Italien herrschte und Verona neben Ravenna zu seinem Herrschaftssitz machte. In der deutschen Sage ist er als Dietrich von Bern erhalten geblieben.

Was auf den ersten Blick seltsam und geographisch völlig verkehrt wirkt, deutet nur auf die alte deutsche Bezeichnung für Verona hin. Um die Verwirrung komplett zu machen: Bern in der Schweiz heißt auf Italienisch zwar inzwischen „Berna“, war aber im Mittelalter ebenfalls unter dem lateinischen Namen „Verona“ bekannt.

Nicht nur der Name ist ähnlich. Auch die exponierte Lage auf einer Flusshalbinsel ist identisch. Auf der Karte sehen beide im ersten Moment fast genauso aus. Alle zwei Altstädte stehen zudem auf der UNESCO-Liste. Und wenn bei entsprechend guter Sicht hinter der Stadt die verschneiten Gipfel der nahegelegenen Alpen auftauchen, kann man sich in Verona sehr wohl ziemlich an Bilder aus der Schweizer Hauptstadt erinnert fühlen.

Hinter dem römischen Theater verabschiedet sich der Kurs von der Adige. Und als man in der Nähe der Halbmarathonmarke wieder eines der vielen noch erhaltenen Stadttore passiert, hat man das Zentrum von Verona zum zweiten Mal hinter sich gelassen. Die vier Afrikaner laufen auch bei Halbzeit immer noch einträchtig nebeneinander her. Die Zwischenzeit von knapp 67 Minuten, mit der sie die Matte zum piepen bringen, deutet auf eine 2:13 oder 2:14 im Ziel hin.

Die Italiener Antonio Santi, Pietro Colnaghi und Diego Abbatescianni sowie der zwar mit einem marokkanischen Pass aber für einen italienischen Club laufende Abdelhafid el Hachlimi sind erst fünf Minuten später an diesem Punkt.

Josephine Wangoi, die am Abzweig als Erste auf die Marathonstrecke eingeschwenkt ist, hat inzwischen Gesellschaft bekommen. Marjia Vrajic, die an der Wende noch ordentlichen zurück hing, hat das Loch zur Führenden inzwischen zugelaufen. Doch für diese mutige Aufholjagd wird die Kroatin, die einhundert Kilometer schon unter acht Stunden zurückgelegt hat, am Ende dann aber heftig bezahlen. Das Tempo ist mit 1:26:56 für eine Läuferin, die normalerweise einen Marathon um die drei Stunden laufen kann, aber eigentlich noch akzeptabel.

Die Halbzeitergebnisse von Maria Grazia Navacchia (1:31:02) und Federica Poesini (1:31:37) deuten allerdings darauf hin, dass man diese Marke nicht einmal erreichen muss, um noch aufs Treppchen zu laufen und sich dabei etliche hundert Euro Preisgeld zu verdienen. Bis zum zehnten Platz werden bei Damen und Herren – wie in Italien üblich ganz offen ausgeschriebene – Prämien ausgeschüttet.

Skaligerbrücke und Castelvecchio Skaligerbrücke

Nicht allzu lange hält man sich noch in den Wohnvororten auf, dann wird es wieder ziemlich ländlich. Noch einmal geht es aus der Stadt hinaus. Vermutlich die deutlich bessere Wahl, als die Läufer immer wieder in Schleifen durch irgendwelche gesichtlosen Gewerbegebiete oder Neubausiedlungen zu schicken. Verona selbst ist wie viele andere Kommunen – auch in Deutschland – jedenfalls eigentlich zu klein, um einen richtigen Stadtmarathon auszurichten. Da sind Kompromisse gefragt.

Zumal einige der schmaleren Straßen, die man auf dem Weg über Land beläuft, doch deutlich weniger befahren und mit abzusichernden Kreuzungen versehen sind als ihre Gegenstücke im Stadtbereich. Da ist es auch gar nicht so schlimm, wenn man sich manchmal nicht sicher ist, auf welcher Seite der Hütchen, die eine Fahrspur für das Läuferfeld freihalten, man sich denn nun überhaupt bewegen soll.

Den Autofahrern geht es in diesen Fällen allerdings meist ähnlich. Und in der Regel verlaufen diese Aufeinadertreffen bei etwas gegenseitiger Rücksichtnahme recht problemlos ab. Der eine oder andere Hitzkopf meint allerdings auch, seinem Ärger über die durch Absperrungen verlorene Zeit mit einem Griff auf die Hupe oder einem Tritt aufs Gaspedal Luft machen zu müssen.

Zwischen Obstplantagen geht es hinter Kilometer 25 hinüber nach Montorio, auch so ein verwaltungstechnisch zu Verona gehörendes Dorf. Die Autobahn, die um Verona herum führt, hat man da schon überquert ohne es richtig zu merken. Denn sie verläuft an dieser Stelle in einem kleinen Tunnel unter der Laufstrecke. Oben auf einem Hügel thront das Castello di Montorio, das ursprünglich aus dem Mittelalter stammt und dann später als Vorposten Bestandteil der österreichischen Verteidigungsanlagen war.

Wirklich hinein kommt man nach Montorio dann aber doch nicht. Man läuft eigentlich nur einen kleinen Schlenker und dann gleich wieder auf der gleichen Seite hinaus, aus der man auch gekommen ist. Montorio ist der zweite Wendepunkt des Kurses. Kurz bevor man zwei Drittel der Distanz in den Beinen hat, beginnt der Rückweg.

Eine diesmal durchaus spür- und sichtbare Brücke über die Autobahn und ein kleines Begegnungsstück, auf dem ein paar fehlende Meter geschunden werden, führen hinüber zu Kilometer dreißig. Hier ist dann doch schon eine erste Vorentscheidung im bisher so einträchtigen Quartett aus Ostafrika gefallen. Denn Eliud Kibet Kirui und Teferi Kebebe Balcha haben sich inzwischen deutlich abgesetzt. Joel Yego Kiptanui liegt bereits drei, John Karobia Kanyriri, der nicht ins Ziel kommen wird, sogar fast fünf Minuten zurück.

Nur noch zwei streiten sich um den Sieg. Denn dass von den schon erwähnten nächsten vier noch einer heran kommen könnte, ist bei einem Rückstand von nun schon rund neun Minuten selbst bei einem Einbruch der Führenden eigentlich nicht mehr zu erwarten.

Skaligerbrücke

Josephine Wangoi läuft inzwischen wieder vier Minuten vor Marjia Vrajich her. Der Kroatin kommt die bereits in der W55 startende Maria Grazia Navacchia immer näher. Die nicht einmal halb so alte Federica Poesini kann das Tempo dagegen nicht mehr ganz halten und fällt etwas ab.

Noch einmal läuft man ein Stück von der Innenstadt weg, bevor dann endlich eine mehrere Kilometer lange Gerade die Türme der Altstadt langsam näher kommen lässt. Auch hier ist eine Fahrspur für den Marathon abgetrennt, aber der Verkehr ist auf dieser Hauptausfallstraße doch deutlich dichter. So ist denn auch niemand wirklich böse, als hinter der Verpflegungsstelle bei Kilometer 35 der Schwenk um eine Wallanlage anzeigt, dass es nun wirklich nicht mehr weit zum verkehrsberuhigten Bereich sein kann.

Wenig später ist man dann auch wieder an der Etsch angelangt und folgt ihr diesmal ein Stück flussaufwärts zum Ponte Navi. Die schon im dreizehnten Jahrhundert errichtete Kirche San Fermo, auf die man über die Brücke zuläuft, lässt man nicht links sondern rechts liegen. Denn gleich, nachdem man die Adige überquert hat, verschwindet der Kurs wieder in ein Altstadtgässchen.

Die mittelalterliche Mauer führt die Marathonis vier Kilometer vor dem Ziel zurück zur Piazza Bra. Hier war früher auf der alten Strecke das Rennen vorbei. Mit einem für Verona absolut typischen Motiv, nämlich der Arena im Hintergrund lief man über die Linie. Eine Parallele zu Rom, wo der Marathon ja bekanntlich vor dem Kolosseum beginnt und endet. Doch nun steht, nachdem man das Amphitheater noch einmal halb umrundet hat, noch ein langer, zudem eher trister Rückweg an.

Er ist sogar noch ein wenig länger als der Hinweg, denn den Anmarsch von der Messehalle zur Startlinie gilt es nun auch noch im Laufschritt zu bewältigen. Erst nach einem Zickzack-Kurs über den Hof darf man endlich über einen blauen Teppich das Ziel ansteuern. Ein wenig hat man sich dabei zum Beispiel mit Lichtstrahlern bestimmt sicher auch am Einlauf in der Frankfurter Festhalle orientiert.

Doch ganz so extrem ist das ganze nicht aufgezogen. Disco-Atmosphäre herrscht keine. Verdunkelt ist die Halle jedenfalls nicht. Was aber auch gar nicht ginge, da ja Verpflegungsstraße und die Sporttaschen-Ausgabe direkt neben dem Zieleinlauf liegen. Und die Halbmarathonis schon längst auf der anderen Seite beim Essenfassen sind.

Skaligerbrücke

Die meisten wenigstens. Denn eine gute Hundertschaft von ihnen ist noch unterwegs, als Teferi Kebebe Balcha bereits von der doppelt so langen Distanz zurück kommt. Er hat am Ende dann doch noch einmal deutlich zugelegt und seinen letzten kenianischen Begleiter auch noch abgeschüttelt. Mit 2:12:30 ist er sogar um einiges schneller, als es die Zwischenzeit bei Halbzeit vermuten ließ. Die musste er allerdings auch laufen, um die vollen dreitausend Euro Siegprämie zu erhalten, denn eine halbe Minute später wären es aufgrund der Zeitstaffelung schon fünfhundert weniger gewesen.

Eliud Kibet Kirui folgt eine Minute später in ebenfalls noch überzeugenden 2:13:38. Doch dann klafft schon eine gewaltige Lücke. Es ist nicht der vollkommen einbrechende Joel Yego Kiptanui, der als Dritter ins Ziel kommt. Diego Abbatescianni fängt den Kenianer (2:24:48) kurz vor dem Ziel noch ab und schiebt sich mit drei Sekunden Vorsprung aufs Treppchen. Die Italiener Antonio Santi (2:25:02) Abdelhafid el Hachlimi (2:26:23) und Pietro Colnaghi (2:27:30) bleiben ebenfalls noch unter 2:30.

War bei den Männer die höchstmögliche Siegprämie fällig, müssen die Organisatoren bei den Damen kaum in die Tasche greifen. Denn Josephine Wangoi verfehlt nach 2:51:41 auch den letzten Schwellenwert von 2:50 und bekommt mit 650 Euro nur den Minimalbetrag ausgezahlt.

Für Marjia Vrajic bleibt am Ende zwar immerhin gut die Hälfte des Geldes, aber ob die Kroatin mit ihrem siebten Platz, auf den sie mit ihrer 3:13:28 durchgereicht wird, zufrieden ist, darf wohl bezweifelt werden. Keinen Einbruch erlaubt sich Maria Grazia Navacchia, die mit 3:03:52 Gesamtzweite wird und die komplette deutlich jüngere Konkurrenz düpiert. Federica Poesini verliert zwar auf dem Schlussabschnitt weiter an Boden auf die schnelle Seniorin läuft sich aber in 3:09:39 immerhin aufs Podest, das die Linzerin Christina Khinast (3:10:59) als Vierte um eine gute Minute verfehlt.

Skaligerbrücke und Castelvecchio Ponte della Vittoria

Es sind nicht ganz die erhofften tausend Marathonläufer, denen im Ziel das – selbstverständlich blau-gelbe – Medaillenband umgehängt werden kann. 847 Männer und 109 Frauen werden in der Ergebnisliste aufgeführt. Der erste europäische Marathon, der die Marke durchbrechen kann, wird wohl auch 2009 in Spanien ausgetragen. Doch was in diesem Jahr nicht ist, kann im nächsten ja vielleicht doch noch werden.

Zwar ist dann vielleicht – selbst wenn es ja eigentlich keine Premiere nur ein Wiedereinstieg war – die Neugier im Läufervolk ein wenig abgeklungen. Aber eventuell haben die Veroneser bis dahin ja auch die letzten kleinen organisatorischen Schwächen ausgemerzt. Und vielleicht nehmen dann nicht nur die Läufer sondern auch die Einwohner den Marathon noch besser an.

Sicher eilt man bei diesem Marathon nicht von einem optischen Höhepunkt zum nächsten. Doch das tut man in New York ja auch nicht und alles strömt dorthin. Die Passagen der Innenstadt führen die Läufer jedenfalls in kürzester Zeit an nahezu allem vorbei, was Verona zu zeigen hat. Und auch der Rest des Kurses ist durchaus abwechslungsreich und keineswegs langweilig.

Zwar ist der Lauf bestimmt kein absolutes Muss, aber wenn man eine Möglichkeit sucht, die Saison früh zu eröffnen, liegt man gerade angesichts des Preis-Leistungs-Verhältnisses mit Verona nicht wirklich daneben. Das Wetter sollte dabei allerdings schon mitspielen. Bei einem Termin Anfang Februar in Norditalien ist und bleibt da ein Unsicherheitsfaktor.

Doch es könnte sein, dass durch den Marathon auch einige Läufer merken, dass diese Stadt einiges Interessantes zu bieten hat. Vielleicht bleibt am Ende ja doch mehr hängen als nur eine unglücklich endende Romanze.

Bericht und Fotos von Ralf Klink

Infos und Ergebnisse unter: www.veronamarathon.it

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