22.8.15 - 2. Ultravasan Sälen - Mora (Schweden)

In der Spur der Väter

von Ralf Klink

"I fäders spår för framtids segrar", so lautet der Wahlspruch des Wasalaufes. In Deutschland, wo man in dieser Beziehung vielleicht besonders sensibel ist, würden diese Worte von den meisten wohl ein wenig zu schwülstig und pathetisch empfunden. Denn sie lassen sich ungefähr mit "in der Spur der Väter zu den Siegen der Zukunft" übersetzen. Für schwedische Ohren hingegen ist der Halbsatz nicht nur völlig akzeptabel. Er ist zudem im ganzen Land auch absolut legendär.

Schließlich gibt es weltweit nur wenige Sportveranstaltungen, die in ähnlicher Form eine lange Tradition und eine hohe Teilnehmerzahl miteinander verbinden, wie das über neunzig Kilometer führende Skirennen. Immerhin schon seit 1922 wird auf der traditionellen Strecke von Sälen nach Mora gelaufen. Eine Absage wegen zu wenig Schnee im Jahr 1990 sowie zwei wetterbedingte Rennabbrüche in den Dreißigern sind die einzigen Lücken einer fast ununterbrochenen Liste. Langsam nähert man sich also der hundertsten Auflage.

Ein riesiges Areal von der Größe mehrerer Fußballfelder bildet den Start der Wasalaufstrecke zwischen Sälen und Mora
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Das Starterfeld hat sich dabei seit der Premiere, bei der 119 Läufer das Rennen aufnahmen und alle bis auf zwei auch ins Ziel kamen, um mehr als den Faktor hundert vergrößert. Seit vor fast vierzig Jahren diese Schallmauer von zehntausend Meldungen erstmals durchbrochen wurde, tritt jedes Mal eine fünfstellige Zahl von Ausdauersportlern zum Lauf an. Und es könnten noch deutlich mehr sein, wenn sich die Organisatoren nicht irgendwann auf eine - aktuell bei 15800 Startplätzen liegende - Obergrenze festgelegt hätten.

Dass es trotzdem immer wieder neue Teilnehmerrekorde gibt, hängt mit dem inzwischen über mehr als eine Woche ausgedehnten Veranstaltungsprogramm zusammen. Es beginnt neun Tage vor dem eigentlichen Hauptlauf mit "Kortvasan", bei dem es über das letzte Drittel der Strecke geht und zehntausend Startplätze zur Verfügung stehen. Ein Blick in die Ergebnislisten der letzten Jahre belegt unter Berücksichtigung der üblichen Ausstiegsquoten, dass diese auch nahezu alle vergeben werden.

Einen Tag nach dem "kurzen Wasa" - denn nichts anderes bedeutet die Bezeichnung - sind dann samstags auf dem gleichen Kurs bei "Tjejvasan" noch einmal genauso viele Frauen unterwegs. Dass auch der Lauf der "Mädels" - das bedeute "tjej" nämlich übersetzt - natürlich ausgebucht ist, versteht sich fast genauso von selbst wie die Tatsache, dass nirgendwo auf der ganzen Welt mehr Skilangläuferinnen gemeinsam an einer Startlinie stehen wie im kleinen schwedischen Dörfchen Oxberg.

Keine vierundzwanzig Stunden später geht es im traditionellen Startort Sälen weiter. Erstmals in der Wasalaufwoche nehmen Sportler die Originalstrecke unter die Latten - allerdings ganz ohne Renncharakter, Rangliste und Siegerehrung bei der sogenannten "Öppet Spår". Und da die erneut zehntausend Nummern noch schneller vom Markt sind als bei den Läufen der beiden Tage zuvor, gibt es montags das gleiche noch einmal mit achttausend Teilnehmern.

Nach so viel Belastung hat die Strecke ein wenig Ruhe verdient. Doch schon am Donnerstag steht für sie durch "Halvvasan" die nächste Aufgabe an. Dieses Rennen beginnt zwar ebenfalls in Oxberg, wird aber durch eine Zusatzschleife auf fünfundvierzig Kilometer gebracht. Und trotz des Termins mitten in der Arbeitswoche kamen bei der letzten Austragung weit über viertausend Läufer und damit so viele wie nie zuvor ins Ziel. Es dürfte nicht mehr lange dauern, bis auch dort das bei achttausend Startern liegende Limit erreicht wird.

Das Haus am "Vasaloppsstarten" ähnelt den Bauernhöfen, die man unterwegs passieren wird

Freitags können zudem noch bis zu zweitausend Fünferstaffeln - in diesem Fall gibt es hinsichtlich der Auslastung tatsächlich noch etwas Luft nach oben - auf die ganz lange Strecke gehen, bevor endlich - in der Regel am ersten Märzsonntag - der eigentliche Höhepunkt auf dem Programm steht. Alles in allem laufen innerhalb dieser leicht verlängerten Woche annähernd fünfzigtausend Menschen durch das in Mora stehende Zieltor.

Auf diesem kann man keineswegs jenes "mål" lesen, das in den skandinavischen Sprachen "Ziel" bedeutet. Es zeigt vielmehr in einer längst vollkommen aus der Mode gekommenen Frakturschrift das bereits zitierte Motto der Veranstaltung. Seit vielen Dekaden ist der Einlauf zwölf Monate im Jahr fest montiert und eine der touristischen Hauptattraktionen des ansonsten nicht wirklich spektakulären und eher verschlafenen Städtchens in Mittelschweden. Doch inzwischen sind es auch während der warmen Jahreszeit nicht mehr einzig und allein Besucher, die den Zieleinlauf im Spazierschritt und mit umgehängter Kamera passieren.

Neben "vinterveckan" - übersetzt "die Winterwoche" - haben die Organisatoren des Wasalaufes nämlich nun als zweiten sportlichen Höhepunkt der waldreichen, aber ziemlich dünn besiedelten Region Dalarna Mitte August noch "sommarveckan" ins Programm genommen.

Angefangen hat man dabei mit Mountain-Bikern, die aus einem recht ähnlichen Angebot wie die Skilangläufer wählen können. Denn auf größtenteils identischen Strecken gibt es da "Cykelvasan 90k", "Cykelvasan Öppet Spår 90k", "Cykelvasan 45k" und "Cykelvasan 30k". Und auch hierbei sind die Gesamtteilnehmerzahlen innerhalb kurzer Zeit fünfstellig geworden, was angesichts des magischen Klanges, den der Name "Wasalauf" in Skandinavien und natürlich insbesondere in Schweden besitzt, aber eigentlich gar nicht so erstaunlich ist.

Endgültig zur "Woche" wurde die Sommervariante, als man im Jahr 2014 zusätzlich noch einen Ultramarathon ausschrieb und auf das den Radrennen folgenden Samstag terminierte. Am verwunderlichsten daran ist vielleicht nur, dass es bis zur Premiere so lange dauerte. Denn wenn man im Vorfeld die Möglichkeiten einer neuen Laufveranstaltung über eine so lange Distanz in Nordeuropa hätte prognostizieren sollen, wären die neunzig Kilometer zwischen Sälen und Mora wohl ganz sicher erste Wahl gewesen.

Deswegen dauerte es nach Öffnung des Meldeportals auch gerade einmal eine halbe Stunde, bis die 750 für die Erstauflage vorgesehenen Startnummern vergeben waren. Da es sich bei den Registrierten hauptsächlich um Schweden handelte, legten die Organisatoren anschließend noch einmal einhundert Plätze nur für internationale Teilnehmer nach. Diese wurden dann ebenfalls innerhalb weniger Tage unter die Leute gebracht.

Egal ob auf Ski, mit dem Rad oder zu Fuß, das ganze Jahr sei in der "Spur der Väter" etwas los, verkündet die Tafel am Start nicht zu Unrecht

Verglichen mit dem "echten" Wasalauf ist diese vermeintliche Rekordgeschwindigkeit allerdings fast schon lächerlich. Denn bei der Anmeldung für das Rennen 2016 wurde die erst ein Jahr zuvor aufgestellte Marke von zweiundneunzig Sekunden noch einmal unterboten. Diesmal dauerte es nur ganze dreiundachtzig Sekunden, bis sich 15800 Sportler in die digitale Startliste eingetragen hatten. An diesem Sonntagmorgen Ende März dürften die Internetleitungen in Schweden wohl für eineinhalb Minuten fast geglüht haben.

Für die zweite Austragung der kurz und bündig "Ultravasan" getauften Veranstaltung haben die Organisatoren nach der gelungenen Premiere das Teilnehmerlimit noch einmal erhöht. Nun lägen theoretisch immerhin fünfzehnhundert Nummern bereit. Und auch die kann man fast vollständig unters Läufervolk bringen. Keine zweihundert Plätze sind bis zum Wettkampfwochenende für die besonders lange Zögernden übrig geblieben.

Weit weniger interessant scheint hingegen die ebenfalls ausgeschrieben Halbdistanz zu sein. Denn bei der "kurzen" Alternative kommt man "nur" auf knapp fünfhundert Anmeldungen. Schon im Jahr zuvor stand sie ein wenig im Schatten der klassischen neunzig Kilometer. Doch während dort dank der größeren Kontingente Zuwächse zu verzeichnen sind, gehen die Zahlen für die Nebenstrecke sogar erkennbar zurück.

Am Ende werden nicht einmal vierhundert Namen - und damit mehrere Dutzend weniger als bei der Erstauflage - in den Ergebnislisten stehen. Die Vermutung, dass der eine oder andere, der 2014 keine Startnummer für den "Langen" mehr ergattern konnte, die fünfundvierzig Kilometer als eine Art "Notlösung" akzeptierte, um überhaupt dabei sein zu können, ist angesichts dieser Werte vielleicht nicht völlig abwegig.

Und selbst wenn es sich um die traditionelle Strecke der Skisportler handelt, dürfte so mancher Läufer die Distanz in die Kategorie "nicht Fisch und nicht Fleisch" einsortieren. Für einen normalen Marathon ist sie eben ein klein bisschen zu lang geraten. Als echter Ultra geht sie aber irgendwie auch noch nicht durch. Dafür ist eine Abweichung von gerade einmal drei Kilometern - also nicht einmal zehn Prozent - dann nämlich auf der anderen Seite wieder zu gering.

"Ultravasan 45" ist dann auch noch ein bisschen stärker schwedisch dominiert als sein großer Bruder. Doch auch über die "nio mil" - im Norden Europas ist es absolut üblich, Entfernungen in "Meilen" anzugeben, die skandinavische Variante hat allerdings eine Länge von zehn Kilometern - stellen die Einheimischen vier Fünftel des Feldes. Und ansonsten kommen einzig Norweger, Dänen und Finnen auf mehr als ein oder zwei Hände voll Teilnehmer.

Doch nicht einmal die größte Gruppe aus "Norge" schafft es in die Dreistelligkeit. Eine Tatsache, die angesichts der geographischen Lage durchaus etwas erstaunen kann. Die mittelschwedische Landschaft Dalarna, in der das Rennen stattfindet, grenzt schließlich auf einem recht langen Stück direkt ans westliche Nachbarland. Und vom Startplatz in Sälen wäre man - ganz egal ob zu Fuß oder mit dem Auto - wesentlich schneller in Norwegen als am Ziel in Mora.

Selbst von diesem fast genau in der Mitte der Provinz gelegenen Städtchen ist der Weg nach Oslo eigentlich nicht wirklich weiter als der zur an der Ostküste gelegenen Hauptstadt Stockholm. Bis Göteborg, der schwedischen Nummer zwei, wäre die Fahrt sogar deutlich länger. Doch trotz der räumlichen, kulturellen und sprachlichen Nähe - Schwedisch und Norwegisch sind weitestgehend gegenseitig verständlich - bleibt man tendenziell eher auf der jeweils eigenen Seite.

Neben dem Startareal, dessen enorme Ausmaße durch dauerhafte Werbebanden und die fest montierten Schilder für die einzelnen Startblöcke klar zu erkennen sind, steht das Zelt in dem die "Nummerlappar" ausgegeben werden

Auch beim "richtigen" Wasalauf ist das Verhältnis zwischen den beiden Nationen übrigens meist ungefähr zehn zu eins zugunsten der Schweden. Für das norwegische Gegenstück - den ähnlich großen, exakt ein Jahrzehnt jüngeren und traditionell über vierundfünfzig Kilometer von Rena nach Lillehammer führenden Birkebeinerlauf - lassen sich dann noch etwas extremere Werte in genau der umgekehrten Richtung ermitteln. Bevor man nun aber gar zu falsche Schlüsse zieht, sollte man sich die Landkarte vielleicht doch noch einmal etwas genauer ansehen. Denn sogar unter der Berücksichtigung aller schmalen Nebenstrecken gibt es auf den etwa zweihundert Grenzkilometern, die Dalarna mit Norwegen teilt, eigentlich nicht mehr als ein halbes Dutzend hinüber führende Straßen. Und die dortige Region Hedmark ist sogar noch dünner besiedelt als die zwar fast die Fläche von Nordrhein-Westfalen besitzende, aber keine dreihunderttausend Menschen zählende schwedische Provinz.

Die Einzugsgebiete für Sportveranstaltungen im menschenleeren Skandinavien müssen abseits der wenigen Großstädte ganz unabhängig von der jeweiligen Disziplin jedenfalls in vollkommen anderen Dimensionen gedacht werden als im dicht bewohnten Mitteleuropa. Jede Woche ein Rennen fast vor der eigenen Haustür, wie man es hierzulande längst gewohnt ist, ist nahezu utopisch, sofern man nicht in Oslo, Stockholm oder Göteborg lebt. Längere Anreisen sind für Läufer im Nordeuropa jedenfalls absolut normal.

Nicht nur für die überschaubare Menge internationaler Teilnehmer ist aus diesem Grund also eine Übernachtungsmöglichkeit unbedingt von Nöten. Die Mehrzahl der bei Ultravasan - oder auch bei den Rennen auf Skiern oder dem Mountain-Bike - antretenden Schweden dürfte am jeweiligen Rennwochenende ebenfalls nicht im eigenen Bett schlafen. Doch bevor man dies tun kann, muss man sich entscheiden, ob man lieber im Start- oder im Zielort Quartier beziehen möchte.

Für Ultravasan 45 lässt sich die Frage eigentlich recht zügig klären. Denn während es in Mora mit seiner etwa zehntausend Köpfe zählenden Bevölkerung eine ganze Reihe von Unterkünften gibt, sind diese in Oxberg, das inzwischen kaum noch die Marke von einhundert Einwohnern übertrifft, absolute Mangelware. Die gerade einmal dreißig Straßenkilometer, die zwischen beiden Orten liegen, sind mit den vom Veranstalter angebotenen, aber eigens zu buchenden und zu bezahlenden Shuttle-Bussen zudem schnell überbrückt.

Im Falle des Neunzigers sieht dies dann allerdings schon ganz anders aus. Dabei gilt es zuerst einmal die Startzeiten zu bedenken. Denn während man die "kurze" Distanz morgens um neun Uhr in Angriff nehmen darf, beginnt der eigentliche Klassiker - trotz gerade einmal zweier Austragungen des Ultras dürfte die Verwendung dieses Begriff angesichts der langen Geschichte des Skirennens wohl auf eher wenig Widerspruch treffen - bereits vor Sonnenaufgang um fünf.

Für das nicht einmal zehn Prozent der Teilnehmer des Skirennens umfassende Läuferfeld reicht ein deutlich kleinerer Startbereich auf dem Parkplatz vollkommen aus

Auch in diesem Fall gibt es Busse, mit denen die Teilnehmer für umgerechnet fast fünfundzwanzig Euro zum Startplatz transportiert werden. Allerdings starten sie bereits um halb drei mitten in der Nacht. Etwas überspitzt gesagt, könnte man sich also durchaus fragen, ob es überhaupt nötig ist, von Freitag auf Samstag ein Hotel zu buchen. Viel Schlaf dürften die Langstreckler, die sich für Mora als Standort entscheiden, vor dem Rennen auf keinen Fall bekommen.

Wer in Sälen Quartier bezieht, hat zwar ebenfalls eine eher kurze Nacht vor sich. Doch fällt diese immerhin noch etwa zwei Stunden länger aus. Dafür ist man allerdings nahezu unvermeidlich auf das Auto - sei es nun das eigene oder ein angemietetes - angewiesen. Denn der in Schweden recht populäre Wintersportort ist keineswegs eine geschlossene Siedlung sondern besteht hauptsächlich aus mehreren weit auseinander liegenden Ferienhausgebieten am Fuß der jeweiligen Lifte. Die Unterkünfte verteilen sich deswegen in einem Radius von etlichen Kilometern.

Selbst was unter "Sälen Centrum" firmiert, hat wenig mit einer echten Ortschaft zu tun. Dort wo von der dem Tal des Flusses "Västerdalälven" - eigentlich gleich eine doppelte Dopplung, denn übersetzt bedeutet der Name "der Westtalfluss" - folgenden Straße eine über die Berge hinüber ins norwegische Trysil führende Strecke abzweigt, konzentrieren sich kurzzeitig einige Geschäfte und öffentliche Gebäude. Doch schon nach wenigen hundert Metern löst sich diese Ansammlung wieder in die für das ländliche Skandinavien typische, extrem weiträumige Streubebauung auf.

Zudem beginnt das Rennen nicht einmal irgendwo im Umkreis dieser - inzwischen durch einen Kreisel ersetzten - Straßenkreuzung. Seit über einem halben Jahrhundert wird der Wasalauf vielmehr etwa fünf Kilometer weiter südlich nahe einer kleinen Häusergruppe namens "Berga" gestartet. Ohne fahrbaren Untersatz gibt es an einem Samstagmorgen um fünf praktisch kaum eine Möglichkeit, dorthin zu gelangen.

Doch überhaupt kommt man mit öffentlichen Verkehrsmitteln nur schwer in den schwedischen Westen. Während es von Stockholm nach Mora immerhin im ein- bis zweistündlichen Abständen - wenn auch nicht immer direkte - Zugverbindungen gibt, geht es von dort nur noch per Bus weiter. Und insbesondere im Sommer sind die Fahrpläne doch ziemlich überschaubar, da die Skibusse privater Betreiber um diese Jahreszeit nicht verkehren. So bietet die regionale Gesellschaft "Dalatrafik" praktisch die einzige Möglichkeit, in den Ferienort zu gelangen.

Allerdings stehen selbst an den zentralen Haltestellen den ganzen Tag über kaum ein Dutzend Fahrten auf dem Plan. Und die meisten von ihnen folgen dann auch noch im Lokalverkehr dem in Nord-Süd-Richtung verlaufenden Tal. Eine knappe Stunde flussabwärts findet sich nämlich mit Malung der Verwaltungssitz jener politischen Gemeinde, zu der Sälen gehört und in der sich auf der eineinhalbfachen Fläche des Saarlands ganze zehntausend Einwohner verlieren.

Es ist noch ziemlich dunkel, als sich die Ultraläufer am frühen Samstagmorgen am Start einfinden und ihre Wechselbekleidung an den bereitstehenden Lastwagen abgeben

Fernverbindungen nach Osten gibt es nicht einmal eine Handvoll. Und über die Grenze hinweg in die andere Himmelsrichtung wird die Sache sogar noch komplizierter. Dabei läge dort in etwas mehr als zweihundert Kilometer Entfernung doch eigentlich der internationale Flughafen Oslo-Gardermoen deutlich näher als sein schwedisches Gegenstück Stockholm-Arlanda. Ganz egal welche Wahl man am Ende trifft, wer sich zu einem Start bei Ultravasan entschließt, sollte auf jeden Fall ein bisschen mehr Tüftelei einplanen als bei vielen anderen Läufen.

Eine Entscheidung, die man schon bei Anmeldung fällen muss, ist die nach dem Abholungsort der Startunterlagen. Denn diese werden am Freitag sowohl in Sälen als auch in Mora ausgegeben. Und die Umschläge sind genau nach den im Vorfeld gemachten Angaben aufgeteilt. Im Notfall kann man allerdings seine Nummer auch noch samstags bis eine halbe Stunde vor dem Start in Empfang nehmen.

An beiden Enden der Strecke haben die Organisatoren unter anderem auch dafür jeweils kleine Zeltstädte errichtet, deren Aufbau sich wegen der Doppelnutzung durch den "Löplopp" und den erheblich größeren "Cyckellopp" eine Woche zuvor - insgesamt treten auf den verschiedenen Distanzen dabei etwa zwanzigtausend Menschen in die Pedale ihrer Mountain-Bikes - aber durchaus lohnt.

Übrigens hat die mit ihrer scheinbaren Wiederholung irgendwie drollig wirkende Bezeichnung "Löplopp" im Schwedischen sehr wohl ihren Sinn. Denn während das Verb "löpa" tatsächlich das "laufen" als Bewegungsform meint, lässt sich "lopp" eher mit "Rennen" - und zwar im Sinne eines sportlichen Wettkampfes - übersetzen. So gesehen wäre "Vasaloppet" dann eigentlich auch weniger "der Wasalauf" als vielmehr "das Wasarennen".

Allerdings beschränkt man sich längst nicht mehr nur auf Zelte. Schon seit etlichen Jahren gibt es an beiden Endpunkten und sogar an einigen Punkten auf der Strecke feste Bauten. In Mora steht direkt neben dem Zielbogen das "Vasaloppets Hus", in dem sich zum einen der Hauptsitz der Organisation, zum anderen aber auch ein wirklich interessantes Museum befindet, das die Geschichte des Wasalaufes so eindrucksvoll dokumentiert, dass man unwillkürlich das Verlangen verspürt, selbst einmal bei diesem traditionsreichen Skirennen dabei zu sein.

Doch nicht nur im Städtchen Mora sondern auch am mitten in der Landschaft gelegen Start gibt es ein Wasalauf-Haus, das zwar deutlich kleiner ausgefallen ist, sich dank Holzbaustil und Anstrich im typischen Dunkelrot beinahe perfekt in die Umgebung einfügt und eigentlich auch fast noch besser zur Veranstaltung passt. Schließlich erinnert das Haus mit seinen Nebengebäuden auf den ersten Blick stark an einen der mittelschwedischen Bauernhöfe, die man während des Rennens passiert.

Auch in diesem Haus unterhält die "Vasaloppsföreningen" von IFK Mora und Sälens IF - trotz seiner Größe und Professionalität hat der Wasalauf auch weiterhin keine gewinnorientierte, kommerzielle Agentur als "Arrangör" sondern wird von einer Veranstaltergemeinschaft aus zwei Vereinen ausgerichtet, die ihre Erträge wieder direkt in den Sport investiert - ein Büro. Vor dem Haus, steht zudem eine Säule, auf der alle bisherigen Sieger verewigt sind.

Der Nebel liegt über der Senke, als man das Västerdalen in einem lang gezogenen Anstieg hinter sich lässt ... … später liegt der Dunst auch über den höheren Lagen und sorgt zusammen mit dem Sonnenaufgang für beinahe surreale Lichterhältnisse

Wirklich beeindruckend ist allerdings vor allen Dingen das Startareal selbst. Dank dauerhaft aufgestellter Werbebanden und fest montierter Tafeln für die einzelnen Blöcke ist es in seinen gigantischen Ausmaßen auch im Sommer ziemlich gut zu erkennen. Schon für die Aufstellung von fünfzehntausend Läufern würde man einiges an Platz brauchen. Um jedoch die gleiche Zahl Skisportler zu starten, ist natürlich noch eine erheblich größere Fläche von Nöten.

So erstreckt sich dann auch hinter dem Wasalauf-Haus eine Wiese, die auf einer Länge von etlichen hundert Metern mindesten ein halbes Dutzend Fußballfelder umfasst. Die Vorstellung, diese komplett mit in vierzig oder fünfzig Spuren nebeneinander aufgereihten, auf das Startsignal wartenden Skilangläufern gefüllt zu sehen, erzeugt sogar bei warmen August-Temperaturen eine gewisse Gänsehaut. Und die echten Startbilder, die sich dank moderner Medien später in Windeseile auf den Computer zaubern lassen, haben etwas wahrhaft Überwältigendes.

Für den Ultralauf ist so eine riesige Startzone selbstverständlich noch nicht nötig. Und auch die Radfahrer gehen nicht alle gemeinsam sondern in etlichen hintereinander gestaffelten Gruppen auf die Strecke. Deswegen haben die Veranstalter für "sommarveckan" dann auch ein Stück näher an der Straße mit den vom Skilanglauf bekannten Holzgeländern ein deutlich kleineres Areal abgesperrt, das man sich auf dem Weg zur Startnummernabholung im dahinter stehenden Zelt schon einmal in Augenschein nehmen kann.

Was man im "tält" dann gegen Vorlage der Anmeldebestätigung von den - wie in Skandinavien eigentlich auch nicht anders zu erwarten - ausgezeichnetes Englisch sprechenden Helfern alles in die Hand gedrückt bekommt, zeigt anschaulich die jahrzehntelange Organisationserfahrung der Wasalauf-Macher. Dass der Zeitmess-Chip zusammen mit einem Klettband ausgehändigt wird, mit dem man ihn ums Fußgelenk schnallen soll, haben sie dabei natürlich von ihrem Skilanglauf-Rennen abgeschaut.

Statt eines Stoff-Leibchens wie beim "Skidlopp" - das "d" mitten im Wort ist keineswegs ein Schreibfehler, während man in Norwegen für die beiden ursprünglich aus Holz gefertigten Latten nämlich den in viele Sprachen übernommene Begriff "Ski" verwendet, heißen diese bei den Schweden tatsächlich in der Einzahl "Skid" und im Plural "Skidor" - erhalten die Läufer eine "ganz normale" Startnummer aus Papier.

Doch bei genauerer Betrachtung zeigt auch diese wieder ein erwähnenswertes Detail. Unter der gewohnten Zahlenkombination ist nämlich ein Streckenprofil aufgedruckt. Jedoch hat man im ersten Moment den Eindruck, dabei sei ein kleiner Fehler unterlaufen. Die Höhenlinie steht nämlich auf dem Kopf. Genau das ist allerdings der besondere Service. Denn so ist sie während des Rennens relativ einfach lesen. Man muss als Läufer einfach nur die Augen kurz zur auf dem Bauch befestigten Startnummer richten und schon ist man informiert.

Breite Forststraßen prägen das erste Zehntel des Rennens

Einen Kleiderbeutel gibt es ebenfalls. Aber statt wie erwartet einen bekommt man dazu gleich zwei mit der jeweiligen Nummer bedruckten Klebestreifen, die stark an die sogenannten "baggage tags" mit der Angabe des Reiseziels erinnern, die am Flughafenschalter an den Koffern befestigt werden. Einer von ihnen ist für einen Rucksack oder eine Sportasche bestimmt. Denn diese würde nach den Erklärungen der Helfer an der Ausgabetheke von Sälen direkt zum Ziel nach Mora gebracht.

Der Beutel sei hingegen für Wechselbekleidung bestimmt, die man bei Bedarf zum etwa bei Hälfte der Distanz gelegenen Verpflegungspunkt Evertsberg schicken könne. Nach der Passage des jeweiligen Sportlers käme der Sack erneut auf den Laster und läge nach Zieleinlauf ebenfalls in Mora bereit. Das alleine ist schon bemerkenswert und geht sicher auch auf die während des Skirennens gemachten Erfahrungen zurück, wo neben zusätzlichen Jacken und Hosen eventuell auch noch Material zur Skipräparierung befördert werden muss.

Doch mit etwas Überlegen wird klar, dass es mit jeweils einem Transport nicht getan ist. Zum Zwischenstopp in Evertsberg mag ein einzelner Lastwagen tatsächlich noch ausreichen. Doch um die bereits in Anspruch genommen Säcke dann ins Ziel zu bringen, sind eine ganze Reihe von Fahrten notwendig. Schließlich ist für die neunzig Kilometer eine Maximalzeit von fünfzehn Stunden erlaubt. Die Schnellsten werden also bereits im Ziel sein, bevor der Schwanz des Feldes überhaupt die Halbzeitmarke erreicht hat.

All das hat nicht ganz überraschend seinen Preis. Und obwohl man in Schweden längst noch nicht auf dem Niveau des westlichen Nachbarn Norwegen liegt, befindet man sich eben doch im als ziemlich teuer geltenden Skandinavien. Umgerechnet muss man für eine Teilnahme beim Wasa-Ultra dann auch ungefähr hundertfünfzig Euro berappen - und das wohlgemerkt ohne die Zusatzkosten für den Bustransfer.

Immerhin ist noch ein Funktions-T-Shirt des Ausrüstungssponsors in der Meldegebühr enthalten. Um es zu bekommen, muss man allerdings auch ins Ziel einlaufen. Denn es wird erst in Mora verteilt. Dass eine Medaille ins Leistungspaket gehört, erscheint dagegen kaum erwähnenswert. Dennoch ist es eine Neuigkeit, dass sie bei der zweiten Auflage an alle im Zeitlimit ankommenden Teilnehmer ausgegeben wird. Noch im Vorjahr war sie nämlich nur für Läufer unter zehneinhalb Stunden bestimmt.

Das hatte man ebenfalls vom legendären Skirennen abgeschaut. Denn dort werden traditionell nur jene Läufer mit einer Medaille belohnt, deren Ergebnis nicht mehr als fünfzig Prozent über der Zeit des Siegers liegt. Für die zweite Austragung des Ultras hat man die Regelung zwar überdacht und ehrt nun jeden, der die Distanz bewältigt. Doch eine Vorgabe gibt es trotzdem. Für alle Männer unter neuneinhalb und Frauen unter elf Stunden liegt nämlich eine spezielle Plakette mit der Aufschrift "inom medaljtid" - übersetzt "innerhalb der Medaillenzeit" - bereit.

Praktisch die gesamte Strecke von Ultravasan führt durch die schier endlosen skandinavischen Wälder

Angesichts der bei der Premiere aufgestellten Bestmarken von 6:02:03 und 7:09:04 entsprechen die verlangten Leistungen ungefähr dem bekannten Fünfzig-Prozent-Abstand, sind aber für alle Teilnehmer schon im Vorfeld wesentlich klarer definiert und für die Helfer, die im Ziel die Medaillen verteilen, auch erheblich einfacher nachzuvollziehen. Beim Löplopp spielen allerdings auch die Streckenverhältnisse und Wetterbedingungen eine weit kleinere Rolle als beim Skirennen, wo die Siegerzeiten schon einmal um mehr als eine Stunde schwanken können.

Der Vergleich mit den mehrstufigen Medaillenkategorien südafrikanischer Ultraläufe ist durchaus zulässig. Und vielleicht hat man die Idee tatsächlich von dort übernommen. Schließlich gibt es da im veranstaltenden Club IFK Mora einen gewissen Jonas Buud, der nicht nur achtfacher Sieger beim Swiss Alpine Marathon von Davos ist sondern auch beim von seiner Tradition durchaus mit dem Wasalauf zu vergleichenden Comrades Marathon zwischen Durban und Pietermaritzburg mehrfach im Vorderfeld - unter anderem als Zweiter 2013 - platziert war.

Selbst wenn Buud wohl nicht wirklich mit den Details der Organisation beschäftigt, ist so einer der weltbesten Läufer auf der Ultradistanz zumindest als Ideengeber und Berater im Hintergrund mit in die Veranstaltung eingebunden. Und natürlich hat man mit ihm auch ein Aushängeschild, das insbesondere für die Erstauflage werbemäßig nach vorne geschoben wurde. Nach seinem Sieg bei der Premiere steht der Lokalmatador allerdings beim zweiten Rennen eher aus sportlicher Sicht im Fokus.

Vor allen Dingen in Dalarna ist Ultravasan schließlich schon weit im Vorfeld ein Thema für die Presse. Doch in der - nicht unbedingt großen - Bevölkerung der Region ist der Lauf ebenfalls gleich positiv angenommen worden. Man könnte es einfach zwar auch einfach nur nüchtern mit "Kundenservice" abtun, wenn in einem kleinen Sälener Hotel auf der Rezeptionstheke ein Schild steht, dass am "lördag" bereits um halb vier morgens "frukost" gibt.

Doch spürt man eben schon bei den ersten Worten - eben die Frage, ob der neuangekommene Gast am Folgetag ebenfalls mitläuft - ein echtes Interesse am bevorstehenden Rennen. Und wer am Samstag dann pünktlich zur vorgegebenen Zeit den Essensraum betritt, findet diesen bereits ziemlich belebt. Natürlich ist das Buffet schon fertig aufgebaut und die meisten Kaffeetassen sind längst gefüllt. Denn neben den Läufern haben auch die Hotelbetreiber - egal ob nur als Service oder aus echtem Interesse - lieber noch etwas früher mit dem Frühstück begonnen.

Eineinhalb Stunden bis zum Start scheinen nicht allzu viel. Doch vor einem Ultra fällt die direkte Wettkampfvorbereitung eben weit weniger zeitintensiv aus als bei kurzen Wettkämpfen mit langer Aufwärmphase. Und wenn man erst einmal die noch fehlenden Autokilometer bis zum Startpunkt hinter sich gebracht hat, ist der Wasalauf-Ultra zudem eine Veranstaltung mit einer Logistik der kurzen Wege.

Der kleine Parkplatz neben dem roten Starthaus, der am Vortag für die Abholung der Unterlagen noch ausreichte, hat selbstverständlich nicht mehr genug Kapazität. Doch die zu Abstellflächen umfunktionierten Wiesen ringsherum sind sowohl in der Winterwoche als auch beim ersten Teil der Sommerwoche einem ganz anderen Ansturm ausgesetzt, so dass der Anmarsch vom Wagen zum großen Zelt nicht allzu lang ausfällt. Dieses dient nun nicht mehr nur zur Verteilung der restlichen Startnummern sondern auch als Umkleidekabine und Aufenthaltsbereich.

Hinter der Versorgungsstelle Smågan beginnt der wohl schönste Abschnitt des Kurses. Über schmale Trampelpfade geht es kilometerlang durch immer wieder von Moor- und Heideflächen unterbrochene Wälder, die von der noch tief stehenden Sonne in warme Farben getaucht werden

Selbst wenn im mittelschwedischen August die Tage noch ein bisschen länger ausfallen als in Mitteleuropa, ist es schließlich noch ziemlich dunkel, als sich das Areal in Berga langsam füllt. Große Scheinwerfer sorgen zwar dafür, dass man trotzdem ausreichend Helligkeit vorfindet. Doch sind eben auch die Temperaturen zu so früher Stunde nicht wirklich hochsommerlich. Noch liegen sie nämlich im einstelligen Bereich.

Nach skandinavischen Maßstäben sollen sie allerdings im Verlauf des Tages relativ weit nach oben klettern. Zusammen mit dem ebenfalls prognostizierten weitgehend wolkenlosen Himmel sind die mehr als zwanzig Grad, die von den Großrechnern der Meteorologen vorausberechnet wurden, in den Augen der Veranstalter jedenfalls extrem genug, um zwei Tage vor dem Start noch eine Mail an alle Teilnehmer zu verfassen, in der an ausreichend Flüssigkeitsaufnahme und Sonnenschutz erinnert wird.

Die vorsichtig einsetzende Dämmerung und der im Flusstal liegende Dunst sorgen für ein faszinierendes Licht. Und bis sich die Läufer zwischen den Holzbarrieren versammeln, die den Startbereich begrenzen, wären die Stirnlampen, die einige der Sportler auf Kopf tragen, eigentlich nicht mehr unbedingt nötig. Und mindestens genauso überflüssig ist bei diesen äußeren Bedingungen natürlich auch die Nebelmaschine, die ihre Schwaden mit dem Startsignal in das sich in Bewegung setzende Feld bläst.

Neben den beiden Lastwagen, an denen man zuvor getrennt nach dem Bestimmungsort seine Gepäckstücke abgeben konnte, knickt die Strecke schon nach wenigen Metern nach rechts auf die Straße hinaus. Mit einem Hundertachtzig-Grad-Schwenk folgt man dieser kurzzeitig in genau entgegengesetzter Richtung zur Startaufstellung, um dann wenige Schritte später gleich wieder in ein Sträßchen abzubiegen, das sich halblinks den Hang hinauf zieht.

Gleich zu Anfang weicht man so von der traditionellen Skilanglauf-Route ab, die aus absolut verständlichen Gründen erst einmal einen Kilometer über die Wiese geradeaus führt. Angesichts des riesigen Feldes der Skisportler erfolgt das Abdrehen nach diesem Anlaufstück natürlich trotzdem viel zu früh. Und da sich die Piste am dort beginnenden Anstieg auch noch ziemlich verengt, kommt es am "Startbacken" jedes Jahr zu einem heftigen Stau.

Für den nicht einmal ein Zehntel der Teilnehmer umfassenden Läuferpulk hat die Nebenstraße, über die man das Tal des Västerdalälv verlässt, dagegen eine absolut ausreichende Breite. Schließlich stehen neunzig lange Kilometer bevor, auf denen im Gegensatz zu kürzeren Rennen für jeden wahrlich genug Zeit bleibt, seinen Platz im Feld zu finden. Selbst wenn viele ihre ideale Position nicht gleich von Anfang an eingenommen haben, geht das Umsortieren zwischen den wenigen, weit verstreuten Häusern von Berga dann auch ohne Hektik vonstatten.

In Mångsbodarna, dem zweiten Kontrollpunkt geht es für die Eliteläufer bei einem Prämiensprint erstmals um Preisgelder

Neben "Startbacken" und diesem Sträßchen gäbe sogar noch eine dritte vom Wasalauf-Start den Hügel hinauf führende Wegevariante. Doch wäre diese nun tatsächlich zu schmal, auch wenn sie eigentlich den "Normalroute" zu Fuß darstellt. Denn praktisch direkt gegenüber der Einfahrt zum Gelände markiert ein Holzschild den Beginn von "Vasaloppsleden", einem Fernwanderweg, der sich größtenteils am klassischen Skikurs orientiert, aber gerade im ersten Abschnitt, auf dem die Loipe häufig über freies Gelände führt, doch einen etwas anderen Verlauf hat.

Längst hat die Strecke zwischen Sälen und Mora nämlich nicht mehr nur in der Winter- und der Sommerwoche eine große touristische Bedeutung, selbst wenn sie in dieser Zeit natürlich den größten Andrang verzeichnet. Das ganze Jahr über nutzen Skiläufer, Wanderer und Radfahrer die dauerhaft markierten Routen - in manchen Bereichen sind es tatsächlich drei verschiedene - je nach Schnee- und Wetterlage für unterschiedlichste Aktivitäten. Die Werbemanager haben sich dafür den Begriff "Vasaloppsarenan" - also "die Wasalaufsarena" - ausgedacht.

Die Ultraläufer bewegen sich im Moment eigentlich auf der Variante für Radler. Und genau wie die Mountain-Biker bei ihrem Rennen eine Woche zuvor biegen sie schon nach wenigen hundert Metern nach links, haben bald darauf die letzen Häuser hinter sich gelassen und sind in die schier endlosen skandinavischen Wälder eingetaucht, in denen sie für den weitaus größten Teil des Laufes auch bleiben werden.

Relativ schnell gewinnt man an Höhe. Vom auf ungefähr dreihundertfünfzig Metern über dem Meer gelegen Startplatz geht es alleine auf den ersten beiden Kilometern mehr als einhundert Meter bergan. Und etwas später wird sogar die Fünfhundert-Meter-Marke geknackt. Viel weiter nach oben kommt man dann allerdings nicht mehr. Und insgesamt führt der Lauf trotz etlicher Zwischensteigungen, die sich zu fast einem Höhenkilometer addieren, eher bergab. Das Ziel in Mora liegt nämlich rund zweihundert Meter tiefer als das Västerdal bei Sälen.

An einer lang gezogene doppelten S-Kurve ermöglicht ein komplett "abgeerntetes" Waldstück - im Gegensatz zu dem in Mitteleuropa üblichen selektiven Holzeinschlag werden in Skandinavien wie in vielen anderen Gegenden der Welt meist größere Areale vollständig leer geräumt und danach wieder aufgeforstet - den Blick zurück in die Flusssenke, die sich in der Morgendämmerung immer stärker mit Nebel zu füllen scheint.

Für den Rest des Läuferfeldes ist an der früheren Sommeralm allerdings eher der große Verpflegungsposten interessant

Dahinter ragt das "Sälenfjäll" mit seinen fast tausend Meter hohen Kuppen auf, durch die nur eine Woche nach dem Wasa-Ultra ein Berg- und Geländemarathon führen wird. Die Terminplanung wirkt schon ziemlich seltsam, schließlich sind die von beiden Wettbewerben angesprochenen Läuferkreise keineswegs schnittmengenfrei. Und selbst wenn es für die Reiseplanung durchaus Vorteile haben könnte, dürfte abgesehen von ausgesprochenen Vielstartern und notorischen Sammlern wohl kaum jemand gleich beide Strecken in Angriff nehmen.

Umso erstaunlicher ist, dass nicht nur Ultravasan seine Teilnehmerzahlen vergrößern kann. Auch bei der dritten Auflage des ebenfalls noch recht jungen "Fjällmaraton Sälen" werden sowohl über einundzwanzig als auch über zweiundvierzig Kilometer deutlich mehr Läufer im Ziel registriert als in den Jahren zuvor. In Schweden, wo der Laufkalender lange Zeit doch recht übersichtlich daher kam, scheint man auf solche Rennen regelrecht gewartet zu haben.

Gleichzeitig hat man damit auch gleich zwei räumlich und zeitlich eng beieinander liegende Gegenbeispiele für die Allgemeingültigkeit der Behauptung, dass es für eine Laufveranstaltung nach einer Premiere erst einmal bergab gehen muss. Ohnehin scheint dieser hierzulande fast immer zu beobachtende Sachverhalt eher eine Spezialität des deutschsprachigen Raumes zu sein. Denn auch anderswo findet man durchaus die umgekehrte Tendenz zu weiterem Wachstum.

Irgendwann endet der Straße und die Laufstrecke wechselt auf eine jener Schotterpisten hinüber, die sich kreuz und quer durch die nordischen Wälder ziehen und - da sie für Autos freigegeben sind - das abseits der großen Städte extrem weitmaschige Verkehrsnetz zumindest ein wenig ergänzen. Nur noch sehr selten werden die Läufer anschließend einmal Asphalt unter die Füße bekommen. Rund neun Zehntel der Distanz werden nämlich auf diesen "grusvägar" sowie auf Waldwegen und Pfaden absolviert.

Vier Kilometerschilder hat man zu diesem Zeitpunkt bereits passiert. Doch der Schluss, dass damit auch schon genauso viele Kilometer zurück gelegt wären, ist falsch. Zum einen ist die Distanz nämlich rückwärts ausgeschildert. Die Markierung beginnt also mit der höchsten Zahl. Und zum anderen steht die Tafel mit der "90" nicht direkt am Start sondern schon im Aufstieg jenseits der Hauptstraße. Die ohnehin ziemlich lange Strecke ist damit sogar noch einige hundert Meter länger als in der Ausschreibung angegeben.

Noch eine zweite Zahl steht auf dem gerade passierten Schild. Unter dem "Mora 87" kann man auch "Smågan 6,2" lesen. Denn nicht nur der Abstand zum Ziel ist angegeben. Die Organisatoren teilen den Sportlern zusätzlich mit, wie weit sie noch bis zum nächsten großen Versorgungspunkt laufen müssen. Sieben von ihnen sind in Abständen zwischen neun bis fünfzehn Kilometern über den gesamten Kurs verteilt.

Es handelt sich dabei genau um jene klassischen Zwischenmarken des winterlichen Wasalaufes, an denen neben Verpflegung auch jeweils ein Zeitlimit gibt. Selbst wenn das schwedische Wörtchen "kontroll" einen deutlich weiteren Bedeutungsumfang hat als das deutsche Gegenstück "Kontrolle" und tatsächlich oft auch für "Verpflegungsstelle" verwendet wird, hat deswegen schon so manches Rennen an einer "Vasaloppskontroll" ein vorzeitiges Ende gefunden.

Auch bei Ultravasan sind für diese Punkte entsprechende "spärrtider" angegeben, die sich zwar jeweils an glatten Uhrzeiten orientieren, aber dennoch immer ein Tempo von ungefähr sechs Kilometern pro Stunde verlangen. Langsamstartern gibt man dabei anfangs sogar noch etwas Puffer mit. Allerdings muss man im Gegensatz zum Bieler Hunderter, der sich rein rechnerisch auch gerade noch in schnellem Wanderschritt bewältigen ließe, zwischendurch auf jeden Fall immer wieder einmal laufen, um sie einzuhalten und das Ziel rechtzeitig zu erreichen.

Hinter der "Vasaloppskontroll" beginnt sich der Weg ins Tal des Flüsschens "Vanån" zu senken

Die Abstände von einem Hauptverpflegungspunkt zum nächsten sind zwar relativ groß. Doch obwohl so mancher einen Rucksack über die Strecke trägt, ist das Mitschleppen von Getränken keineswegs nötig. Denn zwischen den "Vasaloppskontroller" gibt es je nach Distanz noch zwei bis drei "vätskestationer", was sich wortwörtlich mit dem im Deutschen etwas seltsam klingenden "Flüssigkeitsstationen" übersetzten ließe.

Insgesamt siebzehn Getränkestellen, an denen Wasser und Elektrolyte ausgegeben werden, hat das Organisationskomitee zusätzlich vorgesehen, so dass die Läufer eigentlich nirgendwo mehr als drei bis vier Kilometer unterwegs sein müssen, bis sie auf die nächste Tränke treffen. Nur die erste von ihnen lässt ein wenig länger auf sich warten und befindet sich ziemlich genau auf halbem Weg zwischen Berga und Smågan. Doch noch sind die Temperaturen ziemlich kühl und - selbst wenn die Helfer ihre Becher ganz gut los werden - die Flüssigkeitsverluste eher gering.

Die Nebelschwaden, die anfangs nur im Tal zu liegen schienen, ziehen sich nun auch durch die von kleinen Wasser- und Moorflächen durchsetzten Wälder. Da die Strecke mehr oder weniger direkt nach Osten führt, läuft man zudem direkt in den Sonnenaufgang hinein. Und die Kombination des rot und gelb glühenden Horizonts mit dem zwischen den Bäumen wabernden Dunst sorgt für eine faszinierende Atmosphäre, für deren Erleben sich das frühe Aufstehen schon ganz alleine gelohnt hätte.

Als sich die zuvor schon leicht wellige Schotterstraße etwas deutlicher senkt und dabei das freiere Gelände rund um jenen See erreicht, von dem der erste Kontrollpunkt den Namen bekommen hat, werden die Lichtverhältnisse sogar beinahe schon surreal. Wegen des dichten Nebels kann man die inzwischen am Himmel erschienene Sonne mehr ahnen als sehen. Doch dafür wirkt der durch die feuchten Luftschichten schimmernde Feuerball aufgrund der starken Brechung seiner Strahlen umso größer.

Außer einigen vereinzelten jener typischen Ferienhäuschen, die sich - in Schweden "stugor" und in Norwegen "hytter" genannt - zu hundertausenden über die weiten Landschaften Skandinaviens verteilen, gibt es bei Smågan eigentlich nichts anderes als den Kontrollpunkt des Wasalaufs. Allerdings wäre dieser auch dann eindeutig zu erkennen, wenn nicht gerade ein Rennen veranstaltet würde.

Im Gegensatz zu fast allen anderen Ausdauersportveranstaltungen, wo Verpflegungsstellung nur temporär aufgebaut werden, sind an den "Vasaloppskontroller" längst feste Gebäude - natürlich in Schwedenrot - errichtet. Und neben der jeweils passenden Beschriftung ließen diese sich auch durch lange, ebenfalls fest installierte Holzzäune identifizieren, die den Ansturm der Skisportler in die richtigen Bahnen lenken soll.

Nachdem man am Weiler Tennäng den Fluss auf einer völlig überdimensioniert wirkenden Brücke überquert hat beginnt der Aufstieg zum nächsten Zwischenziel namens Risberg

Für die Läufer, die sich aus einer anderen Richtung nähern, reichen hingegen noch ein paar Flatterbänder. Erstmals überhaupt treffen sie an dieser Stelle wieder auf "Vasaloppsspåret" - also jene Strecke, die im Winter mit schmalen Brettern zurückgelegt werden muss. Seit dem Beginn der Sechziger, als man den Start von Sälen Centrum nach Berga verlegte, ist diese über fünf Jahrzehnte praktisch nicht mehr verändert worden. Smågan selbst ist aber erst seit 1984 ein offizieller Kontrollpunkt.

Er wurde eingerichtet, nachdem immer häufiger von den Sportlern zu hören war, dass die rund fünfundzwanzig Kilometer bis zur damals ersten Verpflegung vielleicht doch etwas zu lang seien. Aufgrund der - wohlgemerkt für mittelschwedische Verhältnisse - guten Erreichbarkeit des Sees, hatten sich viele der Skiläufer an dieser Stelle zuvor ohnehin schon privat versorgen lassen. Und so wurde irgendwann dieser siebte Posten ergänzt, der allerdings als einziger weder in Nähe der Hauptstraße noch an einem dauerhaft bewohnten Dorf oder Gehöft liegt.

Nur am Verpflegungspunkt berühren sich Ski- und Laufstrecke kurz. Dann driften sie gleich wieder auseinander. Denn während die legendäre "skidspår" - das norwegische Wort "løype", das es als "Loipe" in die deutsche Sprache geschafft hat, ist in Schweden absolut unüblich - geradeaus weiter über freies Gelände geführt wird, zieht die Ultramarathonroute ein wenig nach Süden weg in den - von den Skandinaviern "skog" genannten - Wald hinein und wechselt dabei erstmalig auch auf einen mit Steinen und Wurzeln gespickten Trampelpfad.

Dieser verlangt von den Sportlern zwar volle Konzentration. Dennoch macht es gerade in dieser irgendwie fast mystischen Morgenstimmung enormen Spaß, sich zwischen den Bäumen hindurch zu winden. Erst einmal ist es allerdings nur ein kleiner Appetithappen. Kurz darauf ist man nämlich bereits wieder auf einem "grusväg" gelandet und muss sich nach ziemlich genau zehn zurückgelegten Kilometern einen kurzen, aber relativ steilen Stich hinauf arbeiten, an dessen Ende erneut fünfhundert Meter über dem Meeresspiegel erreicht werden.

Der nächste Ausflug ins "terräng" fällt dann doch schon deutlich länger aus. Und nach einem letzten Kilometer auf Schotter beginnt der schönste Abschnitt des ganzen Rennens. Gut zehn Kilometer wird man nun nämlich nahezu ununterbrochen auf schmalen Pfaden mit ständigen kleinen Richtungswechsel durch die nordische Wildnis unterwegs sein, die sich den Läufern dabei zudem in ihrer vollen Bandbreite präsentiert.

Lichte Nadelwälder und dichtes Unterholz, offene Heide- und Moorflächen wechseln einander ab. Seen und Tümpel unterschiedlichster Größe liegen am Wegesrand. Immer wieder werden feuchte Stellen auf schmalen Bohlenwegen überquert. Moose auf dem steinigen Boden und Flechten an den Bäumen verleihen der Landschaft einen märchenhaften Charakter. Und die noch tief stehende Sonne, die sich inzwischen durch die über dem Boden hängenden Wolken gebrannt hat, taucht die Landschaft zu allem Überfluss auch noch in warme Farben.

An fast alles ist von den Organisatoren gedacht, als man den Posten Risberg wieder verlässt erinnert eine Tafel mit Aufschrift "sista soptunnan innan näste kontroll" daran, den Müll rechtzeitig in die Tonne zu werfen

Größere Höhenunterschiede müssen erst einmal nicht überwunden werden, denn Vasaloppsleden verläuft in diesem Abschnitt über eine der vielen nur leicht profilierten Hochflächen, die während der Eiszeit von den die komplette skandinavische Halbinsel bedeckenden Gletschern ins darunter liegende Gebirge gehobelt wurden. Doch einige Meter geht es dennoch mit schöner Regelmäßigkeit auf und ab. Ständige Abwechslung ist garantiert. Viel größer als in diesem Zauberwald kann der Genuss beim Laufen eigentlich kaum noch sein.

Allerdings kann man sich schon fragen, wie die Organisatoren jene drei- bis viertausend Läufer, die vom Rennleiter beim - trotz nahezu ausschließlich skandinavischer Teilnehmerschaft übrigens auf Englisch geführten - Interview vor dem Start als mittelfristiges Ziel angegeben wurden, auf diesen schmalen Pfaden überhaupt unterbringen will. Überholen ist nur selten möglich, so dass es gerade an technisch etwas anspruchsvolleren Passagen schon bei tausend Startern ab und zu einmal kurz stocken kann.

Obwohl der Kurs in der zweiten Hälfte meist deutlich breiter sein wird, verbietet sich das Umdrehen - also Start in Mora und Ziel in Sälen - schon alleine aus Gründen der Tradition. Doch auch ansonsten finden sich schnell weitere gute Argumente. So wäre das Feld bei einem Lauf in Gegenrichtung zwar sicher deutlich entzerrt, doch die Läufer hätten eben auch bereits siebzig Kilometer in den Beinen, wenn es auf die Pfade ginge.

Einen Vorteil für die Trittsicherheit dürfte dies nicht unbedingt darstellen. Die Zahl der Stürze - die es auch so schon gelegentlich gibt - würde mit müden Beinen bestimmt noch deutlich höher werden. Und da der Wanderweg zudem nur an ganz wenigen Punkten mit dem Fahrzeug erreichbar ist - an diesen sind dann jeweils die Getränkestellen postiert - kämen Helfer eher schlecht an Verletzte heran.

Allerdings wäre genau diese Orientierung eigentlich die richtige, wenn man die historischen Ereignisse betrachtet, die als Anregung für den Wasalauf dienten. Anfang des sechzehnten Jahrhunderts wurde Schweden nämlich in einer Personalunion vom dänischen König regiert. Doch als 1513 Christian II den Thron bestieg und die schwedische Autonomie beschneiden wollte, weigerte sich der dortige Adel den neuen Monarchen anzuerkennen, erklärten das Land für unabhängig und ernannten Sten Sture zum Reichverweser.

Beim ersten Versuch der Rückeroberung wurden die Dänen 1518 zurückgeschlagen. Knapp zwei Jahre später erlitten die rebellischen Schweden in der Schlacht bei Bogesund aber eine schwere Niederlage. Ihr Anführer Sten Sture wurde zudem tödlich verwundet. Danach war der Widerstand erst einmal gebrochen. Und gegen die Zusagen, dass die Anführer des Aufstandes keine Vergeltung zu fürchten hätten und schwedisches Recht weiterhin gültig sei, wurde Christian schließlich als neuer König akzeptiert.

Kaum gekrönt brach der neue Herrscher allerdings seine Versprechen und erklärte zum Beispiel die bisherige Wahlmonarchie Schweden augenblicklich zum Erbkönigreich. Und wenige Tage später wurden über achtzig Mitglieder des einheimischen Hochadels, die sich wegen der Krönungsfeierlichkeiten in der Hauptstadt Stockholm aufhielten, als Ketzer angeklagt und nach einem ziemlich kurzen Prozess hingerichtet.

Dreizehn wellige, aber nicht mit allzu langen Steigungen gespickte Kilometer sind es bis zur "nästa kontroll" in Evertsberg

Ein gewisser Gustav Eriksson aus dem Hause Wasa - im Schwedischen, das den Buchstaben "W" eigentlich nicht kennt und diesen nur in Fremdwörtern benutzt, wird die Familie dagegen "Vasa" geschrieben - gehörte zu den wenigen, die dem Angebot misstraut hatten und deswegen nicht nach Stockholm gereist waren. Sein Vater Erik Johansson, sein Schwager und zwei seiner Onkel wurden allerdings ebenfalls Opfer des Massakers.

Nach dem sogenannten "Stockholmer Blutbad" flüchtete Gustav Wasa mitten im Winter 1520/1521 ins schneebedeckte Dalarna und versuchte dort Unterstützung für weitere Gegenwehr zu finden. Doch anfangs ließ sich niemand für eine erneute Rebellion begeistern. Um nicht doch noch in die Hände seiner Verfolger zu fallen, zog Wasa schließlich weiter nach Westen in Richtung norwegische Grenze.

Inzwischen kamen aber immer mehr Nachrichten über die Stockholmer Ereignisse und weitere Gewalttaten der Dänen gegenüber der schwedischen Bevölkerung in Mora an. Die Meinung kippte und man beschloss, dem fliehenden Adligen zwei der besten Skiläufer der Region hinterher zu schicken, um diesen zur Umkehr zu bewegen. Bei Sälen holten sie Wasa tatsächlich ein und überzeugten ihn den Aufstand anzuführen.

Schon nach wenigen Monaten hatte Gustav Wasa mit seinem ständig wachsenden Bauernheer bereits große Teile Mittelschwedens unter seine Kontrolle gebracht. Die besser zu verteidigenden Städte der Küste blieben jedoch noch in dänischer Hand. Doch bis 1523 fielen auch die letzten Festungen, die Truppen Christians zogen sich aus Schweden zurück und der Rebellenführer wurde am sechsten Juni des Jahres - noch heute ist dieser Nationalfeiertag - als Gustav I zum neuen König gewählt.

Darüber, ob die Episode mit den Skiläufern - ihre Namen werden in der Regel mit Lars Jakobsson und Engelbrekt Jonsson angegeben - tatsächlich stattgefunden hat oder nur von den Biographen Gustav Wasas ziemlich gut erfunden wurde, sind sich die Historiker noch immer uneinig. Angesichts der Popularität, die der Wasalauf über die vielen Jahrzehnte seines Bestehens entwickelt hat, ist es allerdings auch längst egal.

Dennoch müsste man um dieser Leistung nachzueifern eigentlich in die andere Richtung laufen. Als im Jahr 1922 den ersten Wasalauf - übrigens wie bei so vielen anderen Sportereignissen in Zusammenarbeit mit einer Zeitung - ausschrieben wurde, entschied man sich aber, das Ziel aus - selbst wenn es damals sicher noch nicht so hieß - logistischen Gründen ins weit größerer Mora zu legen. Und dabei ist es bis heute geblieben.

Rund um Kilometer vierzig verläuft die Strecke immer wieder einmal entlang der Straße … … auch mehrere größere Seen werden in diesem Abschnitt passiert

Nach knapp zwanzig Kilometern wird, ohne dass man es wirklich bemerkt, die Skistrecke gekreuzt. Statt wie zuvor südlich führt der Wanderweg nun nördlich der Piste entlang, die auf Luftaufnahmen über fast ihre komplette Länge als sich durch den Wald windende Schneise deutlich zu erkennen ist. Fast zeitgleich nehmen auf die Bergabpassagen merklich zu. Der höchste Punkt der Strecke ist zu diesem Zeitpunkt bereits überwunden. Und bis zur nächsten großen Verpflegungsstelle gehen fast hundert Meter verloren.

Sie heißt "Mångsbodarna", wie man schon seit Smågan auf den Kilometermarken lesen kann. Der für Nichtskandinavier etwas schwer von der Zunge gehende Namen leitet sich angeblich von einer Familie "Mångs" ab, die dort ihre Sommerweiden besaß. Auf Schwedisch wird eine solche nämlich "fäbod" genannt, wobei sich die erste Silbe "fä" mit etwas Phantasie als das deutsche "Vieh" identifizieren lässt. Und die dazu passende Mehrzahl lautet dann "fäbodarna".

Insbesondere in Mittelschweden, in den Regionen Dalarna, Jämtland oder Härjedalen, wo diese Form der Tierhaltung in der Vergangenheit weit verbreitet war, finden sich etliche vergleichbare Ortsnamen. Die Bewirtschaftungsform entspricht zwar ungefähr den Almen der mitteleuropäischen Alpen. Angesichts einer Höhenlage von wenigen hundert Metern klänge die Verwendung dieses Begriffes aber wohl doch recht seltsam.

Einen knappen Kilometer vor dem Versorgungspunkt tritt die Strecke wieder auf eine breitere Schotterstraße hinaus. Das letzte Stück des Weges ist dann sogar wieder asphaltiert Und dies ist durchaus zweckmäßig. Denn bei Mångsbodarna ist der erste "spurtpris" ausgeschrieben. Wer ihn bei Männern und Frauen jeweils als Erster erreicht, kann - allerdings unter der Voraussetzung dann auch im Ziel anzukommen - sich immerhin fünftausend Kronen zusätzlich verdienen.

Insgesamt drei dieser eigens dotierten Zwischenwertungen gibt es unterwegs. Sie finden sich an den Vasaloppskontroller mit den geraden Ordnungszahlen zwei, vier und sechs. An der mittleren von ihnen wird als "bergpris" nach etwa der Hälfte der Gesamtdistanz sogar das doppelte Preisgeld ausgeschüttet. Und natürlich noch deutlich höher sind die Prämien, die man für eine Treppchenposition im Gesamteinlauf mit nach Hause nehmen kann.

Je sechzigtausend schwedische Kronen für die beiden Sieger, dreißigtausend für die Zweitplatzierten und noch immer zwanzigtausend für Rang drei hat man von Seiten der Organisation ausgelobt. Selbst für durchschnittliche Bundesligafußballer dürften solche Summen zwar kaum der Rede wert sein. Als Ultraläufer kann man mittlere vierstellige Eurobeträge dann allerdings doch eher selten verdienen. Und für Sportler, die nicht um dieses "große" Geld kämpfen können, sich aber dennoch im Vorderfeld bewegen, sind die Spurtpreise ein finanzieller Anreiz.

Insbesondere der erste von ihnen ist für diese zweite Reihe natürlich besonders interessant, da sich tendenziell eher die Favoriten vorne befinden werden, je länger das Rennen andauert. Und so sprinten mit dem Amerikaner Matt Flaherty und dem Norweger Didrik Hermansen dann auch zwei Athleten als Erste auf Mångsbodarna zu, die man zwar im Vorderfeld, aber eben doch vielleicht nicht ganz oben auf dem Treppchen erwarten durfte.

Beim Abschneiden einer Halbinsel zwischen den Seen wechseln man aber erneut auf Trampelpfade und Bohlenwege hinüber

Flaherty hängt den Nordmann dann allerdings so deutlich ab, dass dem scharfen Schwenk vom Sträßchen hinein in einen Graspfad, der an jener Häusergruppe endet, an der schließlich die Zwischenzeit genommen wird, keine entscheidende Bedeutung mehr zukommt. Der Chip des austrudelnden Hermansen löst erst eine knappe Viertelminute später aus. Und bis die ganz bekannten Namen dann in loser Reihung, aber trotzdem beinahe im Sekundenabstand eintreffen, vergeht eine weitere Viertelminute.

Neben Lokalmatador Jonas Buud muss dabei vor allem Max King genannt werden, der im Jahr 2014 vor dem damals zweitplatzierten Schweden die Weltmeisterschaft über hundert Kilometer für sich entscheiden konnte. Dass der amerikanische Spitzenläufer überhaupt bei Ultravasan antritt, dürfte dann auch sicherlich zu einem nicht unerheblichen Teil mit seinem Konkurrenten vom IFK Mora zu tun haben. Mit den beiden sind zudem noch der Portugiese Helder Ferreira, der Franzose Arnaud Perrignon und der Norweger Tom Erik Halvorsen in der Führungsgruppe.

Vollkommen ohne Tempoverschärfung kann sich hingegen Jasmin Nunige die erste Spurtprämie sichern. Denn die Schweizerin hat sich bereits fast sieben Minuten Vorsprung auf die nächste Verfolgerin Ida Nilsson heraus gearbeitet. Nur Petra Kindlund als Dritte bleibt überhaupt noch unter zehn Minuten Abstand. Anna-Carin Söderström liegt dagegen fast schon eine Viertelstunde zurück. Und bei Maria Lundgren auf Rang fünf sind es sogar mehr als achtzehn Minuten.

Es sieht schon nach gerade einmal einem Viertel des Laufes nach einem klaren Sieg der Davoserin aus. Denn angesichts von sechs Siegen in ihrem Heimrennen - bei vier von ihnen stand sie übrigens gemeinsam mit Jonas Buud auf dem obersten Podest - mangelt es ihr nicht unbedingt an Erfahrung auf den ganz langen Distanzen. Obwohl sie es als Skilangläuferin einst bis zu den Weltmeisterschaften geschafft hat, ist die Wasalauf-Strecke für sie allerdings Neuland. Weder mit noch ohne Ski hatte Nunige sie bisher unter den Füßen.

Mångsbodarna sieht wirklich ein wenig so aus, wie man sich eine schwedische "Alm" vorstellen könnte. Einige Dutzend Holzhäuser verteilen sich in loser Bebauung großräumig zwischen Wiesen und Wälder. "Idyllisch" mag als Wort ein wenig aus der Mode gekommen sein, doch beschreibt es den einstigen "fäbod" ziemlich gut. Ähnliches lässt sich aber auch praktisch über allen anderen Dörfchen und Weiler sagen, die man unterwegs berühren wird. Um diese abzuzählen, reichen allerdings sogar beinahe noch die Finger aus.

Hinter der Verpflegungsstelle wendet sich die Strecke wieder zum kurz zuvor verlassenen Sträßchen hin. Doch nun wird es überquert und die Läufer schlagen auf einem grasbewachsenen Weg einige nicht allzu enge Haken zwischen den alten Höfen hindurch. Dabei bewegt man sich übrigens tatsächlich in den "Spuren der Väter", denn auch die Loipe der Skilangläufer wird im Winter so geführt.

Zumindest tendenziell geht es dabei weiter bergab. Und die auf die Startnummer aufgedruckte Höhenlinie lässt vermuten, dass es erst einmal auch für einige Zeit dabei bleiben wird. Nicht nur spür- sondern auch wirklich sichtbar wird das Gefälle, als man einen knappen Kilometer hinter dem Kontrollpunkt einen breiten "grusväg" erreicht. Mit nur leichten Kurven führt dieser die Sportler immer weiter in eine Senke hinab.

Ein aufblasbarer Bogen empfängt die Läufer bei 42,195 Kilometern, doch auch wenn man nach dem Durchlaufen "beyond marathon" ist, hat man noch nicht einmal die Hälfte der Distanz geschafft

Einige vor nicht allzu langer Zeit kahl geschlagene Flächen eröffnen dabei ein weites Panorama, das im Hintergrund schon die nächste Hügelkette ankündigt. Selbst wenn sie deutlich weniger häufig auftreten als oben auf der Hochfläche, schieben sich allerdings hie und da auch Moor- und Heideflächen in den aufgrund Bewirtschaftung eher lichten Wald und bilden zusätzliche natürliche Lichtungen.

Ganz so steil, wie man es beim schnellen Blick auf das Startnummern-Profil vermuten könnte, stürzt die Strecke zwar dann doch nicht ins Tal hinunter. Aber gerade einmal drei Kilometer reichen aus, um noch einmal etwa einhundert weitere Höhenmeter zu verlieren. Vom höchsten Punkt des Kurses gerechnet kommt man sogar auf die doppelte Anzahl. Längst befindet man sich damit deutlich unterhalb des Startniveaus.

Fast zeitgleich mit dem Auslaufen des Gefälles, beginnt der Kurs mit mehreren kurz aufeinander folgenden scharfen Schwenks in einem wieder etwas dichteren Netz von Wegen. Denn man hat nicht nur die nächste Getränkestelle sondern auch wieder eine Häusergruppe erreicht, um die man nun einen Haken schlägt. Tennäng heißt dieser Weiler, der noch kleiner ausgefallen ist als Mångsbodarna, aber dank als tiefste Stelle der ersten Rennhälfte und guter Beobachtungspunkt dennoch einen weit über seine Größe hinausgehenden Bekanntheitsgrad besitzt.

Während des Bogens überquert man auch das Flüsschen "Vanån", das siebzig Kilometer weiter südlich in der Gemeinde Vansbro ebenfalls eine der größten schwedischen Ausdauersport- Veranstaltungen beherbergt. Denn dort geht bei "Vansbrosimningen" eine fünfstellige Zahl von Menschen ins Wasser. Alleine etwa achttausend Starter sind es jedes Jahr im drei Kilometer langen Hauptrennen, bei dem in Vanån zuerst zwei Kilometer flussabwärts und dann im schon bekannten Västerdalsälv noch einen Kilometer gegen den Strom geschwommen wird.

Dazu kommen genau wie bei Vasaloppet als Rahmenwettbewerbe noch "Tjejsim", "Halvsim" und "Kortsim" sowie "Öppen Älv". Da außerdem noch ein noch ein Triathlon und ein "Swimrun" - eine in Schweden ziemlich beliebte Rennform, bei der mehrfach zwischen Wasser und Land hin und her gewechselt wird - ausgeschrieben sind, zieht sich das Programm Anfang Juli ebenfalls über eine volle Woche hin.

Zusammen mit dem Wasalauf, Vätternrundan - einem dreihundert Kilometer langen Radrennen rund um Schwedens zweitgrößten See - und den dreißig Kilometern von Lidingöloppet auf der gleichnamigen Insel vor Stockholm bildet er das Quartett "en svensk klassiker". Wer diese vier Prüfungen in vier verschiedenen Disziplinen innerhalb eines einzigen Jahres bewältigt, wird seit den Siebzigerjahren mit einer speziellen Urkunde ausgezeichnet.

Das letzte Stück bis Evertsberg führt über größtenteils gut ausgebaute Wege tendenziell leicht bergan

Wie bei einem "tiefsten Punkt" nicht anders zu erwarten, folgt dem Gefälle eine Steigung. Sie beginnt direkt hinter der Brücke über einen Bach, der sich südlich des so fast ringeherum von Fließgewässern umgebenen Tennäng mit Vanån vereint. Angesicht der Breite des Weges scheint der Übergang genau wie sein Gegenstück auf der anderen Seite der winzigen Siedlung dabei vollkommen überdimensioniert.

Stellt man sich die Örtlichkeiten allerdings im Winter vor, sieht das Ganze schon ein wenig anders aus. Denn unter Berücksichtigung der dann ebenfalls mit Schnee bedeckten Grünflächen links und rechts der Strecke, ergibt sich ein einheitlich breiter Streifen, in den man eine ganze Reihe von Skispuren nebeneinander legen kann. Nicht nur an den Kontrollpunkten zeigt der Wasalauf also bauliche Auswirkungen. Selbst die Brücken entlang der Route, die ansonsten vermutlich kaum benutzt werden, sind von der Größe auf dieses Ereignis ausgelegt.

Auch wenn sich das Profil danach wieder ein wenig beruhigt, fällt gerade diese erste Rampe doch recht heftig aus. Hochalpin ist sie zwar nicht, aber nach dem langen Bergablaufen wechseln dort im mittleren und hinteren Feld viele mit der noch verbleinenden Distanz im Hinterkopf sicherheitshalber trotzdem erst einmal in den Gehschritt. Wirklich flach wird es in der Folge nicht. All die seit Mångsbodarna verlorenen Höhenmeter müssen nun nämlich wieder gewonnen und die sich zuvor am Horizont abzeichnende Hügel erklettert werden.

Dabei verabschieden sich die Läufer zwischenzeitlich noch einmal von der Skispur, die sich in diesem Abschnitt nur als grüne Schneise durch die Wälder zieht, und wechseln erneut auf den - wie zuvor gelegentlich nur aus schmalen Holzbohlen bestehenden - Pfad von Vasaloppsleden. Und auch als sich beide Streckenvarianten erneut treffen bliebt der Geländelauf-Charakter aufgrund des grasigen oder sandigen Untergrundes erst einmal erhalten.

Die höher gestiegene Sonne hat die Temperaturen längst deutlich in den zweistelligen Bereich gebracht. Und die Anstiege sorgen zusätzlich noch für Erwärmung von innen. So entledigt sich so mancher dann auch einer wärmenden Schicht Oberbekleidung. Jacken und Langarmpullis werden umgebunden oder verschwinden in den Rucksäcken. Von nun an dominieren eher T-Shirts und Trägerhemden im Läuferfeld. Und die nächste Getränkestation - natürlich an einer Stelle, die von der Straße leicht zu erreichen ist - findet natürlich guten Zuspruch.

Der noch immer aufwärts führende Weg hat sich da auch wieder deutlich verbreitert. Viel bemerkenswerter ist jedoch, dass er links nun von einer langen Reihe hölzerner Werbebanden begrenzt ist. Dieser recht anspruchsvolle Teil des Anstiegs zählt nämlich zu den bekanntesten Abschnitten des Wasalaufes und taucht bei der alljährlichen, viele Stunden dauernden Live-Übertragung des schwedischen Fernsehens häufiger im Bild auf. Die ganzjährig mitten im Wald stehenden Reklametafeln sind ein weiteres Indiz für die enorme Bedeutung des Rennens.

Johan Stern ist ein alter Bekannter vom Fjällmarathon in Sälen zwölf Monate zuvor, diesmal hat er allerdings erhebliche Knieprobleme und muss das Rennen bei Halbzeit am "Bergpris" in Evertsberg aufgeben

Auch ein Gesicht, dem man bereits im Vorjahr im Jahr zuvor beim Fjällmarathon auf der anderen Seite von Sälen begegnet war, stiefelt den doch in diesem Moment ziemlich steilen Hügel hinauf. Johan Stern, der Stockholmer mit den nicht unbedingt skandinavischen Gesichtszügen ist ziemlich genau zwölf Monate später erneut nach Dalarna gekommen, um jetzt beim anderen großen Laufereignis der Region dabei zu sein.

Man begrüßt sich und tauscht sich über die zwischenzeitlich absolvierten Rennen sowie Startpläne für die Zukunft aus. Ein wenig scheint Stern dabei zu Extremen zu tendieren, wobei Ultravasan - so "verrückt" für die meisten Menschen eine solche Distanz auch immer sein mag - noch eher die harmlose Variante bildet. Schließlich schwärmt er von einem Marschwettbewerb rund um den heimischen Mälarsee mit etwas eigentümlichen Regeln, an dem er unbedingt teilnehmen möchte.

Aufgabe wäre es dabei nämlich nicht, eine festgelegte Distanz in möglichst schneller Zeit zurück zu legen. Vielmehr würden alle gemeinsam in einem exakt vorgegebenen Tempo losgehen und solange ununterbrochen weiter wandern, bis auch der Vorletzte aufgäbe. Beim letzten Mal hätte es zwei volle Tage und bis weit in die zweite Runde - jede immerhin dreihundert Kilometer lang - um den drittgrößten See des Landes gedauert, bevor ein Sieger festgestanden hätte.

Mit "last man standing" umschreibt Stern das Ausscheidungsverfahren dieses Rennens, bei dem sogar die Aufenthaltszeiten auf dem mitfahrenden Toilettenwagen exakt geregelt seien, kurz und bündig. Allerdings gibt er fast gleichzeitig zu, dass schon der Wasalauf an diesem Tag für ihn eine ziemlich große Herausforderung darstellt. Er deutet auf die Bandage an seinem rechten Bein und berichtet von Knieproblemen, mit denen er zuletzt immer wieder zu kämpfen gehabt hätte.

Erst einmal habe er sich deswegen nur das Erreichen von Evertsberg als Ziel gesetzt. Danach würde er entscheiden, ob er noch weiter laufen könne. Als man am Ende der steilsten Passage wieder gemeinsam antrabt, sind seine bereits zu diesem frühen Zeitpunkt nicht mehr ganz so runden Bewegungen auch kaum zu übersehen. Und tatsächlich kommt Johan nur bis zum Halbzeitpunkt und gibt das Rennen dort dann auf.

Im Verlauf der Unterhaltung hat die Strecke wieder aus dem Wald ins Freie hinaus geführt. Zu wiederholten Mal wird ein "myr" auf einem längeren Bohlenweg überquert. Dieser hat jedoch ein völlig anderes Aussehen als jene zuvor. Statt wie gewohnt auf zwei oder drei nebeneinander liegenden schmalen Bretter ist man diesmal über ein hölzernes Band unterwegs, das sich mit einer Breite von rund zehn Meter leicht erhöht über die Freifläche windet.

Natürlich sind diese an die beiden Brücken im Vanån-Tal erinnernden Ausmaße nicht den Läufern von Ultravasan geschuldet. Doch diesmal handelt sich auch nicht um eine weitere Konstruktion zur Aufnahme der winterlichen Vasaloppsspår. Vielmehr wurde sie erst wenige Wochen zuvor für das Radrennen im Sommer errichtet, für das der Untergrund an dieser Stelle ein wenig zu feucht geraten war und das bis zum Vorjahr deswegen eine Ausweichroute wählen musste.

Mit Evertsberg ist nicht nur ungefähr die Hälfte der Distanz bewältigt, auch ein weiterer großer Verpflegungsposten wartet in dem Dörfchen auf die Läufer

Eine letzte kleine Kuppe hinter dem in diesem Falle überhaupt nicht falschen Holzweg bringt noch einmal ein paar Höhenmeter. Dann senkt sich die Strecke jener winzigen Siedlung namens Risberg entgegen, die für die dritte große Verpflegungsstelle des Wasalaufes landesweit bekannt ist. Auch in diesem Gefälle wird während des Rennens gerne gefilmt. Doch handelt es sich im Gegensatz zum Anstieg zuvor nicht etwa um Fernsehanstalten, die zeigen wollen, welche Sportler in den Spitzengruppen sich schon etwas schwerer tun.

Vielmehr halten dort Privatleute ihre Kameras eher in die mittleren und hinteren Bereiche des Feldes. Denn im Zusammenspiel mit der Ermüdung wegen der langen Steigung im Vorfeld und der etwas kurvigen Streckenführung sorgt die Abfahrt in dichter Abfolge für immer neue Stürze bei den Hobbyathleten. Und liegt erst einmal ein Läufer am Boden, kommt es dahinter meist zu weiteren Karambolagen. Auch wenn man sich mit Schadenfreude zurückhalten und es erst einmal besser machen sollte, lässt sich bei vielen Filmschnipsel das Lachen einfach nicht verkneifen.

Das Gefälle ist auch der Grund dafür, dass man nach dem Passieren des ebenfalls aus einem früheren Sommerweideplatz entstandenen Weiler noch ungefähr einen Kilometer weiter laufen muss, bevor man an der Wasalauf-Kontrollestelle ankommt. Die Bauten befindet sich nämlich ein ganzes Stück von den übrigen Häusern entfernt, so dass die Skiläufer den Versorgungspunkt nicht aus voller Fahrt heraus ansteuern und dort abbremsen müssen.

Schon einige Jahre nachdem Risberg in den Sechzigern zu einer Vasaloppskontroll geworden war, hatten die Organisatoren diesen Schwachpunkt bemerkt und die Verpflegung verlegt. Dafür, dass der Weiler überhaupt in die bei den ersten Rennen weit kürzere Liste der offiziellen Posten aufgenommen wurde, ist die vielleicht größte Legende des Wasalaufes verantwortlich. Nils Karlsson, genannt "Mora-Nisse", war zu jener Zeit "spårchef" und trug damit die letzte Verantwortung für eine Reihe von Änderungen an der Strecke.

Doch natürlich nicht deswegen ist der Mann aus dem Zielort fast jedem Skandinavier ein Begriff. Und auch als Skilanglauf-Olympiasieger des Jahres 1948 über fünfzig Kilometer hätte er wohl kaum jene Popularität erreichen können, die er dank seiner insgesamt neun Wasalauf-Erfolge bei den elf Austragungen zwischen 1943 und 1953 besaß. Heutzutage dürfte eine solche Serie angesichts der Leistungsdichte in der Spitze wohl kaum noch zu wiederholen sein.

Nicht nur die Verpflegung in Risberg sondern die gesamte Streckenführung von Mångsbodarna bis Evertsberg haben die Läufer eigentlich Mora-Nisse zu verdanken. Denn ursprünglich war der Wasalauf-Kurs in diesem Bereich südlich der Straße abgesteckt. Da diese Verbindung aber in jener Zeit deutlich ausgebaut worden war und der Verkehr so stark zunahm, dass die Querung für die Skiläufer immer schwerer wurde, wechselte die Loipe unter der Karlssons Leitung komplett auf die Nordseite hinüber, wo sie nun seit fünf Jahrzehnten in jedem Winter neu gespurt wird.

Hinter dem Bergpreis läuft man eine ganze zeitlang und hauptsächlich bergab durch die weit auseinander liegenden Häuser und Höfe

Die Kopfgruppe, die über das Gefälle den ersten Häusern des Weilers entgegen stürmt, ist seit der letzten Zwischenzeitnahme ein wenig geschrumpft. Nur noch zu viert laufen Max King, Jonas Buud, Arnaud Perrignon und Helder Ferreira nämlich vorneweg. Der Norweger Didrik Hermansen hängt als Fünfter bereits ungefähr dreißig Sekunden zurück. Matt Flaherty muss nach seiner erfolgreichen Sprinteinlage in Mångsbodarna noch deutlichere Abstriche machen und hat auf gut zehn Kilometern eineinhalb Minuten verloren.

Bei den Frauen - im Schwedischen "kvinnor" genannt, was sich anders als das Gegenstück "män" nicht gleich auf Anhieb verstehen lässt - läuft Jasmin Nunige an der Spitze weiter ein einsames Rennen. Sie hat ihren Vorsprung sogar noch weiter ausgebaut und liegt nun fast neun Minuten vor der zweitplatzierten Ida Nilsson und bereits knapp dreizehn Minuten vor Petra Kindlund auf Rang drei. Und während bei den Männern noch fünf Sportler innerhalb von dreißig Sekunden unterwegs sind, heißt die entsprechende Maßeinheit bei den Damen dreißig Minuten.

Gleich mehrere Holzgebäude empfangen die Ultraläufer am Verpflegungspunkt, der direkt neben der Straße liegt und für die dem Feld folgenden Zuschauer auch ausreichend Parkflächen bietet. Selbst wenn die Strecke einen kleinen Schlenker zwischen ihnen hindurch macht, kann man sich nicht verlaufen. Mit Flatterband und Holzbarrieren ist die Route vor und hinter den Tischen genau abgesteckt.

Doch nicht nur daran lässt sich erneut die enorme Kompetenz und Routine erkennen, die in der Organisation vorhanden ist. Es gibt unterwegs viele kleine Details für das skandinavische Streben nach Perfektion. So wird kurz vor dem Verlassen der Verpflegung eine Tafel mit Aufschrift "Sista soptunnan innan näste kontroll" passiert. Wer kein Schwedisch versteht, kann sich an "last trash can before next checkpoint" orientieren und dort seine letzten Becher entsorgen. Kurz darauf verabschiedet Transparent "nästa kontroll Evertsberg 13 km" die Läufer wieder in den Wald.

Evertsberg liegt genau wie Risberg und Mångsbodarna etwa vierhundert Metern Höhe. Und im Gegensatz zum voran gegangenen Abschnitt muss auf dem Weg dorthin auch kein Flusstal mehr durchquert werden. Dass bedeutet zwar keineswegs, dass die Strecke nun wirklich flach verlaufen würde. Weiterhin gibt es immer wieder einmal eine Kuppe zu bewältigen. Doch halten sich die Ausschläge des Profils in Grenzen. Und bevor zum nächsten Mal wieder mehr als zwanzig Meter am Stück erklettert werden müssen, kann man erst einmal einige Kilometer durchschnaufen.

Die Laufstrecke orientiert sich nun größtenteils an Vasaloppsspåret und bewegt sich dabei in der inzwischen gewohnten Bandbreite, die von geschotterten Fahrwegen bis zu grasigen Pfaden reicht, auf denen auch weiterhin gelegentlich auf Brettern über besonders feuchte Stellen balanciert werden muss. Das ist zwar landschaftlich noch immer wirklich schön, aber irgendwie fehlen doch absolut spektakuläre, unvergessliche Eindrücke wie in der Anfangsphase. Vielleicht hat sich aber auch nur längst ein gewisser Gewöhnungseffekt eingestellt.

Rund zwei Kilometer geht es nach der "kontroll" noch an schwedenroten Holzbauten vorbei, bevor die Strecke endgültig wieder im Wald verschwindet

Man nähert sich bereits vorsichtig der Vierzig-Kilometer-Marke, als die Route kurzzeitig auf eine asphaltierte Piste einbiegt und wenig später die Hauptstraße erreicht. Schon seit Mångsbodarna hatte sich die Strecke praktisch nie weiter als zwei- bis dreihundert Meter vom "landsväg 1024" - das Wort "väg" ist im Schwedischen keineswegs völlig gleichbedeutend mit dem deutsche "Weg" sondern bezeichnet jede Art von Fahrstraße - entfernt. Doch wirklich mitbekommen hatte man das aufgrund der dichten Wälder und der eher geringen Verkehrsdichte recht selten.

Für die nächste Zeit werden sich die Läufer nun jedoch nahezu ausschließlich in ihrer Sichtweite bewegen. Knapp vier Kilometer absolvieren sie nämlich - jetzt allerdings wieder auf Naturboden - parallel zur weit über die Region hinaus unter "Vasaloppsvägen" bekannten Verkehrsachse. Der auch für Radler geeignete Pfad unter ihren Füßen entfernt sich dabei nie weiter als zwei bis drei Dutzend von der Straße.

Und zu Anfang absolviert man gleich einmal ein Stück so dicht neben dem Asphalt, dass man vorbeifahrende Autos beinahe mit der Hand berühren könnte. Viele sind es in dieser doch eher abgelegenen Gegend allerdings nicht. Und wenn tatsächlich ein Fahrzeug vorbei kommt, dann handelt es sich meist um Zuschauer und Begleiter des Rennens. Und so empfindet man diesen Abschnitt keineswegs als unangenehm. Er ist vielmehr eine willkommene Abwechslung.

Kurz nachdem die blaue Tafel am Streckenrand zum letzten Mal eine mit einer "5" beginnende Zahl als noch ausstehende Distanz angezeigt hat, wird die Abwechslung noch deutlich größer. Denn die Straße und der sie begleitende Radweg verlaufen in diesem Bereich nicht mehr durch weite skandinavische Wälder sondern winden sich zwischen einer Seenplatte aus mehreren miteinander verbundenen Wasserflächen unterschiedlichste Größe hindurch.

Viel Platz bleibt da nicht mehr. Und so muss auch die traditionelle Wasalauf-Loipe, die zuvor im Gegensatz zur Laufstrecke noch etwas weiter von der Straße entfernt gehalten hatte, auf den schmalen Streifen einschwenken, der zwischen Asphalt und See noch übrig bleibt. Das lässt sich ziemlich leicht an der plötzlich wieder deutlich weiteren Auslegung des zuvor einige Zeit eher schmal ausgefallenen Weges sowie den viel zu breiten Brücken erkennen.

Nicht nur bei diesen Querungen der Verbindungskanäle zwischen den einzelnen Gewässern haben die Sonnenstrahlen freie Bahn. Der größte Teil der übrigen Uferstrecke bietet ebenfalls recht wenig Schatten. Und so ist es durchaus kein Nachteil, dass auch mehrere kleine in die Seen hinein ragende Halbinseln durchlaufen werden, auf denen man sich wieder ein wenig im Schutz der Bäume bewegen kann.

An einigen sich ebenso im Wald versteckenden Ferienhäusern verabschiedet sich der Kurs wieder einmal kurz ein wenig von der Straße. Und nur ein paar Schritte später wird der Weg plötzlich auf beiden Seiten von blauen Fahnen begleitet. Ein ebenso blauer aufblasbarer Bogen und Schilder mit dem englischen Glückwunsch "Congrats 42,195 km done" markieren den Marathonpunkt. Und dahinter begrüßen Tafeln mit der Aufschrift "Beyond Marathon" die Läufer im Ultrabereich.

Man ist noch mitten im Wald und mehr als sechsunddreißig Kilometer vom Ziel entfernt, als eine Holztafel die Läufer bereits auf dem Gebiet von Mora begrüßt

Dass erst danach - nun erneut am Seeufer - das Schild mit der "48" passiert wird, sollte dann auch jenen, die am Anfang im Startgetümmel die ersten Kilometermarken verpasst und deswegen deren leichte Verschiebung noch nicht bemerkt hatten, endgültig klar machen, dass auf der Spur der Väter zwischen Sälen und Mora zusätzlich zum ausgeschriebenen Neunziger noch einige hundert Zusatzmeter zurück zu legen sind.

Ein welliger, schlenkriger und nicht allzu breiter Pfad - die Vermutung, dass im Winter eine etwas andere Route gewählt wird, ist erneut richtig - führt die Läufer hinter dem letzten großen See wieder tiefer in den Wald hinein. Doch er ist gut ausgebaut. Da der Untergrund nicht bei jedem Schritt die volle Aufmerksamkeit verlangt, kann man also durchaus einmal mit einem Gespräch beginnen. Doch irgendwie macht es stutzig, dass der hochgewachsene Sportler dieses gleich auf Englisch einläutet.

Schließlich besteht das Starterfeld nahezu ausschließlich aus Skandinaviern, die sich - wie schon erwähnt - mit etwas gutem Willen auch über die Grenzen der schwedischen, norwegischen oder dänischen Landsmannschaft hinaus untereinander ganz gut verständigen können, ohne ins Englische ausweichen zu müssen. Die Wahrscheinlichkeit, einen Wikinger neben sich zu haben, fällt so eher gering aus. Schnell ist dann allerdings geklärt, dass man sich genauso gut auch auf Deutsch austauschen kann. Denn Thorsten Rohde stammt aus Hamburg.

Er gibt allerdings fast im gleichen Atemzug auch zu, dass er ein Faible für Nordeuropa habe und insbesondere in der ehemaligen Olympiastadt Lillehammer häufig ziemlich zu Gast sei. Wie meist kehrt die Unterhaltung nach der gegenseitigen Vorstellung schnell wieder zum Thema "Laufen" zurück. Und eine der in solchen Fällen üblichsten Fragen lautet, ob man bei der Veranstaltung zuvor schon einmal dabei war - und wenn ja, wie oft.

Man war es bisher nicht. Denn der Mann aus der Hansestadt ist ebenfalls zum ersten Mal beim Wasa-Ultra und kann deswegen nicht wirklich abschätzen, was in der zweiten Rennhälfte noch auf ihn zukommt. Viel erstaunlicher ist jedoch, dass er zudem berichtet, zuvor noch keinen einzigen Marathon gelaufen zu sein. Er sei nämlich doch eher Triathlet. Und auch im Ausdauerdreikampf wäre er bisher nicht über die Mitteldistanz hinausgegangen. Dabei habe er allerdings durchaus die besondere Herausforderung gesucht.

An seiner Tonlage lässt sich viel Begeisterung heraus hören, als Rohde vom Aurland-Triathlon in Westnorwegen erzählt. Nach dem Schwimmen im ziemlich kühlen Wasser des gleichnamigen Fjords wären mit dem Rad insgesamt rund dreitausend Höhenmeter auf der hoch über ihm liegenden Panoramastraße zu erklettern. Und zum Abschluss kämen beim Laufen noch einmal tausend weitere hinzu, bevor das Ziel im Fjell - was im Norwegischen genau wie das schwedische "Fjäll" etwa "Gebirge oberhalb der Baumgrenze" bedeutet - erreicht wäre.

Thorsten Rohde ist Skandinavien-Freund aus Hamburg und absolviert zwischen Sälen und Mora seinen ersten Ultralauf Nach über fünfzig Kilometern dürfte wohl kaum noch einer der Ultraläufer im Anstieg die mit "FAST" ausgezeichnete Spur wählen

Seinen ersten Ultraversuch habe er ebenfalls im skandinavischen Bergland absolviert. Doch sei dieser beim Birkebeiner-Lauf von Lillehammer schon vorzeitig beendet gewesen, weil er nach einem Sturz aufgeben musste. Als "viel zu technisch" bezeichnet er die Trampelpfade, die bei diesem Rennen zu belaufen gewesen wären. Wer die - vorsichtig ausgedrückt - ziemlich "naturbelassene" Struktur der meisten Wanderwege im europäischen Norden kennt, ist darüber keineswegs erstaunt.

Ultravasan sei da doch erheblich einfacher. Und der aktuelle, recht ebene Untergrund gefällt ihm dabei selbstverständlich auch noch etwas besser als die wurzelgespickten Passagen am Anfang. Irgendwie passen die beiden von ihm gewählten Veranstaltungen mehr als gut zueinander. Schließlich ähnelt die Vielfalt der Wettbewerbe, die in Norwegen unter dem Oberbegriff "Birkebeiner" angeboten werden, doch ziemlich stark dem Winter- und Sommerprogramm der schwedischen Wasaläufe.

Genau wie bei "Vasaloppet" ist dabei der ursprüngliche Ausgangspunkt das Skirennen, das sich ebenfalls auf eine historische Legende gründet. Die Bezeichnung "Birkebeiner" bezieht sich dabei auf eine der beiden Konfliktparteien während der norwegischen Bürgerkriege des zwölften und dreizehnten Jahrhunderts. Und deren Name ist seinerseits wieder von ihren angeblich mit Birkenrinde umwickelten Beinen abgeleitet.

Nach dem plötzlichen Tod ihres Anführers König Håkon versuchten seine Anhänger nämlich dessen gerade einmal einjährigen Sohn mitten im Winter vor ihren Gegnern in Sicherheit zu bringen. Die alten Chroniken berichten von Skiläufern - auch in diesem Fall sind es übrigens wieder zwei - die das hilf- und wehrlose Kleinkind, im Schneetreiben von Lillehammer über die Berge ins Østerdalen getragen hätten. Der so geretteten Håkon Håkonsson sollte später ebenfalls König werden und mehr als vier Jahrzehnte lang über Norwegen herrschen.

Seit 1932 wird in Erinnerung an diese Tat "Birkebeinerrennet" - "langrenn" ist im Norwegischen die irgendwie doch ziemlich anschauliche Bezeichnung für "Skilanglauf" - ausgetragen, womit man eine nur unwesentlich kürzere Tradition als die bekanntere Veranstaltung im Nachbarland hat. Und längst bewegt man sich im Hinblick auf die Teilnehmerzahlen in ähnlichen Dimensionen wie der Lauf in Dalarna.

Selbst die eigentlich aus historischer Sicht "falsche" Richtung teilen sich die beiden großen skandinavischen Skiklassiker. Denn der Start der vierundfünfzig Kilometer langen Strecke befindet sich in Rena im Osten und das Ziel in Lillehammer im Westen. Eine Besonderheit ist allerdings der Rucksack von mindestens dreieinhalb Kilogramm, den jeder Teilnehmer über die gesamte Strecke auf dem Buckel haben muss und der mit seinem zusätzlichen Gewicht den auf die riskante Reise mitgenommenen Königsohn symbolisieren soll.

Die alte Mühle "Axi kvarn" ist ein weiterer Ort, an dem man sich fühlt, als sei die Zeit im Westen Dalarnas viele Jahrzehnte stehen geblieben In Oxberg muss eine mit Flatterbändern abgesteckte Wendeschleife absolviert werden, um zu den Verpflegungstischen zu kommen

Bereits wesentlich früher als ihre Kollegen in Schweden, nämlich schon in den Neunzigern des vergangenen Jahrhunderts ergänzten die Organisatoren das Angebot dann allerdings im Sommer. Auch Radfahrer und Läufer bekamen durch das Duo "Birkebeinerrittet" - für Radrennen hat man im Norwegischem also ebenfalls einen Begriff gefunden, das ein absolut treffendes Bild zeichnet - und "Birkebeinerløpet" ihre Wettbewerbe.

Im Unterschied zur "sommarvecka" des Wasalaufes, bei der man sowohl zu Fuß als auch auf dem Fahrrad auf fast identischer Distanz mehr oder weniger dem Verlauf der "skidspår" folgt, sind Streckenlänge und -führung dabei allerdings weit stärker abweichend. Der Kurs der Radler führt immerhin ebenfalls von Rena nach Lillehammer, hat aber etwas andere Start- und Zielpunkte, benutzt vollkommen andere Wege und ist dadurch auf über neunzig Kilometer verlängert.

Birkebeinerløpet bleibt dagegen komplett in Lillehammer. Und lange Zeit beschränkte man sich nur auf einen Halbmarathon, der in einem großen Bogen durch die angrenzenden Wälder vom Skistadion zur Olympia-Eishalle führt. Erst im Jahr 2010 kam "UltraBirken" - die Ähnlichkeit zu "Ultravasan" ist unübersehbar, allerdings sind die Kurzformen "Birken" und "Vasan" tatsächlich längst in die Umgangssprache eingegangen - hinzu. Doch trotz der mit sechzig Kilometern zum Skirennen vergleichbaren Länge, sind beide Kurse völlig unterschiedlich.

Denn gestartet wird der Ultra in Sjusjøen, das sich etwa auf halbem Weg zwischen Rena und Lillehammer befindet. Von dort wird über die von Thorsten Rohde - der übrigens diesmal ohne Sturz ankommen und den Lauf in 11:40:52 beenden wird - erwähnten "technischen" Pfade erst einmal eine große Schleife in Fjell absolviert, bevor es dann auf der zweiten Hälfte in Richtung Lillehammer geht. Beim Marathon, der ab 2016 das Programm als Zwischendistanz abrunden soll, wird die Einführungsrunde nur etwas kürzer ausfallen.

Die Unterhaltung sorgt dafür, dass die verbleibenden Kilometer bis Evertsberg schnell vergehen. Dass es vor dem Erreichen des zentralen Verpflegungspunktes noch einmal spürbar bergan geht, lässt sich aber trotzdem nicht übersehen. Nicht nur weil er sich in der Nähe der Streckenmitte - die "45" steht eineinhalb Kilometer vorher an einem erneut in Sichtweite der Straße verlaufenden Schotterweg - befindet, hat der "Bergpris" seinen Namen also absolut zu Recht.

Dass die Vegetation nach einer noch nicht allzu lange zurückliegenden "Holzernte" ausgerechnet dort meist aus Gräsern und niedrigen Büschen, aber kaum noch aus Schatten spendenden Bäumen besteht, macht den Anstieg nicht einfacher. Die letzten Meter zur Sprintwertung, die man auf einem grasigen Weg zwischen den ersten Häusern der Streusiedlung zurücklegt, sind allerdings wieder weitgehend eben.

Als Erster durchläuft Max King den mitten auf einer Wiese stehenden hölzernen Torbogen, an dem es sowohl im Sommer als auch im Winter um Preisgeld geht. Ein Stück zuvor "ryckte" - noch so ein schöner Begriff der Skandinavier, den man zwar nicht wörtlich übersetzen, aber wegen der Verwandtschaft zu "Ruck" irgendwie ganz gut verstehen kann, beschreibt es doch das plötzliche Aufreißen einer Lücke während eines sportlichen Wettkampfes - der Amerikaner von seinem letzen verbliebenen Begleiter Jonas Buud.

Etwas mehr als zwei Drittel der Distanz sind am Kontrollpunkt von Oxberg bewältigt

Doch größer als eine Viertelminute wird der Vorsprung nicht. Und nachdem sich die beiden Führenden verpflegt haben, verlassen sie den Kontrollpunkt dann hinterher auch beinahe wieder gleichzeitig. Die Vermutung, dass es King bei seiner Tempoverschärfung weniger um einen ernsthaften Angriff als eher um den gar nicht so kleinen Nebenverdienst durch die Spurtprämie gegangen sein könnte, dürfte deswegen nicht allzu falsch sein.

Sechzig Sekunden später folgt mit Arnaud Perrignon der Dritte. Der Portugiese Ferreira lässt noch einmal fast eine Minute auf sich warten. Und Didrik Hermansen tröpfelt dreieinhalb Minuten hinter der Spitze ebenso alleine in Evertsberg ein. Auch bei den Männern werden die Lücken inzwischen größer. Mit den Zeitabständen bei den Frauen sind sie aber dennoch nicht vergleichbar. Denn Jasmin Nunige hat über zehn Minuten auf Ida Nilsson und fast achtzehn auf Petra Kindlund heraus gelaufen. Alle anderen Damen sind sogar mehr als eine halbe Stunde zurück.

Hinter dem Bergpreis-Tor bringt eine mit Flatterbändern abgesteckte Spitzkehre die Läufer zurück zum eigentlichen Versorgungsstand. Dessen Angebot geht weit über das hinaus, was man von den meisten anderen Wettkämpfen gewohnt ist. Wasser und Elektrolytgetränke sind sicher genauso normal wie Obst. Cola ist ebenfalls nicht gar zu ungewöhnlich. Und auch warme Bouillon hat man auf Verpflegungstischen zumindest dann bereits einmal gesehen, wenn man bei längeren Bergläufen in den Alpen angetreten ist.

Mit eingelegten Gurken sieht es jedoch schon ein wenig anders aus. Die sind wirklich etwas typisch schwedisches und selbst im Nachbarland Norwegen als Rennverpflegung ziemlich unüblich. Ganz genauso verhält es sich auch mit "blåbärssoppa". Diese hat ihre landesweite Popularität bei allen Arten von Ausdauersportveranstaltungen ohnehin zu großen Teilen dem Wasalauf zu verdanken, bei dem warme Blaubeersuppe - sonst eher ein Dessert - schon seit Jahrzehnten als Getränk in Bechern gereicht wird.

Die Rosinenbrötchen werden in der langen Auflistung des Angebotes sogar als "vasaloppsbullar" bezeichnet. Den dazu passenden Kaffee kann man sich selbstverständlich ebenfalls geben lassen. Dass man Weingummi - übrigens fertig portioniert in Bechern - zur Wettkampfernährung benutzen kann, hat man sich mit hoher Wahrscheinlichkeit bei den Angelsachsen abgeschaut. In den meisten übrigen Ländern sieht man es bei solchen Gelegenheiten schließlich eher selten.

Vollkommen ungewöhnlich wird die Sache dann aber bei "pannkakor" - warmen Eierpfannkuchen - oder Nudeln mit Carbonara-Soße. Auch Käsebrötchen sind sicher weder der normale Marathon-Standard noch besonders leicht verdaulich. Ja, wer einen unter körperlicher Belastung nicht allzu empfindlichen Magen besitzt, darf seinen Appetit in Evertsberg sogar mit einer dicken Scheibe frischer Wurst aus Dalarna stillen.

Als ob die Temperaturen noch nicht hoch genug wären, sorgen im letzten Drittel offeneres Gelände und sandige Böden dafür, dass die Sonne noch mehr Wirkung entfalten kann

Es ist nicht das erste Mal, dass man sich irgendwie ein wenig an den Rennsteiglauf erinnert fühlt. Im Thüringer Wald gibt es schließlich zwischendurch auch einmal Würstchen oder Schmalzbrote als Stärkung. Haferschleim ist dort ein mit schwedischer "blåbärssoppa" durchaus vergleichbares typisches Produkt. Die Punkt-zu-Punkt-Strecke sowie gelegentlich recht ähnlichen Landschaften, Wege und Steigungen bieten weitere Déjà-vu-Momente. Und selbst dass die Halbzeit am Rennsteig "Ebertswiese" heißt, weckt augenblicklich Assoziationen.

Evertsberg, das fast genauso klingt, ist zwar wohl wirklich der Kontrollpunkt mit der reichhaltigsten Auswahl. Doch auch einige andere Posten sind kaum weniger gut bestückt. Das alles lässt sich im Vorfeld schon auf der Internetseite nachlesen. Und um wieder einmal die fast schon an Perfektion grenzende Organisationsleistung zu zeigen, sei nebenbei noch erwähnt, dass für Allergiker dort sogar eine Liste mit allen Nahrungsbestandteilen veröffentlicht ist.

Schon seit der Erstaustragung des Wasalaufes dient das Örtchen als Kontrollpunkt. Dass sich dabei die genaue Streckenführung sowie die Lage der Verpflegung mehrmals geändert haben, ist eigentlich nicht erstaunlich. Dennoch sind die von Anfang an beim Durchlauf in Evertsberg genommenen Zwischenzeiten für die Spitzenläufer durchaus aussagekräftig. Diese kann man zwar nicht im Internet entdecken. Doch die kompletten Zieleinlauflisten aller Rennen lassen sich dort nachlesen. Die Datenbank umfasst dabei inzwischen weit mehr als eine Million Einträge.

Mit mehreren hundert ständigen Einwohnern ist Evertsberg das einzige größere Dorf, das auf der gesamten Strecke durchlaufen wird. Doch als zusammenhängende Siedlung mit dicht aneinander gereihten Gebäuden sollte man es sich auf keinen Fall vorstellen. Wie eigentlich fast immer im ländlichen Skandinavien besteht es aus einzeln stehenden, über eine Fläche von mehr als einem Quadratkilometer verteilten Bauernhöfen und Häusern, zwischen die sich immer wieder Wiesen und Baumgruppen hinein schieben.

So fällt der auf die Verpflegung folgende, meist leicht bergab führende Abschnitt über mehrere Dorfstraßen zum einen ziemlich grün und zum anderen auch überraschend lang aus. Erst etwa eineinhalb Kilometer hinter der Verpflegung taucht man tatsächlich wieder in den Wald ein, doch nur um einige hundert Meter danach noch einmal auf eine weitere, über eine Lichtung verteilte Häusergruppe zu treffen. Erst mit der - wohlgemerkt rückwärts gerechneten - Kilometermarke "41" lässt man Evertsberg endgültig hinter sich.

Auch auf dem breiten Fahrweg, der sich in sanfte Bögen durch den nordischen skog zieht, geht es beständig weiter leicht bergab. Auf jedem der folgenden Kilometer verliert dieser nämlich zwanzig bis dreißig Höhenmeter. Als Skilangläufer, die im März auf gleicher Strecke unterwegs sind, könnte man diesen Abschnitt größtenteils einfach in der Hocke hinunter gleiten und müsste nur bei kleineren Wellen gelegentlich einmal die Stöcke einsetzen. Für Läufer hingegen ist das Gefälle zwar nicht gerade unangenehm, doch wirklich erholen kann man sich eben trotzdem nicht.

Die Wege, über die der Kurs nun verläuft, führen zwar noch immer durch die Weiten der nordischen Natur, sind aber meist relativ breit und ziemlich gut ausgebaut

Nur fünf Kilometern, nachdem man ihn passiert hat, befindet man sich bereits mehr als hundert Meter bereits unterhalb des Bergpreises, als der Weg abflacht und fast gleichzeitig in offeneres Gelände hinaus führt. Ein paar Meter zurück sind erneut englische Sprachfetzen zu hören. Zumindest bei einem der beiden Gesprächsteilnehmer ist bei genauerem Hinhören jedoch ein skandinavischer Tonfall zu bemerken ist, so dass sich die Frage stellt, warum sie überhaupt auf die international übliche Lingua Franca ausweichen mussten.

Die andere Klangfarbe stellt sich dann aber schnell als finnischer Akzent heraus. Jussi Pirinen stammt nämlich aus Helsinki. Und obwohl hierzulande auch Finnland meist der Einfachheit halber zu Skandinavien gerechnet wird, existiert zu den "Wikingern" in den Nachbarländern eine scharfe sprachliche und kulturelle Abgrenzung, die Jussi sogar ausdrücklich betont. Viel weiter als das Finnische ist sowieso kaum eine Sprache von den meisten anderen in Europa entfernt.

Einzig das Estnische, das gut hundert Kilometer von Helsinki entfernt auf der anderen Seite der Ostsee im nördlichsten der drei baltischen Staaten benutzt wird, ist damit noch näher verwandt. Doch Pirinen widerspricht sogleich energisch der Idee, dass Finnen und Esten eine ähnliche gemeinsame Basis für die Verständigung finden könnten, wie sie zwischen Schweden, Norwegern und Dänen existiert.

Wie anhand der Aussprache schon vermutet kommt der zweite Läufer dagegen aus Göteborg. Abgesehen von einem ganz leicht nordischen Zungenschlag spricht Patrik Nilsson aber wie so viele Skandinavier nahezu perfektes Englisch. Das hängt unter anderem damit zusammen, dass die kleinen Völker des Nordens mit ihren eigenen Sprachen im Rest der Welt nicht sehr weit kommen und deshalb in der Schule bereits ziemlich früh mit Fremdsprachen begonnen wird.

Außerdem ist es nicht üblich - auch hierbei spielt natürlich die Größe des Marktes eine Rolle - Filme und Fernsehsendungen zu synchronisieren. Man sieht sie vielmehr im Original mit Untertiteln und hat deswegen ständig andere Sprachen im Ohr. Das im Unterricht Gelernte kann also kaum in Vergessenheit geraten sondern wird fast jeden Tag wieder aufgefrischt. Nilsson behauptet sogar durchaus glaubhaft, dass er die Texte meist gar nicht liest und ihr Fehlen wohl kaum registrieren würde.

Er gibt aber auch zu, in einer international tätigen Firma beschäftigt zu sein und bei der Arbeit regelmäßig Englisch zu benötigen. Früher wäre er dabei ziemlich oft in Deutschland unterwegs gewesen. Bei der Aufzählung der von ihm besuchten Orte fällt unter anderem "Gummersbach" und das Gespräch wechselt recht schnell zum Thema Handball hinüber. Denn als Schwede ist Patrik selbstverständlich an dieser Hallensportart interessiert. Schließlich konnten die Blau-Gelben bereits eine ganze Reihe von Titeln gewinnen.

Die Namen einiger ehemaliger und aktueller Stars werden genannt. Und man stellt fest, dass viele davon nicht nur als Spieler sondern auch als Trainer in der deutschen Bundesliga tätig sind. Insbesondere das starke skandinavische Kontingent der SG Flensburg-Handewitt macht Nilsson hellhörig. Denn das dänische Sønderborg nur einige Dutzend Kilometer nördlich zählt weiterhin zu seinen Dienstreisezielen. Früher habe er häufig einmal Spiele von Redbergslid Göteborg besucht. Nun könne er ja vielleicht auf einem dieser Trips einmal in Flensburg in die Halle gehen.

Nicht nur an den Verpflegungspunkten sondern auch mitten im Wald erinnern die Organisatoren daran, keinen Müll in der Landschaft zu hinterlassen Patrik Nilsson aus Göteborg läuft bei Ultravasan so lange wie noch nie zuvor, doch kennt er die Strecke schon von anderen Gelegenheiten

Jussi Pirinen hat als Finne deutlich weniger Bezug zum Handball. Noch weit vor Fußball steht in seiner Heimat Eishockey an erster Stelle. Und er steuert eine nette Anekdote bei, die diese geringe Bedeutung noch zusätzlich belegt. Denn in der ersten Liga hätten einmal abgesehen vom Handballclub Rovaniemi nur Teams aus Südfinnland gespielt. Um Reisekosten zu sparen habe der Verein vom Polarkreis deswegen für Auswärtsbegegnungen mit Spielern der Region Helsinki eine weitere Mannschaft gebildet. Nur zu Hause sei man mit dem eigentlichen Team aufgelaufen.

Der Mann aus Soumi, dessen Englisch aus ähnlichen Gründen wie bei seinem aktuellen Begleiter aus Schweden übrigens ebenfalls alles andere als schlecht ist, besitzt als einziger aus dem neu gebildeten internationale Trio echte Streckenkenntnis. Denn er war auch bei der Premiere von Ultravasan dabei. "Very technical" wäre keine der noch anstehenden Abschnitte mehr. Wie schwer der Schlussteil dennoch werden kann, sieht man daran, dass Pirinen im Vorjahr deutlich mehr als drei Stunden für die letzten zwanzig Kilometer benötigt hat.

Selbst wenn der Weg inzwischen wieder etwas schmaler geworden ist, wird er mit dieser Aussage Recht behalten. Die Strecke hat sich noch erheblich weiter gesenkt, als man ein Stück hinter der Marke mit der "37" auf einen Bach trifft. Nur einen Steinwurf entfernt kreuzt Vasaloppsvägen ihn ein wenig erhöht auf einer Brücke. Die Laufstrecke greift diese Gelegenheit beim Schopf. Fast gleichzeitig wird das Gewässer über- und die Straße unterquert. Von nun an wird es bis zum Ziel in Mora südlich von ihr weiter gehen.

An diesem Punkt trifft auch der nach dem Start erst einmal nach Westen führende Kurs des Fünfundvierzigers auf die von Sälen kommende Hauptroute und dreht mit einem großen Schwenk in genau entgegengesetzte Richtung ein. Obwohl eigentlich ja Evertsberg als ungefähre Halbzeit einen guten Startort darstellen würde, orientiert sich die kurze Strecke aus nachvollziehbaren Gründen an Halvvasan und beginnt deswegen eben auf dem traditionellen, ebenfalls ziemlich weitläufigen Startgelände in Oxberg.

Wer die Brücke jedoch in sechs oder noch mehr Stunden auf der Uhr erreicht, wird von diesem Rennen erst einmal ziemlich wenig mitbekommen. Die Halbdistanzler haben diese Stelle schließlich nach nicht einmal zehn Kilometern passiert und sind trotz einer Verschiebung ihrer Startzeit auf nun neun Uhr zu diesem Zeitpunkt längst ein ganzes Stück weit weg. Dass man sie sechzig Minuten als im Vorjahr später auf die Strecke geschickt hat, hängt mit den damals gemachten Erfahrungen zusammen.

Es sei sogar eine der wichtigsten Änderungen überhaupt, wie der Organisationschef beim Startinterview in Sälen besonders betont. Denn mit diesem zeitlichen Abstand zwischen den zwei Rennen sei sichergestellt, dass der Sieger des Hauptlaufes das Ziel als Erster erreiche, nicht von Zuschauern oder Ansagern mühsam zwischen Teilnehmer der Rahmenwettbewerbe heraus gepickt werden müsste und so gebührend gefeiert werden könnte.

Nach einigen weitgehend flachen Kilometern muss man das letzte Stück nach Hökberg hinauf noch einmal etwa klettern

Diese Stunde ist auch wirklich nötig. Denn Fritjof Fagerlund legt die - allerdings etwas zu kurz geratenen - fünfundvierzig Kilometer in ziemlich beachtlichen 2:45:30 zurück. Für den erfahrenen schwedischen Ultraläufer ist das Rennen eine Vorbereitung für die nur drei Wochen später im niederländischen Winschoten stattfindenden Weltmeisterschaften über hundert Kilometer, die er immerhin auf Rang sechs abschließen wird.

Dass man auch den langen Wasa-Ultra absolvieren und trotz des kurzen Abstandes dennoch bei der WM extrem erfolgreich sein kann, führt sein Landsmann Jonas Buud vor. In Abwesenheit von Vorjahressieger Max King, der den Doppelstart im Gegensatz zu seinem Konkurrenten nicht versucht, wird sich der Mann aus Mora nach mehreren zweiten Plätzen in 6:22:44 erstmals in seiner Karriere die Goldmedaille bei den globalen Titelkämpfen erlaufen.

Nachdem er bei der Premiere die "kurze" Strecke gewinnen konnte, durchquert Roman Ryapolov trotz einer Verbesserung um drei Minuten auf 2:46:46 dieses Mal das "målportal" von Mora nur als Zweiter. Hinter seinem Namen wird in der Ergebnisliste zwar die russische Fahne gezeigt. Dennoch ist er eigentlich ebenfalls eine Art Lokalmatador. Der Orientierungsläufer gehört nämlich zur Trainingsgruppe des IFK Mora und geht für diesen Verein an den Start. Auch Pontus Svensson auf Rang drei bleibt in 2:49:31 noch unter der Siegerzeit des Vorjahres.

Bei den Damen ist die Französin Caroline Dubois die Schnellste über die halbe Distanz. Bei ihrem Start-Ziel-Erfolg liegt sie in 3:13:22 am Ende knapp vier Minuten vor der 3:17:09 laufenden Sophia Sundberg. Bei der Erstauflage hatte sich die Schwedin noch für die lange Strecke entschieden und war dort Vierte geworden. Josefine Antonsson sichert sich mit 3:23:09 in einem immerhin fast zu einem Drittel aus Frauen bestehenden Feld Platz drei.

Gleich hinter einem weiteren Getränkeposten, den man wegen des direkten Zugangs zur Straße in der Bachsenke aufgebaut hat, steht eine große Holztafel am Wegesrand. Ihre Aufschrift "Välkommen till Mora" sorgt erst einmal für größeres Erstaunen. Schließlich steht noch weit mehr als ein Drittel der Gesamtdistanz an, bevor man den Zielort wirklich erreichen wird. Dennoch ist das Schild keineswegs falsch. Man hat tatsächlich schon das Gemeindegebiet von Mora erreicht.

Eine schwedische "kommun" hat schließlich einen weit größeren Zuschnitt als eine Kommune hierzulande. Das liegt zum einen natürlich an der relativ dünnen Besiedlung, aber auch an einem völlig anderen Ansatz in den nordischen Ländern. Ähnliches gilt nämlich für Norwegen, Finnland und sogar das kleine Dänemark. Obwohl Schweden deutlich größer ist als Deutschland, gibt es keine dreihundert politischen Gemeinden. In Baden-Württemberg, das auf nicht einmal einem Zehntel der Fläche etwa die gleiche Einwohnerzahl hat, sind es dagegen über tausend.

Der als Staffelstab dienende Chip muss von den "stafettlöpare" über eine an einen Tische erinnernde Barriere hinweg weitergegeben werden, die auch die Zwischenzeiten registriert

Während der gesamten neunzig Kilometer von Ultravasan bewegen sich die Läufer in gerade einmal drei "kommuner". Neben Malung-Sälen am Anfang und Mora am Ende betritt man unterwegs nur noch die Gemeinde Älvdalen. Doch obwohl man diese bereits irgendwo auf den Pfaden zwischen Smågan und Mångsbodarna erreicht und sie damit den größten Teil der Strecke beherbergt, durchläuft man eigentlich nur ihren allerletzten Zipfel. Wäre die Strecke wenige Kilometer weiter südlich abgesteckt, ginge es von Malung-Sälen sogar direkt nach Mora hinüber.

Nur wenige Schritte sind im der nach dem Zielort benannten Gemeinde absolviert, da verlässt man schon wieder die Senke des Baches über eine nicht allzu lange, aber ziemlich ruppige Steigung. In ihren steilsten Abschnitten sind die Prozentzahlen eindeutig zweistellig. Und so gibt in der Wegmitte ein Schild mit Pfeilen vor, dass rechts "slow" und links "fast" gelaufen werden solle. Selbst mit den Läufern der Halbdistanz, dürfte das Getümmel aber wohl kaum so groß werden, um es notwendig zu machen. Wahrscheinlich ist es einfach nur vom Radrennen übrig geblieben.

Inzwischen hat das Gesprächsthema zum Comrades Marathon hinüber gewechselt. Schließlich ist dieser angesichts fast identischer Streckenlänge, Tradition und Teilnehmerzahlen das Pendant der Ultralaufszene zum Wasalauf der Skilangläufer. Patrik Nilsson lauscht ziemlich interessiert den Berichten über das Rennen in Südafrika, das auch hinsichtlich landesweiter Beachtung und Präsens in den Medien durchaus mit Vasaloppet vergleichbar ist. Beide Veranstaltungen werden zum Beispiel in voller Länge live im nationalen Fernsehen übertragen.

Doch ernsthaft beschäftigen dürfte er sich mit dem Comrades vorerst wohl nicht. Denn eigentlich betritt Patrik schon mit dem Neunziger, den er in diesem Moment bestreitet, wirkliches Neuland. Seine bisher längste zu Fuß bewältigte Strecke betrug nämlich 57,5 Kilometer, die er bei einem Sechs-Stunden-Lauf erreichte. Als Vorbereitung hat er ansonsten nur noch den jedoch fünfzig Kilometer langen Lidingöultra zu bieten. Dieser stellt auf der Insel vor Stockholm im Frühjahr ein kleines Gegengewicht zum schon erwähnten Dreißiger im Oktober dar.

Der Anstieg ist zwar unangenehm, aber ein eher kurzes Intermezzo. Schon nach wenigen hundert Meter wird die Kuppe erreicht und der Weg geht wieder in ein sanftes Gefälle über. Dieses wird deutlich stärker, als die Laufstrecke die Forststraße - und damit auch Vasaloppsspåret - verlässt und sich für einen schmalen Pfad entscheidet, der den Hang viel direkter in Angriff nimmt als der sich an ihn anschmiegende "grusväg".

Am Ende des sogar mit einigen Serpentinen aufwartenden Abstieges, der die Läufer noch einmal fast fünfzig Meter die Hügel hinab befördert, wartet erneut ein kleiner Bach. Er liegt inzwischen rund zweihundert Meter unterhalb des etwa zehn Kilometern zuvor passierten Evertsberg und ist vor allem wegen der alten Mühle interessant, die sein Wasser einst als Antrieb für ihre Mühlsteine nutzte, von denen einige auf der winzigen Lichtung als Sitzgelegenheiten verteilt sind.

Die alten Blockhäuser, der Mühlteich von "Axi kvarn" - eine Bezeichnung, die den Namen des Baches mit auf Schwedisch "Mühle" bedeutenden Wort "kvarn" verbindet - bieten sich als idyllisches Ausflugziel aber auch wirklich an. Denn obwohl man das Gefühl hat, sich mitten in der Wildnis zu befinden, sind es bis zur Straße nur wenige Meter, was man auch als Sportler schnell bemerkt. Denn kurz nach der Überquerung einer schmalen Holzbrücke führt der Pfad wie schon bei Risberg erneut ein Stück praktisch direkt neben dem Asphalt entlang.

Der Verpflegungstand in Hökberg ist klar von der Wechselzone getrennt … … erst kurz vor dem Wald vereinigen sich die beiden Streckenvarianten wieder

Jussi Pirinen ist inzwischen verloren gegangen. Er hat es vorgezogen ein etwas langsameres Tempo anzuschlagen. Trotz seines Einbruches bei Erstauflage und der zudem erheblich höheren Temperaturen war er am dem Anfangsdrittel diesmal noch etwas schneller losgelaufen. Nun bekommt er dafür eine erste kleine Rechnung präsentiert. Doch das dicke Ende wird erst später folgen. Seine 13:24:31 im Ziel werden mehr als eine Stunde über der Vorjahreszeit liegen. Und fast vier Stunden für die letzten zwanzig Kilometer klingen nicht mehr unbedingt nach Laufen.

Sein zeitweiliger Begleiter Patrik Nilsson wird dem Finnen bis Mora noch fünfundneunzig Minuten und damit im Schnitt etwa drei pro Kilometer abnehmen. Denn mit 11:49:29 wird der Mann aus Südschweden die zwölf Stunden, die er sich als persönliches Vorgabe gesetzt hatte und nach denen beim Comrades das Ziel geschlossen würde, zwar nicht übermäßig deutlich, aber einigermaßen sicher unterbieten.

Während man den bisher niedrigsten Punkt des Kurses und die Straße in einem leichten Anstieg hinter sich lässt, erzählt er mit einem gewissen Augenzwinkern von seinem in der Schweiz sitzenden Vorgesetzten. Dieser wäre nämlich ebenfalls ein Ultraläufer. Und nachdem heraus gekommen sei, dass man das gleiche Hobby habe, müsse er ihn nicht mehr mit dessen Doktortitel ansprechen, sondern könne einfach den Vornamen verwenden.

Für Skandinavier ist das eigentlich völlig normal. Selbst Wildfremde werden grundsätzlich mit "du" - das übrigens in allen drei Sprachen genau wie im Deutschen geschrieben wird - angesprochen. Früher einmal vorhandene Pronomen, die dem "Sie" entsprechen würden, sind dagegen aus dem täglichen Gebrauch weitgehend verschwunden. Diese werden höchstens noch bei Begegnungen mit Mitgliedern der jeweiligen Königshäuser verwendet, ansonsten aber in einem Gespräch als vollkommen veraltet und gekünstelt empfunden.

Darin meint Patrik auch den größten Unterschied zwischen den nordischen Ländern und dem seiner Meinung nach hinsichtlich der Mentalität doch recht ähnlichen deutschen Sprachraum zu erkennen. In den nordischen Ländern ginge es nämlich weit weniger förmlich und ziemlich egalitär zu. Der Ergänzung, die Menschen wären in ihrem Auftreten außerdem vielleicht noch ein bisschen entspannter, zurückhaltender und bescheidener als anderswo, setzt er aber auch keinen ernsthaften Widerspruch entgegen.

Er hat sogar ein passendes Beispiel aus der Laufszene auf Lager. Denn er habe im Frühjahr bei einem organisierten Trainingsurlaub genau jenen Jonas Buud, der an dieser Punkt des Kurses einige Stunden zuvor bereits klar in Führung lag, weil er hinter Evertsberg seinerseits von seinem amerikanischen Konkurrenten "ryckte" und ihm auf den fünfzehn Kilometern bis zur nächsten Zwischenzeitnahme mehr als sechs Minuten abgenommen hatte, kennengelernt. Und dieser sei trotz seiner sportlichen Erfolge wirklich ein Mensch ohne jede Allüren.

Auf dem Weg zwischen Hökberg und dem nächsten Kontrollposten in Eldris kommen immer häufiger Staffelläufer an den Ultras des Mittel- und Hinterfeldes vorbei

Weit weniger lobend fallen seine Worte über Kjell-Erik Ståhl aus, der beim gleichen Trainingslager ebenfalls im Betreuerteam gewesen sei. Er nennt den Mann, der während der Achtziger praktisch im Monatsrhythmus Marathonzeiten zwischen 2:10 und 2:20 - insgesamt sind es siebzig Stück - ablieferte, auch bei mehreren deutschen Stadtmarathons die Siegerlisten ziert und noch immer schwedischer Rekordhalter ist, sogar knallhart "arrogant".

Obwohl seine Erfolge bereits mehrere Jahrzehnte zurückliegen, sei Ståhl zum Beispiel furchtbar pikiert gewesen, als Patrik ihn am Flughafen nicht gleich erkannt und dann auch noch die Frage gestellt habe, ob er denn ebenfalls zum Laufcamp wolle. Darüber für einen Hobbyläufer gehalten zu werden, hätte er nicht im Geringsten lachen können. Während Buud umgänglich und locker gewesen sei, habe Ståhl sich immer abgesondert. Man wird sich recht schnell einig, dass so ein Verhalten "not really scandinavian" sei.

Beim Durchlaufen der inzwischen weitgehend aus Ferienhäusern bestehenden, früher jedoch ebenfalls als "fäbod" genutzten kleinen Siedlung Björnarvet bieten sich einige schöne Blicke auf den darunter liegenden See mit Namen "Oxbergssjön". Diesen Streckenteil kennt Patrik wieder. Denn ganz so neu, wie anhand seiner ersten Aussagen zu vermuten gewesen wäre, ist ihm der Weg zwischen Sälen und Mora dann doch nicht.

Obwohl der Fünfzigjährige zum ersten Mal bei Ultravasan mitmacht, hat er die Distanz zuvor bereits auf dem Rad bewältigt. Eine erfolgreiche Teilnahme bei Cykelvasan findet sich nämlich ebenfalls in seiner sportlichen Vita. Deswegen wird er von nun an auch nicht mehr viel Neues auf und neben der Strecke entdecken können. Denn die Lauf-, Rad- und Skikurse werden auf ihrem letzten Drittel wirklich fast vollkommen deckungsgleich sein.

Kaum zurück im Wald stellt Patrik an der nächsten blauen Tafel - sie zeigt eine "32" - fest, dass er nun tatsächlich seinen persönlichen Distanzrekord im Laufen überboten hätte. Doch nach einigen hundert Meter wechselt man lieber in den Wanderschritt, schließlich ist das nur leicht kupierte Geläuf der letzten Kilometer in eine weitere veritable Steigung übergegangen. Eine lange Reihe fester Werbebanden am Wegesrand zeigt an, dass es sich dabei wohl erneut um einen ziemlich markanten Punkt von Vasaloppsspåret handelt.

Das sei "Lundbäcksbacken" erläutert Nilsson und ist ziemlich erstaunt, als er daraufhin die Frage gestellt bekommt, ob denn Sven-Åke Lundbäck der Namensgeber sei. Schließlich ist es nicht unbedingt zu erwarten, dass man in Mitteleuropa, wo man dem Skilanglauf in der öffentlichen Wahrnehmung doch eine weit geringere Bedeutung beimisst als im Norden des Kontinents, einen der großen schwedischen Athleten der Vergangenheit kennt.

Neben Sportgetränken warten an den Verpflegungsstellen auch Salzgurken und Kaffee In Eldris wird eine Runde um eine als Parkplatz dienende Wiese gelaufen, damit die Zufahrt zum Weiler weiterhin offen bleibt

Schon Gunde Svan und Thomas Wassberg, jene Helden der Achtziger, in denen das Team aus Sverige die Szene dominierte, dürften den meisten Nicht-Skandinavien kaum noch geläufig sein. Lundbäck hat - obwohl ebenfalls Olympiasieger und Weltmeister - noch weit weniger Medaillen gewonnen und lief zudem noch ein Jahrzehnt früher. Um den guten Eindruck nicht gleich wieder zu verwischen, ist es diesem Moment ja nicht unbedingt nötig zuzugeben, dass man außer dem schön klingenden Namen eigentlich sonst gar nichts dazu parat hat.

Jedenfalls, so erklärt Patrik Nilsson weiter, habe Sven-Åke Lundbäck bei seinem Wasalaufsieg 1981 an diesem Hügel so energisch attackiert, dass kein anderer Läufer mehr folgen konnte, und den Vorsprung anschließend bis ins Ziel sicher verteidigt. Seit jenem Tag trage der Anstieg, bei dem es auf einer Länge siebenhundert Metern in mehreren Stufen immerhin knapp fünfzig Meter bergan geht, diesen Spitznamen.

So unberechtigt ist die Frage nach der Herkunft der Bezeichnung allerdings trotzdem nicht. Immerhin lässt sich "Lundbäck" als "Wäldchenbach" übersetzen. Er gehört zur zweiten großen Gruppe der schwedischen Nachnamen neben den auf "-son" endenden. Familiennamen waren in Skandinavien lange Zeit praktisch nur unter Adeligen üblich. Ansonsten bekamen Kinder als Nachnamen ein sogenanntes Patronym, nämlich den Vornamen des Vaters ergänzt mit "-son" für Jungen und "-dottir" für Mädchen - übrigens ein in Island noch heute verwendetes System.

Erst vor etwas mehr als einem Jahrhundert wurden einheitliche Familiennamen in Schweden verbindlich eingeführt. Und oft übernahm man dabei einfach das Patronym des Mannes. Mehr als ein Drittel aller Schweden trägt einen Namen aus dieser Kategorie. Und die Vielfalt ist eher gering. So finden sich in der Ergebnisliste des Neunzigers neben Patrik immerhin noch siebzehn weitere Nilssons. Dazu kommen ebenfalls siebzehn Anderssons, zwölf Erikssons, elf Karlssons, neun Olssons sowie jeweils etwa ein halbes Dutzend Larssons, Svenssons und Johanssons.

Die zweite weit verbreitete Variante bestand in einem Namen, den man - damals voll im Zeitgeist - aus der Natur übernahm. Entsprechend häufig begegnet man deswegen Bestandteilen wie zum Beispiel "berg", "dal" bzw. "dahl", "holm", "ström", "fors", "gård", "blom" oder "gren", die sich auch in beinahe beliebiger Reihenfolge zusammen setzten lassen. Der Bedeutung der ersten beiden Begriffe dürfte für Deutschsprachige einigermaßen verständlich sein. Die übrigen meinen "kleine Insel", "Strom", "Wasserfall", "Hof", "Blume" und "Ast".

Auch "lund" und "bäck" gehören zu dieser Kategorie. Dazu gibt es noch die Vorsilben, die sich wie "gran", "appel", "ek" und "lind" - auf Deutsch "Tanne", "Apfel", "Eiche" und "Linde" - auf Pflanzen oder wie "söder", "norder", "öster" und "väster" auf Himmelsrichtungen beziehen. Es ist wirklich erstaunlich, wie viele Namen man beim Kombinieren dieser eigentlich nicht allzu vielen Begriffe bereits bilden kann und wie viele davon auch irgendwie bekannt klingen, weil ein skandinavischer Sportler, Schauspieler, Sänger, Autor oder Politiker sie trägt.

Gleich hinter Eldris wartet ein Anstieg durch tiefen Sand … … dann folgen wieder einige weitgehend ebene Kilometer auf deutlich festerem Geläuf

Im gleichen Jahr, in dem Lundbäck zum Abschluss seiner Karriere den Wasalauf gewann, war er dann auch noch bei Birkebeinerrennet siegreich. Lange Zeit war er damit der einzige, dem innerhalb weniger Wochen ein Doppelsieg bei den beiden wohl prestigeträchtigsten Rennen Skandinaviens gelang. Erst 2015 wiederholte dem Norweger Petter Eliassen dieses Kunststück, wobei er in Lillehammer mit Martin Jonsrud Sundby sogar den aktuell wohl besten Skilangläufer der Welt bezwingen konnte.

Dass man von ihm hierzulande trotzdem noch nicht viel gehört hat, ist eigentlich gar nicht so überraschend, wie es im ersten Moment klingt. Denn längst hat sich im Skilanglauf auf den langen Strecken eine ganz eigene Szene herausgebildet, die nur noch wenige Überschneidungen mit dem Weltcupzirkus hat. So ist Sven-Åke Lundbäck der letzte männliche Wasalaufsieger, der auch eine olympische Goldmedaille aus einem Einzelrennen im Trophäenschrank hat. Bei den Frauen steht zwar für 2015 Justyna Kowalczyk in der Liste, doch ist sie eben eine absolute Ausnahme.

Dabei geht es auf den Überdistanzen allerdings kaum weniger professionell zu. Doch während im World Cup Nationalmannschaften am Start sind, treten die Asse bei den großen Volksskiläufen ähnlich wie beim Radsport in den bunten Anzügen von Firmen gesponserter Teams an. Es ist allerdings nicht unbedingt überraschend, dass mehr als die Hälfte von ihnen in Norwegen und Schweden beheimatet ist.

Es gibt auch eine spezielle Rennserie, zu der neben Vasan und Birken unter anderen der König-Ludwig-Lauf in Oberammergau oder die Marcialonga im italienischen Val di Fiemme gehören. Analog zum traditionellen Weltcup wird dabei über eine Punktwertung, die sich an den einzelnen Platzierungen bei den Veranstaltungen orientiert, am Ende der Saison ein Gesamtsieger und eine Gesamtsiegerin ermittelt werden.

Die meisten Strecken im Langstreckenpokal sind für die Freizeitläufer, die den größten Teil des Starterfeldes ausmachen, zwar durchaus anspruchsvoll, verglichen mit den Kursen, wie sie bei internationalen Meisterschaften gelaufen werden, aber doch mit weitaus weniger Höhenmetern ausgestattet. Selbst wenn die Rennen im klassischen Stil ausgetragen werden, verzichten die Besten bei der Vorbereitung ihrer Ski inzwischen vollkommen auf Steigwachs, das man für einen Diagonalschritt benötigen würde, sondern laufen die komplette Distanz mit Doppelstockschub.

Das ist schon angesichts einer Streckenlänge von neunzig Kilometern und Siegerzeiten zwischen dreieinhalb und vier Stunden eine für den Laien kaum nachvollziehbare Kraftanstrengung. Doch wie man eine solche Steigung wie Lundbäcksbacken mit "blank skidor" - also nur mit Gleitwachs unter den Latten - hinauf kommen soll, stellt für Patrik Nilsson ein echtes Rätsel dar. Mit "Laufen" hat diese hauptsächlich aus dem Oberkörper betriebene Art der Fortbewegung sicher nur noch wenig zu tun.

Der neue Gesprächsgegenstand "Skilanglauf" trifft einen immer wunder werdenden Punkt des schwedischen Selbstverständnisses. Denn eigentlich sieht man sich als Wintersportgroßmacht. In den vergangenen Jahren haben jedoch die Männer und Frauen aus dem Nachbarland Norwegen das Geschehen immer stärker dominiert und standen zuletzt praktisch bei jedem Rennen auf dem Treppchen, während die Schweden kaum noch Erfolge erzielen konnten.

Selbst zwei schwedische Goldmedaillen bei der Weltmeisterschaft in der nur knapp hundert Kilometer südöstlich von Mora ebenfalls in Dalarna gelegenen Stadt Falun konnten die Stimmung angesichts der bei aller skandinavischen Verbundenheit doch recht ausgeprägten sportlichen Rivalität nur bedingt heben. Die Konkurrenz von nebenan fuhr nämlich alleine von den Langlaufwettbewerben mit neunmal Gold nach Hause.

Es ist zwar nicht ganz ernst gemeint, als Patrik Nilsson davon spricht, dass die Norweger doch eigentlich die "little brothers" der Schweden sein sollten, sie aber im Skisport viel zu gut wären. Ein bisschen Wahrheit schwingt aber dennoch in seiner Aussage über das nur halb so viele Einwohner zählende Nachbarland mit. Vielleicht ist es gut, dass er bei dieser Äußerung noch nicht die Ergebnisse der insbesondere für die schwedischen Herren fast schon katastrophal verlaufenden Folgesaison kennt.

Doch nicht nur wegen der engen sprachlichen und kulturellen Verwandtschaft ist der Begriff "Brudervolk" bei den Skandinaviern berechtigt. Gleich zweimal waren beide Länder in der Vergangenheit tatsächlich politisch vereint. So trug nach einem Beschluss des Wiener Kongresses zwischen 1815 und 1905 der schwedische König gleichzeitig auch die norwegische Krone. Nach einer Volksabstimmung in Norwegen über die volle Unabhängigkeit trennten sich beide Staaten dann aber friedlich voneinander.

Allerdings springt die Unterhaltung zur eigentlich noch viel interessanteren Kalmarer Union, in der im späten Mittelalter nicht nur Schweden, Norwegen und Dänemark, sondern zusätzlich auch noch das lange Zeit zu Schweden gehörende Finnland sowie Island und die Färöer - beide von Norwegen aus besiedelt - ein einziges nordisches Großreich bildeten. Und auch die damals ebenfalls unter norwegischer Herrschaft stehenden, heute schottischen Inselgruppen der Shetlands und Orkneys waren anfangs noch Teil des Verbundes.

Benannt wurde die Union, deren Ausdehnung sich noch heute ganz gut an der Verbreitung der typischen skandinavischen Kreuzflaggen ablesen lässt, nach der südschwedischen Stadt, in der Adligen aus allen drei Ländern der Vereinigungsvertrag unterzeichnet wurde. Gegründet wurde sie von Margarete I, die als eine von bisher nicht einmal einer Handvoll skandinavischer Königinnen zu den bedeutendsten nordischen Monarchen gezählt werden muss.

Als Tochter des dänischen Königs Waldemar Atterdag heiratete sie Håkon VI., der zum einen König von Norwegen, zum anderen Sohn des schwedischen Königs war. So liefen Ende des vierzehnten Jahrhunderts schließlich alle Ansprüche auf die skandinavischen Kronen in ihrem Sohn Olav zusammen. Da er zum Zeitpunkt der Thronfolge noch minderjährig war, übernahm Margarete die Regentschaft. Nach Olavs frühem Tod tat sie das gleiche auch für ihren Großneffen Erik, der nun die Titel erbte, und hielt das Reich so etliche Jahre zusammen.

Die Holzplattform unter der Brücke auf dem vorletzten Kilometer ist eines der vielen eigens für den Wasalauf im Winter errichteten Bauwerke "Sista backen", der letzte kleine Anstieg wartet in Moraparken etwa fünfhundert Meter vor dem Ziel

"Kung utan byxor" - also "König ohne Hosen" - würde sie in bei ihnen genannt, erzählt Patrik Nilsson. Und das sei keineswegs despektierlich sondern voller Bewunderung gemeint. Mehr als hundert Jahre bestand die Kalmarer Union, bis sie mit der Abspaltung Schwedens zerbrach. Auf den Gedanken. dass der Wasalauf ziemlich viel mit diesem Ende zu tun hat, kommt in diesem Moment allerdings keiner den beiden Gesprächspartner.

Die folgenden beiden Kilometer bieten das ständig leichte Auf und Ab, selbst wenn sie unter dem Strich noch ein wenig zusätzliche Höhe für das Profil gewinnen, so dass man sich zwischenzeitlich einmal sogar beinahe hundert Meter oberhalb des - wohlgemerkt nur aus topologischer Sicht - Tiefpunktes bei der alten Wassermühle bewegt. Das letzte Stück bis nach Oxberg geht es dann aber doch wieder spürbar den Hang hinunter.

Das kleine Dörfchen - die wörtlich Übersetzung "småort" ist in Schweden sogar ein offizieller Begriff zur Klassifizierung von Siedlungen bis zweihundert Bewohner - beherbergt neben dem Startplatz der Halbdistanz auch den nächsten großen Verpflegungspunkt und wird von den Kurzstrecklern deswegen gleich zweimal berührt. Doch sind Start- und Kontrollpunkt klar getrennt und finden sich weit voneinander entfernt an verschiedenen Enden des Orts.

Genau wie in Evertsberg muss dabei eine mit Bändern abgesteckte Schleife mit einer Drehung um hundertachtzig Grad absolviert werden, um zu den Getränketischen zu kommen. Doch in Oxberg ist sie auch für die Skiläufer unvermeidbar. Denn das Versorgungsgebäude steht quer zur Laufrichtung und zudem auch noch auf der falschen Seite der eigentlich eher nach rechts drehenden Strecke links auf einer Wiese. Damals bei Cykelvasan, erzählt Patrik Nilsson, wäre sie nach Dauerregen und der Passage tausender Radfahrer ein einziges Matschloch gewesen.

Am diesmal ziemlich trockenen, nur noch etwa neunundzwanzig Kilometer vom Ziel entfernten Kontrollpunkt kommt Jonas Buud klar unter vier Stunden und damit sieben Minuten schneller als ein Jahr zuvor vorbei. Max King liegt schon so weit zurück, dass er trotz des offenen Geländes und der großen Schleife den Führenden nicht mehr beim Verlassen der Verpflegung beobachten kann. Der Amerikaner hat seinerseits aber noch über eine Minute Vorsprung vor Arnaud Perrignon und mehr als drei vor dem Norweger Didrik Hermansen.

Die nächsten Verfolger Helder Ferreira, der ebenfalls aus Norwegen kommende Jarle Risa und der Franzose Emmanuel Gault bewegen sich mit dreizehn bis vierzehn Minuten Abstand zu Jonas Buud fast schon in den aus dem Frauenrennen bekannten Dimensionen. Dort hat Jasmin Nunige allerdings nichts mehr gegenüber Ida Nilsson herauslaufen können. Es bleibt bei etwa zehn Minuten Differenz zwischen den beiden Spitzenläuferinnen. Die Dritte Petra Kindlund bekommt dagegen weiterhin pro Kilometer zwanzig bis dreißig Sekunden zusätzlich aufgebrummt.

Zwischen Orts- und Waldrand zieht die Route nun ein wenig stärker nach Südosten und verlässt die trotz aller Schlenker zumindest grob eingehaltene West-Ost-Ausrichtung. Der weit größere, auch während des Rennen eindeutig zu bemerkende Bruch ist allerdings, dass man nach so vielen Kilometern auf kurvigen Waldwegen und Forststraßen wenig später zum ersten Mal auf eine relativ breite und praktisch schnurgerade Schneise einschwenkt, wie man sie in Mitteleuropa zum Beispiel von Stromtrassen kennt.

Masten stehen dort auch. Allerdings sind es Laternenpfähle am Rand. Der erste Gedanke, es könne sich vielleicht um einen separat geführten Radweg handeln, wird durch den eher weichen, sandigen Boden schnell widerlegt. Patrik Nilsson, der in Oxberg seine den Läufern mit dem Auto folgenden Frau getroffen und sich von ihr mit seiner ganz persönlichen Getränkemischung versorgen lassen hat, bestätigt dann aber die nächste Vernutung. Ja, das sei eine der Nachtloipen, die man in Skandinavien angesichts der kurzen Wintertage zuhauf findet.

In Mora ist es über Weihnachten und Neujahr zum Beispiel nicht einmal sechs Stunden hell. Die Sonne geht erst nach neun Uhr auf und ist um drei schon wieder verschwunden. Ohne künstliche Beleuchtung hätten also während der Arbeitswoche nur die wenigsten eine Möglichkeit zum Training. Natürlich ist es da auch kein Zufall, dass Vasan und Birken im März gelaufen werden, wenn es wieder deutlich länger Tageslicht gibt.

Das Gefühl, diese über zwei Kilometer lange Gerade auf Skiern entlang zu laufen, kennt Patrik Nilsson. Denn inzwischen ist klar, dass er auch schon das winterliche Vasaloppet-Original mitgemacht hat. Ganz zurückhaltender Skandinavier hatte er sich nicht gleich am Anfang des Gespräches mit seiner Teilnahme gebrüstet sondern war erst viel später auf explizite Nachfrage damit heraus gerückt.

Eventuell hält er es aber einfach nur für nicht besonders erwähnenswert. Denn für jeden halbwegs sportlichen Schweden, scheint es beinahe schon selbstverständlich zu sein, mindestens einmal im Leben den Wasalauf absolviert zu haben. Nimmt man die beiden Läufe von "Öppet Spår" hinzu, absolviert Jahr für Jahr statistisch jeweils einer von drei- bis vierhundert Einwohnern des Landes die legendären neunzig Kilometer. Selbst der amtierende schwedische König Carl Gustav lässt sich in den Ergebnislisten finden.

Lidingöloppet ist für einen echten Läufer wie Patrik Nilsson zwar keine übermäßig große Herausforderung, aber ebenso ein Muss. Und Vätternrundan, den mit seinen dreihundert Kilometern auf dem Papier wohl dicksten Brocken der schwedischen Klassiker hat der Göteborger auch schon in den Beinen. Über Vansbrosimningen wird unterwegs gar nicht geredet. Angesichts seiner wenig prahlerischen Art wäre also durchaus nicht unmöglich, dass er diesen Wettkampf ebenfalls in der Sammlung hat.

Am Ende der Steigung wechselt man von Naturboden ein allerletzten Mal auf Asphalt hinüber

Nilsson, der also gerade dabei ist, die neunzig Kilometer lange Strecke nach Mora auf die dritte Art zu bewältigen, kann auch eine nette Anekdote über seine Anmeldung für den in Windeseile ausgebuchten Volksskilauf zum Besten geben. Denn er habe für jenen Sonntag, an dem damals die endgültige Wasalauf-Meldung - die persönlichen Daten lassen alle sich schon im Vorfeld erfassen - abgeschickt werden musste, sämtliche verfügbaren Wecker auf kurz vor neun Uhr gestellt, um auch bloß die Öffnung des Portals nicht zu verpassen.

Obwohl der Wald ringsherum eigentlich nicht viel anders aussieht als zuvor, hat man aufgrund der Lampenreihe irgendwie unterschwellig das Gefühl, die skandinavische Wildnis nun hinter sich gelassen zu haben und in einem Stadtpark gelandet zu sein. Das ist natürlich Unsinn. Denn selbst wenn die Besiedlungsdichte im letzten Teil der Strecke tatsächlich etwas zunimmt, muss man dies immer noch im mittelschwedischen Maßstab sehen gegen den selbst Gebiete wie der Bayrische Wald oder die Mecklenburgische Seenplatte aus allen Nähten platzen.

Und Gopshus, das man nach zweieinhalb schnurgeraden und trotz einiger kleiner Kuppen eher langweiligen Kilometern erreicht, erinnert wie die anderen "småorter" zuvor an jenes Lönneberga, das man aus den Filmen über den Lausbuben Michel kennt. Ungewöhnlich an ihm ist allerdings, dass Straßenlaternen nicht nur entlang der Fahrwege sondern auch mitten im freien Feld stehen. Die beleuchtete Loipe zieht sich nämlich nach dem Verlassen des Waldes in einem Bogen an den Häusern vorbei.

Die Laufstrecke folgt ihr fast einen Kilometer über meist recht unebenes Wiesengelände, bevor sie nach Beendigung des Schlenkers auf der gegenüber liegenden Seite des Dörfchens wieder einen gut ausgebauten Schotterweg erreicht, der als Zufahrt für einige der rot und gelb gestrichenen Holzhäuser dient. Der bessere Untergrund wird aber dafür auch gleich mit einem Dutzend Höhenmetern bezahlt, die das Läuferfeld zurück in den Wald bringen.

Doch diesmal ist es ein extrem kurzes Gastspiel. Nur zweihundert Meter stößt der Kurs erneut ins Freie hinaus und dabei auf die Talstation des kleinen Skiliftes am Ortsrand von Gopshus. Wer es gewohnt ist, in den Alpen die Hänge hinab zu rutschen, wird über diesen vermutlich eher schmunzeln. Denn von der Kuppe des "Gopsberg" genannten Hügels bis zum Auslauf vor der Liftanlage hat die Piste nicht einmal zweihundert Meter Höhenunterschied. Im Gegensatz zu vielen Skigebieten in Mitteleuropa dürfte sie dafür aber relativ schneesicher sein.

An den hölzernen Gebäuden herrscht ein ziemliches Getümmel. Und es hat nur bedingt mit der inzwischen fast hochsommerlichen Wärme zu tun, dass die dort Wartenden kurze Hosen und Trägerhemden tragen. Gopshus ist nämlich einer der Wechselpunkte von "Vasastaffeten". Vier Stunden nach den Einzelläufern sind in Sälen weit über vierhundert Staffeln auf die Stecke geschickt worden. Und die schnellsten von ihnen rollen das Feld nun von hinten auf.

Der Mannschaftswettbewerb ist keineswegs ein bloßes Rahmenprogramm, das man von Seiten der Organisatoren eingeführt hat, um die Kasse noch ein wenig aufzubessern. Vielmehr handelt es sich um einen traditionsreichen Vorläufer, der mit seinem Erfolg die Ultrarennen eigentlich erst ermöglicht hat. Bereits seit 1991 wird die Stafette gelaufen, womit sie sogar das mit Abstand älteste Sommerereignis aus der Wasalauf-Familie darstellt.

Zehn Sportler teilen sich dabei die neunzig Kilometer und unterschiedlich lange Abschnitte auf. Am Beginn befinden sich die Ablösestellen an den großen Verpflegungsposten. Ausgerechnet auf dem letzten Drittel der Distanz, wenn die Vasaloppskontroller sowieso schon in etwas dichteren Abständen aufeinander folgen, hat man die Etappen dann aber noch einmal geteilt. Deswegen folgt auf den längsten, fünfzehn Kilometer langen Teilabschnitt von Evertsberg nach Oxberg direkt der kürzeste. Nach viereinhalb Kilometer ist in Gopshus schon wieder die nächste Übergabe.

Für den Transport sind die Teams übrigens ganz alleine verantwortlich. Jeweils zwei bis drei Autos und eine gute Planung sind nötig, um alle Läufer rechtzeitig an die Startpunkte zu bringen und anschließend wieder aufzusammeln. Einzig zum ersten abseits der Hauptstraße gelegene Wechselpunkt Smågan ist ein Pendeldienst mit Bussen organisiert, um die ohnehin schmale Zufahrt über die zudem auch noch als Wettkampfstrecke dienende Schotterpiste nicht an ihre Belastungsgrenze zu bringen.

Kurz vor der Ablösung werden Einzel- und Staffelläufer auf zwei verschiedene Spuren geschickt, die diesmal nicht nur durch Flatterband sondern mit Holzzäunen voneinander getrennt sind. Wer die neunzig Kilometer alleine in Angriff genommen hat, findet auf der rechten Seite einen Kanal zur freien Passage. Links ist die Strecke dagegen durch eine klobige, an einen etwas zu groß geratenen Tisch erinnernde Barriere blockiert, die einen Durchlauf absolut unmöglich macht.

Über sie hinweg muss das als Staffelstab dienende Klettband mit dem Zeitnahme-Chip an den Mannschaftkameraden weiter gegeben werden. Und weil in diese an jeder Übergabestelle aufgebauten Konstruktionen jeweils auch eine Messmatte integriert ist, lassen sich sämtliche Leistungen und Platzierungen auf den einzelnen Teilstrecken exakt nachvollziehen. Auch dabei zeigt sich wieder die große Organisationserfahrung, die man über viele Jahrzehnte gesammelt hat.

So ist zum Beispiel der überlegene Erfolg jenes All-Start-Teams zu erkennen, das sich aus Orientierungsläufern und Leichtathleten der nationalen Spitze zusammen gefunden hat. In gerade einmal 4:58:50 absolvieren sie die in etlichen Abschnitten alles andere als einfache Strecke mit einer wirklich bemerkenswerten Durchschnittsgeschwindigkeit. Und sie führen nicht nur vom Start bis ins Ziel. Ausnahmslos jeder der zehn Läufer liefert auf seiner Etappe auch die Tagesbestzeit ab.

Die Lokalmatadoren von IFK Mora haben als zweite Mannschaft mit 5:19:24 im Ziel schon mehr als zwanzig Minuten Rückstand. Doch dafür ist dann später die Damenstaffel des Heimvereines nach 6:30:29 siegreich. Der ersten Platz bei den Mixed-Teams, die mit mindestens drei Frauen antreten müssen, sichert sich in 5:23:42 auf Gesamtrang drei mit IFK Lidingö ein Club, der ebenfalls als Ausrichter eines sportlichen Großereignisses in ganz Schweden bekannt ist.

Vorbei am Zornmuseum, in dem Werke des in Mora geborenen Malers und Bildhauer Anders Zorn gezeigt werden, nähert man sich kurz darauf der Zielgerade

Ganz ähnlich wie die Staffelläufer auf der sechste Position haben auch die für das siebten Teilstück übernehmenden Sportler nicht nur eine relativ kurze - der Abschnitt hat ebenfalls nicht einmal fünf Kilometer - sondern erst einmal auch eine ziemlich leichte Strecke vor sich. Die Forstwege, über die sie führt, sind nun zwar wieder ein klein wenig kurviger, aber weiterhin relativ breit und ziemlich gut ausgebaut.

Zudem war der Anstieg zum Skilift einer der letzten im Streckenprofil auf der Startnummer noch wirklich eingezeichneten und erkennbaren Ausschläge, an den sich auch gleich wieder das entsprechende Gefälle anschließt. Und so können die neu einsteigenden "stafettlöpare" ihre Etappe erst einmal mit einer gewissen Unterstützung durch die Schwerkraft beginnen, bevor sich ein eher ereignisarmer Mittelteil anschließt.

Am interessantesten ist vielleicht unterwegs noch, dass man mitten im Wald zum wiederholten Male große Transparente am Wegesrand entdeckt, auf denen die Organisatoren mit Schriftzügen wie "nolltolerans mot nedskräpning, ta med din skräp till nästa kontroll" - was man ungefähr mit "null Toleranz gegen Müll wegwerfen, nimm deinen Müll mit zur nächsten Kontrolle" übersetzen kann - dazu ermahnen, Vasaloppsspåret so zu hinterlassen, wie man sie angetroffen hat.

Das größte Problem für die Ultraläufer bildet inzwischen ohnehin weder die Topographie noch die Beschaffenheít der Wege. Es ist einerseits die bis zu diesem Zeitpunkt bereits zurück gelegte Distanz, die nun doch langsam zu schaffen macht. Schließlich hat man schon rund siebzig Kilometer in den Beinen. Zum anderen saugen die relativ hohen Temperaturen noch weitere Kraft aus dem Körper. Und gerade jetzt sorgen das meist etwas offenere Gelände und der sandige Boden dafür, dass die Sonne noch ein bisschen mehr Wirkung entfalten kann.

Erst als der Kurs sich dann eine Handvoll Kilometer hinter Gopshus dem vorletzten "echten" Kontrollpunkt nähert, folgt wieder ein etwas heftigerer Anstieg. Ganz zum Schluss ihres kurzen Abschnittes müssen die Etappenläufer also doch noch einmal richtig klettern. Denn Hökberg zieht sich weit den gleichnamigen Hügel hinauf und die Verpflegungsstelle befindet sich dann auch noch eher am oberen Ende der Siedlung.

Insgesamt sind auf der von den Skilangläufern "Hökbergsbacken" getauften Steigung innerhalb eines Kilometers knapp fünfzig Höhenmeter zu überwinden. Er beginnt schon ein ganzes Stück, bevor man die Häuser erreicht, im Wald. Die letzten ungefähr zwanzig Meter geht es dann über einen kleinen Hang, der sich im Winter von Länge und Neigung zwar nicht unbedingt zum Skifahren, vielleicht aber zum Rodeln eignen würde, bergauf zum Verpflegungstand.

Dieser ist so geschickt in einem seitlich abzweigenden Weg positioniert, dass man den Staffeln, die nebenan mit viel Schwung ihre Übergaben durchführen, überhaupt nicht in die Quere kommt und in aller Ruhe zum Essen und Trinken stehen bleiben kann. Erst kurz vor dem "skog" vereinigen sich die beiden Streckenvarianten, die eigentlich sogar schon im Anstieg getrennt wurden und dann jeweils zwei Kanten eines Vierecks bilden, wieder.

Nicht nur die noch wartenden oder bereits angekommenen Teilnehmer von "Vasastaffeten" - der Wettbewerb der Skilanglaufstaffel mit halb so vielen Mitgliedern heißt übrigens genau anders herum "Stafettvasan" - beleben die Strecke. Einige Anwohner haben es sich angesichts des guten Wetters auch vor dem eigenen Häuschen in Gartenstühlen bequem gemacht, um die müder werdenden Sportler ein wenig zu unterstützen. Einem Zuruf wie "det är varmt idag" - "es ist warm heute" - können sie jedenfalls absolut zustimmen.

Im Gegensatz zu Mångsbodarna, Risberg, Evertsberg, Oxberg oder Gopshus dehnt sich Hökberg, das ebenfalls in den Sechzigern von "Mora-Nisse" Karlsson zur offiziellen Kontrolle aufgewertet wurde, nicht direkt bis an Vasaloppsvägen aus sondern liegt auf einer Lichtung und ist wirklich noch ringeherum von Wald umgeben. Das trotzdem viele Ausblicke auf die Mittelgebirgslandschaft bietende, idyllische Dörfchen lässt sich nur über zwei kleine, noch nicht einmal asphaltierte Stichsträßchen erreichen. Und entlang einer der beiden lässt man den Weiler hinter sich.

Als Jonas Buud auf ihn einbiegt, ist sein Vorsprung auf zwölf Minuten angewachsen. Auf jedem der zehn Kilometer seit Oxberg ist er seinen Verfolgern noch einmal dreißig Sekunden weiter enteilt. Max King hält weiter Position zwei, während Didrik Hermansen sich inzwischen am etwas einbrechenden Arnaud Perrignon vorbei geschoben und diesem zwei Minuten abgenommen hat. Gegenüber dem Amerikaner ist der Abstand des Mannes aus Norge aber praktisch unverändert.

Auch Helder Ferreira schwächelt. Statt wie King und Hermansen fünf verliert er gegenüber dem Lokalmatadoren auf diesem eigentlich nicht allzu schweren Abschnitt sogar volle zehn Minuten. Emmanuel Gault und Jarle Risa halten sich etwas besser, selbst wenn auch sie natürlich immer weiter hinter dem wie entfesselt laufenden Jonas Buud zurückfallen. Auf den Rängen fünf und sechs passieren sie Hökberg volle zwanzig Minuten hinter dem Führenden.

Im Gegensatz zum Männerrennen schrumpft bei den Frauen die Lücke zwischen der Ersten und der Zweiten auf einmal wieder. Auf weniger als sieben Minuten hat sich Ida Nilsson an Jasmin Nunige heran gearbeitet. Die Verhältnisse haben sich von zwischen Oxberg und Hökberg also mehr oder weniger umgekehrt. Denn plötzlich ist der Vorsprung der lange wie die unangefochtene Siegerin aussehenden Schweizerin nur noch halb so groß wie der von Jonas Buud.

Überraschend daran ist weniger, dass Nilsson so weit vorne liegt. Immerhin hat sie sich in der Vergangenheit schon zehn schwedische Meistertitel erlaufen. Doch erzielte sie diese Erfolge eben auf der Bahn und im Cross über Distanzen, die maximal zehn Prozent der Länge des Wasalaufes betrugen. Dass sie nun ausgerechnet zum Ende hin gegen die erfahrene Ultraläuferin Nunige Boden gut macht, war nicht unbedingt zu erwarten. Aber auch Petra Kindlund auf Rang drei hält den Abstand zur Führenden praktisch konstant, denn diese ist erkennbar langsamer geworden.

Die gesamte Straße ist mit Holzbarrieren komplett für die Läufer gesperrt

Erst vorsichtig, dann immer stärker senkt sich der Weg. Die Höhenmeter kommen dabei beinahe noch schneller wieder abhanden wie man sie sich zuvor erarbeitet hat. Das Gefälle endet nach einem guten Kilometer an der Einmündung des Zufahrtssträßchens, das man in der ganzen Zeit nie aus den Augen verloren hat, in die Hauptverkehrsachse. Anschließend orientiert sich die Strecke noch weitere zwei Kilometer an Vasaloppsvägen. Und da der Wald hoch und licht ist, bleibt die Straße trotz eines manchmal etwas größeren Abstandes fast ständig im Blickfeld.

Dazwischen hat sich allerdings noch ein Bahngleis geschoben. Zwischen Mora und Oxberg verläuft "Älvdalsbanan" nahezu parallel zur Wasalaufstrecke. Eigentlich wird sie seit Jahren nur noch für gelegentliche Gütertransporte - darunter insbesondere natürlich Holz - genutzt. Während der vintervecka fahren allerdings auch Personenzüge auf ihr. Denn "Vasaloppståget" - der Wasalaufszug - bringt die Skiläufer sogar aus Stockholm und Göteborg direkt zum genau neben den Schienen gelegenen Startgelände der kürzeren Distanzen.

Als die Route sich irgendwann dann doch einmal etwas weiter von Straße und Bahnlinie entfernt, erkauft man dies gleich mit zwei Dutzend Höhenmetern. Und einen Kilometer später sind beide schon wieder bis auf einen Steinwurf heran gerückt. Da hat man aber auch beinahe die Häuser von Läde erreicht, an dem die Staffeln nach einer erneut ziemlich kurzen Etappe zum vorletzten Mal wechseln dürfen.

Viel mehr als ein paar im Wald versteckte Gebäude bekommt man von dieser Ortschaft allerdings nicht zu sehen, denn die Strecke verläuft eher an ihr vorbei als durch sie hindurch. Und da es dort im Winter auch keinen offiziellen Kontrollpunkt gibt, hat Läde - obwohl es eigentlich um einiges größer ist als zum Beispiel Risberg oder Hökberg - längst nicht den gleichen Bekanntheitsgrad wie andere fäbodar und småorter an Vasaloppsspåret.

Die nun weitgehend flachen Forstwege, über die man sich Mora immer stärker nähert, bieten längst nur noch wenig, das sich dauerhaft ins Gedächtnis einbrennen könnte. Da ist ein weiteres Gespräch als Abwechslung durchaus willkommen. Obwohl Dorothee Foernzler zufällig ein Dress in den schwedischen Farben blau und gelb trägt, ist dabei schnell klar, dass man sich mit ihr am einfachsten auf Deutsch unterhält.

Und dessen Färbung lässt dabei unzweifelhaft aus eine Herkunft aus dem Südwesten schließen. Sie würde aber nicht mehr im Ländle sondern schon länger in der Schweiz leben, ergänzt sie gleich. Auf die Frage, was sie denn zum Wasalauf-Ultra geführt hätte, liefert Dorothee eine recht überraschende Antwort. Sie sei mit Jasmin Nunige befreundet und diese habe gefragt, ob sie Lust hätte mitzukommen, um nicht alleine nach Schweden reisen zu müssen.

Es ist eine Geschichte, die sicher in nicht allzu vielen anderen Sportarten denkbar wäre. "Sie läuft ganz vorne, ich laufe eben ganz hinten", beschreibt die für den "Track Club Davos" startende Wahlschweizerin die Verhältnisse mit ein wenig Selbstironie, wenn auch nicht absolut zutreffend. Sie wird nämlich keineswegs ganz am Ende des Feldes ins Ziel kommen. Hinter ihr werden noch hundertfünfzig weitere Namen in der Ergebnisliste stehen.

Als sie Jasmin Nunige allerdings auch noch zu einem von den Veranstaltern für die Eliteläufer organisierten Schnuppertraining zum Kennenlernen der Strecke habe mitnehmen wollen, habe sie dann doch dankend abgelehnt. "Was sollte ich denn dort, da habe ich nichts zu suchen, Max King und Jonas Buud laufen schließlich doppelt so schnell wie ich". Ein Blick auf die beim Rennen gestoppten Zeiten zeigt, dass Dorothee damit sogar ziemlich auf den Punkt genau richtig liegt.

Eigentlich läuft sie lieber in den Bergen, am liebsten über Stock und Stein. Auf die Frage nach den bisher bei Ultraläufen gemachten Erfahrungen kommt deswegen als Antwort natürlich sofort der Swiss Alpine. Während sie sich auf den Bohlenwegen und schmalen Pfaden in der ersten Rennhälfte durchaus wohlgefühlt hat, fällt die Begeisterung für den in jeder Hinsicht ebeneren Schlussabschnitt dann auch eher gering aus.

Insgesamt gefällt ihr die Veranstaltung jedoch wirklich gut. Allerdings ist Dorothee Foernzler auch zum ersten Mal überhaupt in Skandinavien. Insbesondere von der für Mitteleuropäer vollkommen ungewohnten Weite der Landschaft zeigt sie sich ziemlich beeindruckt. Schon vor dem Rennen hatte sie diese auf der Fahrt vom Stockholmer Flughafen nach Mora - die eingeladenen Sportler übernachten nämlich alle im Zielort - erleben dürfen.

Irgendwann zeigt die erste blaue Tafel am Rand eine einstellige Zahl unter dem Schriftzug "Mora". Darüber steht noch "Eldris 0,1". Denn hinter der nächsten Kurve wartet bereits die letzte der sieben großen Verpflegungsstellen. Die rustikalen Holzhäuser der Vasaloppskontroll scheinen dabei mitten im Wald zu stehen. Doch der optische Eindruck täuscht und entsteht durch den langen Bogen, den die Strecke genau in diesem Moment schlägt.

Denn kaum hat man den Posten gut gestärkt wieder hinter sich gelassen tritt man in ein deutlich offeneres Areal hinaus, auf dem sich wie üblich einige Dutzend der so gemütlich aussehenden schwedenroten Häuschen lose verteilen. Auch Eldris ist aus einem "fäbod" entstanden. Allerdings wurde dieser nur im Frühjahr und dann erneut im Herbst als Weide genutzt, während man die Tiere in den Sommermonaten auf deutlich höher gelegen Flächen weiter im Westen grasen ließ.

Absteckt durch hunderte Meter Flatterband vollführt der Ultrakurs in Eldris einen auf den ersten Blick recht ungewöhnlichen Schlenker. Denn die zentrale Wiese wird auf drei Seiten umrundet, um schließlich gar nicht so weit entfernt von der Stelle, an der die Schleife begonnen hatte, zu enden. Und da man zwischendurch auch noch die einige zusätzliche Rechts-Links-Kombinationen durchläuft, beschreibt die Strecke dann auf der Karte eine beinahe schon "wild" zu nennende Zickzacklinie.

"Zorngården", der Hof in dem Anders Zorn lebte wird als nächstes passiert … … bevor sich an folgenden Verkehrskreisel die Wege von Einzel- und Staffelläufern noch einmal trennen

Ganz sinnlos ist dies natürlich nicht. Denn die Grasfläche wird als Parkplatz genutzt. Und nur durch diesen Dreiviertelkreis bleibt die Zufahrt zwischen Eldris und der inzwischen wieder etwa zwei Kilometer entfernten Hauptstraße frei. Selbst wenn sie einige Kurven weniger absolvieren und diese selbstverständlich auch noch weitere Radien haben, werden die Skilangläufer im Winter über einen ganz ähnlichen Parcours durch den Weiler geführt.

Als Jonas Buud schon seine Haken auf dem Gras schlägt, ist Max King erst kurz zuvor in der vorherigen Station Läde vorbei gekommen. Denn inzwischen ist der Lokalmatador auch seinem ärgsten Verfolger um knappe neunzehn Minuten enteilt. Der Amerikaner hat seinerseits aber einige Mühe, sich den bis auf weniger als eine Minute an ihn heran gerückten Didrik Hermansen vom Leib zu halten.

Die beiden Franzosen Arnaud Perrignon und Emmanuel Gault behaupten weiter die Plätze vier und fünf, wobei sie wie alle anderen Minute um Minute gegen den einsam an der Spitze liegenden Schweden verlieren, während die Abstände der übrigen Eliteläufer untereinander weit weniger Bewegung zeigen. Immerhin hat sich hat sich der zwischenzeitlich auf Rang zehn zurückgefallene "Sprinter" Matt Flaherty als Siebter hinter Jarle Risa wieder ein wenig nach vorne geschoben. Allerdings beträgt sein Rückstand auf den Führenden stolze dreiunddreißig Minuten.

Ida Nilsson hat zwischen Hökberg und Eldris noch einmal eine gut Minute gegenüber Jasmin Nunige aufgeholt, als die beiden ersten Frauen weit über eine Stunde nach Jonas Buud den letzten Kontrollpunkt auf den Gesamträngen siebzehn und neunzehn passieren. Doch hat die Schwedin eben auch nur noch etwas mehr als acht Kilometer, um etwas an der eigentlich seit dem Start bestehenden Reihenfolge etwas zu verändern.

Von der ebenfalls von Anfang an auf Platz drei geführten Petra Kindlund droht eigentlich für beide keine Gefahr mehr. Denn um eine Lücke von fast neunundzwanzig oder auch nur von etwas über dreiundzwanzig Minuten - so weit ist sie nämlich hinter zurück - zu schließen, müsste mindestens eine der beiden vor ihr liegenden Läuferinnen einen totalen Einbruch erleben. Ihrerseits muss sie sich noch viel weniger Sorgen um ihren Platz machen. Denn bis mit Sara Göthe die Vierte ihre Runde durch den Weiler dreht, ist die Uhr über eine halbe Stunde weiter gelaufen.

Hinter der Wiese wählt sich die nun wieder deutlich mehr Platz bietende Strecke erst einmal eine kleine Senke als Zwischenziel. Doch direkt dahinter wartet auch gleich schon die nächste Kuppe. Bodenwellen von zehn bis fünfzehn Metern wie diese sind in einem Höhenprofil, das eine Gesamtlänge von neunzig Kilometer umfasst, natürlich nicht sichtbar. Doch nachdem man den größten Teil dieser Distanz bereits bewältigt hat, stellen sie für ziemlich müde Beine trotzdem eine deutlich spürbare Herausforderung dar.

Erschwerend kommt hinzu, dass man sich kurzeitig eines wenig läufergerechten Untergrundes "erfreuen" darf. Schon seit längerem war man in einem eher trockenen Gelände unterwegs. Doch über die Festigkeit der Wege konnte man sich zuletzt eigentlich nicht beschweren. Im letzten Teil des Anstieges muss man sich nun aber auch noch durch losen Sand bergan arbeiten. Die Szenerie wirkt in diesem Augenblick fast wie ein Dünenwäldchen irgendwo am Meer. Doch ist die Ostsee eben rund hundertfünfzig Kilometer weiter weg.

Immerhin liegt Mora aber an der Nordspitze des Siljan, der als siebtgrößten See des Landes etwa die halbe Fläche des Bodensees einnimmt. Durchflossen wird dieser von "Österdalsälven", dem vierzig bis fünfzig Kilometer weiter im Osten gelegenen Gegenstück zu "Västerdalsälven". Selbst wenn man den Fluss nie zu Gesicht bekommt, folgt die Laufstrecke genau wie die parallelen Straßen- und Bahnverbindungen schon seit Oxberg seinem nun immer breiter werdenden Tal.

Direkt nördlich der Stadt schließt sich mit "Orsasjön" gleich noch eine weitere große Wasserfläche an, die in Deutschland zwar immerhin auf Rang vier landen würde, im mit Seen reich bestückten Schweden allerdings nicht einmal zu den ersten Fünfzig gehört. Siljan und Orsa-See zusammen sind Überbleibsel eines gewaltigen Einschlagkraters, der zwar längst wieder mit Sedimenten gefüllt ist, sich aber heute noch auf der Karte problemlos anhand weiterer ringförmig um seinen Rand angeordneter Seen und Flüsse erkennen lässt.

Zwar bleibt das Gelände links und rechts der Route auch hinter der Kuppe weiter ziemlich sandig. Der Weg selbst allerdings wird nach dem kurzen Wüstenabenteuer wieder deutlich fester. Ähnlich wie bei Oxberg begleiten erneut Laternen die Sportler. Auch wenn die Lichtloipe in diesem Fall nicht ganz so schnurgerade verläuft, lässt sie sich meist dennoch recht weit einsehen. So ist man ganz froh darüber, dass - selbst wenn diese häufig deutlich schneller sind - immer mehr Staffelläufer die Strecke bevölkern.

Wirklich viel Abwechslung bietet dieser Abschnitt nämlich nicht mehr. Tendenziell ist er trotz einiger leichter Gegenwellen weiterhin leicht fallend. Bald läuft man deswegen dann auch unterhalb der Zweihundert-Meter-Höhenlinie. Doch schon an der Tatsache, dass zwischendurch erneut die Gleise auf der linken Seite als Begleitung hinzu kommen, lässt sich ablesen, wie gering die Neigung nun insgesamt ist. Schließlich sind für Bahnlinien Steigungsangaben meist nur in Promillewerten üblich.

Auffällig ist allerdings, dass man weit häufiger als zuvor an Kreuzungen und Abzweigungen vorbei kommt. Anderseits kann es nicht unbedingt überraschen, wenn das Wegenetz in den an die Stadt angrenzenden Waldgebieten weit dichter ausfällt als in den nur wenig besiedelten Gegenden weiter westlich, wo sich im Durchschnitt gerade einmal zwei Menschen einen Quadratkilometer teilen und der nordische skog nur dann von einem grusväg erschlossen ist, wenn irgendwo ein paar Hütten darin stehen.

Diese kleinen Versatzstücke verstärken nur noch einen ohnehin vorhandenen Eindruck. Es ist angesichts der Perfektion der Organisation selbstverständlich völliger Unsinn, doch obwohl oder vielleicht auch gerade weil man inzwischen zehnmal mehr Kilometer zurückgelegt hat als noch bevorstehen und das Ziel mit jedem Schritt näher rückt, scheinen die blauen Tafeln - übrigens jetzt natürlich nur noch mit einer einzigen Entfernungsangabe beschriftet - plötzlich immer weiter auseinander zu stehen.

Die weithin sichtbare Kirche von Mora ist wohl das markanteste Bauwerk der Stadt, wie viele Gotteshäuser in Skandinavien hat sie einen separat stehenden Glockenturm

Gerade hat man das mit der "4" passiert, als der Kurs an einer dieser Einmündungen scharf nach rechts abbiegt. Ein Gefälle beendet augenblicklich das ebene Einerlei. Dieses ist zwar nicht allzu lang, aber dafür so steil, dass es der Beinmuskulatur nach sechsundachtzig in ihr aufgesogenen Kilometern nicht gerade riesige Freude bereitet. Direkt anschließend darf man an einem ähnlich geneigten Hang auch gleich wieder hinauf.

Gleich mehrere ziemlich fiese Steigungen und relativ unangenehme Gefälle bestimmen diesen viertletzten Kilometer. Nie hat man dabei wirklich viel an Höhe zu überwinden. Und keine dieser Fünf- oder Zehn-Meter-Stiche ist der Profillinie einen Ausschlag wert. Doch schon bei der zweiten Rampe dieser Achterbahn sehnt man sich nach der gepflegten Langeweile der flachen Abschnitte zuvor zurück.

Mit der Überwindung des letzten Hügels erreichen die Läufer das Tal eines kleinen Flüsschens namens "Hemulån", das sich in einer Vielzahl von Schleifen dem großen See entgegen windet. Die Strecke setzt auf einer Brücke - nicht mehr ganz so breit wie einige davor, aber immer noch bequem in der Lage vier oder fünf Skispuren nebeneinander aufzunehmen - darüber hinweg und orientiert sich danach erst einmal an ihm.

Die lange Zeit eher unspektakuläre Route wird noch einmal wirklich idyllisch. Und auch als der Weg ein wenig Abstand vom Wasser gewinnt, um einen der Flussbögen abzuschneiden, wirken die roten Holzhäuser auf der von ihm gebildeten Halbinsel keineswegs wie die Vorboten eines Städtchens mit zehntausend Bewohnern sondern wie jeder andere der Bauernhöfe entlang der Strecke. Vasaloppsspåret erreicht Mora irgendwie durch die grüne Hintertür.

Zweihundert Meter später bringt ein ziemlich kurzer, aber auch ziemlich steiler Stich die Sportler auf eine kleine Wiese hinaus, über die nur ein etwas besser Trampelpfad führt. Erst als dieser mit einigem Gefälle erneut im Wald verschwindet, landet man wieder auf einem etwas breiteren Weg am Ufer. Für die Skilangläufer ist dieser aber trotzdem zu schmal. Sie überqueren die für sie keineswegs grüne Grasfläche anders und stoßen erst dann wieder zum Flüsschen vor, als dieses unter Bahn und Hauptstraße hindurch taucht.

Erneut kann man dabei sehen, welcher Aufwand im Westen Dalarnas für den Wasalauf getrieben wird. Denn schon für einen schmalen Pfad wäre an dieser Stelle eigentlich kein Platz mehr an der Wasserkante. Mehrere parallele Loipen für tausende von Skisportlern sind schon gar nicht denkbar. Also hat man unter der Brücke eine große Holz-Konstruktion errichtet, die wie eine Plattform über Hemulån hinaus ragt. Praktisch direkt nach dem Unterqueren der Doppelbrücke führt die Laufstrecke dann ebenfalls über das Flüsschen.

Sie ist in einer Parklandschaft gelandet, die nun - weit weniger als zwei Kilometer vor dem Ziel - erstmals tatsächlich zumindest ein wenig nach Stadt aussieht. Einen Pfad gibt es auf der anderen Seite aber nicht mehr. Einige hundert Meter läuft man über weiches unebenes Gras. Das zwar zum einen extrem gute Dämpfungseigenschaften bietet, allerdings wegen der längst recht eingeschränkten Koordinationsfähigkeit eben auch das Risiko beinhaltet, sich ganz zum Schluss doch noch den Fuß zu vertreten.

Und zudem haben die Kurssetzer nicht umhin gekonnt, den Läufern weitere kleine Hügel als Herausforderung in den Weg zu stellen. Sie sind mit selten mehr als einer Handvoll Metern Höhenunterschied eigentlich noch deutlich niedriger als ihre Verwandten zwei oder drei Kilometer zuvor im Wald, aber mindestens genauso fies. Bei einem Crosslauf würde es wohl sogar Spaß machen, über solche Buckel zu hetzen. Nach fast neunzig Kilometern empfindet man sie dagegen als pure Schikane.

Über den kleine See von "Moraparken" ist der Turm von "Mora kyrka" zu erkennen. Die wuchtige Kirche ist völlig unbestritten das markanteste Bauwerk des Städtchens, das ansonsten nicht unbedingt vor Sehenswürdigkeiten überquillt. Und aufgrund ihrer beinahe fünfundsiebzig Meter aufragenden Spitze ist sie auch weithin sichtbar. Da man sie zudem nur wenige Schritte vor dem Erreichen des Zielbogens passiert, ist nun auch endgültig klar, wo man hin muss.

Am Ende des Sees taucht man noch einmal in den Schatten eine Zone ein, die sich irgendwo zwischen großer Baumgruppe und kleinem Wäldchen einsortiert. Und auf der Rückseite der - wohlgemerkt hölzernen und in schwedenrot gestrichenen - Sporthalle, in der man nach dem Rennen duschen kann, steht dann wirklich das allerletzte blaue Schild am Rand des nun wieder als "Pfad" zu bezeichnenden Geläufs. Pendelbusse werden nach dem Zieleinlauf die müden Sportler das kurze Stück zurück zur Halle bringen - und zwar nicht nur im Sommer.

Auch im Winter bei deutlich höheren Teilnehmerzahlen funktioniert dieser Transport - dann auch zum benachbarten Hallenbad - nahezu reibungslos. Patrik Nilsson hatte unterwegs ziemlich begeistert davon erzählt, dass man vor der Fahrt im Zielbereich seine Ski abgeben könne und kaum sei man nach dem Duschen erneut aus dem Bus ausgestiegen, hätte man sie dank der vielen Helfer auch schon wieder in der Hand. Die weitaus weniger Taschen und Kleiderbeutel, die man für die Läufer zu bewältigen hat, sind da natürlich genauso wenig ein Problem.

In großen Buchstaben ist auf der roten Außenwand "Vasaloppsspåret" zu lesen. Und darunter geben zwei um Pfeile ergänzte Schriftzüge die Richtungen "Sälen" und - etwas überraschend, da man ja eigentlich schon fast angekommen ist - "Mora" vor. Mit viel Phantasie ließe sich vielleicht noch als Begründung anführen, dass man auch weiterhin nicht wirklich in der Stadt unterwegs ist sondern erst noch einige Zeit lang über den zum Park gehörenden Campingplatz läuft.

Nach neunzig Kilometern in der weiten schwedischen Landschaft gibt es ganz zum Schluss kurz Stadtlaufatmosphäre

Entlang des asphaltierten Zufahrtsweges geht es erneut auf Gras vorbei an Wohnwagen und Zelten, die sich - ganz ähnlich wie es auch für Häuser in Skandinavien üblich ist - mit relativ großen Abständen unter den Bäumen verteilen. Auch etliche Läufer und deren Anhang haben das weiträumige Gelände als Quartier gewählt. So steht dann auch der eine oder andere Zuschauer hinter den Flatterbändern, die wieder einmal den Kurs vorgeben.

"Bra kämpat" ertönt es vom Streckenrand. In der melodischen Intonation der Schweden, die ein "k" in der Regel wie das "ch" in "ich" sprechen, klingt es eher wie "chämpadd" und macht den Zuruf irgendwie noch sympatischer. Er wird nun noch ein paar Mal zu hören sein. Darüber, ob man dieses "gut gekämpft" aber wirklich als Lob auffassen soll, muss man erst einmal nachdenken. Denn vermutlich ist der Laufstil nach "nio mil" längst alles andere als rund und sieht tatsächlich nur noch nach Kampf aus.

Nur noch ein guter halber "chilometer" ist zu laufen, als man den Campingplatz hinter sich lässt. Und noch einmal gilt es dazu eine Rampe zu bewältigen. Diesmal ist sie allerdings nicht natürlichen Ursprungs. Sie ist künstlich aufgeschüttet und Teil einer Brücke, die den Trampelpfad an dieser Stelle über ein schmales Parksträßchen führt. Wirklich nachvollziehbar ist der Grund für diese Konstruktion im ersten Moment nicht. Denn so viel Verkehr, dass man sie nicht wie andere Fahrwege zuvor einfach ebenerdig überqueren könnte, herrscht dort natürlich nicht.

Doch natürlich handelt es sich erneut um ein Bauwerk, das seine Existenz einzig und allein dem Wasalauf verdankt. An dieser Stelle kreuzt nämlich die Fahrroute für die Busse zwischen dem Ziel und den Duschen die Strecke. Was für die Läufer im August vielleicht mit etwas Koordination durch eine Handvoll Ordner noch machbar wäre, ist im Winter selbstverständlich völlig unmöglich. Denn die gespurten Loipen der Skisportler würden durch über sie hinweg rollende Reifen total zerstört.

Nachdem die Organisatoren im Jahr 2008 endgültig auf die Schwimm- und Sporthallen von Moraparken ausweichen mussten, weil die zuvor genutzten Umkleiden in Zielnähe abgerissen wurden, brauchten sie also eine Lösung und fanden diese im Bau einer neuen Brücke. Man hat ihr nach einem Ideen-Wettbewerb den Namen "Auklandsbron" gegeben. Einer der eingereichten Vorschläge lautete nämlich, sie nach dem ersten Läufer zu benennen, der sie während des Rennens überquerte.

Und das war der Norweger Jørgen Aukland, der das Rennen in jenem Jahr mit mehr als drei Minuten Vorsprung souverän gewann. Noch ein weiteres Mal stand er 2013 in Mora ganz oben auf dem Treppchen. Auch der Nächste auf der Brücke hieß übrigens Aukland. Denn Jørgens älterer Bruder Anders - seinerseits mit einem Wasalauf-Erfolg 2004 und zwei Jahre zuvor auch mit Staffel-Olympiagold dekoriert - wurde damals Zweiter.

Das Brüderpaar, das damit zu den bisher gerade einmal fünf norwegischen Männern und zwei Frauen aus Norwegen gehört, die Vasaloppet mindestens einmal gewinnen konnten, hat sich seit über einem Jahrzehnt auf die ganz langen Rennen spezialisiert und landet dort beständig auf vordersten Platzierungen. Es gibt praktisch kaum ein Rennen der Ski-Classics-Serie, in dem nicht alle beide irgendwo in der Siegerliste auftauchen. Ausgerechnet Birkebeinerrennet im Heimatland fehlt aber bei Jørgen noch in der Sammlung, während Anders dort schon vier Erfolge zählt.

Die bergab führende Rampe endet gleich an den nächsten beiden Brücken. Denn Hemulån - das Flüsschen hat sich an diesem Punkt in zwei Arme aufgeteilt - muss noch ein drittes Mal überquert werden. Das Gemeinste daran ist, dass man gleich darauf erneut auf der kurz zuvor an der Auklandsbro bereits erreichte Höhe zurück muss. Das Ziel liegt nämlich nun wieder etwa zehn Meter weiter oben.

Das sei jetzt aber wirklich "sista backen", feuern die Zuschauer, die sich neben der Strecke auf dem grasigen Hang niedegelassen haben, die vorbei kommenden Läufer an. Dieser "letzte Hügel" endet auf Asphalt. Und wenige Schritte später darf man auf die - absolut passend zum Ereignis "Vasagatan" heißende - Zielgerade einbiegen. Allerdings ist sie so ganz gerade dann auch wieder nicht. Ein leichter Knick verhindert selbst vierhundert Meter vor dem Ende den Blick auf das "målportal".

Die zentrale Achse des Städtchens ist für die gesamte Länge, auf der sie als Laufstrecke dient, beidseitig mit Holzzäunen abgesperrt. Diese stammen selbstverständlich von der Winterausgabe und sind dort angesichts der weitaus höheren Geschwindigkeiten - der Streckenrekord der Schweden Jörgen Brink liegt bei 3:38:41 - auch noch erheblich wichtiger. Und nacheinander passiert man auf ihr eigentlich alles, was Mora irgendwie von anderen schwedischen Orten ähnlicher Größe unterscheidet.

Als erstes kommt man an "Zornmuseet" vorbei, das direkt an der Einmündung des Kurses in die "Wasastraße" steht und das man deswegen auch schon von einer anderen Seite kennt. In ihm werden Werke des Malers und Bildhauer Anders Zorn gezeigt, der in Mora geboren wurde. Direkt daneben schließt sich "Zorngården" an. Der Hof, auf dem Zorn viele Jahre lebte, ist seitdem praktisch unverändert und ebenfalls zu besichtigen.

Als nächstes folgt die bereits erwähnte Kirche, die aus der Nähe noch weitaus imposanter wirkt. Auffällig ist vor allem der mit rotem Backstein gemauerte Mittelteil des Turmes, der sich deutlich vom pastellgelb gestrichenen Rest des Gebäudes abhebt. Zusammen mit dem grünen Dach bekommt sie ein ziemlich farbenfrohes Äußeres, das ihren eigentlich massiven Mauern trotzdem eine gewisse Leichtigkeit verleiht.

Wie in Skandinavien oft üblich gibt es neben diesem eigentlichen "torn" noch einen weiteren etwas abseits der Kirche errichteten Glockenturm aus Holz. In Mora findet sich dieser "klockstapel" sogar außerhalb des eingezäunten Geländes jenseits einer von einem Verkehrskreisel abgehenden Querstraße. Dafür steht er aber als vorletzte Landmarke der Strecke direkt hinter den nun auch mit Werbebannern versehenen Banden.

Fast genau vor dem Wasalaufsmuseum endet für Ultras und die meist alle gemeinsam einlaufenden Staffeln das Rennen unter dem dauerhaft errichteten "målportal"

An einem zweiten Kreisel auf der anderen Seite der Kirche waren zuvor schon Staffeln und Einzelläufer auseinander sortiert worden. Während die Teams - wenn sie es möchten - auf der rechten Spur in kompletter Stärke gemeinsam dem ab diesem Punkt auch sichtbaren Ziel entgegen laufen dürfen, ist die linke Straßenseite den Ultras vorbehalten. Die dort Wartenden sorgen nach neunzig Kilometern durch die skandinavische Natur ganz zum Schluss noch für etwas Stadtlaufatmosphäre.

Doch nun ist es wirklich nur noch ein Sprint, bis man die so lange "Spur der Väter" hinter sich gebracht hat. Rund hunderttausend Schritte und viele Stunden waren dazu nötig. Eine mystische Morgendämmerung und eine warmen, für skandinavische Maßstäbe sogar heißen Tag hat man erlebt. Und unzählige Details ließen sich unterwegs aufsaugen. So kann sich auch jeder, der viele Stunden hinter dem Ersten unter dem Wasalauf-Wahlspruch hindurch kommt, als "segrare" fühlen.

Dort wartet auch die Medaille. Und natürlich löst die mit einem blau-gelben Band um den Hals gehängte Plakette, die Gustav Vasa auf Ski zeigt, nach einem solchen Tag noch einmal eine Vielzahl von Emotionen aus. Auf dem an dessen Denkmal vorbei führenden Weg vom Ziel zum Veranstaltungsbereich - wo nicht nur die Taschen sondern für die Ultraläufer auch freies Essen und Getränke warten - muss sie wohl fast jeder erst einmal sortieren.

Auch wenn jeder ein Sieger, der das Tor erreicht, den Siegerkranz von der "Kranskulla" - "kulla" ist ein alter Dialektausdruck aus Dalarna, der sich mit "Fräulein" übersetzen lässt - umgehängt bekommt jedoch nur Jonas Buud. Die bei Vasaloppet schon immer übliche Tradition, den Ersten bereits ein Stück vor dem Ziel von einer in der jeweiligen regionalen Tracht gekleideten junge Frau in Empfang nehmen zu lassen, haben längst auch für viele andere schwedische Ausdauersport übernommen.

Und seit es den Damen ebenfalls erlaubt ist, solch lange Distanzen zu bewältigen, gibt es als Gegenstück für sie auch einen männlichen "kransmas". Es gilt im Westen von Dalarna als ganz besondere Ehre, für eines der beiden Ämter ausgewählt zu werden. Man kann deren Bedeutung vielleicht beinahe mit einem Prinzenpaar beim Karneval oder auch der Rolle einer Weinkönigin vergleichen. Fototermine gehören genauso dazu wie Interviews.

Jedes Jahr werden zwei andere junge Sportler aus der Region mit dieser Aufgabe betraut. Und wie über die Sieger gibt es auch hierbei exakte Aufzeichnungen. Viktoria Stärner und ihr Kollege Victor Gustafsson - so heißen 2015 die beiden Kranzverteiler mit den zufällig ideal zueinander passenden Vornamen - sind dabei sowohl im Winter wie auch im Sommer aktiv und deswegen gleichermaßen für Skilangläufer, Radfahrer und Läufer zuständig.

Fünf Stunden nach dem eigenen Einlauf empfängt Siegerin Jasmin Nunige (rechts) ihre Freundin Dorothee Foernzler im Ziel Patrik Nilsson wird im Ziel hingegen von seiner Frau erwartet, die das Rennen mit dem Auto begleitet und zwischendurch an der Strecke gestanden hat

Überraschend ist der Sieg von Buud - der selbst übrigens auch schon einmal "Kranzbursche" beim Wasalauf war - eigentlich nicht mehr. Dass der Lokalmatador auf dem ihm gut bekannten Schlussabschnitt so einbrechen würde, um den herausgelaufenen Vorsprungs noch zu verspielen, war absolut nicht zu erwarten. Und selbst im Vorfeld des Rennens war irgendwie zu ahnen, dass es schwer werden würde, ihn in der Heimat zu schlagen.

Doch mit der Zeit, die in diesem Moment auf den Uhren steht, hatte wohl kaum jemand gerechnet. Jonas Buud hat seine eigene Streckenbestmarke nämlich regelrecht pulverisiert, als er nach 5:45:08 das Ziel durchläuft. Siebzehn Minuten ist der alte und neue Rekordhalter schneller als zwölf Monate zuvor, was mehr als zehn Sekunden pro Kilometer bedeutet. Trotz des unebenen Geläufs legt er damit jeden von ihnen in einen Schnitt von 3:50 zurück.

Erst einundzwanzig Minuten später kommt Max King nach 6:06:11 als Zweiter vor dem Wasalauf-Museum an. Auf den letzten neun Kilometern hat er Didrik Hermansen, dann doch noch klar auf Distanz gehalten und die Lücke wieder auf zwei Minuten vergrößert. Für den Norweger, der den verlorenen Prämienspurt nun sicher absolut verschmerzen kann, werden 6:08:10 gestoppt, was einen beinahe mit Jonas Buud zu vergleichenden Leistungssprung bedeutet. Denn bei der Premiere war er noch mit 6:24:03 Vierter.

Diesen Platz teilen sich 2015 eine halbe Stunde hinter dem Sieger in 6:15:14 die Franzosen Emmanuel Gault und Arnaud Perrignon. Auch Jarle Risa kann seine Zeit aus dem Vorjahr um fast fünf Minuten auf 6:18:57 verbessern. Dennoch landet er in der Ergebnisliste diesmal nur auf Rang sechs und damit drei Plätze weiter hinten als zwölf Monate zuvor. Mit Matt Flaherty (6:21:05), dem Esten Ranno Erala (6:21:58) und Helder Ferreira (6:22:27) folgen innerhalb von eineinhalb Minuten noch drei weitere Läufer mit Zeiten, die vor einem Jahr fürs Treppchen gereicht hätte.

Nach 7:02:35 ist auch der andere Siegerkranz verteilt - diesmal aber durch den "kransmas" Victor Gustafsson. Jasmin Nunige trägt ihn über die Linie. Die Davoserin kennt dieses Gefühl bereits ganz gut von ihren Heimrennen. Denn auch im Graubünden erhalten die Ersten das Gebinde in der Regel schon vor dem Ziel. Nachdem man sich dort an die Siegerkombination Nunige und Buud fast schon gewöhnt hat, stehen beide nun zur Abwechslung auch einmal in der Heimat des Schweden zusammen auf dem Podest.

Zwar ist Ida Nilsson der Schweizerin auf dem Schlussabschnitt noch einmal zwei weitere Minuten näher gekommen. Doch wirklich schließen konnte sie die Lücke nicht mehr. Jasmin Nunige kann von ihrem in der ersten Rennhälfte heraus gelaufenen Vorsprung zehren. So bleibt die Läuferin von Högby IF auf der Insel Öland im Südosten des Landes zwar mit 7:05:56 zwar ebenfalls noch unter dem alten Streckenrekord. Doch mehr als Platz zwei springt trotzdem nicht für sie heraus.

Der ist allerdings vollkommen ungefährdet. Denn Petra Kindlund, die genau wie die beiden vor ihr liegenden Sportlerinnen die praktisch schon kurz nach dem Start eingenommene Platzierung über das gesamte Rennen bis ins Ziel hält, liegt mit 7:34:02 rund eine halbe Stunde zurück. Und sogar mehr als eine volle Stunde beträgt bereits der Abstand zu dem beiden schnellsten "kvinnor", als Sara Göthe als Vierte nach 8:09:00 ins Ziel kommt. Jaana Nehez (8:23:53) und Mia Gyllenberg (8:29:00) landen schließlich auf den Rängen fünf und sechs.

Fünf Stunden nach ihrem Einlauf steht Jasmin Nunige erneut an der Ziellinie und nimmt freudestrahlend - und zwar keineswegs nur aufgrund des eigenen Erfolges sondern auch weil die Freundin es nun ebenfalls geschafft hat - Dorothee Foernzler in Empfang, die nach 12:16:37 die legendären neunzig Kilometer von Sälen nach Mora ebenfalls bewältigt hat. Es ist ein Moment, in dem sich praktisch die ganze Bandbreite zeigt, die eine Veranstaltung wie Ultravasan bieten kann.

Noch fast drei weitere Stunden haben die Helfer am "målportal" danach zu tun. Denn erst kurz vor dem offiziellen Limit wird die Zeitnahme tatsächlich zum letzten Mal ausgelöst. Bei 821 Einträgen endet die Auflistung. Die Ausfallquote durch Startverzicht, Aufgabe oder Zeitüberschreitung liegt also bei etwas über einem Drittel. Dennoch liegt man deutlich über dem Vorjahresergebnis und kann damit auch den leichten Rückgang auf der kürzeren Strecke locker wegstecken.

Insgesamt dürfen sich die Organisatoren über einen Lauf freuen, bei dem so ziemlich alle denkbaren Rekorde gefallen sind. Denn neben der neuen Höchstzahl an Teilnehmern haben alle vier Gewinner ja auch jeweils neue Streckenbestmarken gesetzt. Die Verbesserungen sind bei gerade einmal zwei Austragungen natürlich eindeutig leichter, als wenn es bereits eine lange Tradition gäbe. Doch dürfte diese Einschränkung die Freude erst einmal kaum trüben.

Dass es bei der nächsten Auflage genauso weiter geht, ist zumindest im Hinblick auf die Zeiten wohl kaum zu erwarten. Insbesondere auf der langen Strecke befinden sich diese schließlich nun in Regionen, für die es schon Ultraläufer der absoluten Spitzenklasse bedarf, um sie zu knacken. Und zumindest bei den Herren hat Jonas Buud die Latte so hoch gelegt, dass selbst die Weltelite dazu auch noch einen richtig guten Tag haben müsste.

Die Teilnehmerzahlen dürften zukünftig weitaus leichter zu überbieten sein. Denn es wird sich weiter herumsprechen, welch eine Ultralaufperle jetzt im Westen Dalarnas existiert. Sowohl die Streckenführung als auch die Organisation müssen im Vergleich kaum einen Mitbewerber scheuen. Und die enge Verbindung zu einem der traditionsreichsten Sportereignisse überhaupt macht die Sache nur noch reizvoller.

Auch Ausdauersportler aus schnee- und winterfernen Regionen, die auf Ski wohl kaum die Möglichkeit hätten, diese legendäre Strecke "i fäders spår för framtids segrar" zu bewältigen, können nun in Mora die traditionsreiche Medaille mit dem skilaufenden König bekommen
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Für Schweden hat der Name "Wasalauf" ohnehin einen fast mythischen Klang. Es gehört darum auch nicht wirklich viel prophetische Gabe dazu, um zu prognostizieren, dass das Interesse am Rennen wohl noch eher steigen wird. So wie für Skilangsportler wird es wohl bald für jeden schwedischen Ultraläufer zum absoluten Pflichtprogramm gehören, mindestens einmal im Leben von Sälen nach Mora gelaufen zu sein.

Schon aufgrund des Fehlen einer echten Konkurrenz dürfte der Zulauf aus den nicht weniger skisportbegeisterten Nachbarländern ebenfalls kaum kleiner werden. Schon jetzt ist Ultravasan die größte skandinavische Veranstaltung jenseits des Marathons. Und selbst in Europa könnte man bald einen absoluten Spitzenrang einnehmen, wenn das Feld auch in der Breite noch ein wenig internationaler würde.

Für Ausdauersportler aus schnee- und winterfernen Regionen in der Mitte und dem Süden des Kontinents, die auf Ski wohl kaum die Möglichkeit hätten, diese legendäre Strecke "in der Spur der Väter zu den Siegen der Zukunft" zu bewältigen, bietet sich das Rennen im August als absolut perfekte Alternative einfach an. Und die Wahrscheinlichkeit die traditionsreiche Medaille mit dem skilaufenden König zu bekommen, ist dabei sogar ein wenig größer.

Bericht und Fotos von Ralf Klink

Ergebnisse und Infos unter www.vasaloppet.se

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