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22.11.09 - 3. Saragossa MarathonÜber die Brücken des Ebro |
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von Ralf Klink
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Fast jeder kann ohne große Probleme die beiden größten spanischen Städte nennen. Madrid und Barcelona, na klar. Aber was kommt denn dahinter? In der Regel fängt damit das Rätselraten schon an. Namen - wenn auch zum Teil nur noch von einigen der unzähligen Ferienorte des Landes - kennt man ja vermutlich noch. Aber bei der Größeneinschätzung muss man dennoch meist kapitulieren.
Von Valencia, der Nummer drei, und Sevilla, der Nummer vier der Rangliste, hat man höchstwahrscheinlich schon einmal gehört. Und eventuell hätte man sie sogar entsprechend eingeschätzt. Bei Zaragoza - oder wie man auf Deutsch schreibt Saragossa - sieht das allerdings schon ein wenig anders aus.
Denn so richtig vermutet, dass diese Stadt die Marke von sechshunderttausend Einwohnern bereits deutlich überschritten hat und damit den beiden zuvor genannten ziemlich dicht auf den Fersen ist, hätten die meisten doch wohl eher nicht. Oder etwa doch?
Die relative Unbekanntheit hängt sicher auch ein wenig damit zusammen, dass Zaragoza zwar durchaus Erstligisten in allen in Spanien wichtigsten Sportarten zu bieten hat, diese es aber höchst selten in internationale Wettbewerbe schaffen. Die Fußballer von Real Zaragoza haben sich in den letzten Jahren sogar eher als Fahrstuhlmannschaft präsentiert. Die örtlichen Basketballer sind sogar gerade wieder in die Zweitklassigkeit abgestiegen Und auch im Handball, wo ja die spanische Liga neben der deutschen als stärkste Liga überhaupt gilt, ist der Verein Balonmano Aragón nur Mittelmaß.
Begegnungen mit Mannschaften im deutschsprachigen Raum sind deshalb ziemlich selten. Den Namen Zaragoza hat man im Gegensatz zu den nur etwa halb so großen Bilbao oder A Coruña nur wenig im Ohr. Die Basken von Athletic und die Galicier von Deportivo tauchen jedenfalls wesentlich häufiger in den Sportnachrichten auf. Ja selbst das nicht einmal hunderttausend Menschen zählenden Ciudad Real ist dank seiner Handballer hierzulande eher ein Begriff.
Dass Zaragoza - richtig ausgesprochen wird das übrigens weder vorne noch hinten mit "z", und auch nicht mit dem "s" der deutschen Schreibweise sondern mit einem Laut der eher dem englischen "th" ähnelt, allerdings doch etwas schärfer und zischender ist - so wenig bekannt ist, hängt jedoch auch mit seiner geografischen Position zusammen. Ungefähr auf halbem Weg zwischen Madrid und Barcelona am Ufer des Flusses Ebro im Landesinneren gelegen, ist man von den klassischen Urlaubsgebieten an den Küsten eben ein ganzes Stück entfernt.
Egal ob zufällig oder bei geplanten Ausflügen, von den dortigen Touristen verirrt sich jedenfalls ziemlich selten einer in diese Gegend. Die ziemlich unspektakuläre, eher karge, und dünn besiedelte Region Aragón, deren Hauptstadt und Zentrum Zaragoza ist, lockt auch sonst die Besucher nicht gerade in Scharen an. Und so nimmt man im Ausland von der Stadt meist ziemlich wenig Notiz. Am häufigsten in die hiesigen Schlagzeilen schafft man es - gerade zur Zeit - noch in Verbindung mit dem in der Nähe gelegenen Opel-Werk.
Wirklich verdient, von vielen so einfach übersehen zu werden, hat Zaragoza aber eigentlich nicht. Denn obwohl es nicht wirklich aus der Vielzahl der sehenswerten spanischen Städte heraus ragt, kann man dort einiges Interessantes entdecken. Gleich Dutzende von historischen Baudenkmälern aus den unterschiedlichsten Epochen bis zurück in die Antike zählen die Prospekte des Tourismusbüros auf. Zudem veranstaltete Zaragoza im Jahr 2008 eine Weltausstellung, die nicht nur für eine deutliche Verbesserung der Infrastruktur sorgte sondern auch einige neue Sehenswürdigkeiten hinterließ.
Und noch etwas anderes blieb von der Expo zurück, nämlich ein Lauf über 42,195 Kilometer. Denn erst 2007 also ziemlich spät stieg man in der Stadt am Ebro - unter anderem auch auf Anregung und mit Unterstützung der Organisatoren der Weltausstellung - in die Marathonszene ein. Einen Halbmarathon gab es in Zaragoza zwar schon länger. Doch um an die doppelt so lange Distanz heran zu gehen, benötigte es schon eines zusätzlichen Anstoßes.
Die Hauptstadt von Aragón ist damit allerdings eine Ausnahme in Spanien. Denn die anderen großen Metropolen des Landes haben meist eine jahrzehntelange Marathontradition. In Sevilla kann man bereits auf fünfundzwanzig Austragungen zurück blicken. Valencia feiert im nächsten Jahr schon das dreißigste Rennen. Auch wenn der Lauf von Barcelona zwischenzeitlich einmal ausfiel, reicht die Marathongeschichte dort bis 1979 zurück. Und in Madrid wird sogar schon seit 1978 gelaufen. Wohlgemerkt in bisher ununterbrochener Folge.
Womit dann allerdings auch schon nahezu alle größeren Veranstaltungen aufgezählt sind. Denn neben dem fünfstelligen Madrider Lauf, dem inzwischen weit über siebentausend Teilnehmer zählenden Lauf von Barcelona und den mit jeweils knapp dreitausend Startern etwa gleich großen Rennen von Valencia und Sevilla kommt nur noch der ebenfalls schon über drei Jahrzehnte alte Traditionsmarathon von San Sebastian - oder Donostia, wie es in der baskischen Sprache heißt - noch in die Reichweite der Zweitausendermarke.
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Im Fünfsternehotel Hiberius werden die Startunterlagen verteilt, dort sind jeweils drei bis vier Helfer für zweihundert Startnummern zuständig | Die letzten Startvorbereitungen an der Plaza de Aragón |
Zaragoza hat da angesichts von inzwischen fast fünfzehnhundert Meldungen nicht das geringste Problem, sich in Spaniens Marathonrangliste weit vorne zu platzieren. Als einziger Jungspund steht man zwischen all den anderen schon lange Etablierten. Und entgegen den Verhältnissen in Deutschland, wo Neulinge bei der zweiten und dritten Austragung mit erheblichen Teilnehmerrückgängen rechnen müssen, ist man am Ebro seit dem ersten Start um jährlich etwa zweihundert Läufer gewachsen.
Noch etwas ist in Spanien anders. Denn die hierzulande absolut übliche Verwässerung durch einen die Zahlen nach oben treibenden Halbmarathon gibt es eigentlich nirgends. Maratón - auf Spanisch schreibt man das Wort ohne "h" - heißt eben dort wirklich nur Marathon. Schon der Fünfer, der in Zaragoza das Programm ergänzt, ist ein absoluter Ausreißer. Mit nicht einmal fünfhundert Läufern im Ziel fällt der zudem auch noch deutlich kleiner aus als die eigentliche Hauptdistanz und stellt wirklich nur einen Rahmenwettbewerb dar.
Zwei Jahre lang war der Lauf auch nach der Expo benannt. Nun heißt er offiziell "Maratón Internacional Zaragoza". Wie alle größeren Rennen in Spanien ist man inzwischen auch Mitglied im weltweiten Veranstalterverband AIMS. Doch wirklich international ist das Ganze entgegen der wohlklingenden Bezeichnung am Ende dann trotzdem nicht. Bei kaum mehr als zwei Dutzend ausländischen Startern muss man wohl doch eher von einer rein spanischen Angelegenheit sprechen.
Leicht machen es die Organisatoren internationalen Gästen allerdings nun wahrlich nicht unbedingt. Informationen bekommt man nämlich selbst auf der Internetseite des Laufes einzig und allein in spanischer Sprache. Dass diese auch erst im Herbst, also relativ spät aktualisiert und präzisiert wurden, zeigt wie viel Luft man in Zaragoza bezüglich Öffentlichkeitsarbeit und Werbung eventuell in den nächsten Jahren noch nach oben hätte.
Schwer wird es wohl dennoch eine wirklich große Zahl von Starter aus dem Ausland zu bekommen. Denn im Gegensatz zu den anderen spanischen Großstädten ist Zaragoza durchaus ein wenig umständlich zu erreichen. Zwar gibt es in der Nähe einen Flughafen. Allerdings wird dieser angesichts nur rund einer Handvoll Verbindungen pro Tag doch eher selten angeflogen.
Eine Alternative bietet die vor nicht allzu langer Zeit fertig gestellte Schnellbahntrasse zwischen Barcelona und Madrid, die auch einen Haltepunkt in Zaragoza hat. In weniger als zwei Stunden kann man so das Zentrum der beiden jeweils gut dreihundert Kilometer entfernten Metropolen erreichen. Die spanische Eisenbahngesellschaft RENFE treibt den Ausbau des Hochgeschwindigkeitsnetzes in den letzten Jahren jedenfalls eifrig voran, was angesichts der beträchtlichen Entfernungen in dem verglichen mit Deutschland noch einmal um ein Drittel größeren Land, ziemlich sinnvoll erscheint.
Demnächst soll auch eine direkte Verbindung mit Frankreich in Betrieb genommen werden. Das hatte bisher die unterschiedliche Spurweite verhindert, denn auf der iberischen Halbinsel wurden Gleise in der Vergangenheit mit einem weiterem Abstand verlegt als im Rest von Europa. Zumindest die Neubaulinien sind nun allerdings in der international üblichen Normalspur errichtet.
Auch einen neuen Bahnhof hat man in Zaragoza errichtet. Eine riesige, kahle Halle von dreißig Metern Höhe, die angesichts des eher geringen Betriebes reichlich überdimensioniert wirkt. Aber nicht nur die - bei einer Distanz von zwei bis drei Kilometern zum eigentlichen Stadtkern - doch ziemliche Randlage verhindert, dass in der "Estación de Zaragoza-Delicias" jener Trubel herrscht, den man im Normalfall von Hauptbahnhöfen kennt.
Vielmehr ist es die Tatsache, dass Bahnfahren zumindest auf den Fernstrecken in Spanien eher an Fliegen erinnert. Zum Beispiel bucht man - zu einem für deutsche Verhältnisse allerdings recht günstigen Preis - nicht eine Strecke sondern stets einen ganz bestimmten Sitzplatz in einem ganz bestimmten Zug. Zu diesem gelangt man dann einzig und allein als Fahrgast und auch nur, nachdem das Gepäck gründlich durchleuchtet wurde.
Die anschließende Zugangskontrolle zum Bahnsteig - bisher war man nämlich nur in die Wartezone vorgedrungen - erfolgt in einem Prozedere, dass dem Einchecken vor dem Betreten eines Flugzeugs ähnelt. Jede der Fahrkarten wird dabei an einem Schalter einzeln gescannt und überprüft. Ja selbst die Ein- und Ausgänge sind baulich streng voneinander getrennt. Ein wenig mehr Zeit als gewohnt muss man da schon mitbringen. Und zum Massenverkehrsmittel wie hierzulande taugt die Eisenbahn so wohl nur schwerlich.
Nicht ganz ohne Grund ist es von der Estación de Zaragoza-Delicias nicht allzu weit zum Expo-Gelände, dem praktisch alle Marathonis am Samstag vor dem Rennen einen Besuch abstatten. Denn dort - genauer gesagt im für die Weltausstellung neu erbauten Fünfsternehotel Hiberius - werden die Startunterlagen ausgegeben. Eine lange Menschenschlange auf einer Freitreppe zeigt den Weg zu dem Kellerraum, in dem man die Nummern in Empfang nehmen kann.
Um das Gedränge in Grenzen zu halten, werden die Laufwilligen nämlich nur in kleinen Schüben hinein gelassen. Der Rest wartet brav und ohne Murren solange draußen vor der Tür, bis diese sich für die nächste Gruppe wieder öffnet. Eigentlich ist das ziemlich erstaunlich, haben die meisten Spanier doch zum Beispiel am Steuer eines Wagens nicht die geringste Geduld.
Wer sich als Fußgänger anschickt, bei grüner Ampel die Straße zu überqueren, sollte sich nicht unbedingt wundern, wenn noch kurz davor die Fahrzeuge rollen, selbst wenn für sie längst eine unübersehbare rote Lampe brennt. Und man hat die andere Seite noch nicht im Entferntesten erreicht, da warten die ersten Autolenker schon nervös darauf, dass ihre Spur endlich von dem Störenfried befreit ist, um wieder Gas geben zu können. Natürlich mit den Vorderädern bereits auf dem Zebrastreifen und trotz noch immer leuchtendem Rot.
In ihrer eher laxen Auffassung bezüglich der Gültigkeit von Verkehrsregeln unterscheiden sich die Iberer jedenfalls kaum von anderen Mittelmeeranrainern. Es funktioniert dennoch irgendwie, weil sich eben jeder darauf eingestellt hat. Auch als Besucher aus dem geordneten Norden Europas ertappt man sich ziemlich schnell dabei, es ebenfalls nicht mehr ganz so genau zu nehmen.
In die Wartschlange stellen sich die Spanier allerdings fast schon in jener legendären britischen Manier an, bis sie an der Reihe sind. Auch sonst geht es bei der Ausgabe der Startunterlagen relativ geordnet zu. Nach einem kurzen Blick auf die ausgehängte Namensliste - denn eine Meldebestätigung im Vorfeld gibt es nicht - geht man zum zuständigen Tisch, an dem drei bis vier Helfer für gerade einmal zweihundert Nummern zuständig sind, und hat eine Minute später gegen Vorlage eines Ausweises das fertige und nicht gerade kleine Päckchen in den Händen.
Mit vierzig Euro bewegt sich die Meldegebühr im unteren Bereich des für einen Stadtmarathon üblichen Rahmens. Doch sind die Gegenleistungen wie meist im Mittelmeerraum durchaus beträchtlich und gehen über die dürftigen Probepäckchen der Sponsoren, die man hierzulande als Zugabe zur Startnummer erhält, weit hinaus. Neben einem Markenfunktionshemd finden sich noch eine Flasche mit spanischem Wein und eine Sonnenbrille in der Kunststofftasche. Die ebenfalls beiliegende Aragón-Werbe-DVD stammt allerdings unübersehbar aus Expo-Restbeständen.
Schnell ist der Raum deshalb anschließend wieder verlassen. Diesmal durch das Hotel, wohin ein Helfer freundlich aber bestimmt deutet, wenn man die Glastür nach draußen ansteuern möchte. Nicht nur am Bahnhof sind Ein- und Ausgänge streng getrennt. Der nächste Schwung Marathonis kann aus dem Innenhof herein gelassen werden.
Doch eigentlich deutet wenig darauf hin, dass es sich dabei um Läufer handelt. Eine Marathonmesse gibt es nicht, selbst kleinere Verkaufsstände fehlen. Ja nicht einmal der eigentlich obligatorische Tisch mit Ausschreibungen anderer Veranstaltungen lässt sich irgendwo finden. Da könnten genauso gut Briefmarkensammler ihren Beutel abholen. Oder auch Schachspieler.
Am Vortag des Rennens ist auch in der Stadt vom Marathon nichts zu spüren. Dem nur aus einer "42" und einem "ZGZ" - dem üblichen Kürzel für Zaragoza - bestehende Logo begegnet man genauso wenig wie dem Foto des Windhundes, den man sich als Maskottchen ausgesucht hat. Nur einige schon am Straßenrand platzierte Absperrgitter können ganz aufmerksame Beobachter entdecken.
Auch der Start- und Zielbereich auf dem Paseo de la Independencia wirkt am samstags noch ziemlich unauffällig. Zum ersten Mal wird an dieser Stelle gestartet. Bei der dritten Austragung hat man in Zaragoza das dritte Streckenkonzept erarbeitet. Wurde das Rennen bei der Premiere noch im etwas außerhalb der Zentrums gelegenen Parque Grande, dem großen Park begonnen und beendet, lief man - bei immerhin unverändertem Startort - im Expojahr auf dem Weltausstellungsgelände über die Ziellinie.
Zudem ist man vom September in den November gewechselt. Eine Zeit also, in der die internationale Konkurrenz ziemlich ausgedünnt ist und in Europa eigentlich nur noch am Mittelmeer größere Marathons gelaufen werden. Zumindest in diesem Jahr hat man damit aber noch keine größere Menge von Winterflüchtlingen angesprochen, die der trüben, nassen, kalten und düsteren Jahreszeit daheim einmal für ein paar Tage mit einem Ausflug in den Süden entgehen wollen.
Dort ist allerdings dann auch Hauptsaison. Die Zahl der Mitbewerber ist hoch. Von allen wichtigen spanischen Veranstaltungen findet zum Beispiel nur das April-Rennen von Madrid nicht im Winterhalbjahr statt. Auch in Italien wird in diesen Monaten besonders eifrig gelaufen. Und die Rennen von Athen, Lissabon und Porto - die wichtigsten in Griechenland und Portugal - sind ebenfalls im November und Dezember angesetzt.
Hat sich die terminliche Verlegung erst einmal nicht wirklich bemerkbar gemacht, war der räumliche Umzug sicher nicht die schlechteste Entscheidung. Die Bezeichnung "Prachtboulevard" wäre für den Paseo de la Independencia vielleicht dann doch etwas zu hoch gegriffen. Aber er ist die Hauptgeschäftsstraße der Stadt und deshalb durchaus repräsentativ.
Zudem ist er am Rande des Altstadtkerns auch ziemlich zentral gelegen und von den meisten Hotels selbst zu Fuß innerhalb weniger Minuten zu erreichen. Dass es in einer Seitenstraße dann direkt noch eine Schule gibt, in der man Toiletten, Umkleiden und Duschen nutzen kann, minimiert den Aufwand für die Organisatoren erheblich. Und für die Teilnehmer ergeben sich dadurch ziemlich kurze Wege.
Dort wo der Paseo sich zur Plaza de Aragón weitet, hat man auch genug Platz für die noch fehlenden Aufbauten. Seinen Namen teilt der Platz nicht nur mit der geographischen Region, in der Zaragoza liegt. Aragón ist auch eine von siebzehn "Autonomen Gemeinschaften" in Spanien. Diese "Comunidades Autónomas" kann man etwa mit den hiesigen Bundesländern vergleichen. Allerdings haben einige von ihnen wie zum Beispiel Katalonien oder das Baskenland einen relativ hohen Grad an Selbstständigkeit.
Aragón - oder Aragonien, wie es auf Deutsch auch oft genannt wird - ist die viertgrößte von ihnen und nimmt fast ein Zehntel der spanischen Fläche ein. Von den höchsten Gipfeln der Pyrenäen an der französischen Grenze erstreckt es sich über das Ebro-Tal mehr als dreihundert Kilometer nach Süden bis zum sogenannten Iberischen Randgebirge, hinter dem dann die zentralspanische Hochebene beginnt.
Doch nur eine gute Million Iberer, gerade einmal drei Prozent der Bevölkerung des Landes, lebt in der dünn besiedelten Region, davon rund die Hälfte in der Hauptstadt. Selbst für das ohnehin schon ziemlich weiträumige Spanien ist Aragón also richtig menschenleer. Und Zaragoza ist die einzige Großstadt weit und breit.
Ein Grund dafür ist sicherlich das eher trockene Klima in der rundherum von hohen Gebirgen umgebenen Ebro-Ebene, in dem wenige Pflanzen wirklich gedeihen. Auch am Sonntagmorgen, als sich die Läufer auf den Weg zur Plaza de Aragón machen, ist kaum ein Schönwetterwölkchen zu sehen. Noch am Vortag hatte es die Sonne ein wenig schwerer sich durch den Dunst zu kämpfen, doch zum Marathon muss sie nur noch am bereits klaren Himmel erscheinen.
Bis knapp unter zwanzig Grad soll das Quecksilber den Wetterkundlern zufolge an diesem Tag steigen. Und schon am frühen Morgen sind die Werte zweistellig. Früh ist es tatsächlich, insbesondere für spanische Verhältnisse. Denn der Start ist für neun Uhr angesetzt. Und im normalen Lebensrhythmus der iberischen Halbinsel kommt man eigentlich nie vor Mitternacht ins Bett.
Doch dafür gibt es ja auch die Institution einer ausgedehnte Siesta nach dem Mittagessen, in der für zwei bis drei Stunden alles zum Erliegen kommt. Die Geschäfte und Ämter schließen größtenteils, die Straßen leeren sich. Vor vier Uhr passiert erst einmal nicht mehr wirklich viel. Was bei der brütenden Hitze der spanischen Sommer absolut sinnvoll erscheint, wird - weil man es so gewöhnt ist - auch im Winterhalbjahr beibehalten.
So kann es dem ausländischen Gast dann auch durchaus öfter passieren, dass selbst beim schönsten Wetter die geplante Besichtigung einer Sehenswürdigkeit oder die Pause im Straßencafé ausfallen muss, weil man dort wieder einmal vor geschlossenen Türen steht. Abends ist dann allerdings bis zu ziemlich später Stunde Leben in den Städten.
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Von Ebro aus hat man fast immer die Basilika Nuestra Señora del Pilar im Blick | Der Puente Manuel Giménez Abad ist die erste von sieben Ebro-Brücken, die man beim Marathon überquert |
Diesmal ist das auch am frühen Morgen so. Denn in Windeseile ist das Zentrum von Zaragoza dabei, sich in einen Marathonparcours zu verwandeln. Die schon deponierten Absperrgitter werden an ihre endgültigen Positionen gerückt, Flatterbänder gespannt und Hütchen auf den Straßen verteilt. Gleich an mehreren Stellen werden Werbebogen aufgeblasen. Und an der Plaza de Aragón steht jetzt ein Start- und Zielgerüst.
Der Marathon von Zaragoza ist nun wahrlich alles andere als schlecht organisiert. Da allerdings sowohl das Sportamt der Stadt wie auch das Sportministerium von Aragón mit eingebunden sind, geht natürlich einiges deutlich einfacher. Erst einmal von den Behörden in den Weg gerollte Steine aus dem Weg räumen muss man am Ebro jedenfalls nicht.
Doch auch an Helfern herrscht kein Mangel. Hunderte von Freiwilligen in rot-grauen Westen mit der Aufschrift "Voluntario" werden später die Strecke absichern oder an den Verpflegungsständen Getränke verteilen. Die Größenordnung ist natürlich nur sehr schwer zu schätzen, aber sehr viel niedriger als die Zahl der Aktiven dürfte der Wert kaum sein.
Fast schon selbstverständlich ist da, dass es eine Abgabestelle für die Sporttaschen gibt. Der überdachte kleine Sportplatz in einer Ecke des Schulhofes könnte für diesen Zweck kaum besser erdacht werden. Ja sogar einen mobilen Sanitätsdienst, der während der letzten Kilometer auf Rollschuhen durchs Läuferfeld patrouilliert, hat man sich von Seiten der Veranstalter einfallen lassen.
Obwohl die Zahl der Marathonis immer noch überschaubar ist, hat man sie dennoch in verschiedene Blöcke aufgeteilt. Die verschieden farbige Schrift auf den Startnummern lässt keinen Zweifel daran aufkommen, wo man hingehört. Zumal der Zugang auch tatsächlich kontrolliert wird. Das alles wirkt schon ziemlich professionell. Und dass man in Zaragoza schon ein Jahrzehnt mit einem sogar noch etwas größeren Halbmarathon Erfahrungen gesammelt hat, ist deutlich zu spüren.
Schnell ist das Feld nach dem Start entzerrt. Der breite Paseo de la Independencia lässt Gedränge überhaupt nicht aufkommen. Wirklich lang ist diese erste Gerade aber nicht. Denn die Straße, der auf der einen Seite die Plaza de Aragón hat, endet schon nach wenigen hundert Metern in der noch wesentlich größeren Plaza d'España. Am Märtyrerdenkmal, das die Mitte des Platzes einnimmt, geht es erst einmal links vorbei. Doch ein zweiter, auf der rechten Seite aufgeblasener Bogen zeigt, dass man zu einem späteren Zeitpunkt auch noch die andere Ecke der Plaza belaufen wird.
Die Straße El Coso ist ein echter Kontrast zum breiten Boulevard. Nicht wegen der Bebauung. Die ist mit einer bunten Mischung von Gebäuden aus neunzehntem und zwanzigsten Jahrhundert durchaus ähnlich. Doch El Coso ist eher schmal und wirkt durch die relativ hohen Häuser noch etwas enger. Dass sie zu den ältesten Straßen der Stadt gehört, erklärt jedoch einiges. Jedenfalls bildet sie an dieser Stelle eine ziemlich eindeutige Grenze zwischen dem Gassengewirr der Alt- und der deutlich großzügiger angelegten Neustadt.
El Coso endet an einer Kreuzung mit einen mächtigen Renaissance-Palast. In dem wegen seiner überlebensgroßen Türstatuen im Volksmund Casa de los Gigantes genannten Palacio ist inzwischen das oberste Gericht von Aragón untergebracht. Die Marathonis wechseln jedoch nur die Straße, nicht aber die grobe Richtung. Denn auch auf der anderen Seite geht es ziemlich genau nach Westen weiter, wie die voll im Rücken stehende Sonne eindeutig belegt.
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Die Fußgängerbrücke "Pasarela Azud" wurde im Zuge der Weltausstellung 2008 erbaut |
Das Schild mit der "1" taucht am Straßenrand auf. Massiv und mannshoch ist es wie all die noch folgenden eigentlich nicht zu übersehen. Dieses ist ziemlich exakt positioniert. Allerdings kann man bei einer Handvoll späterer Zwischenmarken angesichts der für den angeblichen Kilometer benötigten Laufzeit dann doch leichte Zweifel hegen. Ein leider bei vielen Rennen verbreiteter Lapsus, der vor allem Läufer mit geringerem Tempogefühl völlig durcheinander bringen kann.
Doch nicht nur die "1" steht da am Straßenrand. Nur ein paar Schritte entfernt ist gegenüber auch die "2" aufgebaut. Und der wenig später beginnende Gegenverkehr zeigt, dass es sich dabei keineswegs um einen Fehler handelt. Die ersten drei Kilometer sind erst einmal als simples Wendestück abgesteckt.
Schon zu diesem frühen Zeitpunkt haben sich zwei Läufer vom Rest des Feldes sichtbar abgesetzt. Und wenig verwunderlich handelt es sich um Afrikaner. Es sind zwar diesmal keine Kenianer, die im Normalfall weltweit nahezu alle Stadtmarathons dominieren. Doch Zehirum Abaye und Belachew Kifle stammen aus dem mit Spitzenathleten kaum weniger dicht besetzten Äthiopien.
Auch bei den Frauen ist die mitten in einer größeren Männergruppe laufende Luisa Larraga Cacho - immerhin eine Spanierin - schon klar in Front. Doch ansonsten haben die Iberer, die mit Martín Fiz und Abel Antón in den Neunzigern gleich drei Weltmeistertitel in Folge gewannen, inzwischen genau wie alle anderen Europäer den Anschluß an die absolute Spitze längst verloren.
Ein anderer großer Name aus dieser Zeit wäre zum Beispiel Fabián Roncero, der einmal in Rotterdam mit einem Weltrekord in Sichtweite auf dem letzten Kilometer mit Krämpfen stehen bleiben musste und als bisher einziger Europäer Halbmarathon unter einer Stunde lief. Oder Diego García und Alberto Juzdado, die bei der EM 1994 zusammen mit Fiz sogar für einen spanischen Dreifacherfolg gesorgt hatten.
Zuletzt hielten noch José Manuel "Chema" Martínez - bei der WM in Berlin immerhin Achter - und der vierfache Sieger des Hamburg Marathons Julio Rey die spanische Farben einigermaßen hoch. Aber echte Siegchancen haben auch sie nicht mehr. Und von einer breiten Spitze wie in der Vergangenheit ist man weit entfernt. Dass Rey bereits einmal wegen Dopings aus dem Verkehr gezogen war und Diego Garcia nicht älter als neununddreißig Jahre wurde, nährt angesichts dieses plötzlichen Leistungsverlust aber auch den einen oder anderen Zweifel.
Immerhin ist Langstreckenlaufen den Spaniern manchmal noch eine Fernsehübertragung wert. Zumindest in einem Sportkanal. Aber nicht den Marathon von Zaragoza gibt es dort zu sehen sondern - aus deutscher Sicht noch exotischer - einen international besetzten Crosslauf im Baskenland. Und zwar sowohl das Frauen- wie auch das Männerrennen in voller Länge. Nur wenige werden sich noch an Zeiten erinnern, in denen so etwas hierzulande einmal hätte möglich sein können.
Allerdings stammen auch bei diesen Rennen die Sieger und Platzierten aus Kenia, Äthiopien und Eritrea. Und den besten spanischen Athleten wird es von den Kommentatoren schon als Erfolg angerechnet, wenn es ihnen gelingt, den einen oder anderen der eigentlich nicht gerade zahlreichen Ostafrikaner hinter sich zu lassen.
Mit einer Runde um die kleine Plaza del Portillo beginnt der Rückweg. Neben der Kirche Nuestra Señora del Portillo fällt an ihr vor allem das Denkmal in der Mitte auf, mit dem an die zweifache Belagerung während der Napoleonischen Kriege erinnert wird. Die beiden "Sitios" gehören zu den wichtigsten Ereignissen in der langen Geschichte der Stadt. Vielleicht sind sie im Selbstverständnis Zaragozas sogar das wichtigste Geschehnis überhaupt.
Im Jahr 1808 hatte Napoleon die spanische Königsfamilie entmachtet, in Frankreich "unter Schutz gestellt" und seinen Bruder Joseph auf den Madrider Thron gesetzt. Daraufhin brachen zuerst in der Hauptstadt, dann im ganzen Land Aufstände aus. Die Franzosen schickten zwar immer weitere Truppen, doch es gelang ihnen einfach nicht das komplette Territorium unter ihre Herrschaft zu bringen.
Durch ständige Überfälle kleinerer Gruppen unterschied sich dieser Kleinkrieg deutlich von den zu jener Zeit üblichen Feldzügen, die meist in wenigen großen offenen Schlachten ausgekämpft wurden. Im Gegensatz zum normalen "Guerra" prägten die Spanier den neuen Begriff "Guerilla" für ihre Taktiken. Ein Wort, das es längst auch in viele andere Sprachen geschafft hat, selbst wenn es dabei wie im Deutschen zu so seltsamen Schöpfungen wie dem eigentlich ja doppelten "Guerillakrieg" kommt.
Während im Sommer 1808 im Westen der iberischen Halbinsel die Briten landeten, um gemeinsam mit den Spaniern ihrem Erzfeind Frankreich zuzusetzen, versuchten die Franzosen das strategisch wichtige Zaragoza in ihre Hand zu bringen. Die erste der beiden "Sitios de Zaragoza" endete noch mit einem Rückzug der Belagerer, selbst wenn sie schon einige Breschen in die Verteidigungsanlagen geschossen und einige Ecken der Stadt bereits erobert hatten.
Doch einige Monate später tauchten die ausländischen Truppen mit zusätzlicher Verstärkung erneut vor der Stadt auf. Die ziemlich unerfahrenen Spanier kämpften hartnäckig, hatten aber letztendlich bei einem überlegenen, in vielen Eroberungszügen geschulten Gegenüber eigentlich keine Chance. Wieder wurden die Mauern sturmreif geschossen. Und nach mehreren Wochen schwerer Kanonade begann die endgültige Eroberung Zaragozas.
Die Spanier versuchten zu retten, was noch zu retten war, und wehrten sich gegen die Angriffe mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln weiter. Um jeden Meter Boden, um jeden Straßenzug und jedes Haus wurde tapfer weiter gerungen. Erst nach einigen weiteren Wochen erbitterter Gegenwehr musste man schließlich mit den Kräften völlig am Ende kapitulieren. Zaragoza war mit fliegenden Fahnen untergegangen.
Zurück blieb ein riesiges Trümmerfeld. Fast die ganze Stadt lag in Schutt und Asche. Und bei keinem anderen Gefecht des in Spanien "Guerra de la Independencia Española" genannten mehrjährigen Krieges waren die Verluste auch nur annähernd so dramatisch. Über fünfzigtausend Opfer gab es auf spanischer Seite zu beklagen, immerhin noch rund zehntausend auf der französischen.
Aber diese vernichtende Niederlage rüttelte eben auch auf, stärkte auf lange Sicht sogar nur den Widerstand. Sie half neue Verbündete zu finden und die Beziehungen zu alten zu festigen. Es sollte zwar noch einige Jahre dauern, doch schließlich konnten die Eindringlinge aus dem Norden tatsächlich wieder vertrieben werden.
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Einen bunten Baustilmix findet man in und um La Seo, der Kathedrale von Zaragoza | Zwischen Jugendstilgebäuden geht es in der Calle Alfonso auf die Basilika zu |
In Zaragoza ist die Erinnerung an die Sitios jedenfalls noch ziemlich lebendig. Nicht nur auf der Plaza del Portillo - auf Deutsch etwa "Pfortenplatz" - steht ein Denkmal. Ein noch größeres hat man zum Beispiel in einem Park unweit des Start- und Zielbereiches errichtet. Und in der Stadt gibt es etliche Stellen, die sich nicht mit einem Ereignis aus der Belagerungszeit in Verbindung bringen lassen.
Sogar eine "Ruta de los Sitios" ist markiert. Ein Rundweg durch Zaragoza, der nicht nur die Stätten der einzelnen Kämpfe miteinander verbindet sondern dabei auch praktisch an allen Sehenswürdigkeiten vorbei führt. Die in dem Wort "Sitio" steckende Doppeldeutigkeit - denn neben "Belagerung" kann man es eben auch noch als "Stelle" oder "Ort" ins Deutsche übersetzen - nutzt man dabei nicht völlig ohne Absicht. Auch über die Plaza del Portillo, wo während der ersten Belagerung ein Durchbruch nur knapp verhindert wurde, führt dieser Weg selbstverständlich.
Die nebenan gelegene Plaza de Toros ist trotz des ähnlich klingenden Namens allerdings kein Platz sondern die Stierkampfarena der Stadt. Auch im Norden Spaniens ist diese vor allem im Ausland heftig umstrittene Tradition verbreitet. Gleich mehrfach werden in der Arena von Zaragoza "Corridas" veranstaltet. Die größte und wichtigste von ihnen findet im Oktober bei der "Feria del Pilar" statt.
Egal was man vom Stierkampf auch immer halten mag, rein architektonisch ist die "Plaza de toros de Zaragoza" mit ihren Bogenreihen, die nicht nur zufällig an das antike Vorbild römischer Amphitheater erinnert, definitiv sehenswert. Zwar führt die Marathonstrecke nicht direkt an ihr vorbei, doch für einen Blick hinüber zur Arena reicht die Zeit während der kurzen Wendeschleife um den Pfortenplatz auf jeden Fall. Wenn man auch die Augen schon ziemlich zusammen kneifen muss, um gegen die noch immer tief stehende Sonne überhaupt etwas zu erkennen.
Den Rückweg kennt man schon. Über El Coso zur Plaza d'España, dann rechts ab und den Paseo hinauf zu Plaza de Aragón. Bis Kilometer drei ziemlich genau gegenüber dem Zieleinlauf gibt es jedenfalls erst einmal nicht viel Neues zu entdecken. Auch das nächste Teilstück ist ähnlich geschnitten. Denn eine zweite, kaum längere Wendepunktstrecke in entgegengesetzter Richtung schließt sich an.
Aus einer angenehm schattigen Allee mit einem breiten Grünstreifen wird eine Ausfallstraße durch eine jener Siedlung mit einförmigen Wohnblocks, die sich eigentlich in allen spanischen Großstädten wie ein Ring um das historische Zentrum legen. Ähnliches gibt es anderswo natürlich auch, aber bei den in den letzten Jahrzehnten ziemlich schnell gewachsenen iberischen Metropolen sind sie eben besonders auffällig.
Eine Unterführung sorgt für die erste kleine Steigung, bevor noch vor der Fünf-Kilometer-Marke erneut praktisch einfach auf dem Absatz umgekehrt wird. Noch nicht einmal ein Sechstel der Distanz haben die Marathonis in den Beinen, da bekommen sie schon zum dritten Mal den Paseo de la Independencia und die Plaza d'España unter die Füße.
Auf den beigelegten Startunterlagen wird dieser Platz nicht ganz zu unrecht als einer der besten Beobachtungspunkte für Zuschauer bezeichnet. Bei insgesamt fünf Passagen ist er das wohl definitiv. Diese Anzahl der Überquerungen aus dem ebenfalls beiliegenden Streckenplan heraus zu bekommen ist allerdings kaum möglich. Der wirkt einfach nur wie ein Geknäuel sich immer wieder treffender und auseinander laufender Linien.
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Die Plaza del Pilar ist nicht nur das touristische Zentrum der Stadt | Das Rathaus und die alte Börse "La Lonja" liegen ebenfalls an der Plaza |
Manche Abschnitte werden doppelt, manche dreifach oder vierfach gelaufen. Und nicht nur den "Spanienplatz" sondern auch noch eine andere Stelle wird sogar fünffach passiert. Ein einfacher, auf den ersten Blick "logischer" Kurs ist die Strecke in der aragonischen Hauptstadt auf keinen Fall. Doch auch einige deutsche Marathons ziehen ja ähnlich unübersichtliche Schleifen. Nicht umsonst ist jedenfalls auf der Internetseite des Laufes von Zaragoza die abgebildete Karte zusätzlich noch einmal in einzelne Abschnitte von zehn Kilometern zerlegt.
Diesmal schlägt man den Bogen um das Märtyrermonument nach rechts. Und kurz darauf verschwindet der Kurs in die Altstadt, deren rechtwinkligem Straßenmuster man zumindest auf dem Stadtplan den römischen Ursprung noch ein wenig ansieht. An einigen Stellen in Zaragoza - was sich übrigens vom lateinischen Stadtnamen "Caesaraugusta" ableitet - kann man die Spuren des Imperiums noch besichtigen. Nur einen Steinwurf entfernt in einer Querstraße hat man zum Beispiel ein ungefähr sechstausend Plätze umfassendes antikes Theater ausgegraben.
Wenig später ist auch schon der Ebro erreicht. Das eigentliche Zentrum von Zaragoza ist klein, kaum einen Quadratkilometer groß. Praktisch alle Sehenswürdigkeiten liegen im Umkreis von wenigen hundert Metern. Die Stadt lässt sich jedenfalls ziemlich problemlos zu Fuß erkunden. Vom öffentlichen Nahverkehr, der aufgrund des Fehlens eines U- oder S-Bahnnetzes fast ausschließlich mit Bussen abgewickelt wird, ist man als Tourist nicht unbedingt abhängig.
Große Teile des restlichen Rennes werden sich von nun an in Sichtweite des Flusses abspielen. Nach dem weiter im Süden genau in die entgegengesetzte Richtung fließenden Tejo ist der Ebro der zweitlängste Strom der iberischen Halbinsel. Er entspringt zwar keine hundert Kilometer von der Biskaya und damit vom Atlantik entfernt. Doch erst nach fast tausend Kilometern mündet er weiter östlich zwischen Barcelona und Valencia ins Mittelmeer.
Parallel zum Ebro verläuft die Strecke. In Fließrichtung, also nach Osten aus der Stadt hinaus. Noch immer ist der Asphalt feucht. Doch nicht etwa, weil es über Nacht Regen, Tau, Nebel oder sonstigen Niederschlag gegeben hätte. Es sind die nahezu allgegenwärtigen Straßenkehrmaschinen, die für die Nässe verantwortlich sind. Denn vor allem in den touristischen Zonen fahren sie praktisch den ganzen Tag über. Und auch sonst wird die Stadt regelmäßig gekehrt und abgespritzt.
Doch was auf der einen Seite dafür sorgt, dass Zaragoza ziemlich sauber wirkt, erzeugt oder bestätigt auf der anderen Seite auch eine gewisse Wegwerfmentalität. Denn wenn ja sowieso ständig hinterher gefegt wird, stellt es für viele Spanier dann eben auch kein Problem dar, einmal etwas einfach auf den Boden fallen zu lassen.
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Direkt an der Basilika Nuestra Señora del Pilar vorbei führt der Kurs | Und fast immer hat man die Basilika Nuestra Señora del Pilar von Ebro aus im Blick |
Knappe zwei Kilometer geht es die Uferstraße entlang. Dann bringt eine Auffahrtsrampe das Läuferfeld zum Puente Manuel Giménez Abad. Über die nach einem von der ETA ermordeten aragonischen Politiker benannten Brücke - die im Spanischen wie in allen romanischen Sprachen mit einem männlichen Artikel versehen wird - gelangen die Marathonis zum ersten Mal in den nördlich des Flusses liegenden Teil der Stadt.
Ein Dutzend Brücken überspannen den Ebro in Zaragoza. Und sieben davon, also mehr als die Hälfte von ihnen, werden im Laufe des Marathons unter die Füße genommen. An drei weiteren kommt man - zum Teil sogar mehrfach - direkt vorbei. Einzig eine Eisenbahn- und eine Autobahnbrücke am äußersten Stadtrand bekommen an diesem Sonntag keinen läuferischen Besuch.
Nur eine Fahrspur ist auf der durch den einzelnen Stahlbogen in der Mitte markanten Brücke für die Marathonis reserviert. Auch in einigen anderen Passagen der Strecke ist nicht die ganze Breite der Straße verfügbar. Doch der ziemlich spärliche Verkehr an diesem Morgen stört eigentlich nie wirklich. Das Piepen der Chipmatten bei Kilometer zehn übertönen die Geräusche der wenigen Autos, die ans andere Ebroufer rollen, jedenfalls nicht.
Nur gut zweiunddreißig Minuten haben die beiden Äthiopier Zehirum Abaye und Belachew Kifle bis zu diesem Punkt gebraucht. Bis die zweite, rein spanische Gruppe mit Jose Carlos Ciprian Bergua, José María Cámara Sanjuan und Victor Gonzalo Guirao vorbei kommt, vergehen dann fast schon zwei Minuten.
Genauso unspektakulär und deutlich ist der Rennverlauf auch bei den Damen. Luisa Larraga Cacho, die noch immer mehr als ein halbes Dutzend Männer im Schlepp hat, bleibt als einzige unter einem Vier-Minuten-Schnitt. Die wettkampf- und reisefreudige Niederländerin Kristijna Loonen hängt etliche Sekunden über der Vierzig-Minuten-Marke bereits knappe zwei Minuten zurück, die Dritte Carmen Felix Vidal fast noch zwei weitere.
Nicht zu verfehlen ist die Verpflegungsstelle, die sich, nachdem man die Brücke in weitem Bogen verlassen hat, schon fast wieder direkt am Fluss befindet. Und lange bevor man sie sieht, hört man sie bereits. Laute Musik dröhnt nicht nur an dieser Stelle aus den Boxen. Auch an allen anderen der insgesamt acht im Rhythmus von ungefähr fünf Kilometern aufgebauten Versorgungspunkte wird man beschallt.
Doch ansonsten hält man sich nicht in Zaragoza mit der Organisation von Musikkappellen und Streckenfesten - oder wie man in Werbeneudeutsch sagt "Action-Points" - auf. Es gäbe ja ohnehin relativ wenige Zuschauer, die man mit ihnen ansprechen könnte. Die Stadt akzeptiert den Marathon zwar, denn lautstarke Beschwerden über die gesperrten Straßen kann man ebenfalls keine erleben. Doch einen Höhepunkt des Veranstaltungskalenders, den man nicht verpassen darf, stellt er eben auch nicht dar.
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Auf dem kurvigen Puente de Nuestra Señora del Pilar wird der Ebro das dritte Mal überquert | Zum vierten Mal überquert man den Ebro nach der Halbmarathonmarke parallel zur Autobahn |
Es gibt durchaus einige Leute, die bewusst an den Kurs gekommen sind. Meist, weil Freunde oder Angehörige dort unterwegs sind. Und auch wer zufällig in das Rennen hinein gerät, applaudiert in der Regel freundlich. Die vereinzelte Anfeuerung von einem Balkon herunter oder aus einem Fenster bleibt aber eben doch die absolute Ausnahme. Eine zweiundvierzig Kilometer lange Party, wie sie hierzulande viele längst von einem Marathon erwarten, ist das Ganze keineswegs.
Doch sieht man Laufen im Süden Europas ohnehin noch aus einem recht sportlichen Blickwinkel. Eine - auch bei uns früher ziemlich normale - Zielschlusszeit von 5:15 und die Tatsache, dass alle die nicht nach zweieinhalb Stunden bei Halbmarathon sind, sofort aus dem Rennen genommen werden, würde wohl in Deutschland inzwischen zu einem Aufschrei der Entrüstung führen.
In Zaragoza ist das gar kein Problem. Die erste Hälfte der Ergebnisliste endet bereits bei 3:37. Drei Viertel des Feldes ist schon vor der Grenze von vier Stunden im Ziel. Und gerade einmal siebzig Läufer sind länger als viereinhalb Stunden unterwegs. Zaragoza ist da absolut keine Ausnahme. Die Resultate der übrigen spanischer Marathonrennen lesen sich ziemlich ähnlich.
Nur kurz ist der erste Aufenthalt nördlich des Ebro. Eine Fußgängerbrücke - eine Pasarela - über einem Stauwehr bringt die Läufer gleich nach der Verpflegung zurück ans andere Ufer. Das Bauwerk mit dem gewellten Dach ist unverkennbar ziemlich neueren Datums. Auch der kleine Damm wurde erst im Rahmen der Infrastrukturprojekte zur Weltausstellung gebaut.
Durch ihn ist der Ebro nun im Stadtgebiet schiffbar, wie auch die Anlegestelle für Ausflugsboote im Zentrum belegt. Eine durchgängige Verbindung weiter flussabwärts kann allerdings nicht hergestellt werden. Die fehlende Schleuse schränkt den wirtschaftlichen Wert der neuen Staustufe ziemlich ein.
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Nach Überquerung des Ebro nach der Halbmarathonmarke läuft man ein paar Kilometer auf einem Damm entlang des Ebro |
Pasarela Azud wird die Überführung einfach genannt, denn "Azud" ist das spanische Wort für "Flussdamm, Stauwehr". Der Begriff ist wie etliche andere in dieser Sprache arabischen Ursprungs. Schließlich standen große Teile der iberischen Halbinsel viele Jahrhunderte unter maurischer Herrschaft. Aragon gehörte zu den ersten schon um die erste Jahrtausendwende von den Christen zurück eroberten Gebieten.
Dennoch hat die arabische Herrschaft auch in Zaragoza ihre Spuren hinterlassen. Im in der Nähe des ersten Wendepunkts gelegenen, den Läufern auf ihrer Runde durch die Stadt allerdings aber vorenthaltenen Aljafería-Palast sind zum Beispiel noch einige eindeutig maurische Bauteile erhalten, die von den neuen aragonischen Regenten ziemlich pragmatisch einfach integriert wurden.
Aus dem kleinen Königreich Aragón, das in seinen Ausmaßen ungefähr der heutigen autonomen Region entspricht, entwickelte sich in den nächsten Jahrhunderten durch Heiraten, Erbschaften und weiteren Rückeroberungen von den "Moros" schließlich ein Imperium, dass den ganzen östlichen Teil Spaniens inklusive der Balearen, Süditalien, Sizilien und Sardinien umfasste.
Doch mit Kastilien gab es auch noch ein zweites Reich auf der iberischen Halbinsel. Erst durch die Heirat Ferdinands von Aragón mit Isabella von Kastilien entstand ein gesamtspanisches Königreich. In der Herrschaftszeit des "Reyes Católicos" - auf Deutsch "katholische Könige" - genannten Paares lagen die Entdeckungsfahrten von Christoph Columbus. Nur eine Generation später war Spanien dank seiner Überseekolonien bereits zur Weltmacht aufgestiegen.
Aber auch das letzte noch im andalusischen Süden des Landes verbliebene Sultanat, das von Granada, wurde 1492 - also im gleichen Jahr, in dem die spanische Fahne erstmals in der Karibik flatterte - von den "Reyes Católicos" erobert und die komplette maurische Bevölkerung anschließend aus Spanien vertrieben. Die Jahrhunderte andauernde Reconquista war damit beendet.
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Gleich zweimal wird die "Brücke des dritten Jahrtausends" überlaufen |
Dass man inzwischen Hunderttausende von Nordafrikanern ins Land geholt hat und zum Bespiel als Erntehelfer beschäftigt, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Auch in Zaragoza hört man an vielen Ecken längst wieder kehlige arabische Sprachfetzen und sieht regelmäßig verschleierte Frauen. Und in einigen Straßen dominieren inzwischen sogar die arabischen Schriftzüge über den Geschäften.
Schon von den Brücken aus konnten die Marathonis erste Blicke auf das Wahrzeichen von Zaragoza, die Basílica de Nuestra Señora del Pilar werfen. Nun laufen sie auf der bereits bekannten südlichen Uferstraße - auch wieder eines der vielen Begegnungsstücke des Kurses - direkt auf jenes das Stadtbild dominierende Bauwerk zu. Mit einer Länge von hundertdreißig und einer Breite von fast siebzig Metern zählt sie zu den größten Kirchen des Landes.
Sie ist an der Stelle errichtet, von der einer Legende zufolge Maria von einer Säule - auf Spanisch "Pilar" - herunter zum Apostel Jakobus gesprochen haben soll. Nacheinander wurden dort mehrere, immer größere Kirchen erbaut. Denn Zaragoza wurde auch dank der Statuette, mit der man dieses Ereignis darstellte und die man heute noch in der Basilika sehen kann, zu einem immer wichtigeren Wallfahrtsort.
Der jetzige Barockbau stammt ursprünglich aus dem siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert. Drei der vier knapp einhundert Meter hohen Ecktürme wurden allerdings erst im zwanzigsten Jahrhundert ergänzt. Zusammen mit den insgesamt elf verschieden großen, von bunten Ziegeln bedeckten Kuppeln geben sie der mehr oder weniger direkt am Ebro gelegenen Kirche ein wirklich unverwechselbares Aussehen.
Doch kurz bevor man sie endgültig erreicht, schwenkt der Kurs nach links in die Altstadt hinein. Erst einmal geht es nämlich an Catedral del Salvador vorbei, die sich mit der nur wenige Meter entfernten Basilika den Titel der Bischofskirche von Zaragoza teilt. Die zur Unterscheidung von "El Pilar" meist kurz "La Seo" - auf Deutsch "der Sitz", gemeint ist der des Bischofs - genannte Kathedrale ist allerdings architektonisch ein ziemliches Gegenstück zu ihrer Nachbarin.
Während die Basílica de Nuestra Señora del Pilar symmetrisch und in ziemlich einheitlichem Stil daher kommt, ist die Catedral del Salvador in einem bunten Mix aus allen möglichen Epochen - und zudem gegenüber allen umstehenden Gebäuden auch noch leicht aus dem Winkel - auf den Fundamenten der alten Moschee erbaut. Da gibt es romanische Rund- und direkt darüber gotische Spitzbogen. Die Renaissance hat ebenfalls einige Spuren an der Kirche hinterlassen. Das Eingangsportal und der Turm stammen dagegen eindeutig aus dem noch späteren Barock.
Immer wieder sind aber auch größere Bauteile im sogenannten Mudéjar-Stil zu entdecken. Als Mudéjares bezeichnete man eigentlich während der Zeit der Reconquista im christlichen Herrschaftsgebiet zurück gebliebene Moslems. Da unter ihnen etliche gute Handwerker waren, machten sich die neuen Regenten deren Fähigkeiten gerne zunutze. Heraus kam dabei ein Baustil, in dem christliche und islamische Traditionen fleißig miteinander vermischt wurden.
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Gleich zweimal wird die "Brücke des dritten Jahrtausends" überlaufen |
Auch an und in der Kathedrale von Zaragoza finden sich deshalb an vielen Stellen Elemente wie zum Beispiel großflächige geometrische Reliefs oder Kacheln, die man genauso gut in einer Moschee erwarten könnte. Hauptsächlich deshalb ist "La Seo" mit einigen anderen Bauwerken, zu denen auch der Aljafería-Palast gehört, unter dem Oberbegriff "Mudéjar-Architektur in Aragón" auf der Welterbeliste der UNESCO gelandet.
Einen weiteren starken Kontrast bildet der vor der Kathedrale errichtete, moderne Eingangspavillon des Museo del Foro de Caesaraugusta. Er führt zu den tief unter der Plaza gelegenen Resten des einstigen römischen Zentrums der Stadt. Im Vergleich zu anderen antiken Stätten fallen sie aber nicht wirklich eindrucksvoll aus.
Der Marathonkurs verschwindet in die Calle de Don Jaime I, die erst einmal hauptsächlich von Souvenirläden gesäumt ist, dann aber doch eine etwas größere Bandbreite an Geschäften bietet. Wenige hundert Meter später taucht man praktisch direkt an der Plaza d'España wieder aus den Gassen der Altstadt auf. Bei der vierten Passage wird nun auch die letzte Seite des Straßendreiecks belaufen, nur um gleich hinter dem Platz wieder nach rechts abzudrehen.
Schnurgerade führt die Calle de Alfonso I auf die mittlere und höchste Kuppel der Basílica del Pilar zu, die am Ende der noch immer schattigen Straße im hellsten Sonnenlicht liegt. Für Fahrzeuge komplett gesperrt ist sie sowohl für Einheimische als auch für Besucher so etwas wie die Hauptpromeniermeile der Stadt.
Beim Vorbeischlendern lassen es viele dann aber auch bewenden, denn etliche der in den meist um die vorletzte Jahrhundertwende entstanden Gebäuden untergebrachten Geschäfte gehören doch zur etwas teureren Kategorie. Und die vermeintliche "Meile" zwischen El Coso und der Plaza del Pilar ist auch kaum fünfhundert Meter lang, wie sich die Marathonis schnell überzeugen können.
Ziemlich genau ein Drittel der Strecke haben diese zurück gelegt, als sie dem touristischen Zentrum Zaragozas einen kurzen Besuch abstatten dürfen. Eine große Freifläche erstreckt sich von den Überresten der römischen Stadtmauer bis zur Kathedrale La Seo. Und exakt in der Mitte des Platzes erhebt sich die Basilika. Es lässt sich fast nicht vermeiden, beim Schlendern durch die Stadt wird man unwillkürlich immer wieder auf dieser Plaza landen.
Ein wenig kleiner als gewöhnlich ist sie aber Ende November. Denn vor der Basilika wird für die Weihnachtszeit bereits mit viel Sand und echten Palmen sowie einer Menge Pappmaché Bethlehem nachgebaut. Von Anfang Dezember bis zum Dreikönigstag kann dann diese Riesen-Krippe täglich besichtigt werden. Allerdings nicht durchgängig, denn natürlich gibt es auch hier eine Pause für die Siesta.
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Der Torre del Agua ist auch ein Überbleibsel der Weltausstellung | Auch der Palacio de Congresos wurde zur Weltausstellung neu gebaut | Aus Buchstaben besteht die Skulptur Alma del Ebro |
Mit der dritten Rechtskurve nacheinander ist die nur einen guten Kilometer lange Runde schon fast wieder komplett. Auf das neben der Basilika errichtete Rathaus läuft man zu. Das sieht zwar ziemlich alt aus, hat aber noch nicht einmal fünfzig Jahre auf dem Buckel. Man hat sich beim Neubau im Stil einfach den Nachbarn angepasst.
Denn die frühere Börse La Lonja auf der anderen Seite des Ayuntamiento stammt tatsächlich wieder aus dem sechzehnten Jahrhundert. Dass mit "Ayuntamiento" im Spanischen übrigens nicht nur das Gebäude sondern auch der komplette Apparat der Stadtverwaltung sowie die Ratsversammlung bezeichnet wird, führt bei Übersetzungen in Prospekten oder auf Internetseiten gelegentlich zu drolligen Stilblüten.
Über dem Haupteingang des Rathauses flattert außer der Europafahne und der spanischen Nationalflagge auch der Löwe auf rotem Grund, der das Wappen von Zaragoza ist. Und außerdem wehen dort fünf gelbe und vier rote Streifen, die eigentlich eher in Katalonien zu erwartet wären. Erst beim genauen Hinsehen entdeckt man darin noch ein Wappen, das die katalanische Flagge nicht hat, die aragonische aber sehr wohl.
Natürlich ist die Ähnlichkeit keineswegs zufällig. Denn diese Farben waren, obwohl sie ursprünglich tatsächlich aus Katalonien stammen, auch das Symbol für das gesamte Reich der "Krone von Aragón". Diesen Begriff bzw. das spanische Corona de Aragón benutzt man in der Regel, um es vom Königreich im engeren Sinn zu unterscheiden. Denn der arogonische Herrscher war eben in Personalunion auch noch Graf von Barcelona, König von Valencia und König von Mallorca.
Entstanden ist die Fahne der Legende nach schon im frühen Mittelalter. Als der fränkische Kaiser Karl der Kahle nach einer Schlacht seinem Gefolgsmann Wilfried I. von Barcelona traf.
Dieser war nach einem großen Kampf schwer verletzt worden. Um ihm für seine Taten zu danken, soll der Herrscher dessen blutige Finger über das bis dahin noch blanke Schild gezogen und sich so ein Familienwappen beschert haben. Als seine Nachkommen ihr Herrschaftsgebiet mit Aragón vereinigten, nahmen sie es auch in das neu entstandene Reich mit.
Auch die Regionen Valencia und Balearen haben übrigens eine nur leicht abgewandelte Flagge auf Basis dieser Streifenkombination. Allerdings spricht man sowohl auf den liebsten Urlaubsinseln der Deutschen als auch im Raum der drittgrößten Stadt Spaniens tatsächlich - selbst wenn es lokale Politiker manchmal gerne als eigenständige Sprachen verkaufen möchten - katalanische Dialekte.
Im größten Teil Aragóns unterhält man sich im Gegensatz dazu jedoch auf Spanisch. Oder, wie es die anderen Sprachgruppen in Land lieber bezeichnen, auf "Kastilisch". Damit soll deutlich gemacht werden, dass zwischen dem politischen "español" und dem linguistischen "castellano" ein grundlegender Unterschied besteht.
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Auch am neuen Aquarium führt die Marathonstrecke vorbei | Der spanische Expo-Pavillon erinnert an einen Bambuswald |
Nur in einem schmalen Streifen an der Grenze zu Katalonien ist das "Català" noch verbereit. Und ein gutes Prozent der Bevölkerung, also etwas über zehntausend Menschen, in einigen Pyrenäentälern im Norden spricht auch noch das alte Aragonesisch, das von vielen Sprachforschern ebenfalls als eigenständige Sprache angesehen wird.
Zwischen Rathaus und Börse geht es wieder hinaus auf die Uferstraße und erneut nach Osten, also in die Richtung aus der man gerade erst gekommen war. Doch diesmal nur wenige hundert Meter bis zur übernächsten Brücke. Auch der Puente del Pilar ist wieder ein durchaus bemerkenswerter Flussübergang. Denn die alte Eisenfachwerkbrücke in der Mitte gehört jetzt den Fußgängern und Radfahrern.
Links und rechts davon fließt der Autoverkehr auf neu ergänzten Fahrbahnen. Allerdings nicht parallel sondern jeweils in einer leichten Kurve, so dass auf der Karte das Trio zusammen wie ein Auge aussieht. Als absolute Ausnahme dürfen die Marathonis an diesem Tag diesen ansonsten für Nichtmotorisierte gesperrten Bogen überlaufen. Die dritte Brücke der Marathonstrecke.
Von dort bietet sich nun jenes Panorama, das als klassisches Postkartenmotiv für Zaragoza gilt. Vor den Türmen und Kuppel der Basílica del Pilar überspannt der Puente de Piedra den Ebro. Links davon erhebt sich der einzelne Turm von La Seo. Die steinerne Brücke ist die älteste Flussquerung in Zaragoza und wurde bereits im fünfzehnten Jahrhundert errichtet, wenn auch später noch mehrfach umgebaut. Noch während der Belagerungen war sie der einzige Übergang weit und breit.
Auch vom nördlichen Ufer lässt sich der Blick einen Moment lang weiter genießen, denn erst einmal folgt man wieder dem Fluss, diesmal stromaufwärts. Doch nachdem man die auf der anderen Seite liegende Basilika passiert hat, schwenkt die Straße vom Ebro weg. Die nächsten Kilometer werden nun erst einmal wieder durch unspektakuläre Vorortsiedlungen gelaufen. Bewohnt sind sie definitiv. Da sind die vor nahezu jedem zweiten Fenster aufgehängten Wäschestücke ein ziemlich deutlicher Beleg.
Auf den breiten Ausfallstraßen ist wieder nur eine Spur für die Marathonis reserviert. Doch das Feld hat sich inzwischen so weit auseinander gezogen, dass nun wirklich mehr als genug Platz vorhanden ist. Zwischen den Läufern kurvt gelegentlich auch der eine oder andere Radfahrer herum. Nicht alle, aber eben doch einige sind Begleiter. Das sollte zwar eigentlich nicht sein. Doch auf einer nicht wirklich vollständig abzusperrenden Strecke kann man es eben auch nur schwer verhindern. Und so viele, dass sie wirklich stören würden, sind es dann auch wieder nicht.
Ohnehin ist man in Zaragoza daran gewöhnt, ständig auf irgendwelche Radfahrer achten zu müssen. Die wenigsten benutzen dabei jedoch ihre eigenen Räder. Irgendwie sehen die kleinen roten Flitzer alle jedenfalls ziemlich ähnlich aus. Es sind Leihräder, die man sich überall in der Stadt gegen einen kleinen Obolus von automatischen Mietstationen nehmen darf, um sie an einer anderen Stelle wieder abzustellen. Leider muss man sich dazu vorher anmelden, so dass für Touristen der Service nicht wirklich nutzbar ist.
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Pabellón Puente, Brücke und Ausstellungsgebäude zugleich | Direkt nebeneinander läuft man bei Kilometer 31 und 36 zweimal durch Weltausstellungsgelände |
Aus dem Wohn- wird langsam ein Gewerbegebiet. Und als man sich der Marke von zwanzig Kilometern nähert, ist auch schon die Stadtgrenze erreicht. Statt Häusern ragen in Laufrichtung auf einmal kahle Hügel nach oben. Fast wüstenartig wirken sie. Aragón ist halt alles andere als eine fruchtbare Region und das Steppenland beginnt schon beinahe in Sichtweite der Stadt.
Trotz weit mehr als einer halben Million Einwohnern ist der bebaute Teil von Zaragoza flächenmäßig eher klein. Egal in welche Richtung man den Kurs auch immer abstecken würde, er müsste eigentlich immer irgendwo in solche Randbezirke führen. Der größte Teil der Bevölkerung lebt eben in Wohnblöcken. Alte, nun eingemeindete Ortschaften mit eigenen Dorfkernen und niedrigerer Bebauung findet man dagegen eigentlich keine.
Die Umgehungsstraße, die hinüber zur Halbmarathonmarke führt, ist eindeutig ziemlich neu. Außer den Zeitmessern empfängt dort so weit außerhalb niemand die Läufer. Doch es ist ohnehin wenig passiert. Noch immer laufen die Äthiopier Zehirum Abaye und Belachew Kifle Seite an Seite und in einer 1:07:50 über die Matte. Der Rückstand von José María Cámara Sanjuan, José Carlos Ciprian Bergua und Victor Gonzalo Guirao hat sich inzwischen auf fünf Minuten vergrößert.
Auch bei den Damen wachsen die Abstände schön linear weiter. Selbst wenn Luisa Larraga Cacho nach ihrem enormen Anfangstempo etwas nachgelassen hat und mit einer glatten 1:24 fast exakt die vier Minuten pro Kilometer trifft, kommt Kristijna Loonen erst knappe vier Minuten später an der Halbzeitmarke vorbei. Und für Carmen Felix Vidal scheint bei einer Durchgangsmessung von etwas über neunzig Minuten die zwei als erste Ziffer der Endzeit schon ein wenig in die Ferne zu rücken.
Die ewig langen Namen der spanischen Läufer, über die sich mancher sicher wundert, sind dabei durchaus normal. Nahezu alle Einträge in der Ergebnisliste bestehen aus drei vier oder noch mehr Einzelteilen. Das hat zum einen damit zu tun, dass die Iberer ziemlich gerne auf Doppelvornamen zurückgreifen. Angesichts der langen katholischen Tradition des Landes sind dabei "José" und - nicht nur bei Mädchen - "Maria" weit vorne.
Doch grundsätzlich sorgt das spanische System zu Vergabe von Nachnamen dafür, dass drei Bestandteile das absolute Minimum sind. Einen richtigen einheitlichen Familiennamen gibt es dort nämlich nicht. Der Name von Kindern wird stets aus dem Familiennamen des Vaters und dem der Mutter zusammen gesetzt. Erst in der zweiten Generation geht dann die mütterliche Familie in der Benennung endgültig verloren.
Zum Beispiel heißt der schon erwähnten Chema Martínez mit vollem Namen "José Manuel Martínez Fernández". Daraus lässt sich dann sofort ableiten, dass der Vater ein "Martínez" und die Mutter eine "Fernández" war. Nordeuropäer tun sich meist ziemlich schwer damit. Weshalb im Allgemeinen der zweite Teil der Benennung dann einfach unterschlagen wird. Im normalen Sprachgebrauch macht man das in Spanien gelegentlich aber auch. Doch auf spanischen Ergebnislisten sind in der Regel stets "Julio Rey Pastor", "Abel Antón Rodrigo" oder "Fabián Roncero Domínguez" verzeichnet.
Die Strecke hat einen großen Bogen geschlagen und strebt wieder in Richtung Stadt. Genauer gesagt nähert man sich zum ersten Mal dem Expo-Gelände. Doch erneut herrscht Gegenverkehr. Mit einem der fast schon üblichen kurzen Wendestücke werden weitere Meter geschunden. Da diese Passagen nicht länger als ein oder zwei Kilometer ausfallen, sind sie psychologisch eigentlich kein wirkliches Problem. Ganz im Gegenteil, sie bringen sogar ein bisschen Abwechslung, da man auch einmal ein paar andere Läufer zu Gesicht bekommt als diejenigen, mit denen man in der Gruppe läuft.
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Pabellón Puente, Brücke und Ausstellungsgebäude zugleich |
Wirklich einsam ist es ohnehin nicht. Der auf der Startnummer aufgedruckte Vorname sorgt schnell für die Eröffnung eines Gespräches. Spanier gelten ja als - positiv ausgedrückt - durchaus kommunikativ. Die großen Schweiger nordischer Prägung findet man am Mittelmeer eher selten. Und südländische Fußballreporter sind ja mit ihren Schnellsprecheinlagen fast schon legendär.
Doch wenn man des Spanischen nur bedingt mächtig ist, muss die Unterhaltung oft auch schnell wieder beendet werden. Mit Fremdsprachen habe es vor allem die älteren Iberer ihrerseits nämlich nun wirklich überhaupt nicht. Selbst wenn der eine oder andere dann doch zum Beispiel ein bisschen Englisch beherrscht, im ersten Moment hört es sich selten wie Englisch an. Es sind meist maximal englische Vokabeln mit einer ziemlich spanischen Aussprache.
Das hat zum einen mit der langen Isolation des Landes während der Franco-Diktatur zu tun. Zum anderen aber auch damit, dass Spanisch neben Englisch die zweite europäische Sprache ist, die sich über das frühere Kolonialreich weit in der Welt verbreitet hat. Abgesehen vom ehemals portugiesischen Brasilien ist es zum Beispiel in ganz Südamerika Amtssprache.
Wenn also vierhundert Millionen Menschen Spanisch sprechen, warum soll man
sich dann mit anderen Sprachen abmühen. Selbst in den USA kommt man ja
zumindest im Süden damit ziemlich gut durch. Nur dort, wo man mit Touristen
in Berührung kommt, also in den Küstenregionen und insbesondere auf
den Balearen oder Kanaren, ist das Interesse - und wohl auch die Notwendigkeit
- sich in anderen Sprachen verständigen zu können größer.
Doch blickt man in Spanien ja sowieso nicht nur nach Europa. Was für die
Briten ihr Commonwealth ist für die Iberer die Hispanidad, worunter man
die gesamte spanischsprachige Welt versteht. Dass die Konzentration auf Südamerika
während der Franco-Zeit durchaus auch einen politischen Hintergrund - mit
den dortigen Caudillos konnte der spanische Diktator natürlich deutlich
besser als mit den demokratisch gewählten Regierungen in den Nachbarländern
- hatte, ist nur ein Aspekt.
Doch auch als gemeinsamen Kulturraum mit einer ziemlich ähnlichen Weltanschauung - inklusive der Siesta - versteht man sich. Die Hispanidad wird da bei ganz bewusst von der angelsächsischen Welt abgegrenzt. Die Madrider Olympiabewerbung für das Jahr 2016, der nach dem Zuschlag für London nur wenige Chancen eingeräumt wurden, da die Spiele in der Regel nicht zweimal nacheinander auf dem gleichen Kontinent stattfinden, versuchte genau mit diesem Argument der Andersartigkeit Punkte zu sammeln.
Natürlich hatten aufgrund dieser noch immer engen Verbindung zum einstigen Kolonialherrn dann auch praktisch alle lateinamerikanischen Länder ihren Pavillon bei der Weltausstellung, auf deren Gelände man nun geradewegs zuläuft, bestückt. Die Briten und Amerikaner waren dagegen übrigens genauso wenig vertreten wie die Kanadier oder Australier.
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An den begehbare Würfeln aus Glas, aus Holz und aus Metall kommt man gleich zweimal vorbei | Unter dem Bogen der Pasarela del Voluntariado mit ihrem schrägen Turm läuft man nur hindurch |
Gewendet wird ziemlich genau in dem Moment, in dem man bei der Expo angekommen ist, an einem großen Kreisel. Wirklich hinein kommt man zwar auch noch. Doch bis dahin hat man noch ein paar Kilometer Umweg vor sich. Zurück zur Autobahn, die man vorhin unterquert hatte, führt die Strecke. Eine Rampe für Fußgänger und Radfahrer bringt die Marathonis auf das Niveau der Schnellstraße, neben der man zum vierten Mal den Fluss überquert.
Für drei bis vier Kilometer wandelt die Strecke nun endgültig ihr Gesicht. Davon, dass man an einem Stadtmarathon teilnimmt, ist kaum noch etwas zu spüren. Denn der als Radweg ausgebaute Damm, auf dem der Kurs entlang des Ebros abgesteckt ist, gibt dem Ganzen eher den Charakter eines Landschaftslaufes. Eine weite Flussschleife sorgt zudem dafür, dass sich die Distanz gegenüber der Luftlinie mehr als verdoppelt.
Wie die auch auf dem ruhigen Damm lautstarke Musik schon auf große Entfernung verkündet, gibt es wieder einmal zu Trinken. Und das ist angesichts der inzwischen doch ziemlich wärmenden Sonne durchaus willkommen. Nicht nur Wasser wie am Anfang - das allerdings in kleinen Flaschen ausgegeben wird und deshalb gut auf- und mitzunehmen ist - steht da. Nun werden auch Obst und Elektrolytgetränke ausgegeben. Doch wirkt die blaue Farbe des Zuckerwassers - selbst wenn sie vermutlich weder mehr noch weniger künstlich ist als alle anderen - irgendwie nicht so richtig vertrauenerweckend.
Am Horizont kommen die Träger der Dachkonstruktion des neuen Bahnhofs langsam wieder näher. Links davon spannt sich ein noch höherer und weitere Bogen über den Fluss. Der Puente del Tercer Milenio, die "Brücke des dritten Jahrtausends", wurde als Verbindung zu auf der gerade umlaufenen Halbinsel gelegen Expo errichtet und ist bisher gerade einmal ein gutes Jahr in Betrieb.
Drüben auf der anderen Seite liegt das Hotel, in dem man am Vortag die Startunterlagen in Empfang nehmen konnte. Und fast schon selbstverständlich läuft man über die Brücke dort auch tatsächlich hinüber. Die eigene vom Autoverkehr vollkommen abgetrennte Spur lässt keine Probleme entstehen.
Eine gewölbte Glasfront-Glasdach-Kombination schützt dabei zwar gegen - an diesem Tag gar nicht vorhandene - Wetterunbilden, nimmt aber auch die Sicht. Doch wie der Ebro von oben aussieht, haben die Marathonis nach zwei Dritteln der Strecke ja eigentlich schon zur Genüge mitbekommen.
Vorbei am Torre del Agua, was zwar Wasserturm heißt, aber mit den altbekannten Speichern für das kostbare Nass nun wirklich nichts zu tun hat, schlägt die Straße einen weiten Rechtsbogen. Der Torre ist vielmehr ein über siebzig Meter aufragendes Hochhaus in der Form eines Wassertropfens und damit eines der markantesten Gebäude der Expo. Eigentlich sollte nach dem Ende der Ausstellung dort eine Bank einziehen und darin ihre Büros unterbringen.
Das hat sich jedoch wie oft bei solchen Projekten genauso zerschlagen wie der Plan in anderen der Pavillons einen Forschungspark einzurichten. Der Turm steht zur Zeit wie der größte Teil der Bauten leer. Auf der anderen Seite der Straße kann man einige bereits entkernte Ausstellungsgebäude nur noch hinter Bauzäunen betrachten. Mit der Weiterverwertung macht man - obwohl die Ausstellung eigentlich neben dem Thema Wasser auch für "Nachhaltigkeit" stand - da in Zaragoza kaum andere Erfahrungen wie in Sevilla, wo 1992 eine Expo organisiert wurde und vieles längst wieder abgerissen ist.
Wer einigermaßen die Augen offen gehalten hat, dem kommt das Gebäude, auf das man da gerade zusteuert, irgendwie bekannt vor. Vor ungefähr acht Kilometern hat man es schon einmal von einer anderen Seite gesehen. Man ist nämlich wieder in der Nähe des Kreisels angekommen, an dem man vorhin gewendet hat. Eine der vielen Schleifen im Marathonkurs von Zaragoza, die interessierten Beobachtern die Verfolgung des Rennens wirklich leicht machen.
Ganz auf der anderen Seite der breiten Calle Pablo Ruiz Picasso ist ja auch schon wieder eine weitere Spur mit Hütchen markiert, um den spärlichen Autoverkehr von den Läufern zu trennen. Doch bis dorthin ist noch ein weiter Weg. Denn nicht nach rechts schwenkt der Kurs sondern im spitzen Winkel nach links auf den Expo-Parkplatz. Es geht unter der noch immer in Betrieb befindlichen Seilbahn hindurch zurück zum Torre del Agua.
Der weitläufige Expo-Park lässt den Kilometer von dieser Kehre bis zur künstlichen Wildwasserbahn, an der die nächste Verpflegung aufgebaut ist, wesentlich kürzer erscheinen. Den direkt neben der Einstiegsstelle liegenden Wasserturm hat man dabei nun auch praktisch voll umrundet. Noch am Vortag konnte man in diesem Kanal die Künste der Kanuten beobachten, doch jetzt ist das Wasser abgestellt.
Bei Kilometer dreißig geht dafür aber der Marathon in die entscheidende Phase. Denn die Gruppen an der Spitze fangen langsam an sich aufzulösen. Zehirum Abaye hat zwischen sich und Belachew Kifle eine Lücke von ungefähr hundert Metern gelegt. Und auch José Carlos Ciprian Bergua führt sieben Minuten später ähnlich weit vor José María Cámara Sanjuan. Victor Gonzalo Guirao haben sie bereits ganz verloren. Der kommt noch einmal weit über eine Minute später vorbei.
Die Frauen sind bei ihrem einsamen Rennen ohne direkte Gegnerin alle drei etwas langsamer geworden. Luisa Larraga Cacho läuft nach etwas über zwei Stunden über die Matte, hat also zuletzt mehr als zehn Sekunden pro Kilometer draufgepackt. Kristijna Loonen hat sich dennoch zwei weitere Minuten Rückstand eingefangen. Und für Carmen Felix Vidal sind die drei Stunden inzwischen eigentlich außer Reichweite.
Doch von hinten droht wenig Gefahr. Da sind die Abstände noch viel größer. Ohnehin ist das Feld bei den Damen eher schwach besetzt. Gerade einmal neunundvierzig von ihnen werden am Ende in den Ergebnislisten auftauchen. Dem stehen über zwölfhundert Zieleinläufe bei den Männern gegenüber. An eine Frauenquote von nicht einmal vier Prozent wird sich wohl hierzulande kaum jemand erinnern können.
Unter dem Puente del Tercer Milenio hindurch kommt man zum zweiten Mal am Hotel Hiberius vorbei. Diesmal direkt unter der Restauranterasse, die im Infoblatt den Zuschauern ebenfalls als Beobachtungspunkt nahe gelegt worden war. Doch schließlich tritt die Nobelherberge ja auch als Sponsor auf.
Vorbei am neuen Kongresszentrum, vor dem die nur aus Buchstaben zusammen gesetzte Plastik "Alma del Ebro" die Blicke auf sich zieht, darf man nun endlich richtig ins Expo-Gelände hinein laufen. Doch auch von der Vorderseite verstecken sich die meisten früheren Pavillons inzwischen hinter Bauzäunen. Viel unangenehmer ist allerdings in diesem Augenblick, dass da die Schilder mit der "31" und der "36" ziemlich einträchtig praktisch nebeneinander stehen. Nur ein bisschen Flatterband trennt zwei parallel verlaufende Spuren. In fünf Kilometern darf man also genau den gleichen Weg mehr oder weniger noch einmal laufen.
Das Aquarium ist so ziemlich die einzige Attraktion der Expo, die auch weiterhin geöffnet hat. Es zeigt keine Meeresfische sondern ausschließlich Flusslandschaften aus allen Kontinenten. Nachgebildet sind unter anderem der Amazonas, der Nil und der Mekong. Auch die Tierwelt des Ebro zeigt man natürlich, selbst wenn er eigentlich nicht in der gleichen Liga wie diese großen Ströme spielt.
An den Säulenreihen rund um den spanischen Pavillon, die ein bisschen an einen Bambuswald erinnern, vorbei verlässt man das Gelände wieder. Doch noch immer trennen sich beide Streckenteile nicht. Während der rechte, der spätere allerdings auf den Parkwegen am Flussufer bleibt, wechselt der frühere linke auf die oberhalb verlaufende Straße. Doch ab diesem Augenblick wird nicht nur auf zwei sondern sogar auf drei Spuren gelaufen. Denn wieder einmal herrscht für ein kurzes Stück Gegenverkehr. Zwischen Kilometer zweiunddreißig und dreiunddreißig hat man erneut einen Wendepunkt in die Strecke eingebaut.
Und kurz nachdem die Läufer diesen hinter sich gebracht haben, sind sie wieder am auch schon bekannten großen Kreisel angelangt und biegen in die eigentlich bereits seit längerem erwartete Calle Pablo Ruiz Picasso ein. Erneut wird der Torre del Agua angepeilt, danach das Hotel Hiberius zum dritten Mal passiert.
Und schließlich taucht kurz darauf wieder der Puente del Tercer Milenio auf. Wie es die Mathematik eben einfach so vorgibt, muss bei einem Rundkurs und sieben überquerten Brücken eine von ihnen doppelt auf dem Programm stehen. Es ist die Brücke des dritten Jahrtausends, deren zweite Fuß- und Radspur man nun auch noch belaufen darf.
Dabei kann man noch einmal einen Blick auf jenes seltsame Bauwerk werfen, dass man vorhin schon einmal beim Unterqueren bewundern durfte. Fast wie ein Raumschiff wirkt der Pabellón Puente, der sich nur ungefähr zweihundert Meter flussabwärts über den Ebro spannt. Brücke und Austellungspavillon in einem ist er zugleich. Doch auch er steht - abgesehen von seiner Nutzung als Flussübergang - eben leer.
Man darf ihn sogar durchlaufen. Denn direkt im Anschluss an die sechste steht die siebte Ebroüberquerung an, die das Läuferfeld erneut hinüber zur Plaza mit Buchstaben-Alma und den drei begehbaren Würfeln aus Glas, Holz und Metall bringt, auf denen in mehreren Sprachen Informationen über Wasser und seine Nutzung bzw. Verschwendung angebracht sind. Nun darf man - so wie man vorhin vielleicht selbst bedauert wurde - diejenigen bedauern, die gerade erst ihre Zwischenzeit an der "31" nehmen. Denn diesmal gilt die "36" für einen selbst.
Ohne weitere Umwege - man könnte sagen "endlich" - nimmt man die Basilika ins Visier. Immer entlang des Flusses verläuft der Kurs in den für die Expo neu gestalteten Parkanlagen. Auf seiner ganzen Länge im Stadtbereich wurde und wird das Ebroufer zur grünen Lunge Zaragozas gemacht. Noch immer sind an einigen Stellen die Umbauarbeiten im Gange. Doch so zubetoniert wie viele andere Flüsse in Städten ist er schon lange nicht mehr. Und nach der Fertigstellung der letzten Teile wird eine viele Kilometer lange Promenade entstanden sein.
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Zum fünten Mal läuft man über die Plaza d'España | Der Paseo de la Independencia ist die Zielgerade des Rennens |
Unter weiteren Brücken muss man hindurch, um zurück zur Innenstadt zu gelangen. Die erste ist die gewagte Pasarela del Voluntariado, auch - man mag es kaum noch aussprechen - ein Neubau für die Weltausstellung. An einem einzigen, zudem noch um etliche Grad geneigten Pfeiler ist ein Fußgängerüberweg aufgehängt, der über dem Wasser fast einen Viertelkreis beschreibt.
Die anderen beiden, der Puente de la Almozara und der Puente de Santiago, sind weit weniger eindrucksvoll. Man ist geneigt zu sagen, von all den Brücken in Zaragoza sind es eigentlich wirklich die gewöhnlichsten. Doch den Puente de Santiago unterläuft man nicht nur man überläuft ihn auch direkt im Anschluß danach. Drei Linkschwenks in schneller Folge und ein kurze aber nach über achtunddreißig Kilometern doch spürbare Rampe machen es möglich.
Zum achten und tatsächlich letzten Mal quert man den Ebro, um am anderen Ufer vom Torreón de La Zuda in Empfang genommen zu werden. Der Turm mit dem aus dem Arabischen stammenden Namen war während seiner Geschichte nicht nur Festungsbestandteil sondern oft auch der Sitz der maurischen und aragonischen Regenten über die Stadt. Heutzutage ist eines der Tourismusbüros Zaragozas darin untergebracht.
Wenn man genau hin sieht, wirkt der Torreón de La Zuda ein wenig windschief. Doch ist das kein Vergleich zur Kirche San Juan direkt daneben. Denn deren achteckiger Turm, an dem man ebenfalls Mudéjar-Elemente erkennen kann, hat definitiv so einiges an Neigung. Nicht nur Pisa sondern auch Zaragoza hat also einen schiefen Turm.
Eigentlich ist man nun wieder in der Altstadt angekommen. Als nächstes geht es noch einmal an der Basílica de Nuestra Señora del Pilar vorbei. Doch wer gehofft hatte, jetzt würde das Ziel auf halbwegs direktem Weg angesteuert, sieht sich getäuscht. Das wäre viel zu nah, schließlich sind noch über drei Kilometer für die Marathondistanz zu laufen.
Gewonnen werden die - es wird wohl niemand mehr überrascht sein - noch einmal mit einem Wendepunkt. Doch was die ganze Zeit über nicht das geringste Problem war, gerät bei Kilometer neununddreißig dann irgendwie doch etwas zur Schikane. Denn während die Entgegenkommenden nun an La Seo vorbei über die Plaza del Pilar den letzten Kilometer in Angriff nehmen, muss man selbst erst noch einmal diese Distanz von Ziel weglaufen.
Neues gibt es auf dieser letzten Passage auch nicht mehr zu entdecken. Es geht die schon reichlich bekannte Uferstraße hinaus und wieder hinein. Zum letzten Mal zur Plaza d'España kommt man anschließend durch die ebenfalls schon gesehene Calle Don Jaime. Und auch die Zielgerade hat man zu Anfang des Rennens schon mehrfach belaufen.
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Der Paseo de la Independencia ist die Zielgerade des Rennens | Im Ziel gibt es Folien und Verpflegungsbeutel |
Beinahe noch weniger spannend als die Schlusskilometer ist allerdings auch der Rennverlauf. Denn eigentlich passiert gar nichts mehr. Luisa Larraga Cacho lässt zwar zum Ende hin deutlich nach und die konstanter laufende Kristijna Loonen kann den Abstand noch verkürzen. Doch mit 2:53:55 ist der Vorsprung der Siegerin zur genau 2:57 laufenden Niederländerin dennoch beträchtlich. Und Carmen Felix Vidal scheitert mit 3:04:15 zwar wie erwartet klar an den drei Stunden, hat allerdings nach hinten fast eine Viertelstunde Luft.
Auch die beiden Äthiopier spulen ihr Pensum an der Spitze solide herunter. Zehirum Abaye wird mit 2:17:38 gestoppt. Sein Landsmann Belachew Kifle hat ihn zwar ständig in Sichtweite und verliert nicht wirklich an Boden, kommt aber auch nicht mehr heran und wird nach 2:18:18 sicherer Zweiter.
Denn bis José Carlos Ciprian Bergua in 2:25:37 als Dritter einläuft, sind über sieben Minuten vergangen. Nur José María Cámara Sanjuan kommt mit 2:27:16 noch unter 2:30 ins Ziel, während Victor Gonzalo Guirao einbricht und in 2:33:40 gerade noch fünfundsechzig Sekunden vor dem bei Halbzeit bereits vier Minuten zurückhängenden Juan José Royo Royo retten kann.
Als die Sieger im Zielbereich geehrt werden, haben auf der Strecke schon längst die Aufräumarbeiten angefangen. Praktisch direkt mit dem letzten Läufer beginnt dort der Abbau. Und manche Straßen sind schon wenige Minuten später wieder frei gegeben. Nach gut fünf Stunden ist alles erledigt. Und schon am Abend sieht man selbst im Start- und Zielbereich nicht mehr das Geringste. Der Marathon hat die Stadt genauso schnell verlassen, wie er sie am Morgen in Beschlag genommen hat.
Auch darin, wie in vielen anderen Kleinigkeiten zeigt sich die wirklich professionelle Organisation des Laufes von Zaragoza. Dass man trotz des "Internacional" im Namen nicht wirklich international ist, hat sicher auch weniger mit der tatsächlichen Ausrichtung als vielmehr mit Werbe- und Informationspolitik im Vorfeld zu tun. Da muss man auf jeden Fall noch nachlegen, sonst wird man weiterhin im rein spanischen Saft schmoren. Aber bei bisher gerade einmal drei Austragungen darf man solche kleinen Schwächen auch durchaus noch besitzen.
Sicherlich ist eine so verwickelte Strecke wie die von Zaragoza auch nicht nach jedermanns Geschmack. Doch wird es, selbst wenn man viele Teile mehrfach beläuft und deshalb bereits kennt, trotzdem nie langweilig. Denn im Gegensatz zu einem Mehrrundenkurs werden die Versatzstücke eben immer neu durchmischt. Und während zum Beispiel Sevilla und mit Abstrichen auch Valencia bei ihren Marathons einen Bogen um das Stadtzentrum machen, läuft man in Zaragoza an fast allen Sehenswürdigkeiten - egal ob alt oder neu - vorbei.
Wen es aus dem dunklen, kalten Winter zum Jahresende noch einmal in den Süden zieht, der kann also durchaus auch die Hauptstadt von Aragón auf die Auswahlliste aufnehmen. Eine Garantie auf Wärme und Sonnenschein wie bei der dritten Auflage hat man dann zwar nicht. Doch bei auch im November noch zweistelligen Durchschnittstemperaturen ist die Wahrscheinlichkeit, mit kurzen Hosen laufen zu können, ziemlich hoch. Die Brücken über den Ebro warten.
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Bericht und Fotos von Ralf Klink Ergebnisse und Infos unter www.zaragozamaraton.com Zurück zu REISEN + LAUFEN aktuell im LaufReport HIER |
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