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26.7.15 - Maratona da Cidade do Rio de Janeiro (Brasilien)"Todo bem" in der "cidade maravilhosa" |
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von Ralf Klink |
Irrtümer und Rio de Janeiro - das ist eine Kombination, für die sich bei genauerem Hinsehen eine ganze Reihe von Beispielen entdecken lässt. Der erste und vielleicht auch größte Irrtum hat der Stadt gleich einmal zu ihrem Namen verholfen.
Denn als die portugiesischen Seefahrer Gaspar de Lemos und Gonçalo Coelho bei ihrer Erkundung der brasilianischen Küste am Neujahrstag des Jahres 1502 auf eine tiefe Einbuchtung der Uferlinie stießen, hielten sie diese fälschlich für die Mündung eines ziemlich breiten Flusses. Eine über Jahrhunderte durchaus übliche Benennungsmethode für die vielen im "Zeitalter der Entdeckungen" von Europäern neu erforschten Gebiete war der Blick auf den Kalender. So findet man auf den Karten der Welt dann neben Weihnachts- und Oster- auch Pfingst- und Drei-Königs-Inseln. Und die genau zwei Monate zuvor bei der gleichen Expedition erkundete größte Bucht Brasiliens heißt "Baía de Todos os Santos", also "Allerheiligenbucht".
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Deswegen ist es keineswegs ungewöhnlich, dass man den vermeintlichen Strom dem Datum entsprechend einfach "Januarfluss" - portugiesisch eben "Rio de Janeiro" - taufte. Die einmal vergebene Bezeichnung hielt sich, obwohl man später natürlich irgendwann feststellte, dass es sich keineswegs um einen gewaltigen Mündungstrichter handelte und in der immerhin in Länge und Breite jeweils dreißig Kilometer ausgreifenden Bucht einzig einige kleinere Wasserläufe enden, die heute meist nur noch den Charakter von Abwasserkanälen haben.
Als später an ihrem Ufer eine portugiesische Siedlung gegründet wurde, bekam sie ebenfalls diesen Namen. Für die eigentliche Bucht etablierte sich irgendwann hingegen die Bezeichnung "Baía de Guanabara". Ihr zweiter Teil stammt aus der Sprache der ursprünglich in der Region siedelnden Tamoios und bedeutet nichts anderes als "Bucht" oder "Meeresarm", so dass man diese Doppelung schon als den nächsten kleinen Lapsus notieren könnte.
Vor allem aber hält sich hierzulande bei vielen, die sich nicht besonders mit Geographie oder Politik beschäftigen, hartnäckig der Glaube, dass es sich bei Rio de Janeiro um die Hauptstadt Brasiliens handelt. Das stimmte tatsächlich einmal. Doch seit über einem halben Jahrhundert sitzen Regierung und Parlament im etwa tausend Kilometer entfernten, weit im Landesinneren gelegenen Brasília, das innerhalb kürzester Zeit aus dem zuvor ziemlich urwüchsigen Busch gestampft wurde.
Es ist durchaus interessant, dass von den sechs flächenmäßig größten Ländern der Erde gleich vier sogenannte "Planhauptstädte" besitzen. Denn neben Brasília waren zuvor bereits Canberra in Australien und Ottawa in Kanada zum Regierungssitz bestimmt worden, obwohl es sich zum jeweiligen Zeitpunkt nur um Farmland oder maximal ein kleines Provinznest handelte. Erst danach wurden beide systematisch zur Kapitale ausgebaut. Und auch Washington in den USA ist - vor allerdings schon mehr als zweihundert Jahren - komplett auf dem Reißbrett entworfen.
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Der Zuckerhut - im portugiesischen Original "Pão de Açúcar" - direkt an der Einfahrt zur Guanabara-Bucht ist das weltbekannte Wahrzeichen von Rio |
Jedenfalls ist "Rio" - das Benutzen dieser weltweit verbreiteten Kurzform ist auch bei Brasilianern durchaus üblich - den Rang der Hauptstadt schon ziemlich lange los, ohne dass es wirklich in allen Köpfen angekommen ist. Selbst als größte Metropole des Landes kann sich Rio de Janeiro nicht mehr bezeichnen. Denn etwa zur gleichen Zeit, als Brasília in der Politik die führende Position übernahm, zog São Paulo hinsichtlich der Einwohnerzahlen vorbei.
Das ist angesichts der sechs bis sieben Millionen Einwohner, die Rio aktuell besitzt, durchaus bemerkenswert. Und wenn man Städte wie São Gonçalo und Niterói auf der gegenüber liegenden Seite der Guanabara-Bucht oder die nördlich praktisch direkt an Rio de Janeiro anschließenden Duque de Caxias und Nova Iguaçu noch hinzu nimmt, kommt man schnell auf zehn bis zwölf Millionen Menschen, die sich in diesem Ballungsraum drängen.
Gerade einmal ein Zehntel des ebenfalls "Rio de Janeiro" heißenden Bundestaates nimmt er ein. Und dennoch leben dort mehr als zwei Drittel seiner Bewohner. Der "Estado" ist seinerseits nur ungefähr so groß wie Dänemark - wo übrigens rund fünf Millionen Menschen leben, also weniger als alleine im administrativen Stadtgebiet von Rio - und liegt damit in der Größenrangliste der brasilianischen Landesteile auf dem drittletzten Rang.
Da der Winzling - die zwei im Amazonasgebiet liegenden Bundesstaaten "Pará" und "Amazonas" umfassen als Extrembeispiele etwas weniger und deutlich mehr als die dreißigfache Fläche - aber auch die drittgrößte Bevölkerung hat, ist er der mit Abstand am dichtesten besiedelte. Im Gegensatz zum Rest des Landes bewegt man sich dabei durchaus in europäischen Maßstäben. Irgendwo zwischen den unwesentlich kleineren Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen müsste man den "Estado do Rio de Janeiro" diesbezüglich nämlich einordnen.
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Eingezwängt zwischen Wasser und steilen Bergen hat die brasilianische Metropole eine wirklich einzigartige Lage |
In São Paulo zählt man allerdings noch einmal fast doppelt so viele Menschen. Rund elf bis zwölf Millionen sind es dort nämlich im eigentlichen Stadtgebiet, mehr als zwanzig Millionen im immer weiter wuchernden Ballungsraum. Inzwischen gehen Experten davon aus, dass es nicht mehr allzu lange dauern dürfte, bis die jetzt schon weitaus größte Metropole Südamerikas mit der Millionenstadt Campinas und dem wichtigen Hafen Santos - beide in genau entgegengesetzter Richtung jeweils etwa achtzig Kilometer vom Stadtzentrum entfernt - zusammen wächst.
In dem diese Megametropole umgebenden Bundesstaat - der auch in diesem Fall den Namen seiner größten Stadt trägt - leben inzwischen mehr als zwanzig Prozent der etwa zweihundert Millionen Brasilianer. Und eine Trendwende ist weiterhin nicht zu erkennen. Einzig weil dieses Gebiet auch flächenmäßig deutlich größer ist als die Teilrepublik Rio de Janeiro, landet es in Bezug auf die Bevölkerungsdichte auf Rang zwei.
Betrachtet man die Wirtschaftskraft, dann schnellt der Wert sogar auf ein volles Drittel nach oben, wovon wiederum etwa die Hälfte nur auf das Stadtgebiet entfällt. Kaum ein größeres deutsches oder europäisches Unternehmen ist in dieser Region nicht mit einem Werk oder zumindest einer Niederlassung präsent. Doch wer kennt jenseits des Atlantiks trotz alledem wirklich São Paulo? Wer kann etwas über diese Stadt sagen? Selbst in Läuferkreisen hat der dort stattfindende älteste Silvesterlauf der Welt schließlich einiges von seinem früher geradezu legendären Ruf verloren.
Umgekehrt dürfte es aber kaum jemanden geben, der nichts mit "Rio de Janeiro" anfangen kann. Mit großer Wahrscheinlichkeit ist die Metropole mit dem eigentlich völlig falschen Namen nicht nur die bekannteste Stadt Brasiliens sondern auch von ganz Südamerika. Dass Rio als erste Stadt des Erdteils im nächsten Jahr Olympische Sommerspiele veranstalten darf, erscheint unter diesen Voraussetzungen eigentlich nur logisch.
Der ohnehin hohe Bekanntheitsgrad der Stadt dürfte durch das weltweit größte Sportereignis noch einmal spürbar steigen. Und durch die vielen Stunden, in denen im August 2016 Übertragungen aus Rio über die Bildschirme flimmern werden, bleibt vielleicht auch die eine oder andere Information jenseits des Wettkampfgeschehens hängen. Doch selbst ohne Olympia ist fast jeder jetzt schon in der Lage aus dem Stehgreif ein paar Stichworte zu Rio de Janeiro zu nennen.
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Die kleine Seitenbucht "Enseada de Botafogo" bietet bei ihrer Umrundung einige der besten Aussichten auf den Zuckerhut und den von der Christusstatue gekrönten Corcovado |
Dem Fußballfreund wird zuerst das "Estádio do Maracanã" einfallen, das einst als größtes Stadion der Welt galt und in dem bereits zwei Weltmeisterschaften entschieden wurden - die letzte davon vor etwas mehr als einem Jahr mit einem Sieg der deutschen Auswahl. Auch der berühmte Karneval von Rio ist nahezu allen ein Begriff. Man hat temperamentvolle Samba-Tänzerinnen vor Augen, die angesichts tropischer Temperaturen deutlich leichter gekleidet sind als die dick eingemummelten Narren, die im hiesigen Winter auf der Straße feiern.
Andere denken bei der Erwähnung von "Rio" an den in seiner Form praktisch unverwechselbaren Felsen des Zuckerhuts. Doch noch viel eher klingen wohl die Namen der vermeintlichen Traumstrände "Ipanema" und - vor allem - "Copacabana" in den Ohren. Gerade diese zuletzt genannten Orte gehören zu den vielfältigen Versatzstücken, die dafür gesorgt haben, dass Rio de Janeiro als eine der schönsten Städte der Welt gilt.
Allerdings haben gerade diese viel gerühmten Strände auch ein wenig den Eindruck entstehen lassen, die brasilianischen Metropole sei eher etwas für einen Badeurlaub als für eine Städtereise. Das ist vielleicht noch am ehesten mit der Situation der Millionenstadt Honolulu auf der Hawaii-Insel O'ahu zu vergleichen, bei der ein ähnlich bekannter Strand namens "Waikiki" das Image im Rest der Welt dominiert.
Neben dem unvermeidlichen Fußball scheint deswegen von den olympischen Sportarten vor allem Beachvolleyball wie gemacht für Rio und Brasilien. Und tatsächlich sind neben den Stränden von Südkalifornien und Hawaii auch Copacabana - der im Deutschen gebräuchliche Artikel für "die Copacabana" existiert im Original überhaupt nicht - und Ipanema für die Entwicklung dieser Disziplin vom Freizeitspaß zu einem heute durchaus auch anderswo die Zuschauer begeisternden Leistungssport verantwortlich.
An Langstreckenlauf denkt man angesichts von Temperaturen, die selbst in den kalten Monaten Juni bis August - Rio de Janeiro liegt immerhin fast auf dem südlichen Wendekreis und hat seinen "Winter" dann, wenn es hierzulande am heißesten ist - nur selten unter zwanzig Grad absinken, dagegen kaum. Dass aus Brasilien gerade im Marathonbereich eine ganze Reihe erfolgreicher Athleten stammt, wird dabei recht häufig übersehen.
Man muss vielleicht nicht unbedingt Ronaldo da Costa als leuchtendes Beispiel hervor holen. Denn obwohl er 1998 in Berlin als erster Läufer einen Marathon mit einem Schnitt von mehr als zwanzig Kilometer pro Stunde hinter sich brachte und damit die inzwischen recht lange Weltrekordliste in der deutschen Hauptstadt eröffnete, wird seine Zeit von vielen Experten mit einem ziemlich dicken Fragezeichen versehen.
Schließlich deutete praktisch keine seiner Vorleistungen auf ein solches überragendes Ergebnis hin. Und anschließend konnte er nie wieder auch nur entfernt an diese 2:06:05 anknüpfen. Der Verdacht, dass bei der neuen Bestmarke nicht nur erlaubte Mittel im Spiel waren, blieb bestehen, selbst wenn der Brasilianer weder vor noch nach seiner gewaltigen Leistungsexplosion jemals bei irgendeiner Kontrolle auffällig wurde.
Ein Jahr später war er bereits wieder von Khalid Khannouchi abgelöst. Und in der Folge wurde die Schlagzahl immer höher. Doch auch wenn alle nachfolgenden Rekordhalter deutlich konstantere Ergebnisreihen ablieferten, darf man angesichts der Tatsache, dass heute die Schnellsten einen Marathon zu einem Zeitpunkt beenden können, an dem da Costa noch über einen Kilometer vom Ziel entfernt war, vielleicht doch ein wenig ins Grübeln kommen.
Eine fast genauso schnelle Zeit wie sein Landsmann hat auch Marílson Gomes dos Santos mit 2:06:34 in den Büchern stehen. Allerdings sind bei einem Sportler der gleich zweimal - nämlich 2006 und 2008 - den New York Marathon gewinnen konnte, die Zweifel weit geringer. Noch einmal mehr hat er bei der "Corrida Internacional de São Silvestre" in São Paulo gegen die auch dort zuletzt meist dominierende ostafrikanische Konkurrenz gewonnen. Allerdings steht dort ein Jahrzehnt zuvor auch ein gewisser "Ronaldo da Costa" einmal auf der Ehrentafel.
In den Neunzigern gewann ein gewisser Luíz Antônio dos Santos gleich zweimal hintereinander den Chicago Marathon und einmal das traditionsreiche Eliterennen von Fukuoka sowie eine Bronzemedaille bei der Weltmeisterschaft von Göteborg. In Deutschland findet man noch einige Jahre zuvor beim Hamburg Marathon den Namen "Nivaldo Filho" in den Siegerlisten. Zudem ist dort 2004 ein gewisser "Vanderlei Cordeiro de Lima" verzeichnet.
Doch nicht wegen dieses Erfolges wurde der Brasilianer im gleichen Jahr weltweit bekannt. Es war vielmehr ein Zwischenfall bei den Olympischen Spielen von Athen, der ihm Aufmerksamkeit verschaffte. Als Außenseiter hatte er dort relativ früh im Rennen einen mutigen Ausreißversuch gastartet und eine klare Führung heraus gelaufen. Selbst wenn die abwartenden Favoriten irgendwann dann doch nachsetzten, hatte er bei Kilometer fünfunddreißig noch immer eine halben Minute Vorsprung auf seinen nächsten Verfolger.
Doch dann wurde er von einem Zuschauer angegriffen und festgehalten. An diesen Vorfall werden sich sicher die meisten Interessierten noch erinnern. Der Name und vielleicht sogar auch die Nationalität des Sportler, der bald darauf vom späteren Goldmedaillengewinner Stefano Baldini aus Italien und dem Amerikaner Mebrahtom Keflezighi überholt wurde, aber immerhin Bronze retten konnte, dürfte allerdings inzwischen schon wieder weitgehend in Vergessenheit geraten sein.
In seiner Heimat genießt Vanderlei Cordeiro de Lima allerdings in der Läuferszene weiterhin extreme Popularität. Immerhin hat er dem Land nicht nur die bisher einzige olympische Medaille im Marathon beschert. Als tragischer Held, der nach Meinung vieler Brasilianer ohne Behinderung ganz sicher als Sieger ins alte Stadion von Athen eingelaufen wäre, wird ihm die Zuneigung seiner Landsleute wohl auch zukünftig sicher sein.
Trotz einiger Erfolge können die Südamerikaner natürlich weder in den absoluten Spitzenzeiten noch in der Leistungsdichte im Entferntesten mit den Laufgroßmächten aus Afrika konkurrieren. Und auch Japan ist in der Breite weitaus besser aufgestellt. Doch verglichen mit den aus der Weltelite längst weitgehend verschwundenen Europäern sahen die brasilianischen Läufer in den letzten Jahren meist relativ gut aus.
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Nicht ganz so berühmt wie sein Nachbar "Copacabana" aber ähnlich spektakulär gelegen und bei den Einheimischen auch genauso beliebt ist der Strand von Ipanema |
Nicht ganz so erfolgreich bei den bedeutenden Marathons sind die Frauen des flächen- und bevölkerungsmäßig fünfgrößten Landes der Erde. Zumindest in kontinentalen Wettbewerben mischen sie allerdings ebenfalls stets vorne mit. Sowohl bei den südamerikanischen Leichtathletik-Meisterschaften als auch bei Südamerika- oder Panamerika-Spielen - die beide ähnlich wie Olympia im Vierjahresrhythmus ausgetragen werden - steht auf den Langstrecken eigentlich fast immer eine Brasilianerin mit auf dem Treppchen.
Betrachtet man hingegen die Zahl der Läufer und Dichte der Veranstaltungen hat Europa doch noch gewisse Vorteile. Von einer Auswahl aus etlichen Dutzend Marathons in überschaubarem Umkreis, wie sie ihre Kollegen in der "alten Welt" besitzen, können brasilianische Hobbysportler nur träumen. In einem Land, in das man die gesamte Europäische Union gleich doppelt hinein packen könnte, existieren nicht mehr Wettbewerbe über zweiundvierzig Kilometer als im nur ein Prozent der Fläche und vier Prozent der Bewohner zählenden Österreich.
Während Halbmarathons längst "an jeder Ecke" zu finden sind, gibt es auf der doppelt so langen Distanz noch einen gewissen Nachholbedarf. Allerdings ist die Tendenz durch mehrere in der jüngsten Vergangenheit hinzu gekommene neue Läufe zuletzt stark ansteigend. Von den zehn größten Metropolen Brasiliens beherbergen inzwischen nur noch Belo Horizonte und das mitten im Amazonasgebiet gelegene Manaus keine "maratona" - Portugiesisch ist nämlich neben Italienisch eine der wenigen Sprachen, in denen der bei uns so männliche "Marathon" weiblich ist.
Es gibt jetzt in der Hauptstadt Brasília genauso ein Rennen wie in Salvador da Bahia, dem drittgrößten Ballungsraum des Landes. Auch in den Millionenstädten Fortaleza, Curitiba oder Recife - Namen, die man vielleicht zum Teil noch von der Fußball-Weltmeisterschaft im Ohr hat - kann man Marathon laufen. Und in Porto Alegre ganz im Süden Brasiliens hat man sogar gleich zwei Veranstaltungen, eine im Juni und eine im Oktober.
Nimmt man nur die Bevölkerungszahlen als Maßstab hat Florianópolis mit ungefähr einer halben Million Menschen nicht unbedingt etwas in dieser Aufzählung zu suchen. Doch da sich die Stadt über die wegen ihrer vielen Strände als Ferieninsel bei den Brasilianern und ihren Nachbarn ziemlich beliebte "Ilha de Santa Catarina" verteilt, hat sie trotzdem einen entsprechenden Bekanntheitsgrad und vielleicht auch deswegen seit vielen Jahren eine Marathonveranstaltung.
Noch touristischer ausgerichtet ist aber sicherlich das Rennen in der Stadt Foz do Iguaçu. Denn diese liegt nur einen knappen Marathon von den berühmten Wasserfällen des ebenfalls Iguaçu heißenden Flusses entfernt. Um den Lauf unter solch nahezu idealen Voraussetzungen an diesem Naturwunder enden zu lassen, muss man dann nicht mehr besonders viel Phantasie einsetzen. Verwunderlich ist eigentlich nur, dass bisher praktisch noch kaum ein Sportreiseunternehmen auf die Idee gekommen ist, diesen Lauf ins Programm zu nehmen.
Und auch einen Bergmarathon, bei dem auf einer Serpentinenstraße zwölfhundert Höhenmeter durch den tropischen Dschungel nach oben geklettert werden dürfen, kann man entdecken. Dass bei den meisten dieser gerade eben aufgezählten Läufe jedoch nur einige hundert Teilnehmer zusammen kommen, steht auf einem ganz anderen Blatt. Ein wenig lässt sich dies vielleicht aber doch mit den riesigen Distanzen zwischen den einzelnen Bevölkerungszentren begründen.
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Grandios ist das Panorama, das der Corcovado seinen von der Zahnradbahn oder mit Kleinbussen hinauf gebrachten Besuchern bietet |
Immerhin mehr als dreitausend Läufer treten in São Paulo - wo es nicht nur die "Corrida de São Silvestre" gibt - zu einem Marathon an, der mit mehr als zwanzig Austragungen schon zu den traditionsreichsten des Landes gehört. Doch reicht dieses Starterfeld, mit dem man sich hierzulande nur um die sechste Position der Größenrangliste bewerben könnte, in Brasilien bereits für einen sicheren zweiten Platz. Es überrascht wohl niemanden, dass sich davor der Marathon von Rio de Janeiro an der Spitze steht.
Wenn man sich die Internetauftritte der brasilianischen Rennen einmal etwas genauer ansieht, fällt übrigens auf, dass etliche von ihnen den gleichen Titelsponsor haben. Und dort wo die großen Lettern von "CAIXA" nicht gleich im Veranstaltungslogo auftauchen, lässt sich der blau-orange Schriftzug häufig irgendwo weiter unter in der Auflistung der "patrocínios" - wie Werbepartner in Brasilien genannt werden - entdecken.
Die "Caixa Econômica Federal" - eine staatliche Bank, die in Brasilien im Großen und Ganzen die Rolle der hiesigen Sparkassen übernimmt - gehört sowieso zu den wichtigsten Geldgebern des gesamten brasilianischen Sports. Doch insbesondere Straßenläufe hat sich die "Kasse" dabei als einen der Schwerpunkte ausgesucht. Dass sie auch dem größten und bedeutendsten Marathon des Landes in Rio ihren Namen gibt, ist da fast schon eine Selbstverständlichkeit.
Allerdings nehmen sich die vier- bis fünftausend Zieleinläufe, die man in der Metropole zu Füßen des Zuckerhutes zuletzt regelmäßig verzeichnen konnte, neben den rund zehn Mal so großen Megaläufen in New York, London, Paris, Chicago, Berlin oder Tokio doch eher bescheiden aus. Sogar auf dem eigenen Kontinent gibt es mit Buenos Aires ja einen Lauf der einige tausend Teilnehmer mehr zählt.
In der Stadt der "guten Lüfte" - ein weiterer jener vielen seltsamen Namen, denen man in von Europäern kolonisierten Ländern immer wieder begegnet - bleiben die Lateinamerikaner allerdings weitgehend unter sich. Rund drei Viertel des Feldes stellen die Argentinier selbst. Etliche hundert "Brasileiros" machen das Rennen in der Hauptstadt des Nachbarn und ewigen Rivalen Argentinien zudem zu einem der größten brasilianischen Marathons.
Und den Rest der Teilnehmer steuern hauptsächlich Nationen wie Chile, Peru, Uruguay oder Kolumbien bei. Nur etwa zwei Prozent der Starter kommen hingegen aus dem Norden des Doppelkontinents, aus Europa, Afrika, Australien oder Asien. Das sieht in Rio de Janeiro dann schon etwas anders aus. Denn obwohl natürlich auch dort die Einheimischen das mit Abstand stärkste Kontingent aufbieten, ist die Copacabana-Stadt als Marathon-Reiseziel für den Rest der Welt deutlich beliebter.
Wirklich einfach machen es die Organisatoren den von weit her kommenden Lauftouristen aber nicht unbedingt. Denn während die meisten wirklich großen Veranstaltungen ihre Termine bereits Jahre im Voraus planen und viele andere internationale Marathons das Datum des nächsten Rennens kurz nach dem gerade abgeschlossenen veröffentlichen, muss man in Rio bis in den November warten, bevor auf der Internetseite der "26 de julho de 2015" als Veranstaltungstag bestätigt wird.
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Schroff und steil sind viele der Felsen rund um Rio, doch kaum ein anderer liegt vom Stadtzentrum gesehen so auf dem Präsentierteller wie der "Pão de Açúcar" |
Zuvor war dort nur vom Monat Juli die Rede. Für die an einem Start Interessierten bestand so kaum Planungssicherheit. Verschärft wurde die Unsicherheit, weil der Marathon im Vorjahr den zuletzt meist gewählten Termin Ende Juni oder Anfang Juli verlassen hatte, um der genau in diesem Zeitraum stattfindenden Fußball-Weltmeisterschaft auszuweichen, und auf das letzte Juli-Wochenende umgezogen war. Die Frage, ob die Veranstalter nun dort bleiben oder wieder zurück umziehen würden, blieb lange offen.
Und selbst wenn man sich diesmal am Ende doch dafür entschied, dem im vergangenen Jahr ausgewählten "fim de semana" erst einmal treu zu bleiben, stellt sich das Problem für die kommende Auflage erneut. Denn am 5. August 2016 beginnen die Olympischen Spiele. Dass man da eine oder zwei Wochen zuvor nicht noch einen großen Stadtmarathon ausrichten sollte, ist wohl ziemlich unumstritten. Also wechselt der Lauf nun wieder in den Mai hinüber. Und immerhin ist es diesmal frühzeitig bekannt.
Außerdem hinken die englischen und spanischen Varianten der Marathonseite hinsichtlich ihrer Aktualisierung der portugiesischen Version irgendwie stets deutlich hinterher. Wer sich dort zum Beispiel die "rules and regulations" oder den "reglamento general" der anstehenden Veranstaltung ansehen möchte, wird angesichts der in den jeweiligen Überschriften auftauchenden Jahreszahl "2014" schon ein wenig ins Grübeln kommen.
Selbst für die kommende Auflage im Olympiajahr, die unter der Einstellung "PT" längst richtig angekündigt ist, bekommt man nach der Umstellung auf "EN" oder "ES" zum Teil noch diese Uralt-Informationen angeboten. Zwar beschränken sich die Änderungen wirklich fast nur auf das Datum. Doch selbst wenn man darin nicht alles im Detail verstehen sollte, kann ein Blick ins Original unter diesen Umständen auf keinen Fall schaden.
Ansonsten ist die Organisation eines Trips zum Rio Marathon für reiselustige Läufer allerdings auch dann nicht allzu kompliziert, wenn sie sich nicht einem der immer zahlreicher werdenden kommerziellen Veranstalter anschließen sondern auf eigenen Faust unterwegs sein möchten. Schließlich ist die Stadt eine der nicht allzu vielen großen südamerikanischen Metropolen, in die es aus Europa gleich eine ganze Reihe von Direktflügen gibt.
Während sich die brasilianischen TAM darauf beschränkt, von Frankfurt nach São Paulo zu fliegen, steuert die Lufthansa die Baía de Guanabara vom größten Flughafen Deutschlands nämlich ohne Umwege an. Dazu haben auch British Airways, Air France, KLM, Alitalia oder Iberia Verbindungen von ihren jeweiligen Drehkreuzen London, Paris, Amsterdam, Rom und Madrid zum internationalen Flughafen von Rio de Janeiro im Angebot.
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Um auf dem innenstadtnahen "Aeroporto Santos Dumont" landen zu können, müssen die Piloten in einem waghalsig aussehenden Manöver eine Kurve direkt neben dem Zuckerhut fliegen |
Der ganz im Nordosten des Stadtgebietes auf der Ilha do Governador gelegene Landeplatz trägt zwar nach einem der bekanntesten Musiker des Landes rein formell inzwischen den Namen "Antônio Carlos Jobim". Doch nicht nur im internationalen Flughafenkürzel "GIG" bleibt die alte Bezeichnung "Galeão" - nach dem praktisch ans Rollfeld angrenzenden "Galeonen-Strand" - erhalten. Im Allgemeinen Sprachgebrauch heißt sie ebenfalls weiterhin so. Und selbst im Logo des "aeroporto" taucht sie weitaus größer auf als der Schriftzug der offiziellen Benennung.
Der Zusatz ist durchaus von Bedeutung. Denn in der Metropole Rio de Janeiro gibt es noch einen zweiten Flughafen, über den viele Inlandsverbindungen abgewickelt werden. Unter mehreren Dutzend Verkehrsflughäfen in Brasilien belegt dieser hinsichtlich des Passagieraufkommens immerhin auch noch Rang sieben. Man sollte bei Buchungen also genau aufpassen, wenn man nicht nach dem Aussteigen feststellen möchte, dass der vermeintliche Anschlussflug an einem ganz anderen Ort vom Boden abhebt.
Genau wie der auf einer Insel gelegen GIG ragt der mit SDU abgekürzte "Aeroporto Santos Dumont" - Namensgeber ist in diesem Fall der brasilianische Flugpionier Alberto Santos-Dumont - in die Guanabara-Bucht hinaus. Wirklich erstaunlich ist dies nicht. Denn er hat sich aus einem Pier für Wasserflugzeuge, die in den Anfangsjahren der kommerziellen Luftfahrt hauptsächlich zur Beförderung von Passagieren eingesetzt wurden, entwickelt.
Im Gegensatz zu den zwanzig Kilometer von der Innenstadt entfernt gelegenen internationalen Terminals grenzt er jedoch wirklich direkt ans Zentrum. Kaum einen Kilometer sind einige der wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Altstadt von den Flugsteigen weg. Es gibt sicher einige Flughäfen, die man aus der Stadtmitte mit öffentlichen Verkehrsmitteln in zehn bis fünfzehn Minuten erreichen kann. Dass dies aber in dieser kurzen Zeit auch zu Fuß möglich ist wie in Rio, dürfte wirklich die absolute Ausnahme sein.
Zwischen beiden Flughäfen verkehren Expressbusse, die auf ihrer Fahrt auch die Innenstadt und die berühmten Strandstadtteile ansteuern. Ansonsten ist gerade die Anbindung von Galeão an das Nahverkehrsnetz aber ziemlich bescheiden, so dass den gerade angekommenen Touristen als Alternative für den Weg zu ihrer Unterkunft eigentlich nur noch eines der im Stadtbild allgegenwärtigen hellgelben Taxis übrig bleibt.
Ohnehin macht es Rio de Janeiro seinen Besuchern hinsichtlich der öffentlichen Transportmittel deutlich schwerer als die meisten europäischen Metropolen. Zwar gibt es eine U-Bahn, die mit mehr als einer Million Fahrgästen pro Tag hinter São Paulo immerhin das zweitwichtigste Metrosystem im Land darstellt. Doch von einem extrem dicht geknüpften Liniennetz, wie man es zum Beispiel aus Städten wie London oder Paris kennt, kann überhaupt nicht die Rede sein.
Eigentlich besteht der Streckenplan nur aus einem "Y", bei dem sich zwei in den Außenbezirken aufgefächerte "linhas" auf dem Weg durch die Innenstadt überlagern, bevor der letzte Teil des unteren Striches dann wieder nur noch von einer der beiden bedient wird. Längst nicht alle touristisch interessanten Punkte Rios sind über dieses für eine Sechs-Millionen-Metropole eher bescheidene System erreichbar. Und darüber den internationalen Flughafen endlich an das Netz anzubinden, wird seit langer Zeit diskutiert, ohne dass es bisher konkrete Planungen gibt.
Wer kleinere Fußmärsche nicht scheut, kann aber zumindest die Innenstadt und die Stadtteile - im Portugiesischen werden sie als "bairros" bezeichnet, was zwar die gleichen Buchstaben wie der gleichbedeutende spanische Begriff "barrio" enthält, bei genauerem Hinsehen jedoch ein wenig anders angeordnet ist - mit den wohlklingenden Namen Copacabana oder Flamengo ganz gut mit Hilfe der U-Bahn erkunden.
Nach der letzten Verlängerung der Gleise kommt man seit einigen Jahren sogar noch ein bisschen weiter und aktuell bis an den Rand von Ipanema heran. Dort setzt zudem eine dritte Linie an, die sich zurzeit noch im Bau befindet, bis zu den Olympischen Spielen aber fertig gestellt werden und dann parallel zu den Atlantikstränden verlaufen soll. Und das Maracanã-Stadion hat sogar eine eigene, nach ihm benannte Station.
Direkt daneben halten am "estádio" zwar auch die Züge der "SuperVia". Doch ansonsten sind diese einem S-Bahn-System ähnelnden Vorortlinien zum Kennenlernen der Stadt eher weniger geeignet. Denn bereits ihre Endstation, der Hauptbahnhof mit dem stolzen Namen "Estação Central do Brasil" liegt auf der "falschen", der vom Meer abgewandten Seite des Stadtzentrums. Und dort, in der sogenannten "Zona Norte" dehnen sich hauptsächlich Industriegelände und Wohngebiete für Menschen mit mittlerem und niedrigem Einkommen aus.
Insbesondere in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts sind diese fast explosionsartig gewachsen. Innerhalb von hundert Jahren hat sich die Zahl der Bewohner Rios fast verzehnfacht. Dort wo man vor wenigen Generationen noch Kaffeeplantagen vorfand, erstreckt sich heute ein fast endloses Häusermeer, das nahtlos in die ebenfalls jeweils viele hundertausende Menschen zählenden Städte Duque de Caxias, Nova Iguaçu und São João de Meriti übergeht. Der Aufbau der benötigten Infrastruktur konnte bei dieser rasanten Entwicklung nicht immer mithalten.
Und längst nicht jeder, der in die Metropole kam, um sein Glück zu machen, war mit diesem Ziel wirklich erfolgreich. So besteht ein nicht gerade kleiner Teil der Besiedlung der Nordzone dann auch aus Elendsquartieren. Einen ersten, ziemlich tristen Eindruck bekommt man auf der Fahrt vom Flughafen in die Stadt über eine autobahnähnliche Piste, die wegen des ziemlich dichten Verkehrsaufkommens die Bezeichnung "Schnellstraße" eigentlich nicht verdient hat.
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Die abwechslungsreiche Topographie der Stadt eröffnet immer wieder neue, oft überraschende Blickwinkel auf die beiden markanten Gipfel, die als Symbole für Rio stehen |
Dazu ist das Gelände irgendwie auch deutlich flacher als man es von Rio de Janeiro erwarten würde. Die "Baixada Fluminense" - die "Fluminense Niederung" - zieht sich mit fast ebenen Schwemmlandflächen und nur selten die Hundert-Meter-Marke übertreffenden Hügeln zwischen den bis zu tausend Meter aufragenden Küstenbergen und der die doppelte Höhe erreichenden "Serra dos Órgãos" im Hinterland um die Guanabara-Bucht.
Nein, so hatte man sich die viel gerühmte "cidade maravilhosa" - was auf Portugiesisch "wundervolle Stadt" bedeutet und längst nicht nur von ihren Einwohnern sondern von den meisten Brasilianern als Beiname für Rio de Janeiro benutzt wird - wahrlich nicht vorgestellt. Selbst wenn sich das Bild mit dem Erreichen der Innenstadt erheblich wandelt und ringsherum nun das Leben einer quirligen Metropole brodelt, landet man nach solchen Beobachtungen gleich zu Anfang eines Rio-Besuches aus einem über die Jahre entstandenen Traumbild schnell wieder in der Realität.
Aber noch einmal zurück zu den öffentlichen Transportmitteln: Die Hauptlast des Nahverkehrs tragen in Rio unzählige, kreuz und quer durch die Stadt verlaufende Buslinien, die für jemanden, der in das System nicht eingeweiht wurde, im ersten Moment ziemlich chaotisch wirken. Es gibt zwar klar markierte Haltestellen, von denen etliche auch mit Wartehäuschen versehen sind. Doch welcher Bus von dort wohin fährt, ist mangels Fahr- oder Netzplänen in der Regel nicht unbedingt ersichtlich.
Entweder hat man sich also im Vorfeld ziemlich genau darüber informiert, welche Linien das gewünschte Ziel ansteuern. Oder aber man verlässt sich auf die Leuchtschriften an den Bussen. Dort werden nämlich nicht nur die Endstationen angezeigt. Vielmehr laufen dort unentwegt die Namen der wichtigsten angefahrenen Stadtteile und Landmarken durch. In welcher Straße und an welchen Haltepunkt man dann am Ende wirklich landet, bleibt so zwar immer noch ein wenig fraglich. Aber zumindest stimmt schon einmal die grobe Richtung.
Die Busse halten übrigens auch nur dann, wenn sie es vom Straßenrand durch ein eindeutiges Handzeichen signalisiert bekommen. Sonst brausen sie - völlig unabhängig davon, wie viele Menschen sich an dem Wartehäuschen drängen - ohne auch nur abzubremsen einfach vorbei. Andererseits ist dieses Verfahren angesichts der vielen verschiedenen Linien, die sich eine gemeinsame Haltestelle teilen, sogar verständlich.
Damit es für den Fall, dass jemand am Straßenrand die Hand hebt, schnell wieder weiter geht, sitzt in jedem Bus übrigens nicht nur ein Fahrer. Schräg gegenüber hat neben dem Drehkreuz am Eingang zudem noch ein Kassierer Platz genommen. Hierzulande hat man die entsprechenden Arbeitsstellen schon vor Jahrzehnten wegrationalisiert, in Rio de Janeiro verdienen auf diesem Posten noch tausende Menschen ihr Geld. Da es nirgendwo Ticket-Automaten gibt, sind sie aber unabdingbar.
Was beim Einsteigen zu bezahlen ist, steht wie die Route eigentlich immer auf der Leuchtanzeige an der Vorderseite, denn der Preis gilt stets unabhängig von der Wegstrecke. In der Regel sind für die einfacher ausgestatteten Stadtbusse, die im Unterschied zu den zwischen den Flughäfen eingesetzten komfortablen Reisebussen auf den Strecken im Zentrum unterwegs sind, drei Reais und vierzig Centavos fällig.
Da die brasilianische Währung "Real" - das "r" wird in Brasilien anders als im einstigen Mutterland Portugal eher wie das "ch" in "Dach" gesprochen wird, so dass es sich am Zuckerhut nach "cheal" und "cheais" anhört, wenn vom eigenen Geld die Rede ist - einen Umrechnungskurs von etwa ein zu vier hat, schlägt jede Fahrt also mit knapp einen Euro ins Reisebudget. Einheimische können diese zwar auch per Abbuchung von einer speziellen Karte bezahlen. Doch Besucher kommen an eine solche eigentlich nicht heran.
Für die U-Bahn bekommt man als Tourist das Gegenstück immerhin an den in jeder Metrostation vorhandenen Verkaufsschaltern. Daneben stehen auch Automaten um sie wieder aufzuladen. Wer nur eine Einzelfahrt möchte, muss sich aber stets in die Schlange stellen, um von den hinter der Glasscheibe sitzenden Bahnbediensteten ein sogenanntes "Unitário" zu erwerben, mit dem die automatische Zugangskontrolle der Bahnsteige passiert werden kann.
Auch in diesem Fall ist ein knapper Euro zu bezahlen. Doch ist durchaus bezeichnend für die von verschiedenen Gesellschaften betriebenen Systeme, dass der Transport bei der "Metrô do Rio de Janeiro" dreißig Centavos mehr kostet als bei den Bussen von "Rio Ônibus". Ein echter Tarifverbund zwischen den einzelnen Verkehrsmitteln, der zum Beispiel Tageskarten oder Wochenkarten mit beliebigen Umsteigemöglichkeiten anbieten würde, existiert nämlich nicht. Die "cidade maravilhosa" macht es ihren Gästen diesbezüglich nicht unbedingt einfach.
Ein weiteres Detail sollte beachten, wer als Teilnehmer des Marathons ein Hotel aus dem in einer Stadt wie Rio natürlich enormen Angebot heraus suchen möchte. Denn an Sonntagen beginnt der Fahrplan der Metro erst um sieben Uhr morgens. Der Start des Rennens ist jedoch bereits für halb acht angesetzt. Der ebenfalls ausgeschriebene Halbmarathon, für den beinahe dreimal so viele Meldungen eingehen wie für die doppelte Distanz, beginnt sogar noch eine Dreiviertelstunde früher.
Zu allem Überfluss sind beide Strecken auch als Punkt-zu-Punkt-Kurse konzipiert, bei denen die Läufer zuvor noch aus dem Zielbereich zu den jeweiligen Startorten gebracht werden müssen. Der Transport beginnt schon vor fünf. Und selbst die letzten Busse sollen lange vor sechs unterwegs sein. Angesicht dieser Rahmenbedingungen ist es also durchaus sinnvoll, sich eine Unterkunft zu suchen, die in der Nähe des Einlaufes liegt.
Das sind vor allem der Stadtteil Flamengo sowie die angrenzenden Viertel Gloria und Botafogo. Sowohl die Innenstadt als auch Strandquartiere Copacobana und Ipanema, die natürlich mit noch weitaus besserer touristischer Infrastruktur und deutlich größerer Auswahl aufwarten können, liegen dagegen für einen Fußmarsch in der Dunkelheit eigentlich schon viel zu weit entfernt. Wer sich dort einquartiert, kommt am Morgen des Rennens um eine Taxifahrt kaum herum.
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Nicht immer wirklich harmonisch, aber oft durchaus spannend ist das Aufeinandertreffen von Alt und Neu, farbenfroh sind die Bauten in Rio de Janeiro ohnehin |
Die Verteilung der Startunterlagen befindet sich dann allerdings weder in Nähe des Zieles noch in irgendeinem der zuvor genannten Gebiete sondern einige Kilometer westlich des Stadtzentrums im "Centro de Convenções SulAmérica". Kurze Wege sind somit zwar nicht unbedingt gegeben, doch bietet das moderne Kongress- und Veranstaltungszentrum mehr als ausreichend Platz für Nummernausgabe und Marathonmesse. Denn während die Läufer in den ersten Stock geleitet werden, kann ebenerdig gleichzeitig noch eine Ausstellung von Babyartikeln abgewickelt werden.
Während man sich zum Lauf selbst im Vorfeld schon den einen oder anderen Gedanken wegen der Erreichbarkeit machen muss, ist die Anfahrt zum "Centro de Convenções" absolut problemlos. Denn nur eine Straßenecke entfernt liegt die Station "Estácio" der mit der Nummer eins gekennzeichneten U-Bahn-Linie. Und in entgegengesetzter Richtung ist es bis zur Haltestelle "Cidade Nova" der anderen Metrostrecke - kurz zuvor haben sich beide am Hauptbahnhof in die verschiedenen Äste geteilt - auch nicht viel weiter.
Selbst wenn man es aufgrund der großen Ähnlichkeit mit dem spanischen Begriff "estación" durchaus vermuten könnte, hat "Estácio" übrigens nichts mit "Station" zu tun. Denn das wäre im Portugiesischen ja eine "estação". Der Name des Stadtteils - und damit auch des in ihm liegenden Metro-Haltepunktes bezieht sich vielmehr auf einen gewissen Estácio de Sá, der als Gründer der Stadt Rio de Janeiro gilt.
Diese wird auf das Jahr 1565 datiert. Genau zwischen Fußball-Weltmeisterschaft und Olympia begeht die Metropole am Zuckerhut also noch ihren vierhundertfünfzigsten Geburtstag. Etliche zusätzliche Veranstaltungen stehen deswegen im Kalender. Und wer genauer hinsieht, wird auch überall ein Logo "Rio 450" entdecken, in dem die drei Ziffern so angeordnet sind, dass man sie als lachendes Gesicht interpretieren kann.
Das Datum ist irgendwie gleich doppelt überraschend. Zum einen liegen schließlich zwischen dem Augenblick, an dem Portugiesen die vermeintliche Flussmündung erstmals zu Gesicht bekamen, und der Zeitpunkt, zu der die erste Niederlassung entstand, mehr als sechs Jahrzehnte. Ein echtes Interesse hatten die Kolonialherren an der inzwischen so populären Bucht anfangs also nicht. Der Schwerpunkt ihrer Besiedlung lag vielmehr ein ganzes Stück weiter im Norden in Salvador da Bahia.
Zum anderen kann man durchaus darüber diskutieren, ob Rio nicht eigentlich zehn Jahre zu spät feiert. Denn bereits 1555 hatten Franzosen kaum einen Kilometer vom heutigen Stadtzentrum entfernt auf einer vorgelagerten Insel eine Befestigungsanlage namens "Fort Coligny" errichtet. Auch auf dem Festland ließen sich in der Folgezeit französische Siedler nieder. Das Gebiet rund um die Guanabara-Bucht wurde zur Kolonie "France antarctique" erklärt. Obwohl es eigentlich die gesamte brasilianische Küste für sich beanspruchte, ließ Portugal sie anfangs auch gewähren.
Erst einige Zeit später begann man sich an der Konkurrenz zu stören. Eine Expeditionsstreitmacht wurde entsandt, um die Franzosen zu vertreiben. Die anschließenden Kämpfe dauerten allerdings mehrere Jahre. Erst dann hatte Kommandeur Estácio de Sá auch den letzten französischen Widerstand gebrochen. Seinen Erfolg überlebte er jedoch nur einige Tage. Er erlag einer im entscheidenden Gefecht erlittenen Verletzung. Doch aus seiner Basis am Fuß des Zuckerhutes wurde erst die Siedlung "São Sebastião do Rio de Janeiro" und später eine Weltmetropole.
Zeitdruck für die Abholung der Unterlagen besteht eigentlich nicht. Denn von Donnerstag bis Samstag sind die Schalter geöffnet. Vor Ort kann man sich dann gleich mit der Farbensystematik der Veranstaltung vertraut machen. Denn während die Ausgabestellen für den Halbmarathon mit grünen Tafeln gekennzeichnet sind, leuchten die Tafeln über denen des Marathons in Orange. Diese Zuordnung, der man auch schon auf der Internetseite der Veranstaltung begegnen konnte, wird sich über das komplette Wochenende durchziehen.
Es gibt mit Blau zudem noch eine dritte Grundfarbe, die auf dieser etwas eingeschränkten Palette zu entdecken ist. Sie kennzeichnet den etwa sechs Kilometer langen "family run", der ganz im Gegensatz zu der "maratona" und der "meia maratona" sogar im brasilianischen Original eine englische Bezeichnung erhalten hat. Zudem findet der Einsteigerlauf auch auf einem Rundkurs in jenem Parque do Flamengo statt, der das Ziel beherbergt und sich als mehrere Kilometer langes Band zwischen dem gleichnamigen Stadtteil und der Guanabara-Bucht entlang zieht.
Für die internationalen Teilnehmer ist allerdings eine eigene Ausgabestelle vorgesehen. Das hat natürlich den Vorteil, dass dort durchgängig Helfer mit relativ guten Fremdsprachenkenntnissen im Einsatz sind. Und jene Zettel, mit denen sich die Veranstalter ihre - mit allerlei Kleingedrucktem versehen - Bedingungen bestätigen lassen, kann man gleich in der englischen oder spanischen Form unterschreiben. Selbst wenn außerdem auch noch der Pass zur Überprüfung der Personalien vorgelegt werden muss, geht die Prozedur einigermaßen schnell vonstatten.
Doch nicht nur die Stände sind in den entsprechenden Farben ausgelegt. Der Beutel, den man dort in die Hand gedrückt bekommt, ist jeweils in einem ziemlich ähnlichen Ton gehalten. Nicht anders verhält es sich mit der darin steckenden Startnummer. Sogar der Plastikstreifen, der als Einmalchip für die Zeitmessung ringförmig in den Schuh gebunden werden soll, ist farblich entsprechend angepasst.
Dass man am Rennsonntag dann auch die Kilometerschilder der verschiedenen Distanzen aus diesem Grund schon auf größere Entfernung erkennen und unterscheiden kann, versteht sich angesichts dieser bereits seit einigen Jahren konsequent durchgezogenen Zuordnung fast von selbst. Und die Bänder der nach dem Zieleinlauf verteilten Medaillen passen natürlich ebenfalls ins Schema.
Genauso orange, grün oder blau wie alles andere sind auch die Laufkappe und das irgendwo zwischen ärmellosem T-Shirt und Trägerhemd angesiedelte Lauftrikot, die man zur Startnummer in den Beutel gepackt bekommt. Sie unterscheiden sich zusätzlich auch in den aufgedruckten Logos. Denn jede Strecke hat ihr eigenes, wenn sich auch die beiden von Voll- und Halbmarathon ziemlich ähneln. Und jedes der Rennen hat einen eigenen - dort natürlich ebenfalls zu lesenden - Titelsponsor.
Hierzulande legen die Organisatoren auf solche Details in der Regel nicht unbedingt Wert. Falls es zum Startpaket gehört, wird meist unabhängig von der tatsächlich gemeldeten Strecke ein T-Shirt für alle ausgegeben. Man kann also keineswegs sicher sein, tatsächlich einen Marathoni vor sich zu haben, wenn jemand anschließend den Schriftzug "Marathon xy" auf der Brust hat. Angesichts einer immer stärkeren Verschiebung der Teilnehmerzahlen zu den kürzeren Rennen des Rahmenprogramms, ist dies vermutlich sogar eher unwahrscheinlich.
International lässt sich hingegen durchaus ein Trend zu feineren Unterscheidungen beobachten. Viele Veranstaltungen legen inzwischen Wert darauf, dass man an Medaille und Leibchen genau erkennen kann, wer welche Distanz bewältigt hat. In Rio de Janeiro lässt sich sogar schon in den Tagen vor dem Rennen bei vielen eine Zuordnung treffen. Denn sowohl die als Rucksäcke benutzten Beutel als auch die leuchtend bunten Trikots sind im Vorfeld der Rennen im Stadtbild kaum zu übersehen.
Ohnehin trägt man in Rio de Janeiro mit Vorliebe die T-Shirts von Sportveranstaltungen, selbst wenn man sich gar nicht sportlich betätigt sondern nur den Hund spazieren führt oder um die Ecke zum Einkaufen geht. Wer irgendwann einmal bei einem Lauf, einem Triathlon oder ähnlichem dabei war, zeigt dies anschließend mit schöner Regelmäßigkeit. Schließlich gibt es wohl kaum ein Land auf der Welt, in dem der Körperkult eine so große Rolle spielt, wie Brasilien. Und die Metropole an der Baia de Guanabara ist mit hoher Wahrscheinlichkeit dessen Hauptstadt.
Jedenfalls wimmelt es auf den sich über Dutzende Kilometer erstreckenden Uferpromenden zu beinahe jeder Tages- und Nachtzeit von Läufern, Rad- und Rollschuhfahrern. Nebenan im Sand spielt man auf einer fast ununterbrochenen Reihe von mit Toren oder Netzen ausgestatteten Plätzen Fußball und vor allem Volleyball. Dass die Freiluft-Variante der eigentlich aus der Halle stammenden Sportart lange Zeit von brasilianischen Duos dominiert wurde, ist angesichts dieses enormen Talentreservoirs fast schon logisch.
Die "Futevolei" genannte Mischung der beiden zuvor genannten Sportarten wurde sogar ganz ohne Zweifel in Rio erfunden. In erstaunlicher Virtuosität befördern die Aktiven dabei den Ball mit dem Fuß und dem Kopf ins gegenüberliegende Feld. Beach-Tennis ist eine weitere ziemlich beliebte Bewegungsform im Sand. Und vor den Stränden, die wie Copacabana oder Ipanema dem offenen Atlantik zugewandt sind, reiten Surfer auf den Wellen der Brandung.
Selbst wenn - nicht zuletzt auch wegen des tropischen Klimas - vieles andere eher ein bisschen vergammelt aussieht, entdeckt man überall fast neu wirkende Trimmgeräte. Und meistens tobt sich irgendjemand gerade an ihnen aus. An mehreren Orten bieten zudem selbsternannte Fitnessgurus eine Art Zirkeltraining im Sand an, bei dem sie mit relativ einfachen Mitteln wie Hütchen oder Fahnen jeweils ihren eigenen Hindernisparcours aufbauen. In Rio geht man zum Training eben nicht in ein geschlossenes Studio, man geht an den Strand.
Vermutlich hat es durchaus ein wenig mit der enormen Bedeutung, die in Brasilien einem gut aussehenden Körper beigemessen wird, zu tun, dass sich an nahezu jeder Straßenecke von Rio de Janeiro eine "drogaria" oder "farmacia" finden lässt. Schließlich gibt es dort eine Menge Mittelchen zu kaufen, mit denen man von außen - und manchmal auch von innen - am eigenen Erscheinungsbild arbeiten kann.
Es gibt aber noch erheblich drastischere Methoden. Wer beim Bummeln durch die Straßen der Stadt die Augen offen hält, wird immer wieder einmal Werbung für einen "cirurgião plástico" oder eine Kollegin - eine "cirurgiã" - des gleichen Spezialgebietes entdecken. Angeblich gibt es nämlich nirgendwo so viele Schönheitsoperationen wie in Brasilien. Selbst in den für eifriges Herumschnippeln aus ästhetischen Gründen berüchtigten Vereinigten Staaten im Norden des Doppelkontinentes sollen es deutlich weniger sein.
Dass man bei dem vielleicht doch etwas übertriebenen Körper-, Sport- und Jugendwahn - selbst die Gruppe in Ehren ergrauter Skateboardfahrer kurz vor dem Rentenalter, die überall sonst wohl doch ziemlich auffallen würden, ist auf Rios Strandpromenaden so völlig normal, dass sich niemand nach ihr umdreht - trotzdem erstaunlich viele Übergewichtige zu Gesicht bekommt, scheint ein Widerspruch. Doch passt es andererseits wieder ganz gut zur Schönheitschirurgie. Denn eine der Spezialitäten brasilianischer Ärzte ist eben auch Fettentfernung.
Es sind als Ausnahme von der Regel allerdings keine Sportler sondern Nachtschwärmer, denen die Läufer begegnen, als sie sich in der Dunkelheit des ziemlich frühen Sonntagmorgens von ihren Hotels auf den Weg zu den Bussen machen. Auch wenn den Startunterlagen ein großer Plastiksack für Überzieh- und Wechselbekleidung beigelegt war, benötigen sie davon nicht allzu viel. Denn die brasilianische "Winternacht" ist mit Temperaturen um zwanzig Grad recht angenehm.
Sternenklar kommt sie jedoch nicht daher. Vielmehr hängen die Wolken ziemlich tief und dicht über der Stadt. Und noch am Vorabend hatte es sogar ein wenig geregnet. Das ist in Rio nun wirklich nicht ungewöhnlich. Denn auch das Bild von der ewig sonnenbeschienenen Stadt ist ein ziemlicher Irrtum. Zwar sind Juli und August die niederschlagsärmste Periode des gesamten Jahres. Doch fällt in ihnen aufgrund des tropischen Klimas eben trotzdem fast genauso viel Wasser vom Himmel wie während regenreicher Monate in Mitteleuropa.
Wie heftig es werden kann, davon können alle Teilnehmer des Marathons im Jahr zuvor ein Lied singen. Denn praktisch während des gesamten Rennens schüttete es damals wie aus Eimern. Der auf der Messe eigentlich zur Einstimmung auf den Lauf gezeigte Film der letzten Auflage hat dann auch in manchen Passagen einen fast schon ein wenig abschreckenden Charakter. Von jenem traumhaften Panorama, das man mit Rio de Janeiro verbindet, ist auf ihm jedenfalls wenig zu sehen. Verglichen damit sind die Bedingungen also gar nicht einmal so übel.
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Busse bringen die Läufer noch vor Einbruch des Morgens aus dem Zielbereich zu den weit außerhalb der Innenstadt gelegenen Startpunkten |
Zwei schier endlose Reihen von Bussen ziehen sich entlang der Straße, die den Flamengo-Park ganz scharf vom gleichnamigen Stadtteil trennt. Direkt neben der Bebauung warten die Fahrzeuge für die Marathonis. Auf der gegenüber liegenden, dem Park zugewandten Seite sollen die Läufer der Halbdistanz einsteigen. Das war schon auf den Lageplänen ganz sauber eingezeichnet. Die zusätzlich aufgestellten Schilder - natürlich in den passenden Farben - sorgen am Morgen für weitere Klarheit.
Und zu guter Letzt gibt es dann ja auch noch die Helfer, von denen eine gleichmäßige Verteilung der anstehenden Läufer auf die langsam zum eigentlichen Einstiegspunkt nach vorne rückenden Busse organisiert wird. Dass sie dabei regelmäßig noch einmal nach der gemeldeten Strecke fragen, bevor die Sportler durch die Tür klettern dürfen, versteht sich fast von alleine. Schließlich soll niemand am Ende am falschen Startort landen.
Sie sammeln dabei auch das Ticket ein, das zur Fahrt berechtigt. Es lag den Startunterlagen bei - allerdings nur wenn man es bei der Anmeldung eigens bestellt hatte. In diesem Fall wurden dann zehn Reais - das offizielle Symbol der Währung ist übrigens "R$", doch findet man bei Preisangaben häufig auch nur ein "R" oder das verwirrende "$" als Abkürzung - zusätzlich in Rechnung gestellt. Wer will, kann sich diesen Betrag auch sparen, muss dann aber den Transport selbst organisieren. Billiger dürfte diese Variante am Ende jedoch kaum werden.
Während die mit ihrer Front zur Innenstadt zeigenden Halbmarathon-Busse irgendwie falsch ausgerichtet zu sein scheinen, stehen die Fahrzeuge für den Marathon bereits in der vermeintlich richtigen Richtung. Denn beide Kurse werden unter Aussparung des Zentrums von Rio de Janeiro aus den am Atlantik gelegenen "bairros" zum Ziel heran geführt. Würden die Fahrer einfach dem Küstenverlauf folgen, käme sie nach etwa vierzig Kilometern am Startpunkt der langen Distanz an.
Nach dem Losfahren drehen die "motoristas de ônibus" ihre Gefährte allerdings gleich bei der ersten Gelegenheit um hundertachtzig Grad und steuern wider Erwarten erst einmal den Hochhäusern von "Centro" entgegen. Selbst wenn die Laufstrecken den Stadtkern eigentlich überhaupt nicht berühren, kann man also auch am Renntag zumindest einen kleinen Eindruck von dem erhaschen, was es neben Copacabana und Zuckerhut in der Metropole noch alles zu sehen gibt.
Denn es ist beinahe schon ein wenig unfair, die eigenen Vorstellungen von Rio einzig und allein auf lange Strände und markante Berge zu beschränken. Die Stadt hat weitaus mehr zu bieten. Schließlich spiegelt sich in den aus unterschiedlichsten Epochen stammenden und in noch mehr architektonischen Stilen errichteten Gebäuden viel von der Geschichte des Landes wider, das rund zwei Jahrhunderte von ihr aus verwaltet wurde.
Es beginnt historisch gesehen rückwärts. Denn noch bei der Fahrt durch den Parque do Flamengo passieren die Busse das "Monumento Nacional aos Mortos da Segunda Guerra Mundial". Das in seinen Ausmaßen ohnehin schon ziemlich monumental geratene, andererseits aber ziemlich nüchtern ausgefallene Denkmal wird von einem Turm überragt, der in seiner Form entfernt an den griechischen Buchstaben "pi" erinnert und dank Beleuchtung auch in der Dunkelheit des frühen Morgens weithin sichtbar ist.
Wie man mit ein wenig Kenntnissen in romanischen Sprachen bereits aus dem Namen erahnen kann, soll es an eine hierzulande weitgehend übersehene Beteiligung Brasiliens am Zweiten Weltkrieg erinnern. Denn obwohl das Land zu jener Zeit von einer Militärdiktatur beherrscht wurde, griff es schließlich auf alliierter Seite in den Konflikt ein, nachdem mehrere brasilianische Handelsschiffe auf dem Weg in die USA von deutschen U-Booten versenkt worden waren.
Sogar Bodentruppen entsandte man nach Europa. Sie kämpften hauptsächlich in Norditalien. Allerdings hielt sich die Stärke des Expeditionskorps mit etwa fünfundzwanzigtausend Mann in überschaubaren Grenzen. Dennoch kehrten ungefähr tausend der eingesetzten Soldaten nicht mehr lebend in die Heimat zurück. Etwa die Hälfte von ihnen ist sogar in dem auch als Mausoleum dienenden Monument beigesetzt.
Direkt dahinter liegt die "Marina da Glória", jener kleine Yachthafen, von dem bei den Olympischen Spielen die Segler zu ihren Wettbewerben in der "Baía de Guanabara" starten sollen. Dass der Name im Moment in den Medien ziemlich präsent ist, hat allerdings ziemlich negative Ursachen. Denn nach wie vor fließen viele Abwässer weitgehend ungeklärt in die Bucht. Und auch bei der Abfallentsorgung geht man in Brasilien weitaus weniger sorgfältig vor als im Norden Europas.
So gilt die Bucht, deren Wasser sich nur durch eine etwa zwei Kilometer breite Öffnung mit dem offenen Meer austauschen kann, längst als riesige flüssige Müllhalde, in der Sportlern nicht nur Plastikflaschen oder -tüten sondern auch schon einmal Möbelstücke und tote Tiere entgegen treiben können. Immer wieder einmal liest man zudem von Athleten aus aller Welt, die nach ihren Testwettkämpfen und Trainingslagern im zukünftigen Olympiagewässer über Hautausschläge, Magen-Darm-Erkrankungen oder andere Infektionen klagen.
Von einer der nächsten Straßeneinmündungen lässt sich das "Teatro Municipal" mit seinen golden verzierten Kuppeln erkennen. Der prunkvolle Bau nimmt das Ende eines lang gestreckten Platzes ein, der nach einem früheren brasilianischen Präsidenten formell "Praça Floriano Peixoto" heißt. Von allen wird er jedoch nur "Cinelândia" genannt, was übersetzt etwa "Kinoland" bedeutet und darin begründet ist, dass sich einst ringsherum etliche große Lichtspielhäuser befanden.
Die unter der Freifläche befindliche U-Bahn trägt dann auch diese den meisten Einheimischen viel geläufigere Bezeichnung. Ungewöhnlich ist dies keineswegs. In Brasilien haben Spitz- und Rufnamen ohnehin häufig einen quasi offiziellen Status. Schließlich hat bekanntermaßen kaum einer jener unzähligen Fußballer aus dem riesigen Land, die in einer der weltweiten Profiligen kicken, den gleichen Namen auf dem Trikot stehen, der sich in seinem Pass findet.
Selbst der letzte Präsident Luiz Inácio da Silva wurde von seinen Bürgern allgemein nur "Lula" genannt. Und von seiner Nachfolgerin Dilma Rousseff schreibt die gesamte brasilianische Presse - und zwar längst nicht nur Boulevardblätter sondern auch Qualitätsmedien - ebenfalls fast immer nur den Vornamen. Man stelle sich einmal vor in Zeitungen wie der Frankfurter Allgemeinen oder der Süddeutschen, der Zeit oder der Welt würde man stets nur von "Angie" oder "Gauckie" lesen.
Während der Bus an "Cinelândia" nicht direkt vorbei kommt, liegt ein zweiter wichtiger Platz der Altstadt Rios, die "Praça XV de Novembro" genau neben der Fahrtstrecke. Auch in diesem Fall gibt es übrigens mit der Verkürzung "Praça Quinze" eine im täglichen Gebrauch weit üblichere Bezeichnung. Wirklich zentral liegt er eigentlich nicht, denn er reicht bis ans Ufer der Bucht heran. An dieser Ecke legen dann auch die Fähren in die Schwesterstadt Niterói ab.
Doch gruppiert sich um ihn herum eine ganze Reihe erwähnenswerter Gebäude. Obwohl sich das Datum auf den Gründungstag der brasilianischen Republik bezieht, ist das historisch wichtigste davon wohl der "Paço Imperial". Auf Deutsch bedeutet dies "kaiserlicher Palast". Und dies ist tatsächlich im Wortsinne zu verstehen. Denn von 1822 bis 1889 existierte für beinahe sieben Jahrzehnte ein "Kaiserreich Brasilien", dessen Herrscher in diesem eher unscheinbaren Bau residierten.
Errichtet wurde er Mitte des achtzehnten Jahrhunderts eigentlich als Sitz des portugiesischen Gouverneurs. Als dann aber 1807 die Truppen Napoleons das Mutterland besetzten, floh die Königsfamilie nach Brasilien und machte Rio de Janeiro zur neuen Residenz des sich immerhin über vier Kontinente erstreckenden Kolonialreiches. Aus dem "Paço dos Vice-Reis", dem "Palast der Vizekönigs" wurde so der "Paço Real".
Erst 1821, also lange nach der Vertreibung Napoleons, kehrte König João VI in die Heimat zurück. Kronprinz Pedro blieb als sein Vertreter und Statthalter allerdings im über die Jahre deutlich erweiterten Palast von Rio zurück. Brasilien war inzwischen nämlich zu einem eigenen, politisch gleichgestellten Königreich erklärt worden, das mit der früheren Kolonialmacht zumindest formal nur durch den gemeinsamen Monarchen verbunden war.
Obwohl dieses "Vereinigte Königreich von Portugal, Brasilien und den Algarven" - der offizielle Name des Landes lautete aus historischen Gründen bereits zuvor "Reino de Portugal e dos Algarves" - für João durchaus akzeptabel war, stieß die Konstellation bei konservativen Kräften in Portugal eindeutig auf Ablehnung. Es gab deswegen erhebliche Bestrebungen Brasilien wieder zu einer simplen Kolonie ohne eigene Rechte zu machen.
Praktisch gleichzeitig waren in Lateinamerika allerdings auch starke Unabhängigkeitsbewegungen entstanden. In den spanischen Kolonien ringsherum war es bereits zu offenen Aufständen unter den praktisch auf dem gesamten Kontinent als Freiheitshelden geltenden Simón Bolívar und José de San Martín gekommen. In Brasilien regte sich ebenfalls erheblicher Widerstand dagegen, die gerade gewonnenen Rechte wieder entzogen zu bekommen.
Nachdem der Konflikt im Jahr 1822 langsam zu eskalieren begann, erklärte Pedro - vermutlich durchaus mit Rückendeckung seines Vaters - Brasilien für vollkommen unabhängig von Portugal und ließ sich selbst zum Kaiser einer konstitutionellen Monarchie ausrufen. Selbst wenn es in den Folgemonaten noch zu einigen bewaffneten Auseinandersetzungen mit den im Land stationierten portugiesischen Truppen kam, verlief die Loslösung Brasiliens vom Mutterland so weit schneller und unblutiger als im Rest des Kontinents.
Dem früh verstorbenen Pedro I folgte sein noch minderjähriger Sohn Pedro II nach. Rund ein halbes Jahrhundert lang trug er die brasilianische Krone. Doch trotz seiner hohen persönlicher Beliebtheit sowie eines erheblichen wirtschaftliche und kulturellen Aufschwunges während seiner Regierungszeit wurde die Monarchie zunehmend als Relikt der Kolonialzeit empfunden. Ein Putsch des Militärs vertrieb den Kaiser schließlich vom Thron.
Das kaiserliche Wappen verschwand aus dem Zentrum der brasilianischen Flagge, die schon zuvor eine gelbe Raute auf grünem Grund zeigte. Es wurde durch einen blauen Kreis ersetzt, der entgegen einer weit verbreiteten Annahme keineswegs den Erdball zeigt. Vielmehr handelt es sich um den Sternenhimmel, der an genau jenem 15. November 1889 über Rio zu erkennen war, an dem die Republik ausgerufen wurde.
Ganz ähnlich wie beim "star spangled banner" der Vereinigten Staaten steht jeder einzelne der Sterne zudem für einen der siebenundzwanzig Bundestaaten. Territoriale Änderungen wie zuletzt Ende der Achtziger, als vier neue "estados" gebildet wurden, ziehen also jedes Mal eine komplette Neuberechnung der Fahne nach sich. Die so einfach wirkende und leicht zu identifizierende Flagge Brasiliens ist in Wahrheit also eine der kompliziertesten der Welt.
Neben dem nun als Kulturzentrum dienenden Kaiserpalast steht ein Gebäude, das mit seiner Säulenfront weitaus älter aussieht, als es in Wahrheit ist. Erst 1926 wurde nämlich der "Palácio Tiradentes" - in diesem Fall wird von den zwei Möglichkeiten, die das Portugiesische für den Begriff "Palast" bietet, die lange Variante und nicht das verkürzte "paço" benutzt - als Sitz des brasilianisches Parlamentes eingeweiht. Nach dessen Umzug in die neue Hauptstadt Brasília übernahm dann das Parlament des Bundesstaates den freigewordenen Sitzungsaal.
Der Bezeichnung "Tiradentes" - auf Deutsch "Zähnezieher" - begegnet man in Brasilien durchaus häufiger. Gleich mehrere Städte und Orte heißen so. Und nur etwa einen Kilometer westlich vom Palast stößt man in Rio der Janeiro auch noch auf eine "Praça Tiradentes". Namensgeber ist Joaquim José da Silva Xavier, der sich sein Geld im achtzehnten Jahrhundert unter anderem damit verdiente, den Leuten schmerzende Zähne zu ziehen.
Doch natürlich sind nicht deswegen Straßen, Orte und Gebäude nach ihm benannt. Vielmehr war er Anführer einer Gruppe, die schon drei Jahrzehnte vor der tatsächlichen Unabhängigkeit die Loslösung von Portugal anstrebte. Von einem Mitverschwörer verraten wurde er unweit des Platzes, der seinen Namen trägt, zur Abschreckung öffentlich hingerichtet. Mit der Einführung der Republik stilisierte man ihn zum Nationalhelden hoch. Sein Todestag wurde sogar zu einem noch heute existierenden landesweiten Feiertag erklärt.
Wirklich harmonisch ist die Bebauung rund um die "Praça Quinze" zwar nicht unbedingt. Denn einige moderne Glas- und Betonpaläste mischen sich unter die alten Bauten. Doch grenzen eben auch mehrere idyllische Altstadtgassen an den Platz. Und im Umkreis von wenigen hundert Metern stößt man zudem auf mehr als ein halbes Dutzend Kirchen aus der Kolonial- und Kaiserzeit, die eine nähere Betrachtung auch von innen wert sind.
Wider Erwarten ist dabei nicht etwa die größte von ihnen, die vom Verkehr umtoste "Igreja de Nossa Senhora da Candelária" die alte Kathedrale Rios. Vielmehr war die hinsichtlich ihrer Ausmaße eher bescheiden ausgefallene "Igreja de Nossa Senhora do Monte do Carmo" schräg gegenüber des Palastes der Kardinalssitz. Vor vier Jahrzehnten wurde dann allerdings ein riesiger moderner Neubau eingeweiht, dessen Betonkegel von außen wenig an ein Gotteshaus erinnert. Durch hohe bunte Glasfenster ist die Kirche im Inneren aber zumindest ein bisschen einladender.
Recht gewöhnungsbedürftig ist der Fahrstil, den die "motoristas de ônibus" beim Durchqueren der Innenstadt an den Tag legen. Nicht nur dass sie die eigentlich noch gar nicht so alten, aber dennoch eher klapprigen Linienbusse bei ihren Schalt- und Lenkvorgängen alles anders als sanft behandeln. Auch rote Ampeln sind am frühen Morgen nur bedingt interessant. Gestoppt wird nur, falls es sich aufgrund des Verkehrs tatsächlich überhaupt nicht mehr vermeiden lässt.
Zu späteren Uhrzeiten, wenn die Straßen Rios wesentlich belebter sind, setzen sich Bus- und Autofahrer zwar nicht mehr ganz so rigoros über Rotsignale hinweg. Doch wer als Besucher in der Stadt unterwegs ist, gewöhnt sich schnell an eine gewisse brasilianische Lässigkeit hinsichtlich der Einhaltung geltender Verkehrsregeln. Und recht bald geht man ebenfalls einfach irgendwo über die Straße, sobald es die Situation zulässt. Zebrastreifen oder Ampeln sind dagegen eher hinderlich.
Das Ganze ist ähnlich anarchisch wie in Italien. Allerdings fehlt jene unterschwellige Aggressivität, die auf der Stiefelhalbinsel im Straßenverkehr nicht selten zu beobachten ist. Die Hupkonzerte, die in italienischen Metropolen eigentlich fast schon zu den alltäglichen Hintergrundgeräuschen zu zählen sind, hört man trotz der chronisch überlasteten und verstopften Straßen in Rio den Janeiro jedenfalls eher selten.
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Während die "Igreja Nossa Senhora da Glória do Outeiro" auf einem Felsen über Rio thront ... | findet sich die "Igreja de São Francisco de Paula" mitten in den Gassen der Altsdtadt |
Brasilianische Fahrzeuglenker sind zwar ebenso ständig und überall auf der Suche nach irgendwelchen - wohlgemerkt keineswegs immer unbedingt erlaubten - Umgehungslösungen zum eigenen Vorteil. Doch ist die Einstellung zum Ergebnis eben trotzdem weit entspannter. Wenn der Versuch funktioniert, ist es gut. Wenn es nicht klappt, dann ist es auch egal. Im Zweifelsfall nimmt man zur Entspannung der Lage dann eben den Daumen nach oben - ein von jedem Brasilianer verstandenes und in beinahe jeder Situation benutztes Handzeichen.
"Todo bem" - "alles gut" - soll es meist aussagen. Eine Floskel, die auch im Gespräch fast ständig auftaucht und die ziemlich positive Lebenseinstellung der meisten "Brasileiros" in exakt zwei Worte fasst. Das Symbol kann aber durchaus auch einmal "danke" bedeuten, falls jemand zum Beispiel auf einer der Strandpromenaden einem entgegen kommenden Radfahrer frühzeitig Platz macht. Oder ein "gut gemacht", wenn man als Ausländer tatsächlich einen halbwegs unfallfreien portugiesischen Halbsatz zustande bekommt.
Nach dem Passieren des Stadtzentrums steuern die Busse die Autobahn zum Flughafen an und entfernen sich dabei eigentlich immer weiter von den Startpunkten, bevor sie schließlich dann doch auf eine nach Südwesten führende Schnellstraße einschwenken, an deren Ende sich die Wege von Halb- und Vollmarathonis erst einmal trennen. Rund eine Stunde dauert die manchmal doch etwas rumplige Fahrt für beide Gruppen. Und insbesondere die "Kurzstreckler" legen auf ihr weit mehr als die Wettkampfdistanz zurück.
Die Läufer, die sich die längere Strecke vorgenommen haben, werden an der "Praça do Pontal" im Stadtteil "Recreio dos Bandeirantes" ausgeladen. Entgegen des Namens handelt es sich aber nicht um einen freien Platz sondern eher um einen kleinen Park, an den sich mehr oder weniger direkt der Strand anschließt. Nicht einmal eine Steinwurf entfernt ragt die "Pedra do Pontal" aus dem Ozean - ein wuchtiger Felsen, der je nach dem tidenbedingten Wasserstand auch ohne nasse Füße erklettert werden kann.
Ausreichend Raum für die Marathon-Infrastruktur ist in der Grünanlage und auf den Rasenstreifen neben der Straße problemlos vorhanden. Angesichts des tropischen Klimas ist diese auch eher schmal ausgefallen. Neben dem Starttor, einem mit Gittern abgesperrten Aufstellungsbereich sowie den unvermeidbaren Mobiltoiletten entdeckt man ansonsten eigentlich nur noch die Busse, bei denen man den Plastiksack mit der Wechselbekleidung abgeben kann. Fast alles spielt sich im Freien ab. Nur für Topläufer und Honoratioren hat man ein kleines Zelt aufgebaut.
Nach und nach gehen die Scheinwerfer aus, die den Platz anfangs noch erleuchtet hatten, denn inzwischen hat die Dämmerung eingesetzt. Bis zum Start des Hauptfeldes um halb acht würde dann theoretisch auch die Sonne am Himmel stehen. Doch hat sie es an diesem Morgen relativ schwer sich durch die kompakte Wolkendecke hindurch zu brennen. Sie hängen zudem so tief, dass von den Spitzen der achthundert bis tausend Meter hohen Berge, die als grüne Inseln aus dem Häusermeer aufragen, nicht viel zu sehen ist.
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Angesichts der warmen Temperaturen sind größere Aufbauten an der "Praça do Pontal" nicht nötig. Zum Warten, Umziehen und Vorbereiten genügt die Parkanlage voll und ganz |
Wie bei den ganz großen Marathons in Boston, New York oder London werden die Frauen der "Elite Feminina" vor dem Rest des Feldes auf die Strecke geschickt. Bereits um sieben ertönt für sie das Startsignal. Dabei können die als interessiert zuschauenden übrigen Läufer schon einmal überrascht feststellen, dass sie später keineswegs gleich dem Stadtzentrum entgegen sondern erst einmal in genau entgegengesetzter Richtung loslaufen werden. Eine Einführungsschleife sorgt dafür, dass man die schnellen Damen bald darauf noch einmal beklatschen darf.
Neben Südamerikanerinnen und einigen Sportlerinnen aus Ostafrika findet sich im vorbei eilenden Pulk eine Athletin, die man hierzulande ziemlich gut kennt. Denn auch die Deutsche Anna Hahner gehört zur Kopfgruppe. Ihre Zwillingsschwester Lisa ist in Rio de Janeiro ebenfalls läuferisch aktiv. Doch war sie noch etwas früher und an einem anderen Punkt gestartet. Sie beschränkt sich nämlich auf die halb so lange Distanz.
Beide nennen die Teilnahme am Olympiamarathon von Rio als ihr mittelfristiges Ziel. Und da dieser fast genau ein Jahr später stattfinden wird, können sie so wenigstens die klimatischen Gegebenheiten auf jeden Fall schon einmal testen. Der Kurs wird jedoch im August 2016 ein völlig anderer sein als beim "normalen" Marathon. Denn dann sollen sich sowohl der Start als auch das Ziel im berühmten "Sambódromo" befinden.
Siebenhundert Meter ist jenes auf halbem Weg zwischen Altstadt und Maracanã gelegene "Karnevalsstadion" lang, in dem während der tollen Tage die großen Paraden stattfinden. In den vier letzten Nächten vor Aschermittwoch ziehen die verschiedenen Sambaschulen mit unzähligen Tänzern und Trommler sowie etlichen Festwagen durch die vollbesetzte Arena. Eine Jury bewertet dabei die Vorstellungen nach einer Vielzahl von Kriterien. Und nach Abschluss aller Umzüge wird die in ihren Augen beste Gruppe zum Sieger erklärt.
Einen besseren Veranstaltungsort für das Ende eines wichtigen Straßenlaufes kann man sich wohl kaum vorstellen. Jene Tribünen, die bei anderen Rennen mühsam mit Stahlrohrgestellen vor dem Ziel errichtet werden müssen, sind in Rio bereits vorhanden. Und das auch noch in einer wesentlich größeren Dimension. Schließlich nehmen die Ränge zu beiden Seiten dieser wahrlich imposanten Zielgerade beim Karneval rund neunzigtausend Zuschauer auf. Für die "Maratona da Cidade do Rio de Janeiro" wäre das Sambódromo aber wohl doch ein wenig zu gewaltig geraten.
Nachdem die Eliteläuferinnen zum zweite Mal die Praça do Pontal vorbei gekommen und nun tatsächlich auf dem Weg in Richtung Flamengo sind, versammelt sich dann auch der große Rest des Feldes zwischen den Absperrgittern. Trotz der durchaus beachtlichen Zahl von fünftausend Teilnehmern gibt es dabei - abgesehen natürlich von der für die männlichen Asse freigehaltenen ersten Reihe - keine Einteilung in unterschiedliche Startblöcke.
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Schon der Startbereich des Rio Marathons ist aus mitteleuropäischer Sicht ziemlich ungewöhnlich und durchaus ein wenig exotisch |
Dass die Aufstellung trotzdem ohne Hektik und Geschiebe dafür aber mit der in Brasilien üblichen Gelassenheit geschieht, versteht sich jedoch fast von alleine. Selbst in den letzten Minuten wird noch überall eifrig über die nicht allzu hohen Geländer geklettert. Irgendwo findet sich in dem nicht wirklich dicht gedrängten Pulk schließlich immer ein Plätzchen. Kommt es doch einmal zu einem kleinen Rempler, weil die Lücke etwas zu eng wird, nimmt man einfach den Daumen hoch. "Todo bem" eben. Alles ist gut.
Aus den Boxen dröhnt übrigens die ganze Zeit die bei solchen Gelegenheiten meist übliche internationale Popmusik. Von heißen brasilianischen Rhythmen keine Spur. Auch auf der Strecke wird man später nirgendwo eine der vermeintlich allgegenwärtigen Trommlergruppen entdecken können. Bei praktisch jedem mitteleuropäischen Stadtmarathon gibt es am Straßenrand mehr Samba als in Rio de Janeiro. Es ist vielleicht kein wirklicher Irrtum, aber das Bild, das man über diese Stadt im Kopf hat, stimmt auch in diesem Fall nicht unbedingt mit der Realität überein.
Immerhin ist das Herunterzählen der verbleibenden Sekunden auf Portugiesisch einigermaßen landestypisch. Gleich nach dem Start, den übrigens ein Ehrengast namens Vanderlei Cordeiro de Lima durchführt, zieht die Straße, die sich - wie man bei der Anfahrt im Dämmerlicht erahnen konnte - in entgegengesetzter Richtung kilometerlang am Küstenverlauf orientiert, ein wenig vom Ozean weg. Zwischen das Wasser und die Läufer schiebt sich relativ schnell eine Häuserreihe.
Im Gegensatz zu den stadtnäheren Strandbezirken geht die Bebauung im Viertel "Recreio dos Bandeirantes" weniger in die Höhe als in die Breite. Sie besteht hauptsächlich aus drei- bis vierstöckige Apartmentbauten. Gelegentlich mischt sich zwischen sie sogar das eine oder andere Einfamilienhaus. Die meisten Gebäude sehen noch relativ neu aus. Und tatsächlich hat sich der hauptsächlich von der oberen Mittelschicht bewohnte Stadtteil erst in den letzten Jahrzehnten wirklich entwickelt, als Immobilienfirmen gleich ganze Straßenzüge in die Landschaft stellten.
Wie bei so manchem "bairro" in Rio ist der Name aus europäischer Sicht ein wenig ungewöhnlich. Bedeutet er doch ungefähr "Ruheplatz der Bandeirantes" und bezieht sich auf jene Abenteurer, die im siebzehnten Jahrhundert auf der Suche nach Gold, Silber, Edelsteinen oder Sklaven in kleineren und größeren Gruppen das Innere des südamerikanischen Kontinents durchstreiften. Die Bezeichnung ist ihrerseits aus der bei den Raub- und Erkundungszügen mitgeführten Fahne abgeleitet, Denn diese heißt auf Portugiesisch "bandeira".
Dabei drangen die Bandeirantes weit über jene hundert Jahre zuvor vereinbarte, ungefähr von São Paulo bis zur Amazonasmündung verlaufende Demarkationslinie vor, mit der Spanien und Portugal die Neue Welt unter sich aufgeteilt hatten, ohne deren Bewohner oder andere Nationen überhaupt zu fragen. Von den Spaniern formal beanspruchte, aber nicht besiedelte Gebiete wurden dabei einfach großflächig in Besitz genommen. Dass Brasilien seine heutigen Ausmaße besitzt, geht hauptsächlich auf diese - später vertraglich auch anerkannten - Aktionen zurück.
Der größte Teil der Einführungsschleife des Marathons besteht aus einem auf Hin- und Rückweg zu absolvierenden Straßenzug. Und so beginnt auf der linken Spur irgendwann der Gegenverkehr. Wenig später rückt von der anderen Seite ein "morro" immer dichter an die Läufer heran. In Wörterbüchern wird dieser Begriff zwar in der Regel mit "Hügel" übersetzt. Doch sollte man sich in diesem Fall darunter keineswegs eine sanft geschwungene, grasbewachsene Kuppe vorstellen.
Die "Cariocas" - wie die Einwohner von Rio de Janeiro genannt werden - interpretieren ihn nämlich durchaus ein wenig weiter, als man es hierzulande tun würde. Während sie so ziemlich jede Erhebungen ringsherum grundsätzlich als "morro" bezeichnen, taucht das mit "Berg" zu übersetzende und von der Höhe vieler Spitzen eigentlich absolut gerechtfertigte Wort "montanha" in ihrem Sprachgebrauch praktisch nirgendwo auf. Selbst ein so steiler und blanker Felsen wie der Zuckerhut, den bei uns niemand "Hügel" nennen würde, landet am Ende in dieser Kategorie.
Der "morro" in Recreio dos Bandeirantes ist zwar für Rio weder besonders hoch noch besonders steil. Doch zeigt er mit einer Kombination aus tropischem Bewuchs und dazwischen aufblitzenden glatten Felspartien die typischen Charakteristika. Was aussieht, als wenn es von einem Gletscher abgehobelt worden wäre, ist in Wahrheit entstanden, weil durch Temperaturunterschiede und in Spalten eingedrungenes Wasser nach und nach große Gesteinsplatten abgesprengt wurden. Ein Prozess, der sich fast mit dem Schälen einer Zwiebel vergleichen lässt.
Immer stärker drückt der Berg die Straße und damit natürlich auch das Marathonfeld wieder dem Meer entgegen. Kurz bevor man wieder auf den Atlantischen Ozean stößt, beginnt nach einem guten Kilometer die eigentliche Wendeschleife, die nicht mehr als einen Häuserblock umfasst. Statt der schmal gewordenen Piste, die sich nun zwischen Fels und Wasser regelrecht hinein zwängt, weiter zu folgen, dreht die Laufstrecke wenig später mit einer regelrechten Spitzkehre in die andere Richtung und macht sich entlang der Uferpromenade auf den Rückweg.
Ein wenig eng ist es in diesem Abschnitt schon. Neben dem kleinen Sträßchen, das schon für eine Luxuslimousine ein wenig knifflig sein könnte, nehmen die Marathonis dann sowohl den parallel verlaufenden Radweg wie auch Fußgängerbereich mit in Beschlag. Aufpassen müssen sie dabei allerdings, um nicht im Getümmel über einen der vielen Begrenzungssteine zu stolpern, mit denen die Fahrbahn zu beiden Seiten eingefasst ist. Die schöne Aussicht über den Strand hinüber zur Pedra do Pontal lenkt zu allem Überfluss zusätzlich ab.
Ausgerechnet während der Anfangsphase, in der das Feld noch dicht beisammen ist, hat der Kurs des Rio-Marathons die Stellen mit der geringsten Breite. Für die fünftausend Teilnehmer, die das Rennen aktuell aufnehmen, mögen sie noch einigermaßen akzeptabel sein. Sollte der Lauf allerdings weiter wachsen, werden sich die Organisatoren wohl doch eine andere Lösung einfallen lassen müssen, um die wenigen Kilometer, die auf dem direkten Weg zwischen Start- und Zielpunkt zur gewünschten Distanz noch fehlen, irgendwie zu ergänzen.
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Zwischen dem Ozean und der "Lagoa de Marapendi" bleibt für Straße und Wasser nur ein schmaler Landstreifen |
Nur wenige hundert Meter orientiert sich die Strecke an der Küstenlinie. Dann zieht sie an der nächsten Einmündung erneut nach links. Kurz darauf ist man erneut auf der bereits vom Hinweg bekannten Gegenverkehrspassage angekommen. Und bald nachdem sie einen Blick auf die dritte der während des gesamten Rennens ganz exakt am Straßenrand positionierten Kilometertafeln geworfen haben, sind die Marathonis wieder zurück an jenem Punkt, an dem sie den Lauf zuvor begonnen hatten.
Nachdem der Startbogen - im Gegensatz zur Frauenspitze, die auf der Parallelfahrbahn am sich versammelnden Feld vorbei geleitet wurden - zum zweiten Mal passiert ist, können die Läufer am dort aufgebauten Verpflegungspunkt auch erstmals Flüssigkeit nachtanken. Das ist selbst ohne die warmen Strahlen der sich weiter hinter dichten Wolken versteckenden Sonne aufgrund der relativ hohen Luftfeuchtigkeit durchaus ratsam.
Doch bereits vor dem Start, als sich die Wartenden auch schon an diesem Stand bedienen konnten, war zu bemerken, dass man sich gegenüber den aus Europa oder Nordamerika bekannten Gepflogenheiten ein wenig umgewöhnen muss. Denn das Wasser wird nicht offen sondern in mit Alufolie verschlossenen Bechern gereicht, wie man sie hierzulande hauptsächlich für Joghurt benutzt.
In Brasilien ist es - genau wie in anderen Schwellenländern - jedoch vollkommen üblich bei Sportveranstaltungen Durstlöscher nur in abgepackter Form auszugeben. Wohl auch, weil nicht überall absolut garantiert ist, dass aus der Leitung kommendes Wasser stets die nötigte Qualität besitzt. Ebenso wird man die im Verlauf des Rennens an anderen Versorgungsposten gereichten Elektrolytgetränke dann in vom Hersteller eigens für solche Gelegenheiten fertig abgefüllten Plastiksäckchen in die Hand gedrückt bekommen.
Es gibt übrigens jeweils separate, räumlich vollkommen voneinander getrennte Stationen für beide angebotenen Getränke. An jeder Verpflegungsstelle bekommt man entweder nur "água" oder eben die "bebida esportiva" des Sponsors. Rund ein Dutzend Mal werden Wasserbecher für die Läufer bereit gehalten. Etwa halb so oft gibt es unterwegs die orangen Päckchen mit der gezuckerten Flüssigkeit. Verdursten kann man also kaum. Wer allerdings glaubt, unbedingt feste Nahrung zu benötigen, schaut nur bei Eigenbeschaffung und -transport nicht in die Röhre.
Noch ungefähr zwei Kilometer verläuft die Marathonstrecke auf der jetzt deutlich breiteren Uferstraße durch Recreio dos Bandeirantes. Doch von nun an ziehen sich die Neubauten des Viertels wirklich nur noch auf der linken Seite dahin. Rechts hat man hingegen die nicht wirklich sanften Wellen des Ozeans als ständige Begleiter. Würde man an einem der Zugänge abbiegen, wäre der Sand schon nach wenigen Schritten erreicht. Und wenig später hätten die Füße dann auch Wasserkontakt.
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Während rechts der Marathonis die Wellen
des Atlantik auf die Küste treffen
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scheinen die Geier auf den Laternenmasten über ihnen bereits auf erste Opfer zu warten |
Fast schnurgerade erstreckt sich die "Praia do Recreio" - wie der Strand von den Einheimischen genannt wird - nach Osten. Denn die brasilianische Küste verläuft im Bereich von Rio de Janeiro entgegen der Intuition eben nicht von Nord nach Süd. Sie orientiert sich vielmehr von Ost nach West. Selbst wenn sie an diesem Morgen gar nicht sichtbar ist, laufen die Marathonis also eigentlich der aufgehenden Sonne entgegen.
Und im Verlauf des Rennens passieren sie hauptsächlich die "Zona Sul". Denn die Stadtteile am Atlantik bilden die "Südzone" der Stadt. Die Baia de Guanabara findet sich dagegen ziemlich exakt im Osten Rios. Da die Einfahrt zur Bucht genau an der engsten Stelle vom Zuckerhut überragt wird, ist der markante Felsen nicht nur das Wahrzeichen der Metropole. Er erhebt sich außerdem auch auf ihrem südöstlichsten Zipfel.
Irgendwann weichen die Häuser zurück und die Läufer entdecken beim Blick nach links praktisch nur noch grün. Es handelt sich zwar nicht um jenen tropischen Dschungel, in den die Stadt Rio de Janeiro an den Hängen der zwischen den einzelnen "bairros" aufragenden Berge fast nahtlos übergeht sondern nur um grasbewachsene Hügel mit einigen Hecken und vereinzelten Bäume. Doch mit einem Citymarathon, wie man ihn sich im Normalfall vorstellt, haben die nun folgenden Kilometer wirklich ziemlich wenig zu tun.
Hinter den aus Dünensand bestehenden Bodenwellen lässt sich bald darauf ebenfalls Wasser erahnen. Denn die Uferstraße verläuft von jetzt ab über einen an manchen Stellen gerade einmal einhundert Meter breiten Landstreifen, der die hinter ihm liegende, langestreckte "Lagoa de Marapendi" vom offenen Meer trennt. Bis sich an diesem Umfeld wieder etwas ändert, werden die Marathonis bereits ein Drittel ihrer Distanz in den Beinen haben.
Fast überall, wo der Untergrund nicht aus steilen Felsen sondern aus flachem Schwemmland besteht, finden sich rund um Rio solche Lagunen. Alleine in diesem halbkreisförmig von Bergen umschlossenen Bereich der Metropole gibt es ein Stück landeinwärts mit der "Lagoa da Tijuca" und der "Lagoa de Jacarepaguá" noch zwei weitere dieser flachen Strandseen, die alle drei über schmale Wasserwege miteinander verbunden sind.
Zwischen sie zwängt sich ein weiterer der meist eher wohlhabenden Stadtteile der Atlantikzone von Rio de Janeiro. Auf der anderen Seite der Marapendi-Lagune ragen in mehreren Gruppen die Hochhäuser von "Barra da Tijuca" empor. Die Benennung des Viertels ist dabei durchaus passend. Denn "barra" bedeutet im Portugiesischen unter anderem "Sandbank", was seine Lage ja ziemlich treffend beschreibt. Der zweite Teil der Bezeichnung "Tijuca" ist dagegen indianischen Ursprungs und meint einen Sumpf oder ein Feuchtgebiet.
An den - von den Cariocas meist zu "Barra" verkürzten - Namen wird man sich spätestens im nächsten Sommer schnell gewöhnt haben. Denn vor und während der Spiele dürfte er in den Medien ziemlich häufig fallen. Neben dem Olympischen Dorf wird schließlich mit mehreren großen Sporthallen, dem Schwimm-, dem Tennis- und dem Radstadion zudem ein noch erheblicher Teil der Wettkampfstätten in diesem Stadtteil zu finden sein.
Ausnahmen sind hauptsächlich schon bestehende Arenen wie das Sambódromo, das Estádio do Maracanã, in dem die Eröffnungs- und Abschlussfeiern sowie natürlich Fußballspiele stattfinden sollen oder das bereits für die Panamerikanischen Spielen 2007 erbaute "Estádio Olímpico" für die Leichtathletik. Die neben dem Stadion gelegene "Sporthalle von Klein-Maracanã", der "Ginásio do Maracanãzinho" hat außer den Kontinentalspielen schon Weltmeisterschaften in Basketball und Volleyball gesehen. Und die Volleyballer sollen auch diesmal wieder dort antreten.
Dass es für die Beach-Variante dagegen eigentlich gar keine andere Austragungsstätte als den Copacabana-Strand geben kann, versteht sich beinahe von selbst. Und auch Triathleten und Langstreckenschwimmer werden dort ins Wasser springen. Ebenfalls eine Naturarena mitten im Stadtgebiet ist die "Lagoa Rodrigo de Freitas" von Ipanema, auf der die Ruderer und Rennkanuten ihre jeweiligen Medaillengewinner suchen. Ähnlich wie die Guanabara-Bucht ist diese jedoch im Moment hauptsächlich wegen ihrer schlechten Wasserqualität im Gespräch.
So optisch ansprechend die lange Gerade zwischen Strand und Lagune einerseits auch sein mag, so wenig Überraschendes kann sie andererseits irgendwann noch bieten. Und so bleibt ein wenig Zeit, sich im Läuferfeld umzuschauen. Neben der Tatsache, dass ein nicht unerheblicher Teil der Läufer gleich einmal das neu erhaltene orangefarbene Leibchen ausprobiert, fallen außerdem viele Gruppen in einheitlichen - oft recht bunt und kreativ gestalteten - Vereinstrikots auf.
Zwar ist es in Brasilien im Gegensatz zu Südafrika - wo man im Zweifelsfall zusätzlich zum normalen Startgeld eine Tageslizenz erwerben muss - auch ohne Mitgliedschaft in einem Club problemlos möglich an einer Veranstaltung teilzunehmen. Doch während hierzulande der Trend zur Individualisierung immer stärker voranschreitet, zeigen ansonsten die Laufszenen dieser beiden Länder durchaus vergleichbare Ansätze.
Bereits vor dem Start konnte man große Teams mit Dutzenden von Marathonis entdecken. Nicht bei allen von ihnen scheint es sich wirklich um Sportvereine im üblichen Sinne zu handeln. Auch kommerzielle Anbieter, die mit den Teilnehmern ihrer Vorbereitungskurse zum Rennen antreten, sind anhand der Bezeichnungen irgendwie zu erahnen. Doch ist man in Europa die Vielzahl und Stärke der gemeinsam antretenden Gruppierungen nun wirklich nicht mehr unbedingt gewohnt.
Direkt nach dem Zieleinlauf versammeln sich deren Mitglieder dann wieder, um die Bewältigung der Distanz ein wenig zu feiern. Rund um die "chegada" - wie das "Ziel" in Brasilien im Gegensatz zum einstigen Mutterland, wo man eher den Begriff "meta" verwendet, bezeichnet wird - gibt es dazu ein regelrechtes Zeltdorf, in dem die einzelnen Mannschaften ihre mitgebrachten Pavillons aufgebaut haben. Auch das erinnert ziemlich stark an die Laufveranstaltungen im Land am Kap der Guten Hoffnung.
Und vielleicht liegt es ja ein bisschen an diesen Gemeinsamkeiten, dass Brasilianer sich dort wohl genug fühlen, um beim traditionsreichen Comrades Marathon seit langem eines der stärksten ausländischen Kontingente zu stellen. Umgekehrt lassen sich in Rio de Janeiro dann aber auch eine Reihe von Südafrikanern entdecken, die ihre bunte und unverwechselbare Nationalfahne auf dem Trikot spazieren tragen.
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Die "autoestrada" setzt in etwa zwanzig Metern Höhe über den Kanal, der die Verbindung der drei Lagunen mit dem Atlantik darstellt, hinweg |
Weitaus schwerer als das Beobachten der Mitläufer ist es allerdings dann mit ihnen wirklich in Kontakt zu kommen. Das liegt selbstverständlich weniger daran, dass Cariocas oder Brasilianer ganz allgemein von Natur aus scheu, zurückhaltend oder gar ablehnend wären. Diesbezüglich trifft sicher eher das Gegenteil zu. Doch wer nicht einigermaßen gutes Portugiesisch beherrscht, stößt schnell auf eine ziemlich schwer zu überwindende Sprachbarriere.
Fremdsprachen sind in Brasilien nicht unbedingt weit verbreitet. Selbst in Hotels, Restaurants oder Geschäften, in denen ständig ausländische Besucher dieser internationalen Metropole verkehren, tut man sich häufig recht schwer damit. Bei Bus- oder Taxifahrern sollte man diesbezüglich eher noch weniger erwarten. Und wenn tatsächlich jemand nicht nur Portugiesisch spricht, dann ist nicht selten die Alternative keineswegs das weltweit als "lingua franca" dienende Englisch. Vielmehr kommt man oft besser mit Spanisch weiter.
Ganz so seltsam, wie es für einen Europäer im ersten Moment scheint, ist diese Konstellation am Ende allerdings trotzdem nicht. In Blick auf die Landkarte macht dies deutlich. In einem wahrlich riesigen Umkreis ist man schließlich nur von zweihundert Millionen Landsleuten mit der gleichen Muttersprache umgeben. In der gerade halb so großen EU gibt es dagegen vierundzwanzig verschiedene Amtssprachen.
Wenn sie die Grenzen ihres Heimatlandes - von Rio aus gesehen sind übrigens selbst bis zum nächstgelegenen Übergang weit mehr als tausend Kilometer zurück zu legen - tatsächlich überschreiten, treffen Brasilianer erst einmal auf kaum etwas anderes als Spanisch sprechende Lateinamerikaner. Gleich sieben der Nachbarländer - nämlich Uruguay, Argentinien, Paraguay, Bolivien, Peru, Kolumbien und Venezuela - gehören zum "Hispanidad" genannten Sprachraum.
Es gibt ohnehin auf dem ganzen Kontinent nur drei Ausnahmen. Diese grenzen zwar alle an Brasiliens Norden. Doch weder das englischsprachige Guyana noch Surinam, wo man als Andenken an die einstige Kolonialmacht Niederländisch verwendet, fallen wirklich ins Gewicht. Beide zählen schließlich jeweils weit unter einer Million Menschen. Und das als ganz normales Departement zu Frankreich - und damit auch zur EU - gehörende Französisch-Guyana kommt sogar auf noch weniger.
Jedenfalls sollte das "você fala inglês", mit dem man den gegenüber fragt, ob er denn Englisch spricht, eine der ersten Floskeln sein, die man sich einprägt. Denn selbst wenn man mit anderen romanischen Idiomen einigermaßen klar kommt, stellt gesprochenes Portugiesisch aufgrund seiner deutlich anderen Ausspracheregeln eine doch recht hohe Hürde dar. Und das "português brasileiro" ist dabei fast noch schwerer verständlich als "português europeu".
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Direkt hinter der Brücke taucht die Straße in einen Geländeeinschnitt ein, der auf drei Seiten von Hügeln umschlossen wird, und verschwindet irgendwann zur Unterquerung des Felsens im "Túnel do Joá" |
Denn die Abweichungen beschränken sich längst nicht nur auf die unterschiedliche Verwendung von "meta" und "chegada" oder den ebenfalls unterschiedlich benannten Beginn einer Laufstrecke, der in Portugal "partida" und in Brasilien "largada" heißt. Ganz amüsant ist übrigens, dass man "largada" und "chegada" schon am Flughafen lesen konnte, denn "Abflug" und "Ankunft" bedeuten die Wörter sowohl auf der einen als auch auf der anderen Seite des Atlantiks.
Die Umsetzung von Buchstaben in einzelne Laute führt in beiden Portugiesisch-Varianten ebenfalls oft zu ziemlich unterschiedlichen Ergebnissen. Außerdem sind weder Betonung noch Klangfarbe wirklich identisch. Während man sich im Mutterland wegen so mancher harter Zischlaute gelegentlich fast an slawische Sprachen erinnert fühlt, hört sich südamerikanische Spielart dabei meist deutlich weicher an.
Nicht umsonst wird sie gelegentlich als "português com açúcar" - auf Deutsch also "Portugiesisch mit Zucker" - bezeichnet. Häufig empfindet man die Unterhaltung von Einheimischen aufgrund der ungewohnten Sprachmelodie sogar beinahe schon als "gesungen". In solchen Momenten ist das Brasilianische bei oberflächlichem Zuhören fast mit dem ihm eigentlich weder linguistisch noch geographisch besonders nahen Italienischen zu verwechseln.
Geschriebenes ist in Rio dagegen oft mit ein wenig Phantasie noch einigermaßen verständlich. Gerade aus dem weitaus enger verwandten Spanischen lässt sich so manches ableiten. Und schnell erkennt man dabei auch einige sich ständig wiederholende typische Lautverschiebungen. So wird beim Portugiesischen aus der Endung "-ion" eigentlich stets ein "-ção" oder in der Mehrzahl ein "-ções". Eine "Information" heißt deswegen "informação". Wenn man gleich mehrere davon benötigt, sind es dann "informações".
Wer sich für den Marathon anmelden will setzt unter der Rubrik "inscrições" eine "inscrição" ab. Und aus den Zügen der Metro muss man eben an einer bestimmten "estação" aussteigen, um seine Startnummern zu erhalten. In diesem Beispiel zeigt sich - wie bei "estado" oder "estádio" - auch eine Spezialität der beiden iberischen Sprachen, die mit einem "st" am Wortanfang nicht wirklich klar kommen und in solchen Fällen stets noch ein "e" vorsetzen.
Wenn im Spanischen eine Endung mit "-ia" ausgesprochen wird, schreiben die Portugiesen und Brasilianer dagegen oft ein "-ha". Statt "Alemania" gibt man auf der "inscrição" für die "maratona do Rio" aus diesem Grund besser "Alemanha" an. Spanier sollten ebenfalls nicht "España" sondern "Espanha" nutzen. Unterwegs sieht man trotz der Wolken ringsherum viele "montanhas". Und nach dem Rennen bekommt man dann eine "medalha" umgehängt.
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Hinter dem Tunnel wird die Strecke über das untere Geschoss der nun doppelstöckig angelegten Straße geführt ... | ... die nach der Durchquerung eines weiteren Tunnels im Stadtteil São Conrado ankommt |
Selbst wenn diese Regel weit weniger allgemeingültig ist - so heißen Italien und Polen nämlich keineswegs "Italha" und "Polonha" sondern "Itália" und "Polónia" - kommt man mit ihr auf Anhieb ganz gut zurecht. Dass aus einem spanischen "l" ein portugiesisches "r" werden kann, ist dann doch schon etwas komplizierter. Doch finden sich auf dem Stadtplan mit "praça", "praja" oder "igreja" gleich unzählige Beispiele dafür. Denn die Nachbarn würden für "Platz", Strand" und "Kirche" die Gegenstücke "plaza", "playa" und "iglesia" benutzen.
Erkennt man dann noch das "a" und das "o" als die beiden Artikel, reicht es fast schon zum Lesen einfacher Sätze. Doch manchmal bleibt auch nichts anders übrig als ziemlich um die Ecke zu denken. Denn bis man darauf kommt, dass die Wochentage einfach durchnummeriert werden, mit "segunda-feira" der Montag und mit "sexta-feira" der Freitag gemeint ist, muss man schon die eine oder andere Wettervorhersage im Fernseher verfolgt haben. Nur am Wochenende tauchen in "sábado" und "domingo" die von der romanischen Verwandtschaft bekannten Bezeichnungen auf.
Es ist kaum verwunderlich, dass zum Abzählen der Zuschauer, die sich um diese Uhrzeit auf diesem recht abgelegenen Streckenabschnitt eingefunden haben, nicht allzu viele Hände benötigt werden. Man sollte aber vielleicht dazu sagen, dass sich diese Formulierung nur auf menschliches Publikum bezieht. Auf den Laternenmasten neben der Straße haben sich nämlich noch andere Beobachter eingefunden, die zumindest in europäischen Augen dann doch nicht ganz alltäglich sind.
Es handelt sich nämlich um Rabengeier, die sich allerdings nicht nur an der stadtfernen "Praia do Recreio" sondern auch überall an den Stränden des Zentrums beobachten lassen, wenn sie dort angeschwemmte Kadaver vertilgen oder auf der Suche nach Beute über dem Wasser kreisen. Der Name ist durchaus passend. Denn sie sind nicht nur rabenschwarz sondern mit einer Körperlänge von maximal einem dreiviertel Metern und einer etwa doppelt so weiten Flügelspanne auch tatsächlich kaum größer als ein echter Rabe.
Dennoch bleibt bei jeder Begegnung irgendwie ein seltsames Gefühl. Und unwillkürlich muss man angesichts der oben auf der Straßenbeleuchtung sitzenden Geier an den Disney-Zeichentrickfilm über das Fußballspiel der Tiere denken, in den die Greifvögel als "Sanitäter" auf Opfer aus der als ziemlich ruppig dargestellten Partie warten. In einer so frühen Phase des Marathons dürfte für den fliegenden Ordnungsdienst allerdings recht wenig zu holen sein.
Die Aasfresser sind bei weitem nicht die einzigen für Europäer ziemlich ungewohnten Lebewesen, die man in Rio beobachten kann. Dass in den Bäumen der Grünanlagen bunte Papageien lärmen, könnte man dabei sogar fast noch als normal bezeichnen. Wenn allerdings auf den Grasflächen darunter keine Kaninchen sondern Agutis - etwa gleich große und eine ähnliche ökologische Nische besetzende Nagetiere - sitzen, muss man sich schon erst einmal verwundert die Augen reiben.
Beinahe noch seltsamer ist es, statt Eichhörnchen die ähnlich großen Büscheläffchen durch die Sträucher und Bäume der Parks hüpfen zu sehen. Da die kleinen Primaten zudem auch genauso putzig aussehen wie die rotbraunen Nager, lässt sich so mancher Passant dazu verführen, sie mit Futter noch etwas näher heran zu locken. In diesen Momenten ist dann absolut nicht mehr zu verheimlichen, dass sich - ganz egal, wo man in Rio auch sein mag - der tropische Urwald stets irgendwo in der Nähe befindet.
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Mit Geiern, Papageien und Büscheläffchen ist die Fauna, die man mitten im Stadtgebiet Rios beobachten kann, völlig anders als in Deutschland |
Doch gibt es hinsichtlich der Exotik immer noch eine Steigerung. Denn beim Läufchen an der Lagoa in Ipanema - der sie umrundende Rad- und Fußweg gehört mit seinen mehr als sieben verkehrsfreien Kilometern neben den Strandpromenaden zu den beliebtesten Trainingsstrecken von Rios Ausdauersportlern - muss man insbesondere in der Dämmerung ständig damit rechnen, auf Capybaras zu treffen, die man ansonsten viel eher in der Wäldern des Amazonasgebietes erwarten würde.
Zwar passt deren deutscher Alternativname "Wasserschwein" in Bezug auf die biologische Systematik nicht unbedingt. Denn eigentlich handelt es sich ebenfalls um ein Nagetier. Doch kann dieses als größte Art in der gesamten Ordnung der Nager mit einer Körperlänge von weit über einem Meter und einem Gewicht von beinahe zwei Zentnern halt tatsächlich annähernd die Größe eines Hausschweines erreichen.
Was da in den dichten Hecken und den vielen Gewässern sonst noch alles kreucht und fleucht, will man - insbesondere, wenn es um Reptilien geht - nach einigen solcher Erlebnisse manchmal gar nicht mehr so genau wissen. Bei längst nicht jedem Tier, das aus dem nahen Dschungel in die bewohnten Gebiete der Stadt herüber kommt, handelt es sich schließlich nur um einen harmlosen Pflanzenfresser.
Man kann sich zur Beruhigung der Hoffnung hingeben, dass die unzähligen freilaufenden Katzen, denen man in den Parks von Rio ebenfalls begegnen kann, zumindest ein bisschen gegen das eine oder andere nicht ganz so niedliche Getier tun. Im Gegensatz zu den anderen genannten "animais" sind diese zwar nicht unbedingt exotisch. Aber es ist schon ziemlich ungewohnt die Schleichjäger, die man hierzulande zumeist nur als Einzelgänger sieht, in großen Gruppen mit weit über einem Dutzend Tieren zu beobachten.
Die Läufer nähern sich bereits der Marke von fünfzehn Kilometern, als Barra da Tijuca wirklich an die Küste vorstößt. Statt der vereinzelten, nur in weiten Abständen voneinander auftauchenden Strandbars aus Holz und Schilf hat man nun plötzlich eine beinahe durchgehende Reihe von Hochhäusern aus Beton und Glas als ständige Begleiter. Sowohl größere Hotelanlagen als auch Wohngebäude sind unter den architektonisch nur bedingt interessanten Bauten. Doch wirklich unterscheiden kann man beide Kategorien von außen ohnehin nicht.
Weiterhin führt die Route praktisch unentwegt geradeaus. Obwohl sie nun zumindest auf einer Seite wieder mehr Stadt- als Landschaftslaufcharakter besitzt, hat sich an dieser Tatsache genauso wenig geändert wie daran, dass rechts der Marathonis die Wellen des Meeres aufs Land treffen. Die Streckenführung direkt am Ozean ist zwar durchaus attraktiv. Doch nachdem man die Häuser erst einmal erreicht hat, hält sich die Abwechslung erneut in recht bescheidenen Grenzen.
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Agutis (links und mitte) oder Capybaras sieht man hierzulande selbst in Zoologischen Gärten eher selten, in Rio begegnet man ihnen dagegen in vielen Parks |
In dieser Form wird es noch einige Kilometer weiter gehen. Fast die Hälfte der gesamten Distanz wird nämlich entlang dieses nur minimal gekrümmten Küstenabschnittes absolviert. Erst in der Nähe der Halbmarathonmarke lässt sich am Horizont ein Ende der absolut flachen Uferstraße erahnen. Denn sie läuft auf einen "morro" - in diesem Fall ist die Bezeichnung "Hügel" aufgrund seiner nicht übermäßigen Höhe sogar passend - zu, der ein Stück weiter in den Atlantik hinaus ragt.
Die zwischenzeitlich recht breite Piste - jenseits eines in der Mitte verlaufenden Grünstreifens war einige Kilometer sogar eingeschränkter Autoverkehr möglich - ist in dieser Passage wieder deutlich enger geworden und beschränkt sich auf nur noch zwei Fahrspuren. Dass ausgerechnet an diesem Punkt zuvor die rund vierzehntausend Läufer der "meia maratona" auf die Strecke geschickt wurden, lässt sich wahrlich nicht unbedingt mit optimalen logistischen Voraussetzungen erklären.
Nicht nur die Besten unter ihnen sind längst im Ziel, als das Hauptfeld des doppelt so langen Rennens den Startplatz passiert. Dass der Sieger des Halbmarathons aus Ostafrika kommt, ist trotz der durchaus ernst zu nehmenden einheimischen Konkurrenz nicht unbedingt überraschend. Allerdings ist es weder ein Kenianer noch ein Äthiopier, der im Park von Flamengo ganz oben auf dem Siegertreppchen steht.
Die Heimat von Joseph Tiophil Panga ist vielmehr Tansania. Insbesondere in den Achtzigern und Neunzigern, als aus Kenia noch hauptsächlich Bahnspezialisten kamen, hatte das Land eine ganze Reihe guter Straßenläufer - genannt seien hier Juma Ikangaa und Suleiman Nyambui sowie die beiden Shanhanga- und die drei Naali-Brüder - zu bieten, die auch bei den ganz großen Stadtmarathons vorne mitmischen konnten. Im neuen Jahrtausend war die Konkurrenz der nördlichen Nachbarn dann aber so erdrückend, dass man ein wenig den Anschluss verlor.
In Rio ist der 1:04:07 laufende Panga jedoch keineswegs alleine. Denn nur sieben Sekunden nach ihm folgt sein Landsmann Saidi Juma Makula ins Ziel. Dass dabei dennoch nur der vierte Platz heraus springt, liegt an zwei ziemlich knappen Duellen mit Kenianern. Elijah Kipkemei Kemboi gibt sich nämlich beim Sprint um den Sieg praktisch bis zur Ziellinie nicht geschlagen und wird auf Rang zwei am Ende sogar noch mit der gleichen Zeit wie der Erstplatzierte geführt. Und Edwin Kiprop Kibet spurtet in 1:04:14 Makula ebenfalls nur hauchdünn davon.
Auch um die nächsten beiden Ränge wird es eng. Nach vier Afrikanern - die sich übrigens alle auf Wettkämpfe in Brasilien spezialisiert haben und dort auch für lokale "Rennställe" starten - sind es die beiden Einheimischen Gilmar Silvestre Lopes und Valerio de Souza Fabiano, die miteinander um den letzten Platz auf dem beim Rio Marathon fünfstufigen Podest kämpfen. Lopes hat dabei schließlich nach 1:04:43 die Nase um drei Sekunden vorne.
Bei den zuerst gestarteten und deswegen auch zuerst im Ziel ankommenden Frauen kann Brasilien allerdings den Heimsieg von Joziane Cardoso verbuchen. Doch mit 1:14:46 fällt auch dieser Erfolg gegenüber den 1:14:48, die Natalia Elisante Sulle - ebenfalls aus Tansania stammend - auf den nur langsam abtrocknenden Asphalt legt, keineswegs deutlich aus. Das Wechselspiel zwischen den beiden Nationen geht mit der 1:15:00 erzielenden Sueli Pereira da Silva und der ihr elf Sekunden später folgenden Failuna Abdi Matanga noch ein wenig weiter.
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Durch eine Seitenstraße erreichen die Läufer die Strandpromenade von São Conrado, das eines der kleinsten aber auch reichsten Viertel von Rio ist |
Dahinter zeigen Brasilianerinnen Rosangela Raimunda Pereira Faria (1:16:21), Rejane Ester Bispo da Silva (1:17:50) und Rosilene de Souza Ramos Benites (1:17:52) nicht nur sportliche Klasse sondern ganz nebenbei mit ihren doch ziemlich ausgedehnten bürgerlichen Namen wieder einmal, warum man am Zuckerhut im Alltag so gerne auf Spitznamen zurückgreift. Lisa Hahner, die im Frühjahr wegen eines Ermüdungsbruches eine längere Zwangspause einlegen musste, wird nach 1:18:50 doch schon weit abschlagen Achte.
Wenige Straßenblöcke hinter dem Halbmarathonstart folgt nach etlichen Kilometern auf der immer geradeaus führenden Uferstraße doch tatsächlich eine Linkskurve. Diese ist aber auch dringend nötig. Denn noch weiter direkt nach Osten wäre es an dieser Stelle überhaupt nicht gegangen. Schuld daran ist nicht etwa der schon seit einiger Zeit sichtbare und mit einigen alles andere als billig wirkenden Häusern bebaute Hügel. Zwischen ihm und den Läufern befindet sich vielmehr noch ein breiter Kanal, der die Verbindung der drei Lagunen mit dem Atlantik darstellt.
Nur hundert Meter weiter folgt an einer Autobahnbrücke gleich der nächste Linksschwenk. Hoch oben auf der Schnellstraße sind bereits andere Läufer zu erkennen. Auch in der soeben erst eingeschlagenen Richtung kommt man nämlich nicht allzu weit. Eine Rampe, die ansonsten eigentlich als Abfahrt dienen soll, bringt die Marathonis zur auf Stelzen stehenden Piste. Dort wird dann mit einer Spitzkehre gewendet und - in nun etwas erhöhter Position - gerade wieder zurück gelaufen.
Dabei steigt die Strecke sogar noch etwas weiter an. Denn die "autoestrada" setzt in etwa zwanzig Metern Höhe über das Wasser hinweg. Besonders schwer ist die kurze Kletterei angesichts von kaum einer Handvoll Steigungsprozenten natürlich nicht. Und unter der Kategorie "Berg" kann man sie noch viel weniger verbuchen. Doch nachdem die Marathonroute bis zu diesem Zeitpunkt wirklich absolut flach verlaufen war, müssen die Beine den Rhythmuswechsel trotzdem erst einmal koordiniert bekommen.
Von einem ganz anderen Kaliber sind da schon die "morros", die im Nordosten hinter dem Wasser aufragen. Mehr als achthundert Meter sind sie hoch. Ganz genau erkennen kann man das aber nicht. Denn ihre obersten Spitzen befinden sich bereits oberhalb der Wolkendecke. Sie gehören zum "Parque Nacional da Tijuca" - einer immerhin etwa vierzig Quadratkilometer umfassenden, aber ringsherum von der Metropole eingeschlossenen Schutzzone.
Dass ein Gebiet, das praktisch ausschließlich aus hohen Bergen und den sie bedeckenden Urwäldern besteht, ausgerechnet "Sumpf" genannt wird, ist dann aber doch ein wenig seltsam. Doch gibt es neben Barra da Tijuca auch noch einen "Tijuca" heißenden Stadtteil. Und beide grenzen - allerdings auf verschiedenen Seiten - an diesen hinsichtlich seiner Lage recht ungewöhnlichen Nationalpark, mit dem diesbezüglich vielleicht gerade noch der mit dem gleichen Status ausgestattete Tafelberg von Kapstadt mithalten kann.
Auch der höchste Gipfel des Parks und der ganzen Stadt trägt nach dem Viertel zu seinen Füßen den Namen "Pico da Tijuca". Ganz ähnlich verhält es sich auch mit der "Pedra da Gávea", die einer jener vor dem Blicken der Läufer verborgenen Gipfel ist. Wegen seiner Form gehört dieser Felsen zu den markantesten von Rio. Denn während die meisten anderen in spitzen Nadeln oder abgerundeten Kuppen enden, bildet der "Gáveastein" oben ein lang gestrecktes Plateau. Sein unverwechselbares Aussehen macht ihn zur Nummer drei unter den Bergen der Metropole.
Dass der Zuckerhut den Spitzenplatz einnimmt, ist eigentlich klar. Doch warum eine Erhebung namens "Corcovado" - auf Deutsch "der Bucklige" - die zweite Position einnimmt, wird wohl den meisten erst dann klar, wenn sie erfahren, dass auf ihm die berühmte Christusstatue ihre beiden jeweils etwa zehn Meter langen Arme ausbreitet. Denn bei der Annahme "Cristo Redentor" stünde auf dem Zuckerhut, handelt es sich um einen weiteren der hierzulande verbreiteten Irrtümer über Rio de Janeiro.
Im Gegensatz zur Pedra da Gávea muss man den etwa hundert Meter niedrigeren und ebenfalls im Nationalpark gelegenen Corcovado nicht zu Fuß erklimmen. Neben einer Straße, über die aber einzig und allein Kleinbusse der Parkverwaltung Touristen nach oben bringen dürfen, schraubt sich nämlich auch noch eine Zahnradbahn zu dem Anfang der Dreißigerjahre fertig gestellten Monumentalstandbild hinauf.
Wobei die Reihenfolge eigentlich anders herum ist. Denn der "Trem do Corcovado" war lange vor der Christusfigur da. Noch zur Regierungszeit von Kaiser Pedro II eröffnet fährt er nämlich bereits seit dem Jahr 1885 auf den Aussichtsberg. Damit ist die Bahn sogar älter als die meisten in den Alpen. Gerne wird die Geschichte kolportiert, dass der Monarch ihren Bau auch deswegen förderte, weil er - von einem Muli über steile Bergpfade auf den Gipfel gebracht - über den Blick von oben so begeistert war, dass er diesen möglichst vielen Menschen ermöglichen wollte.
Das mit der Rundumsicht über die ganze Stadt ist allerdings so eine Sache. So wunderbar sie bei schönem Wetter auch sein mag, garantiert werden kann sie keineswegs. Denn der Corcovado ist aufgrund seiner Lage und Höhe ein regelrechter Wolkenfänger. Nicht selten steht man auf seinem Gipfel in einer dicken Nebelsuppe. Deswegen wird auch an der Talstation der Zahnradbahn ganz klar gewarnt, dass es keine Ansprüche auf Erstattung des Fahrpreises gäbe, wenn von oben nichts zu sehen wäre. Am Morgen des Marathonsonntag ist das jedenfalls eindeutig der Fall.
Neben Zuckerhut und Copacabana ist die Christusstatue vermutlich dann der dritte Begriff, der beim Stichwort "Rio de Janeiro" aufgezählt wird. Und als eines der wichtigsten Wahrzeichen der Stadt ziert ihr Abbild unzählige Souvenirs. Das Logo des Marathons von Rio zeigt dann auch einen Läufer, der mit waagerecht ausgebreiteten Armen, die wohl nicht ganz zufällig an das Monument erinnern sollen, ein Zielband durchreißt, das sich in Form des Zuckerhuts wellt.
Natürlich ist Corcovado aufgrund seines Bekanntheitsgrades längst kein einsamer Aussichtpunkt in unberührter Natur mehr. Vielmehr handelt es sich um eine fast schon typische Touristenfalle, in der die durchgeschleusten Besucher zusätzliches Geld in einem Restaurant, einer Cafeteria und einer Reihe von Andenkenläden lassen können. Dass man dabei zum ohnehin überraschend hohen, häufig absolut in europäischen Regionen befindlichen Preisniveau auch noch einen Top-Zuschlag - auf einer Bergspitze ein recht passender Begriff - hinlegt, verwundert nicht.
Und um die Blicke über die Stadt wandern zu lassen, muss man sich erst einmal bis zum Geländer nach vorne arbeiten. Denn die verschiedenen Plattformen zu Füßen der Statue sind in der Regel wirklich ziemlich gut gefüllt. Wer nicht gleich mit einer der ersten Fahrten am Morgen zum Gipfel aufbricht, muss sich angesichts der begrenzten Kapazitäten der Bergbahn zudem auf längere Wartezeiten an der Talstation einstellen.
Beim Transport mit den Bussen, die sowohl von einem Parkplatz am Rande des Nationalparks als auch von mehreren touristischen Brennpunkten im Stadtgebiet starten, ist das durchaus ähnlich. Andererseits muss man darüber fast froh sein. Denn sonst wäre das Gedränge oben wohl noch erheblich größer. Dennoch sind Corcovado und Christusmonument natürlich für alle Besucher der Stadt - egal ob aus Brasilien oder dem Ausland - ein absolutes Muss. Und die Kosten für die Fahrt sind angesichts des Panoramas wahrlich gut angelegt.
Direkt hinter der Brücke taucht die Straße in einen Geländeeinschnitt ein, der auf drei Seiten von Hügeln umschlossen wird. Die Marathonis laufen deswegen scheinbar in eine Sackgasse hinein, aus der sie nur mit einem ruppigen Aufstieg zu den auf der Kuppe stehenden Häusern wieder hinaus kommen können. Doch schon nach wenigen hundert Metern verschwindet die Piste zur Unterquerung des Felsens im "Túnel do Joá".
Die steilen "morros" von Rio machen es Verkehrsplanern wahrlich nicht einfach, die einzelnen Stadtgebiete miteinander zu verbinden. Kurvige Passsträßchen sind natürlich kaum in der Lage die auch in Brasilien stetig wachsende Zahl an Fahrzeugen zu bewältigen. So sind die Berge der Metropole inzwischen von über zwei Dutzend Tunneln unterschiedlichster Länge durchlöchert. Und die Tendenz ist weiter ansteigend - insbesondere weil wegen Platzmangels inzwischen auch in flacheren Vierteln die eine oder andere Strecke unter die Erde verlegt wird.
Einen knappen halben Kilometer absolvieren die Läufer in der Dunkelheit des Tunnels, bevor sie die Straße wieder ins Freie hinaus stößt. Wobei man irgendwie aber so ganz im Freien dann doch nicht unterwegs ist. Vielmehr haben die Marathonis auch weiterhin ein Dach über dem Kopf. Denn die Strecke wird über das untere Geschoss der nun doppelstöckig angelegten Straße geführt. Eine leichte Verdrehung der beiden Tunnelröhren macht sie möglich. Jede Fahrtrichtung hat dabei im Normalfall eine eigene Etage - stadteinwärts fährt man unten, stadtauswärts oben.
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Dort wo die Promenade von São Conrado östlich des Quartiers auf die im Ozean versinkenden Hügel trifft, beginnt eine Kletterpartie, die hinauf zum höchsten Punkt der Strecke führt |
"Elevado das Bandeiras" wird dieser in zwei Ebenen verlaufende Teil der Autobahn genannt. Und das hat nichts mit "Aufzug" - denn der würde "elevador" heißen - zu tun sondern bezeichnet eine auf Betonstelzen errichtete Hochstraße. Diese Art der Konstruktion ist in Rio durchaus häufiger zu entdecken. Kreuz und quer durch die Stadt ziehen sich etliche "elevados". Gerade bei Hauptverkehrsachsen, die nachträglich ins gewachsene Netz aufgenommen oder noch erweitert wurden, bleibt aus Platzgründen oft gar keine andere Wahl.
Selbst als Doppeldeckerstraße ist die "Hochstraße der Flaggen" - das bedeutet der Name nämlich übersetzt - in der Metropole am Zuckerhut keineswegs ein Unikat. Doch wird die von ihren Säulen eben nicht wie in den meisten anderen Fällen über Wohn- oder Gewerbegebiete gehoben. Sie verläuft direkt oberhalb der Küstenlinie entlang der zum Meer alles andere als sanft abfallenden Südflanke der Pedra da Gávea.
Rund eineinhalb Kilometer wird man auf dieser extrem ungewöhnlichen Küstenstraße bleiben, von deren unterer Etage sich die links neben ihr aufragende fast senkrechte Wand leider kaum erkennen lässt, die aber auf der Seeseite ziemlich faszinierende Ausblicke zu bieten hat. Die Kombination der einzelnen Versatzstücke lässt einen der spektakulärsten Abschnitte auf der Marathonroute entstehen.
Angesichts einer solchen Streckenführung kann man durchaus einmal darüber nachdenken, ob in der recht vollmundigen Eigenwerbung vom "percurso da prova mais bonita do Brasil", mit der die Organisatoren hausieren gehen, vielleicht nicht doch ein Körnchen Wahrheit stecken könnte. Die Einstufung als "schönste Wettkampstrecke Brasiliens" ist selbstverständlich vom individuellen Geschmack abhängig. Doch darf man die cidade maravilhosa unter diesen Umständen zumindest einmal in die engere Auswahl aufnehmen.
Am Ende des "elevado" steuert die "autoestrada" mit dem "Túnel do São Conrado" ihren nächsten unterirdischen Abschnitt an. Obwohl dieser nicht unbedingt kürzer ausfällt als sein Vorgänger, ist es mit Dunkelheit diesmal nicht weit her. Einer der Sponsoren - ein Strom- und Energiekonzern mit dem so gar nicht brasilianisch klingenden Namen "Light" - hat die Röhre nämlich durch Lichtorgeln und laut hämmernder Musik in eine lang gezogene Diskothek verwandelt. Auch in Brasilien muss eine Laufveranstaltung wohl unbedingt zum "Event" gemacht werden.
Beim Verlassen des Tunnels in jenem Stadtteil, der ihm den Namen gegeben hat, werden die beiden Fahrspuren dann wieder auf ein gemeinsames Niveau zurück gedreht. Kurz bleiben sie dabei noch in Ozeannähe und erlauben so einen - noch leicht erhöhten - Blick auf den Sand der "Praia de São Conrado". Danach schiebt sich jedoch eine Reihe typischer Hochhauswohnblöcke zwischen Straße und Atlantikküste. Bis zur nächsten Verpflegungsstelle versperren diese für einige hundert Meter nun die Verbindung zum Meer.
Doch nachdem man zum wiederholten Mal Flüssigkeit nachgetankt hat, verlässt die Strecke die Autobahn und zieht nach rechts in eine Seitenstraße hinein, auf der die Läufer schnell die Strandpromenade des Viertels erreichen, der eines der kleinsten, gleichzeitig aber auch eines der wohlhabendsten "bairros" von Rio de Janeiro darstellt. Auf drei Seiten von Bergen und auf der vierten vom Meer umschlossen sind die Möglichkeiten, noch weiter zu wachsen, schon aus geographischen Gründen ziemlich begrenzt.
Den - gäbe es keine Tunnel - niedrigsten, immerhin aber auch noch etwa zweihundert Meter hohen Zugang nach São Conrado besetzt mit Rocinha ausgerechnet eine der größten Favelas der Metropole. Dass sich an diese exklusive Wohngegend praktisch direkt eine Armensiedlung anschließt, ist in Rio nicht so ungewöhnlich, wie es im ersten Moment erscheinen mag. Es gibt eine ganze Reihe von Stellen, an denen man von glitzernden Neubauten innerhalb weniger Straßenzüge in einer ziemlich herunter gekommenen Gegend landen kann.
Selbst wenn sich in Brasilien während der letzten Jahrzehnte eine relativ breite und stabile Mittelschicht gebildet hat, sind die nicht zu übersehenden enormen sozialen Unterschiede und das massive Wohlstandsgefälle genau wie in den meisten anderen Schwellenländern weiterhin ein großes Problem. Der Weg von der Ersten in die Dritte Welt und wieder zurück ist in Rio de Janeiro oft nicht wirklich weit.
Ähnlich wie in südafrikanischen Townships gibt es bei den Favelas allerdings eine recht große Bandbreite. Rocinha ist zum Beispiel ein sogenannter "favela bairro". Damit werden in Rio jene Gebiete beschrieben, die bereits weit über den provisorischen Anfangszustand reiner Bretter- und Wellblechbuden hinaus sind. Sie bestehen größtenteils aus gemauerten Häusern und besitzen sowohl in technischer als auch sozialer Hinsicht eine gewisse Infrastruktur. Administrativ werden diese Siedlungen längst wie andere, "reguläre" Stadtviertel behandelt.
Etliche ursprünglich wild entstandene Favelas haben inzwischen einen solchen Status bekommen. Es gibt sogar ein Sozialprogramm, das genau diese sukzessive Anhebung der Lebensverhältnisse bewirken soll. Diese in Rio de Janeiro entwickelte und dort durchaus erfolgreiche Methode wird inzwischen von vielen lateinamerikanischen Städten, die mit ähnlichen Problemen konfrontiert sind, kopiert. Doch da der Zustrom in die großen Metropolen weiter anhält, entstehen an deren Rändern anderswo auch immer wieder einmal neue Favelas.
Der Begriff hat eine lange, durchaus komplexe Geschichte. Denn eigentlich wurde mit "favela" früher umgangssprachlich eine - oft auch "faveleira" oder "faveleiro" genannte -Strauchpflanze bezeichnet. Als in Rio auf dem direkt neben dem heutigen Zentrum, damals jedoch außerhalb der eigentlichem Stadt gelegenen Morro da Providência Ende des neunzehnten Jahrhunderts die erste Armensiedlung entstand, bekam sie unter ihren Bewohnern den Spitznamen "Favela-Hügel".
Dass dieser Busch zwar in Brasilien heimisch ist, aber weder auf dieser Kuppe noch überhaupt rund um die Guanabara-Bucht irgendwo wächst, macht die Benennung recht paradox. Allerdings waren viele der "habitantes" ehemalige Soldaten. Und diese fühlten sich angesichts der von ihnen in Besitz genommenen Anhöhe an einen Hügel erinnert, der ihnen bei der für beide Seiten extrem blutigen Niederschlagung eines regionalen Aufstand im Bundesstaat Bahia - dort gibt es den stacheligen Favela-Strauch sehr wohl - begegnet war.
Irgendwann bürgerte sich der Name beim Rest der Carioca-Bevölkerung als Standard ein. Und in den Zwanzigern tauchte er schließlich sogar in offiziellen Dokumenten auf. In der Folge wurden vergleichbare Siedlungen ebenfalls als "Favela" bezeichnet - zuerst nur in Rio, später dann aber genauso in den übrigen Städten Brasiliens. Inzwischen ist der Begriff weltweit etabliert. Die Fußball-WM hat ihn vermutlich noch einmal bekannter gemacht. Und mit Olympia wird das Thema sicher noch einige Male aufgewärmt.
Der Weg aus São Conrado hinaus führt die Marathonis allerdings nicht durch Rocinha. Sie bleiben weiter an der Küste. Dort wo die Promenade östlich des Quartiers auf die im Ozean versinkenden Hügel trifft, beginnt die nächste Kletterpartie. Denn das Asphaltband zieht sich nun langsam, aber stetig entlang der zum Meer hin steil abfallenden Felsen hinauf. An manchen Stellen ist die Strecke sogar regelrecht in die Bergflanke hinein geschlagen.
Sie führt zwar nicht wirklich hoch hinauf - insbesondere beim Vergleich mit einigen anderen, deutlich berühmteren Küstenstraßen, die man wie den kalifornischen Highway 1 beim Big Sur Marathon, die australische Great Ocean Road während des nach ihr benannten leicht überlangen Marathon-Rennens oder den Chapman's Peak Drive beim Ultra des Two Oceans Marathons von Kapstadt ebenfalls im Rahmen einer Laufveranstaltung unter die Füße nehmen kann.
Doch sind bei diesem längsten Anstieg des gesamten "percurso" wohl trotzdem weit über doppelt so viele Höhenmeter zu bewältigen wie jene gerade einmal zwanzig, die auf dem offiziellen Profil im Programmheft eingezeichnet sind. Und je höher man auf der schmalen, kurvigen und für den Marathon komplett verkehrsfrei gehaltenen Route kommt, umso faszinierender wird die - auch zuvor an Aussichten ja nicht gerade arme - Streckenführung.
Trotz ihres Verlaufes, der sie eigentlich eher zum Ausflugs- und Touristenziel machen sollte, ist die insgesamt etwa vier Kilometer lange "Avenieda Niemeyer" eine weiterhin wichtige Verbindung zwischen den westlichen und den südlichen Teilen der Metropole. Wegen des für die Breite der Straße ziemlich hohen Verkehrsaufkommens wird auf der Seeseite ein Radweg gebaut, den man wegen des fehlenden Platzes praktisch komplett auf Stelzen gesetzt hat. An den Anblick dieser doch recht exponiert aussehenden "ciclovia" muss man sich aber erst einmal gewöhnen.
Benannt ist die sehenswerte Küstenstraße nach Oscar Niemeyer oder genauer - um wieder einmal einen jener in Brasilien üblichen, schier endlosen vollständigen Namen zu nennen - nach Oscar Ribeiro de Almeida Niemeyer Soares Filho. Und gegen die Feststellung, dass es sich bei diesem Herren um den berühmtesten brasilianischen Architekten handelt, dürfte kaum jemand Widerspruch einlegen.
Fast überall im Land kann man auf von Niemeyer entworfene Bauten treffen. Doch angesichts einer mehr als sieben Jahrzehnte umfassenden Schaffensperiode, die von ihren Anfängen in den Dreißigern bis weit ins neue Jahrtausend hinein reicht, ist dies nicht einmal wirklich verwunderlich. Bis zuletzt hatte der immerhin beinahe einhundertfünf Jahre alt gewordene "arquiteto" eifrig neue Projekte geplant.
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Der Zuckerhut kommt erstmals ins Blickfeld als man mit Copacabana den mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit berühmtesten Stadtteil von Rio erreicht |
Ob man seinen zwar häufig mit geschwungenen Formen, allerdings nahezu ausschließlich mit Beton als Baumaterial arbeitenden Stil wirklich mag, ist ein ganz anderes Thema. Manches was früher einmal hochmodern oder gar futuristisch gewesen sein mag, wirkt angesichts der heute vorhandenen technischen Möglichkeiten nur noch klobig und plump. Andere Werke Niemeyers fallen aber auch lange nach ihrer Fertigstellung noch immer völlig aus dem gewohnten Rahmen und erinnern gelegentlich eher an ein gelandetes UFO als an ein Gebäude.
Die deutlichsten Spuren hat Niemeyer in der Hauptstadt Brasília hinterlassen, wo er den größten Teil der öffentlichen Gebäude entworfen hat. Sowohl das Parlament als auch das oberste Gericht, sowohl die Präsidentin als auch etliche ihrer Minister residieren in nach seinen Plänen errichteten Gebäuden. Und die Kathedrale und das Theater der aus dem Urwaldboden gestampften neuen Kapitale entstanden ebenfalls auf seinem Zeichentisch.
Das Sambódromo ist das vielleicht nicht unbedingt architektonisch wertvollste, aber sicherlich das bekannteste Niemeyer-Projekt in Rio de Janeiro, wo der Architekt den größten Teil seines Lebens verbrachte. Sein - natürlich selbst entworfenes - Wohnhaus findet sich oberhalb von São Conrado am Berghang. Und nicht nur deswegen ist die Straßenbenennung genau an diesem Ort ziemlich passend. Am Beginn des Anstieges steht nämlich mit dem zylinderförmigen Turm des "Hotel Nacional" ein weiteres seiner Gebäude.
Dort wo die Straße ihren höchsten Abschnitt erreicht und sich anschließend wieder leicht senkt, hat man für einige Momente das Gefühl, mitten durch den Urwald zu laufen. Denn nun klammern sich auch auf der Seeseite Bäume und Büsche in den Granit. Doch als das Gefälle, das die Marathonis erneut auf Meeresniveau hinunter bringen wird, wirklich beginnt, verdrängen schnell Häuser den Dschungel. Unter die Bebauung haben sich gleich mehrere Hotels gemischt, die natürlich von ihrer aussichtsreichen Lage am Hang profitieren.
Eine Kurve gibt noch einmal den Blick frei. Und diesmal geht er nicht hinaus aufs Meer oder auf eine kleine Ausbuchtung der Steilküste sondern auf einen weiteren langen Sandstreifen, hinter dem sich eine genauso lange Reihe von Hochhäusern erstreckt. Mit der fast schnurgeraden "praia de Ipanema" hat man nun jene Kernzone von Rio de Janeiro erreicht, die Touristen im Normalfall eigentlich nicht verlassen und in der sich das letzte Viertel des Marathons abspielen wird.
Das Panorama, das sich von jenem - noch immer ein ganzes Stück oberhalb des Meeresspiegels gelegenen - Asphaltbogen vom sich über knappe vier Kilometer hinziehenden Strand bietet, war nach Meinung der Stadtplaner eindrucksvoll genug, um an dieser Stelle einen Aussichtspunkt mit Parkplatz und einigen kleinen Verkaufsbuden zu positionieren. Dass unter seiner Holzplattform die keineswegs sanften Wellen des Atlantiks an die blanken Felsen knallen, macht ihn noch ein wenig interessanter.
Der "Mirante do Leblon" überblickt zuerst einmal den gleichnamigen Stadtteil. Denn obwohl man als Besucher den Übergang nur bemerkt, weil man beim Strandbummel die Wasserkante einmal kurz verlassen muss, um die Einmündung eines Kanals auf der Brücke der Uferstraße zu überqueren, machen die Cariocas einen ziemlich feinen Unterschied zwischen Ipanema, zu dem etwa zwei Drittel dieses Küstenabschnittes gehören, und dem westlich davon gelegenen Viertel Leblon.
Der "bairro" wird zwar genau wie das Nachbarquartier im Osten hauptsächlich von zehn-, fünfzehn- oder zwanzigstöckigen Apartmenthäusern geprägt. Trotzdem gilt er allgemein als noch etwas nobler und eine der teuersten Gegenden der gesamten Stadt. Manchmal wird sogar behauptet, dass nirgendwo in ganz Lateinamerika für eine Wohnung höhere Quadratmeterpreise auf den Tisch gelegt werden müssen.
Wenn man durch Leblon spaziert, fallen jedoch schnell die massiven Stahlzäune und -tore auf, hinter denen sich die meisten Hauseingänge verschanzen. Auch in den anderen Mittel- und Oberschichtstadtteilen lässt sich ähnliches beobachten. Für dieses freiwillige Leben hinter Gittern gibt es durchaus handfeste Gründe. Denn verglichen mit europäischen Verhältnissen ist die Kriminalitätsrate in Brasilien um ein Vielfaches höher. Und Rio der Janeiro belegt in der nationalen Rangliste dabei auch regelmäßig noch "Spitzenplätze".
Die enormen Unterschiede zwischen Arm und Reich haben dabei natürlich eine Wirkung, die man beinahe mit dem Begriff "Brandbeschleuniger" belegen könnte. Und es ist wohl nicht unbedingt Zufall, dass sich zum Beispiel beim vorherigen Gastgeber der Fußballweltmeisterschaften, im hinsichtlich der sozialen Gegensätze ganz ähnlich strukturierten Südafrika genau die gleichen Probleme beobachten ließen.
Allerdings sollte man in beiden Fällen auch nicht übertreiben und in Panikmache verfallen. Weder am Zuckerhut noch am Kap muss ein Besucher ständig damit rechnen, in Schießereien verwickelt zu werden. Ein Großteil der in den Statistiken aufgeführten Gewalttaten geht schließlich auf Bandenkriege in den Elendsvierteln zurück. Gerade in Rio haben Drogengangs etliche der Favelas regelrecht untereinander aufgeteilt und verteidigen ihre Herrschaft oft mit eiserner Hand - sowohl gegen Rivalen als auch gegen die Ordnungskräfte des Staates.
Als normaler Tourist bekommt man davon jedoch wenig mit. Wer sich an einige Vorsichtsmaßnahmen und Verhaltensregeln hält, geht eigentlich kein höheres Risiko ein als zu Hause. Man meidet eben bestimmte Gegenden - insbesondere nach Einbruch der Dunkelheit - und stellt Wertsachen nicht gar zu offen zur Schau. Die belebten Viertel im Innenstadtbereich und der Strandzone sind - auch aufgrund sichtbarer Polizeipräsens - jedenfalls selbst dann absolut unproblematisch und ziemlich sicher, wenn man in ihnen vollkommen alleine unterwegs ist.
Dass die Einheimischen natürlich trotzdem versuchen, mit baulichen Maßnahmen Einbrüche und Diebstähle zu verhindern, steht zu dieser Feststellung keineswegs im Widerspruch. In deutschen Häusern gibt es schließlich nicht selten ebenfalls Rollladensicherungen oder Alarmanlagen. Und genau wie bei der Kombination São Conrado und Rocinha geht auch das reiche Leblon mehr oder weniger direkt in eine Favela über, die lange Zeit von Drogenschmugglern beherrscht wurde und erst vor wenigen Jahren von der Polizei wieder unter Kontrolle gebracht werden konnte.
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass diese "Vidigal" genannte Siedlung eine der vielleicht schönsten geographischen Lagen besetzt, die Rio de Janeiro überhaupt zu bieten hat. Hoch über dem Meer gelegen kann man von dort über Ipanema bis zur anderen Seite der Guanabara-Bucht blicken. Wäre das Gelände noch unbebaut, würde wohl heutzutage so mancher Multimillionär eine Menge Geld in die Hand nehmen, um dort sein Anwesen errichten zu können.
Ohne es wirklich zu bemerken sind die Marathonis sogar schon an der Favela vorbei gelaufen. Denn nach dem Erreichen der Strandpromenade von Leblon und Ipanema kann man ihre Häuschen oberhalb der Avenieda Niemeyer am Hang kleben sehen. Ein wenig vermitteln diese wild ineinander verschachtelten, bunten Häuschen das Gefühl, sie seien aus überdimensionalen Lego-Steinen zusammen gesetzt.
Man sieht den meisten von ihnen schon wegen der unterschiedlichen Baumaterialien und Farben der Außenwände deutlich an, dass sie keineswegs in einem Stück errichtet wurden. Vielmehr scheinen anfangs kleine Ausgangsbauten nach und nach mit immer weiteren Stockwerken und Nebentrakten ergänzt worden zu sein. Baustatikern müssen sich angesichts der zum Teil wirklich abenteuerlichen Konstruktionen wohl sämtliche Nackenhaare stellen.
Hinter dem irgendwie doch organisierten Chaos der Favela ragen dicht nebeneinander die beiden markanten Kuppen des "Morro Dois Irmãos" empor. An diesem Morgen kratzen sie sogar ganz oben in den Wolken. Auf den ersten Blick hat das Duo durchaus eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Zuckerhut. Um diesen einzelnen Felsen allerdings mit der Doppelspitze des "Hügels der beiden Brüder" zu verwechseln muss man vermutlich schon eine ganze Reihe von brasilianischen Caipirinhas zu viel getrunken haben.
Auf der "Avenida Delfim Moreira", die natürlich nicht nach dem portugiesischen Marathonläufer der Achtziger - unter anderem auch einmal Sieger in Frankfurt - sondern nach einem gleichnamigen Präsidenten von Brasilien benannt ist, führt die Marathonstrecke nun wieder immer am Strand entlang. Und nach insgesamt zweiunddreißig absolvierten Kilometern wechseln die Läufer auf der schon erwähnten Brücke, aber ohne jeden Höhenunterschied nach Ipanema hinüber.
Ein Stück später zeigt ein Verkehrschild hoch über ihnen an, wo die Reise als nächstes hingehen wird. Dort steht neben einem geradeaus zeigenden Pfeil nämlich "Copacabana". Doch noch drei weitere Begriffe sind darauf zu lesen. Und mit ihnen ist praktisch fast alles genannt, was man hierzulande im Normalfall als Sehenswürdigkeiten Rios kennt. Denn nach links wird man zu "Maracanã" und "Corcovado" geleitet. Und genau die gleiche Richtung wie zum berühmten Strand muss einschlagen, wer "Pão de Açúcar" ansteuern will.
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Auf den letzten beiden Kilometern hat man den Zuckerhut fast ständig im Blick |
Wörtlich übersetzt bedeutet das zwar "Zuckerbrot". Doch steht diese Umschreibung nicht nur im Portugiesischen sondern eben auch in anderen romanischen Sprachen für jene auf Deutsch "Zuckerhut" genannte Form, in der das Süßmittel lange Zeit hauptsächlich gehandelt wurde. Die Angelsachsen stellen ebenfalls eher die Verbindung zum Brot als zu einer Kopfbedeckung her. Denn beides - also sowohl der Berg als auch die süße Figur - werden im Englischen "sugarloaf" genannt, was eigentlich "Zuckerlaib" heißt.
Während der Corcovado, der Leblon und Ipanema seine breite, aber steile Südseite zeigt, von halbwegs sportlichen Menschen ohne Probleme auch zu Fuß erreichen ließe, muss man für eine Besteigung des Zuckerhuts doch einiges an Klettererfahrung und -technik mitbringen. Dennoch stehen unzählige Personen auf dem Gipfel des fast vierhundert Meter hohe Monoliths. Denn eine Luftseilbahn bringt seit mehr als hundert Jahren zahlungswillige Besucher hinauf. Nach mehreren Modernisierungen schafft man inzwischen über tausend Passagiere pro Stunde.
Die von den Cariocas liebevoll "bondinho" genannte Konstruktion besteht aus zwei Einzelstücken. Zuerst wird der vorgelagerte "Morro da Urca" angesteuert, auf dem man die erste Kabine verlässt, um das kleine, etwas über zweihundert Meter hohe Plateau zu Fuß zu überqueren. Am anderen Ende wartet eine weitere Kabelverbindung, mit der die andere Hälfte des Höhenunterschiedes überbrückt wird.
Von Ipanema aus ist das felsige Wahrzeichen der Metropole allerdings noch nicht zu sehen. Denn neben der Bebauung versperrt auch eine weitere der vielen Hügelreihen die Sicht. Dieses Privileg ist dem noch etwas bekannteren östlichen Nachbarn Copacabana geblieben. Hinsichtlich der Beleibtheit bei den Einheimischen hat dieser inzwischen aber ein wenig Boden gegenüber dem Pärchen Leblon und Ipanema verloren.
Um von einem Strand zum anderen hinüber zu wechseln, muss die Marathonstrecke die Küste für einige hundert Meter verlassen. Denn beide werden durch zwei kleine felsige Kaps voneinander getrennt, die von der Straße einfach auf dem kürzesten Weg abgeschnitten werden. Erstmals überhaupt wirkt ein kurzer Abschnitt des Kurses einmal wirklich urban. Denn zu beiden Seiten ragen Gebäude auf und rücken dicht an die Läufer heran.
Dort wo die Promenade endet und die Häuserschlucht beginnt, steht eine lebensgroße Statue des Sängers und Komponisten, nach dem der internationale Flughafen der Stadt benannt ist. Mit geschulterter Gitarre scheint Antônio Carlos "Tom" Jobim an jenem Strand entlang zu flanieren, dessen Namen er Anfang der Sechziger in aller Welt verbreitet hat. Schließlich ist sein wohl bekanntester Song "garota de Ipanema".
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Die Umrundung der "Enseada de Botafogo" bildet zum Abschluss des Rennens noch einmal einen ganz besonderen Höhepunkt |
In der international häufiger verwendeten englischen Version "the girl from Ipanema" verhalf der Ohrwurm, der eine jeden Tag am Lieblingscafé Jobims und seines Texters Vinícius de Moraes vorbei spazierende Strandschönheit besingt, dem Stil des Bossa Nova auch außerhalb Brasiliens zum Durchbruch. Einige Jahre später nahm er das Stück sogar im Duett mit Weltstar Frank Sinatra noch einmal auf. Selbst wenn Tom Jobim noch viele andere Lieder schrieb, ist es jenes "Mädchen von Ipanema", das ewig mit ihm verbunden bleiben wird.
Als die Läufer nach einem halben Kilometer wieder aufs Meer treffen, knickt die Straße neunzig Grad nach links. Anders als die ziemlich genau west-östlich ausgerichtete "praia de Ipanema" verläuft der Copacabana-Strand nämlich von Südwest nach Nordost. Und dazu schlägt er im Gegensatz zu seinem Nachbarn auch noch einen Viertelkreis, so dass man von diesem Punkt übers Wasser zum gegenüber liegenden Ende blicken kann.
Selbst wenn der Bogenschlag um die Bucht ebenfalls rund vier Kilometer lang ist, muss man bis zum Marathonziel immer noch eine fast doppelt so große Distanz zurücklegen. Und dieses liegt seinerseits ein ganzes Stück vom Zentrum Rios entfernt. Denn Copacabana - das ist ebenfalls ein weit verbreiteter Irrglaube - stellt keineswegs einen Innenstadtstrand dar, zu dem man einfach einmal aus der City hinüber spazieren könnte.
Vielmehr wäre man ohne Benutzung der Metro rund zwei Stunden zu Fuß unterwegs. Die beiden "bairros" der Metropole haben schließlich zueinander einen Abstand von rund zehn Kilometern. Da befindet sich das ebenfalls nicht unbedingt zentral gelegene amerikanische Gegenstück Waikiki Beach sogar noch deutlich näher an der Downtown von Honolulu als "die" Copacabana an Rios Stadtteil Central.
Lange Zeit lag die zu allem Überfluss noch von einem Hügelring regelrecht abgeriegelte Bucht deswegen auch in einem Dornröschenschlaf. Nur einige Fischerhütten gruppierten sich um den Strand. Das änderte sich erst, als Ende des neunzehnten Jahrhunderts ein Tunnel durch die rückwärtigen Berge gebrochen wurde. Und schon wenige Jahrzehnte später war Copacabana ein Ort an dem sich die nationale und internationale Prominenz tummelte.
Anders als die meisten geographischen Namen in Rio hat die Bezeichnung "Copacabana" weder einen portugiesischen Ursprung noch ist sie von der lokalen Urbevölkerung übernommen. Sie stammt von einem gleichnamigen bolivianischen Wallfahrtsort am Titicacasee, der bereits in ganz Südamerika bekannt war, als sein Gegenstück in Rio noch nahezu unbebaut war. Eines der ersten Bauwerke war dann eine Kirche, die der "Virgen de Copacabana" geweiht wurde.
So kam ein Wort, das aus einer in den Anden benutzten Indio-Sprache stammt, ans andere Ende des Kontinents. Einen viel größeren Unterschied als jenen zwischen einem Bergdorf auf dreitausendachthundert Metern Höhe, in dem das Quecksilber selten zweistellige Werte anzeigt, und einem tropischen Atlantikstrand, zwischen einem Städtchen, dessen Hauptattraktion eine Wallfahrtsbasilika ist, und dem Touristen- und Vergnügungszentrum einer Weltmetropole kann man sich wohl kaum noch vorstellen.
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Immer am Wasser entlang beschreibt die Straße eine lange S-Kurve |
Vergisst man einmal den fast schon mystischen Namen und geht unvoreingenommen am Strand von Copacabana entlang, kann schon die Frage aufkommen, was denn ausgerechnet an genau diesem Teil von Rios langer Küste so besonders sein soll, dass er zum weltweiten Traumziel aufsteigen konnte. Ja, da gibt es den Zuckerhut im Hintergrund. Doch ist dieser vom davor sitzenden Morro do Leme halb verdeckt und noch ein ganzes Stück entfernt. Es finden sich zudem gleich eine ganze Reihe Stellen in der Stadt, von denen der Monolith weit besser zu sehen ist.
Auch markante Gebäude sind kaum zu entdecken. Am auffälligsten ist sicher noch das im Art-Deco-Stil errichtete Hotel "Copacabana Palace" etwa in der Mitte der "Avenida Atlântica" heißenden Uferpromenade. Doch nicht nur, weil es sich optisch absetzt, ist die Luxusherberge von Bedeutung. Mit ihrer Errichtung Anfang der Zwanzigerjahre beginnt überhaupt erst die Geschichte des Tourismus in diesem Winkel der brasilianischen Metropole.
Am südwestlichen Ende der Bucht ist dem noch im Bau befindlichen "Museu da Imagem e do Som" schon jetzt anzusehen, dass es einmal ein weiterer architektonischer Akzent werden wird. Doch ansonsten sieht man die gleiche Bebauung wie überall sonst in der Stadt. Es ist deswegen keineswegs Zufall, dass auf vielen Souvenirs ausgerechnet das Wellenmuster im Pflaster der neben der Straße verlaufenden breiten Fußgängerpromenade "Calçadão de Copacabana" als Symbol für den berühmten Stadtteil verwendet wird.
Selbst wenn es dabei nicht wirklich große Unterschiede zu anderen "praias" in Rio gibt, ist die typische Strandkultur jedoch unbedingt einen Blick wert. Vielleicht nirgendwo sonst lässt sie sich besser beobachten als in Copacabana. Schon alleine, dass rund um die Bucht Flutlichtmasten aufgestellt sind, die mit ihren Strahlern dafür sorgen, dass auch nach Einbruch der Dämmerung auf dem breiten Sandstreifen weiter reges Treiben herrscht, ist alles andere als alltäglich.
Aus diesem Grund sind die vielen schon erwähnten Fuß- und Volleyballfelder, die sich über den Strand verteilen, pro Tag noch einige Stunden mehr belegt. Und die absolut typischen "barracas" - improvisierte Verkaufsstände, die jeden Tag aufs Neue aus verschiedenartigsten Kombinationen von Holz- und Metallpfosten, Planen und Sonnenschirmen zusammen gebaut werden - können ihre Kundschaft ebenfalls etwas länger versorgen.
Neben "caipirinha" wird dort mit schöner Regelmäßigkeit auch kalte "cerveja" verkauft. Seltsam ist das nicht im Geringsten. Denn in Brasilien wird wider Erwarten erheblich mehr Bier gebraut als in Deutschland. Die mit mehreren verschiedenen Marken den heimischen Markt beherrschende Firma "AmBev" zählt zur Handvoll der größten Produzenten weltweit. Pro Kopf wird hierzulande zwar noch deutlich mehr konsumiert. Doch trinkt ein Durchschnittsbrasilianer bei weiterhin steigender Tendenz immerhin schon rund die Hälfte des deutschen Mittelwertes.
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Auf dem letztenKilometer passiert man das "Monumento Estácio de Sá", mit dem an den gleichnamigen Stadtgründer erinnert wird |
Natürlich kann man an den meist nach ihrem Inhaber benannten "barracas" auch eine gekühlte Flasche "agua" erwerben. Doch noch beliebter ist Kokosmilch, die mit einem Röhrchen direkt aus der Nuss geschlürft wird. Wer neben Durst auch noch Hunger hat, findet mobile Stände mit frisch gegrillten Maiskolben. Andere verkaufen neben "cocos" noch weitere exotische Früchte. Und an einigen der mit Plakaten und Transparenten verzierten Buden lassen sich Liegestühle oder Sonnenschirme ausleihen.
Sogar den fest gemauerten - allerdings in der Regel dennoch offenen - Pavillons direkt auf dem "Calçadão de Copacabana" haftet irgendwie etwas Provisorisches an. Vermutlich liegt das vor allem an den abends nach Schließung schnell wegzuräumenden Klapp- und Plastikstühlen, auf denen man ihr in der Grauzone zwischen Schnellimbiss und Spezialitätenrestaurant angesiedeltes Angebot zu sich nehmen kann.
Dazwischen bieten unzählige fliegende Händler Handtücher und Decken mit knallbunten Rio-Motiven, Sonnenbrillen und -hüte, T-Shirts und Fußballtrikots an. Und wer angesichts des ganzen Trubels Lust darauf bekommt, selbst einmal ins Wasser zu springen, aber keine Badebekleidung dabei hat, wird mit ein wenig Suchen ebenfalls den "vendedor" mit dem passenden Sortiment aufstöbern können.
Bei manchen von all dem würden hiesige Aufsichtsbehörden sicher die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. In Rio gibt es hingegen zwar auch zu vielen Dingen gesetzliche Regelungen. Aber man nimmt sie sich eben nicht ganz so zu Herzen. Meist ist das auch gar kein Problem. Die am Strand patrouillierenden Polizisten haben schließlich anderes zu tun als Gewerbescheine zu kontrollieren oder die Einhaltung strenger Hygienevorschriften durchzudrücken. Wer nicht wirklich über die Stränge schlägt, bleibt unbehelligt. Wieder einmal gilt die Zauberformel "todo bem".
Ein wenig genauer sehen allerdings jene rot- und gelb gekleideten Rettungsschwimmer hin, die von einem der in regelmäßigen Abständen entlang der "praias" errichteten Beobachtungstürme das Treiben beobachten. Weder Copacabana noch Ipanema sind eigentlich ideale Badestrände. Zumindest sind sie es dann nicht, wenn man wie viele Cariocas kein wirklich guter Schwimmer ist. Mehrere Meter können die Wellen schon unweit der Wasserkante hoch werden. Und so müssen die "guarda vidas" von Rio durchaus häufiger einmal eingreifen.
Sie gehören zu einer Spezialeinheit der Feuerwehr des Bundesstaates, die ihrerseits als "Corpo de Bombeiros Militar" der Militärpolizei zugeordnet ist. Doch selbst wenn neue Bewerber für den "Grupamento Marítimo" während der Ausbildung tatsächlich knallhart gedrillt werden, hat es natürlich weit mehr von "Baywatch" als von Kasernenhof, wenn die überall beliebten "Helden des Strandes" in ärmellosen Leibchen und kurzen Hosen ihre Wachen schieben.
Die über die komplette Länge Copacabanas und Ipanemas von eins bis zwölf durchnummerierten "postos" der Rettungsschwimmer - der von einer anderen Untereinheit betreute Strand von Barra da Tijuca hat dann wieder eine eigene Zählung - sind zudem klare Positionsmarken für die einzelnen Teilabschnitte der Strände. Häufig findet sich rund um einen Aussichtsposten nämlich jeweils eine ganz bestimmte Gruppe ein. Wer mit kleinen Kindern unterwegs ist, geht eben nicht unbedingt in Bereiche, in denen schon tagsüber wilde Partystimmung herrscht.
Andere, weit vergänglichere Orientierungspunkte sind die riesigen Sandburgen, die am Rande der Promenade von ihren Erbauern mit viel Mühe aus dem losen Material heraus gezaubert werden, um anschließend von Touristen, die ein Foto dieses "Kunstwerks" machen wollen, den einen oder anderen Real zu erbeten. Beliebtes Thema sind natürlich die im folgenden Jahr anstehenden Olympischen Spiele. Mehr als die Hälfte der manchmal wirklich ziemlich gewagt aussehenden Gebilde zeigt die fünf ineinander verschlungenen Ringe.
Häufig werden auch Nachbildungen von Sehenswürdigkeiten mit eingebaut. Gemeinsam mit Zuckerhut, Corcovado, dem Maracanã-Stadion und der neuen Kathedrale sind dabei die "Arcos de Lapa" eindeutig das meistbenutze Vorbild. Schließlich ist das frühere Aquädukt, das mit seinen beiden übereinander angeordneten Bogenreihen eine Senke zwischen zwei Hügeln am Rande der Innenstadt überspannt, einfach viel zu charakteristisch.
Nachdem das bereits im achtzehnten Jahrhundert errichtete "Aqueduto da Carioca" - so der offizielle Name des Bauwerks - nicht mehr als Wasserleitung benötigt wurde, widmete man es vor mehr als hundert Jahren einfach zu einer Brücke für die neue Straßenbahn in den Stadtteil Santa Teresa um. Nicht nur, aber eben auch wegen dieser spektakulären Überführung wurde die Linie später zu einer Touristenattraktion.
Doch auch der Rest der Strecke, die sich in vielen Kurven den Berg hinauf und hinunter windet, ist durchaus bemerkenswert. Vergleiche mit den berühmten "Eléctricos", die durch die ähnlich wellige Altstadt von Lissabon rumpeln, sind durchaus zulässig. Hauptsächlich wohl dieser Zuspruch auswärtiger Gäste ließ die "bonde de Santa Teresa" als einzige die massiven Schließungen, die in den Sechzigern wie fast überall auf der Welt das einst ziemlich dichte Straßenbahnnetz Rios immer weiter verkürzte, überleben.
Ein schwerer Unfall mit mehreren Toten im Jahr 2011 sorgte dann aber dafür, dass auch die letzte noch verbliebene Tramlinie für den Verkehr gesperrt wurde. Doch angesichts ihrer Popularität bei Einheimischen und Touristen wäre die komplette Einstellung ein enormer Verlust für die Stadt gewesen. Nach einigen Umbauarbeiten und sicherheitstechnischen Verbesserungen rollen genau in den Tagen des Marathons deswegen auch wieder die ersten Waggons im Probebetrieb über die Bögen von Lapa.
Neben den Rettungsschwimmern scheint noch eine weitere Berufsgruppe an den Stränden ständig präsent zu sein. Doch sieht man eben nicht nur dort die - wohl eher zufällig in den Farben des Marathons gehaltene - orange-blaue Kleidung des städtischen Abfallbeseitiger. Egal wo man hinkommt, fast überall wird irgendwie gekehrt und gerecht, ein Mülleimer gelehrt oder der am Boden liegende Dreck aufgelesen.
Selbstverständlich ist dank der üppigen Vegetation einiges von dem, was da zusammen gesammelt wird, natürlichen Ursprungs. Doch nehmen es die Brasilianer wie bei vielem anderen eben auch beim Umgang mit ihrem Müll nicht ganz so genau. So manche leere Verpackung landet deswegen einfach auf der Straße, im Gebüsch oder halt im Sand. Das in der Nationalfahne zu lesende Landesmotto "Ordem e Progresso" - auf Deutsch "Ordnung und Fortschritt" - wirkt da manchmal fast wie Satire.
Auch "Abfallvermeidung" ist in Brasilien noch ein echtes Fremdwort. Egal was man kauft, alles wird in Plastiktüten gesteckt. Und oftmals bleibt es nicht nur bei einer. Zwei oder drei Lagen übereinander sind keine Seltenheit. Dass jemand seine eigene Tasche in ein Geschäft mitbringt, wird von den Kassiererinnen dagegen mit ungläubigem Staunen quittiert. Man kann in Rio fast schon darüber froh sein, wenn man nicht auch noch die Briefmarken für die Postkarten-Grüße nach Hause in Plastik eingepackt bekommt.
Drei Viertel der Avenida Atlântica - auf der genau wie zuvor schon an der Promenade in Ipanema nun auch reger Publikumszuspruch herrscht, so dass die lange unter sich gebliebenen Marathonis zumindest in der harten Endphase aus den Anfeuerungen der Zuschauer ein bisschen zusätzliche Kraft ziehen können - sind absolviert, als die Laufstrecke nach links abzweigt. Nähme sie den letzten Kilometer der Bucht noch mit, würde man nämlich nicht unbedingt verkehrstechnisch, aber logisch am Morro da Leme in einer Sackgasse enden.
So lässt man Leme, das trotz seiner verglichen mit dem Nachbarn Copacabana bescheidenen Einwohnerzahl von den Cariocas als eigener "bairro" angesehen wird, einfach rechts liegen. Und nur wenige hundert Meter später haben die Läufer das nächste Tunnelportal erreicht. Der "Túnel Novo", durch den sie Copacabana verlassen, ist zwar ein wenig jünger als der weiter westlich gelegene "Túnel Velho", durchquert aber auch schon mehr als ein Jahrhundert den Hügelring rund um den weltberühmten Strandstadtteil.
Über ihnen ragen die steile, aber grüne Südflanke des "Morro de São João" empor, auf dem vielleicht sogar auch einige jener Bäume stehen, die Brasilien zu seinem Namen verholfen haben. Wegen der auffällig roten Farbe ihres Stammes erhielt die Pflanze von den Eroberern aus Europa nämlich den Namen "pau brasil", was im damaligen Portugiesisch ungefähr "glühendes Holz" bedeutete. Eine Bezeichnung, die sich anschließend auf die gesamte Kolonie übertrug. Eigentlich liegt die Stadt "Januarfluss" also im "Land des glühenden Holzes".
Als man am Ende der nicht allzu langen Röhre vier Kilometer vor dem Ziel wieder Tageslicht erblickt, ist man in den bairro Botafogo hinüber gewechselt. Dieser empfängt die Marathonis gleich einmal mit einem der größten Einkaufszentren von Rio, dem "Shopping RioSul". Auch in Brasilien gehört der Bummel durch die Geschäfte schließlich - zumindest dann, wenn man einen dafür ausreichend bestückten Geldbeutel hat - zu den bevorzugten Freizeitbeschäftigungen.
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Auch als am Streckenrand schon die ersten Clubzelte stehen, ist das Ziel noch nicht zu sehen |
Der moderne Glaspalast könnte allerdings fast überall auf der Welt stehen. Denn weder außen noch innen bietet er seinen Besuchern irgendetwas für die Stadt oder das Land wirklich typisches. Sogar bei vielen der Läden handelt es sich um den üblichen Einheitsbrei aus global operierenden Unternehmen. Aber vielleicht ist es ja einfach auch nur genau das, was die Kundschaft von einem solchen Zentrum erwartet.
Auf eines kann man dort jedoch eigentlich nicht verzichten. Natürlich gehört ein Spezialgeschäft für Flip-Flops zum Angebot. Aus unzähligen Farbvarianten können Brasilianer in diesen ihre wohl liebste Fußbekleidung auswählen. Abgesehen vielleicht von Anzug und Abendkleid kann man im Schatten des Zuckerhutes diese Badelatschen schließlich zu beinahe allem tragen, ohne dabei irgendwie aufzufallen. Es gibt angeblich sogar Untersuchungen, dass kaum ein Brasilianer nicht mindestens ein Paar von ihnen zu Hause im Schrank hat.
So ist es dann vermutlich auch nicht unbedingt Zufall, dass der weltweit größte Hersteller - eben jener, dessen Artikel in den Läden in langen, bunten Reihen zum Verkauf aufgehängt sind - in Brasilien beheimatetet ist. Und obwohl dieser inzwischen eine Vielzahl der weit mehr als hundert Millionen jährlich produzierten Schläppchen auch im Ausland absetzt, ist der heimische Markt noch immer dominierend. Warum die Marke allerdings ausgerechnet "Havaianas" heißt und man sich damit auf ein ganz anderes tropisches Reiseziel bezieht, bleibt doch ein wenig rätselhaft.
So wenig es erstaunt, dass eine Flip-Flop-Firma in Brasilien beheimatet ist, umso überraschter dürften die meisten sein, wenn sie hören, dass auch einer der größten Flugzeugbauer der Welt aus diesem Land kommt. In gebührenden Abstand zu den Platzhirschen Boeing und Airbus konkurrieren in dieser Rangliste mit ihren mittelgroßen Regionaljets nämlich der kanadischen Bombardier-Konzern und ein Hersteller namens "Embraer" um Platz drei. Und hinter dem letzteren Kürzel verbirgt sich die "Empresa Brasileira de Aeronáutica".
Auch sonst ist Brasilien wirtschaftlich durchaus gut aufgestellt und inzwischen in den Kreis der zehn größten Industrienationen aufgestiegen. In Südamerika ist man sowieso unangefochten und steuert genau wie bei Fläche oder Bevölkerung rund die Hälfte des kontinentalen Gesamtwertes bei. Gleich mehrere internationale Automobilkonzerne haben zum Beispiel eigene Werke im Land. Alleine "VW do Brasil" lässt in vier verschiedenen "fábricas" die Fließbänder laufen.
Doch exportiert werden weniger fertige Waren sondern neben Agrarerzeugnissen - Brasilien ist unter anderen der weltgrößter Kaffee- und Zuckerproduzent - hauptsächlich Bodenschätze und Rohstoffe. Auch deren reichhaltige Vorkommen sorgten dafür, dass Brasilien schon vor vielen Jahrzehnten zum "Land der Zukunft" erklärt wurde. Das ist es allerdings irgendwie noch immer. Längst gibt es deswegen den Spott vom ewigen "país do futuro", das wahrscheinlich nie zu einem "país do presente" werden wird.
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Eine echte Zielgerade gibt es in Rio durch den weiten Bogen, den die Straße schlägt, nicht |
Hinter dem Einkaufszentrum teilt sich die fast autobahnähnliche Straße und der ohnehin bereits auf dieser Seite verlaufende Kurs zieht noch etwas weiter nach links. Am breiten Ende des durch die Gabelung entstehenden kleinen dreieckigen Platzes passieren die Marathonis kurz darauf ein Gebäude, das vom Aussehen her an eines jener in Brasilien "estância" genannten Landgüter südamerikanischer Viehbarone erinnert.
Allerdings handelt es sich um das Clubhaus des Fußballvereins Botafogo FR. Dieser gehört zwar hinsichtlich Tradition und Faninteresse auch weiterhin zu den großen Vier in Rio de Janeiro. Doch hat man spätestens seit der Jahrtausendwende gegenüber den lokalen Rivalen Vasco da Gama sowie insbesondere Flamengo und Fluminense den sportlichen Anschluss ein wenig verloren. Statt wie früher um den nationale Titel zu spielen, pendelte Botafogo zuletzt eher zwischen der ersten und zweiten brasilianischen Liga hin und her.
Immerhin spielt der Club aus den Südosten Rios beim "Campeonato Carioca" weiter vorne mit. Denn im Gegensatz zu fast allen anderen Ländern werden in Brasilien neben einem nationalen Titel jährlich auch noch die Meisterschaften der einzelnen Bundesstaaten ausgespielt, an denen sich die großen Clubs ebenfalls beteiligen. Während man im ersten Halbjahr auf regionaler Ebene spielt, ist die zweite Jahreshälfte den landesweiten Ligen vorbehalten.
Da zudem auch ein brasilianischer Pokalwettbewerb ausgeschrieben ist, können zum Beispiel für Erstligavereine aus Rio de Janeiro im Erfolgsfall theoretisch alleine national mehr als siebzig Pflichtspiele zusammen kommen. Zu allem Überfluss gibt es dann noch die "Copa Libertadores", mit der man den kontinentalen Vereinsmeister ermittelt, und die darunter angesiedelte "Copa Sudamericana". Über die Klagen europäischer Profis, sie seien durch ihre vielen Partien zu stark belastet, können brasilianische Kicker angesichts der eigenen Schlagzahl wohl nur müde lächeln.
Fast die Hälfte der in der "Série A" spielenden Teams hat übrigens den gleichen Schriftzug auf der Brust, der auf den Marathon-Trikots zu lesen ist. Noch weit vor dem Laufsport ist nämlich der Fußball Schwerpunkt des Sportmarketings der "CAIXA". Da ist es nicht verwunderlich, dass von den vier großen Clubs aus Rio mit Flamengo und Vasco da Gama gleich zwei einen Werbevertrag mit dem Kreditinstitut haben.
Obwohl es beim letztgenannten Verein vergleichbar mit Flamengo und Botafogo ein Stadtviertel gleichen Namens gibt, ist die Verbindung in diesem Fall genau umgekehrt. Denn benannt wurde der Club nach dem portugiesischen Entdecker, der zwar den Seeweg nach Indien erschloss, aber - eine weitere Ungereimtheit in dieser Geschichte - nie in Brasilien war. Der "bairro" heißt hingegen so, weil er rund um das vereinseigene Stadion liegt.
Vollkommen anders verhält es sich mit dem vierten Mitglied des Quartetts. Denn zu "Fluminense" lässt sich auf dem gesamten Stadtplan nirgendwo eine Entsprechung finden. Es handelt sich vielmehr um eine Eigenbezeichnung der Einheimischen, die sich als Gegenstück "Carioca" aber nicht nur auf die eigentliche Metropole beschränkt sondern alle Einwohner des "Estado do Rio de Janeiro" umfasst.
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Mit dem letzten Linksschwung wird das Zuschauerspalier am Streckenrand ziemlich dicht |
Noch durch einen weiteren Punkt unterscheidet sich der "Fluminense Football Club" von seinen lokalen Rivalen. Denn obwohl erst 1902 und damit einige Jahre später als die Konkurrenten gegründet ist er trotzdem der älteste Fußballverein in Rio. Die drei anderen waren hingegen eigentlich Rudergesellschaften. Zur vorletzten Jahrhundertwende stellte diese Fortbewegungsart nämlich am Zuckerhut den mit Abstand populärsten Sport dar.
Erst nachdem die vom einen Anglo-Brasilianer aus Europa mitgebrachte Sportart schnell viele Freunde gefunden hatte, bildeten sich auch in den anderen Clubs entsprechende Abteilungen. Während "Botafogo de Futebol e Regatas" zumindest die portugiesische Variante von "Fußball" im Namen ergänzt hat, heißen der "Clube de Regatas do Flamengo" und der "Club de Regatas Vasco da Gama" weiterhin nur nach der ursprünglich betriebenen Sportart. Und alle drei Vereine haben auch noch immer aktive Ruderer und jeweils ein eigenes Bootshaus an der Lagoa.
Selbst wenn man darüber streiten kann, ob Brasilien ein "país do futuro" ist, die Behauptung, es sei ein "país do futebol" wird sicher jeder unterschreiben. Und so lässt sich ein Thema kaum vermeiden, wenn der Gegenüber mitbekommt, dass man aus "Alemanha" kommt. Es geht um einen Abend im Juli 2014, an dem der brasilianische Traum von einem Weltmeisterschaftstitel im eigenen Land ein jähes Ende fand.
Ressentiments wegen dieses denkwürdigen Spiels spürt man aber eigentlich nirgendwo. Der Beliebtheit Deutschlands hat es keineswegs geschadet. Ganz im Gegenteil. Wenn es mit der Verständigung einigermaßen klappt, wird in der Regel so etwas wie wohlwollende Bewunderung und Hochachtung zum Ausdruck gebracht. Wie sonst ließe sich auch erklären, dass einer der einheimischen Läufer ein Trikot mit Rückennummer "19" und Aufschrift "M. Götze" über die Marathonstrecke trägt.
Die entspannte Art der Brasilianer überdeckt die natürlich weiterhin vorhandene Enttäuschung inzwischen mit einer gebührenden Prise Selbstironie. "War da irgendetwas" und "ich kann mich an nichts erinnern" bekommt man mit viel Augenzwinkern als Aussagen zu hören. Und selbst wenn man beim lockeren Flachs mit dem fröhlichen Kellner diesem ein "sete a um" - auf Deutsch einfach "sieben zu eins", in Brasilien aber fast schon ein geflügeltes Wort für ein totales Debakel - entgehen hält, geht dessen Daumen nach oben. Es ist längst wieder "todo bem".
Nicht allzu weit hinter dem Botafogo-Clubhaus verschwindet der Marathonkurs zum vierten und letzten Mal unter der Erde. Verglichen mit seinen Vorgängern ist der "Morro do Pasmado", durch den der Tunnel hindurch führt, tatsächlich nur ein Hügel. Doch seine Flanken sind wie fast überall in Rio viel zu steil, um ihn ohne Probleme mit einer Straße direkt zu überqueren. Obwohl die Kuppe mit einigen hundert Metern Umweg auf beiden Seiten umfahren werden kann, haben sich die Verkehrsplaner deshalb irgendwann auch an dieser Stelle für einen Durchstich entschieden.
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In die vielleicht größte Lautstärke steigt der Jubel für Marathonis, die erkennbar aus dem Ausland kommen |
Den Läufern kann es nur recht sein. Denn so kommen sie zum einen ohne jeden Höhenmeter und zum anderen noch ein wenig schneller wieder zurück ans Meer. Die Wasserfläche, die sie bald nach dem Verlassen des Tunnels rechts von sich erblicken, ist nun aber nicht mehr der offene Atlantik mit seinen ans Ufer schlagenden Wellen. Die letzten zweieinhalb Kilometer absolvieren sie entlang der weit ruhigeren Gewässer der Guanabara-Bucht.
Doch dafür ist die Aussicht nun wirklich einzigartig. Nirgendwo sonst in der ganzen Stadt hat man den "Pão de Açúcar" schließlich besser im Blick als beim Umrunden der "Enseada de Botafogo" - einer beinahe vollständig vom Land umgebenen kleinen Seitenbucht mit kaum einem Kilometer Durchmesser, die durch den berühmten Felsen im Süden begrenzt und überragt wird. Ganz zum Schluss zeigt der "percurso mais bonita do Brasil" noch einmal eindrucksvoll, warum er diesen Titel für sich beansprucht.
Von der in einem weiten "S" verlaufenden Uferstraße - die zwar von einen breiten Fuß- und Radweg begleitet wird, der sogar im Abstand von jeweils hundert Metern mit Markierungen für die vielen auf ihm Trainierenden versehen ist, aber aufgrund etlicher im Normalfall voll belegter Fahrspuren weniger Promenade als Hauptverkehrsachse ist - bekommt man den Zuckerhut aus etlichen verschiedenen Perspektiven präsentiert.
Gleich mehrere verschiedene Fotodienste haben Mitarbeiter auf dieser pittoresken Schlussmeile postiert, um nach dem Rennen ihre Bilder unters Läufervolk bringen zu können. Während sonst - natürlich gegen entsprechende Gebühr an den Organisator - diesbezüglich meist ein Monopolist die gesamte Veranstaltung für sich alleine beansprucht, gibt es in Rio de Janeiro tatsächlich eine freie Auswahl unter mehreren Anbietern.
Spätestens mit dem letzten Linksschwung an jenem Punkt, der den Übergang der kleinen in die große Bucht markiert, wird auch das Zuschauerspalier am Streckenrand ziemlich dicht. Natürlich bekommen zuerst einmal die eigenen Verwandten, Freunde und Vereinskameraden besonderes Augenmerk geschenkt. Doch in die vielleicht größte Lautstärke steigt der Jubel trotzdem bei Marathonis, die erkennbar aus dem Ausland kommen.
Dass insbesondere auch Läufer aus Argentinien gefeiert werden, ist ziemlich bemerkenswert. Schließlich handelt es sich dabei gerade im Fußball, aber zum Beispiel auch im Basketball oder Volleyball um den sportlichen Erzrivalen, dem man alles nur keinen Erfolg gönnt. Eine "sete a um" gegen das Nachbarland hätte sicher noch ein viel größeres Trauma bedeutet. Doch bei einem Marathon kämpft man eben wirklich nur ganz vorne im Feld gegeneinander. Ansonsten geht es um ein gemeinsames Ziel. Und "selbst" Argentinier sind einzig und allein Sportkameraden.
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Bei nur wenigen Marathons ist das Wahrzeichen der Stadt auf dem Zielfoto - Rio und der Zuckerhut sind eines der seltenen Beispiele |
Längst ist man in den Stadtteil Flamengo hinüber gewechselt. Auf dem Grünstreifen stehen bereits die ersten Clubzelte. Doch durch den weiten Bogen, den die Straße schlägt, ist vom Ziel noch immer nichts zu sehen. Erst kurz bevor auch die Tafel mit der "42" passiert ist, kommt es überhaupt ins Blickfeld. Und diese letzte Kilometermarke lässt in der fast hundertachtzig Grad umfassenden Kurve ihrerseits ebenfalls ziemlich lange auf sich warten.
Für die beiden an der Spitze um den Sieg kämpfenden Läufer ist es also gar nicht so einfach, sich die letzten Kräfte richtig einzuteilen und den Spurt zum optimalen Zeitpunkt anzusetzen. Eine einzige Sekunde trennt den am Ende erfolgreichen Kenianer Willy Kangogo Kimutai nämlich von seinem Verfolger, als er im neuen Streckenrekord von 2:14:56 das Zielband durchreißt und damit nach 2012 zum zweiten Mal den Rio Marathon gewinnt. Der knapp geschlagene Zweite Lemawork Ketema stammt zwar ursprünglich aus Äthiopien, lebt aber inzwischen in Österreich.
Bis mit Edson Amarom der beste Brasilianer nach 2:16:52 als Gesamtdritter das Ziel durchläuft, vergehen rund zwei Minuten. Und noch einmal etwa die gleiche Zeit müssen die Zuschauer auf seinen 2:18:51 laufenden Landsmann Giomar Pereira da Silva warten. Eliezes de Jesus Santos und Luiz Paulo da Silva Antunes liegen auf den folgenden Plätzen mit 2:22:04 und 2:22:50 schon klar über der Marke von 2:20. Doch immerhin elf Einheimische bleiben unter zweieinhalb Stunden.
Nimmt man die Ergebnisse der Weltspitze zum Maßstab sind die Leistungen der wegen des früheren Starts bereits zuvor ins Ziel gekommenen Frauen im Vergleich dazu dann doch ein wenig schwächer. So reicht Caroline Chemutai Komen schon eine - bei einen Marathon dieser Größenordnung eher bescheidene - 2:38:19 um für einen Doppelsieg der Läufergroßmacht aus Ostafrika zu sorgen.
Anna Hahner schließt ihren ersten Rio-Auftritt in 2:39:15 als sichere Zweite ab. Denn Graciete Moreira Carneiro Santana, die wie Edson Amarom als Dritte die grün-gelb-blaue Fahne Brasiliens aufs Treppchen bringt, folgt erst nach 2:41:49. Die lange mit ihrer kenianischen Kollegin Chemutai Komen gemeinsam führende Nelly Jepkurui bricht zum Ende deutlich ein, rettet jedoch mit 2:45:19 den vierten Platz vor der in 2:45:34 gestoppten Mirela Saturnino de Andrade über die Linie.
Einem Dutzend Eliteläuferinnen folgen noch knapp zwölfhundert zusammen mit dem Hauptfeld gestartete Teilnehmerinnen nach, was einen Frauenanteil von fast einem Viertel ergibt. Das ist ein Wert, der sich international durchaus sehen lassen kann und eigentlich nur in angelsächsischen Ländern übertroffen wird. Hierzulande kann eigentlich nur Berlin mit einer vergleichbaren Quote aufwarten. Alle anderen deutschen Marathons liegen diesbezüglich um einige Prozentpunkte tiefer. Beim Halbmarathon ist in Rio sogar weit mehr als ein Drittel des Feldes weiblich.
Selbst wenn die Topathleten wohl kaum ein Auge dafür haben dürften, gibt es nur wenige Zieleinläufe, die optisch mit dem in Rio mithalten können. Um das zu bemerken, müssten sich die Marathonis allerdings umdrehen. Denn vor ihnen sieht es kaum anders aus als während des größten Teils des Rennens. Doch hinter ihnen ragt in direkter Verlängerung der kurzen Schlussgeraden der Zuckerhut empor.
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Im Parque do Flamengo ist nach dem Rennen ausreichend Platz für die Läufer und ihren Anhang |
Dass man als Läufer bei einem großen Marathon auf dem eigenen Zielfoto auch das wichtigste Wahrzeichen der jeweiligen Metropole mitgeliefert bekommt, ist bei allem Interesse, das Städte an einer guten touristischen Vermarktung haben, jedenfalls keineswegs der Standard. Die Berliner Rundstrecke ist mit dem Start und Ziel am Brandenburger Tor da im internationalen Vergleich doch eher eine Ausnahme.
In Rom gab es früher einmal ähnliches mit dem Kolosseum im Hintergrund. Inzwischen ist die Einlaufrichtung allerdings umgedreht worden. London hat zwar nicht Big Ben oder die Tower Bridge, aber zumindest den Buckingham Palace im Rücken der Zielgerade. Doch ansonsten finden sich kaum noch Beispiele. Denn selbstverständlich spielen bei der Auswahl nicht nur fotogene Motive sondern auch logistische Möglichkeiten eine Rolle. Und diese passen im weiten Park von Flamengo eben zusätzlich auch noch.
Jedenfalls bildet dieser Abschluss den Höhepunkt eines ohnehin absolut sehenswerten Kurses in einer Stadt, die nicht ohne Grund zu den am schönsten gelegenen Metropolen der Welt gezählt wird. Denn das ist definitiv kein Irrtum. Und wenn sich grandiose Natur dann auch noch mit viel Geschichte sowie einem eigenen, ganz speziellen Lebensgefühl verbindet, kommt dabei eine absolut faszinierende Mischung heraus.
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Ein Blick vom Ziel zurück zeigt, wieso sich der Rio Marathon tatsächlich um den Titel des "percurso da prova mais bonita do Brasil", also "schönste Laufstrecke Brasiliens" bewerben kann | |
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Das berühmte brasilianische Improvisationstalent wird man während des Marathons allerdings kaum bemerken können. Denn die Veranstaltung bewegt sich organisatorisch auf wirklich hohem Niveau. Selbst wenn ihre durchaus vorhandenen Schattenseiten keineswegs übersehen werden sollten, ist die "cidade maravilhosa" aus all diesen Gründen ein ziemlich attraktives Reiseziel für Lauftouristen. So kann man für die "Maratona da Cidade do Rio de Janeiro" ohne Bedenken beide Daumen nach oben nehmen. Oder um die Cariocas zu zitieren: "Todo bem !"
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Bericht und Fotos von Ralf Klink Ergebnisse und Infos unter www.maratonadorio.com.br Zurück zu REISEN + LAUFEN aktuell im LaufReport HIER |
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