20.5.12 - Nordea Riga Marathon

Riga Marathon im Aufwind

von Michael Schardt

Die Geschichte des Riga Marathons geht inoffiziell zwar bis Mitte der achtziger Jahre zurück, doch offizielles Gründungsjahr war 1991, geknüpft an Lied- und Volksfest. Der Gründungslauf, mit der die Zählung 1991 begann, lag zeitlich zwischen der Unabhängigkeitserklärung des Jahres 1990 und der kurzfristigen Besetzung der Regierungsgebäude durch Gorbatschow und der Anerkennung der Selbständigkeit Lettlands durch die ehemaligen Besatzer. So kommt dem Riga Marathon auch eine politische Dimension zu, denn er verstand sich durchaus als Teil der Unabhängigkeitsbewegung.

Anfänglich noch recht klein mit wenigen Hundert Teilnehmern, mauserte sich die Veranstaltung von Jahr zu Jahr, so wie sich Lettland und die Stadt Riga nach der Befreiung von der Sowjetunion mauserte. An fehlendem Selbstbewusstsein leidet keiner der drei baltischen Staaten; aber in Lettland scheint es besonders ausgeprägt.

Blick auf Riga aus der Vogelperspektive; vorne der Bahnhof, hinten der mächtige Strom Die Altstadt der lettischen Metropole mit vielen schön restaurierten Gildehäusern

Die Letten haben seit dem Umschwung viel bewirkt, haben ihre Wirtschaft in Schwung gebracht, wenn auch nicht ohne die ein oder andere Krise, setzten moderne Gebäude als sichtbares Zeichen des Aufwärtstrends in die Landschaft und besannen sich auf ihre regionale Tradition. Man begann, alte Häuser, die die eigene Geschichte dokumentieren, originalgetreu wieder aufzubauen oder wunderschön zu restaurieren. Tradition und Moderne scheinen in Lettland eine fruchtbringende und sich wechselseitig beeinflussende Symbiose eingegangen zu sein, die in der Hauptstadt ganz besonders deutlich zu Tage tritt.

Tradition und Moderne

Touristisches Juwel der größten Stadt im Baltikum, die von nahezu allen Kreuzfahrtschiffen der Ostsee angefahren wird, ist die kleine, zu Fuß gut erkundbare Altstadt am rechten Ufer der Daugava. Viele Jugendstilbauten aus der Zeit der vorvorletzten Jahrhundertwende und Gildehäuser, die an die große Handels- und Handwerkstradition erinnern, erstrahlen seit einigen Jahren im neuen Glanz. Prächtige Kirchen wurden erneuert, augenblicklich wird der Dom der schon 1255 zum Bistum aufgestiegenen Metropole mit seiner überdimensionalen Orgel aufwändig renoviert.

Während die Altstadtstraßen mit ihren vielen Geschäften äußerst belebt sind, bietet der grüne Gürtel um das Zentrum Ruhe und Erholung

Sehenswürdigkeiten finden sich im engen Kreis der Altstadt auf Schritt und Tritt. Geradezu ausufernd ist das kulinarische und restaurantive Angebot am Platze. Es gibt viele kleine und mittlere Läden, aber der typische Charme der Oldtown ist erhalten geblieben. Keine übertriebenen Shoppingmalls wurden hochgezogen, nur wenige der weltweit agierenden Luxuslabels sind hier etabliert, und Fastfoodketten findet man (fast) keine.

Während in Deutschland inzwischen nahezu jede Innenstadt wie die andere aussieht, wird man Riga zumindest für den Ortskern gerne einen eigenen Charakter, mehr Individualität bescheinigen können. Lohnenswert ist aber nicht nur der Besuch der Altstadt, sondern auch der sich um das Zentrum schmiegende grüne Gürtel mit einigen Wasserläufen, Springbrunnen, Gärten und Spuren der alten Stadtmauer. Außerhalb der Altstadt, aber direkt angrenzend, wird man am Kronvaldpark ein ganzes Jugendstilviertel bewundern können. Beliebt ist auch die Holzhaussiedlung auf der Insel Kipsala, wohin auch die Marathonstrecke führt.

Riga ist die Stadt der Kirchen - hier die Orthodoxe Kathedrale - und der breiten Alleen. Moderne Kunst gibt es auch zu bestaunen

Theater- und Museumsstadt

Auch der Freund der Künste und Kultur kommt in Riga auf seine Kosten. Zahlreiche Museen und Galerien stehen dem Besucher offen. Berühmt sind die Symphonie- und Ballettaufführungen im neuen Konzerthaus oder historischen Opernhaus der Stadt. Von Riga aus zogen hochkarätige Musiker aus, die Konzertsäle der Welt zu erobern, so etwa der oft als weltbester Geiger gefeierte Gidon Kremer oder der Cellist Mischa Maisky. Riga, dessen komplette Altstadt zum Weltkulturerbe der Unesco erklärt wurde, ist sich seiner kulturellen Bedeutung durchaus bewusst. Im Jahr 2014 will man sich um den Titel "Kulturhauptstadt Europas" bewerben. Das "Paris des Nordens", wie schwärmerische Fans die lettische Hauptstadt zuweilen titulieren, will dafür ein ehrgeiziges Neubauprogramm durchführen, das insbesondere die im Schatten stehende Linksseite der Town aufwerten soll.

Riga wurde 1201 erstmals erwähnt und feierte 2001 sein 800jähriges Bestehen. Noch im selben Jahrhundert wurde es Mitglied der Hanse, wodurch der Aufstieg zu einer führenden Handelsstadt an der Ostsee begann. Eng war von Anfang an die Beziehung von Livland, wie die Region einst genannt wurde, zu den deutschen Landen, sei es religionsgeschichtlich, wirtschaftlich oder auch politisch.

Ungetrübt allerdings ist die Beziehung nicht. Lange Jahrzehnte wurden die Letten insbesondere auf dem Land von deutschen Gutsbesitzern als Leibeigene ausgebeutet. Doch das scheint heute in Vergessenheit geraten zu sein. Die Letten sind russenfeindlich, aber deutschfreundlich eingestellt. Einige sprechen noch die deutsche Sprache, deutlich mehr verstehen sie immerhin noch. Kein Wunder, denn bis ins 20 Jahrhundert war Deutsch Landes- und Amtssprache.

Das Freiheitsdenkmal mit Engel ist der ganze Stolz der Hansestädter Straßenmusiker erfreuen auf Schritt und Tritt die Einwohner und Besucher mit ihren Klängen

Spuren deutscher Vergangenheit

Auf Spuren deutsch-lettischer Beziehungen stößt man in Riga allerorten. Auf dem Domplatz steht eine Büste des deutschen Dichters Johann Gottfried Herder, der fünf Jahr in Riga als Sprachlehrer lebte, lettische Texte sammelte und sie übersetzte. Eine Gedenktafel in der Riharda Vagera iela erinnert an den Komponisten Richard Wagner, der zwei Jahre in Riga einen Dirigentenposten innehatte, aber die Stadt wegen Überschuldung fluchtartig verlassen musste. Besonders eng ist die Beziehung zur Hansestadt Bremen. Bremer Kaufleute haben im Mittelalter bei der Erbauung und Erweiterung Rigas geholfen. Vorbild sollen viele Gebäude der Wesermetropole gewesen sein, weshalb sich Bremer Besucher in Riga an die eigene Stadt erinnert fühlen. Es gibt nicht nur einen Roland in Riga zu bestaunen, sondern sogar eine Skulptur der Bremer Stadtmusikanten, ein Geschenk der Partnerstadt aus der jüngeren Zeit.

Ohne Probleme ist Riga aber keinesfalls. Der schwelende Konflikt der lettischen mit der russischen Bevölkerung in der Stadt ist offenkundig. Je über 40 Prozent der Einwohner gehören einer der Gruppen an. Die Erinnerung an die ehemaligen Besatzer ist uneingeschränkt aktuell. Die Folge ist, dass das mehrheitlich mit Letten besetzte Parlament massive Restriktionen gegen die Russen durchsetzt. Sie bekommen keine, oder nur minderwertige Arbeit. Die besseren Wohnungen sind den Letten vorbehalten, auch in wirtschaftlicher Hinsicht gibt es Einschränkungen. Die Russen sind ins Handwerk abgedrängt. Als es darum ging, das Russische als zweite Amtssprache einzuführen, wurde dies mit 78 Prozent abgelehnt. Hintergrund: die russischsprachigen Nichtbürger der Stadt durften nicht mit abstimmen. Einen lettischen Pass bekommen die in Lettland geborenen Russen nur dann, wenn sie eine Prüfung in lettischer Sprache bestehen, doch das ist für viele nicht zu leisten.

Zum Rigaer Stadtbild gehören - ähnlich in San Francisco - Trollybusse- und Bahnen Mehr noch prägen elegant gekleidete Frauen die Optik der Stadt Riga ist jung, blond und weiblich - die frisch Verliebten verabreden sich an der Laimauhr

Paris des Nordens

Diese Machenschaften haben dazu geführt, dass die Russen mehr und mehr Riga verlassen, aufs Land und oftmals in Ausland abwandern. Der Bevölkerungsschwund der Hauptstadt ist dadurch aber noch nicht gänzlich erklärt, denn die Geburtenraten sind seit der Wende enorm zurückgegangen. Die aktuell gut 700.000 Einwohner zählende Stadt, etwa ein Drittel der Bevölkerung ganz Lettlands, wird, wenn sich in der Entwicklung nichts Entscheidendes ändert, im Jahr 2050, so aktuelle Prognosen, nur noch 350.000 Menschen beherbergen. Das ist eine vorhergesagte Reduktion um die Hälfte in knapp vierzig Jahren.

Ein ausgeprägtes Problembewusstsein scheinen die Rigaer aber nicht zu haben. Im Gegenteil: sie geben sich lebensfroh, gelassen und insbesondere in den kurzen Sommermonaten in ausgesprochener Feierlaune. Bei den zahlreichen Festen und Partys sind dann die ethnischen Konflikte schnell vergessen - vor allem bei dem wichtigsten Fest des Jahres, dem Johannis- oder Mittsommernachtsfest. Da sind die Alltagsprobleme für kurze Zeit an den Rand geschoben, denn das Feiern vereint alle Gruppen der Bevölkerung uneingeschränkt.

Bremer Kaufleute haben im Mittelalter Riga mit aufgebaut. Heute ist die lettische Hauptstadt Partnerstadt Bremens. Die Stadtmusikanten fehlen auch hier nicht. Die "drei Brüder" sind die ältesten Gebäude der Stadt und eine besondere Sehenswürdigkeit, teils aus dem 14. Jahrhundert Durch die Altstadt führen enge Gassen - bei allem Neuerungswillen: viele Gebäude im Zentrum sind marode

Das Auge des Betrachters nimmt Riga als weibliche Stadt war. Die Damenwelt der Metropole gibt sich gerne und zu jeder Tages- und Nachtzeit feminin und elegant. Für schöne Kleidung, schicke Frisuren, Schminke und passende Accessoires haben die lettischen Frauen ein Faible und zeigen dies auch gerne. Mode, so bekundete ein Kenner, das sei eines der wichtigsten Gesprächsthemen der Rigaerinnen, und wenn dann die Temperaturen steigen, dann steigen auch die Absatzhöhen und Rocksäume in schwindelerregende Zonen. In puncto femininer Eleganz jedenfalls braucht sich Riga nicht hinter Paris zu verstecken, dessen offensichtliche östliche Schwester sie auf diesem Sektor schon längst ist.

Marathonboom

Der Marathon fand seit seiner Gründung ununterbrochen statt und entwickelte sich zu einer der größten Sportveranstaltungen im Baltikum. Ab der Jahrtausendwende ist eine zunehmende Internationalisierung des Laufs zu beobachten, seitdem immer mehr Billigflieger günstige Anreisen möglich machen. Aber erst seit 2007, seit die Organisation Mitglied der AIMS (Association of International Marathons and Distance Races) ist, gehört der Riga Marathon zu den Topevents in Europa. Diese Entwicklung ist eng verknüpft mit dem Einstieg eines neuen Hauptsponsors, der Nordea Bank, nach der der Marathon seither benannt ist. Inzwischen wurde der Marathon sogar mit dem IAAF Road Race Bronzelabel ausgezeichnet, eine Adelung, die sicher sehr erfreulich für die Macher ist, der man aber nicht in allen Bereichen gerecht wird.

Moderne und klassische Architektur: Das schön restaurierte Schwarzhäupterhaus am Ostufer und die mächtige Nationalbibliothek am Westufer stehen sich fast gegenüber

Die Teilnehmerzahlen stiegen in den letzten Jahren kräftig an und steigen auch weiter. 2011 wurde mit über 16.000 Anmeldungen ein neuer Rekord erreicht, der sich 2012 auf fast 18.000 hochschraubte. Verantwortlich hierfür ist vor allem die Hinzunahme von Läufen über 5 und 10 km, aber auch die Einführung des vermessenen Halbmarathons im Jahr 2006.

Der Blick auf die einzelnen Rennen offenbart diesen Befund. Marathonfinisher gab es bei der jüngsten Auflage 893, darunter nur 15 Prozent Frauen. Dennoch ist das auch für die Königsdistanz Finisher-Rekord, denn in den letzten Jahren lagen die Zahlen noch deutlich darunter, so etwa 2007 noch unter 400, haben sich aber kontinuierlich erhöht. Beim Halbmarathon konnten knapp 2400 Läufer das Rennen erfolgreich bestreiten; hier war der Frauenanteil etwa ein Viertel. Auf knapp 3000 Finisher brachte es der Zehner, aber absoluter Rekordlauf ist der Jedermannslauf über 5km, an dem große Freizeitgruppen oder Firmen teilnehmen und der es auf sage und schreibe über 9000 Finisher brachte. Damit dürfte es wohl der oder zumindest einer der bestfrequentierten Fünfer in ganz Europa sein.

Der mächtige Fluß Daugava, breiter als Elbe oder Rhein, dürfte vielen Mitteleuropäern unbekannt sein. Hier der Blick auf die Vansubrücke, eine von vier Brücken über die Daugave, die 15 km weiter in die Ostsee mündet Blick auf Rigas Ostseite mit dem Dom (rechts) Der Pulverturm steht mitten im Zentrum

Große Hitze

Der Zeitplan für die vier Läufe sieht vor, dass der Hauptlauf zusammen mit dem Halbmarathon gestartet wird. Das ist um 8:30 Uhr der Fall. Der Zugang zu den Startboxen ist von beiden Seiten möglich. Es ist genügend Platz für die gut 3000 Läufer vorhanden, die bequem ihre Kleiderbeutel abgeben und sich noch ohne Gedränge im Startbereich warmlaufen können. Die Straße des "11. November", direkt am Präsidentenpalast und dem rechtsseitigen Ufer der Daugava (zu Deutsch Düna) gelegen, ist breit und lässt keine Enge aufkommen.

Der Marathonkurs sieht zunächst ein Umlaufen der Altstadt und eine Doppelquerung der Daugava über die Vansu Brücke vor. Auf der anderen Seite ist bei km 4,5 einer von mehreren Wendepunkten, die die Strecke markieren. Dann führt der Weg fünf Kilometer auf der rechtsseitigen Uferstraße flussaufwärts zur Dienvidu Brücke, auf der die Daugava erneut zweimal überlaufen werden muss, bevor es dann den gleichen Weg zurückgeht zum Ziel.

Die Halbmarathonis finishen hier ihren Lauf, während die Marathonläufer auf eine weitere Halbmarathonrunde gehen, die aber einen vollkommen anderen Verlauf hat und in andere Stadtteile führt. Zunächst werden Schleifen durch die Stadtteile Petersala und Skanste gedreht, bevor die Insel Kipsala angesteuert wird. Bei km 40 ist erneut zweifach die Vansu Brücke zu überlaufen, was dann die letzten Kraftreserven fordert.

Kitsch und Kunst kann man allerorten finden und erwerben Der Einwohner liebste Beschäftigung ist aber gelassenes Flanieren oder der gemütliche Genuss eines Getränks in einem der vielen Cafés

Versorgung eher bescheiden

Der Kurs ist bis auf die sechsfache Brückenquerung flach und recht schnell, aber einige hundert Meter ist auf holprigem Kopfsteinpflaster zurückzulegen. Probleme machte an diesem Sonntag aber weniger die Streckenführung, als die warmen Temperaturen, die um die Mittagszeit in der Sonne bis 28 Grad anstiegen. Überraschend kam die Hitze nicht, sie war schon Tage vorher angekündigt gewesen, doch bekamen die Versorgungsstände auf der Strecke ihre Probleme.

Schon auf der ersten Hälfte gab es Engpässe mit dem Wasser. Zu wenige Helfer konnten die Becher nicht mehr rechtzeitig mit Trinkwasser aus der Flasche füllen. Man behalf sich damit, die Flüssigkeit aus den Wannen zu schöpfen, die eigentlich für das Befeuchten der Schwämme vorgesehen waren. Für hygienisch empfindliche Gemüter keine schöne Vorstellung. Einige Läufer schnappten sich eine Zwei-Liter-Flasche, und füllten sich selbst ihre Becher oder nahmen gleich eine ganze Flasche an sich. Später, so war zu hören, gab es überhaupt keine Getränke mehr für die Marathonis. Auch die feste Nahrung war eher einfach und wenig abwechslungsreich gehalten. Bananenstückchen, manchmal noch nicht ausgereift, und Apfelsinnenscheiben waren unterwegs im Angebot. Erst im Ziel besserte sich die Lage.

Viele Brunnen zieren die Stadt - auch vor dem imposanten Opernhaus steht einer

Etwa 150 Läufer mussten von dem überaus geschulten und aufmerksamen Ärzte- und Sanitäterteam medizinische Hilfe in Anspruch nehmen. Meistens waren die Betroffenen nach einigen Minuten wieder auf dem Damm. Für einen Mann kam allerdings jede Hilfe zu spät. Einer Meldung zufolge starb er kurz nach dem Zusammenbruch.

Leicht eintönige Strecke - wenig Zuschauer

Schon 2011 hatte es beim Riga Marathon einen dramatischen Zwischenfall gegeben. Da war über die Königsdistanz Rigas Oberbürgermeister Nil Uschakow auf offener Strecke zusammengebrochen. Man brachte ihn sofort in ein Krankenhaus, doch er erlangte sein Bewusstsein nicht zurück. Nach einigen Tagen wurde der Politiker in ein Berliner Krankenhaus gebracht, wo man ihn in ein künstliches Koma legte. Mehrere Tage schwebte er in Lebensgefahr, doch gelang den Berliner Medizinern, ihn zu retten. In diesem Jahr war Uschakow nur als Zuschauer an der Strecke.

Riga ist Museumsstadt und bietet für jeden Kunstliebhaber das Seine Die zahlreichen Reisegruppen aus Deutschland hatten aber sportliches im Sinn Die Startnummernausgabe ist trotz mehr als 16.000 Teilnehmern überschaubar. Eine echte Marathonmesse gibt es aber nicht

Über die Streckenführung und Zuschauerresonanz äußerten sich die Teilnehmer durchaus auch kritisch. Etwas eintönig fanden schon die Halbmarathonis die erste Runde, insbesondere die nahezu zuschauerfreie Passage zur und über die zweite Brücke und zurück. Das zweite Teilstück sei sogar noch öder gewesen, sagte Daniel Witte, der in 2:47 nicht nur persönliche Bestzeit gelaufen war, sondern auch schnellster Deutscher wurde. Der Mann von Schwarz-Weiß Oldenburg (MHK) zeigte sich mit seiner Leistung nichtsdestotrotz hoch zufrieden, vor allem hatte ihm das sommerliche Wetter nichts anhaben können. Mehr Enthusiasmus habe er sich doch von den Zuschauern gewünscht, auch in der Innenstadt. Manche hätten durchaus begeistert geklatscht, aber im Großen und Ganzen blieb der geneigte Zuspruch verhalten.

Start von 3500 Marathon- und Halbmarathonläufern auf der Straße des 11. November Ein buntes Starterfeld macht sich bei 25 Grad auf den Weg Der Gewinner des Halbmarathons Vale-rijs Žolnerovic eilt der Marathonelite gleich davon und siegt in guten 1:06:04 Stunden

In der Tat waren neunzig Prozent der Marathonstrecke ohne Zuschauer. Lediglich in der Altstadt, auf der ersten Brücke und im Start/Zielbereich gab es ordentlich Publikum, das aber nur teilweise den Läufern seine Aufwartung machte. Von einem Läuferfest kann man in dieser Hinsicht wohl nicht so Recht sprechen. Da hinkt Riga noch etwas hinter vergleichbaren Großveranstaltungen im Ausland zurück.

Gewusel und Gewimmel

Wirklich schön oder gar heimelig fand auch die schnellste deutsche Marathonläuferin, Jana Borowski, die Strecke nicht. Doch konnte sie der zweiten Hälfte, im Gegensatz zu Witte, noch wenigsten etwas abgewinnen. Die 23jährige Läuferin aus der Nähe von Hamburg hatte den Marathon vom mitreisenden Papa geschenkt bekommen und war ganz überrascht, dass keine andere deutsche Starterin schneller war als sie. Ihre Endzeit lautete 3:26. Bestzeit war sie allerdings schon im Vorjahr in Hamburg in 3:14 gelaufen, wo es sogar noch heißer gewesen war als in Riga. Die Läuferin mit den blonden Rasterlocken gehört keinem Verein an und trainiert nicht systematisch. Jeden zweiten Tag läuft sie aus reinem Spaß an der Sache 90 bis 120 Minuten. Große Ambitionen oder hochgesteckte Ziele hat sie nicht, dafür aber beste körperliche Voraussetzungen und offenbar eine gehörige Portion Talent, das noch ganz andere Zeiten möglich machen würde.

Bei km 6 ist die Führungsgruppe der Frauen noch beisammen

Die beiden schnellsten Deutschen entgingen dank ihrer flotten Zeit noch weitgehend dem Ansturm der Kurzstreckler. Denn über 3000 Läufer über 10 km und 9000 Läufer über 5 km wurden um 11:30 Uhr bzw. 12:30 Uhr auf die Strecke geschickt, zu einem Zeitpunkt also, als sich das große Mittelfeld der Marathonis auf den letzten Kilometern mühte. Die Läuferfelder der beiden Kurzstrecken wurden mit den Langstrecklern dann auch unmittelbar zusammengeführt, so dass es zeitweilig - wenn auch nicht ein großes Gedränge und Geschiebe - so doch eine ziemliche Belebung und ein unüberschaubares Gewusel gab. Die meisten Befragten des Marathons aber nahmen es gelassen und fanden es sogar animierend, am Schluss nicht allein laufen zu müssen. "Das hat mich regelrecht noch einmal wach gemacht", meinte einer; ein anderer sah sogar seinen Ehrgeiz noch einmal entbrannt und hängte sich an eine Gruppe von Zehnern.

Die Altstadt wurde von Halbmarathonis zweimal und von Marathonis viermal umrundet - währenddem warten viele große Gruppen auf ihren nachgelagerten Einsatz auf den Kurzstrecken

Streckenrekord von Jelena Prokopcuva

Die Marathonsiegzeiten bei den Frauen und Männern weisen in Riga kein international bedeutsames Niveau auf. Bis 2007 wurde der Frauenmarathon häufig mit einer Zeit von über drei Stunden gewonnen; bei den Männern genügte öfters eine Zeit von über 2:30, teilweise sogar 2:45 und 2:50. Mit der Erhöhung des Preisgeldes konnten zwar schnellere Starter angelockt werden, dennoch lassen die bestehenden Streckenrekorde, beide aufgestellt 2011, noch Luft nach oben. Bei den Männern steht er bei 2:15:48, aufgestellt durch den Kenianer Julius Kuto; bei den Frauen lief die Äthiopierin Desra Girma 2:37:14.

Marathonsieger Kurgat Titus Kipkorir aus Kenia
2. Tomoya Shimizu aus Japan hinter dem 3. Pharis Irungu Kimani aus Kenia Schnellster Deutscher war der 28jährige Daniel Witte (2:47:56) aus Oldenburg

2012 wurden beide Marken jeweils knapp verfehlt. Es siegte bei den Frauen die Russin Iraida Aleksandrova in 2:37:37 mit vier Minuten Vorsprung vor der Kenianerin Miriam Wangari. Bei den Männern hatte der Kenianer Kurgat Titus Kipkorir in 2:16:53 die Nase vorn. Im Schlussspurt konnte der Japaner Tomoya Shimizu den zweiten Kenianer Pharis Irungu Kirmani niederhalten. Sie brauchten vier bzw. zehn Sekunden länger als der Sieger. Beide Gewinner konnten sich 2500 Euro Preisgeld einstecken. Auch die Plätze und die schnellsten Einheimischen wurden in Abstufungen noch honoriert.

Die Marathonsiegerin Iraida Aleksandrova aus Russland Marathon 2. Frau Jane Suuto aus Uganda Schnellste Deutsche wurde die 23jährige Jana Borowski aus der Nähe von Hamburg in 3:26:55

Während die Siegzeiten über zehn Kilometer (33:12 bzw. 39:34) und fünf Kilometer (15:52 und 19:34) ordentlich, aber keinesfalls überragend ausfielen, können sich die HM-Siegzeiten auch international sehen lassen. Das gilt vor allem für das Frauenrennen. Da lief die Lettin Jelena Prokopcuva einen einsamen Start-Ziel-Sieg heraus, wobei sie den bestehenden Streckenrekord von 1:14:04 (Irene Chepkurui) regelrecht pulverisierte auf sehr beachtliche 1:10:27. Fast neun Minuten vergingen, bis die Vizemeisterin ins Ziel kam.

Um lediglich 24 Sekunden verfehlte Valerijs Scholnerovics (LV) seinen eigenen Streckenrekord von 1:05:40. Diesmal siegte er in guten 1:06:04 mit zehn Sekunden bzw. zwei Minuten Vorsprung vor zwei Landsmännern. Er hatte sich gleich an die Spitze des Feldes gesetzt, lief ohne Pacemaker und hielt seinen Vorsprung auch vor der mehrköpfigen Marathonspitze bis ins Ziel. Die HM-Sieger erhielten je 1000 Euro. Da sich die Läufer mehrmals über mehrere Kilometer entgegenliefen, konnte man seine Widersacher auch als Frontmann gut im Auge behalten.

1. 10 km Kristaps Kaiminš

1. Frau 10 km Irina Štula-Pankoka
1. Frau 5 km Diana Panovska
1. Mann 5 km Kaspars Briška

Ausklang am Strand oder im Straßencafé

Der Marathontourist, auch der deutsche, verweilt, wie zu hören war, meist fünf bis sieben Tage in Riga. Der Lauf liegt in der Mitte dieser Zeitspanne. Schon vor dem Marathon gibt es Gelegenheit, die sprichwörtliche lettische Gelassenheit zu schnuppern, und hinterher ist man schon in der Lage, sie zu leben. Wenn es irgend das Wetter zulässt, dann kommen die Bewohner Rigas, egal ob alt oder jung, aus ihren Häusern, spazieren, schwatzen, shoppen, sitzen scharenweise in einem der vielen Cafés unter freiem Himmel oder lassen die Seele in den zahlreichen Parks baumeln. Wie in südlichen Ländern und ganz im Gegensatz zu den toten Innenstädten in Deutschland nach Geschäftsschluss, spielt sich das Leben in Riga auf der Straße ab, ohne Hektik und ohne überbordende Betriebsamkeit - wahrlich ein Paradies für Flaneure und Müßiggänger.

Am Ende vermischten sich mit knapp 900 Marathonis 5.000 Zehner und 9.000 Fünfer. Das mochte nicht jeder. Für alle ein Problem war 300m vor dem Ziel die vielen "Querläufer". Hier schaffte es eine Läuferin so grade, einen Weg hindurch zu finden Erschöpfte Marathonis ließen sich nicht ungerne den Puls fühlen und medizinisch versorgen

Davon lässt sich dann auch der Deutsche anstecken, insbesondere, wenn die sportlichen Anstrengungen vorüber sind. Die Marathonreise klingt aus, vielleicht mit einer Fahrt in den Badeort Jürmala an der fünfzehn Kilometer entfernten Ostsee oder mit langen Nachmittagen und Abenden in Cafés, Biergärten oder Restaurants. Und auf diejenigen, die ihren Bewegungsdrang noch nicht völlig befriedigt haben, warten zahllose Tanzschuppen, Discos und Clubs, die teils bis zum frühen morgen und darüber hinaus geöffnet haben.

Und wenn die Rigaer Atmosphäre so richtig auf einen Wessi gewirkt hat, dann lässt sie sich vielleicht noch drei, vier Tage hinüberretten in den mitteleuropäischen Alltag, wo sicher schon einige "wichtige" Termine auf den Heimkehrer warten, die - leider, leider unaufschiebbar sind. Wir kennen das ...

Bericht und Fotos von Michael Schardt

Infos und Ergebnisse www.nordearigasmaratons.lv/en

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