3.10.10 - Südtirol Marathon

Meran - Bozen

Premiere in der 17. Auflage

von Ralf Klink

Ein wenig widersprüchlich erscheint es schon, wenn ein Marathon nach fast zwei Jahrzehnten Geschichte dennoch eine Premiere erlebt. Und zwar nicht etwa im Hinblick auf irgendwelche ziemlich unbedeutenden Kleinigkeiten, die von den Marketingabteilungen der Organisatoren sonst so gerne den Medien und der zahlenden Laufkundschaft als "absolute Neuheit, die man nicht versäumen dürfe" verkauft werden, sondern in der grundsätzlichen Konzeption der Veranstaltung.

Doch beim Südtirol Marathon 2010 ist das überhaupt kein Widerspruch, es ist Realität. Außer dem Namen und der Organisationsmannschaft hat der Lauf nämlich nur wenig mit jenem Zwei-Runden-Rennen im kleinen Städtchen Neumarkt zu tun, das bisher unter dieser Bezeichnung ausgetragen wurde. Diesmal verläuft der Kurs stattdessen von Meran nach Bozen und damit zwischen den beiden größten Städten der Region.

Eine Idee, die dem Organisationschef Alfred Monsorno schon länger im Kopf herum spukte, die er nun aber nach siebzehnjähriger Historie seiner Veranstaltung erstmals in die Tat umsetzen kann. Und damit ist da schon der nächste kleine Widerspruch. Ein Widerspruch den Menschen, die es nicht so mit der Mathematik haben, gar nicht bemerken. Aber für siebzehn Läufe braucht man eigentlich nur sechzehn Jahre, findet doch die zweite ein Jahr, die dritte zwei Jahre nach der Erstauflage statt.

Allerdings ist auch diesmal alles vollkommen korrekt. Startete man doch in Südtirol 1993 ursprünglich nur mit einem Halbmarathon, um erst im Jahr darauf zusätzlich noch die doppelte Distanz anzubieten. Der genau umgekehrte Weg also, den die meisten deutschen Marathons inzwischen gegangen sind, als sie ihr Programm irgendwann nach unten um einen halb so langen Lauf ergänzten.

Danach wurden jeweils beide Strecken in und um Neumarkt ganz im Süden Südtirols gelaufen. Der kurze Ausflug, den die Macher des Marathons für zwei Austragungen ins mit rund hunderttausend Einwohnern schon als Großstadt geltende Bozen unternahmen, endete mit einer reumütigen Rückkehr aufs Land. Der dabei anfallende organisatorische Mehraufwand stand in keinem Verhältnis zum Interesse von Läufern und Zuschauern.

Rebhänge und Hochgebirge prägen die Südtiroler Landschaft

Nun gibt es also den zweiten Versuch, dem Ganzen ein anderes Aussehen zu verpassen. Denn angesichts von Teilnehmerzahlen, die beim Marathon kaum noch über einhundert hinaus kamen und beim Halben mit drei- bis vierhundert ebenfalls nicht wirklich überzeugten, konnte es so wie bisher nicht mehr lange weiter gehen. Es musste also unbedingt etwas passieren, um der Veranstaltung auf irgendeine Art neues Leben einzuhauchen.

Der Neuanfang zeigt Wirkung. Die Meldezahlen auf der Langdistanz verdreifachen sich und stoßen in den Bereich von fünfhundert vor. Auf dem Halbmarathon wird diese Marke sogar ganz deutlich übertroffen. Mit den knapp dreihundert Läufern über zehn Kilometer kommt so in der Summe ein ganz ordentlicher Wert zusammen, wenn auch das Potential noch nicht wirklich ausgeschöpft zu sein scheint. Schließlich gehört Südtirol zu den beliebtesten europäischen Urlaubsgebieten überhaupt.

Nur in wenigen Regionen liegt die Zahl der Übernachtungen im Verhältnis zu den Einwohnern noch höher. Mehr als fünf Millionen Besucher kommen inzwischen auf weit über fünfundzwanzig Millionen Übernachtungen pro Jahr. Auf jeweils gut zwei der fünfhunderttausend Südtiroler kommt ein Gästebett. Und rund ein Viertel aller Erwerbstätigen ist im Umfeld des Tourismus beschäftigt. Knapp die Hälfte dieser Zahlen geht dabei auf das Konto deutscher Urlauber, die damit noch vor den Italienern das größte Kontingent stellen. Zusammen decken diese zwei Nationen dann auch schon achtzig Prozent des gesamten Besucheraufkommens ab.

Wirklich verwunderlich ist das eigentlich nicht in einer Gegend, die zwar zum italienischen Territorium gleichzeitig aber auch zum deutschen Sprachraum gehört. Für beide Gruppen gilt also, dass das Reiseziel schon ein ganz kleines bisschen exotisch ist. Allerdings dann doch auch nicht so sehr, als dass man sich auch ohne die geringsten Fremdsprachenkenntnisse nicht zurechtfinden könnte.

Schließlich kommt man in dieser kulturellen Übergangszone zumindest im touristischen Umfeld zumeist völlig problemlos sowohl mit Italienisch wie auch mit Deutsch durch. Gerade die dort Beschäftigten springen oft ziemlich spielend zwischen den Sprachen hin und her. Ein kurzes Mustern der Kundschaft genügt und je nachdem werden an der Kasse dann entweder "fünf Euro" oder "cinque E-uro" Eintritt verlangt.

Pizza und Pasta gibt es genauso in den Restaurants wie deftige Hausmannskost und Süßspeisen. Eine bunte Mischung aus italienischen und österreichischen Gerichten findet sich auf den meisten Speisekarten. Und in den Innenstädten sind jene Bars, in denen man sich im Süden nur mal schnell einen Espresso genehmigt, genauso verbreitet wie die Konditoreien, in denen man sich weiter nördlich eine üppige Sacher-Torte bestellt.

Doch natürlich ist es weniger die Kombination aus vertrauten und fremden sondern hauptsächlich die schöne Landschaft, von der die Touristen angelockt werden. Zwischen Obstgärten im Tal, Rebhängen und zum Teil deutlich über dreitausend Meter hohen Gipfeln ergibt sich für Urlauber das ganze Jahr über eine Vielzahl von Beschäftigungsmöglichkeiten.

Schloss Tirol hoch über Meran hat der ganzen Region den Namen gegeben

Das relativ milde Klima in den von rauen Nordwinden und den von ihnen mitgebrachten Wolken durch das Gebirgsmassiv geschützten Tälern lässt die Sommersaison deutlich länger ausfallen als auf der anderen Seite des Alpenhauptkamm. Ja, selbst Palmen wachsen an einigen Stellen. Vor bereits oder noch schneebedeckten Bergen sind sie im Herbst und Frühjahr zuhauf auf Zelluloid und Silikon gebannte Fotomotive.

Auch Anfang Oktober, also zum Zeitpunkt des Südtirol Marathons, liegen die Durchschnittstemperaturen noch deutlich im zweistelligen Bereich. Eigentlich wären das also optimale Voraussetzungen für einen mit der Teilnahme an einem Lauf verbundenen Kurzurlaub. Allerdings - und das gilt es bei der Bewertung des Meldeergebnisses eben zu bedenken - ist der Kalender gerade zu dieses Jahreszeit am dichtesten gefüllt. Da gilt es schon etwas Besonderes zu bieten, um gegen die große Konkurrenz bestehen zu können.

Mit der Kurssetzung zwischen Meran und Bozen hat man - wie die deutlichen Teilnehmerzuwächse belegen, dabei wohl auf das richtige Pferd gesetzt. Eigentlich erscheint die Wahl sogar absolut logisch. Liegen das große und das kleine Zentrum Südtirols, die ursprüngliche und die aktuelle Hauptstadt der Region doch gerade einmal dreißig Kilometer voneinander entfernt. Relativ eben sind diese auch noch, denn beide werden durch das breite Tal der Etsch miteinander verbunden.

Auch verkehrstechnisch gibt es für den Transport der Teilnehmer zum Start- bzw. Zielort, den eine von Punkt zu Punkt führende Strecke verlangt, ziemlich wenige Probleme. Auf der autobahnähnlich ausgebauten Schnellstraße, die man nach den Anfangssilben ihrer Endpunkte meist kurz nur MeBo nennt, hat man die Distanz nämlich genauso in ungefähr einer halben Stunde zurück gelegt wie mit dem Zug, der zwischen beiden Städten auch am Wochenende mindestens im Stundentakt hin und her fährt.

Für die Bahn als Beförderungsmittel ihrer Starter haben sich die Macher des Südtirol Marathons entschieden. Denn wenn man mit der Betreibergesellschaft ein Abkommen trifft und die ohnehin fahrenden und am Morgen nicht wirklich vollen Züge nutzen kann, ist das deutlich einfacher, als das für die jeweils fünfhundert Läufer nötige Dutzend Busse zu organisieren. Dass die Bozener Messe als Zentrum der Veranstaltung eine direkte Bahnanbindung hat, vereinfacht die Wahl natürlich deutlich.

Mit der Messe als Partner hat man bezüglich der Logistik selbstverständlich nicht die geringsten Probleme. Auch eine deutlich größere Teilnehmerzahl könnte man dort locker verkraften. Parkplätze sind zumindest im weiteren Umfeld ausreichend vorhanden. Die Ausstellungshalle, in der nicht nur eine überschaubare Marathon Expo aufgebaut ist sondern in der sich auch der Zieleinlauf befindet, wirkt ohnehin alles andere als ausgelastet. Nur die Duschen in der nebenan gelegene Eishalle, aufgrund ihrer Dachform Eiswelle genannt, könnten bei Tausenden von Marathonis schnell an ihre Grenzen stoßen.

Doch ist man in Bozen davon ja noch weit entfernt. Für die Verteilung der Startnummern freitags und samstags reicht ein einziger Pavillon. Das im Startgeld wie die Bahnfahrt zu den jeweiligen Startorten ebenfalls enthaltene Funktions-T-Shirt gibt es an einem Tisch nebenan. Gedränge herrscht weder an der einen noch an der anderen Ausgabestelle. Nachmeldungen werden selbstverständlich auch noch angenommen.

Das alte Kurhaus von Meran stammt noch aus Zeiten österreichischer Herrschaft Daneben rauscht die Passer mitten durch die Stadt Über die Meraner Altstadtgassen erhebt sich der Turm von St. Nikolaus

Siebzig Euro - bzw. fünfundfünfzig auf der Halbdistanz - muss man dafür auf den Tisch legen. Bei Voranmeldung sind abhängig vom Termin jeweils zehn oder zwanzig Euro weniger fällig. Was im ersten Moment recht hoch erscheint, ist angesichts des Leistungspaketes zumindest beim Marathon so unangemessen dann auch wieder nicht. Zumal zehn Euro als bei der Anmeldung automatisch mit zu zahlende Leihgebühr für den Zeitmesschip nach der Veranstaltung zurück gegeben werden. Die für die Marathonis wirklich übrig bleibenden Kosten liegen also im absolut normalen Bereich.

Der große logistische Vorteil eines Messegeländes wird allerdings auch in Bozen damit erkauft, dass diese meist wenig repräsentativ und zudem irgendwo fern des eigentlichen Stadtzentrums zu finden sind. Mitten in einem eindeutig erst in den letzten Jahrzehnten gewachsenen Gewerbegebiet fällt also ausgerechnet der Schlussabschnitt der Rennen wenig eindrucksvoll und ziemlich städtisch aus.

Noch gar nicht richtig hell ist es geworden, als sich der erste Teil der Läuferschar, nämlich jene, die auf der namensgebenden längsten Distanz antreten wollen, durch dieses von Werks- und Lagerhallen, Ausstellungs-, Verkaufs- und Bürogebäuden geprägte Stadtviertel zum direkt gegenüber der Messe gelegenen Bahnhof Bozen Süd begeben. Für neun Uhr ist ihr Start in Meran angesetzt. Und der deshalb einzig mögliche Zug fährt bereits um kurz nach sieben.

Mit der Verbindung eine Stunde später, hat man kaum noch eine Chance rechtzeitig zu kommen, schließlich ist es vom Meraner Bahnhof zum Startbereich am Thermenplatz noch ein gut zehnminütiger Fußmarsch. Und der an Werktagen verkehrende Zug dazwischen ist im etwas ausgedünnten Sonntagsfahrplan gestrichen. Bei steigenden Teilnehmerzahlen könnte seine Einsetzung zumindest am Marathontag allerdings durchaus sinnvoll sein, sind die Wagons doch bereits jetzt wenn auch nicht überfüllt so trotzdem ziemlich gut ausgelastet.

Meran kommt mit seinen nicht einmal vierzigtausend Bewohnern schon deutlich weniger urban daher als Bozen und wirkt zumindest um diese Uhrzeit fast ein wenig verschlafen. Obwohl die Stadt inzwischen bis an die Etsch heran gewachsen ist, findet sich ihr eigentliches Zentrum nicht an diesem Fluss, der als Adige der zweitlängste in ganz Italien ist, sondern dort, wo die in ihn mündende Passer durch eine Engstelle in sein breites Tal austritt.

Nur wenige Kilometer vom ungefähr auf dreihundert Meter über dem Meer gelegenen Meran entfernt wächst mit der Texelgruppe eine über dreitausend Meter hohe Bergkette empor, von der die Gegend nach Norden abriegelt wird. Auch östlich der Passer erreichen die höchsten Gipfel schnell mehr als zweieinhalbtausend Meter. Und da unweit der Stadt die aus Westen aus dem Vinschgau kommende Etsch in einem großen Bogen auf südliche Fließrichtung umschwenkt, erhebt sich auch dort das vor Wolken und Regen schützende Gebirge.

Wenig verwunderlich, dass Merano - wie die Stadt auf Italienisch heißt - mit mildem, ja fast sogar mediterranem Klima aufwarten kann. An rund dreihundert Tagen pro Jahr lässt sich die Sonne am Himmel sehen. Wirklich harter Frost ist selbst in den Wintermonaten eher selten. So wurde Meran dann auch eines der ersten großen Zentren des im neunzehnten Jahrhundert aufkommenden Tourismus.

Die Prominenten jener Zeit, der Blut- und der Geldadel trafen sich regelmäßig zur Kur im Städtchen an Passer und Etsch. Berühmtester Feriengast dürfte die zur "Sissi" idealisierte österreichische Kaiserin Elisabeth gewesen sein, die sich mehrfach in Meran, genauer gesagt im etwas außerhalb gelegenen Schloss Trautmannsdorf aufhielt, und damit zur Bekanntheit der Stadt ihren Teil beitrug.

Durch die Gassen von Bozen mit ihren Laubengängen führt der Marathon bei Kilometer 34

Ein Denkmal hat man ihr auf jeden Fall gesetzt, und auch den dort endenden Sissiweg ausgeschildert und nach ihr benannt. Ob sie diese Strecke, die vom Trautmannsdorf in die Stadt führt, je gegangen ist, scheint eher unwahrscheinlich. Doch zur Vermarktung durch die Tourismusmanager eignet sich der Name der unglücklichen Kaiserin eben wie kaum ein zweiter.

Eine Auslandsreise musste sie damals übrigens keineswegs unternehmen, um in Meran Urlaub machen zu können. Schließlich gehörte das Städtchen wie auch der Rest von Südtirol bis zum Ende des Ersten Weltkrieges zum von ihrem Mann Franz Joseph regierten habsburgischen Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn.

Erst der Vertrag von Saint-Germain, mit dem man die k. u. k Monarchie auflöste, schlug den südlichen Teil des Landes Tirol Italien zu. Und zwar nicht nur das tatsächlich hauptsächlich von Italienern bewohnte Trentino, früher Welschtirol genannt, sondern auch die fast ausschließlich von Deutschsprachigen bewohnten Gebiete südlich des Alpenhautkammes zwischen Reschenpass, Brenner und Hohen Tauern.

Genau mit diesem Ziel war das Italienische Königreich auf der Seite von Frankreich, Großbritannien und Russland in den Krieg eingetretenen. Und hatte damit eine Front aufgemacht, die noch irrsinniger war als die Schützengräben, in denen in Frankreich und Belgien Millionen Menschen in völlig erfolglosen Attacken und Gegenattacken ohne irgendeinen Geländegewinn verbluteten.

Denn mitten im Hochgebirge standen sich beide Armeen gegenüber, über die höchsten Berge verliefen die Gräben. Selbst auf dem Ortler, dem mit 3905 Meter höchsten Berg Südtirols, hatte man knapp unterhalb des Gipfels noch Geschütze positioniert. Sämtliches Material musste mit unglaublichem Aufwand von Pferden oder Maultieren und noch weiter oben dann durch Trägerkolonnen in die Stellungen gebracht werden.

Nachdem man nach vielen blutigen Versuchen irgendwann dann doch erkannt hatte, dass mit Frontalangriffen auf diesem Terrain nichts zu erreichen war, ging man dazu über, Tunnel unter die gegnerischen Befestigungen zu graben, mit Sprengstoff zu füllen und anschließend zur Explosion zu bringen. Nicht nur die gegen dieses Mittel völlig wehrlosen Besatzungen sondern sogar ganze Gipfel wurden dabei in die Luft gejagt.

Doch trotz dieser unglaublich menschenverachtenden Methoden der Kriegsführung verloren im extremen Gelände mehr Soldaten durch Lawinen, Abstürze, Schneestürme oder eisige Kälte ihr Leben als durch die Kampfhandlungen selbst. Alleine dieser als Alpen- oder Dolomitenfront bezeichnete Kriegsschauplatz forderte in den drei Jahren, in denen er bestand, über eine Million Opfer. Manchmal muss man sich wohl solche Dinge vor Augen führen, um zu bemerken, dass die Welt, in der wir heute leben, trotz allen Gejammers am Ende vielleicht so schlecht doch nicht ist.

Aus dem österreichischen "Meran" wurde so jedenfalls das italienische "Merano" und mit der alten Herrlichkeit als Urlaubsziel der Reichen und Berühmten war es erst einmal vorbei. Erst einige Jahrzehnte später gelang es wieder, das Städtchen erneut zu einem der inzwischen wichtigsten Tourismusziele der Region und dem vielleicht sogar wichtigsten Kurort im italienischen Staatsgebiet aufzubauen.

Bozener Kontraste: Die "deutsch-österreichische" Altstadt bei Kilometer 33 … ... und die "italienische" Neustadt einen Kilometer zuvor

Das Bild vom reinen Rentnerbad für ein älteres Publikum versucht man dabei mit einigem Aufwand abzulegen. Auch die erst vor wenigen Jahren gegenüber dem altehrwürdigen Kurhaus am anderen Ufer der Passer eröffnete neue Therme soll dazu beitragen. Rund zwei Dutzend Innen- und Außenbecken, Dampfbäder und Saunas warten in und um den mit viel Glas errichteten Bau auf zahlende Besucher.

Die Marathonis dürfen umsonst hinein. Denn so wie die Messe in Bozen ist auch die Therme von Meran Sponsor der Veranstaltung und stellt ihr Gelände vor dem Start als Umkleide- und Aufenthaltsbereich zur Verfügung. Bei für diese Uhrzeit eigentlich recht angenehmen Temperaturen um fünfzehn Grad und zwar bedeckten Himmel aber Trockenheit nutzen fast alle dazu die Außenanlagen. Früher oder später hätten sie ohnehin dorthin gemusst, steht dort doch der Lastwagen, mit dem die Taschen zurück zum Zielort Bozen gebracht werden.

Auf der verkehrsberuhigten Passerpromenade vor der Therme ist der Startbogen schon seit dem Vortag aufgebaut und erinnert gemeinsam mit einer großen Tafel die Passanten daran, dass an dieser Stelle der Südtirol-Marathon gestartet werden wird. Weitere Aufbauten, Absperrungen oder ähnliches können sich die Organisatoren angesichts der doch recht überschaubaren Teilnehmerzahlen allerdings sparen.

Die Startaufstellung verläuft jedenfalls ziemlich entspannt und ohne Gedränge ab. Die Zugläufer mit ihren blauen Ballons reichen als grobe Orientierung vollkommen aus. Noch am Vorabend waren bei ihnen einige Positionen offen, wie ein Schild an der Startnummernausgabe, auf dem Tempomacher für gewisse Zeitbereiche gesucht wurden, unübersehbar zeigte. Doch nun scheinen tatsächlich alle Gruppen mit einem Vorläufer besetzt zu sein.

Jedenfalls wird - von einigen Nachzüglern einmal abgesehen - fast das gesamte Feld innerhalb einer halben Minute nach dem Start über die Matte gegangen sein. Und in einer dreiviertel Minute sind dann endgültig auch die Letzten auf der Strecke. Der Vergleich mit Großveranstaltungen, bei denen die Wartezeiten bisweilen zwanzig, dreißig Minuten betragen, zeigt, dass kleinere Felder durchaus ihre Vorteile haben.

Der Streckensprecher, der in mehreren Sprachen zum ersten Start eines Marathons in Meran begrüßt, ist jedoch entweder nicht vom Fach oder aber noch nicht wirklich lange dabei. Schließlich gab es Ende der Achtziger ein halbes Dutzend Jahre lang schon einmal einen Marathon in der Kurstadt. Bei altgedienten Haudegen hat diese Veranstaltung, die während der Apfelblüte im Frühling ausgetragen wurde, noch immer einen legendären Ruf.

Der Bau der MeBo-Schnellstraße und die damit verbundenen Genehmigungsprobleme sorgten für ihr Ende. Inzwischen wird in Meran um diese Jahreszeit ein Halbmarathon auf einer deutlich kleineren Schleife gelaufen. Das alte Logo mit dem orangen und dem gelben M hat man dabei allerdings wohl nicht ganz zufällig übernommen. Der Südtirol Marathon sieht sich nun zwar nicht unbedingt in der direkten Nachfolge des alten Meraner Laufes, aber ein wenig anknüpfen kann man mit der neuen Strecke an dessen Tradition vielleicht dennoch.

Langsam schließen sich die letzten Lücken in der Südtiroler Laufszene. Denn mit dem in diesem Sommer erstmals ausgetragenen Rennen von Brixen hat man nun auch einen eigenen Bergmarathon. Die durch die lokale Presse geisternde Behauptung, dass zwischen Meran und Bozen der einzige Lauf über diese Distanz in der Provinz stattfinden würde, ist deshalb auch mit ziemlicher Vorsicht zu genießen und maximal mit dem Zusatz "auf der Straße" richtig.

Kurz vor neun Uhr verstummen die Gespräche, nicht nur aus Nervosität, auch weil der Sprecher um ein kurzes Gedenken an den früheren Skirennläufer Erwin Stricker gebeten hat, der das Projekt des Marathons auf der neuen Strecke maßgeblich unterstützte und eigentlich auch am Lauf teilnehmen wollte. Die für ihn eigentlich bereit gelegte Startnummer 60 blieb allerdings unabgeholt und wird es auch für alle Zeiten bleiben.

Wie in ganz Südtirol gibt es auch in Bozen an Schlössern und Burgen keinen Mangel. Schloss Maretsch (links) und Schloss Klebenstein (rechts)

Es ist ein irgendwie seltsamer Kontrast und doch vielleicht gar nicht so völlig unpassend, als keine Minute später schon wieder Rockmusik aus den Boxen hämmert und Brian Adams die Läufer auf die Strecke verabschiedet, indem er von den besten Tagen seines Lebens in einem bereits einige Zeit zurück liegenden Sommer singt.

Auf der anderen Seite der Passer würde die kleine aber feine Altstadt von Meran mit ihren Laubengassen, ihren Kirchen und den drei noch erhaltenen Stadttoren liegen. Doch weder sie noch die davor am Ufer des auch im Stadtgebiet noch recht wilden Flüsschen errichteten Kuranlagen oder auch die vielen durch üppige und zum Teil ziemlich südländische Vegetation führenden Promenaden bekommen die Marathonis zu Gesicht. Denn nicht nach rechts über die Brücke führt der Kurs am Ende der Startgeraden sondern nach links und damit direkt aus Meran hinaus.

Nach einem Kilometer und dem Passieren von eher modernen Wohnvierteln ist man an einer Art Sportpark angekommen. Ein etwas ungewöhnlicher allerdings. Die Schwimmhalle ist sicher nicht besonderes. Auch eine Eishalle - selbst wenn nicht unbedingt üblich - hätte man in dieser Region vielleicht noch erwarten können. In ihr spielt der HC Meran Junior in der zweiten italienischen Liga Eishockey - übrigens fast ausschließlich gegen Südtiroler Mannschaften, die auch in der ersten Spielklasse überproportional vertreten sind.

Doch eine Pferderennbahn kann nun wahrlich nicht jede Stadt dieser Größenordnung ihr eigen nennen, mitten in den Alpen schon überhaupt nicht. Nur eine Woche vor dem Marathon wurde auf ihr der Große Preis von Meran ausgetragen, der eines der am höchsten dotierten Hindernisrennen in ganz Europa ist. Ein ganz anderer Höhepunkt der Saison sind an Ostern die Wettbewerbe mit Haflingern, jener genügsamen Pferderasse, die ihren Namen vom nur wenige Kilometer von Meran entfernten Dorf Hafling hat.

Am Ende der Rennbahn schwenkt der Kurs am Bahnhof Meran-Untermais noch einmal kurz nach Norden. Doch nur um die Rampe hinauf zu einer Brücke in Angriff zu nehmen, auf der mit einen Schlag Eisenbahn, Schnellstraße und Etsch überquert werden können. Für die nächsten zehn Kilometer wird der Kurs nun erst einmal auf der rechten Talseite verlaufen.

Wer beim Erklettern dieser kurzen Steigung den Blick nicht auf den Boden sondern nach oben richtet und genau hin sieht, kann in der Ferne hoch über dem Meraner Tal jenes Schloss Tirol erkennen, mit dem die Geschichte des gleichnamigen Landes begann. Von ihrem Stammsitz aus gelang es den Grafen von Tirol - das Umland von Meran heißt deshalb auch Burggrafenamt - die Region nach und nach unter ihre Herrschaft zu bringen. Doch nicht allzu lang währte diese. Nur etwa ein Jahrhundert existierte Tirol als unabhängiges Land.

Nach dem Erlöschen der direkten Erblinie fiel Tirol bereits 1363 an die mit dem Grafengeschlecht eng verwandten Habsburger. Für fünfhundertfünfzig Jahre übten diese mehr oder weniger ununterbrochen die Regentschaft aus, bis das Land in drei Teile zerschlagen wurde, von denen nur der nördlichste noch beim nun zur Republik gewordenen Österreich blieb. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet die Namensgeber - nämlich das Schloss und das benachbarte Dorf Tirol - damit nun gar nicht mehr zum übriggebliebenen Bundesland Tirol gehören.

Die Außenanlage der Meraner Therme bietet vor dem Start noch etwas Gelegenheit zum Entspannen Am Ufer des Flüsschens Passer direkt vor der Therme befindet sich der Startbereich

Die neuen Herren des Südteils versuchten in der Folge jede Verbindung nach Norden zu kappen. Selbst aus den Bezeichnungen wurde das Wort "Tirol" getilgt. Nicht nur, dass man aus dem doch etwas abfälligen "Welschtirol" das "Trentino" machte, statt "Südtirol" gab es nun auch nur noch die italienische Provinz "Alto Adige" - übersetzt "Oberetsch" oder "Hochetsch".

Die Ansiedlung von Italienern aus dem Süden wurde zumindest in der Anfangszeit stark gefördert. Und so hat Südtirol, das inzwischen zumindest in der deutschen Variante auch wieder so heißen darf, zwar immer noch eine klare deutschsprachige Bevölkerungsmehrheit. Doch immerhin ein gutes Viertel der Einwohner spricht als Muttersprache Italienisch. Da sich die Zuwanderer bevorzugt in den Städten niederließen, ist in Meran das Verhältnis zwischen beiden Gruppen sogar ziemlich genau ausgeglichen.

Die Zahlen sind so genau bekannt, weil jeder Südtiroler sich in einer im Zehn-Jahres-Rhythmus abgehaltenen Volkszählung zu einer Sprachgemeinschaft zuordnen muss. Nach dem Ergebnis werden dann zum Beispiel insbesondere für den öffentlichen Dienst im exakten Proporz Stellen ausgeschrieben. Nicht nur die Qualifikation sondern auch die Muttersprache ist also für die Einstellung entscheidend, was gerade in höheren Positionen nicht immer die beste Voraussetzung für wirklich gute Arbeit ist.

Zwar sollen gerade die Mitarbeiter von Behörden möglichst zweisprachig sein, doch schon im Kindergarten und später erst recht in der Schule werden die Kinder danach getrennt, ob zu Hause Deutsch oder Italienisch geredet wird. Die jeweils andere Sprache wird später wie eine Fremdsprache erlernt. So ist das Zusammenleben beider Bevölkerungsteile inzwischen zwar in der Regel ziemlich spannungsfrei, aber oft eben nur ein Neben- und kein wirkliches Miteinander.

Mit dem Überqueren der Etsch ist man auf die Gemarkung von Marling gewechselt. Und die dichte Bebauung der Stadt ist innerhalb weniger Schritte einer Streusiedlung mit mehreren größeren Häusergruppen und einigen Einzelhöfen gewichen. Zusammen mit den Apfelplantagen im Tal und den Weinbergen an den Hängen bestimmen sie nun das Bild. Bis zum Erreichen von Bozen wird sich daran auch nicht mehr viel ändern.

Ein ganzes Stück oberhalb der Straße, an der sich die Laufstrecke orientiert, erhebt sich der Kirchturm des kleinen Dörfchens. Nicht wirklich hindurch, sondern nur am unteren Ortsrand vorbei führt der Kurs. Und wenig später steuern die Marathonis die erste Zwischenmarke bei Kilometer fünf endgültig nur noch zwischen Apfelbäumen und Traubenstöcken an.

"Äpfel" steht auch auf dem Schild am Straßenrand, das in genau dem gleichen gelben Farbton ausgefallen ist, den auch die Richtungstafeln des Marathons zeigen. Das könnte schon die erste Verpflegungsstelle sein. Doch das Weiterlesen macht im nächsten Moment bereits stutzig. Denn "Wein" ist als nächstes aufgelistet. Und spätestens bei "Speck" wird klar, dass es sich keineswegs um den Versorgungsposten sondern nur um den Verkaufsstand eines Bauern handelt.

Erst ein Stückchen weiter hinter der nächsten lang gezogenen Kurve taucht dann tatsächlich die erste Station auf. Zwar wird dort nur Wasser verteilt, dieses aber in Plastikflaschen, so dass keine Probleme bestehen ausreichend Flüssigkeit zu bekommen. Im späteren Verlauf werden die Stände dann auch Elektrolytgetränke und - wenig verwunderlich in einem der größten Apfelanbaugebiete Europas - auch Obst im Angebot haben.

Von den ungefähr fünf Kilometern Abstand wird man dabei allerdings nicht abweichen. Gerade im Süden, in Italien, Spanien und Frankreich - also dort, wo es eigentlich besonders warm werden könnte - halten sich die Veranstalter meist ziemlich strikt an diese Verbandsvorgabe. Da kann bei entsprechender Witterung der Weg zum nächsten Getränketisch schon einmal ziemlich weit werden.

Oft genügt ein Lastwagen zum Transport der Sporttaschen Die neue Thermen-Anlage besteht hauptsächlich aus Glas Relativ entspannt und ohne Gedränge geht es am Start zu

Eine Hitzeschlacht, die man nach dem warmen und sonnigen Samstag durchaus befürchten musste, wird der neue Südtirol Marathon bei seiner Premiere allerdings nicht werden. Noch immer ist es bewölkt und die Temperaturen in einem zum Laufen ziemlich angenehmen Bereich. Von Spätsommer keine Spur. Angekündigt ist allerdings, dass es zumindest zum Mittag hin aufreißen und deutlich wärmer werden soll.

Doch diesmal liegen die sonst inzwischen recht treffsicheren Meteorologen ein wenig daneben. Die Sonne wird sich in Meran und Bozen den ganzen Tag nicht am Himmel sehen lassen. Und auch die letzten Läufer werden noch unter Wolken ins Ziel kommen. Nicht im klimaverwöhnten Südtirol sondern auf der anderen, der nördlichen Seite der Alpen herrscht an diesem Wochenende das wärmere Wetter.

Die Strecke führt hinter der Verpflegungsstelle nach Tscherms hinein. Noch etwas kleiner als Marling zieht sich das Dorf vor allem an der Hauptstraße entlang. Etwas ansteigend ist das Asphaltband nun wieder meist, nachdem es aus Meran hinaus erst einmal vorrangig leicht bergab ging.

Zwar folgt die Strecke der Etsch flussabwärts und verliert zwischen Start und Ziel rund siebzig Höhenmeter. Doch völlig flach ist sie nicht. Immer wieder gilt es kleine Kuppen zu bewältigen, manchmal zehn, manchmal auch zwanzig Meter hinauf und hinunter. "Die haben den hügeligsten Weg ausgesucht, den es von Meran nach Bozen gibt", merkt Andreas Ravanelli, der als Bozener die Gegend natürlich wie seine Westentasche kennt, dazu an.

Was natürlich nicht ganz richtig ist, schließlich hätte man den Marathon auch noch weiter oben durch die Berge führen und damit den Schwierigkeitsgrad deutlich erhöhen können. Entlang der Etsch gäbe es allerdings auch einen nahezu völlig ebenen Radweg. Dieser verläuft dann jedoch wieder größtenteils an den Ortschaften vorbei und wäre auf die Dauer eher eintönig. So gesehen ist der Streckenverlauf eigentlich ein ganz guter Kompromiss zwischen Schnelligkeit und Attraktivität.

Ob dabei aufsummiert wirklich jene doch recht abschreckend wirkenden über vierhundert Meter zu erklettern sind, die man in der Ausschreibung angibt, hängt wohl eher davon ab, was man bei der Ermittlung dieses Wertes alles berücksichtigt. Wenn man jede eigentlich kaum spür- und nur mit der Wasserwage erkennbare Welle mitrechnet, kann es vielleicht sogar hinkommen. Gefühlt ist der Kurs jedenfalls nicht wirklich so schwer, wie ihn die bloßen Zahlen wirken lassen.

Obwohl es für Andreas Ravanelli ja eigentlich ein Heimspiel ist, läuft er beim Südtirol Marathon zum ersten Mal mit. Er habe bisher keine Lust gehabt, auf der alten Strecke "Apfelbäume zu zählen". Auf dem neuen Kurs von Meran nach Bozen wolle er aber schon einmal dabei sein. "Zumindest einmal" könnte man auch sagen, denn ein wirklicher Vielstarter ist er nicht. Er läuft erst seinen dritten Marathon, geht nur im Abstand einiger Jahre erneut über diese Distanz. Bisher sei er einzig in Berlin und New York dabei gewesen.

Dass der Südtirol Marathon von ihm nun in einem Atemzug mit diesen Megaveranstaltungen genannt wird, lässt ihn selbst ein wenig schmunzeln. Diesmal ginge es allerdings fast an seiner Haustür vorbei. Und immer wieder stehen auch grüßende Bekannte von ihm am Streckenrand. Da war der Start wohl tatsächlich fast eine Selbstverständlichkeit. So wie er denken anscheinend viele Läufer in der Region, stammt doch - wie das Durchblättern der Ergebnisse zeigt - ungefähr die Hälfte der Teilnehmer aus Südtirol.

Allzu schwer ist das nicht festzustellen, schließlich ist hinter den meisten Namen eine Vereinsbezeichnung vermerkt. Das hat auch damit zu tun, dass vom italienischen Leichtathletik-Verband FIDAL bei Meldung für eine Laufveranstaltung entweder die Lizenz eines Sportclubs oder aber ein ärztliches Attest verlangt wird. Ravanelli gibt zum Beispiel offen zu, dass er hauptsächlich deshalb Mitglied des LC Bozen ist, damit er seine Startberechtigung hat.

Am Bahnhof Meran-Untermais verlässt man die Stadt … … und läuft über die Etsch nach Marling Tscherms heißt dann die nächste Ortschaft

Im Gegensatz zu Frankreich, wo die Richtlinien inzwischen so verschärft wurden, dass man als Ausländer ohne Attest keine Chance mehr hat, überhaupt an Wettbewerben teilzunehmen, weil selbst Startpässe anderer Verbände wie des DLV nicht mehr anerkannt werden dürfen, sieht man es in Italien jedoch noch nicht ganz so eng.

Recht sanft, aber gleichmäßig steigt die Straße weiter in Richtung Lana an. Wo Tscherms endet und die Nachbargemeinde beginnt, lässt sich beim Durchlaufen nicht ganz genau feststellen. Optisch klar definierte Grenzen haben beide nicht. Aber spätestens am Schild, das Besucher in der Heimat von Rodel-Doppel-Olympiasieger Armin Zöggeler begrüßt, bemerkt man dann doch den Ortswechsel.

Gerade im Wintersport begegnet man immer wieder südtiroler Sportlern. Etliche Olympiasieger und Weltmeister im Alpine Skilauf, Biathlon oder Bobfahren stammen aus der Provinz. Gleich mit mehreren klassischen Weltcup-Orten kann man glänzen. Die Saslong-Abfahrt im Grödner Tal lässt die Landschaften Südtirols in der kalten Jahreszeit genauso über den Bildschirm flimmern wie die Rennen der Skijäger in Antholz.

Während in der italienischen Skinationalmannschaft deutsch- und italienischsprachige Athleten in bunter Mischung ihre Siege erzielen, sind im Rodelteam die Südtiroler sogar praktisch unter sich. Ein wenig ungewöhnlich ist es bei oberflächlicher Betrachtung irgendwie schon, wenn da Italiener auf dem Treppchen stehen, die dann süddeutsche Allerweltsnamen wie zum Beispiel Huber oder Gruber tragen. Auch in Italien selbst tut man sich manchmal etwas schwer damit, hat dann und wann gewisse Probleme, die Südtiroler Erfolge als eigene zu begreifen.

Manche erinnern sich vielleicht noch an die unschöne Episode, als der Doppelsitzerrodler Gerhard Plankensteiner bei den Olympischen Spielen in Turin nicht ohne eine gewisse Hinterlist von einem italienischen Reporter gefragt wurde, ob er denn bei einem Sieg die "Hymne von Mameli" gesungen hätte. Seine Antwort, er kenne dieses Lied nicht, löste im Süden des Landes eine Welle der Empörung aus. Denn jener besagte Mameli war der Dichter der italienischen Nationalhymne.

Man stelle sich einmal vor, ein Deutscher Sportler würde auf die Hymne von Hoffmann von Fallersleben angesprochen. Ob es dabei immer eine vernünftige Antwort gäbe, ist eher fraglich. Dennoch sahen sich natürlich viele Italiener in ihrer Meinung bestätigt, dass die Südtiroler noch immer nichts von ihrem Staat wissen wollen. Umgekehrt fühlten sich die Südtiroler zutiefst ungerecht behandelt und sogar regelrecht gedemütigt, als man den armen Plankensteiner in einem weiteren Interview nötigte, die Hymne vor laufender Kamera zu singen.

Auf beiden Seiten herrschte große Verärgerung. Es wurden in Südtirol sogar vereinzelt Rufe laut, auf eigene Nationalteams hin zu arbeiten. Schließlich sei man eine Wintersportgroßmacht. Und die eigentlich zu Dänemark gehörenden, aber mit weitgehender Autonomie ausgestatteten Färöer würden es ja vormachen.

Die Gemüter beruhigten sich wieder. Selbst die manchmal selbst ziemlich nationalistische Töne anschlagenden italienischsprachigen Zeitungen der Provinz sprangen dem Rodler schließlich bei. Doch der Vorfall zeigt, wie brüchig der vermeintliche Friede zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen in bestimmten Situationen noch immer ist.

An der Brücke, die sich über der engen Schlucht erhebt, mit der das Ultental in das Etschtal mündet, haben die Marathonis nach ungefähr acht zurück gelegten Kilometern bereits den höchsten Punkt der Strecke erreicht. Doch trotz des längeren Anstiegs befindet man sich nur wenige Meter oberhalb des Starts am Thermenplatz und hat eigentlich nur verlorene Höhe zurück gewonnen. Von nun an können sich die Läufer aber erst einmal auf ein längeres Gefälle freuen.

An der Teissbrücke in Lana hat man den höchsten Punkt der Strecke erreicht

Auf einem Felsen oberhalb des Abgrundes thront Schloss Braunsberg. Doch eigentlich ist das kaum erwähnenswert. Denn in Bezug auf den Reichtum an Burgen und Schlössern lässt sich die Gegend von Meran und Bozen kaum überbieten. Jede Gemeinde hat ihre eigenen, in der Regel gleich mehrere davon. Nicht einmal das für seine Burgen berühmte Mittelrheintal rund um die Loreley kann da mithalten. Fast ständig hat man beim Südtirol Marathon irgendwo auf dem Berg eine von ihnen im Blick.

Hinter der Brücke wartet mit der Kapelle Maria Hilf eines jener Bauwerke aus einer anderen in Südtirol ziemlich häufig anzutreffenden Kategorie. Denn auch an Kirchen herrscht wahrlich kein Mangel. Alleine auf dem Weg durch Lana wird man an fünf von ihnen vorbei kommen. Das deutet jedoch keineswegs auf viele unterschiedliche Glaubensrichtungen hin, wie man im ersten Augenblick vermuten könnte. Denn so uneins sich deutsch- und italienischsprachige Südtiroler manchmal sind, bis auf wenige Ausnahmen sind alle katholisch.

Von Ober- über Mittel- nach Niederlana führt der Kurs. Doch ist diese Unterscheidung eher theoretischer Natur. Schließlich sind alle drei Fraktionen längst zusammen gewachsen, selbst wenn ihre ursprünglichen Kerne auf der Karte noch gut zu erkennen sind. Nicht nur aber insbesondere dort herrscht ziemlich gute Stimmung am Straßenrand. Überraschend zahlreich ist das Publikum, insbesondere für eine Veranstaltung, die in großen Teilen fast als Landschaftslauf gelten kann.

Und während man sonst in Italien als Läufer maximal geduldet, manchmal aber auch regelrecht angefeindet wird, wenn wegen eines Rennens gerade einmal die Durchfahrt etwas behindert ist, fällt der Empfang beim Südtirol Marathon ziemlich freundlich aus. Die Grußworte, aller Bürgermeister der durchlaufenen Gemeinden im Programmheft waren nicht wie so oft sonst hohle Phrasen. Die Bevölkerung hat den Lauf und die neue Streckenführung tatsächlich angenommen.

Nach Andreas Hofer ist die belaufene Straße eine Zeit lang benannt. Auch das ist nichts Besonderes. Eine solche gibt es fast in jeder Gemeinde. Denn obwohl der Tiroler Nationalheld seine großen Schlachten am Berg Isel bei Innsbruck schlug, ist er eigentlich Südtiroler. Der vom Wirt und Viehhändler zum Anführer einer Rebellion aufgestiegene Hofer stammte nämlich aus dem Passeier, dem Tal der bei Meran in die Etsch mündenden Passer.

Nach der Niederlage Österreichs gegen das napoleonische Frankreich und das verbündete Bayern, hatte Tirol 1806 an den bayerischen König abgetreten werden müssen. Die Reformen und Modernisierungsansätze des neuen Herrschers, mit denen unter anderem auch der Einfluss der Kirche zurück gedrängt werden sollte, stießen bei der Bevölkerung nicht unbedingt auf Gegenliebe.

Als dann auch noch in Tirol Rekruten für die Bayerische Armee ausgehoben wurden, brach drei Jahre später ein Aufstand aus, an dessen Spitze sich der Landwirt aus St. Leonhard setzte. Dreimal konnte er mit seinen Schützenkompanien die Franzosen und Bayern besiegen. Die vierte und letzte der Berg-Isel-Schlachten endete allerdings für die Tiroler mit einer schweren Niederlage.

Die Kirche Mariahilf ist eine von vielen Kirchen an der Laufstrecke Die lang gezogene Ortschaft Lana wird fast vollständig durchquert

Da hatte der österreichische Kaiser Franz, der die Rebellion anfangs unterstützt, sogar aus eigenem Interesse voran getrieben hatte und ebenfalls gegen Napoleon ins Feld gezogen war, bereits wieder Frieden geschlossen und - entgegen seiner Versprechungen - Tirol erneut an die Sieger abgetreten. Die Tiroler mussten alleine weiter kämpfen. Hofer blieb so nur die Flucht. Nach einigen erfolgreichen, aber unbedeutenden Rückzugsgefechten wurde er im Januar 1810 gefangen genommen und wenige Wochen danach hingerichtet.

Wie so oft bei historischen Personen wird auch Andreas Hofer stark verklärt, gelegentlich fast schon mystisch überhöht. Wie so oft hat jeder je nach seinen speziellen Zielen einen eigenen Hofer. Doch als großer Freiheitsheld taugt er eigentlich nicht. Diejenigen, die ihn als solchen feiern, vergessen nur zu gerne, dass er auch für das absolutistische, klerikale Habsburgerreich und gegen eine modernere Gesellschaft und die Ideale der französischen Revolution kämpfte.

Und jene, die ihn zur nationalen Symbolfigur der Deutschtiroler gegen die italienische Herrschaft machen wollen, übersehen dabei, dass unter seinen Schützen auch viele Italiener aus Welschtirol waren, denn dort war der Widerstand gegen die fremden Besatzer besonders groß. Gemeinsam traten also deutsch- und italienischsprachige Tiroler gegen Deutsche aus Bayern an, in denen die Südtiroler Separatisten heute doch ganz nahe Verwandte gefunden haben wollen.

Am ehesten kann man Hofer vielleicht noch als tragischen Helden sehen, der eher zufällig in politische Ränkespiele hinein rutschte. In gutem Glauben an die Richtigkeit seines Tuns handelnd, wurde er dabei aber eigentlich nur benutzt und nur so lange als Helfer akzeptiert, wie er benötigt wurde. Später, als er selbst Unterstützung nötig gehabt hätte, ließen die, für die er doch gekämpft hatte, ihn einfach fallen. Bezeichnend ist dafür eine der Varianten, die für seine letzten Worte im Umlauf sind. "Franzl, Franzl, das verdank ich dir" sollen sie nämlich gelautet haben.

Dort wo die Andreas-Hofer-Straße endet, steht mitten im Ort am Tribusplatz eine Güterzuglok. Sie ist ein Überbleibsel der alten Lokalbahn, die früher vom Dorf hinunter zum Bahnhof fuhr, den sich Lana an der Hauptlinie Meran-Bozen mit der Nachbargemeinde Burgstall teilt. Natürlich wurden mit ihr hauptsächlich Äpfel transportiert, gilt doch Lana als der wichtigste Produzent dieses Obstes im an Apfelplantagen nun wahrlich nicht armen Südtirol überhaupt.

Diese Aufgabe haben inzwischen Traktoren übernommen, denen man um diese Jahreszeit, in denen nicht nur der Marathon stattfindet, sondern auch sowohl Apfelernte wie Weinlese anstehen, nahezu überall begegnen kann. Selbst durch die Innenstadt von Meran rollen die Obstwagen mit schöner Regelmäßigkeit. Und sogar in der regionalen Metropole Bozen sind sie gelegentlich zu sehen.

Auch die Marathonis orientieren sich zumindest grob am Verlauf der früheren Eisenbahn. Denn nach einem kleinen Schlenker streben sie ebenfalls der Etsch entgegen, um bei Kilometer zwölf zurück auf die linke Talseite zu wechseln. Erneut reicht eine einzige Brücke, um Fluss, Schnellstraße und Bahnlinie zu überqueren. Und auch den Radweg, der direkt am Etschufer verläuft, hat man dabei gleich mit gekreuzt.

Im Gegensatz zum großen Rest von Italien, wo Radfahren hauptsächlich als Sportart gesehen wird, hat das Rad in Südtirol eine deutlich weiter gehende Rolle als Fortbewegungsmittel und Freizeitbeschäftigung. Während man, je weiter es auf der Apenninenhalbinsel nach Süden geht, immer seltener auf Radwege trifft, ist das Netz gerade in der nördlichsten Provinz ziemlich gut ausgebaut. Nicht nur über Land sondern auch quer durch Städte wie Meran und Bozen sind überall gesonderte Spuren für Radler markiert und ausgeschildert, die von der Bevölkerung durchaus genutzt werden.

Den Wert von Fernradwegen als touristische Attraktion hat man in Südtirol - und in etwas geringerem Maß auch im benachbarten Trentino - erkannt. Nicht nur durch das gesamte Etschtal vom Reschenpass bis nach Verona zieht sich eine viele hundert Kilometer lange Radwanderroute. Vom Brenner kommt durch das Tal des Eisack ebenfalls eine herunter und trifft bei Bozen mit der Etschtalstrecke zusammen. Auch einige der Quertäler sind mit entsprechenden Wegen erschlossen, so dass in Südtirol - zumindest aus italienischem Blickwinkel - für Radler fast paradiesische Zustände herrschen.

Recht abrupt wachsen die Berge im Osten des Etschtals rund tausend Meter nach oben. Als Tschögglberg wird dieser Höhenrücken, der sich von Meran bis Bozen zieht, im Allgemeinen bezeichnet, selbst wenn er aus weit mehr als nur einem einzigen Gipfel besteht. Wie die Perlen an der Schnur liegen die kleinen Ortschaften, durch die das mittlere Drittel der Marathonstrecke führen wird, entlang der Straße zu seinen Füßen.

Das schon erwähnte Dorf Burgstall, in dem der Kurs von zwischendurch einmal östlicher wieder auf südliche Richtung abdreht, ist die erste von ihnen. Um dem früher ziemlich sumpfigen Untergrund in Flussnähe aus dem Weg zu gehen, liegt es wie die anderen einige Meter oberhalb am Hang, Das führt allerdings auch dazu, dass die Straße nicht ganz eben ist. Selbst wenn diese im Verlauf von einem Dutzend Kilometer praktisch kaum Höhe gewinnen oder verlieren wird, stellen sich von nun an immer wieder einmal kleine Kuppen in den Weg.

Gleich zwei davon seien es alleine in Burgstall, warnt Andreas Ravanelli beim Hineinlaufen in den Ort. Zwar hat der Bozener, der sein Ziel unter vier Stunden zu bleiben mit einer Endzeit von 3:51:42 ganz locker erreicht, damit durchaus recht. Doch wirklich bleibenden Eindruck hinterlassen die Steigungen nicht unbedingt. Da bleibt der ausrangierte und mit bunten Kürbissen bepflanzte VW Käfer vor einer Gärtnerei viel eher im Gedächtnis haften. Er läuft und läuft und läuft nun nicht mehr. Das tun nur die ihn passierenden Marathonis.

Lautmalerisch hat man den Namen Burgstall als "Postal" ins Italienische übertragen. Und das ist streng genommen auch die einzige amtliche Bezeichnung. Denn obwohl die Autonomieregelung die Verwendung deutscher Ortsnamen grundsätzlich zulässt, fehlt noch immer das Durchführungsgesetz, das die einzelnen Benennungen offiziell genehmigt. Selbst wenn diese längst überall wieder benutzt werden, sind sie formaljuristisch eigentlich nur geduldet.

Nur eine Lok erinnert in Lana noch an die alte Lokalbahn Im Dorfzentrum haben sich überraschend viele Zuschauer eingefunden

Auch Gargazon, das man nach etwa fünfzehn Kilometern durchläuft, besitzt mit "Gargazzone" natürlich eine italienische Entsprechung. Der Weg hinüber zu diesem Dörfchen führt genauso wie der aus ihm hinaus entlang des klar definierten Übergangs zwischen Tal und Berg. Die Vegetation spiegelt diese scharfe Grenze genau wider. Während man auf der rechten Seite in der Ebene weiträumige Apfelplantagen passiert, findet sich links am Hang praktisch durchgängig Buschwerk und Wald.

Deutlich weiter als am Anfang sind die Abstände zwischen den Ortschaften im Mittelteil des Marathons. Denn bis mit Vilpian die nächste von ihnen erreicht wird, steht auch fast schon wieder die nächste und damit vierte Getränkestelle bei Kilometer zwanzig an. Inzwischen hat man das Burggrafenamt verlassen und ist im Bezirk mit dem Namen Überetsch-Unterland unterwegs. Und man hat nun auch die Südtiroler Weinstraße, zu der sich die meisten Gemeinden dieses Gebietes zusammen geschlossen haben, unter den Füßen.

Ein Stück hinter dem Dorf piept die Chipmatte, mit der die erste Streckenhälfte abgeschlossen ist. Im wahrsten Sinne des Wortes allein auf weiter Flur ist da schon der Kenianer Silas Rutto. Ohne Konkurrenz durch einen seiner Landsleute läuft er völlig unangefochten an der Spitze bereits über acht Minuten vor seinem nächsten Verfolger Riccardo Baggia her.

Die Zwischenzeit des Ostafrikaners deutet auf eine 2:15 hin. Womit er, selbst ohne Einbruch kaum schneller sein würde als Organisationschef Alfred Monsorno bei seinem Hausrekord. Denn der lieferte ein knappes Vierteljahrhundert zuvor beim Chicago Marathon des Jahres 1986 immerhin eine 2:19:22 ab und war damit erster Südtiroler unter der Marke von 2:20. Nur etwa ein halbes Dutzend von Läufern aus der Provinz war seither noch schneller.

Darunter ist mit Hermann Achmüller, der vor fünf Jahren in London 2:18:56 lief, auch einer der beiden zurzeit wohl bekanntesten Namen der Südtiroler Laufszene. Er zieht den Münchner Marathon eine Woche später vor, wo er Zweiter werden wird. Gemeinsam mit seinem Kumpel Reinhard Harrasser gewann er 2004 allerdings auch schon einmal dem Heimmarathon. Als Tempomacher besitzt er ebenfalls einen guten Ruf und führte zum Beispiel 2001 Naoko Takahashi in Berlin zum Weltrekord.

In den letzten Jahren hat er sich auch ein wenig den Bergmarathons zugewandt und zum Beispiel beim Jungfrau-Marathon einen Sieg sowie mehrere vordere Platzierungen eingefahren. Gerd Frick, der andere Südtiroler, dessen Namen man regelmäßig im Zusammenhang mit Lauferfolgen zu lesen bekommt, ist sogar noch viel mehr auf dieses Metier spezialisiert. Für ihn, der in Meran ebenfalls nicht dabei ist, steht zum Beispiel ein erster Platz in Zermatt zu Buche.

So kämpfen dann auch keine Einheimischen um den Sieg mit. Bester Südtiroler wird am Ende als Fünfter in 2:47:29 Paul Gschlieser aus dem Weinort Kaltern werden. Bei Halbzeit liegt er allerdings noch nicht unter den ersten zehn und wird erst mit einer schnelleren zweiten Rennhälfte nach vorne laufen. Hinter Rutto und Baggia kommt mit Alessandro Vuerich ein Läufer als Dritter in Vilpian durch, der zwar nicht aus der Provinz aber zumindest aus der Nähe, nämlich dem keine vierzig Kilometer von Bozen entfernten Fassatal im Trentino stammt.

Dort wird genau wie in den beiden Südtiroler Talschaften Grödner- und Gadertal weder Italienisch noch Deutsch sondern Ladinisch gesprochen, eine aus dem Lateinischen hervorgegangene, eigenständige Sprache, von der nur einige unverbesserliche und verbohrte Nationalisten behaupten, sie sei ein italienischer Dialekt. Vielmehr ist sie mit dem Rätoromanischen des Schweizer Kantons Graubünden und dem weiter östlich im Friaul beheimateten Furlanisch verwandt.

In Südtirol gilt sie als dritte offizielle Sprache. Denn nicht nur Deutsch oder Italienisch kann man bei der Zuordnung zu einer Bevölkerungsgruppe auswählen, sondern auch das Ladinische geht in die Quotenregelung mit ein. Immerhin ein knappes Zwanzigstel der Bewohner der Provinz gehört ihr an. Dennoch zählen die zudem noch von Tal zu Tal etwas unterschiedlichen ladinischen Dialekte zu den kleinsten lebenden Sprachen in Europa.

Auch in den Gemeinden des Trentino, in denen man sie benutzt, hat sie einen offiziellen Status. Die beiden zu Venetien und dort zur Provinz Belluno gehörenden Täler Fodom und Anpezo im Süden des Sella-Massivs sind trotz der ursprünglichen Zugehörigkeit zum ladinischen Sprachgebiet formal jedoch rein italienisch.

Deshalb und weil man historisch ohnehin zu Tirol gehörte und erst nach der Angliederung an Italien verwaltungsmäßig von diesem abgetrennt wurde, gibt es dort große Ambitionen, sich wieder Südtirol anzuschließen. Auf der anderen Seite versucht man in Venetien jedoch alles, um insbesondere den bekannten Wintersportort Cortina zu behalten.

Kurz nach der Kapelle St. Anna verlässt man Lana endgültig Wein ist nicht nur an den Hängen sondern auch an den Häusern immer wieder einmal präsent Der kürbisbewachsene Käfer in Burgstall läuft endgültig nicht mehr, das tun dafür die Marathonis

Während bei den Männern längst alles entschieden zu sein scheint, ist es nach der Hälfte im Frauenrennen noch immer ziemlich spannend. Gerade einmal zehn Sekunden trennen die führende Elizabeth "Lizzy" Hawker, die hierzulande insbesondere durch ihre Erfolge bei langen Bergläufen bekannt ist, von der Zweiten Federica Ballarini. Nicht einmal eine Minute hat die sechs Minuten später auf Platz drei durchlaufende Alessandra Prezzi auf Cristina Tenaglia Vorsprung.

Obwohl Lizzy Hawker natürlich Britin ist, wird sie in der Ergebnisliste nach ihrem aktuellen Wohnsitz unter "Svizerra", also "Schweiz" geführt. Doch auch "richtige" Schweizer sind neben Italienern, Deutschen und Österreichern am Start. So zählt der Track Club aus Davos zu jenen Vereinen und Lauftreffs, die ihren Herbstausflug nach Südtirol zum Marathon machen. Gleich mehrere große Gruppen lassen sich vor, während und nach der Veranstaltung entdecken. Nicht nur das attraktive Reiseziel sondern auch das breite, für jeden etwas bietende Angebot ist sicher dafür verantwortlich.

Dass es Läufer aus den Schweizer Bergen in die Südtiroler Täler zieht, ist wenig verwunderlich. Schließlich, so berichtet Charlie Maskos, kann es dort - mehr als tausend Meter weiter oben und wesentlich weniger geschützt - um diese Jahreszeit schon empfindlich kalt werden. Langsam rückt der Winter im Hochgebirge näher. Die höheren Gipfel in Südtirol sind ja ebenfalls unübersehbar bereits längst von Schnee bedeckt.

Maskos gehört zwar nicht zum Davoser Kontingent sondern stammt aus Scuol im Engadin, hat aber zuvor auch einige Jahre in dieser flächenmäßig größten Gemeinde der Schweiz gelebt. Natürlich taucht deshalb der Swiss Alpine in seiner läuferischen Vita auf. In den Listen des Hunderters von Biel ist sein Name ebenfalls zu finden. Den Lauf von Meran nach Bozen hat er sich nun ausgesucht, weil man von seinem Wohnort in kaum zwei Stunden durch den Vinschgau herüber kommen kann.

Seit sieben Jahren ist er inzwischen jedoch nicht mehr über die Marathondistanz gelaufen. Nur durchkommen und dabei Spaß haben, wenn möglich noch unter vier Stunden bleiben, lauten deshalb die Ziele des Engadiners, der in der Vergangenheit auch regelmäßig als Helfer beim Sportfest im Züricher Letzigrund dabei war. Deshalb kann er ziemlich interessante Geschichten von den Eifersüchteleien und taktischen Spielchen, die dabei von den Stars und ihren Managern hinter den Kulissen veranstaltet werden, erzählen. In 3:45:09 kommt er deutlich unter der selbst definierten Vorgabe ins Ziel.

Zwei Kilometer hinter der Halbzeitmarke wartet mit Terlan das Zentrum der gleichnamigen Gemeinde, zu der Vilpian als Ortsteil gehört, auf die Marathonis. Es ist zugleich auch der Startpunkt für die Läufer auf der halb so langen Distanz. Mehr oder weniger direkt neben der - dank ihres in der Art eines italienischen Campanile separat stehendem Turmes und des durch verschiedenfarbige Ziegel bunt gemusterten Dachs - ziemlich auffälligen Kirche, werden sie auf die Reise geschickt. Die noch fehlenden beiden Kilometer werden dann mit einer großen Runde durch das Dorf ergänzt.

Da der Start für den Halbmarathon erst um 11:15 angesetzt ist, zu einer Zeit also, zu der sich die schnellsten Langstreckler bereits dem Ziel in Bozen nähern, erfolgt die Durchmischung der beiden unterschiedlichen Gruppen eher im mittleren und hinteren Bereich. Doch eigentlich ist diese Konstellation von den Organisatoren gar nicht einmal schlecht ersonnen.

Denn erstens werden damit die Lücken im Feld genau in dem Augenblick wieder geschlossen, in denen sie immer größer werden. Zweitens wird so die Strecke ziemlich gleichmäßig ausgelastet und die Arbeitszeiten der Helfer nicht übermäßig ausgedehnt. Und drittens gehen auch die Sieger des Marathons nicht wie so oft bei gleichzeitigem Start in der Masse der Halbdistanzler unter.

Farblich abgestimmte Zweiergrüppchen auf dem Weg zum Ziel

Die um 9:45 im Zentrum von Bozen loslaufenden Zehner sind da schon wieder aus den Füßen. Obwohl dort Peter Lanziner und Diego Avon gemeinsam nach 32:51 ins Ziel laufen, wird Lanziner vom Kampfgericht eher unfreiwillig zum Sieger erklärt. Beim Erfolg von Claudia Walzl, die bei den Damen in 41:07 vorne liegt, stellt sich so ein Problem angesichts von fast einer Minute Vorsprung vor der Deutschen Katrin Schreyer dagegen nicht.

Hinter Terlan schlägt die Straße einen Haken um eine Felsnase, die weithin sichtbar von der Burgruine Maultasch gekrönt wird. Eigentlich heißt sie ja Burg Neuhaus. Doch umgangssprachlich hat sich der von der letzten Tiroler Landesfürstin Margarethe Maultasch, die sich angeblich häufiger in ihr aufhielt, abgeleitete Name längst eingebürgert.

Nächstes Zwischenziel ist der dritte und letzte Terlaner Ortsteil Siebeneich, der aus mehreren lose zwischen Reben und Apfelbäumen verteilten Häusergruppen besteht. Gleich zwei - diesmal doch etwas höhere - Hügel gehören ebenfalls dazu. Seit dem Anstieg nach Lana ging es auf der Marathonstrecke nicht mehr so hinauf. Dass die gewonnenen Höhenmeter hinter der gerade erklommenen Kuppe auch zweimal sofort wieder verloren gehen, lässt das Ganze aber - außer ein wenig zusätzlichem Kraftverlust - zum Nullsummenspiel werden.

Wortwörtlich ist "Siebeneich" mit "Settequerce" ins Italienische übertragen worden. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Bezeichnung von Ettore Tolomei stammt, ist deshalb ziemlich hoch. Denn der fanatische Nationalist Tolomei stellte in einem dicken Wälzer, dem Prontuario dei nomi locali dell'Alto Adige, Tausende von Namen für Orte und Städte, Berge, Flüsse und Seen zusammen, mit denen er belegen wollte, dass auch Südtirol zu den "terre irredente" zu zählen sei, also zu jenen "unerlösten Gebieten", in denen Italiener unter fremder Herrschaft leben mussten.

In Wahrheit gab es aber nur wenige wirklich gebräuchliche italienische Bennennungen, "Merano" zum Beispiel. Die meisten legte Tolomei dagegen einfach willkürlich fest. Zum Teil, indem er italienische Endungen anfügte, wie bei "Terlano" oder "Vilpiano". Der "Brennero" gehört ebenfalls in diese Kategorie. Zum Teil entstanden sie auch durch lautmalerische Übertragungen wie "Postal" oder "Gargazzone". Um "Bressanone" als "Brixen", "Brunico" als "Bruneck" oder "Dobbiaco" als "Toblach" zu erkennen, braucht es jedenfalls schon etwas Phantasie.

Manche Namen wie eben "Siebeneich" wurden Wort für Wort übersetzt. Dass ihm dabei aus heutiger Sicht gelegentlich ziemlich peinliche Fehler unterliefen, störte nur wenig. Und wenn all das nicht mehr weiter half, weil keine Methode griff, erfand Tolomei munter drauflos. So wurde aus "Innichen" auf Italienisch "San Candido" und aus "Gossensaß" im Eisacktal "Colle Isarco", also der Hügel am Eisack.

Dieses Verzeichnis wurde nach der Annektierung die Grundlage für die noch heute offiziellen Ortsbezeichnungen. Kein Wunder also, dass Tolomei bei den deutsch- und den ebenfalls betroffenen ladinischsprachigen Südtirolern gelinde gesagt alles andere als beliebt war und ist. Immer wieder einmal eskaliert der Namensstreit, denn auch einzelne kleine Worte können eben ziemlich viele und heftige Emotionen auslösen.

So regte sich im Sommer zum Beispiel ausgerechnet der in der Berlusconi-Regierung für die Regionen zuständige Minister Raffaele Fitto furchtbar auf, als er entdecken musste, dass in Südtirol viele Wanderwege und -ziele nur auf Deutsch markiert sind. "Siamo in Italia", platze es vor laufenden Kameras aus ihm heraus. "Wir sind hier in Italien". Schon alleine mit dieser Formulierung provozierte er selbstverständlich sofort eine Trotzreaktion. Wieder einmal waren aus eigentlich nichtigem Anlass die Animositäten zwischen den beiden Sprachgruppen geweckt.

Fitto drohte der Provinzregierung mit Konsequenzen, weil sie sich nicht an die Vorgabe zur Zweisprachigkeit halten würde, und verstieg sich sogar in die Behauptung, dass italienische Bergwanderer gefährdet würden, weil sie die Schilder nicht lesen könnten. Dass, da überall sonst in Italien die Markierungen nur auf Italienisch gehalten sind, im Umkehrschluss ja dann auch sämtliche ausländische Touristen in Gefahr sein müssten, fiel ihm in seiner seltsamen Logik jedoch nicht ein.

Die Schlusspassage führt wenig ansprechend auf langen Geraden durch ein Gewerbegebiet

Die Landesregierung konterte, dass die Schilderbäume ja gar nicht von ihr sondern vom Südtiroler Alpenverein aufgestellt worden seien, und zwar freiwillig und ehrenamtlich. Sie sei für die Wanderwege gar nicht zuständig. Die südtiroler Zeitungen - und auch die im sich manchmal noch als Schutzmacht der südtiroler Interessen begreifenden Österreich - stellten spöttisch die Frage, ob denn der "Radlsee" nun auch "Lago bicicletta" heißen müsse. Und natürlich wurde damit auch die ständig schwelende Diskussion um die von Tolomei erfundenen Namen wieder neu entfacht.

Nur mit Mühe konnte Landeshauptmann Luis Durnwalder von der die politische Landschaft der Provinz seit Jahrzehnten dominierenden Südtiroler Volkspartei einen Kompromiss aushandeln und damit die Wogen etwas glätten. In Zukunft sollen zwar die Gemeindenamen wieder zweisprachig auf den Schildern stehen, die sonstigen historischen Bezeichnungen für markante Landschaftspunkte, Hütten, Almen oder ähnliches allerdings nicht mit Gewalt übersetzt werden.

Doch selbst wenn dieses - tatsächlich schriftlich fixierte - Abkommen zwischen Landes- und Bundesregierung bereits mehr als eine Woche zurück liegt, ist es auch am Marathonwochenende noch ein Thema in den Medien. Die eigentlich lächerlichen Dimensionen des bizarren Streits, in dem es um kaum etwas anderes als pure Symbolik geht, wird dadurch verdeutlicht, dass von mehr als dreißigtausend Markierungen nach Prüfung ganze fünfzehnhundert beanstandet wurden. Um diese soll sich nun aber sogar eine dafür eigens eingesetzte Kommission kümmern.

Nachdem man mit Siebeneich das letzte kleine Dorf hinter sich gelassen hat, wird das Umfeld doch langsam städtischer. Gewerbegebiete am Straßenrand zeigen an, dass man sich langsam aber sicher Bozen nähert. Das letzte Drittel der Marathondistanz wird sich vollständig auf dem Gebiet der Landeshauptstadt abspielen.

Eigentlich müsste man, wenn man sich an der Bevölkerungsmehrheit orientiert, besser von "Bolzano" reden. Denn als eine von wenigen Gemeinden in der Provinz hat Bozen mit fast drei Viertel ein klares Übergewicht an Italienisch sprechenden Bürgern. Insbesondere im westlichen, dem neueren Teil der Stadt, in den man nun auf langen Geraden hinein läuft, sind die Verhältnisse noch deutlicher verschoben.

Ohne jede Kurve zieht sich die breite Viale Druso, die Drususstraße zwischen Kilometer dreißig und zweiunddreißig durch die Neustadt. Das alles ist doppelt unangenehm, da es auch noch konstant leicht bergauf geht. Aus dem Landschaftslauf ist innerhalb kürzester Zeit ein Stadtlauf geworden. Denn die mehrstöckigen Wohnblocks am Streckenrand haben ziemlich wenig von Alpenidylle. In dieser Ecke ist Bozen einfach nur eine ganz normale Stadt.

Auch nach dem Neunzig-Grad-Schwenk, den man an der Piazza Adriano nach links vollführt, ändert sich an der Steigung wenig. Es sind nur ganz wenige Prozent, die es da zu überwinden gilt. Doch im Gegensatz zu den kurzen Wellen im Mittelteil, die man schnell hinter sich hatte, zieht sie sich diesmal fast vier Kilometer lang.

Auf dem Weg zum Ziel an der Messe läuft man fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit Gleich mehrere Lauftreffs nutzen den Südtirol Marathon für ihren Herbstausflug Soldaten übernehmen in Bozen die Sicherung der Stecke

Auf der linken Seite tauchen zwei klobige Prunkbauten auf, deren Monumentalarchitektur man irgendwie ansieht, dass sie aus der Zeit der Mussolini-Diktatur stammen. Zwischen ihnen erstreckt sich die Piazza del Tribunale, denn eines der beiden ist als Gerichtsgebäude erbaut. Das andere, in dem nun die Finanzbehörden ihren Sitz haben, hieß sogar einst "Haus des Faschismus". Dass an beiden noch immer nationalistische und faschistische Inschriften und Reliefs zu sehen sind, ist ein weiterer der vielen kleinen Streitpunkte in der so vielschichtigen südtiroler Gesellschaft.

Das ganze Viertel, durch das man nun läuft, wurde in jenen Jahren aus dem Boden gestampft. Breite geradlinige Boulevards und klotzige Repräsentationsbauten prägen das Bild. Es ist das sichtbare Zeichen des Versuchs der Italianisierung Südtirols in den Zwanzigern und Dreißigern. Noch heute trennt das Flüsschen Talfer Bozen zumindest optisch in eine "italienische" Neu- und eine "deutsche" Altstadt.

Auf der Freiheitsstraße, dem Corso Libertà, in die man nach dreiunddreißig Kilometern eingebogen ist, geht es der Talfer entgegen. Vorbei am Siegesdenkmal, das den westlichen Brückenkopf einnimmt. Ob man wirklich etwas verpasst hat, weil man den zur Renovierung eingerüsteten faschistischen Triumphbogen nicht betrachten kann, sei dahin gestellt. Auf jeden Fall hat auch er eine große symbolische Bedeutung.

Sichtbar wird dies zum Beispiel im gescheiterten Versuch den das Denkmal umgebenden Platz in Friedensplatz umzubenennen. Er heißt jetzt weiter Siegesplatz. Auch hierbei wurde - wie so oft in Südtirol - wieder einmal mit kleinen Worten und den mit ihnen verbundenen Emotionen versucht, Politik zu machen. Es scheint noch immer leichter zu sein, dabei mit Konfrontation Erfolg zu haben, als sich um Ausgleich zu bemühen.

Ganz so schlimm, wie sich all diese kleinen Beispiele von Konflikten anhören, ist die Situation dann aber doch nicht. Im täglichen Zusammenleben werden diese in der Regel ausgeblendet. Und der ausländische Tourist bemerkt sie bei oberflächlicher Betrachtung ohnehin nicht. Man muss sich schon wirklich mit dem Thema beschäftigen.

Es gibt zudem auch durchaus andere Signale und nicht nur ständige Konfrontation. So taucht inzwischen beim täglichen Sprachgebrauch in Südtirol selbst auch im Italienischen immer öfter einmal ein "Sudtirolo" anstelle des aus amtlicher Sicht korrekten "Alto Adige" auf. Und im Namen der Grünen, der einzigen im Landtag vertretenen Partei, die nicht an nur eine der beiden großen Sprachgruppen gebunden ist, werden beide Varianten als "Verdi del Sudtirolo / Alto Adige" wohl sogar ganz bewusst zusammen gepackt.

Das Vereinte Europa mit Schengener Abkommen und Gemeinschaftswährung entspannt die Lage ebenfalls. Mit der Europaregion Tirol-Südtirol-Trentino gibt es grenzübergreifend sogar eine Zusammenarbeit der drei zum früheren Tirol gehörenden Landesteile. Die beim Südtirol Marathon ausgeschriebene Sonderwertung für die schnellsten Läufer dieses Verbundes ist mit immerhin zweihundertfünfzig Euro Siegprämie dotiert.

Gerade im Sport ist das Zusammentreffen ohnehin deutlich einfacher und entspannter. Im Laufsport sowieso. Doch auch beim fußballerischen Aushängeschild der Stadt, dem zwar ursprünglich in Brixen beheimateten, nun aber im Bozener Drusus-Stadion spielenden Drittligisten FC Südtirol kicken deutsch- und italienischsprachige Fußballer natürlich gemeinsam.

Auf den letzten beiden Kilometern wird das Messegelände noch einmal komplett umrundet

Viel bemerkenswerter ist jedoch, dass auch auf der Tribüne das Publikum bunt gemischt ist. Und sowohl in der deutschsprachigen Zeitung "Dolomiten" - deren Verlag Athesia übrigens auf den Startnummern des Marathons als Sponsor wirbt und in der am Folgetag eine vollständige Ergebnisliste abdruckt wird - wie auch der italienischsprachige "Alto Adige - Corriere delle Alpi" beginnt der Sportteil mit dem heimischen FC.

Direkt hinter der Talferbrücke hat der Marathonkurs einen kleinen Ausschlag nach links. Eine Straße geht es hinauf, die nächste gleich wieder zurück, um am Ende nur wenige Meter vom Ausgangspunkt entfernt zu landen und wieder in die ursprüngliche Laufrichtung einzuschwenken und in den engen Gassen der Altstadt zu verschwinden.

Es ist die Museumsecke der Stadt, an der man dies tut. Denn dem Stadtmuseum liegt auf der anderen Straßenseite das neugegründete Südtiroler Archäologiemuseum gegenüber. Als wichtigste Attraktion gibt es dort jene als "Ötzi" bekannte Gletscherleiche zu sehen, die Bergsteiger vor knapp zwanzig Jahren in den Ötztaler Alpen entdeckten.

Nur durch großen Zufall ist er Südtiroler geworden. Er hätte genauso gut auch in Österreich landen können. Denn die Grenze ist von seinem Fundort nicht einmal hundert Meter entfernt. Erst nach einigen Debatten wurde die ursprünglich nach Nordtirol gebrachte Mumie tatsächlich übergeben.

Die Museumsstraße, die Via Museo geht am Obstmarkt in die Laubengasse über. Sie ist wie auch ihr Meraner Gegenstück das eigentliche Herzstück der Altstadt. Zum Teil noch aus dem späten Mittelalter stammen die Häuser mit ihren Bogengängen, in denen sich allerdings längst moderne Geschäfte angesiedelt haben.

Doch nach nur wenigen hundert Metern folgt am Rathausplatz, dem östlichsten Punkt der Strecke bereits der Richtungswechsel. Es geht nur eine Parallelstraße weiter wieder zurück. Nicht allzu groß ist der alte Kern von Bozen im Dreieck, das Eisack und Talfer an ihrem Zusammenfluss bilden. Auf der dritten Seite wird man schnell vom Berg begrenzt, so dass der Stadt eigentlich gar nichts anderes übrig blieb, als über die Flüsse hinaus nach Westen und Süden zu wachsen und das Zentrum geographisch nun eigentlich eine Randlage hat.

So ganz konnte die Werbeabteilung des Südtirol Marathons dann doch nicht umhin, eine "Weltneuheit" zu verkünden. Denn erstmals überhaupt soll es angeblich durch eine Bank gehen. Quer durch das Gebäude des Sponsors Sparkasse wird die Stecke geführt. Nun vielleicht läuft man tatsächlich erstmals an einem Bankschalter vorbei. Doch auf die Idee, einen Marathon durch ein Haus zu führen, sind vorher dennoch schon andere Veranstalter gekommen. Ganz so neu, wie man tut, ist der Einfall also auch wieder nicht.

Der Haupteingang der Sparkasse, aus dem man wieder ans Tageslicht kommt, zeigt zum Waltherplatz, der guten Stube von Bozen. Benannt nach dem mittelalterlichen Dichter und Minnesänger Walther von der Vogelweide, den man lange für einen Südtiroler gehalten hat und dessen Denkmal in der Mitte der großen Freifläche zu sehen ist, reihen sich auf ihm die Straßencafés aneinander, treffen sich Einheimische und Touristen.

Gegenüber ragt mehr als sechzig Meter hoch der Turm des Dom von Bozen empor. Eigentlich war der spätgotische Bau aus dem frühen sechzehnten Jahrhundert nur eine Pfarrkirche und wurde erst in den Sechzigern mit der Gründung des Bistums Bozen-Brixen zur Kathedrale. Wie bei der Kirche von Terlan fallen neben dem filigranen Turm vor allem die bunten, geometrische Muster bildenden Dachziegel ins Auge.

Eine Rampe führt hinunter zur Messehalle … … dann verschwindet der Kurs in ihr

Im Schnelldurchgang führt der Marathon durch die Altstadt, fast schon zu schnell. Zwar kommt man an allen wichtigen Sehenswürdigkeiten vorbei. Doch muss man schon ziemlich aufpassen, um keine davon zu versäumen. Nicht einmal zwei Kilometer lang ist der Ausflug, der am neuen Stadttheater praktisch schon wieder beendet ist.

Fünfunddreißig Kilometer hat man als Marathoni in den Beinen, als es zum zweiten Mal über die Talfer zurück in die Neustadt geht. Es ist wieder die Drususstraße, auf der man da unterwegs ist. Und wieder geht es auch zur Piazza Adriano, doch diesmal genau aus der anderen Himmelsrichtung. Es ist nur eine kurze Berührung der schon durchlaufenen Strecke, denn erneut biegt der Kurs nach links ab und damit nun in südlicher Richtung aus der Stadt hinaus.

Das Bild an der Spitze hat sich inzwischen ein wenig verändert. Natürlich nicht ganz vorne, wo Silas Rutto weiter unangefochten seine Meter herunter spult. Auch Riccardo Baggia ist noch Zweiter, allerdings mit bereits mehr als einer Viertelstunde Abstand. Doch dahinter ist Alessandro Vuerich vom Deutschen Hans Mühlbauer passiert worden, der nach einer eher defensiven ersten Hälfte nun auch Baggia ins Visier nimmt.

Einen Führungswechsel gibt es dagegen bei den Frauen zu vermelden. Denn die auf den ersten beiden Dritteln vorne liegende Lizzy Hawker musste Federica Ballarini vorbei und langsam auch davon ziehen lassen. Auch die Damen auf Platz drei und vier haben die Plätze getauscht Cristina Tenaglia liegt sieben Kilometer vor dem Ziel nun knapp vor der Bozenerin Alessandra Prezzi.

Knapp sechs Kilometer sind noch zu laufen, als man auf der Rombrücke mit dem Eisack nun schon den dritten Fluss überquert. Direkt danach führt die Via Roma unter der mitten durch die Stadt verlaufenden Brennerautobahn hindurch. Dass diese wenig später auch noch die Bahnlinie von Innsbruck nach Verona unterquert, zeigt wie sehr der südliche Teil Bozens vom Rest der Stadt abgeschnitten ist.

Zumindest die Bahnlinie lässt man einen guten Kilometer später jedoch wieder in umgekehrter Richtung hinter sich, um aus dem Wohnviertel Oberau-Haslach hinüber ins neugeschaffene Gewerbegebiet zu wechseln. Es ist vielleicht wirklich das größte Manko des Südtirol Marathons, dass ausgerechnet die letzten Kilometer in diesem wenig ansprechenden Umfeld absolviert werden müssen.

Die ebenfalls als "Weltneuheit" verkaufte Passage durch ein - natürlich auch als Sponsor auftretendes - Autohaus, bringt noch ein wenig Abwechslung. Doch auf der langen Gerade danach wird es nach so viel Landschaftsgenuss unterwegs doch ein wenig trist. Wie eine Schikane wirkt da der zusätzliche Schlenker nach rechts, auf dem noch einmal Meter geschunden werden.

Doch damit nicht genug. Die auf Betonpfeilern verlaufende Bahnlinie nach Meran kommt in Sicht, man kann die Station Bozen Süd, an der man viele Stunden zuvor in den Zug eingestiegen ist, fast schon erahnen. Direkt daneben befindet sich die Messe mit dem Zieleinlauf. Allerdings ist noch einmal das Schild mit der "40" zu sehen gewesen. Auf direktem Weg wären es nur noch wenige hundert Meter. Zu einem Marathon fehlen allerdings noch zweieinhalbtausend davon.

Und richtig, nicht nach rechts zum Eingang der Messehalle dreht der Kurs hinter der Unterführung ab. Es geht nach links im großen Bogen um das gesamte Ausstellungsgelände herum. Eine komplette Runde gilt es zu absolvieren. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit und zum Teil auf einem Radweg entlang einer befahrenen Hauptstraße. Die eigentlich nur wenigen Kilometer von der Altstadt zum Ziel werden so fast auf das doppelte gedehnt und der bis dahin wirklich ziemlich gute Gesamteindruck erhält den ersten Dämpfer.

Mitten durch ein Autohaus wird die Strecke hindurch geführt

Dass es da keine andere Möglichkeit gegeben haben soll, auf die nötige Distanz zu kommen, lässt sich nur schwer nachvollziehen. Schließlich hat man das durchaus sehenswerte Meran auf dem schnellsten Weg verlassen, ohne dort noch eine durchaus denkbare Ehrenrunde zu drehen. Und auch in Bozen gäbe es zum Beispiel auf den Promenaden entlang der Talfer optisch deutlich ansprechendere und nicht einmal den Verkehr behindernde Alternativen.

Selbst mit der Rampe hinunter zur Messe hat es mit den Umwegen noch immer kein Ende. Denn anschließend läuft man in die Halle nur deshalb hinein, um sie in voller Länge zu durchqueren und auf der anderen Seite wieder zu verlassen. Noch einmal kann man ein wenig frische Luft schnappen, bevor es auf den letzten Metern erneut in die Halle hinein geht. Zumindest das Publikum ist in diesem Bereich allerdings wieder präsent, wenn es auch hauptsächlich Angehörige und Freunde oder bereits ins Ziel gelaufene Zehner sind, die da Beifall spenden.

Nur knapp können die letzten von ihnen Silas Rutto entgehen, der trotz völlig fehlender Konkurrenz auch im zweiten Teil kaum langsamer wird. In 2:17:05 sichert er sich die offiziell ausgelobte Siegprämie von gerade einmal siebenhundert Euro. Erst zwanzig Minuten später, nach 2:36:57 folgt der Zweite.

Und der heißt nicht etwa Riccardo Baggia sondern Hans Mühlbauer. Der Triathlet vom SC Anger fängt den zum Schluss doch ziemlich nachlassenden und 2:37:46 laufenden Italiener kurz vor dem Ziel tatsächlich noch ab. Alessandro Vuerich muss mit einer fünf Minuten langsameren zweiten Hälfte ebenfalls noch Federn lassen, sichert sich in 2:42:27 aber immerhin Platz vier.

Schon als Gesamtsechste kommt hinter Lokalmatador Paul Gschlieser mit Federica Ballerini die schnellste Frau ins Ziel in der Messehalle. Nach 2:48:45 kann sie sich als Siegerin feiern lassen. Über vier Minuten verliert die 2:52:56 benötigende Lizzy Hawker auf dem Weg durch Bozen noch auf sie. Doch Cristina Tenaglia als Dritte ist mit 3:03:45 bereits deutlich über drei Stunden unterwegs. Noch volle drei Minuten fängt sich Alessandra Prezzi auf dem Weg zur Messe ein, hat aber mit 3:06:58 dennoch kaum Mühe Platz vier zu verteidigen.

Ähnlich dominant wie Silas Rutto läuft auch der inzwischen in Italien beheimatete Marokkaner Said Boudalia beim Halbmarathon vorneweg. Seine 1:06:50 sind schließlich fast volle sieben Minuten schneller als die 1:13:37, die Volkmar Mair als Zweiter ins Ziel bringt. Den engen Kampf um den dritte Treppchenplatz kann Stefano Paoli gegen Alex Kruselburger mit 1:16:45 zu 1:16:49 für sich entscheiden.

Bei den Damen bleibt der erste Platz durch Gertraud Höllrigl in Südtirol. Schneller als vier Minuten pro Kilometer spult sie die Distanz herunter, nach 1:23:27 piept die Matte. Bis Mirella Bergamo in 1:24:52 auf Rang zwei einläuft, vergeht nur eine gute Minute. Ulrike Raich mit 1:26:00 und Petra Pircher mit 1:26:52 sorgen endgültig dafür, dass es im Frauenrennen deutlich enger zugeht als bei den Herren.

Nicht nur die Passage Autohaus ist überdacht … … sondern auch der Zieleinlauf in der Messehalle Auch im nächsten Jahr sollen die Markierungen wieder in die Altstadt von Bozen zeigen

Vom schönsten Teil des Kurses haben sie allerdings nicht allzu viel mitbekommen. Denn dieser besteht doch hauptsächlich aus den ersten beiden Dritteln. Dort gibt der neue Südtirol Marathon nämlich einen breiten Einblick in das, was die Region an Interessantem zu bieten hat. Und so sollte man ihn wohl auch verstehen. Dort liegt die eigentliche Stärke der Strecke von Meran nach Bozen, die weder eine Rekordpiste noch ein Zuschauermagnet werden kann.

Mit diesem Pfund müssen die Veranstalter wuchern, wenn sie sich im enger werdenden Markt behaupten wollen. Die zwar schnörkellose aber mehr als solide Organisation, die Alfred Monsorno und seiner Mannschaft abliefern, ist zwar eine sicher notwendige aber eben alleine nicht ausreichende Voraussetzung für längerfristigen Erfolg.

Ob sich - wie anderswo oft zu beobachten - die Premierengäste wieder verabschieden und die Zahlen stagnieren oder ob es sich herumspricht, dass da in Südtirol eine interessante Alternative für den Herbst entstanden ist, wird die Zukunft zeigen müssen. Der Grundstock für eine positive Entwicklung ist mit dem Erstling in der siebzehnten Auflage aber sicher erst einmal gelegt.

Bericht und Fotos von Ralf Klink

Ergebnisse und Infos www.suedtirol-marathon.com

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