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3.7.10 - 28. Jølster Maraton (Norwegen)Abseits der großen Massen |
von Ralf Klink
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Norwegen ist nun wahrlich nicht gerade als Reiseziel für Pauschalurlauber bekannt. Bettenburgen für All-Inclusive-Touristen wird man ziemlich vergeblich suchen. Und Partymeilen wie den berühmt-berüchtigten Ballermann von Mallorca gibt es noch viel weniger. Doch wer in den Norden fährt, um dort seine Ferien zu verbringen, hat eigentlich auch nicht unbedingt Sonne und Strand im Sinn. Alkoholexzesse erübrigen sich ohnehin schon aufgrund der in Skandinavien bekanntermaßen recht deftigen Preise für Hochprozentiges.
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Immer am Jølstravatn entlang verläuft der Kurs durch die beeindruckende Bergwelt Westnorwegens | Weit über zwanzig Kilometer erstreckt sich der See zwischen steilen Hängen |
Nordlandfahrer hoffen eher auf das Gegenteil des lauten Treibens an den zubetonierten Küsten des Südens. Geruhsamkeit in eher verschlafenen Örtchen oder die einsame Weite in den dünn besiedelten Teilen der skandinavischen Halbinsel sind die Ferienwünsche. Dass insbesondere Norwegen dazu auch noch einige der spektakulärsten Landschaftsformen des gesamten Kontinents sein eigen nennt, ist dabei bestimmt kein Nachteil.
Abgesehen von gelegentlich und in der Regel nur an ganz bestimmten Aussichtspunkten anzutreffenden Mitfahrern organisierter Bustouren - meist schon älteren Jahrgangs - sind es dann auch eher Individualreisende, die es in den Norden zieht. Der Elchaufkleber auf dem Auto - oder noch besser dem Wohnmobil - ist ihr Erkennungszeichen.
Ihnen ist klar was auf sie zukommt. Zeitraubende Wege auf oft kurvigen und gelegentlich auch ziemlich schmalen Straßen. Entfernungen zwischen zwei benachbarten, kleinen Dörfern, in denen man hierzulande manchmal bereits mehrere Großstädte passiert hätte. Anstatt Sonnenscheingarantie durchaus auch einmal ungemütliches, eher herbstliches Regenwetter mitten im Hochsommer. Dazu noch Preise, die definitiv zu den höchsten weltweit zählen. Und zwar nicht nur im Hinblick auf die Alkoholika.
Als Belohnung warten allerdings auch einzigartige Landschaften. Doch ist die skandinavische Natur meist ebenfalls nicht gerade sanft und lieblich sondern vielmehr in der Regel ziemlich rau und schroff. Doch rechnet man ja nicht nur damit, es sind genau diese Eindrücke abseits der großen Massen, die man bekommen möchte.
Ganz ähnlich verhält es sich auch, wenn einmal Mitteleuropäer bei nordischen Laufveranstaltungen auftauchen. Denn vielleicht einmal abgesehen vom wirklich großen Marathon in Stockholm und dem mittelgroßen Rennen in Helsinki, zu denen es ab und zu noch Gruppenreisen gibt, verschlägt es Nichtskandinavier eher selten dorthin.
Und mit jenen modischen "Events", die inzwischen hierzulande die Szene bestimmen, haben die Rennen im Norden nur selten zu tun. Die sind nämlich zwar oft etwas einfacher und rustikaler aufgezogen und bei weitem nicht so perfektioniert wie die Laufveranstaltungen hierzulande. Aber eben auch deutlich weniger künstlich und überdreht. Vielleicht manchmal fast ein wenig rau, dafür jedoch wirklich ehrlich und herzlich.
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Recht unspektakulär ist dagegen der Zieleinlauf auf dem Sportplatz | Auf dem Führungsfahrzeug ist eine etwas andere Art von Werbetransparent montiert |
Nordische Marathonläufe bewegen sich in der Regel schließlich gerade einmal in zweistelligen Teilnehmerbereichen. Und im Allgemeinen finden sie auch nicht in der Großstadt - davon gibt es im eher schwach bevölkerten Norden Europas ja sowieso nicht gerade viele - sondern irgendwo auf dem Land statt.
Gerade an Norwegen, das mit Grete Waitz und Ingrid Kristiansen zwei der bekanntesten
Langstrecklerinnen überhaupt hervor gebracht hat und doch eigentlich eine
große Tradition im Ausdauersportbereich sowie eine große Begeisterung
für die Leichtathletik - noch immer werden dort zum Beispiel etliche Sportfeste
live im Fernsehen übertragen, und zwar im Hauptprogramm, nicht auf irgendwelchen
Spartenkanälen - hat, ist der Boom während der späten Neunziger
und zu Beginn des neuen Jahrtausends, der in viele anderen Ländern die
Zahl der Läufer und Veranstaltungen explodieren ließ, nahezu völlig
vorbei gegangen.
Ganz im Gegenteil, der einzige Citymarathon in der Hauptstadt Oslo schwächelte genau in dieser Phase, fiel dann mangels Interesse von Läufern und Sponsoren sogar mehrfach aus und wurde dann schließlich mehr schlecht als recht auf einer Pendelstrecke am Hafen wiederbelebt. Inzwischen hat man sich immerhin wieder etwas ins Zentrum vorgearbeitet, selbst wenn weiterhin ein Zwei-Runden-Kurs mit längeren Begegnungspassagen zu absolvieren ist.
Auch die Vierstelligkeit hat man jetzt wieder erreicht. Wirklich überzeugend lesen sich ungefähr zwölfhundert Teilnehmer allerdings nun wirklich nicht unbedingt. Selbst wenn man bedenkt, dass in ganz Norwegen auf einer Fläche, die ungefähr der von Deutschland entspricht, nur ungefähr fünf Millionen Menschen zu Hause sind, ist das mit mitteleuropäischen Werten nicht zu vergleichen.
Dass man dadurch zudem mit riesigem Abstand der größte Marathon des Landes ist, zeigt die deutlich weniger breit aufgestellte Szene in Norge nur noch deutlicher auf. Denn mit Teilnehmerzahlen zwischen drei- und fünfhundert auf der Langdistanz sind der Midnight Sun Marathon im nordnorwegischen Tromsø und der ebenfalls im Osloer Stadtgebiet gelaufene Nordmarka Marathon schon die ärgsten Verfolger.
Die Aufzählung ist symptomatisch. Ist doch Tromsø vielleicht das sogar wichtigste Zentrum des gesamten norwegischen Nordens, kommt aber trotzdem kaum über Einwohnerzahlen hinaus, die praktisch jedes deutsche Kreisstädtchen mühelos übertreffen könnte. Schon deshalb hat die dortige Strecke mit einem Citylauf eher wenig zu tun.
Aufgrund seines untypisch hohen Anteils an ausländischen Lauftouristen, denen der nächtliche Lauf beim um diese Jahreszeit nördlich des Polarkreises nicht endenden Tageslicht als ganz besondere Attraktion angepriesen wurde, ist er ohnehin eher die Ausnahme. Vielleicht ist seine Existenz deshalb in Läuferkreisen sogar bekannter als die des Hauptstadtmarathons. Doch geht man bei diesem wohl einfach davon aus, dass es ihn geben müsste, selbst wenn es ihn in Wahrheit einige Zeit nicht gab.
Der Nordmarka Skogsmaraton - die Norweger, die gerne schreiben, wie sie sprechen, lassen das "h" im Marathon weg - ist da schon eher echt norwegisch. Er wird zwar in Oslo ausgetragen. Allerdings ist der Name Programm, denn "Skog" bedeutet übersetzt "Wald". Trotz eine Starts am Stadtrand führt das Rennen nämlich auf einer großen Schleife durch die riesigen Waldgebiete im Norden der Hauptstadt und ist ein reiner Landschaftslauf.
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Ein Holzschild markiert auch den Startplatz, . | wo ein überschaubares Marathonfeld darauf wartet, dass es los geht |
In Bergen, Trondheim und Stavanger, den übrigen größeren norwegischen Städten gibt es zwar ebenfalls Marathons. Doch finden diese entweder wie im Falle von Bergen, der zweitwichtigsten Metropole des Landes gleich vollständig in einem weit außerhalb gelegenen Vorort statt. Oder aber sie berühren die sowieso eher kleinen Stadtzentren nur und setzen ansonsten auf den Wechsel zwischen City und Natur.
Der typische norwegische Marathon wird dann auch eher in einer kleinen Gemeinde gelaufen, endet an einer Schule oder einem Sportplatz und führt auf meist nicht für den Verkehr gesperrten Straßen über Land. Sie haben genau jenen Volkslauf-Charakter, der hierzulande immer mehr außer Mode zu kommen scheint. Es sind Veranstaltungen abseits der großen Massen. Doch davon gibt es eben eine ganze Menge. An praktisch keinem Wochenende der eher kurzen, eigentlich nur von Mai bis September reichenden nordischen Laufsaison, kann man nicht an mindestens ein oder zwei Orten in Norwegen die ominösen 42,195 Kilometer unter die Füße nehmen.
In Jølster - als Antwort auf die Frage, wie man das aussprechen soll, der Tipp, dass der norwegische Buchstabe "ø" etwa dem deutsche "ö" entspricht - geht das zum Beispiel jedes Jahr Anfang Juli. Bereits seit über einem Vierteljahrhundert. Denn mit nun schon achtundzwanzig Auflagen ist der Jølster Maraton schon eine echte Traditionsveranstaltung.
Dabei ist es fast noch leichter den Lauf in einer der vielen Terminlisten der weltweiten Computernetze zu finden als Jølster selbst auf der Landkarte. Was zum einen daran liegt, dass die Gemeinde zwar räumlich die Fläche von Hamburg einnimmt, sich allerdings nicht einmal dreitausend Einwohner auf ihr verteilen und sie deshalb alles andere als eine Metropole ist.
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Unweit des Start verlässt die Jølstra wild rauschen den See | Kleine Bootsschuppen bringen bunte Farbtupfer in die Landschaft |
Zum anderen gibt es aber auch gar kein richtiges Dorf dieses Namens, das man im Straßenatlas einzeichnen könnte. Die beiden nun wahrlich nicht großen und etwa zwanzig Kilometer voneinander entfernten Siedlungszentren heißen Skei - was ähnlich dem norwegischen Wort "Ski" eher wie "Schej" gesprochen wird - und Vassenden - in der nordischen Artikulation nicht mit "F" sondern mit einem "W" am Anfang.
Sie liegen am gegenüberliegenden Ende eines Jølstravatn genannten
Sees, der damit eigentlich für die Bezeichnung der politischen Gemeinde
verantwortlich ist. Diese "Kommuner" haben in Norwegen - wie auch
überall sonst in Skandinavien - beträchtliche Ausmaße, erstrecken
sich auf etliche vollkommen separate und zum Teil weit auseinander liegende
Ortschaften und tauchen deshalb, falls sie nicht genau wie der Hauptort heißen,
auf Karten namentlich eigentlich nicht auf.
Zudem liegt Jølster ein wenig abseits der wichtigsten klassischen Touristenrouten. Denn obwohl zum Beispiel der Geirangerfjord, an dem praktisch keine organisierte Norwegenreise vorbei kommt, und der Jostedalsbreen, der größte Gletscher des europäischen Festlandes, für skandinavische Verhältnisse fast schon um die Ecke liegen, machen die großen Massen eher einen Bogen um die Gemeinde. Oder fahren maximal durch sie hindurch. Schließlich verläuft immerhin die E39, jene Straße die Bergen und Trondheim miteinander verbindet, durch ihr Gebiet.
In praktisch keinem der zahlreichen Norwegen-Reiseführer findet Jølster, Vassenden oder Skei überhaupt Erwähnung. Nicht einmal im offiziellen Tourismusprospekt der Provinz Sogn og Fjordane tauchen sie auf. Was nun keineswegs heißt, dass es dort irgendwie nicht wirklich schön wäre. Nur fällt das im westlichen Norwegen, das eigentlich aus nichts anderem als faszinierenden Landschaften besteht, eben nicht besonders auf. Um einen eigenen Eintrag in den touristischen Ratgebern zu bekommen, muss es dann schon noch ein wenig spektakulärer sein.
Jølstravatnet - wie in allen skandinavischen Sprachen wird im Norwegischen der Artikel angehängt, übersetzt bedeutet es also "das Jølstra-Wasser" - ist einer jener typischen, lang gezogenen Seen des Landes, die von den Eismassen der Gletscher ins Gestein hinein gehobelt wurden. Ähnliches findet man, wenn vielleicht auch nicht in dieser Anzahl, ja am Alpenrand.
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Meist verläuft die Strecke direkt am Seeufer entlang |
Doch während sie dort große Beachtung finden und als Urlaubsziele hoch im Kurs stehen, werden ihre norwegischen Verwandten nur gelegentlich und dann höchsten beiläufig registriert. Denn es gibt da ja auch noch deren große, salzige Brüder, die Fjorde, die eben den Großteil der Aufmerksamkeit auf sich ziehen.
Entstanden nach dem gleichen Muster, nämlich dadurch dass sich ein Gletscher durch das unter ihm begrabene Gebirge schob, erreichen sie noch ganz andere Dimensionen. Weit über hundert Kilometer ragen die größten von ihnen ins Land hinein, teilen sich dabei in unzählige, immer feinere Verästelungen auf.
Zum Teil mehr als tausend Meter wachsen die sie umgebenden Berge mehr oder weniger direkt aus dem Wasser. Und an den tiefsten Stellen geht es unter der Oberfläche auch noch einmal genauso weit nach unten. Dagegen kann ein ganz normaler, durchschnittlicher, nur gut zwanzig Kilometer langer See wie das Jølstravatn am Ende nicht wirklich viel bestellen.
So ist man dann auch bei den Veranstaltern des Jølster Maraton recht angenehm überrascht, dass sich nicht nur Norweger in die ziemlich überschaubaren Meldelisten eingeschrieben haben. Deutsche, Briten, ein Pole, ein Belgier und ein Finne lassen sich dort finden. Im Zeitalter des Internets ist es eben nun deutlich einfacher, auch Laufveranstaltungen im Urlaubsland zu entdecken und an Informationen über sie heran zu kommen.
Selbst wenn die beiden gemeldeten Briten und der Pole am Ende gar nicht auftauchen und die Startnummern unabgeholt liegen bleiben, sind die Macher doch durchaus ein wenig stolz auf ihre internationalen Felder. Das sind nämlich mehrere. Denn damit sich der Organisationsaufwand überhaupt lohnt, sind neben einem vollen auch ein halber Marathon, ein Zehner und ein Fünfer sowie ohne Zeitnahme ein sogenannter Minimarathon über 4,2 Kilometer ausgeschrieben.
Und weil man sowieso gerade dabei ist, bietet man in einer norwegischen Variante des Volksradfahrens gleich auch noch die Umrundung des Jølstravatn mit dem Fahrrad an. Der Jølster Maraton ist die große Sportveranstaltung des Jahres in der - nur einwohner- nicht flächenmäßig - kleinen Gemeinde. Ein Ereignis, bei dem praktisch jeder in irgendeiner Art aktiv mitmachen kann.
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Das Panorama, das sich den Läufer unterwegs bietet, ist ziemlich eindrucksvoll |
Dass dieses Angebot durchaus angenommen wird, klingt beim Blick auf die doch eher dünnen Start- und Ergebnislisten - in allen Laufdisziplinen zusammen kommen nur etwa 250 Teilnehmer ins Ziel - vielleicht im ersten Moment etwas erstaunlich. Wenn man allerdings bedenkt, dass in der gesamten Provinz Sogn og Fjordane, die nur unwesentlich kleiner als das Bundesland Hessen ist, gerade einmal gute hunderttausend Menschen leben, sieht das Bild schon wieder ganz anders aus.
Nur die Finnmark ganz oben im Nordosten des Landes hat statistisch eine noch geringere Bevölkerungsdichte als diese Verwaltungseinheit - in Norwegen "Fylke" genannt - rund um den Sognefjord, der alle anderen sowohl in der Länge wie auch in der Tiefe noch übertrifft. Der auf den ersten Blick ein wenig unlogische Name - übersetzt "Sogn und die Fjorde" - erklärt sich daraus, dass neben ihm auch noch zwei weitere große Fjorde, nämlich der Sunn- und der Nordfjord in die Provinz hinein ragen und die ihn umgebende Region seit alters her eben "Sogn" genannt wird.
Ziemlich genau in der Mitte des Fylke liegt Jølster und damit auch Vassenden, in dem sich der Start und das Ziel des Marathons finden. Verfehlen kann man das dortige Organisationszentrum eigentlich kaum. Denn zum einen zählt das Örtchen nur wenige hundert Bewohner. Und zum anderen ist der Weg von der E39 dorthin mit massiven, nur schwer zu übersehenden Holzschildern markiert.
Allzu weit ist dieser ohnehin nicht. Unweit der Stelle, an der die wild schäumende Jølstra aus dem See austritt, was den Namen der Siedlung - Vassenden kann man nämlich mit "das Ende des Wassers" ins Deutsche übersetzen - begründet, hat man mit Schule, Sportplatz und dem "Gjesthalla" genannten Dorfgemeinschaftshaus alles, was man für die Abwicklung braucht, dicht beisammen.
Die Startnummern bekommt man an einer simplen Holzbank im Schulhof. Da im vom Aufeinandertreffen des Golfstroms mit dem skandinavischen Gebirge geprägten Klima des westlichen Norwegens öfter einmal mit Regen zu rechnen ist, immerhin unter einem Vordach. Nebenan finden sich im Schulgebäude auch zwei Umkleidekabinen.
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Nur selten stehen einzelne Bauernhöfe am Straßenrand |
Auf dem einige Meter unterhalb gelegenen Kunstrasenplatz markieren einige jener flachen Kästen, mit denen man im nordischen Skisport Loipen voneinander trennt, in einem großen Bogen die letzten Meter. Ein paar Latten reichen um das kleine Zieltransparent zu halten. Und ein daneben geparkter Wohnwagen bietet den Zeitnehmern auch bei schlechten Witterungsbedingungen eine trockene Bleibe.
Abgesehen von der gegenüberliegenden "Gjesthall", in oder an der je nach Wetterlage später die Siegerehrung und die Bewirtung stattfindet, ist damit auch schon mehr oder weniger die gesamte Infrastruktur aufgezählt. Den Startpunkt des Marathons kennzeichnet zum Beispiel einzig und allein eine Holztafel am Straßenrand.
Ein Werkstoff, der sich sowieso durch das gesamte Programm zieht. Auch die Kilometermarken stammen schließlich unverkennbar aus skandinavischen Nadelwäldern. Und auf dem Dach des Führungsfahrzeugs fährt man ebenfalls einen in nordisches Holz gebrannten Schriftzug vor dem Feld her. In ihrer rustikalen Art passen sie ziemlich gut zu dieser Veranstaltung abseits der großen Massen.
Um elf Uhr setzt es sich an der Spitze von etwas mehr als fünfzig Marathonläufern in Bewegung. Eine für mitteleuropäische Verhältnisse insbesondere im Hochsommer ziemlich ungewöhnliche Startzeit. Allerdings fällt zum einen der nordische Sommer in der Regel dann doch um einige Grade kühler aus und wartet von ganz extremen Ausnahmefällen abgesehen maximal mit Temperaturen in den mittleren Zwanzigern auf.
Zum anderen muss man jedoch auch die Entfernungen und vor allem die Fahrzeiten
im zerklüfteten Bergland Norwegens berücksichtigen. Eine Anreise am
Wettkampftag aus der nächstgelegenen Großstadt Bergen ist nur dank
dieser aus hiesiger Sicht späten Uhrzeit überhaupt möglich. Denn
obwohl dieses wichtigste Zentrum des Fjordlandes nur etwa zweihundert Kilometer
von Jølster entfernt liegt, muss man für die Fahrt dennoch ungefähr
vier Stunden veranschlagen.
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Helge Hafsås gewinnt zum elften Mal den Jølster Marathon | Odd Arne Engesæter wird dahinter Zweiter | Bjørn Gjerde ist mit 26 Starts Rekordteilnehmer in Jølster |
Schnell zu befahrende Autobahnen, an die man sich in Mitteleuropa längst so gewöhnt hat, dass man sie für unverzichtbar hält, existieren in Norwegen nur in sehr begrenztem Maß im Umfeld der größten Städte. Ansonsten ist man auf normalen Landstraßen unterwegs, die zudem aufgrund des Geländes so kurvig und oft auch schmal sind, dass selbst das offizielle Tempolimit von achtzig Kilometern pro Stunde in vielen Fällen überhaupt nicht zu erreichen ist.
Dazu kommen im Fjordland auch noch die unvermeidlichen Fährpassagen. An etlichen Stellen endet ein Straße einfach an einem Anleger, um ihren Weg dann nach einer Schiffsreise, die manchmal nur wenige Minuten, manchmal aber auch eine volle Stunde dauert, am anderen Ufer fortzusetzen.
Die Norweger sind eigentlich wahre Meister im Bauen von Brücken und Tunnels. So manches mühselige Gekurbel entlang der Fjordufer oder über Passstraßen, die im Winter zudem unter meterhohem Schnee versinken können, ist inzwischen durch diese viele Kilometer lange Strecken im Inneren der Berge entfallen. Über steile Schluchten hat man dazu auch hohe Brücken geschlagen.
Und zwischen den unzähligen Inseln und Halbinseln der norwegischen Küste führen die Routen manchmal fast länger über künstlich errichtete Bögen als über natürlichen Boden. Ja, sogar unter dem Meer haben sich die skandinavischen Straßenbauer hindurch gegraben. Die tiefsten Tunnel führen mehr als zweihundert Meter unter die Wasseroberfläche.
Die ganz großen Fjorde sind allerdings einfach zu tief und zu weit, um sie beim aktuellen Stand der Technik mit Kunstbauten queren zu können. Schon deshalb werden die Fähren wohl in näherer und zumindest auch mittlerer Zukunft an einigen Stellen ein wichtiger Bestandteil des norwegischen Transportwesens bleiben.
Was für Touristen eine interessante Abwechslung ihrer Reise darstellt, ist für die Einheimischen eine kostspielige - denn natürlich sind die Überfahrten nicht umsonst - und zeitraubende Angelegenheit. Da wird aus einer Distanz, die man anderswo in nur zwei oder drei Stunden zurück legen würde, durchaus einmal fast eine Tagesreise.
Vielleicht aber genau deshalb geht es im ländlichen Skandinavien auch deutlich geruhsamer und weit weniger hektisch zu als in der Großstadt, wo einige Minuten Wartezeit manchen ja schon wie eine Katastrophe erscheinen. An der zerfurchten Küste Norwegens gehört das Warten - zum Beispiel auf die nächste Fähre - dagegen irgendwie zum Lebensrhythmus dazu.
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Je näher man der Wende kommt umso schroffer werden die Berge |
Vermutlich nicht nur wegen der vom kleinen Starterfeld nur mühsam ausgefüllten Straße sondern eben auch aufgrund dieser Einstellung halten sich Aufregung und Gedränge am Marathonstart ziemlich in Grenzen. Zumal die meisten, die sich da an der Linie versammelt haben, alles andere als blutige Anfänger sind.
Selbst nach nur wenigen Rennen in Norwegen kennt man einige der Gesichter bereits ganz gut. Die Marathonszene des Landes ist ziemlich überschaubar. Und gerade auf den kleineren Veranstaltungen sind eben die klassischen Vielstarter unterwegs. Rund ein Dutzend der eifrigsten norwegischen Marathonsammler lassen sich in der Startliste von Jølster entdecken.
Inge Asbjørn Haugen zum Beispiel, der Norweger mit wohl den meisten Rennen über zweiundvierzig Kilometer in den Beinen. Und außerdem einer der Redakteure des Ausdauersportmagazins Kondis, dessen Terminliste sowohl in der Online-Variante wie auch in der gedruckten Form die vermutlich beste kalendarische Übersicht über die Laufszene des Landes bietet.
Er hat es allerdings auch - wenn man in skandinavischen Relationen denkt - wirklich nicht weit. Stammt er doch aus dem nur etwa einhundert Kilometer entfernten Hornindal, wo es gerade einmal drei Wochen später unter seiner Organisation den ziemlich ähnlich strukturierten Hornindalsvatnet Maraton entlang des gleichnamigen Sees gibt. Im Vergleich zum Jølstravatn ist dieses Gewässer sogar noch ein wenig größer und mit seinen über fünfhundert Metern vor allem deutlich tiefer.
Sind seine in Jølster erzielten 3:37:24 für einen Siebenundfünfzigjährigen schon durchaus beachtlich und ein Beleg dafür, dass man sich auch als Vielstarter nicht unbedingt am Ende des Feldes einsortieren muss, setzt der spätere Sieger der Altersklasse Bjørn Gjerde aus dem ostnorwegischen Kongsvinger noch einen drauf.
Denn der hat in drei Jahrzehnten ebenfalls bereits mehr als dreihundert Marathons
angesammelt. Doch nicht etwa die 3:11:48, mit der er diesmal ins Ziel kommt,
sind das bemerkenswerteste daran. Auch nicht, dass er bereits zum sechsundzwanzigsten
Mal in Jølster dabei und damit absoluter Rekordteilnehmer ist, sondern
die Tatsache, dass er weit über zweihundert dieser Rennen in weniger als
drei Stunden beendet hat.
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Grüne Wiesen und Wald wechseln sich am Streckenrand ab | Immer wieder einmal kommen Wildbäche von den Hängen | Erst in Sunde zwei Kilometer vor der Wende gibt es wieder ein paar Häuser mehr |
Und noch einmal wird das Ganze dann von Helge Hafsås übertroffen. Der Dreiundvierzigjährige ist schließlich bisher nicht nur bei allen bis auf drei seiner weit über hundertfünfzig Marathonläufe unter dieser Marke geblieben, er hat auch bis zu diesem Tag sage und schreibe 132 von ihnen gewonnen.
Sicher ist die Konkurrenz bei den kleinen norwegischen Veranstaltungen meist nicht wirklich gut besetzt. Aber bei Dutzenden von - oft im Alleingang erzielten - Zeiten zwischen 2:30 und 2:40 kann man wohl kaum von billigen Siegen sprechen. Auch viele Rennen müssen nicht unbedingt wirklich langsam machen. Wer einen Marathon in Norwegen gewinnen will, muss jedenfalls in der Regel erst einmal Helge Hafsås schlagen.
In Jølster ist er natürlich ebenfalls wieder der erklärte Favorit. Und wie es sich für einen solchen gehört, setzt er sich auch schon nach wenigen Metern an die Spitze und reiht sich direkt hinter dem Führungsfahrzeug ein, als es an den letzten Häusern von Vassenden vorbei hinaus auf die Strecke geht.
Diese ist - recht ungewöhnlich für skandinavische Läufe dieser Größenordnung - weitgehend für den Verkehr gesperrt. Sie orientiert sich am entlang des südlichen Seeufers verlaufenden Sträßchen. Und weil auf der Nordseite des Jølstravatn auch die E39 zum östlichen Ende führt, lässt sich dieses eben weitgehend für die Veranstaltung freihalten.
Nur den wenigen Anwohnern kann man die Zufahrt natürlich nicht verwehren. Doch dass alle fünf bis zehn Minuten einmal ein Auto vorbeikommt, ist angesichts des schon nach kurzer Zeit weit auseinander gezogenen Feldes absolut zu verschmerzen. Zumal die Fahrzeuglenker beim Passieren der Läufer noch vorsichtiger und rücksichtsvoller zu Werke gehen als ohnehin schon auf skandinavischen Straßen allgemein üblich.
Die Radfahrer bringen da doch deutlich mehr Verkehr auf die Strecke. Dass beide Uferseiten - auch das ist im menschenleeren Norwegen durchaus nicht immer normal - durch Straßen erschlossen sind, ermöglich beim "Sykkeltrim" tatsächlich eine vollständige, etwa fünfzig Kilometer lange Seeumrundung. Für genauso viele norwegische Kronen ist man dabei.
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In Sunde wartet auch der einzige echte Hügel der Strecke |
Da muss man bei den Läufen doch schon etwas mehr auf den Tisch legen. Mit dreihundertfünfzig Kronen - also umgerechnet deutlich über vierzig Euro - liegt die Startgebühr für die längste Strecke zwar in Preisregionen, für die man anderswo auf der Welt auch schon einmal an einem mittelgroßen Stadtmarathon teilnehmen darf. Doch für skandinavische und insbesondere norwegische Verhältnisse bewegt man sich eben im absolut üblichen Rahmen.
Den Halbmarathon darf man für zweihundertfünfzig Kronen unter die Füße nehmen, den Zehner noch einmal für hundert weniger. Einhundertdreißig für die fünf Kilometer sind dann aber für einen kleinen Volkslauf doch durchaus heftig. Andererseits werden bei Firmen-, Frauen- oder sonstigen Eventläufen über ähnliche Distanzen hierzulande oft noch ganz andere Beträge verlangt und von Tausenden auch bereitwillig gezahlt.
Schnell haben die Marathonis Vassenden hinter sich gelassen. Wo das genau passiert, lässt sich allerdings nicht ganz genau festlegen, denn in der in Skandinavien üblichen Streubebauung tröpfelt das Örtchen in die Landschaft hinaus. Immer wieder einmal wird unterwegs ein Haus oder ein Bauernhof an der Strecke stehen. Einige kleine Häusergruppen haben sogar Namen und sind auf manchen Karten eingezeichnet. Doch selbst unter dem Begriff "Weiler" würden sie anderswo nur schwerlich durchgehen.
Die erste Kilometermarke liegt jedenfalls schon mitten im Grünen. Kleine Wälder und satte Wiesen wechseln einander ab. Und fast ständig ist der See auf der linken Seite in direkter Reichweite. Über ihn hinweg reicht der Blick auf die umliegenden Berge. Bis zu einer Höhe von mehr als tausend Metern über dem Meer und damit auch achthundert Meter über dem Jølstravatn wachsen sie steil nach oben.
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Anne Tvedt hat trotz der Steigung Spaß . | und Frode Storvik gewinnt wohl gerade irgend etwas |
Im Osten des Gemeindegebietes, dort wo man einen Anteil am 1991 gegründeten Nationalpark Jostedalsbreen hat, ragt das Gebirge sogar bis über achtzehnhundert Meter auf. Absolut nicht ungewöhnlich in einem Land dessen Territorium sich zu rund einem Viertel über der Tausend-Meter-Marke befindet. Und da sich selbst im Süden Norwegens die Baumgrenze bei maximal achthundert Metern befindet, hat die Vegetation durchaus etwas hochgebirgsartiges.
Schon nach zwei Kilometern ist die erste Verpflegungsstelle aufgebaut. Bereits gute zwei Kilometer später folgt die nächste. Obwohl in der Regel nur aus einem einzigen Tisch bestehend sind sie ziemlich gut sortiert. Vier verschiedene Getränke gibt es zur Auswahl. Handgeschriebene Papierzettel zeigen ohne viel Schnickschnack an, was sich in den jeweiligen Bechern befindet. Das international gebräuchliche "Cola" lässt sich sofort verstehen. Auch "Vatn" ist als "Wasser" leicht zu übersetzten. Dass sich unter dem werbewirksamen Namen "High5" ein Elektrolytgetränk versteckt, hat man ebenfalls schnell begriffen.
"Saft" könnte allerdings für jemanden, der sich in den nordischen Gepflogenheiten nicht ganz so gut auskennt, im ersten Moment etwas missverständlich sein. Damit ist nämlich nicht etwa Fruchtsaft gemeint. Vielmehr handelt es sich bei dem im deutschsprachigen Raum völlig unüblichen Getränk um eine Art verdünnten Sirup, den man in fertiger Form kaufen oder aus dem ebenfalls in den Geschäften angebotenen zähflüssigen "Husholdningsaft" selbst mischen kann.
Die anfängliche Dichte der Versorgungsposten bleibt im weiteren Verlauf
allerdings nicht erhalten. Vielmehr wird danach auf einen Rhythmus von ungefähr
fünf Kilometern umgeschwenkt. Mit drei weiteren Verpflegungsstellen kommt
man auf dem als Wendepunktkurs ausgelegten Marathon damit zwar zu immerhin zehn
offiziellen Möglichkeiten zur Getränkeaufnahme. Trotzdem wirken gerade
auf dem Rückweg die Abstände doch irgendwie ziemlich lang.
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Durch die kleine Siedlung Sunde verläuft die Straße ein wenig oberhalb des Sees |
Die äußeren Bedingungen sind schließlich durchaus sommerlich. Selbst wenn der nordische Sommer eher einem warmen Frühlingstag in Mitteleuropa entspricht. Aber die Temperaturen erreichen im Verlauf der Rennen dennoch rund zwanzig Grad. Und wenn die Sonne, die sich ab und zu auch einmal hinter Wolken verbirgt, dann auf freien Passagen so richtig ins Läuferfeld hinein scheint, fließt der Schweiß durchaus in größerer Menge.
War bei der ersten Verpflegungsstelle noch die Wende für den um dreizehn Uhr am Sportplatz gestarteten "Miniton" über 4,2 Kilometer markiert, taucht hinter dem zweiten Posten eines jener markanten hellen Holzschilder, denen man in Vassenden schon begegnet ist, mit der Aufschrift "Start 5km" auf. Alle anderen Wettkampfdistanzen werden nämlich von Punkt zu Punkt auf dem Rückweg der Marathonis gelaufen.
Die Startzeiten sind so gewählt, dass der Sieger des Marathons in jedem Fall als Erster ankommt. Die Läufer der Halbdistanz werden zeitgleich mit dem "Miniton" auf die Strecke geschickt. Allerdings genau am anderen Ende des Kurses. Eine Dreiviertelstunde später sind die Fünfer unterwegs und erst um vierzehn Uhr dürfen die Zehner loslaufen.
Auch das ist übrigens wohl durchdacht, kann man doch so die Läufer der beiden kürzeren Renen gemeinsam zu ihren Startpunkten transportieren. Die Halbmarathonis werden dagegen auf der anderen Seite um den See herum kutschiert und kommen so bei dieser Fahrt den schon lange zuvor gestarteten Langdistanzlern nicht in die Quere.
Dort wo die Strecke erst einen weiten Rechts- und wenig später einen weiten Linksbogen schlägt, weil das Jølstravatn, an dessen Ufer sie noch immer direkt verläuft, sich ebenfalls in einem leichten Zickzack zwischen den Bergen hindurch windet, liegt Sanddal. Ungefähr die Hälfte des Weges zum anderen Ende des Sees hat man nun hinter sich gebracht. Und wenig überraschend wird deshalb auch der Lauf über zehn Kilometer an dieser Stelle gestartet.
Doch ist der auch noch in "Indre" und "Ytre" - also inneres und äußeres Sanddal - unterteilte Flecken kaum mehr als eine über eine recht große Fläche verteilte, ziemlich lose Gruppe von einem Dutzend Einzelhäusern und einigen Gehöften. Immer wenn die Felsen etwas zurücktreten, um einem von einem schäumenden Wildbach ausgefüllten Tal ein wenig Platz zu lassen, leben dort aber auch ein paar Menschen.
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Franciska Perger wird zweite Frau beim Marathon |
Nicht groß aber gut bestückt sind die Verpflegungsstellen |
Audhild Hestad lässt beim Halbmarathon nur drei Männern den Vortritt |
Fünf Kilometer weiter ist das beim ebenfalls in nach Indre und Ytre unterschiedene Myklebust ähnlich. Die Abstände passen irgendwie ziemlich gut zu den Verpflegungsstellen. So sind die Tische dann auch meist vor einem Wohnhaus aufgebaut. Und die Anwohner helfen dann fleißig bei der Versorgung der Läufer mit.
Nur die wenigsten tragen jedenfalls das gelbe T-Shirt mit dem Aufdruck "Funksjonær", das man am Ziel in Vassenden häufiger zu sehen bekommt. Übrigens wieder so ein Wort, das wie "Saft" zwar eine ziemlich ähnliche, aber eben doch nicht vollkommen identische Bedeutung wie im Deutschen hat. Ist damit doch beileibe nicht eine führende Person in einer Sportorganisation gemeint, sondern meint einfach nur einen "Helfer".
Ansonsten gibt es allerdings sprachlich in Skandinavien eher weniger Probleme. Die Verwandtschaft der germanischen Sprachen hilft dabei, dass man mit etwas Phantasie so manches lesen kann. Und ein einfaches "Jeg er Tysker" - "Ich bin Deutscher" - als Antwort auf eine in Norwegisch gestellte Frage reicht in der Regel völlig aus, um den Gesprächspartner wenn nicht gleich direkt ins Deutsche, dann zumindest sofort ins Englische wechseln zu lassen.
Fremdsprachenkenntnisse sind schließlich in ganz Skandinavien weit verbreitet. Grundkenntnisse in zwei, drei oder vier davon sind absolut keine Seltenheit. Und zumindest in den jüngeren Generationen spricht nahezu jeder ziemlich fließendes Englisch. Selbst zehnjährige bis zwölfjährige Knirpse können darin Auskunft geben. Immerhin wird diese Sprache bereits ab der ersten Klasse in der Schule unterrichtet.
Niemand erwartet jedenfalls, dass man die Landessprache spricht. Wobei es - wie überall - natürlich dennoch immer gut ankommt und auch von einem gewissen Respekt vor dem Gegenüber zeugt, wenn man als ausländischer Gast zumindest ein paar wichtige Brocken beherrscht. Ein "takk" anstelle eines "thanks" oder "danke" genügt dazu oft schon.
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Uwe Fischer (126) aus "Tyskland" läuft den Halbmarathon | Beim Wendepunkt in Sunde beginnt der Halbmarathon |
Noch knappe drei Kilometer sind bis an den Wendepunkt zu laufen, als sich die Strecke erstmals wirklich von Seeufer zu entfernen beginnt. Statt plätscherndem Wasser sowie ab und zu einmal einem bunten, oft auch mit Grasdach versehenen Bootshaus sind auf einmal auch auf der linken Seite Wiesen und Ackerflächen.
Mehr als ein- oder zweihundert Meter Luftlinie sind es allerdings nie bis zum Jølstravatn. Und aus dem Blickfeld kommt es auch nie. Denn in dem Maße, in dem die Straße Abstand vom Ufer gewinnt, steigt sie auch nach oben. Knapp fünfzig Höhenmeter sind es hinauf bis zur Anhöhe. Es ist zwar der einzige richtige Hügel im ansonsten ziemlich flachen Kursprofil. Doch weil sich die Straße bald und längst bevor die Wendemarke erreicht ist wieder zum See hinab senkt, muss er zweimal erklommen werden.
Die Besiedlung ist wieder ein wenig dichter geworden. In skandinavischen Maßstäben wohlgemerkt. Dennoch gibt es nun neben dem Asphalt die eine oder andere Häusergruppe, die so dicht zusammen steht, dass sie fast schon etwas Dörfliches hat. Dvergsdalen, Hamnen, Sandvika und schließlich Sunde heißen diese winzigen Siedlungen. Wo die eine aufhört und die andere anfängt, also der Name wechselt, ist allerdings nicht so richtig klar.
Etwa einen Kilometer vor dem Umkehrpunkt, dreht die Straße, die bisher immer in mehr oder weniger östlicher Richtung verlief, für das letzte Stück in Richtung Süden ab. Und dieses ist der wohl spektakulärste Abschnitt einer landschaftlich ohnehin ziemlich reizvollen Streckenführung des Marathons in Jølster.
Denn richtig eng rücken die Felsen nun auf beiden Seiten an die Läufer heran. Und im Hintergrund tauchen nun noch höhere, schneebedeckte Kuppen auf. Der Kurs folgt nun nämlich einem Seitenarm des Jølstravatn, der - obwohl dieser Begriff eigentlich anders belegt ist - in der Region "Kjøsnesfjord" genannt wird. Kurz vor dem östlichen Ende des Sees zweigt er vom Hauptteil des Sees ab.
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Die Halbmarathonis beginnen gleich mit einer Steigung |
Eine Brücke bei Sandvika quert ihn. Und über diese führt die Fahrradschleife. Eine vollständige Umrundung des Sees ist mangels Straße auf der einen Seite des Kjøsnesfjord nämlich nicht möglich. Die Marathonstrecke lässt diese "Bru" allerdings links liegen und orientiert sich weiter am klassischen Gletschertal des falschen Fjords.
Dass dieses von einem früheren, mit dem Ende der Eiszeit verschwundenen Ausläufer des Jostedalsbree gegraben wurde, ist schon bei einem kurzen Blick auf die Karte klar zu erkennen. Denn in direkter Linie läuft es auf den zum Teil mehrere hundert Meter dicken Firn und den gleichnamigen Nationalpark zu.
Allein dieser bedeckt rund sieben Prozent der Provinz Sogn og Fjordane. Noch drei weitere liegen zum Teil in diesem Landesteil, der damit sogar zu einem leicht überproportionalen Anteil unter besonderen Schutz gestellt ist. Denn die dreiunddreißig Parks, die es in Norwegen inzwischen gibt, nehmen ebenfalls ungefähr sieben Prozent der Fläche ein. Alleine im neuen Jahrtausend hat sich ihre Zahl verdoppelt. Und die Tendenz ist weiter steigend. Mehrere Erweiterungen und Neugründungen sind schon in Planung.
Allerdings sind norwegische Nationalparks noch deutlich unzugänglicher als in den meisten anderen Ländern. Und mit ihren deutschen Gegenstücken, die ja meist gut erschlossene und oft auch bewohnte Gebiete sind, kann man sie schon gar nicht vergleichen. In Skandinavien handelt es sich eben wirklich um nahezu unberührte Natur, die man dann in der Regel auch nur zu Fuß erreichen kann.
Nur wenige Wanderpfade ziehen sich meist durch das Gelände. Und auch unter diesen sollte man sich keineswegs gut ausgeschilderte, klar erkennbare oder gar ausgebaute Wege vorstellen, wie man sie aus Mitteleuropa kennt. Ein dichtes Netz, wie es zum Beispiel die Alpen durchzieht und unzählige miteinander kombinierbare Varianten bietet, fehlt in den Gebirgen Skandinaviens ohnehin vollständig.
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Dicht rücken die steilen Felswände in Sunde an den See heran | Grasbewachsene Hütten sieht man in Norwegen oft |
Wandern im hohen Norden bedeutet in der Regel eben, dass man sich von Markierung - wie zum Beispiel das auf Steine aufgemalte rote "T" des norwegischen Wandervereins "Den Norske Turistforening" - zur nächsten vorarbeitet und dabei auch einmal über Felsen, durch Moore oder Bäche eigene Wege suchen muss. Dass ausgerechnet die skandinavischen Orientierungsläufer weltweit führend sind, ist unter diesen Voraussetzungen nicht mehr unbedingt erstaunlich.
Das letzte Stück zum Halbmarathonstartpunkt, an dem die Läufer der doppelt so langen Distanz dann den Rückweg antreten dürfen, besteht aus einem Weg mit feinem Schotterbelag. "Grusvei" heißen jene Pisten, mit denen man auf Nebenstraßen in Skandinavien durchaus ab und zu rechnen muss. Doch abgesehen von diesen wenigen hundert Metern ist ansonsten die komplette Strecke asphaltiert.
Der "Halvmaraton" beginnt für das Feld, das mit knapp achtzig Startern kaum größer ist als das der Marathonis und damit dennoch die höchste Starterzahl aller Rennen an diesem Tag bieten kann, gleich mit einer Steigung. Denn natürlich müssen die Läufer erst einmal jenen schon erwähnten Hügel hinauf, hinter dem die Strecke dann hinunter zum Ufer schwenkt.
Dennoch ist der Kurs nicht unbedingt langsam, wie die durch Alexander Bjørvik im Alleingang erzielt Siegerzeit von 1:16:44 belegt. Doch an den bei 1:07:50 stehenden Streckenrekord kommt er nicht im Entferntesten heran. Auch in Norwegen werden die Leistungen immer schwächer. Ein Blick in die Bestenlisten des Jølster Marathon zeigt, dass die meisten dort aufgeführten Zeiten aus den Achtzigern und Neunzigern stammen.
Wie eine Bestätigung wirkt da, dass die Zeitnehmer auf dem Kunstrasenplatz von Vassenden volle acht Minuten warten müssen, bis kurz nacheinander Joar Moldskred in 1:24:43 und Erik Iden in 1:24:56 als Zweiter und Dritter einlaufen.
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Rund um den Wendepunkt am Knøsnesfjord ist die Strecke besonders spektakulär |
Der Frauenrekord ist allerdings jüngeren Datums, denn erst 2006 drückte ihn die norwegische Spitzenläuferin Kirsten Otterbu Melkevik auf 1:12:35. Eine Leistung, mit der sie immerhin Zweite im Gesamteinlauf wurde. Nicht ganz so schnell ist zwar Audhild Hestad vier Jahre später. Doch auch sie lässt bei ihrem Start-Ziel-Sieg gerade einmal drei Herren den Vortritt. Nach 1:25:37 bleiben die Uhren für sie stehen.
Knapp hinter ihr gewinnt durch Uwe Fischer aus Klettbach in Tyskland - wie Deutschland in den nordischen Sprachen heißt - ein ausländischer Gast mit 1:26:57 die Klasse "Menn 45-49 år". Im Marathon und Halbmarathon wird in den auch hierzulande bekannten Fünf-Jahres-Schritten gewertet, die allerdings erst bei "35-39" beginnen. Der Zehner wird dagegen in Zehn-Jahres-Sprüngen unterteilt. "30-39" ist dabei die erste echte Altersklasse.
War die Übersetzung von "Menn" noch einfach, wäre "Kvinner", gäbe es nicht das Gegenstück, schon deutlich komplizierter. So ist allerdings Trude Eimhjellen als Siegerin der "Kvinner 35-39 år" dennoch irgendwie als zweite Frau auf der Liste zu identifizieren. Mit 1:36:43 hat sie zwar einen beträchtlichen Rückstand auf Audhild Hestad, muss allerdings die 1:43:16 laufende Nancy Eggen hinter ihr auch nicht wirklich fürchten.
Zwar bringt das Halbmarathonfeld noch einmal etwas Belebung, dennoch wird der Lauf spätestens auf dem Rückweg für die Marathonis eine recht einsame Angelegenheit. Weit verteilt ist man schließlich meist mehr oder weniger allein auf der Straße unterwegs. Nur auf besonders langen offenen Passagen kann man noch einen Vordermann entdecken.
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Anwohner übernehmen einen der Verpflegungsposten | Lang zieht sich die Straße auf dem Rückweg |
Und selbst wenn ab und zu einmal ein paar Anwohner in Campingstühlen am Streckenrand sitzen und den Vorbeikommenden freundlichen Beifall spenden, sind auch die Zuschauer eher rar. Wie kaum anders zu erwarten ist Jølster auch in dieser Beziehung ein Lauf abseits der großen Massen.
Der kleine Parkplatz, der in einem Wäldchen zwischen Myklebust und Sanddal direkt am Wasser angelegt ist, gehört zum Astruptunet, der vermutlich wichtigsten kulturellen Sehenswürdigkeit der kleinen Gemeinde Jølster. Irgendwie ist das ebenfalls bezeichnend. Denn große Besuchermengen kann man mit ihr auch nicht unbedingt anlocken.
Obwohl Nikolai Astrup, der in diesem abgelegen Bauernhof lebte und arbeitete, als einer der wichtigsten norwegischen Maler gilt, ist er wohl den wenigsten überhaupt bekannt. Nun sind in seinem früheren Wohnsitz in einer Mischung aus Heimatmuseum und Galerie einige seiner Bilder ausgestellt. Ob der Parkplatz ohne die Straßensperrung am Marathontag tatsächlich voll wird, ist allerdings zu bezweifeln.
In Sanddal hat sich auch das Halbmarathonfeld schon deutlich gelichtet. Doch dafür stoßen dann noch ein paar Läufer, die zehn Kilometer absolvieren hinzu. Wirklich viele sind es aber auch nicht, denn die Größenordnung entspricht genau derjenigen auf der Langdistanz. Die oft ziemlich ungleiche Verteilung der Teilnehmer auf die unterschiedlichen Strecken, die man hierzulande kennt, findet man in Jølster nicht vor.
Der Zehner ist ohnehin eine größtenteils lokale Angelegenheit. Über ein Fünftel der Starter kommt vom ausrichtenden Jølster IL. Ein weiteres gutes Fünftel vom "Idrettslag" - auf Deutsch etwa "Sportverein" oder "Sportmannschaft" - aus dem gerade einmal gute zwanzig Kilometer entfernten Førde. In der mit gut zehntausend Bürgern einwohnermäßig größten Gemeinde der Provinz mündet die Jølstra am Ende des von ihr gegrabenen Tals in den Sunnfjord.
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Viel Betrieb herrscht auf den letzten Kilometern nicht mehr | Eine kleine Schleife auf dem Kunstrasen schließt den Marathon ab |
Mit einem dritten und einem vierten Platz bei den Männern durch die 36:26 bzw. 36:44 benötigenden Knut Olav und Eivind Øygard sowie einem zweiten von Gry Vågane nach 43:25 im Frauenrennen sind die Veranstalter ziemlich erfolgreich. Auch die Nachbarn aus Førde können durch Marius Vedvik in 35:33 eine Platzierung auf dem Treppchen vorzeigen. Sieger wird mit guten 33:57 jedoch Andre Haugsbø aus dem von Vassenden etwa fünfzig Kilometer entfernten Gaular.
Auch die dritte Frau kommt aus der Region. Camilla Elisa Savland vom Tambarskjelvar IL aus Naustdal (48:45) hat ebenfalls weniger als fünfzig Kilometer Anreise hinter sich. Die in 37:33 siegreiche Hilde Aasheim stammt nicht aus der Provinz Sogn og Fjordane sondern läuft für den Osterøy IL aus dem sich südlich anschließenden Fylke Hordaland.
Helge Hafsås ist zum Zeitpunkt, an dem die zehn Kilometer gestartet werden allerdings schon längst im Ziel. Denn für fast alle wenig überraschend fährt er nach 2:47:07 seinen Marathonsieg Nummer 133 ein. Es ist bereits sein elfter Erfolg in Jølster, denn auch er wohnt fast um die Ecke. Bis zu seinen Heimatort Olden in der Kommune Stryn fährt man nur etwa eineinhalb Stunden.
Obwohl das für Hafsås, der immerhin eine Bestleistung von 2:29:29 über die Marathondistanz hat und mit 6:50:15 auch norwegischer Rekordhalter über hundert Kilometer ist, die bisher schwächste Zeit beim Jølster Maraton darstellt, gerät sein Erfolg eigentlich nie in Gefahr. Odd Arne Engesæter kommt mit 2:57:55 erst mehr als zehn Minuten später ins Ziel. Und Bjørn Tore Kronen Taranger von BFG Fana folgt als Dritter nach 3:02:59 bereits jenseits der Drei-Stunden-Marke.
Auch Turid Landsvik, die in eher mäßigen 4:08:45 Dritte bei den Frauen - allerdings gehen gerade einmal fünf im Marathon an den Start - wird, gleichwohl auch bereits der Klasse "Kvinner 55-59 år" angehört, läuft für diesen Verein aus Bergen, der zu den wichtigsten und erfolgreichsten Leichtathletikclubs des Landes gehört.
Neben etlichen anderen Läufen richtet man auch den dortigen Marathon sowie einen Hundert-Kilometer-Lauf, den Bergen Ultra, aus. Beide beginnen und enden am Stadion von Fana, wo in diesem Jahr auch der nun "Team-EM" genannte frühere Leichtathletik Europacup stattfand. Was in Norwegen durchaus noch Beachtung fand, interessierte allerdings - nicht nur wegen der gleichzeitigen Fußball-WM - hierzulande außer den absoluten Fachleuten kaum noch jemanden.
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Recht gelassen wartet man im Ziel | . auf die nur gelegentlich herein kommenden Läufer |
Über zwanzig Minuten schneller als Landsvik beendet Franciska Perger mit 3:46:23 das Rennen auf Rang zwei. Doch hat sie gegen die noch einmal mehr als zwanzig Minuten vor ihr auf dem Kunstrasen von Vassenden ankommende Vorjahressiegerin Dorte Foss nie eine Chance. Nach 3:24:24 läuft die für den ostnorwegischen Club Raufoss IL antretende Favoritin an den Zeitnehmern vorbei.
Während sie wie alle Sieger einen Glaspokal mit nach Hause ins Olympiastädtedreieck Lillehammer, Hamar und Gjøvik nehmen darf, erhält jeder Läufer, der ins Ziel kommt, als "Deltakarpremie" nicht etwa eine Medaille sondern in konsequenter Beibehaltung der einmal getroffenen Materialentscheidung eine Holztafel mit der Aufschrift "Jølster Maraton".
Eine kleine Belohnung für das Absolvieren der "lett løype i vakker vestlandsnatur", wie es die Internetseite so passend ausdrückt. Eine relativ leichte Strecke in der schönen Natur des norwegischen Westens kann Jølster nämlich tatsächlich bieten. Wer das absolut Spektakuläre sucht, ist dort aber vielleicht doch nicht ganz richtig aufgehoben.
Und den Trubel eines neumodischen "Sportevents" darf man im kleinen beschaulichen Dörfchen am Ende des Wassers schon gar nicht erwarten. Dafür findet man aber eine kleine, familiäre, solide organisierte und für Skandinavien absolut typische Veranstaltung vor, bei der es tatsächlich noch ums Laufen geht.
Jølster liegt wie so vieles im Norden eben ziemlich abseits der großen Massen.
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Bericht und Fotos von Ralf Klink Ergebnisse und Infos unter jolster-maraton.no Zurück zu REISEN + LAUFEN aktuell im LaufReport HIER |
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