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30.11.08 - 25. Florenz MarathonMit rosa Plastikfolie durch mittelalterliche Gassen |
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von Ralf Klink
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Wenn es November wird in Mitteleuropa, beginnt für Läufer endgültig die Zeit der Tristesse. Trüb, düster, nass und kalt präsentiert sich die Welt zumeist. Zu allem Überfluss herrscht den größten Teil der Zeit ja auch noch Dunkelheit. Die wenigen Stunden Tageslicht geben nicht allzu vielen überhaupt noch die Möglichkeit, ihr Training auf abwechslungsreichen Strecken abzuwickeln. Laufen findet zumindest in der Woche oft nur im Schein der Straßenlaternen statt. Doch selbst wenn man tagsüber unterwegs ist, richtige Helligkeit findet man um diese Jahreszeit trotzdem irgendwie eher selten. Nein, wirklich motivierend sind die Verhältnisse im November nicht unbedingt. Es ist nicht verwunderlich, dass da so mancher am Ende einer langen Saison erst einmal eine Auszeit nimmt.
Selbst die riesige Zahl der Wettkämpfe am Wochenende, die bisher den Kalender füllte, scheint sich mit der Uhrumstellung Ende Oktober, durch die man von der abendlichen Dunkelheit trotz allen Vorwissens dennoch jedes Jahr aufs Neue überrumpelt wird, regelrecht in Luft aufzulösen. Auch die Zeit der bedeutenden Marathons ist hierzulande vorbei. Was sich jetzt noch mit einigem Suchen entdecken lässt, hat - die Veranstalter von Läufen wie in Arolsen, am Rursee und im Siebengebirge mögen es verzeihen - nur noch maximal mittlere Größe.
Doch es gibt ja noch eine Alternative für die ganz eifrigen Marathonsammler. Denn weiter im Süden ist die Saison noch voll im Gange. Ja, sie hat nach der sommerlichen Hitze rund ums Mittelmeer eigentlich erst begonnen. Noch bevor das alte Jahr zu Ende ist, könnte man sich zum Beispiel noch Medaillen in den Hauptstädten Athen und Lissabon abholen. In Spanien gäbe es neben dem immerhin fast dreitausend Teilnehmer anziehenden Lauf im baskischen San Sebastian auch auf den Ferieninseln Mallorca und Lanzarote bei kleineren Veranstaltungen die Möglichkeit die letzten Urlaubstage los zu werden.
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Vor dem Start an der Piazzale Michelangelo ... | ... mit Blick über die Stadt |
Doch die teilnehmerstärksten europäischen Rennen im späten Herbst und frühen Winter findet man in Italien. Da lässt sich nicht nur der zweitausend Läufer zählende Marathon von Reggio Emilia entdecken. Da wird auch in der Millionenstadt Mailand eine doppelt so große Veranstaltung ausgerichtet. Aber vor allem ist da der quantitativ gegenüber Konkurrenz von Milano fast noch ein weiteres Mal so stark besetzte Lauf in der toskanischen Stadt Florenz.
7203 Namen umfasst dort die Ergebnisliste des Jahres 2008, womit man hinter dem in fünfstellige Bereiche vordringenden Hauptstadtmarathon von Rom immerhin Rang zwei der italienischen Rangliste belegt. Damit ist die Größenreihenfolge schon ein wenig durcheinander geraten, denn einwohnermäßig würde Florenz mit nicht einmal vierhunderttausend erst an achter Stelle der Aufzählung landen.
Doch auch die beiden nächstkleineren Marathons passen da irgendwie nicht so richtig ins Bild. Denn Nummer drei in Italien ist mit immerhin fünf- bis sechstausend Teilnehmern der Lauf von Venedig. Das steht aber trotz seines Bekanntheitsgrades in Hinblick auf die Bewohner nur auf Position elf der italienischen Kommunen.
Und Treviso, dessen gerade einmal fünf Jahre altes Rennen inzwischen 4500 Menschen anzieht, wäre nach deutschen Maßstäben nicht einmal eine Großstadt. Man muss schon ziemlich weit nach hinten blättern, um die von Venedig nur einige Kilometer entfernte Achtzigtausend-Seelen-Gemeinde in der Liste zu entdecken. Während Venedig nahezu selbstverständlich eine große Zahl Lauftouristen aus aller Herren Länder anzieht, ist der Treviso Marathon dann doch eine ziemlich italienische Angelegenheit.
Dass mit dem Rennen im ebenfalls fast um die Ecke gelegenen Padua sogar noch ein dritter Marathon dort über zweieinhalbtausend Teilnehmer aufweisen kann, macht die Region Veneto zu einem absoluten Schwerpunkt der italienischen Szene. Denn nicht einmal Marathonlänge haben die Seiten des Dreiecks, dass von diesen drei Städten gebildet wird.
Und zwei dieser Seiten kann man sogar belaufen. Denn der Venedig Marathon startet in der Nähe von Padua. Und der Padua Marathon in der Nähe von Treviso. Nur nach Treviso läuft man nicht aus Richtung Venedig hinein. Doch auch hier wird der "Percorso" von Punkt zu Punkt über Land geführt. Eine in Italien ziemlich übliche Art der Kurssetzung. Zum Beispiel auch beim Lauf von Pisa, dem Verdi-Marathon mit Ziel in Busseto oder der Traditionsveranstaltung in Carpi kommt man von außen in die Stadt hinein.
Damit sind nun schon etliche wichtige Rennen genannt. Doch in Turin und Neapel, die beide nur knapp an der Klassifizierung Millionenstadt vorbei schrammen, gibt es ebenfalls Marathons. Allerdings kommen die zwei - vielleicht auch aufgrund nicht unbedingt ansprechender Streckenführung - nicht über ein- bis zweitausend Teilnehmer hinaus. Eine Größenordnung, in die auch der Lauf am Gardasee vorstößt.
Dann gibt es noch den bereits im dritten Lebensjahrzehnt angekommenen Marathon von Ferrara. Oder auch Verona, Brescia, Bergamo, Triest, Ravenna, Bari, Palermo . Schon diese lange Aufzählung zeigt, dass es durchaus einige Gemeinsamkeiten mit der deutschen Marathonszene gibt. Während im Vereinigten Königreich die Megaveranstaltung London nahezu alles andere erdrückt und selbst Metropolen wie Birmingham, Glasgow, Liverpool oder Manchester ohne Lauf da stehen, gibt es jedenfalls kaum eine größere italienische Stadt, in der man nicht über 42,195 Kilometer starten könnte.
Die Parallelen mit den hiesigen Verhältnissen hängen vielleicht auch mit der ähnlichen Geschichte zusammen. Denn im Gegensatz zu Frankreich oder England, die schon relativ früh eine starke Zentralregierung besaßen und sich die Macht in der Hauptstadt ballte, war Italien ähnlich wie Deutschland etliche Jahrhunderte lang in viele Klein- und Kleinststaaten zersplittert.
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Vor dem Start an der Piazzale Michelangelo | Gefälle bei Kilometer 2 | An der Stadtmauer bei Kilometer 4 |
Im Norden waren im Mittelalter mächtige Städte wie Genua, Venedig oder eben auch Florenz aufgestiegen. Der Kirchenstaat mit dem Papstsitz Rom als Hauptstadt dehnte sich in der Mitte der Stiefelhalbinsel vom Tyrrhenischen Meer bis zur Adria aus. Und im Süden erstreckte sich als das - entgegen seines Namens auch auf dem Festland liegende - Königreich Sizilien. Erst Mitte des neunzehnten Jahrhunderts entstand etwa zur gleichen Zeit wie in Deutschland aus diesem Flickenteppich ein gemeinsamer italienischer Staat.
Auch in Italien hat sich deshalb eine eher föderale Struktur erhalten, in der sich nicht alles auf eine einzige Stadt konzentriert, sondern politische, wirtschaftliche und kulturelle Bedeutung weit übers Land verteilt sind. Und vielleicht ist die breite Streuung der Marathons auch ein Zeichen für den weiterhin vorhandenen Regional- und Lokalpatriotismus in Italien.
Florenz sieht sich jedenfalls zumindest kulturell durchaus auf Augenhöhe mit Rom. Schließlich nahm von hier aus die Epoche der Renaissance - in Italien wird natürlich nicht die französische Bezeichnung sondern "Rinascimento" benutzt - ihren Ausgang und trat ihren Siegeszug quer durch Europa an. Und nahezu selbstverständlich finden sich deshalb unzählige Sehenswürdigkeiten in der seit jener Zeit kaum veränderten Florentiner Altstadt.
Etliche davon, insbesondere die wichtigsten, haben die Kurssetzer in den Parcours eingebaut. Das macht ihn aufgrund doch etlicher Ecken und Pflasterpassagen nicht unbedingt zu einer Rekordpiste. Aber Abwechslungsreichtum und Attraktivität sind ja durchaus auch ein Qualitätsmerkmal für eine Marathonstrecke. In Florenz hat man sich jedenfalls dafür entschieden, den Läufern, von denen immerhin ein Drittel aus dem Ausland stammt, etwas von der Stadt zu zeigen.
Um das tun zu können, muss man die Veranstaltung vielleicht sogar tatsächlich so spät im Jahr positionieren. Denn die meiste Zeit wäre es aufgrund der riesigen Besucherzahlen kaum möglich, große Teile der Innenstadt lahm zu legen. Runde zehn Millionen Übernachtungen werden jährlich gezählt. So wichtig der Tourismus als Wirtschaftsfaktor für Firenze auch sein mag, manchmal droht man darunter auch fast schon zu ersticken.
Dem Geschiebe und den langen Warteschlangen, denen man zu anderen Jahreszeiten begegnet, kann man im November jedenfalls ein bisschen aus dem Weg gehen. Und die enormen Hotelkapazitäten sind keineswegs mehr voll ausgelastet. So bieten sich für die Lauftouristen durchaus ein breites Angebot mit ziemlich gutem Preis-Leistungs-Verhältnis.
Doch wer nun glaubt, im warmen Süden stets unter strahlender Sonne im Straßencafé sitzen zu können, der sei daran erinnert, dass die Toscana sehr wohl noch im nördlichen Teil des Landes liegt. Und dass es dort durchaus auch richtigen Herbst und Winter geben kann. Die Monate November und Dezember sind sogar die niederschlagsreichste Zeit des Jahres.
Regen oder zumindest Schmuddelwetter sind beim Florenz Marathon also durchaus nicht ungewöhnlich. Und selbst, wenn die Temperaturen im November normalerweise meist noch zweistellig werden, gibt es sehr wohl auch gelegentlich einmal Nachtfrost.
Der Wintereinbruch, unter dem der Mailänder Marathon am Sonntag zuvor mit eisigem Wind und Temperaturen um den Gefrierpunkt zu leiden hatte, bleibt Florenz zwar erspart. Doch dafür verkünden die Meteorologen schon Tage vorher für das Rennwochenende den Durchzug eines Niederschlagsgebietes mit teilweise ergiebigen Regenfällen.
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Porta Pisana bei Kilometer 9 | Via dello Orto bei Kilometer 9 | Porta Romana nach zehn Kilometern | Piazza San Felice bei Kilometer 11 |
Auch der Samstag, an dem man sich in den Hallen des Sportgeländes "Campo di Marte" seine Startunterlagen abholen kann, ist bereits ziemlich feucht. Es ist kein Dauerregen, manchmal entdeckt man sogar ein Stück blauen Himmels. Aber angesichts doch immer wieder auftretender, zwar kurzer, allerdings manchmal recht heftiger Schauer, hat man an diesem Tag Schirm oder Kapuze trotzdem besser nicht im Hotel vergessen. So schlimm wie in Venedig, das "Land unter" melden muss, oder auch in den von größeren Schneemassen bedeckten Bergregionen schlägt das Italientief in Florenz jedoch bei weitem nicht zu.
Ein Stück außerhalb des Zentrums, jenseits einer Bahnlinie liegt das "Marsfeld". Busse übernehmen hauptsächlich den Transport der Läufer. Fast alle verzichten angesichts des durchwachsenen Wetters dann doch lieber auf den längeren Spaziergang. Und entsprechend dicht gefüllt sind die Fahrzeuge dann zumeist.
Und eigentlich sind auch die simplen Sporthallen dem Andrang kaum gewachsen. Zur Abholung der Startnummer gelangt man noch recht schnell. Einen Moment dauert es allerdings doch, bis man seinen Umschlag in der Hand hat.
Auch in Italien ist wie in Frankreich nämlich dabei die Vorlage eines Startpasses oder eines ärztlichen Attestes vorgeschrieben. Alle Teilnehmer wurden ausdrücklich darauf hingewiesen, dass zumindest eines von beiden vorzulegen sei. Und tatsächlich wird das Ganze peinlich genau kontrolliert. Man fertigt sogar Kopien an. Ob allerdings diese vielen oft in fremden Sprachen abgefassten Unterlagen in den Akten dann überhaupt verstanden werden, ist sicher ein ganz anderes Thema.
Und Zweifel daran, ob dieser ganze bürokratische Aufwand lohnt, ob damit auch nur eine einzige medizinische Notsituation auf der Strecke verhindert werden kann, seien auch erlaubt. Nachweisen, dass in Ländern, in denen man sich diese Umstände nicht macht, die Zahl der Zwischenfälle signifikant höher wäre, kann man sicher nicht. Sinn und Zweck ist wohl einzig und allein eine juristische Absicherung.
Doch mit der Startnummer hat man noch nicht alles. Um den dazu gehörenden Beutel zu bekommen muss man sich ganz ans Ende der zweiten Halle im Zickzack an wirklich allen Messeständen vorbei arbeiten. Die Tatsache, dass man den gleichen, durchaus bewusst so kompliziert gestalteten Weg auch wieder zurück nehmen muss, macht das Gedränge nicht kleiner.
Und doch sollte man keineswegs auf die Abholung verzichten. Denn im Gegensatz zu Deutschland, wo man meist neben viel Papier eigentlich nur genauso viel Werbegeschenk-Schnickschnack in die Hand gedrückt bekommt, wird man im Süden Europas oft reichlich bedacht. Nicht nur die fast schon obligatorischen T-Shirts gibt es da, sondern manchmal eben auch Laufhosen, Trikots oder Pullover mit dem Veranstaltungslogo. Und das bei oft deutlich niedrigeren Startgebühren.
Auch in Florenz ist der Beutel wieder gut gefüllt. Denn neben einem Langarm-T-Shirt erhält jeder Teilnehmer zudem noch ein Laufjacke des Bekleidungssponsors. Das auffällige Blau wird in den nächsten Tagen beim Bummel durch die Gassen jedenfalls kaum noch zu übersehen sein, es wird das Stadtbild fast ein wenig mit prägen.
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Palazzo Pitti bei Kilometer 11 | Unter Vasarikorridor hindurch auf km 12 | Am Arnoufer bei Kilometer 12 |
Noch etwas anderes ist in der Tüte - eine Plastikfolie. Man solle sie doch bitte bei Regen oder Wind vor dem Start überziehen. Die Florentiner trauen ihrem Wetter anscheinend auch nicht so ganz. Die Farbe ist allerdings nun wahrhaft nichts für eher dezente Menschen. Nein, unauffällig ist dieses Rosa wirklich nicht unbedingt. Wie wichtig - Farbe hin oder her - diese sogar mit einer Kapuze ausgestatteten Schutzhüllen sein können, erleben die Marathonis am nächsten Tag am eigenen Leib.
Dabei fängt der Morgen recht freundlich an. Vom angedrohten Regen ist keine Spur, als sich immer mehr Läufer nach dem Frühstück aus ihren Hotels auf den Weg durch die Altstadtgassen zum Arnoufer machen. Denn dort warten die Container, an denen man seinen Kleiderbeutel abzugeben hat. Etliche hundert Meter vom Ziel entfernt.
Die Entscheidung den Einlauf auf der eindrucksvollen aber nur von engen Gassen umgebenen Piazza Santa Croce vor der gleichnamigen Kirche stattfinden zu lassen, zwingt eben zu solchen Kompromissen und etwas längeren Wegen. Die Altstadt von Florenz ist für eine Veranstaltung dieser Größenordnung definitiv nur bedingt geeignet.
Sogar noch ein ganzes Stück weiter von dort ist der Start entfernt. Am südlichen Arnoufer erhebt sich eine Hügelkette gute fünfzig Meter über den Stadtkern. Und da oben liegt auch der Piazzale Michelangelo, wo die 42 Kilometer lange Reise durch Florenz beginnen soll. Selbst wenn man - der direkte Weg ist nur etwa einen Kilometer lang - dorthin durchaus noch zu Fuß gelangen könnte, gibt es dennoch Pendelbusse. Und dieser "Servizio Navetta" wird auch dankend angenommen.
Für den Start hat man sich einen besonderen Platz ausgesucht. Benannt nach einem der berühmtsten Söhne der Toskana, der natürlich auch in Florenz seine Spuren hinterlassen hat, bietet sich von hier jener Postkartenblick über die Türme und Kuppeln der Stadt, ohne den kaum ein Reiseführer - zumeist gleich auf der Frontseite - auskommt. An vielen von ihnen wird man im Verlauf des Rennens noch direkt vorbei kommen.
Raum genug für die Startaufstellung bietet sich hier definitiv. Doch warum man nicht erst oben seine Kleider abgeben kann, verstehe wer will. Denn für ein paar Lastwagen hätte es auch noch gereicht. Da gleich mehrere Straßen hinauf führen, zieht das Argument der gegenseitigen Behinderung von Läufern und Transportern jedenfalls nicht.
So mancher, der sich nur in Wettkampfkleidung und mit Folie bewaffnet auf den Weg gemacht hat, wäre inzwischen froh, wenn er noch einige weitere Schichten dabei hätte, die bis kurz vor dem Startschuss zusätzlichen Schutz gäben. Denn obwohl sich am frühen Morgen noch etliche Wolkenlücken gezeigt hatten, beginnt es jetzt doch wie zuvor angedroht zu regnen. Und die eigentlich angenehmen Temperaturen um die Zehn-Grad-Marke fühlen sich mit Feuchtigkeit gleich um einiges kälter an.
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Am Arnoufer vor Ponte Vecchio und Uffizien | Am Arnoufer bei Kilometer 12 | Porta San Niccolò bei km 12 |
Immer dunklere Wolken tauchen im Westen auf. Immer heftiger wird der Regen. Immer nasser sind Boden und Füße. Gut meint es das Wetter mit den Florentinern zu ihrem Silberjubiläum nun wirklich nicht. Und das was bei einigen anfangs für Freude gesorgt hatte, weil man dadurch länger liegen bleiben konnte, nämlich eine Startverschiebung von 9:00 auf 9:20, wird nun verflucht. Wäre man doch nur schon unterwegs.
Bereits in der Ausschreibung war auf eine mögliche Startzeitverlegung wegen einer Übertragung des Rennens im Fernsehen hingewiesen worden. Und tatsächlich wurde bei der Nummernausgabe die Verschiebung um zwanzig Minuten offiziell verkündet. Nun steht man zu einer Uhrzeit, zu der man eigentlich längst auf der Strecke sein sollte ziemlich durchnässt und vor sich hin frierend in rosa Plastikfolie eingepackt um die Bronzenachbildungen Florentiner Michelangelo-Statuen herum, die auf dem Piazzale aufgestellt wurden.
In den Startblocks ist es zwar genauso nass, doch dicht gedrängt, bietet man zumindest dem Wind weniger offene Angriffsfläche. Die unterschiedlichen Gruppen sind mit Hintergrundfarben der Nummer gekennzeichnet. Und der Zugang wird recht streng kontrolliert. Mannshohe Zäune verhindern, dass man einfach hineinklettert. Und so ist die Aufstellung dann auch recht homogen. Alles läuft ziemlich geordnet ab. Keine Spur vom fast schon sprichwörtlichen italienischen Durcheinander.
Als es dann endlich doch losgeht, ist das fast eine Erlösung. Zwar bekommt man im Mittel- und Hinterfeld aufgrund der über den Köpfen knatternden Hubschrauber vom Startschuss gar nichts mit. Aber dass es weiter vorne Bewegung gibt, merkt man dann doch recht schnell.
Ein Meer von Plastiktüten - die meisten von ihnen selbstverständlich rosa - gilt es zu überwinden, bevor die Startmatte erreicht ist. Viele, aber bei weitem nicht alle haben sich kurz vor dem Loslaufen dann doch noch ihres Schutzes entledigt. Noch viele Kilometer lang wird man allerdings so einige jener knalligen Folien am Straßenrand liegen sehen. Und manch einer kann sich gar nicht von ihr trennen und trägt sie sicherheitshalber bis ins Ziel.
Dem ersten flachen, dann sogar leicht bergan führenden Metern, folgt wenig später ein spürbares Gefälle. In weitem Bogen windet sich die Straße innerhalb weniger Kilometer von 104 auf 48 Meter Meereshöhe hinunter. Danach gibt es abgesehen von einigen Brücken bis zum Ziel kaum noch Höhenunterschiede. Schon diese Zahlen zeigen, dass Florenz nicht wirklich zur Rekordpiste taugt. Es sind nur ein paar Meter, wirklich nur ein paar Meter zu viel. Doch der Kurs hat eben mehr als das für offizielle Bestleistungen zulässige Gefälle von einem Promille.
Grün sind die ersten Kilometer. Bäume säumen sie Straße. Fast wirkt es, als durchlaufe man einen Park. Doch die Gegend ist durchaus bewohnt. Nur sind die Anwesen jenseits der das eigentliche Zentrum begrenzenden Stadtmauer eben um einiges größer bemessen. Ein bisschen Kleingeld war schon nötig, um sich hier anzusiedeln.
Und während Florenz später nach Norden, Osten und hauptsächlich nach Westen immer weiter gewachsen ist und bei Anreise aus diesen Richtungen wie eine ganz normale Großstadt daher kommt, läuft es südlich der Piazzale Michelangelo wie schon vor einigen hundert Jahren noch immer ziemlich schnell in die toskanische Landschaft aus.
Wie zum Hohn für die vor dem Start frierenden Läufer hat sich inzwischen das Wetter deutlich gebessert. Der Regen hat nahezu aufgehört. Jetzt herrschen wirklich eigentlich fast idealen Laufbedingungen. Und nur noch einmal, eine knappe Stunde nach dem Start wird der Himmel noch einmal kurzzeitig so richtig seine Schleusen öffnen. Wer auf leichtere Bekleidung gesetzt hatte, lag dann doch nicht so ganz verkehrt. Wäre doch nur nicht der Guss oben auf dem Piazzale gewesen.
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Arnoüberquerung bei Kilometer 13 | Halbmarathon am Campo di Marte | Museo Archeologico bei km 27 |
Noch bevor den Läufern das Schild mit der "4" begegnet ist, ändert sich das Bild bereits. Denn auf der rechten Seite taucht ein massiger Torbogen auf. Die Porta Romana hat nun schon fast siebenhundert Jahre auf ihre massiven Buckel. Wie ihr Name schon sagt, führt durch sie die Straße nach Rom hindurch.
Dieser Via Cassia, die schon in der Antike das damalige Machtzentrum mit Genua verband und die hier den Arno querte, verdankt Florenz einen Teil seiner späteren Bedeutung. Der Überlieferung zufolge angeblich im Jahre 60 oder 59 v. Chr. als "Florentia" von Julius Caesar persönlich gegründet, verdrängte es aufgrund dieser Tatsache schnell, das wesentlich ältere, nur wenig entfernt in den Bergen gelegene Fiesole als wichtigste Siedlung der Gegend. Der antike Ursprung der Stadt ist auch heute noch im nahezu rechtwinkligen Verlauf der Gassen im Zentrum nachzuvollziehen.
Die Porta Romana ist Bestandteil der mittelalterlichen Stadtmauer, die später das mächtige Florenz auf vielen Kilometern umschloss. Nördlich des Arno ist der größte Teil der Befestigung inzwischen verschwunden, wurde beim Wachstum der Stadt bis auf wenige Reste abgetragen.
Südlich des Flusses sind allerdings noch einige Stücke erhalten, wovon sich die Marathonis in der Folge schnell überzeugen können. Denn über einen halben Kilometer lang, bis die Strecke nach links abdreht, verläuft die voll intakte Mauer nun parallel zur Straße. Doch auch außerhalb des einstigen Verteidigungswalls herrscht jetzt durchgängige Bebauung. Man ist endgültig wieder in der Stadt angekommen.
Wenig später wird bei Kilometer fünf zum ersten Mal eine Zwischenzeit registriert. Auch in der Folge liegt alle fünftausend Meter eine Matte. Und aufgrund regelmäßiger Datenübertragungen kann man den Rennverlauf sogar per Internet nahezu in Echtzeit verfolgen. Sortiert wird dabei übrigens grundsätzlich nach Bruttozeit.
Auch die Endrangliste ist, trotz ausgewiesener Nettoergebnisse, vom ersten bis zum letzten Platz in dieser Form geordnet. Sämtliche Platzierungen werden - wie in Italien durchaus üblich - einzig und allein aufgrund der Zeit zwischen dem Startschuss und dem Überlaufen der Ziellinie vergeben. Darüber, was wirklich gerechter ist, kann man sicher trefflich streiten. Es gibt so oder so Härtefälle. Doch die Italiener ziehen ihre Linie da deutlich konsequenter durch - bzw. halten sich genauer an die Vorgaben ihres Verbandes - als mancher deutsche Veranstalter.
Wie nahezu bei allen größeren Läufen auf der Welt üblich, sind es mehr als ein halbes Dutzend Kenianer, die dem Feld voran stürmen. Doch neben dem Äthiopier Fekene Sefu und dem Marokkaner Said Er-Rmili finden sich mit Migidio Bourifa, Gianluca Pasetto und Vincenzo Scuro immerhin auch drei Einheimische in der noch ziemlich geschlossenen Spitzengruppe.
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Torbogen zur Piazza della Santissima Annunziata | Vor Kirche Santissima Annunziata | Findelhaus an der Piazza Santissima Annunziata |
Da ist schon ein Unterschied zwischen der deutschen und der italienischen Laufszene. Denn während in Deutschland hauptsächlich die Frauen international wirklich konkurrenzfähig sind, gibt es in Italien durchaus auch bei den Herren noch immer den einen oder anderen, der für eine vordere Platzierung in Frage kommt.
Man hat ja auch seit dem Beginn des Marathonbooms eine lange Tradition, die in den letzten beiden Jahrzehnten durch Gelindo Bordin oder Stefano Baldini immerhin auch zwei Olympiasieger hervor gebracht hat. Mit Orlando Pizzolato, Gianni Poli und später Giacomo Leone finden sich in den Achtzigern und Neunzigern auch gleich drei Italiener in den Siegerlisten von New York.
Ein klein bisschen Beigeschmack bleibt allerdings bei den großen Erfolgen der italienischen - und auch der spanischen - Läufer in dieser Periode schon. Denn einige der Sportmediziner, die sich maßgeblich um deren Betreuung kümmerten, waren eben nicht nur in der Leichtathletik sondern auch im Radsport aktiv. Dass einer der zur Zeit stärksten Italiener, der mit einer Bestzeit von 2:08 ausgestattete Alberico di Cecco in diesem Jahr wegen EPO-Dopings aus dem Verkehr gezogen wurde, darf man in diesem Zusammenhang wohl erwähnen.
Aber insgesamt ist die italienische Szene doch irgendwie noch ein bisschen leistungsorientierter als die deutsche. "Competitiva", also "wettkampfmäßig" hat jedenfalls keineswegs einen negativen Klang. Es gibt natürlich auch in Italien Hobbyläufer jenseits der fünf Stunden. Doch selbst im eher touristisch geprägten Florenz-Marathon werden es sogar nach Bruttozeit gerade einmal vierhundert sein. Und davon stammt auch noch ein überproportional hoher Anteil aus dem Ausland.
Etwa genauso viele werden auch im Ziel auf der Piazza Santa Croce eingelaufen sein, bevor die Wettkampfuhr auf eine "3" als erste Ziffer umgesprungen ist. In Deutschland gibt es inzwischen nicht mehr viele Marathons, bei der deutlich über fünf Prozent der Teilnehmer unter dieser Marke bleiben können. Für italienische Verhältnisse ist es dagegen sogar eine eher schwache Quote. Denn oft, gerade bei kleineren Veranstaltungen ist man eher in der Nähe von zehn Prozent oder sogar darüber.
Mit zwölf - bzw. nach Nettozeit dreizehn - von knapp über tausend Damen wird im weiblichen Bereich die Zahl der Ergebnisse mit einer "2" am Anfang zwar wesentlich niedriger ausfallen. Doch verglichen mit den Resultaten deutscher Marathons fällt auch das keineswegs wirklich ab, ist durchaus achtbar und erwähnenswert. Zumal insgesamt etwa eine Hundertschaft schneller als 3:30 läuft.
Immerhin zu fünft ist man in der Kopfgruppe des Frauenrennen am Ende des Gefälles noch. Auch hier sind mit Marcella Mancini und Giovanna Volpato zwei Italienerinnen dabei. Dazu noch die Äthiopierin Melaku Elfneshe, die Britin Alice Braham und die Slowenin Daneja Grandovec. Auch hier ist - wie eigentlich üblich - das Bild deutlich bunter als bei den Männern, wo inzwischen wirklich fast nur noch Afrikaner dominieren.
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In Via Battisti | Battisterio San Giovanni bei km 28 | Dom Santa Maria del Fiore bei km28 |
Nur drei Kilometer danach ist man fast wieder an der gleichen Stelle angekommen. Keine hundert Meter Luftlinie entfernt läuft man auf der Parallelstraße in die Gegenrichtung. Zwei kurz aufeinander folgende Rechtsschwenks haben dazu ausgereicht.
Es ist nicht die einzige dieser Schleifen. Obwohl man keinen einzigen Meter wirklich doppelt läuft und nur an einer Stelle kurzzeitig echten Begegnungsverkehr hat, kommt man an einigen Stellen eben doch gleich doppelt vorbei. Und gleich mehrfach hat der ohnehin ziemlich kurvige Streckenplan lange fast schlauchartige Ausbuchtungen.
Richtung Arno führt der Kurs. Doch so richtig bis zum Fluss stößt man vorerst nicht vor. Denn selbst als man nur noch einen Steinwurf von ihm entfernt ist, verdeckt eine Häuserreihe die Sicht. Und gerade in dem Moment, in dem eine Grünanlage die Gebäude ablöst, biegt man schon wieder ins Viertel Pignone ab. Eine Ecke, die im offiziellen Streckenplan gar nicht verzeichnet ist. Laut diesem müsste man dem Arno noch ein Stück weiter folgen.
Aber diese wohl doch recht kurzfristige Änderung hat sogar eher positive Auswirkungen, führt der neue Kurs doch nun kurz darauf auch an der Porta San Frediano, einem weiteren der großen Tore der alten Stadtbefestigung vorbei. Ein zweiter Name für den imposanten Bogen ist "Porte Pisana", bewachte es doch den Zugang aus Richtung des alten Rivalen Pisa.
Nachdem die Familie der im frühen Mittelalter über die Toskana herrschenden Markgrafen im zwölften Jahrhundert ausgestorben war, gelang es im Zuge der lang anhaltenden Nachfolgestreitigkeiten den dortigen Städten immer größere Freiheiten zu erlangen. Die Toskana spaltete sich in die Republiken Florenz, Pisa, Siena, Arezzo, Pistoia und Lucca auf, die jeweils ihre eigenen Einflussbereich ausdehnen wollten. In längeren Kämpfen mit durchaus wechselnden Bündnissen eroberte sich die Florentiner langsam die Vormacht in der Toskana. Pisa jedenfalls wurde 1406 endgültig erobert und danach lange Zeit von Florenz aus regiert.
Zwar läuft man nicht durch das Stadttor hindurch sondern eher um es herum, doch mit seinem Passieren hat man nun endgültig das "centro storico", das historische Zentrum betreten. Als Tourist sollte man in diesen Bereich tunlichst nicht mit dem Auto hinein fahren. Nicht etwa, weil man es durch die zum Teil wirklich engen Gassen kaum hindurch bekommt. Auch nicht, weil man in dem Gewirr von Einbahnstraßen und Sackgassen selbst als Fußgänger schon einmal etwas die Orientierung verlieren kann.
Doch der ganze Bereich innerhalb der alten Stadtmauern - und sogar noch ein bisschen mehr - ist "Zona a Traffico Limitato". Ein Bereich, in dem nur die PKW der Anwohner erlaubt sind. Damit ist es zwar bei weitem nicht so rigoros wie in Siena, wo die gesamte Altstadt für jeglichen Verkehr gesperrt ist. Aber als die Regelung eingeführt wurde, gab es dennoch zuerst einen Sturm der Entrüstung.
Der Stadtrat, der diese Entscheidung durchdrückte, spielte definitiv mit seiner politischen Zukunft. Selbst wenn fast jedem klar war, dass die Stadt sonst über kurz oder lang am Verkehr und seinen Abgasen erstickt wäre, einen Autofahrer in seinen Rechten zu beschneiden, ist in Italien ein ziemlich sicherer Weg sich unbeliebt zu machen. Doch das ist wohl nicht nur in Italien so.
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Dom Santa Maria del Fiore bei km 28 | Dom Santa Maria del Fiore und ... | ... Battisterio San Giovanni bei Kilometer 28 |
Inzwischen hat man sich auch in Florenz längst daran gewöhnt. Und wer sieht, wie viele Fahrzeuge sich auch heute noch durch die Gassen zwängen, mag sich gar nicht vorstellen, wie es ohne die Beschränkung zugehen würde. Und die UNESCO hat sicher auch nichts dagegen, dass zumindest etwas weniger Verkehr durch eines ihrer Schutzobjekte fließt.
Denn nicht nur in eine "Zone mit limitiertem Verkehr" ist man da gerade hinein gelaufen, sondern auch in ein Weltkulturerbe. Bereits länger als es den Marathon gibt, nämlich seit 1982 ist die komplette Altstadt von Florenz in dieser Liste verzeichnet.
Angeblich habe man bei der Aufnahme sogar auf die ansonsten übliche umfangreiche Begründung verzichtet. Es sei ja überall bekannt wie viele Kunstschätze die Stadt in ihren Mauern beherberge, so dass man sich die genau Aufzählung auch sparen könne. Falls die Geschichte stimmt, ist sie sicher ein Beleg dafür, dass auch in der Toskana die Übergänge zwischen Selbstbewusstsein und Arroganz ziemlich fließend sind.
Dicht gedrängt stehen die Häuser in der Gasse die man gerade durchläuft. Der Wind, der oben auf der Piazzale die Läufer so frösteln ließ, hat hier kaum eine Chance. Doch das Pflaster ist noch nass. Und in den Kurven muss man gelegentlich schon ein wenig vorsichtig sein, um nicht in Rutschen zu kommen.
Die Spitzkehre kurz hinter dem zehnten Kilometer böte sich dazu auch an. Es ist fast wie an einem echten Wendepunkt, als man die 180-Kurve innerhalb weniger Meter durchläuft. Doch es ist tatsächlich eine andere Straße, die man danach weiterläuft. Sie heißt "Via Romana", sie führt nach Rom.
Denn das wuchtige Bauwerk, das den Hintergrund für diese enge Wende liefert, kennt man schon. Die "römische Pforte" hatte man nämlich bereits von der anderen, der äußeren Seite gesehen. Nun kann man auch die Innenseite abhaken. Wieder so einer jener typischen Schlenker der Marathonstrecke. Ziemlich zuschauerfreundlich ist das ganze schon konzipiert.
Der Publikumszuspruch ist nicht wirklich überragend. Aber an ein paar Brennpunkten - wie eben auch an der Porta Romana - ist die Stimmung trotzdem recht gut. Und selbst wenn es sich dabei sicher zu großen Teilen um Begleiter der Läufer handeln dürfte, der Marathon wird von der Stadt Florenz immerhin registriert.
Vor allem kommt man aber in der toskanischen Metropole ohne jene Eskalationen zwischen Autofahrern und Ordnern aus, die man in südlichen Ländern und insbesondere in Italien durchaus schon einmal erleben darf. Die Florentiner scheinen sich nach zwei Jahrzehnten "ZTL" jedenfalls daran gewöhnt zu haben, nicht überall und zu jeder Zeit mit dem Auto hin zu können.
Deren Zahl ist seit der Zeit, als die Porta Romana ihre größte Bedeutung hatte, gar nicht so enorm gewachsen. Denn bereits während der ersten Blüte im vierzehnten Jahrhundert lebten bis zu 120.000 Menschen in der Stadt. Damals war Florenz noch Republik, mit einer auch aus heutiger Sicht als halbwegs demokratisch zu bezeichnenden Verfassung.
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Piazza della Repubblica | Arconte auf Piazza della Repubblica | Piazza della Repubblica | Arconte bei Kilometer 29 |
Doch langsam gewann der Stadtadel immer mehr Macht. Nur noch wenige Familien teilten die Wahlämter unter sich auf. Eine von ihnen, die wichtigste, die bald darauf die Geschicke der Stadt und später auch der ganzen Toskana alleine bestimmen würde, waren die Medici.
Spätestens mit Cosimo dem Älteren beginnt Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts endgültig die dreihundertjährige - wenn auch von mehrfachen kürzeren Vertreibungen unterbrochene - Herrschaft dieser Dynastie. Dabei bekleidete "il Vecchio" fast nie ein wichtiges öffentliches Amt, hielt sich in der Regel absolut an die demokratischen Spielregeln.
Meist blieb er im Hintergrund, von wo er aber über ein weites Geflecht von Beziehungen geschickt die politischen Fäden zog. Mit einem eigenen Bankhaus als wirtschaftlichem Rückhalt und dank taktischer Finesse wurde er auch ohne offiziellen Titel für lange Zeit zum nahezu uneingeschränkten Stadtherren.
Cosimo war jedenfalls ein ziemlich zwiespältiger Charakter. Manchmal wird er als freundlich, warmherzig, liebenswürdig, hilfsbereit, einfühlsam und bescheiden beschrieben. Es gibt die Überlieferung, dass er einmal wichtige politische Verhandlungspartner hätte warten lassen, nur um mit seinem Enkel zu spielen.
Doch andererseits verfolgte er auch völlig rücksichtslos, menschenverachtend und ziemlich egoistisch seine ganz persönlichen Interessen. Er konnte Leute durch seine Art schnell an sich binden, regelrecht um den Finger wickeln und so zu treuen Gefolgsleuten machen. Doch so mancher frühere Wegbegleiter wurde dann später eiskalt einfach geopfert, wenn er Cosimo irgendwie nicht mehr in den Kram passte. Und mit Gegnern sprang er ohnehin wenig zimperlich um.
Ein echtes Chamäleon, bei dem man Fassade und wahren Kern bis heute nicht unterscheiden kann. Vielleicht hätte so ein Typ Mensch durchaus auch ins heutige Zeitalter gut gepasst. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen wären allerdings rein zufällig.
Das Bild an der Spitze hat sich ein wenig gewandelt, als sie in die Via Romana einschwenkt. Denn inzwischen ist Migidio Bourifa nämlich mit sieben Kenianern und einem Äthiopier alleine vorne. Der Marokkaner hängt inzwischen vom Briten Andi Jones begleitet eine knappe Viertelminute zurück. Und das nächste Duo kommt mit Martin Williams und Thomas Payn sogar komplett von der Insel.
Nicht nur zahlenmäßig sondern auch qualitativ ist aus dem Vereinigten Königreich ein ziemlich starkes Kontingent angereist. Denn auch Alice Braham mischt fleißig weiter vorne mit. Das Frauenquintett ist allerdings ein Quartett geworden. Denn die am Ende in 2:51:48 Sechste werdende Slowenin Grandovec hat man bereits verloren.
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Am Palazzo Strozzi bei Kilometer 29 | Am Palazzo Strozzi bei Kilometer 29 | Am Arnoufer bei Kilometer 39 |
Etwa genauso viele - nämlich knappe dreihundert - Spanier sind ebenfalls vor Ort. Dass auch die Österreicher ähnlich gut vertreten sind, hat wohl eher mit der räumlichen Nähe als mit dem großen Läuferreservoir zu tun. Nur bei wenigen internationalen Veranstaltungen dürften Marathonis aus dem Nachbarland einen so hohen Anteil stellen.
Ein paar Deutsche mehr sind es dann aber doch noch. Ungewöhnlich allerdings, dass die Reiseweltmeister aus "Germania" in Florenz in der Ausländerwertung so deutlich abgeschlagen nur auf Rang zwei landen. Und den müssen sie sich auch noch mit den US-Amerikanern teilen.
Doch die Franzosen bringen tatsächlich mit rund 750 Meldungen ziemlich genau doppelt so viele Füße in Bewegung wie die "Tedesci", was umso überraschender wird, wenn man bedenkt, dass es im November auch in Frankreich noch einige größere Marathonrennen gibt.
Die enge Gasse hat sich plötzlich zu einem großen Platz geweitet. Auf der anderen Seite will der gigantische Palazzo Pitti so gar nicht zu den kleinen schmalen Häusern bisher passen. Volle zweihundert Meter ist die Front lang. Hinter den doch ziemlich abweisend wirkenden Mauern findet man heute die nach den wesentlich bekannteren Uffizien zweitwichtigste Gemäldegalerie der Stadt.
Begonnen von den namensgebenden Pitti, einer anderen Florentiner Familie, die eine Zeit lang in Konkurrenz zu den Medici stand, wurde er nach deren Vertreibung ausgerechnet von den früheren Gegnern übernommen, beträchtlich erweitert und zu ihrer Residenz gemacht. Später, als der Kirchenstaat - und damit auch Rom - noch nicht zum sich langsam vereinigenden Italien gehörte und Florenz kurzzeitig als Hauptstadt diente, war hier der Sitz des italienischen Königs.
Schon der Palazzo erhält im Reiseführer mit zwei Sternen als besonders sehenswert die maximale Wertung. Doch wenig später ist man dann an einem noch wichtigeren Wahrzeichen der Stadt angekommen, dem Ponte Vecchio. Die "alte Brücke" - wie in den romanischen Sprachen üblich ist Ponte, also Brücke, mit einem männlichen Artikel versehen - überspannt den Arno schon seit der Römerzeit an seiner schmalsten Stelle. Der jetzige Übergang ist zwar nicht ganz so alt, doch immerhin seit 1345 kann man hier auf die andere Flussseite hinüber spazieren.
Aber fast würde man das gar nicht merken. Denn bis auf eine kleine Lücke genau in der Brückenmitte ist sie auf beiden Seiten durchgängig mit Häusern bebaut. Zur Straße hin geöffnet, lehnen sie sich mit ihrer Rückseite teilweise bedrohlich weit über das Wasser hinaus. Einst hatten in ihnen Metzger und Gerber Zuhause und Arbeitplatz. Mit dem Vorteil, dass die bei diesen Tätigkeiten entstehenden Abfälle gleich in den Fluss entsorgt werden konnten.
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Vor Palazzo Ferroni bei km 39 | Am Arnoufer bei Kilometer 39 ... | ... mit Blick auf Ponte Vecchio |
Der Ponte Vecchio erlangte allerdings schon zu Renaissancezeiten einen gewissen Bekanntheitsgrad. Und im Jahr 1593 ordnete der Medici-Großherzog Ferdinando I an, dass die Geschäfte dort von Goldschmieden übernommen werden sollten, um die fremden Besucher nicht zu sehr abzuschrecken. Sicher eines der ersten Gesetze, dass sowohl umweltpolitische wie auch touristische Hintergründe und Auswirkungen hatte.
Auch heute noch sind auf der Brücke einzig und allein nur Juweliere ansässig. Und vielleicht ist es auch ein wenig Rücksichtnahme auf deren umsatzstarkes Klientel, die dafür gesorgt hat, dass der Marathonkurs nicht mehr wie noch vor einigen Jahren direkt über die Brücke geführt wird. Sie müsste dazu schließlich zumindest ein bis zwei Stunden komplett gesperrt werden.
So biegt man direkt vor dem Ponte Vecchio nach rechts ab. Doch von außen wirkt das Ganze sowieso spektakulärer als von innen, wo man eigentlich nur eine fast normale Gasse sehen würde. Den Schulterblick zurück kann man sich allerdings dennoch beinahe sparen, denn später wird man noch einmal am Fluss entlang direkt auf die Brücke zulaufen.
Unter einem hohen Bogen hindurch erreicht man das Arnoufer. Dort oben verläuft der Vasarikorridor, ein rund ein Kilometer langer Gang, der den Palazzo Pitti mit dem auf der anderen Seite des Flusses gelegenen Rathaus verbindet. Cosimo I ließ ihn vom Architekten Vasari errichten, um ungesehen und ungestört vom gemeinen Volk beliebig zwischen beiden hin und her wechseln zu können.
Hundert Jahre nach seinem gleichnamigen Verwandten war dieser 1537 Herzog der Toskana geworden, 1569 verlieh Papst Pius V. ihm sogar den Titel Großherzog. Dadurch stieg die Familie zwar in die obersten Adelskreise auf. Doch mit seinen ständigen Eroberungsfeldzügen, mit denen er auch die letzten verbliebenen Rivalen Siena und Lucca unterwarf, und der deshalb fast schon ausbeuterischen Vorgehensweise bei der Steuereintreibung leitete er auch bereits den Niedergang der Toskana und seiner Dynastie ein.
War der alte Cosimo bei allem egoistischen Machstreben zumindest noch ein geschickter Taktierer, agierte der Jüngere einfach nur gnadenlos und despotisch. War der alte Cosimo noch respektiert und geachtet, war der Jüngere einfach nur gefürchtet.
Etliche seiner Gegner landeten auf dem Schafott oder wurden von seinen Agenten im Ausland beseitigt. Und sein Sohn und Nachfolger Francesco I setze diese Politik in fast noch schlimmerer Form fort. Der einstige Glanz der Medici in der Stadtbevölkerung war da bereits längst wieder verblasst. Die Florentiner hatten sie und ihre Intrigen inzwischen durchschaut.
Vom Palazzo Pitti führt der Corridoio Vasariano erst einmal durch Wohnhäuser und sogar durch eine Kirche. Dann verläuft der Gang im zweiten Stockwerk über den Häusern auf Ponte Vecchio hinüber zu den Uffizien. Eine wahrlich abenteuerliche Konstruktion.
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An Ponte Santa Trinita | Am Arnoufer bei Kilometer 39 vor Ponte Santa Trinita | Am Arnoufer bei Kilometer 39 |
Auch der Palazzo degli Uffizi, der den Korridor auf der anderen Seite aufnimmt, geht auf Großherzog Cosimo zurück. Da er das Rathaus für sich selbst als Palast beanspruchte, wurden dringend neue Räume gebraucht, in denen die Verwaltungsbediensteten ihre Arbeit verrichten konnten. Also wurde für deren "Uffizi", die Büros, ein eigenes Gebäude errichtet, in das später dann eine der bedeutendsten Gemäldesammlungen der Welt einzog.
Zumindest einen Blick ans andere Ufer können die Marathonläufer auch auf die Uffizien werfen. Diese sind vielleicht die wichtigste Sehenswürdigkeit von Florenz, an der die Strecke nicht direkt sondern nur in einigem Abstand vorbei führt. Doch hinein, dort wo es wirklich etwas zu sehen gäbe, hätte man die Läufer ja sowieso nicht gelassen.
Wenig später, es sind inzwischen gute zwölf Kilometer gelaufen, kann man am anderen Ufer wieder die hochgebockten Abgabecontainer für die Kleiderbeutel erkennen. Bis zum Ziel wäre es nur noch ein kleines Stück. Doch abgekürzt wird hier nicht. Es gibt in Florenz keine Kurzdistanz. Hier läuft man Marathon oder gar nicht.
Noch so ein Unterschied zur deutschen Szene. Denn kaum einer von den etwas Größeren verwässert sein Programm mit irgendwelchen Rahmenwettbewerben, um dadurch die Teilnehmerzahlen und die Einnahmen aufzupolieren. Während in Deutschland nur noch Berlin und Hamburg auf solches Beiwerk verzichten, kann man in Italien bei einer Schlagzeile "4000 liefen bei Marathon durch die Stadt" sehr wohl erst einmal davon ausgehen, dass auch alle - und nicht nur zwanzig Prozent - wirklich über 42,2 Kilometer unterwegs waren.
Allerdings muss man beim Lesen auch ziemlich genau aufpassen. Denn "Maratona" und "Maratonina", wie man im Süden einen Halbmarathon zumeist bezeichnet, sehen verdammt ähnlich aus. Dennoch wickelt man den "kleinen Marathon" in der Regel dann doch eher in einer eigenen Veranstaltung zu einem anderen Termin ab, als ihn mit dem großen Bruder zusammen zu legen.
Rechts oben ist der Hügel, von dem aus man vorhin gestartet ist. Auf einem freien Platz davor erhebt sich mit der Porta San Niccolò ein weiteres der alten Stadttore. Doch hat dieses eher das Aussehen eines Wachturmes, denn es hatte ja auch den Fluss zu schützen, an dem der südliche Teil des Mauerrings hier endete.
So wirklich gut angenommen werden die Schwämme, die zu seinen Füße ausgegeben werden, nicht. Ende November ist dazu eigentlich auch nicht mehr unbedingt das Wetter. Eine Hitzeschlacht ist nun wirklich nicht mehr zu erwarten. Und selbst diejenigen, die dennoch zugreifen, hätten die Erfrischung wohl kaum vermisst. Doch die Schwammstellen bei Kilometer 7,5, 12,5, 17,5 usw. sind im Reglement eben so vorgesehen. Und in Italien hält man sich doch noch ein bisschen enger an die Vorgaben, selbst wenn es gar nicht sinnvoll sein sollte.
Da findet der zumindest lauwarme Tee, den es neben Wasser und Elektrolyten an den ebenfalls im Abstand von ziemlich genau fünf Kilometern aufgebauten Verpflegungsständen gibt, einen ganz anderen Absatz. Dass mit "Acqua" Wasser gemeint ist, dürfte selbst kaum einen Brocken Italienisch beherrschenden Läufern schnell klar sein, zumal ja auch "Water" auf den Schildern steht. Doch von "Sali" bzw. "Salts" dann tatsächlich auf süße Mineralgetränke zu schließen, bedarf schon ein wenig Nachdenkens.
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Am Arnoufer bei Kilometer 39 mit Blick auf Ponte Vecchio | 5:00 Gruppe in Via Por Santa Maria | Piazza della Signoria mit Palazzo Vecchio |
Davon auszugehen, dass es sich dabei um eine eher lokale Bezeichnung handelt, kann man allerdings nicht. Denn obwohl sich das Italienische in viele ziemlich unterschiedliche Dialekte zersplittert, die teilweise so weit auseinander liegen, dass sie von manchen Linguisten sogar als eigene Sprachen betrachtet werden, ist das Toskanische dem Hochitalienischen ziemlich nahe. Denn aus diesem lokalen Idiom hat sich die Schriftsprache entwickelt, die heute im ganzen Land Verwendung findet.
Schuld daran ist wieder ein Florentiner, Dante Alighieri. Der ungefähr 1265 im Zentrum von Florenz geborene Dichter - das mit "Casa di Dante" bezeichnete Museum, steht zwar ungefähr an dieser Stelle, ist aber deutlich jüngeren Datums, also nicht das echte Geburtshaus - war einer der ersten, der seine Texte nicht mehr in Latein sondern mit der daraus hervor gegangenen, aber längst weiter entwickelten, tatsächlich gesprochenen Sprache verfasste.
Sein Hauptwerk, die "Göttlichen Komödie" gilt jedenfalls - ähnlich wie die Lutherbibel im Deutschen - als der Ausgangspunkt für ein einheitliches Italienisch. Und dass sein Porträt die italienische Zwei-Euro-Münze ziert, zeigt einiges von der Bedeutung, die man ihm zumisst.
Über sein Leben ist jedoch ziemlich wenig bekannt. Das meiste wird einzig und allein aus den unzähligen Anspielungen in seinen Texten gefolgert. Allerdings ist klar, dass er sich auch politisch engagierte, dabei in die fast bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Florentiner Fraktionen geriet, schließlich auf der Verliererseite landete und ins Exil gehen musste.
Rund zwanzig Jahre verbrachte er in verschiedenen norditalienischen Städten. Und so ziemlich jede, bei der auch nur die Vermutung besteht, dass Dante sich einmal in ihr aufgehalten haben könnte, schmückt sich mit dem vielleicht größten Dichter des Landes. Seine Heimat sah er jedenfalls nie wieder.
Obwohl das Toskanische mit der von ihm begründeten Schriftsprache fast identisch ist, existieren in der Aussprache und Betonung doch einige Unterschiede zum Hochitalienischen. Und so gilt wohl tatsächlich das gern genutzte Bonmot, dass das reinste Italienisch "Toskanisch gesprochen von einem Römer" sei.
Mit der Überquerung des Arno auf dem Ponte di San Niccolò beginnt der wenig spektakuläre Mittelteil der Marathonstrecke. Der Altstadt kehrt man erst einmal den Rücken zu und läuft auch auf der anderen Uferseite noch ein ganzes Stück weiter flussaufwärts. Die Wohngebiete, in denen man da einen zweiten jener schon erwähnten lang gezogenen Schlenker macht, sind ziemlich modernen Ursprungs und wenig spektakulär.
Ein dritter, der bei der Zwanzig-Kilometer-Marke auf der einen Seite einer Bahnlinie hin und auf der anderen zurück führt, schließt sich direkt dahinter an. Irgendwo müssen die für einen Marathon benötigten 42195 Meter ja herkommen. Und im mittleren Drittel ist so etwas sowieso problemlos zu verkraften.
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Piazza della Signoria mit Loggia dei Lanzi | Piazza della Signoria mit Palazzo Vecchio | Piazza della Signoria |
Die neunköpfige Herrenspitze ist noch immer unverändert. Doch Said Er-Rmili hat sich wohl auf den ersten Kilometern übernommen, ist inzwischen von Andi Jones abgehängt worden und versucht sich nun - ohne jeden Erfolg - dessen Landsleuten Williams und Payn zu erwehren. Die vier schnellen Damen sind auch noch ziemlich zusammen, aber zur Britin Braham klafft schon eine kleine Lücke. Endgültig den Kontakt verloren hat die Frau von der Insel aber nicht.
Nur wenige Schritte von der Halle entfernt, in der man vor einigen Stunden seine Startunterlagen abgeholt hat, markiert ein aufblasbarer blauer Bogen die Halbzeit. Gleich mehrere Kilometer lang wird nun das Campo di Marte durch- und umlaufen. Für fast jede Sportart findet sich hier die geeignete Spielstätte. Hallen und Schwimmbecken, Tartanbahn, Hockey- und Tennisplätze. Und natürlich gleich mehrere Fußballfelder. "Calcio" hat in Florenz schließlich Tradition.
Immerhin zwei italienische Meistertitel und sechs Pokalsiege hat die Associazione Calcio Fiorentina in die Stadt geholt. Aber die liegen größtenteils länger zurück. Auch der Verein, dessen lila Farben kaum weniger gewöhnungsbedürftig sind als die rosa Plastikhüllen, die einige Läufer auch nach über zwanzig Kilometern noch immer spazieren tragen, hat irgendwie passend zur toskanische Metropole seine beste Zeit bereits einen Moment hinter sich.
In die zweite Liga ab- und wieder in die erste aufgestiegen, wegen Pleite kurzzeitig sogar in die dritte Klasse versetzt, und gerade erst aufgrund der Verwicklung in den - vermutlich nur vorerst letzten - italienischen Fußballskandal mit einem deftigen Punktabzug bestraft, hat man jedenfalls eine ähnlich wechselvolle Geschichte hinter sich wie die Stadt selbst.
Das Stadio Comunale, in dem er seine Spiele austrägt, zu umrunden, ist allerdings fast schon der interessanteste Abschnitt auf diesem Teil des Marathons. Doch nachdem die Bahnlinie in der Nähe der Fünfundzwanziger-Marke zum zweiten Mal überquert wurde, holt man innerhalb kürzester Zeit fast alles nach. Schlag auf Schlag fliegen wenig später die Sehenswürdigkeiten vorbei.
Die riesige Kuppel des Domes, die man kurzzeitig ins Visier nimmt, muss sich allerdings noch einen kleinen Augenblick gedulden, bevor sie von den Marathonis Besuch bekommt. Erst einmal geht es noch einmal nach rechts. Doch der Ausflug ist durchaus lohnend. Vorbei am Museo archeologico gelangt man nämlich durch einen Bogen auf die Piazza - im Gegensatz zur männlichen Brücke ist im italienischen der Platz weiblich - Santissima Annunziata.
Eher ein Geheimtipp und ein klein wenig abseits der Hauptroute, auf der sich sonst in Stoßzeiten die Touristen fast nur noch schiebend fortbewegen, ist es dennoch der vielleicht harmonischste Platz der Stadt. Die Arkaden, an denen man da direkt vorbei läuft, sind auf die kurze Distanz jedoch kaum als Bestandteil der "Kirche der heiligsten Verkündigung" zu erkennen.
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Vor Orsanmichele | Battisterio San Giovanni bei Kilometer 40 | 4:45 Gruppe am Dom | Verpflegung am Dom |
Den dazu passenden Vorbau des Spedale degli Innocenti, des Findelhauses, in dem im Säuglingsalter ausgesetzte Kinder von der Kirche aufgezogen wurden, sieht man nur, wenn man sich umdreht. Doch auf den an der dritten Platzseite erbauten Bogengang der Confraternita dei Servi di Maria, der Bruderschaft der Diener Marias läuft man direkt zu. Der Pallazzo Budini Gattai, der die von den Läufer am weitesten entfernte vierte Front einnimmt, sorgt dafür, dass es wenigstens ein bisschen profan zugeht.
In der Mitte der Piazza steht zudem ein Reiterdenkmal für den Großherzog Ferdinand I - das ist der mit den Goldschmieden auf dem Ponte Vecchio - der von vielen Historikern als der letzte wirklich bedeutende Medici angesehen wird. Zuerst aus politischen Gründen zum Kardinal gemacht, folgte er 1587 dann doch seinem ohne männlichen Erben geblieben Bruder Francesco nach.
Er erwies sich als genaues Gegenteil seines tyrannischen Bruders und setzte sich damit auch von der Politik seines Vaters Cosimo deutlich ab. Zweiundzwanzig Jahre regierte er mit viel Geschick über die Toskana, die damit ihre letzte Blüte als unabhängige Macht erlebte. Genau eineinhalb Jahrhunderte nach seinem Amtsantritt endet mit Gian Gastone de' Medici die Dynastie. Das Großherzogtum ging in den Herrschaftsbereich der Habsburger über und Florenz verlor endgültig seine Bedeutung.
Es sind nur noch fünf Kenianer, die Migidio Bourifa über die Piazza begleiten, nämlich John Birgen, Stephen Kipkoech Kibiwot, Jackson Kirwa Kiprono, Paul Kipkemboi Ngeny und Nicodemus Biwott. Die beiden anderen, Elijah Nyabuti und Willy Korir Kimutai, sind zurück gefallen und werden das Rennen nicht beenden. Doch der Äthiopier Fekene Sefu hält immer noch mit, während die drei Briten mit Rückständen von zwei bzw. drei Minuten mit dem Sieg wohl nichts mehr zu tun haben werden.
Ihre Landsfrau Alice Braham beschließt immer noch das Führungsquartett der Damen. Nach wie vor hängt sie ein paar Sekunden hinter Giovanna Volpato, Melaku Elfneshe und Marcella Mancini zurück. Doch dieses Bild bietet sich schon seit vielen Kilometern und wirklich abschütteln lässt sie sich einfach nicht. Die dahinter klaffende fünfminütige Lücke macht zudem klar, dass die Siegerin nur noch unter diesen vier ermittelt wird.
Nur ein paar Schritte sind es zur nächsten Piazza mit der nächsten Kirche. Beide San Marco genannt. Nach links schwenkt man hier. Vorbei an der Accademia dell'Arte, einer weiteren bedeutenden Florentiner Kunstsammlung. In den Räumen der ersten Akademie für Malerei in Europa steht das Original der David-Statue von Michelangelo unter einer eigens für sie erbauten Kuppel.
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Verpflegung am Dom |
Bereits 1873 wurde die vier Meter hohe Figur vor den Witterungseinflüssen - und auch vor Vogelexkrementen - hierher in Sicherheit gebracht. Es sollte nicht die letzte bleiben. Inzwischen sind etliche Monumente in der Stadt durch Kopien - zum Teil sogar aus Kunststoff - ersetzt. Die immer stärker zunehmende Luftverschmutzung ließ irgendwann keine andere Wahl mehr.
Zwar hat die Einführung des Fahrverbotes für ein klein wenig Besserung gesorgt. Doch wie sehr die Abgase der Stadt zusetzen, zeigen die Baugerüste die an etlichen Stellen den freien Blick auf historische Gebäude versperren. Selbst die David-Kopie vor dem Rathaus Palazzo Vecchio ist zur Restaurierung schon wieder hinter Planen verborgen.
Der David gilt als eines der absoluten Meisterstücke des genialen Bildhauers, Malers und Architekten Michelangelo, der während seines ständigen Pendelns zwischen Florenz und Rom in beiden Städten Kunstwerke hinterließ, die zu den bedeutendsten der Renaissance gehören.
Ob der Dom von Florenz bereits vollständig zu dieser Kunstrichtung gerechnet werden darf, darüber streiten sich die Gelehrten. Er stellt wohl eher den Übergang von der Gotik zu ihr dar. Auch um die Bedeutung der Stadt und ihrer Bürger zu demonstrieren wurde der gigantische Bau, der ziemlich plötzlich vor den aus einer engen Gasse kommenden Läufern in seiner vollen Größe auftaucht, in Auftrag gegeben. Die Kirche sollte Ausmaße bekommen, wie sie die Toskana noch nicht gesehen hatte.
Und spätestens nachdem die vom Florentiner Architekten Filippo Brunelleschi geplante, über einhundert Meter hohe Kuppel fertig gestellt war, konnte diese Vorgabe als voll umgesetzt bezeichnet werden. Noch immer zählt der Duomo Santa Maria del Fiore zu den größten Kirchengebäuden der Welt. Die genaue Position ist allerdings wie immer bei solchen Ranglisten von den Kriterien - Länge, Höhe oder Breite, Grundfläche oder Volumen - abhängig.
Durch ein Ereignis im Dom wurde auch die Herrschaft der Medici über Florenz endgültig gefestigt. Lorenzo, der Enkel des alten Cosimo, regierte ähnlich wie sein Großvater seit einigen Jahren ohne öffentliches Amt nur über Beziehungen die Stadt, als sich die Mitglieder der zweitwichtigsten Familie, der Pazzi, 1478 entschlossen, ihn durch ein Attentat zu beseitigen. Ausgerechnet während einer Messe attackierten die Verschwörer Lorenzo und seinen jüngeren Bruder Giuliano. Während Giuliano erstochen wurde, konnte der ältere der beiden entkommen.
Das Volk stellte sich nach diesen Geschehnissen auf die Seite der Medici und ließ den geplanten Staatsstreich scheitern. Lorenzos Macht war am Ende größer als zuvor. Il Magnifico, der Prächtige, herrschte noch vierzehn weitere Jahre, nun jedoch völlig unangefochten über die Stadt. Dass er sich dabei, auch hier seinem Großvater ähnlich, als großer Förderer der Kunst hervortat - unter anderen arbeiteten Michelangelo und Botticelli für ihn - machte Florenz endgültig zur Renaissance-Hochburg.
Zwischen Dom und dem achteckigen Baptisterium, der deutlich älteren Taufkirche, führt die Strecke hindurch. Zu den beiden hinzu kommt als Komplettierung des Ensembles dann noch der frei daneben stehenden Campanile. Und alle drei sind vollständig mit Marmor verkleidet.
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Vor Museo di Antropologia | In Via del Proconsolo | Vor Palazzo del Bargello |
Nun ist Marmor bei Florentiner Kirchen nichts ungewöhnliches. Auch Santa Croce, vor der man nach vierzehn weiteren Kilometern das Ziel erreichen wird, San Minato al Monte, unterhalb der man ohne es wirklich zu merken kurz nach dem Start vorbei gelaufen war, oder Santa Maria Novella, nach der man den ihr gegenüber liegenden Florentiner Hauptbahnhof benannt hat, tragen eine Marmorfassade.
Aber eben nur an der Front, von allen anderen Seiten sind jene braunen Ziegel erkennbar, aus denen man in Florenz die meisten Kirchen erbaut hat. Nur am Dom hat man rundherum das edle Gestein benutzt.
Noch eine vierte Piazza überlaufen die Marathonis auf ihrem ersten Weg durch die Innenstadt, die Piazza della Repubblica. Hier ist die teuerste Ecke der Stadt, für den Preis eines Kaffees in einem der ihn umgebenden Cafés bekommt man in irgendwelchen Seitengassen durchaus auch schon mal eine volle Mahlzeit. Und noch etwas ist ungewöhnlich.
Denn rund um den Ort, an dem sich einst das antike Forum und dann später der Markt befand, stehen keineswegs Gotik-, Renaissance- oder Barockgebäude sondern hauptsächlich Bauten aus der italienischen Gründerzeit, die ja zeitlich mit der deutschen ziemlich übereinstimmt. Den Hang der Italiener zu monumentalen Bogen, den man auch in anderen Städten entdecken kann, hat der Piazza della Repubblica den so genannten Arconte beschert, durch den das Marathonfeld den innersten Stadtkern erst einmal wieder verlässt.
Noch fehlen schließlich mehr als ein Dutzend Kilometer. Und über die Hälfte von ihnen wird auf einer weiteren Schleife absolviert, die diesmal nach Westen und durch einen Park führt. Ein paar Pallazzi kann man auf dem Weg dorthin noch im Vorbeilaufen kurz betrachten, dann wird es jenseits des dreißigsten Kilometers ziemlich grün und - im Hinblick auf Zuschauer - ziemlich einsam.
Giovanna Volpato nimmt diesen Abschnitt allerdings tatsächlich auch sonst recht alleine in Angriff, denn inzwischen hat sie sich etwa zwanzig Sekunden von ihrer Mit-Italienerin Mancini und der Äthiopierin Elfneshe abgesetzt, an die sich Alice Braham wieder ziemlich dicht heran gearbeitet hat. Dagegen ist bei den Männern noch immer keine Bewegung in die Sache gekommen. Wie gehabt fünf Kenianer, ein Italiener und ein Äthiopier vor erst einem und dann zwei weiteren Briten.
Über einen roten Teppich laufen sie kurz danach in den Parco delle Cascine hinein. Doch nicht etwa Pflastersteine, die man anderswo für die Läufer gerne einmal abdeckt sind der Grund dafür. In diesem Fall müsste man in Florenz auch gleich mehrere Kilometer Teppiche auslegen. Die Strecke führt mitten durch eine Baustelle. Und spätestens nach dem Regen der letzten Tage würde dort sonst aus einem Straßen- für kurze Zeit ein ziemlich heftiger Crosslauf.
Doch auch so ist diese Passage alles andere als einfach zu belaufen. Denn unter dem Teppich ist der Boden völlig aufgeweicht. Selbst wenn man da über eine saubere Oberfläche rennt, darunter schwimmt alles hin und her. Es sind nur ein paar Meter. Aber irgendwo ist man danach doch froh, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Auf dem Rückweg wird sich das Spiel dann in der Nähe noch einmal wiederholen.
Eine Straßenbahn wird hier gebaut. Denn bisher lief der öffentliche Verkehr in der Stadt selbst nur mit Bussen. Nun sollen einige von ihn ersetzt werden. Doch auch diese abgasreduzierende Maßnahme löste, wie kaum anders zu erwarten eine wilde Debatte aus. Gegner der Bahn argumentierten durch die Erschütterungen der direkt am Dom vorbeifahrenden Züge würden das Bauwerk, das ohnehin schon Risse zeigt, in seinem Bestand bedroht.
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Bei Kilometer 41 in Via Ghibellina | 4:30 Gruppe | Bei Kilometer 41 in Via Ghibellina |
Befürworter weisen darauf hin, dass die Hunderte von Bussen die täglich durch die Innenstadt kämen, wohl kaum weniger Auswirkungen hätten. Außerdem heben sie die extra ruhigen Fahreigenschaften der Triebwagen hervor, die eigens für Florenz entwickelt wurden. Denn um den Domplatz nicht mit Oberleitungen zu verschandeln, sollen sie außerdem dieses Stück auch noch im Batteriebetrieb rollen. Jedenfalls werkelt man jetzt erst einmal nur an einer Linie in die Vororte und diskutiert über den Bau im Stadtkern munter weiter.
"Park der Gutshöfe" könnte man "Parco delle Cascine" ungefähr übersetzen. Hier nicht allzu weit von der Stadt entfernt lagen einst die Güter der Stadtherren. Auch wenn das mittelalterliche Zentrum kaum Platz für irgendwelche Grünanlagen lässt, gibt es doch durchaus im Umfeld - gerade am südlichen Arnoufer - einige Parks und Gärten.
Schließlich ist "Florentia" ja auch ursprünglich nach der römischen Göttin der Blumen benannt. Als "die Blühende" könnte man die ursprüngliche Schreibweise, die sich international im deutschen "Florenz" oder auch im englischen und französischen "Florence" gehalten hat, auch interpretieren.
Doch während gerade die Aussprache der Franzosen einiges an warmen Klang beinhaltet, hört sich das "Firenze", zu dem sich der Stadtname im ansonsten doch so wohl tönenden Italienisch entwickelt hat, eher ein bisschen nüchtern, hart und kalt an. Vom früheren "Fiorenzia" bzw. "Fiorenza" ist jedoch zumindest die Bezeichnung "Fiorentini" für die Einwohner der Stadt übrig geblieben. Und auch die Lilie im Wappen und der Beiname "Citta del Fiore" lassen noch auf die Herkunft des Namens schließen.
Der Rückweg zur Innenstadt am Arnoufer bringt nun auch bei den Herren erste Entscheidungen. Denn Nicodemus Biwott ist aus der Kopfgruppe heraus gefallen. Und Fekene Sefu hat sich innerhalb weniger Kilometer gar eine volle Minute eingefangen.
Ebenfalls eine Minute haben Marcella Mancini und Melaku Elfneshe inzwischen Rückstand auf die Führende Giovanna Volpato. Deren ärgste Verfolgerin ist nun überraschenderweise ausgerechnet die so lange ständig leicht zurück hängende Britin. Doch auch sie müsste bereits über hundert Meter aufholen um zur Italienerin zu laufen.
Abgesehen von einem kurzen Schlenker führt auch der Rest des Weges bis zur "39" direkt am Arno entlang und öffnet dadurch weite Blicke auf die Stadt. Der Ponte Vecchio ist das nächste, unübersehbare Zwischenziel. Auch am nördlichen Zugang zur Brücke kommt die Strecke nämlich vorbei und schwenkt hier nach links zum letzten wichtigen Platz von Florenz, dem die Marathonis noch keinen Besuch abgestattet haben.
Überragt wird die Piazza della Signoria vom schlanken, knapp hundert Meter hohen Turm des Palazzo Vecchio, auf den man aus einer Gasse heraus direkt zusteuert. Im ansonsten eher wuchtig und wehrhaft wirkenden Gebäude tagte einst das Stadtparlament und residierte die Stadtregierung. Die Bezeichnung "Signoria" hat nämlich absolut nichts mit den ziemlich ähnlich klingenden "Frau" oder "Fräulein" - "Signora" und "Signorina" zu tun, sondern bezieht sich auf die Versammlung der Stadtherren, der "Signori".
Rechts davon, steht die Loggia die Lanzi, die im Zeitalter der Florentiner Republik für offizielle Zeremonien genutzt wurde. Nachdem sie diese Rolle während der Herrschaft der Medici irgendwann verloren hatte, wird sie heute wieder manchmal bei festlichen Anlässen genutzt. Hauptsächlich bietet die offene Halle aber ein Dach für zahlreiche Skulpturen.
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Bei Kilometer 41 in Via Ghibellina |
Die wichtigsten Bildhauerarbeiten stehen allerdings direkt auf dem Platz. Natürlich nur noch in Kopie. Neben dem hinter seiner - allerdings nicht rosafarbenen - Folie versteckten David, wäre da insbesondere der Neptunbrunnen von Bartolomeo Ammanati. Über dessen Werk, das neben dem von Michelangelo doch irgendwie abfiel, spotteten die Florentiner schon früh "Ammanati, Ammanato, che bell' marmo hai rovinato". - "Ammanati, welch schönen Marmor hast du da ruiniert".
Nur kurz ist der Weg vom politischen zum kirchlichen Zentrum. Noch ein zweites Mal geht es nämlich über den Domplatz. Dazwischen liegt mitten in der Fußgängerzone Orsanmichele, ein weltweit ziemlich einziges Bauwerk. Denn dort wo einst das Kloster "San Michele in Orto" stand, erhebt sich seit 1350 ein Gebäude, das gleichzeitig als Kirche und Getreidespeicher diente.
Die außen angebrachten Statuen weisen auf die eine, die quadratische Grundform auf die andere Nutzung hin. In der ursprünglich als Getreidemarkt geplanten Halle war ein Marienbild angebracht, dem man irgendwann Wunder zuschrieb. Daraufhin wurde das Erdgeschoss zum Gebetsraum umgestalten, während die oberen Stockwerke weiter als Speicherräume dienten. Florenz hat tatsächlich einiges ziemlich Seltsames zu bieten.
Es geht in die Endphase. Und während bei den Frauen, wo Giovanna Volpato, Alice Braham und Marcella Mancini im Minutenabstand an Battisterio, Campanile und Duomo vorbei kommen, die Plätze längst verteilt sind, sind bei den Männer John Birgen und Jackson Kirwa Kiprono noch immer zusammen.
Auch Rang drei nimmt dreißig Sekunden später mit Paul Kipkemboi Ngeny ein Läufer aus dem schier unerschöpflichen Reservoir Kenias ein. Denn sich am ihm festbeißenden Migidio Bourifa ist er noch immer nicht endgültig losgeworden. Der Äthiopier Sefu hat sein Pulver dagegen völlig verschossen. Die drei Briten sind längst vorbei und im Ziel kann er froh sein, das Ganze als Zehnter in 2:22:47 noch halbwegs mit Anstand zu Ende gebracht zu haben.
Eigentlich wären es jetzt nur noch wenige hundert Meter bis zur Piazza Santa Croce. Aber noch einmal macht der Kurs einen jener Schlenker. Nicht mehr ganz so lang wie die davor, doch eigentlich wird man fast komplett um den Platz außen herum geführt. Zuerst geht es durch die lang gezogene Via Ghibellina praktisch nur einen Steinwurf an der Ziellinie vorbei, wie die unüberhörbaren Lautsprecherdurchsagen unschwer erkennen lassen.
Dann stößt man noch einmal bis zum Arno vor, wo man schon einmal Sichtkontakt mit seinem Kleiderbeutel aufnehmen kann, um schließlich dann aus der komplett anderen Richtung den blauen Teppich anzusteuern, der vor der Kirche verlegt ist, in der unter anderem die Grabmale von Michelangelo, Machiavelli, Gioacchino Rossini und Galileo Galilei zu finden sind.
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Torre della Zecca 500 Meter vor dem Ziel | Ins Ziel an der ... | ... Ziel an der Piazza Santa Croce |
Auch die letzten beiden Kilometer haben keine endgültige Entscheidung bringen können. Und so spurten Birgen und Kiprono praktisch bis zum Zielstrich um den Sieg. Gerade einmal eine Sekunde hat Jackson Kirwa Kiprono dabei nach 2:12:37 die Brust vor seinem Landsmann.
Rang drei geht eine Minute später ebenfalls nach Kenia, denn Paul Kipkemboi Ngeny in 2:13:35 hält sich den Italiener Migidio Bourifa um acht Sekunden vom Leib. Stephen Kipkoech Kibiwot (2:15:23) und Nicodemus Biwott (2:15:29) sorgen für weitere Schwarz-rot-grüne Flaggen, mit denen in der Ergebnisliste der Zeitnehmerfirma die Nationalität gekennzeichnet ist, auf den vorderen Plätzen.
Doch danach folgen drei Union Jacks. Einzelkämpfer Andi Jones zieht sein Rennen in 2:17:50 gleichmäßig durch. Und aus dem lange unzertrennlichen Duo löst sich Thomas Payn zum Schluss dann doch noch so weit, um seinem 2:19:40 benötigenden Begleiter Williams, fast eine Minute abzunehmen. Eine 2:18:46 steht auf der Zieluhr als Payn als Achter unter ihr hindurch läuft.
Nichts mehr anbrennen lässt Giovanna Volpato. In 2:34:13 hält sie die mit 2:35:23 gestoppte Britin Alice Braham dann doch recht deutlich auf Distanz. Die muss ihrerseits auch von Marcella Mancini nichts befürchten. Denn die zweite Italienerin liegt weitere 66 Sekunden zurück.
Melaku Elfneshe geht es nicht besser als ihrem äthiopischen Landsmann Sefu. Auch sie bricht auf den letzten Kilometern völlig ein. Weit abgeschlagene 2:44:52 benötigt die Ostafrikanerin, die drei Viertel der Distanz an der Spitze mitrannte. Nur die Tatsache, dass das Frauenfeld bei weitem nicht so dicht besetzt ist wie das der Herren, sichert ihren vierten Platz. Denn die unauffällig laufende fünftplazierte Ungarin Monika Nagy liegt mit 2:47:57 noch ein weiteres Stück zurück.
Platz haben die Ersten auf der Piazza Santa Croce und den angrenzenden Gassen noch genug. Doch als wenig später so langsam das Hauptfeld kommt, wird es schnell ziemlich eng in der Verpflegungsstraße. So eindrucksvoll der Zielraum sein mag, so schöne Bilder er für die Fotografen liefert, so ungeeignet ist er für die Versorgung nach dem Rennen.
Eingezwängt zwischen hohen Gittern schiebt man sich auf den Ausgang zu. Hier ist der Marathon definitiv an seiner Grenze angekommen. Hier scheint weiteres Wachstum kaum noch möglich. Irgendwie ist ausgerechnet die Logistik an Start und Ziel der große Schwachpunkt einer ansonsten durchaus gut organisierten Veranstaltung.
Auch für die Jubiläumsmedaille hat man sich zum Beispiel ein nettes Detail einfallen lassen. Denn in sie eingelassen ist die drehbare Nachbildung eines "Fiorino". Diese Goldmünze aus Florenz war lange Zeit eine der wichtigsten Währungen in Europa. Mit ihr wurden internationale Geschäfte abgewickelt. Und sie lebt auch heute noch zum Beispiel in der Bezeichnung "Forint" für die ungarischen Münzen und Scheine fort.
Selbst wenn Firenze politisch und wirtschaftlich nicht mehr die Bedeutung vergangener Tage hat, kulturell kann es auf jeden Fall genug bieten, um einen Ausflug in die Stadt am Arno zu rechtfertigen. Und für die italienische Marathonszene scheint fast noch die vor fünfhundert Jahren geltende Rangfolge mit Rom, Venedig und eben Florenz als echten Großmächten zu stimmen. Wenn man Wetter und rosa Plastikfolien nicht fürchtet, ist die toskanische Metropole auch deshalb jedenfalls sogar im späten November eine Reise wert.
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Bericht und Fotos von Ralf Klink Infos und Ergebnisse unter: www.firenzemarathon.it Zurück zu REISEN + LAUFEN aktuell im LaufReport HIER |
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