12.12.10 - 1. Maratón Ciudad de CastellónDreimal Start, dreimal Ziel und sechsmal Park |
von Ralf Klink
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Längst scheint die große Zeit der Marathonpremieren der Vergangenheit anzugehören. Kaum noch eine neue Veranstaltung taucht in den Terminkalendern auf. Und der eine oder andere Lauf, der vor einigen Jahren mit viel Tamtam die Bühne betreten hat, ist längst schon wieder von ihr verschwunden. Zumindest hierzulande ist das so. Anderswo in Europa lassen sich dagegen ganz andere Beobachtungen machen. So hat sich in den letzten Jahren in Irland die Zahl der Rennen tatsächlich verdreifacht. Das ist zwar so gigantisch auch nicht, denn noch immer sind es kaum mehr als zehn. Doch hat die Inselrepublik ja auch kaum mehr Einwohner als Berlin.
Jedenfalls konnte man Mitte des Jahrzehnts gerade einmal in der Hauptstadt Dublin, rund ums Städtchen Longford und in der ziemlich einsamen Region Connemara über die Distanz von zweiundvierzig Kilometer laufen. Inzwischen sind mit Cork, Limerick und Galway weitere größere Städte als Veranstaltungsorte hinzu gekommen.
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Statuen an der Strecke des Marathons von Castellón, mal kraftvoll | mal angestrengt | oder auch mal spielerisch |
Landschaftlich schön und damit ebenfalls touristisch interessant sind neue Läufe wie um die Halbinsel Dingle, wo man 2009 Premiere feierte, der 2010 erstmals ausgetragene Clonakilty Waterfront Marathon an der Südküste oder der für 2011 frisch angekündigte Wettbewerb an den Cliffs of Moher. Die grüne Insel entwickelt ihr Potential in dieser Hinsicht gerade erst.
Ein paar Rennen mehr gibt es zwar in Italien bereits. Doch auch dort sind 2010 unter anderem der Bergmarathon im südtiroler Brixen und der Citylauf im sizilianischen Catania hinzugekommen. Nur wenige Tage bevor dieses Jahr begann - also Ende Dezember - gab es an der Amalfiküste bei Neapel eine weitere Premiere. Die zweite Auflage ist gerade erst ein paar Tage her. Auch der Lauf von Lucca in der Toskana stand im Oktober erst zum zweiten Mal im Kalender.
Bei den Briten hat der Einstieg von Brighton, wo man gleich mit achttausend Meldungen aufwarten konnte, der doch sehr auf London und mit Abstrichen Edinburgh fixierten Szene endlich eine weitere Großveranstaltung hinzu gefügt. Und im altehrwürdigen Chester konnte man mit tausend Teilnehmern gleich "ausgebucht" vermelden.
Vielleicht am stärksten ist das Angebot allerdings in Spanien gewachsen. Schon zu Jahresbeginn fand zum Beispiel in Las Palmas auf Gran Canaria zum ersten Mal ein Marathon statt. Im November startete an der katalanischen Costa Daurada ein weiterer Neuling. Doch mit gleich drei Premieren innerhalb einer Woche muss ausgerechnet die Adventszeit als absolute Spitzenzeit für Debüts auf der iberischen Halbinsel gelten.
Der Anaga Maratón von San Cristóbal de La Laguna auf der Kanareninsel Teneriffa, der den Reigen am zweiten Advent eröffnet, kann als Berg- und Geländelauf mit deutlich weniger als zweihundert Marathonis natürlich nicht wirklich beeindrucken. Auch die etwas mehr Läufer auf der halb so langen Distanz reißen die Sache nicht wirklich heraus.
Doch Málaga, wo die Premiere einen Tag später - der 6. Dezember ist in Spanien nicht wegen Nikolaus ein Feiertag sondern, weil an diesem Tag 1978 die neue demokratische Verfassung verabschiedet wurde - steigt, ist als immerhin die sechstgrößte Stadt des Landes eine ganz andere Hausnummer. Bei zweitausend Meldungen schließt man dort lange vor dem Lauf die Startliste und kann trotz aufgrund des Fluglotsenstreiks am langen Wochenende herrschenden Verkehrschaos fünfzehnhundert Teilnehmer im Ziel begrüßen.
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Die Kathedrale Santa María und der Glockenturm El Fadri an der Plaza Mayor sind zwei der auffälligsten Bauwerke der Stadt Castellón |
Größter Neueinsteiger des Jahres ist jedoch am Wochenende darauf der Marathon in Castellón, der sich mit 2292 Einläufen auf Anhieb in der Rangliste der teilnehmerstärksten Rennen des Landes auf Position sechs schiebt. Nur die altgedienten, seit fünfundzwanzig, dreißig oder noch mehr Jahren bestehenden Veranstaltungen der großen Metropolen Madrid, Barcelona, Valencia und Sevilla sowie der genauso betagte aber ebenfalls ziemlich vitale Lauf im baskischen San Sebastian bringen noch mehr Läufer auf die Beine.
Wer nun von diesem "Castellón" noch nie etwas gehört hat, muss sich definitiv keine Gedanken machen. Er steht damit nämlich garantiert nicht allein. Die aufgezählten Metropolen Madrid, Barcelona, Sevilla oder Valencia kennt man sicher. Vielleicht auch noch die ebenfalls schon erwähnten Malaga und San Sebastian. Oder andere Großstädte wie Bilbao und Saragossa. Kulturinteressierten sind Granada wegen der dortigen Alhambra und Cordoba aufgrund seiner Mezquita ein Begriff.
Oder die historisch bedeutenden Toledo und Segovia. Strandurlauber erinnern sich eher an Las Palmas de Gran Canaria und Palma de Mallorca. Wer Hemingway gelesen hat oder tatsächlich etwas von Stierkampf halten sollte, erwähnt das baskische Pamplona und das andalusische Ronda.
Und je nachdem für welche Ballsportart man sich begeistert, kann man als Fußballer eventuell auch noch La Coruña und Gijón oder als Handballer Ciudad Real und León nennen. Selbst wenn man sich zumeist wohl vergeblich abmühen würde, im Anschluss an diese Nennung ihre Lage auf einer Spanienkarte zu bestimmen.
Aber "Castellón"? Nein, einem Ort dieses Namens ist man noch nicht begegnet. Mit hundertachtzigtausend Einwohnern ist es nicht unter den größten dreißig Städten des Landes zu finden. Und da es auch kein international bekanntes Sportteam besitzt, ist es eigentlich nicht erstaunlich, dass im deutschsprachigen Raum nur wenigen seine Existenz bekannt ist.
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Wie ein Eingangstor wirkt die Skulptur auf dem großen Kreisel am Hafen aus einigen Blickrichtungen |
Man kann ja auch nicht unbedingt davon ausgehen, dass auf der iberischen Halbinsel allzu viele Menschen jemals etwas von den ähnlich großen deutschen Städten Hagen oder Hamm gehört haben dürften. Geschweige denn, dass sie auch noch in der Lage wären, die beiden auseinander zu halten.
Nun, Castellón findet sich sechzig bis siebzig Kilometer nördlich von Valencia. In Nord-Süd-Richtung gesehen liegt die Stadt also ziemlich genau in der Mitte des Landes, jedoch ganz in seinem Osten. "Costa del Azahar" heißt dieser Küstenabschnitt des Mittelmeeres, dem sich weiter nördlich die etwas bekanntere Costa Daurada und im Süden die noch populärere Costa Blanca anschließen.
Auch wenn es in diesem Landstrich sehr wohl lange Strände und touristische Infrastruktur gibt, ist sie als Ferienziel außerhalb Spaniens recht unbekannt.
Castellón selbst ist für Besucher ebenfalls nicht wirklich spektakulär. Die Hotels der Stadt werden in der Regel dann auch eher von Geschäftsreisenden als von Urlaubern gefüllt. Und so stellt der Marathon sicher eine gute Möglichkeit dar, den Namen außerhalb der Region ein wenig geläufiger zu machen.
Warum man sich dafür - wie auch der andere große Neueinsteiger Malaga - ausgerechnet den Dezember ausgesucht hat, kann man sich aus mitteleuropäischem Blickwinkel durchaus fragen. Doch sind ausgerechnet die aus hiesiger Sicht so läuferunfreundlichen Wintermonate die große Zeit der Stadtmarathons auf der iberischen Halbinsel.
Die oben aufgezählten größten Veranstaltungen des Landes finden praktisch alle zwischen Ende November und Anfang März statt. Stellen sich doch genau um diese Zeit in der Regel jene Witterungsbedingungen ein, die weiter im Norden während der Monate April, Mai, September oder Oktober herrschen, in denen die Laufkalender überquellen. Einzig in der höher gelegenen und deshalb mit etwas rauerem Klima versehenen Hauptstadt Madrid startet man ebenfalls im April.
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An der Kirche San Vicente Ferrer wird die Gründungsgeschichte der Stadt mit den auf der iberischen Halbinsel weit verbreiteten Motivkacheln dargestellt |
Die Durchschnittstemperaturen liegen in Castellón jedenfalls auch im Dezember noch im zweistelligen Bereich. In der Spitze können sie sogar ab und zu einmal an die Zwanzig-Grad-Marke heran reichen. Da dies jedoch in vielen Teilen Spaniens ebenfalls so ist, kann man es kaum als Werbeargument ausschlachten oder gar zum Alleinstellungsmerkmal machen.
Vielmehr setzt man auf den Namen von Chema Martínez. Von Anfang an wird der Marathon-Vizeeuropameister von Barcelona - eine Position, für die es in Spanien die passende Bezeichnung "Subcampeón" gibt - als Zugpferd präsentiert. Schon bei der Vorstellung des neuen Laufes war er anwesend. Und auf den überall in der Stadt für die Veranstaltung werbenden Plakaten ist Martínez ständig präsent.
Neben seinem "Untermeister-Titel" im Marathon kann der Neununddreißigjährige bei Europameisterschaften auch auf der Bahn über zehntausend Meter eine goldene und eine silberne Medaille vorzeigen. 2002 in München konnte er dabei Dieter Baumann hinter sich lassen. Vier Jahre später unterlag er in Göteborg dagegen überraschend Jan Fitschen.
Spätestens nachdem in der Woche vor dem Marathon die Hindernisweltmeisterin Marta Dominguez mit ihrem Trainer und ihrem Manager von der Guradia Civil wegen Kontakten zum als "Dopingarzt" geltenden Eufemiano Fuentes und des Verdachtes auf Handel mit entsprechenden Präparaten abgeführt wurde, ist er nun wohl endgültig der populärste Läufer im Land.
Bei der "Operación Galgo" - auf Deutsch "Operation Windhund" - genannten Durchsuchungsaktion wurde auch der in Äthiopien gebürtige, jetzt aber in spanischen Farben laufende Alemayehu Bezabeh wenige Tage vor den Cross-Europameisterschaften auf frischer Tat beim Blutdoping ertappt. Seinen im Vorjahr gewonnen Titel - nicht unwahrscheinlich, dass er unter ähnlichen Voraussetzungen erzielt wurde - konnte er deshalb nicht verteidigen.
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In der Lonja del Cáñamo neben der Plaza Mayor wurde früher mit Hanf gehandelt |
Auch der bereits einmal wegen EPO-Missbrauchs gesperrte Ex-Europameister über fünftausend Meter Alberto García wurde wegen seiner Verstrickung in den Fall verhaftet. Alles schon schlimm genug. Doch am pikantesten an der Geschichte ist, dass Marta Dominguez eben nicht nur die bisher wohl erfolgreichste Sportlerin sondern auch Vizepräsidentin des spanischen Leichtathletikverbandes war.
José Manuel Martínez Fernández - wie der gute Chema mit vollem Namen heißt - ist jedenfalls aufgrund seines Bekanntheitsgrades einer der gefragtesten Gesprächspartner zu diesem Thema und spricht sich dabei für harte Strafen sowie - wie kaum anders zu erwarten - gegen eine Vorverurteilung des gesamten Sportes aus. Man kann eigentlich nur hoffen, dass sein auch weiterhin guter Ruf nicht irgendwann aus ähnlichen Gründen beschädigt wird.
Ob es die Werbewirkung von Martínez ist, sei dahin gestellt. Das Interesse an der Premiere des "Maratón Ciudad de Castellón" ist jedenfalls recht beachtlich. Allerdings einzig und allein im Inland. Denn abgesehen von den fast unvermeidlichen ostafrikanischen Spitzenläufern, liest sich die Startliste ziemlich spanisch.
Ausländische Beteiligung ist nämlich fast nicht vorhanden. Am auffälligsten werden unterwegs noch die blau-gelben Trikots des britischen "100 Marathon Club" sein, mit denen man nun wirklich überall auf der Welt rechnen muss. Doch selbst dessen Kontingent besteht nicht einmal aus einer Handvoll Läufer.
Schon aus diesem Grund ist es auch wenig verwunderlich, dass die Helfer an der Startnummernausgabe nicht wirklich auf internationales Publikum eingestellt sind. Doch sind Fremdsprachenkenntnisse in der spanischen Bevölkerung ohnehin eher schwach verbreitet. Nur dort wo diese beruflich regelmäßig mit Ausländern Kontakt hat wie an Flughäfen, in Hotels oder auch an wichtigen Sehenswürdigkeiten, kommt man auch mit Englisch einigermaßen gut durch.
Im sonstigen Umgang mit Einheimischen kann es aber nicht schaden, wenn man als Tourist ein paar Brocken der Landessprache beherrscht. Doch sollte ein "Bitte" und "Danke" ohnehin selbstverständlich sein. Wer in der Lage ist, die Zahlenfolge auf den Startnummern, den "Dorsales", die man sich vorher an der Informationstafel gemerkt hat, auch auf Spanisch hinzubekommen, hat diese jedenfalls kurz darauf in der Hand.
Die Abläufe sind schließlich wie von überall sonst gewohnt. Und selbst wenn man nur halb versteht was die freundliche Helferin am Schalter erzählt, der ausgestreckte Arm zeigt eindeutig hinüber zum anderen Stand, wo man noch den Beutel mit den üblichen Werbegeschenken der Sponsoren und dem im Startgeld enthaltenen T-Shirt in die Hand gedrückt bekommt.
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Auch die Gründungsurkunde von Castellón lässt sich auf Wandkacheln nachlesen | Der Parque Ribalta ist die kleine aber feine grüne Lunge der Stadt |
Dieses fällt mit fünfundzwanzig Euro bei Voranmeldung bis Ende September und maximal fünfundvierzig Euro bis wenige Tage vor dem Start ziemlich moderat aus. Und wie üblich im Süden ist das Preis-Leistungsverhältnis dazu ausgezeichnet. Denn neben dem T-Shirt findet sich auch noch eine Laufkappe in der Tasche. Und eine Medaille ist selbstverständlich ebenfalls in der Meldegebühr enthalten.
Bis auf das Metallstück, das man erst im Ziel umgehängt bekommt, erhält man alles andere am Freitag und Samstag in "la Pergola". Doch ist dies weder eine Art Vordach noch ein offener Laubengang, wie man den Begriff nicht nur hierzulande sondern auch in Spanien im Normalfall verwendet. Vielmehr handelt es sich um eine kreisrunde Veranstaltungshalle in einer Ecke des Parque Ribalta, der sich seinerseits nur wenige Straßenblocks vom absoluten Stadtzentrum entfernt befindet.
Der nach einem einheimischen Maler benannte Park ist das Zentrum des neuen Marathons. Einige wenige Schritte von der Startnummernausgabe entfernt hat man das Ziel mitten auf seiner Hauptallee positioniert. Und auch unterwegs wird man mehrfach an dieser kleinen aber feinen grünen Lunge der Stadt vorbei kommen.
Beginnen wird das Rennen allerdings ein Stück weiter außerhalb. Eine Brücke hat man sich nämlich als Startplatz ausgesucht. Dass man sich bei der Wahl der "Salida" vielleicht doch ein bisschen an einem großen Vorbild orientiert hat, lässt sich durchaus vermuten. Zwar könnte man mit ziemlich viel Phantasie dabei auch an Wien denken, doch fällt den meisten dazu natürlich eher New York ein.
Nun ist die Brücke über den Riu Sec keineswegs mit ihrem Gegenstück über die Verrazano Narrows zu vergleichen. Ein paar Nummern kleiner fällt sie dann doch aus. Aber dennoch bietet die gerade einmal drei Jahre alte Schrägseilkonstruktion mit dem einen Träger in der Mitte ein durchaus imposantes Bild. Und dass dieser zentrale Pylon, wie es der Zufall so will, dann auch noch genau zweiundvierzig Meter aufragt, lässt sie für einen Marathonstart irgendwie noch ein wenig passender erscheinen.
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Eine imposante Brücke überquert im Stadtgebiet den meist trocken liegenden Riu Sec | Die Arbeit des kleinen Leuchtturms am Hafen hat inzwischen ein leistungsstärkerer Nachfolger übernommen |
Das "Riu" ist übrigens kein Schreibfehler, auch wenn tatsächlich das gemeint ist, was in jener Sprache, die man gemeinhin als "Spanisch" bezeichnet, "Rio" heißt. Doch in Castellón spricht eben die Mehrzahl der Bevölkerung Valencianisch. Und das ist keineswegs eine "spanische" Mundart sondern vielmehr ein Dialekt des Katalanischen.
Und dieser ist in der - mit einem Bundesland zu vergleichenden - Autonomen
Gemeinschaft Valencia ganz offiziell zweite Amtssprache. So trägt dann
auch die Stadt selbst in amtlichen Dokumenten einen Doppelnamen. Denn auf Valencianisch
nennt man sie "Castelló." Der dann eigentlich ebenfalls fälligen
Bezeichnung "Marató de Castelló" begegnet man in den
Unterlagen zum Lauf allerdings nicht.
Die spanische Sprachsituation ist jedenfalls keineswegs so einheitlich, wie man es sich im ersten Moment vorstellt. Gab es doch im Mittelalter gleich fünf verschiedene, in einem sogenannten Dialektkontinuum ineinander übergehende romanische Sprachgruppen im Norden der iberischen Halbinsel, während im südlichen, von den Mauren beherrschten Teil Arabisch dominierte.
Mit der Reconquista, der christlichen Rückeroberung des Landes, und der
damit verbundenen Ersetzung des Arabischen als vorherrschende Sprache dehnten
sich alle langsam nach Süden aus, so dass fünf mehr oder weniger parallel
verlaufende Streifen entstanden. Allerdings gewann die mittlere von ihnen, das
Kastilische, aufgrund der politischen Dominanz des kastilischen Königreichs
langsam die Oberhand.
Wohl gerade wegen der vorhandenen weitgehenden gegenseitigen Verständlichkeit wurden die beiden Nachbarn aus der arogonesischen und asturleonesischen Sprachgruppe immer stärker verdrängt. So benutzt man Aragonesisch nur noch in einigen Pyrenäentälern. Mit wenigen zehntausend Sprechern gilt es als akut bedroht. Die asturischen und leonesischen Mundarten sind zwar noch etwas weiter verbreitet, werden aber in den jeweiligen Regionen nur noch von einer Minderheit der Einwohner beherrscht.
An den Rändern hielten sich dagegen die übrigen beiden Sprachen wesentlich besser. Im Westen neben dem Portugiesischen, das zur Landessprache eines eigenständigen Staates aufstieg, auch das eng damit verwandte Galicisch. In der politisch zu Spanien gehörenden, die Nordwestecke der Halbinsel einnehmenden Region Galicien hat es einen offiziellen Status und mehrere Millionen Sprecher.
Ähnlich hartnäckig widerstand an der östlichen Küste auch das Katalanische sowohl der allmählichen Verdrängung als auch der systematischen Unterdrückung durch zentralistische Regierungen wie dem Franco-Regime. Spätestens durch die inzwischen fehlende Sprachbrücke des Aragonesischen ist sie für kastilische Muttersprachler nicht wirklich verständlicher als Italienisch oder Französisch.
Nicht nur in Katalonien selbst sondern auch auf den Balearen und in der Comunitat Valenciana wird Katalanisch verwendet. Dass man dabei dennoch Bezeichnungen wie "Mallorquinisch", "Menorquinisch" oder eben "Valencianisch" verwendet, hat hauptsächlich damit zu tun, dass man die regionale Eigenständigkeit betonen und sich nicht für ein "Großkatalonien" vereinnahmen lassen will.
Denn selbst wenn die gesprochenen Varianten voneinander abweichen, ist die Schriftsprache weitgehend einheitlich. Die im Jahr 1932 an dieser Stelle von einer Versammlung valencianischer Schriftsteller und Sprachwissenschaftler beschlossenen "Normen von Castelló" legen die Verwendung der katalanischen Orthografie sowie die überschaubare Zahl von wenigen Abweichungen für das "País Valencià", das "valencianische Land" als Kompromissformel fest.
Umgekehrt vermeidet man nicht nur in Katalonien sondern auch in der Region
Valencia wenn es um die Sprache geht die Benutzung von "español"
und verwendet lieber "castellano" bzw. auf Katalanisch "castellà".
In den ehemaligen Kolonien in Südamerika lässt sich übrigens
ähnliches beobachten. "Spanisch" wird dann einzig und allein
als politische Bezeichnung angesehen, die man mit "belgisch" oder
"schweizerisch" vergleichen kann.
Dennoch hat der Rio Sec natürlich auch eine - nehmen wir doch wieder das hierzulande einfach gebräuchlichere Wort - spanische Variante als "Rio Seco". Und genauso, also "trocken" präsentiert er sich auch. Nur eine mehr oder weniger völlig wasserlose Betonrinne wird nämlich von der Brücke überquert.
Bei ihrem Anblick scheint kaum vorstellbar, dass man gerade noch im Fernsehen
gesehen hat, wie einige hundert Kilometer entfernt im Westen Andalusiens und
der Extremadura mit den Folgen des Hochwassers gekämpft wurde, das wenige
Tage zuvor nach heftigen Regenfällen etliche Dörfer und Städte
überflutet hatte.
Es ist eine Woche, in der eine Sondersendung der Nachrichten die andere jagt. Neben dem erst durch die Verhängung des Ausnahmezustandes und den damit verbundenen hohen Strafandrohungen beendeten Streiks der Fluglotsen, den sich daraus ergebenden politischen Streitigkeiten sowie dem neuerlichen Dopingskandal halten auch noch die Wetterunbilden das Land in Atem.
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Im Casino antiguo findet man ein Restaurant und Veranstaltungsräume | Moderne und historische Architektur treffen im Provinzkrankenhaus zusammen |
Für den Maratón de Castellón sind die Vorhersagen jedoch eigentlich fast schon zu gut. Denn in der Region Valencia an diesem Sonntag sind bis zu zwanzig Grad und strahlende Sonne angekündigt. Und schon vor deren Aufgang sind die Werte, die man an den öffentlichen Temperaturanzeigern lesen kann, zweistellig. Da die meisten Läufer um diese Zeit bereits auf dem Weg zum Start sind, haben sie nicht wirklich Mühe das zu bemerken.
Obwohl der Marathon erst um neun Uhr beginnen soll, beginnt es nämlich kaum eine Stunde vorher hell zu werden. Selbst im mediterranen Spanien sind im Dezember die Tage wenn auch ein wenig länger als hierzulande, eben doch immer noch am kürzesten. Und da Castellón mehr oder weniger auf der Höhe von Greenwich, also ein ganzes Stück weiter im Westen liegt, ist es zwar am Abend deutlich länger hell, aber morgens mindestens genauso lange dunkel.
Nicht nur das Thermometer sondern auch das wilde Vogelgezwitscher auf den Bäumen der Parks und Plätze erinnert allerdings doch eher ans Frühjahr. Tausende von Finken im Geäst sorgen an einigen Stellen für einen wirklich ohrenbetäubenden Lärm. Ob es sich dabei um Einheimische oder wie bei den wenigen nord- und mitteleuropäischen Marathonis, die den Weg nach Castelló gefunden haben, ebenfalls um Winterflüchtlinge handelt, lässt sich angesichts des Stimmengewirrs allerdings nur schwer klären.
Kaum weniger lautstark bemüht sich der Sprecher auf der Brücke die Läufer auf das anstehende Rennen einzustimmen, nachdem man ihm endlich seine Gerätschaften hingestellt und zusammen gestöpselt hat. Da sich der Startort mitten auf einer Hauptverkehrstraße befindet, haben die Aufbauarbeiten nämlich relativ spät begonnen.
Dass die Chipmatten - in Castellón wird eine etwas andere, plättchenartige
Variante benutzt - erst kurz vor dem Beginn ausgerollt werden, kennt man ja
auch von anderen Städten. Doch auch die Absperrgitter werden erst zurecht
gerückt und mit den Transparenten der Werbepartner versehen, als ein Teil
der Läufer schon mit dem Umziehen begonnen oder gar die Tasche schon am
Lieferwagen, der sie zum Ziel bringen wird, abgeliefert hat.
Hektisch wird es jedoch nicht. Die Veranstalter haben ihre Hausaufgeben gemacht und alles fest im Griff. Bis zum Start ist längst alles fertig. Denn obwohl man weiter im Norden oft der - wohl doch leicht überheblichen - Meinung ist, im Mittelmeerraum ginge es auch bei sportlichen Großveranstaltungen stets leicht chaotisch zu, sind diese in der Regel ziemlich gut organisiert. Und so manche durchaus größere Panne, die sich deutsche Marathons zuletzt erlaubt haben, zeigt, dass auch hierzulande bei weitem nicht alles Gold ist, was glänzt.
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Das Spielkasino ist in einem früheren Hafenschuppen untergebracht | und auch der frühere Bahnhof der Stadt hat inzwischen eine andere Funktion |
Selbst für südländische Verhältnisse ein wenig zu temperamentvoll ist dagegen vielleicht der Ansager. Seine fast im Minutenrhythmus wiederholte Begrüßung zum "Maratón de Castellón" erinnert mit den fast endlos in die Länge gezogenen "Maratoooooooon" und "Castelloooooon" dann durchaus auch an den Torjubel südamerikanischer Fussballreporter, den man hierzulande eher zur Belustigung der Fernsehzuschauer ab und zu einmal als Unterton hinterlegt.
Der "Campeonato autonómico de maratón" kommt ebenfalls mit schöner Regelmäßigkeit in seinem Redeschwall vor. Nicht in Valencia, der Hauptstadt der Comunidad, sondern beim kleinen nördlichen Nachbarn werden die Meisterschaften der autonomen Region diesmal also ausgetragen. Mit Castellón haben die Verantwortlichen des Verbandes nun ganz eindeutig eine zweite gute Möglichkeit zur Auswahl.
Alleine für die Teilnahme an diesen Titelkämpfen wird übrigens bei den Männern eine Qualifikationsleistung von 2:40 und bei den Frauen von 3:10 verlangt. Sogar die in Deutschland längst der Vergangenheit angehörende Norm für die nationalen Meisterschaften war nie so streng. In ihrer strengsten, später immer mehr aufgeweichten Ausprägung wurden schließlich nie mehr als 2:45 gefordert.
Selbst wenn man die ostafrikanischen Asse herausrechnet kommen am Ende tatsächlich auch mehr als zwanzig spanische Athleten - also ein knappes Prozent des Feldes - unter dieser Marke ins Ziel. Und sogar fast ein Zehntel der Teilnehmer, nämlich exakt zweihundert Athleten und drei Athletinnen, schafft es unter die Grenze von drei Stunden.
Ein wenig höher als hierzulande ist das Niveau in Spanien schon noch.
Alleine das in Castellón angesetzte Zeitlimit von fünf Stunden würde
weiter im Norden, wo man vor zwei Jahrzehnten das Ziel auch um diese Zeit zu
machte, inzwischen wohl zu heftigen Protesten und Boykottaufrufen führen.
Ganz so streng ist man dann am Ende zwar doch nicht und gibt noch ein bisschen Zuschlag, bevor man endgültig das Tor schließt. Aber nach 5:17:42 werden auch die letzten drei Läufer angekommen sein. Und außer ihnen werden nur noch vier weitere Teilnehmer länger als die ursprüngliche Vorgabe brauchen.
Schon auf der Startbrücke sorgt man auch für Ordnung im Feld und sortiert die Läufer nach den zu erwartenden Leistungen in verschiedene Blöcke ein. Das System ist so einfach wie durchschaubar. Die Höhe der Startnummer ist dafür ausschlaggebend, wo man zu stehen hat. Je niedriger die Zahl umso weiter vorne darf man sich aufstellen. Hohe Zäune und schmale, mit Helfern besetzte Eingangsbereiche machen es auch schwierig, ohne Berechtigung weiter nach vorne zu kommen.
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Genau auf der Brücke über den Riu Sec wird der erste Marathon von Castellón gestartet |
Erst kurz vor dem Start, als die Absperrleinen sinken, arbeitet sich der eine oder andere doch noch etwas nach vorne. Allerdings ist das Ganze trotzdem ziemlich homogen. Und nicht einmal zwei Minuten nach neun haben die Matten bei allen Läufern bereits die Netto-Zeitnahme ausgelöst.
Kerzengerade steuert die Strecke auf das Ziel zu. Denn bereits nach einem Kilometer
steht dessen erste Passage an und der Einlauf auf der Mittelallee des Parks
liegt in direkter Verlängerung des Starts. Und auch nachdem man die Grünanlage
durchquert hat, geht es abgesehen von dem kleinen Schlenker, mit dem man die
Plaza de la Independencia umrundet, weiter schnurstracks ins Stadtzentrum hinein.
In der Mitte dieses sternförmig von sechs Straßen angesteuerten kleinen Platzes steht auf der Verkehrsinsel, die man umlaufen muss, "La Farola", die vom städtischen Tourismusbüro als eines der Wahrzeichen Castellóns beworben wird. Dass es sich dabei nur um eine kunstvoll verzierte Straßenlaterne handelt, belegt anschaulich das in dieser Hinsicht doch eher geringe Potential der Stadt.
Wie die ebenfalls am Unabhängigkeitsplatz erbaute Casa de las Cigüeñas, das Storchenhaus, im Modernisme errichtet, der spanischen - oder besser gesagt katalanischen - Form des Jugendstils. Auch das wenig später passierte Gebäude der Post, die Oficina de Correos, ist in dieser Archtekturrichtung, die sich im Osten Spaniens nicht nur auf eine ganz besondere Art entwickelte sondern auch wesentlich länger hielt, erbaut.
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Bei zweistelligen Temperaturen treten die meisten mit kurzer Bekleidung an die Startlinie | Schon nach einem Kilometer steht die erste Zielpassage an |
Zwar hebt man in Prospekten über Castellón gerne auch solche Bauwerke hervor, doch ist die Stadt nur bedingt ein wirkliches Zentrum des modernistischen Stils. Auch hier bietet das nahegelegene Valencia dem Besucher natürlich wesentlich mehr. Von Barcelona, wo die drei wichtigsten Vertreter Lluís Domènech i Montaner, Josep Puig i Cadafalch und - als auch im Rest von Europa bekannteste unter ihnen - Antoni Gaudí hautsächlich wirkten, ganz zu schweigen.
Das valencianische Castelló hat dann doch einen etwas anderen Charakter.
Schon hinter der Plaza de la Independencia ist der breite Boulevard des ersten
Kilometers in ein relativ schmales Sträßchen übergegangen, durch
das man ein größeres Läuferfeld als die gestarteten zweieinhalbtausend
so kurz nach der "Salida" wohl nur noch mit viel Mühe hindurch
bekommen würde.
Der größte Teil des Wegenetzes im Stadtkern besteht aus ihnen. Selbst die Hauptverkehrsadern haben selten mehr als zwei, drei oder maximal vier Fahrpuren - und zwar insgesamt und nicht etwa pro Fahrtrichtung. Die meisten sind deshalb zudem auch noch als Einbahnstraßen ausgelegt, was dem ortsunkundigen Autofahrer schon einmal die Schweißperlen auf die Stirn treiben kann, wenn er praktisch schon angekommen ist, aber immer weiter durch das Verkehrslabyrinth um sein Ziel kreisen muss.
Durch die vorherrschende, für spanische Städte durchaus charakteristische Bebauung mit vielstöckigen Wohnblocks entsteht manchmal sogar der Eindruck von regelrechten Straßenschluchten. Castellón mag nicht wirklich schön sein, besitzt weder enge verwinkelte Altstadtgassen noch die weiten, planmäßig angelegten Avenidas großer Metropolen, doch hat es eben dennoch oder vielleicht gerade deswegen etwas für das Land ziemlich typisches.
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Vorbei am modernistischen Postamt | ... an der alten Hanfbörse und | der Iglesia de la Purísima Sangre führt der zweite Kilometer |
Hinter der Oficina de Correos wird die Straße noch enger. Auf beiden Seiten reiht sich ein Geschäft ans andere. Die - je nachdem ob man als Sprache Castellano oder Català bevorzugt - Calle de Colón oder Carrer de Colón liegt mitten im Haupteinkaufsareal der Stadt. Der Übergang zwischen verkehrsberuhigtem Bereich und richtiger Fußgängerzone ist in der "Kolumbusstraße" dabei ziemlich fließend.
Kurz bevor sie sich wieder zur Plaza de Cardona Vives weitet, kommen die Läufer noch am zentralen und wohl auch sehenswertesten Platz von Castellón vorbei. Rund um die Plaza Mayor gruppieren sich der Palacio Municipal der Stadtverwaltung, die Hallen des Mercado Central, des zentralen Marktes, das Casa Abadia, ein Renaissance-Haus, in dem nun ein Kulturzentsrum untergebracht ist, und die inzwischen zum Sitz des Bischofs der Diozöse Sogorb-Castelló aufgestiegen Kirche Santa María.
Markantestes Bauwerk am "Hauptplatz" ist allerdings der achteckige,
weitgehend freistehende Glockenturm "El Fadri". Dieser ist mit seinen
sechzig Metern Höhe das wirkliche Wahrzeichen, das Symbol der Stadt. Ein
wenig erinnert er in seiner Form an die umgebauten Minarette, denen man weiter
im Süden Spaniens immer wieder begegnen kann. Doch wurde mit der Errichtung
des Turmes erst im fünfzehnten Jahrhundert und damit rund zweihundert Jahre
nach der Vertreibung der Mauren aus der Region begonnen.
Über die Plaza Mayor direkt kommen die Marathonis allerdings nicht. Die Calle de Colón verläuft in kurzem Abstand an ihm vorbei. Ein Durchgang würde zwischen Santa María und Casa Abadia hinüber führen. So bleibt nur der Blick auf die Rückseite der Kathedrale. Obwohl sie vor allem an der Hauptfront einen ziemlich alten Eindruck macht, ist die Kirche gerade einmal vor wenigen Jahren fertig gestellt worden.
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Auf dem vierten Kilometer stehen rund um den Parque Ribalta die Stierkampfarena, | der alte Bahnhof sowie | der Konsumtempel von "El Corte Ingles" im Streckenplan |
Denn vom ursprünglichen gotischen Gotteshaus ist tatsächlich nur noch das Portal übrig geblieben. Im spanischen Bürgerkrieg wurde die Kirche, die ohnehin nach einem Brand schon einmal mehr oder weniger komplett neu aufgebaut werden musste, nämlich durch die von republikanischen Kräften dominierte Stadtregierung - auch als Protest gegen die Unterstützung der katholischen Kirche für den Putschisten Franco - niedergerissen. Erst sechs Jahrzehnte später war sie wieder vollständig aufgebaut.
Nach links, hinein in die Calle Mayor, die zwar schmal, aber wie der Name schon
sagt ebenfalls eine der Hauptachsen des Innestadbereiches ist, dreht der Kurs
ab. Doch nur für einige hundert Meter. Schon an der praktisch kreisrunden
Plaza María Agustina mit der auffällig auf einer der von den acht
hier mündenden Straßen gebildeten vielen Ecken errichteten Iglesia
de la Purísima Sangre schwenkt er direkt zurück in die Gegenrichtung.
Nur eine kleine Einführungsschleife wird zu Anfang im Stadtzentrum absolviert. Und doch führen die Kursarchitekten die Läufer dabei schon an etlichen der Sehenswürdigkeiten Castellóns vorbei. Der Palacio Episcopal, der Bischofspalast steht kurz nach dem Passieren der zweiten Kilometermarkierung auf dem Programm.
Nach einer weiteren Rechtkurve darf man im Vorbeieilen auch einen Blick auf das fast wie ein Palast wirkende sogenannte Casino antiguo, das alte Kasino werfen. Der frühere Klub für die gehobene Gesellschaft der Stadt beherbergt heute ein Restaurant sowie Räume für Bankette und Zusammenkünfte.
Und kurz hinter der - wie alle anderen absolut punktgenau verteilten - Kilometermarke drei ist da auch noch die so harmlos Plaza de Toros heißende Stierkampfarena. Weiter im Norden in Katalonien wurde dieses fragwürdige Schauspiel vor Kurzen verboten. Was wohl auch damit zu tun hat, dass man den ziemlich ungleichen Kampf als "spanisch" empfindet und sich davon abgrenzen will. In der Comunidad Valenciana ist das rituelle Töten nicht nur weiter erlaubt sondern hat durchaus auch noch zahlreiche Anhänger.
Gegenüber der Arena liegt eine Grünanlage. Man ist nämlich wieder am Parque Ribalta angekommen, an dessen südlichem Ende man nun entlang läuft. Wenig später nimmt man an der alten Bahnstation auch die westliche Seite des Parkes in Angriff. Die Gleise liegen inzwischen einige Blocks entfernt und zum Teil auch unter der Erde. Aber dennoch stellt der frühere Verlauf eine deutlich zu erkennende Abgrenzung des Stadtkerns dar.
Denn wie mit dem Lineal gezogen verläuft eine breite Avenida oder Avinguda - um wieder einmal beide Sprachvarianten zu nennen - auf der ehemaligen Bahntrasse. Jenseits davon werden die Straßen merklich breiter. Und auch die Bebauung zeigt, dass diese Stadtviertel deutlich jüngeren Datums sind.
Fast die ganze Länge des Parks nimmt dort der klobige Neubau der spanischen
Kaufhauskette "El Corte Inglés" ein, die in Spanien praktisch
eine Monopolstellung besitzt. Mit der kleinen Schneiderei, die einst mit dem
"englischen Schnitt" warb und die Keimzelle des Konzerns war, zu dem
längst auch noch Super- und Hypermärkte, Reisebüros und Versicherungen
gehören, hat das natürlich nicht mehr wirklich viel zu tun.
Mit dem Ende des Konsumtempels ist man auch zurück an jener langen Gerade, auf der man erst vor wenigen Minuten den ersten Kilometer absolviert hatte. Nun biegt man in umgekehrter Richtung erneut auf sie ein und nähert sich deshalb wieder dem Riu Sec, der über ihn führenden Brücke und damit auch der Startlinie. Noch vor dem fünften Schild am Streckenrand hat man sie zum zweiten Mal überquert.
Zumindest optisch hat man fast den Eindruck, man laufe auf der Tartanbahn. Denn der Untergrund ist nicht etwa asphaltgrau sondern dunkelrot gefärbt. Es ist eine gesonderte Fahrspur für den Oberleitungsbus, der eine der Nahverkehrslinie Castellóns bedient. Über den Läufern spannen sich deshalb auch die Stromkabel zwischen den Masten. Es ist übrigens die einzige Strecke ihrer Art in ganz Spanien.
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Auf einer Pendelstrecke zur Universität wird die Startbrücke zwischen Kilometer vier und acht zwei weitere Male überquert |
Jenseits der Brücke werden die Häuser am Rand der breiten Straße noch deutlich modernen. Noch vor gar nicht allzu langer Zeit war hier offenes Feld. Doch rund um die 1991 gegründete Universität - benannt nach dem aragonischen König Jaume I, der im dreizehnten Jahrhundert nicht nur die Gegend um Valencia sondern auch die Balearen von den Mauren zurück eroberte - ist inzwischen ein komplett neues Viertel nach oben gewachsen.
Der Campus der Hochschule, die mit ihren rund dreizehntausend Studenten keineswegs zu den kleinsten im Land gehört, ist nächstes Zwischenziel. In Normalfall ist es sonntags geschlossen. Doch für den Marathon macht man eine Ausnahme und öffnet die Tore. Und auch die Parkplätze der Universität können von den Läufern kostenlos benutzt werden. Mit den Parkhäusern in der Innenstadt hat man zudem eine Kooperation vereinbart, so dass dort die Stellplätze zu vergünstigten Konditionen zur Verfügung stehen.
Doch die "Universidad Jaime I" - wie sie in Castellano im Gegensatz
zur valecianischen Variante "Universitat Jaume" I heißt - ist
nicht nur Wegmarke sondern auch Wendepunkt für den Marathon. Auf der Gegenspur
herrscht nämlich ebenfalls schon wieder reger Betrieb. In einem großen
Bogen geht es um den gesamten Innenhof herum und anschließend wieder auf
die rote Busspur.
An der Spitze haben sich wie erwartet die Afrikaner versammelt. Doch aus dem allseits bekannten Duell zwischen Kenia und Äthiopien ist in Castellón ein Dreikampf geworden. Denn auch der Eritreer Alexander Medhaniea mischt fleißig vorne mit. Doch ohnehin ist die Kopfgruppe ein wenig ungewöhnlich besetzt. Denn die Äthiopier sind unter anderem mit Soloman Tisige Asfaw, Deriba Robi, Sefir Dino und Abdi Kidane Gemechu deutlich in der Überzahl. Daniel Cheribo Kiplagat vertritt mehr oder weniger alleine die kenianischen Farben.
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Mehrere Kapellen sorgen mit Trommeln und Schalmeien unterwegs für musikalische Untermalung | Auch auf der langen Gerade von der Innenstadt zum Hafenbezirk El Grao herrscht Gegenverkehr |
Schon ein klein wenig zurück hängt der Marokkaner Hassane Ahouchar, der allerdings für einen einheimischen Verein aus der Region Valencia startet. Die knalligen rot-gelben Trikots des Club de Atletismo Cárnicas Serrano sind insbesondere im vorderen Teil des Feldes durchaus öfter zu entdecken.
Der mit Nummer eins versehene Stargast - und wohl auch Wunschsieger - der Castellóner
Organisatoren Chema Martínez hat den Kontakt zur Spitze dagegen bereits
vollends verloren und sich auf den ersten Kilometern eine halbe Minute Rückstand
eingefangen und läuft schon jetzt praktisch sein eigenes Rennen. Später
wird er verkünden, dass der Wirbel um die Operación Galgo seiner
Konzentration auf das Rennen ziemlich geschadet hätte.
Dennoch wird der Lärm der Zuschauer immer genau dann am lautesten, wenn Chema vorbeiläuft. Die vor ihm liegende Spitzengruppe wird zwar beklatscht, der Subcampeón Martínez dagegen regelrecht bejubelt. Um seine Popularität auf hiesige Verhältnisse zu übertragen, müsste man dafür - im in dieser Hinsicht immer noch ein wenig geteilten Deutschland - im Westen Dieter Baumann und im Osten Waldemar Cierpinski an die Startlinie bringen.
Kurz vor dem Aufrücken in die Veteranenklasse könnte Martínez seine lange Karriere eigentlich längst locker ausklingen lassen. Und sein Auftritt in Castellón wäre durchaus als Versuch zu sehen, genau dies zu tun und damit nebenbei auch noch ein bisschen Geld zu verdienen. Doch am Ende wird Chema nicht nur durchlaufen sondern als Gesamtsiebter mit 2:17:50 auch noch eine Zeit hinlegen, die 2010 kein Deutscher unterbieten konnte.
Und wenige Tage nach dem Rennen in der Comunitat Valenciana wird bei der Vorstellung der Startliste des London Marathons der Name "José Manuel Martínez" auch wieder im Elitefeld präsentiert werden. Übrigens gemeinsam mit Viktor Röthlin, dem er bei den Europameisterschaften in Barcelona unterlegen war.
Im nicht nur qualitativ sondern vor allen Dingen quantitativ - nicht einmal fünf Prozent der Starter sind weiblich - deutlich schwächer besetzten Frauenrennen liegen mit Almaz Alemu Balcha und Rahel Kebede Shiferaw ebenfalls zwei Äthiopierinnen bei der Jagd auf die sechstausend Euro Siegprämie in Front.
Die Britin Maxine McKinnon liegt zwar schon über zwei Minuten zurück,
könnte mit inzwischen fünfzig Jahren jedoch vom Alter her auch die
Mutter der beiden Ostafrikanerinnen sein. Regelmäßig belegt sie bei
spanischen Marathons vordere Plätze, wurde 2009 in Valencia sogar Gesamtsiegerin,
doch lebt sie eben auch seit Längerem auf der iberischen Halbinsel.
Immer geradeaus geht es entlang des Wegs, den man gerade gekommen war, wieder zurück. Nach sieben Kilometern wird zum dritten Mal die Startlinie überschritten. Und nach acht Kilometern kommen die Marathonis auch bereits zum zweiten Mal im Ziel vorbei. Noch weitere Durchläufe sind dann allerdings nicht mehr vorgesehen. Wenn man im Parque Ribalta das nächste Mal das Transparent mit der Aufschrift "Meta" unterquert, ist der Marathon tatsächlich beendet.
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Der Kreisel an der Hafenverwaltung wird auf dem weiten Weg in großem Bogen umlaufen |
Ganz leicht bergab verliefen die beiden Kilometer von der Universität. Doch kann man dennoch kaum von echter Steigung und wirklichem Gefälle reden. Mehr als zehn oder zwanzig Meter - und damit nicht einmal ein Prozent - dürften es wohl kaum gewesen sein. Und damit sind die größten Höhenunterschiede auch schon bewältigt. Flach ist die Strecke des Marathons von Castellón definitiv.
Den Namenszusatz "de la Plana" trägt die Stadt vollkommen zu Recht. Die gewählte Sprache ist in diesem Fall nebenbei bemerkt vollkommen egal. Das valencianische "Castelló de la Plana" und das spanische "Castellón de la Plana" unterscheiden sich dabei nun wirklich nicht unbedingt.
Wie man mit ein wenig Kreativität durchaus vermuten kann, bedeutet die Ergänzung tatsächlich "Ebene". Ringförmig von Bergen, die zum Beispiel in der Sierra de Espadán schnell bis auf über tausend Meter ansteigen, umgeben ist die relativ flache Landschaft rund um Castellón. Und gerade weil ein so großer Kontrast besteht, hat man ihr den simplen aber eben passenden Namen "Plana" gegeben.
Die Unterteilung in Plana Alta, in der Castellón liegt, und Plana Baja bzw. Plana Baixa weiter südlich, die man in der Regel noch vornimmt, ist dagegen eher historischer als topografischer Natur. Denn die "hohe" oder "obere Ebene" liegt höchstens auf der Landkarte nicht jedoch in Bezug auf die dort verzeichneten Höhenlinien über ihrer "unteren" Schwester.
Es geht erneut um die Farola herum und erneut auch am modernistischen Postgebäude vorbei in die Fußgängerzone der Innenstadt. Wieder nimmt die Calle de Colón die Marathonis auf. Und auch der Glockenturm "El Fadri" sowie die Kathedrale Santa María werden zum zweiten Mal passiert.
Vielen fällt dabei vor lauter Sehenswürdigkeitenballung erst jetzt auf, dass es da auf der anderen Straßenseite noch die "Lonja del Cáñamo" aus dem frühen sechszehnten Jahrhundert zu bestaunen gäbe. Unter ihrer inzwischen verglasten Bogenhalle wurde - wie der Name schon sagt - einst mit Hanf gehandelt. Allerdings nicht um irgendwelche Rauschmittel damit herzustellen sondern als Rohmaterial für widerstandsfähige Taue und Segel der spanischen Flotte.
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Mit dem "Hafentor" wird der kurze Ausflug zum Meer beendet | Nach etwa zwanzig Kilometern kommt man gleich zweimal an jenem Neubau vorbei, der gleichzeitig Kongresszentrum und Konzerthalle ist |
Doch diesmal geht es danach nicht nach links in die Calle Mayor hinein sondern auch jenseits von Kilometer neun immer weiter geradeaus. Avenida del Mar heißt die relativ breite, sogar mit einem Grünstreifen in der Mitte versehene Ausfallstraße, die das Läuferfeld wenig später aufnimmt. Der Name ist vielleicht nicht wirklich einfallsreich, dafür aber umso zutreffender, führt sie doch die Marathonis schnurstracks dem Mittelmeer entgegen.
Abgesehen von einigen Schlenkern um die auch in Spanien ständig beliebter werdenden Kreisel hat es seit dem Verlassen des Universitätsgeländes nicht die geringste Kurve im Streckenverlauf gegeben. Und noch vier weitere Kilometer lang wird keine folgen. Einmal quer durch ganz Castellón läuft man dabei. Auch dank der unterschiedlichen Aspekte, die man dabei zu Gesicht bekommt, ein echter Querschnitt der Stadt.
Man läuft dabei jedoch sogar noch aus ihr hinaus. Denn als das erste zweistellige Kilometerschild passiert ist, wird es am Streckenrand recht offen. Ziemlich scharf ist die Stadtgrenze. Fast wie mit einem überdimensionalen Messer abgeschnitten enden die Wohnblocks von einem Meter zum nächsten und werden von Brachland abgelöst. Mit einem Schlag ist die Ausfallstraße nur noch hauptsächlich mit Plakatwänden bebaut.
Zwar hat man das eigentliche Stadtgebiet verlassen. Doch noch immer ist man auf dem Boden Castellóns unterwegs. Denn auch die in der Ferne erkennbare Siedlung gehört verwaltungsmäßig zur Provinzhauptstadt. El Grao de Castellón bzw. Grau de Castelló heißt dieses Viertel, das sich durch den räumlichen Abstand viel von seiner Eigenständigkeit bewahrt hat. So geht man von dort auch weiterhin "nach Castellón", wenn man sich in die Innenstadt begibt.
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Der aus dem Boden auftauchend Fisch ist das Logo des Puerto Azahar | Hinter dem im maurischen Stil erbauten Gebäude am Hafen verbergen sich Geschäfte |
Nach einer sieben Kilometer langen allerdings durchaus abwechslungsreichen Geraden beginnt am Ortsrand von Grao, das immerhin auch eine fünfstellige Einwohnerzahl hat, eine kurze Schleife, die man mit einem "einmal um die vier Ecken" recht kurz beschreiben könnte. Zuerst nach rechts in ein Wohngebiet, dann aber nach links weiter aufs Mittelmeer zu. Und mit einem weiteren Linksbogen ist man auf der Uferstraße gelandet, die allerdings keineswegs direkt am Wasser entlang führt.
Im Grao findet sich nämlich auch der Hafen der Stadt, je nach sprachlicher
Vorliebe der "Puerto" oder "Port" von Castellón.
Doch auch Grao bedeutet ursprünglich nichts anderes als "Hafen".
Sowohl dicke Frachter als auch schlanke Sportboote legen in ihm an. Und auch
eine kleine Fischereiflotte hat dort ihren Ankerplatz. Puerto comercial, Puerto
deportivo und Puerto pesquero heißen mit einfachster Logik die jeweiligen
Hafenteile.
Nur durch ein paar Lücken zwischen den Häusern bekommt man diese allerdings zu sehen. Denn wie ein Sperrriegel erhebt sich eine Reihe mehrstöckiger Gebäude mit Geschäften, Restaurants und Kinos zwischen dem seinen Namen nicht ganz zu recht führenden Paseo de Bonavista und der weitläufigen Plaza del Mar direkt an den Hafenbecken.
"Puerto Azahar" nennt sich dieses doch ziemlich touristisch geprägte Einkaufszentrum zu dem auch noch das in einem umgebauten Hafenschuppen angesiedelte Spielkasino gehört. Als Logo führt es die bunte Skulptur eines überdimensionalen Fischkopfes, der nebenan auf dem "Meeresplatz" aus dem Boden aufzutauchen scheint. Es ist nicht die einzige mit knalligen Farben versehene Figur. An etlichen Stellen in der Stadt kann man modernen Plastiken dieser Art begegnen. Alleine vor dem Kasino von Grao steht eine ganze Handvoll von ihnen.
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Bunten Großskulpturen wie hier am Kasino kann man fast überall in Castellón begegnen |
Der Faro, der kleine Leuchtturm des Hafens von Castellón wirkt neben dem massigen Neubau ziemlich unscheinbar. Doch längst wird er auch von den auch in diesem Stadtteil dominierenden Hochhäusern überragt. Immerhin erlaubt ein Durchgang zwischen zwei Trakten des modernen "centro comercial" einen schnellen Seitenblick auf ihn.
Seit längerem hat er keine wirkliche Aufgabe mehr. Seine Zeit ist eigentlich vorbei. Längst wurde er auf der Mole vor dem Hafen von einem leistungsstärkeren Leuchtfeuer verdrängt. Stein für Stein hat man den nicht mehr benötigten Vorgänger dann abgetragen und zumindest als Dekoration für die Hafenpromenade auf dieser wieder zusammen gesetzt.
An einem mit einer Art überdimensionalen Eingangstor verzierten Kreisel endet der kurze Ausflug ans Meer schon wieder. Der eigentlich nach links zurück auf die Stadt drehende Marathon hält sich dabei an die normale Verkehrsführung und nimmt - nicht zum ersten Mal - den weiten Bogen um die Verkehrsinsel herum. Dabei ist man ziemlich genau, schließlich ist die Strecke so und nicht anders vermessen. Und dafür, dass auch bloß nicht abgekürzt wird, sorgen an allen kritischen Stellen ausreichend verteilte Helfer.
Um eventuell denkbaren Autoverkehr aus dem Weg zu gehen, muss man dies aber nicht tun. Denn selbst dort, wo die Straßen eigentlich ausreichend breit wären, um nur mit einer für den Lauf abgesperrten Spur auskommen zu können, sind sie dennoch praktisch überall vollständig für die Marathonis reserviert. In solchen Momenten merkt man schon, dass die Stadtverwaltung das Rennen nicht nur forciert hat sondern sogar maßgeblich an der Organisation beteiligt ist.
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Auch vor dem Hospital Provincial steht ein farbenfrohes Kunstwerk | Das neue Kongresszentrum ist dagegen eher nüchtern gehalten |
Im späteren Verlauf wird zwar im Gewirr der Innenstadt-Einbahnstraßen gelegentlich ein Auto über die oder zum Abbiegen auch einmal ein kurzes Stück auf der Laufstrecke rollen, allerdings nur unter strenger Kontrolle der wohl in voller Mannschaftsstärke eingespannten lokalen Polizei, die auf ausreichend große Lücken im ausgedünnten Feld wartet, um die Fahrer dann durch zu winken.
Trotz des den Südländern - also auch den Spaniern - eigentlich nachgesagten hitzigen Temperaments geht das erstaunlich diszipliniert vonstatten. Lautstarken Ärger mit wegen der Verzögerung aufgebrachter Fahrzeuglenker, den man insbesondere in Italien bei solchen Gelegenheiten immer wieder einmal beobachten kann, bemerkt man eigentlich nicht. Aber vielleicht spielt dabei auch eine gute Informationspolitik im Vorfeld eine Rolle. Der Marathon ist für Castellón schließlich ja auch ein absoluter sportlicher Höhepunkt.
Mit dem nächsten Kreisel - auch wieder im großen Bogen genommen - ist man wieder an der breiten Verbindungsstraße angelangt, die man schon kennt, und damit endgültig auf dem Rückweg in die Stadt. Bis zu den nördlich von Grao gelegenen kilometerlangen, sich praktisch ununterbrochen bis ins Nachbarstädtchen Benicàssim ziehenden Stränden dieses Teils der Costa del Azahar kommen die Läufer also nicht.
Auch in Grao gibt es einige Hotels, doch Benicasim - die spanische Variante der Ortsbezeichnung hat ein "s" und einen Akzent weniger als die valencianische - ist deutlich stärker auf Badeurlauber ausgerichtet. Noch extremer ist dies im noch weiter nördlich gelegen Peñíscola - hier ist die valencianische Namensform Peníscola um eine Tilde ärmer. Denn während der Hauptssaison können sich die Einwohnerzahlen dort durchaus auch einmal verzwanzigfachen.
Auch um diese Touristenorte besser ansteuern zu können, wird zur Zeit an einem ganz neuen Flughafen gebaut, der unter "Aeropuerto de Castellón - Costa Azahar" vermarktet werden soll. Er wird mit fast vierzig Kilometern von der Stadt entfernt, die er im Namen trägt, dann allerdings kaum näher als der in Valencia sein, von wo man Castellón mit dem Auto ebenfalls in deutlich weniger als einer Stunde erreichen kann.
Selbst wenn der Aeroport de Castelló - wie gewohnt sei auch hier wieder die zweite Version in der anderen Sprache erwähnt - noch gar nicht in Betrieb ist, wird schon fleißig für ihn geworben. Unter anderem die Erstligakicker vom Villarreal C.F laufen mit seinem Schriftzug und Logo auf der Brust auf. Es gibt in der Region also doch eine Stadt, die zumindest den Sportfans auch außerhalb von Spanien bekannt ist.
Nur zehn Kilometer liegt Villarreal - oder Vila-real - von Castellón entfernt. Und trotz der großen sportlichen Erfolge, die seine Fußballer im letzten Jahrzehnt feiern konnten, ist es wider Erwarten mit nicht einmal fünfzigtausend Einwohnern alles andere als eine Großstadt. Rund die Hälfte der Bevölkerung könnte man deshalb dann auch ohne Probleme auf den Tribünen des örtlichen Stadions unterbringen.
Dagegen ist das praktisch benachbarte Castellón, so überschaubar es auch sein mag, fast schon eine Metropole. Je näher die Marathonis ihm wieder kommen umso deutlicher wird die regelrechte Wand von Hochhäusern, die sich da praktisch übergangslos direkt aus der Ebene erhebt. Was man beim Verlassen der Stadt schon bemerken konnte, fällt, wenn man darauf zu läuft natürlich noch wesentlich stärker ins Auge.
Irgendwo zwischen dem siebzehnten und achtzehnten Kilometer hat man die Außenbereiche Castellóns wieder erreicht und verlässt die Ausfallstraße, auf der man so lange hin und dann auch wieder zurück unterwegs war in ein neu entstehendes Gewerbegebiet. Der Übergang zwischen Stadt und Land wird wohl nicht auf Dauer so abrupt bleiben.
Kurz vor dem Abbiegen hat es auch wieder etwas zu trinken gegeben. Schon zum fünften Mal, was für spanische Verhältnisse ziemlich ungewöhnlich ist. Denn im Normalfall wird auf der iberischen Halbinsel der vom Leichtathletikverband vorgegebene Abstand von fünf Kilometern meist exakt eingehalten. Doch bietet es sich angesichts der Wendepunkte einfach an, die Posten doppelt zu nutzen.
Langsam wird auch die Bestückung der Verpflegungstische umfangreicher. Anfangs nur Wasser, das selbst wenn es im Streckenplan mit einem Becher als Symbol gekennzeichnet ist, in Plastikflaschen ausgegeben wird. Bald kommen auch Elektrolytgetränke, ebenfalls in Flaschen, hinzu. Dann auch zwar nicht immer, aber immer öfter Riegel, Gel und Obst. Und zwar nicht nur die überall üblichen Bananen sondern auch Orangen.
Doch eigentlich ist das fast selbstverständlich. Denn der Orangenbaum ist eine wirklich typische Pflanze im Land, der man auch in den Städten überall begegnen kann. In der Tasche, die den Marathonis bei der Startnummernausgabe ausgehändigt wurde, befand sich ja auch ein Beutel mit Mandarinen. Und die Costa del Azahar bedeutete ins Deutsche übersetzt nichts anderes als "Küste der Orangenblüte".
Interessant übrigens dass man sie auf katalanisch-valencianisch ziemlich unähnlich, aber mit gleichem Sinn "Costa de la Tarongina" nennt. Während es in Castellano für die Frucht, die "Naranja" heißt, und die Blüte zwei völlig unterschiedliche Bezeichnungen gibt, ist im Katalanischen das Pärchen "Taronja" und "Tarongina" eindeutig als zusammen gehörend zu erkennen. Wie viele andere Worte der spanischen Sprache, insbesondere wenn sie mit einem "A" beginnen, stammt "Azahar" nämlich ursprünglich aus dem Arabischen.
Ein wenig nördlich des absoluten Zentrums würde man heraus kommen, liefe man nun immer weiter geradeaus in die Stadt hinein. Doch der Kurs schwenkt bald darauf noch ein Stück weiter weg und nimmt erst einmal die nordöstliche Ecke von Castellón ins Visier. Doch macht man das nicht wirklich in der direkten Linie.
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Für die kleinen und großen Helfer ist die Schlacht geschlagen, | die Spuren müssen allerdings noch beseitigt werden |
An einem Park, der von den angrenzenden Straßen in eine Dreiecksform gezwängt wird, haben die Streckenplaner statt einer Seite, der man in der Direttissima einfach weiter folgen könnte, lieber die anderen beiden inklusive einer Spitzkehre eingebaut. So kommt man zwar auch an die gleiche Stelle, hat aber doch ein paar Meter mehr zurück gelegt.
War der Kurs bisher wenn schon nicht unbedingt absolut rund und logisch geschnitten, auf der Karte doch zumindest einigermaßen übersichtlich, wird es im zweiten Teil dann endgültig verzwickt. Statt langer Geraden folgen mehrere kürzere Schleifen, die immer wieder aus dem Stadtzentrum heraus und anschließend wieder in es hinein führen werden. Manchmal werden die schon bekannten Wege dabei nur gekreuzt, manchmal aber auch als Versatzstücke in neuen Kombinationen erneut genutzt. Und immer wieder gibt es darunter auch Begegnungspassagen.
Der Gesamtstreckenplan würde also fast so verwirrend wie ein Schnittmusterbogen aussehen. Selbst mit den eingezeichneten Kilometermarken könnte man dem Verlauf des Marathons darin kaum folgen. Deshalb ist er dann sowohl in den abgedruckten als auch in den im Netz verfügbaren Unterlagen zweigeteilt. Eine Karte zeigt den ersten Halbmarathon, eine anderen dann die zweite Rennhälfte. Kompliziert genug, aber dennoch deutlich besser nachvollziehbar.
Selbst wenn dieser doppelte Plan wohl ziemlich einzigartig sein dürfte, lässt sich eine ähnlich verzwickte Kurssetzung bei vielen spanischen Rennen entdecken. Egal ob Barcelona, Sevilla, Valencia, keiner dieser Marathons kommt ohne Schleifen und Wendepunkte aus. Und die Strecken von Zaragoza oder Malaga sind kaum einfacher zu lesen als diejenige in Castellón. Nur der Hauptstadtlauf in Madrid kommt ohne Wiederholungen auf zweiundvierzig unterschiedliche Marathonkilometer.
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Durch die Häuserschluchten von Castellón und vorbei am Hospital führen die letzten Kilometer |
Doch bevor man nun die Nase rümpft, sei daran erinnert, dass es hierzulande zwar nicht in Berlin und Hamburg aber zumindest bei den nächstgrößten Läufen in Frankfurt, München und Köln durchaus den einen oder anderen doppelten Streckenmeter gibt. In der Bankenmetropole wäre für den regelrecht verknoteten Innenstadtpart eventuell ebenfalls ein Aufsplitten in Einzelteile nötig. Und in der Domstadt ist der immer wieder ins Zentrum vorstoßende und es dann wieder verlassende "Fingerkurs" regelrecht Konzept.
Auch in Castellón beginnt am Parque Rafalafena wieder eine Wendepunktpassage. In der Mitte trennt allerdings ein breiter Grünstreifen beide Laufrichtungen. Eine Fußgängerallee führt dort direkt auf die Wallfahrtsbasilika El Lledó zu. Sie ist die größte einer ganzen Reihe von Kapellen, die in der um die Stadt führenden sogenannten "Ruta de las Ermitas" miteinander verbunden sind.
Das spanische "ermita" kann dabei sowohl - wie die Verwandtschaft zu "Eremit" zu Recht vermuten lässt - "Einsiedelei" als auch "Wallfahrtskirche" bedeuten. Und entsprechend groß ist die Bandbreite dann auch. Sie reicht von winzigen Kapellchen bis zum vollwertigen Gotteshaus wie die "Basílica de la Virgen del Lledó".
Einen Kreisel vor der Kirche beginnt dann jedoch schon der Rückweg. Nur bis zum vor wenigen Jahren eröffneten "Auditorio y Palacio de Congresos" stößt man vor. "Multifunktionsgebäude" könnte man den nicht unbedingt eleganten Klotz nennen, um ein bisschen auf den Putz zu klopfen. Denn er ist ja "Konzertsaal und Kongresspalast" in einem. Realistisch betrachtet hat man sich allerdings wohl für die Kombination entschieden, weil es sonst weder in der einen oder anderen Verwendung voll ausgelastet wäre.
Nun hat man die riesige "Estatua de Tombatossals", die man vor dem Einbiegen in das Begegnungsstück schon einmal gestreift hat, genau im Blickfeld. Richtig bedrohlich sieht der künstliche Gigant mit dem Felsbrocken in seiner Hand aus. Es scheint als wolle er diesen mitten in die Läuferschar zu seinen Füßen werfen. Dabei spielt diese Sagenfigur eigentlich eine positive Rolle in der Historie Castellóns. Schließlich soll er der Legende nach bei der Gründung der Stadt geholfen haben.
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Als "Schikane" wird noch eine Ehrenrunde in der Stadt absolviert, dabei ist man bei Kilometer vierzig nur wenige Meter vom Ziel entfernt |
Wenig später ist an der Plaza María Agustina, die man diesmal exakt aus der umgekehrten Richtung wie beim letzten Mal ansteuert und auf einer weiteren der vielen dort einmündenen Straßen auch entgegengesetzt verlässt, die erste Häfte abgeschlossen. Von nun an muss man auf die zweite Seite des Streckenplans sehen, um den verwinkelten Verlauf des Marathons nachzuvollziehen.
Wenig überraschend ist dort noch immer der afrikanische Schnellzug an der Spitze. Nach knapp über fünfundsechzig Minuten rauscht er über die Matte. Doch Hassane Ahouchar, der Marokkaner in spanischen Diensten hat den Kontakt noch immer nicht ganz verloren und kaum mehr als hundert Meter Rückstand.
Chema läuft dagegen drei Minuten dahinter sein ganz eigenes Rennen und hat schon bei Halbzeit praktisch keine Cance mehr aufs Treppchen. Man muss ihm aber wohl wirklich zu Gute halten, dass er trotzdem nicht aussteigt sondern seinen Lauf mit Anstand zu Ende bringt. Auch mit so etwas kann man sich durchaus den Respekt der Mitläufer weiter hinten im Feld verdienen.
Bei den Frauen hat sich Almaz Alemu Balcha dagegen inzwischen ein wenig von Rahel Kebede Shiferaw gelöst. Doch angesichts von nur etwa zwanzig Sekunden Vorsprung wäre es wohl verfrüht das eine Voreintscheidung zu nennen. Maxine Mckinnon ist mit neun Minuten jedoch schon so weit zurück, dass der Sieg wohl nur noch an eine der beiden Äthiopierinnen gehen kann. Umgekehrt muss sie sich bei ebenfalls neun Minuten auf Rosa Guillamon Gimeno um ihren dritten Platz kaum Gedanken machen.
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Die kurz vor Schluss noch einmal passiert Kirche Sagrada Familia kann natürlich nicht mit ihrem Gegenstück aus Barcelona mithalten |
Fast könnte man es mit "Zickzack-Kurs" beschreiben, wenn man den Verlauf dieses Streckenabschnitts erklären wollte. Dem Einwärtskilometer vom Kongresspalast folgt der Auswärtskilometer zum Fußballstadion, wo der Club Deportivo Castellón in der dritten spanische Liga kickt. Und anschließend geht es nach der nächsten Spitzkehre zurück zur Plaza de la Independencia mit der Farola.
Nahe des Schildes mit der "23" ist man also wieder an der Parkecke und damit unweit des Ziels angelangt. Und zum dritten Mal biegt man dort auf die inzwischen längst bekannte Passage vorbei an der Post und hinein in die Fußgängerzone ein. Noch einmal können die Marathonis im Vorbeilaufen El Fadrí, die Catedral de Santa María und die Lonja del Cáñamo betrachten.
Noch immer ist an dieser Ecke die kleine Musikkapelle mit den grünen Jacken aktiv, die den Läufern schon auf den ersten beiden Passagen akustische Unterstützung gegeben hat. Sie ist zwar nicht allzu groß, aber durchaus lautstark, wozu nicht nur die engen Gassen sondern auch die für mitteleuropäische Ohren eher ungewohte Zusammensetzung beiträgt.
Neben etlichen Trommlern werden als einzige Blasinstrumente nämlich Schalmeien eingesetzt. Das hierzulande ziemlich in Vergessenheit geratene, aus dem Mittelalter stammende Instrument wird auf der iberischen Halbinsel und insbesondere im katalanischen Sprachraum durchaus häufig benutzt. Die unterschiedlichen Varianten werden dann mit "Tarota", "Tible" oder "Gralla" bezeichnet.
Den ungewöhnlichen Klang hört man unterwegs auch an anderen Stellen. Noch einige weitere dieser Kapellen sind im Einsatz. Die Melodien sind zum Teil allerdings durchaus bekannt, haben doch auch die katalanischen Volksmusiker sehr wohl ziemlich Modernes in ihrem Repertoire. Und aufgrund der zahlreichen Trommeln bringen sie das zudem ziemlich schwungvoll herüber.
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Immer wieder sind auf den Innenstadtschleifen die Trommeln und Pfeifen der lokalen Musikgruppen zu hören |
Auch bei der musikalischen Untermalung haben sich die Organisatoren also ins Zeug gelegt. Doch ist man ohnehin nicht völlig allein auf der Strecke. Es gibt zwar durchaus wie auf dem Weg nach Grao und zurück ziemlich zuschauerarme - oder besser -leere - Abschnitte. Doch jedes Mal, wenn man wieder ins Zentrum vorstößt, steigt die Unterstützung vom Straßenrand sprunghaft an.
So kompliziert der Kurs auf der Karte auch aussehen mag, für die Freunde und Angehörigen, die ihre Marathonis anfeuern wollen, bietet er aufgrund seiner vielen Schleifen natürlich hervorragende Möglichkeiten, mit wenigen Schritten zum nächsten Punkt hinüber zu gelangen. Alleine am Ribalta-Park kommt man - rechnet man den Zieleinlauf mit - sechsmal vorbei.
Auch der Weg zurück zur Plaza María Agustina, den man hinter Kathedrale und Glockenturm einschlägt, ist schon vom zweiten Kilometer des Marathons bekannt. Denn diesmal kommt man wieder über die Calle Mayor von Süden zu jenem Platz, an dem man nur drei Kilometer zuvor an der nördlichen Seite einen Haken geschlagen hat.
Und die Straße vorbei am Palacio Episcopal, auf der man die Plaza mit dem riesigen, auf ein Alter von über tausend Jahren geschätzten Feigenbaum wieder verlässt, hatten die Marathonis ebenfalls bereits unter den Füßen. Doch diesmal geht es dahinter nicht wieder zurück zur Stierkampfarena sondern immer weiter geradeaus und desshalb diesmal nach Süden aus der Stadt hinaus.
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Nicht nur auf den letzten Kilometern ist der Zuschauerzuspruch alles andere als schlecht |
Vorbei an der Kirche San Vicente Ferrer führt die Strecke. Sie sticht nicht nur wegen Turm und der Dachkonstruktion mit mehreren Seitenkuppeln ins Auge sondern vor allem wegen der Außenmauer, auf der mit den auf der iberischen Halbinsel weit verbereiteten Motivkacheln in Wandbildern die Geschichte der Gründung von Castellón dargestellt wird.
Denn obwohl der Name, wie man vermuten kann, sehr wohl etwas mit einer Burg zu tun hat, sucht man diese im Stadtgebiet vergeblich. Er bezieht sich auf das maurische Kastell Fadrell, von dem sich einige Kilometer entfernt in den Hügeln noch Überreste finden. Nachdem diese im Jahr 1233 von den Truppen König Jaumes erobert worden war, erlaubte der Herrscher 1251 die Umsiedlung der Bevölkerung in die fruchbarere Ebene. Auch diese Urkunde hat man mit Azulejos abgebildet.
Zwei Kilometer später knickt die blaue Linie, die den Streckenverlauf durch die Stadt markiert, an einer weiteren der schon bekannten modernen Großskulpturen in die Ronda Este ab. Die "östliche Runde" schlägt als Umgehungsstraße einen weiten Halbkreis um Castellón. Und auch die Marathonis nehmen diesen Bogen nun in Angriff.
Nur langsam wächst die Stadt mit einem Gewerbegebiet an die "circunvalación" heran. Noch bestimmen in weiten Teilen große Brachflächen das Bild. Wieder einmal herrscht Gegenverkehr. Und wenn man ganz aufmerksam ist, stellt man sogar fest, dass die Begegnungsspassagen manchmal links- und manchmal rechtsherum gelaufen werden. Diesmal ist mit der linken Fahrspur wieder die angelsächsische Variante gewählt.
Sogar ziemlich lange. Denn rund zwei Kilometer lang bleibt man auf der Umgehung, bevor eine etwas weiter ausholendere Kehrschleife ansteht. Etwas über zwei Drittel der Marathondistanz hat man bereits bewältigt, als diese beginnt. Und praktisch exakt gegenüber der Marke mit der "28" ist schon die "31" für den Rückweg zu erkennen.
Ein wenig gelichtet haben sich die Reihen in der Spitzengruppe am entferntesten Punkt der "Vuelta" zur Wende, an dem man nur noch einen Steinwurf von der Avenida del Mar entfernt ist. Abdi Kidane Gemechu ist herausgefallen und leistet nun eine halbe Minute dahinter Hassane Ahouchar Gesellschaft. Doch der Rest des Pulks ist noch dicht beisammen.
Almaz Alemu Balcha hat sich innerhalb der letzten Kilometer allerdings deutlich von ihrer Konkurrentin aus dem eigene Land abgesetzt und fast drei Minuten Vorsprung heraus gelaufen. Dennoch ist der Vorsprung der Zweiten auf Maxine McKinnon, die Britin mit Wohnsitz in Spanien, sogar noch etwas weiter angewachsen.
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Fast wie auf einer Tartanbahn kommt man sich aufgrund des roten Asphalts auf der Zielgeraden vor |
Sogar noch ein wenig länger als in der Hinrichtung ist der Rückweg auf der Ronda Este. Denn nicht nur das man bereits mit dem letzten Teil der Wendeschleife wieder auf der Umgehungstraße unterwegs ist, man bleibt auch vorbei an der turmartigen Riesenplastik noch auf ihrem Asphalt und biegt erst am nächsten Kreisel wieder in Richtung Innenstadt ein.
Die Gedanken, das könnte jetzt der letzte Schlenker gewesen sein und nach dreiunddreißig Kilometern würde man langsam direkt auf das Ziel zusteuern, zerschlägt sich wenige hundert Meter darauf. Denn plötzlich ist auch wieder Leben auf der Gegenfahrbahn. Die nächste Wendeschleife steht an. Zur Abwechslung wird allerdings nun wieder im Rechtsverkehr gelaufen.
Zwei Kilometer später ist man wieder mitten in der Stadt und damit auch im Jubelspalier der Zuschauer angekommen. Über die Plaza de la Paz mit dem Theater von Castellón, die man bisher nur kurz gestreift hatte, wird die Strecke dieses Mal geführt. Doch nicht nur das klassizistische Schauspielhaus sondern auch der Jugenstilpavillon in der Mitte, aus dem auch im Dezember Getränke für das Freiluftkaffee daneben ausgegeben werden, ist ein Blickfang.
Ein wenig ungewohnt ist das für den um diese Jahreszeit Kälte und Dunkelheit gewohnten Miteleuropäer genauso wie der bunt geschmückte Christbaum vor dem kurz danach erneut passierten Casino antiguo, an dem man in Trägerhemd und kurzen Hosen sowie angefeuert von Zuschauern, die maximal dünne Jäckchen tragen, vorbei läuft. Doch in Spanien ist man es nicht anders gewohnt. Und auf der Südhalbkugel fällt Weihnachten ja sogar in den Hochsommer.
Zumindest der angekündigte Sonnenschein verbirgt sich wohl aufgrund der Nähe zum Mittelmeer noch immer hinter einer dünnen Schicht aus Schleierwolken, so dass die nach der Wettervorhersage fast zu befürchtende Hitzeschlacht zum Jahresende ausbleibt. Erst spät tauchen die ersten kleinen Lücken auf. Doch nach dem Rennen könnte man es sich durchaus noch einmal in einem Straßenkaffee bequem machen.
Nicht nur Lichterketten, Tannenbäume und Geschenke gehören jedoch in Spanien traditionell zu Weihnachten. Es gibt da auch noch den "Sorteo de Navidad", die Weihnachtslotterie, die nicht nur als die älteste sondern auch als die größte weltweit gilt. Die Gewinnsumme, die dabei zuletzt insgesamt ausgespielt wurde, beträgt unglaubliche zwei Milliarden Euro.
Mit der Ziehung am 22. Dezember werden traditionell die Festtage eingeleitet. Und angeblich beteiligen sich weit über neunzig Prozent der Spanier. Überall begegnet man in der Adventszeit den Losverkäufern, die sich bei den - eigentlich als einzige zur Ausgabe autorisierten - Lotteriestellen mit Losen eingedeckt haben und nun versuchen, diese mit einem Aufschlag unter die Leute zu bringen.
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Zum Abschluss geht es noch einmal durch den Parque Ribalta |
Das System ist kompliziert und für Ausländer im ersten Moment eher unverständlich. Ein ganzes Los, ein "Billete", kostet zweihundert Euro. Deshalb werden in der Regel davon dann Anteile von einem Zehntel, sogenannte "Décimos" verkauft. Bei einem Preis von zwanzig Euro sind die zwar immer noch nicht unbedingt billig, aber deutlich erschwinglicher.
Siebenunddreißig Kilometer sind absolviert, als man nach der Schleife im Zentrum wieder am Stadtrand angekommen ist. Doch zwischen den typischen Wohnhochhäusern der Außenbezirke gilt es nur wenige hundert Meter zu absolvieren bevor die Marathonis erneut in Richtung auf das Stadtzentrum abdrehen dürfen. Das scheint nun wirklich die letzte große Ecke in diesem verwickelten Kurs gewesen zu sein. Doch wer das glaubt, hat sich den Streckenplan nicht wirklich gut angesehen.
Denn am Provinzkrankenhaus, das mit einem hochmodernen und einem historischen Bautrakt von jeder Seite ein vollkommen anderes Fotomotiv abgibt, ist nur noch einen Block vom Parque Ribalta entfernt, hat aber erst neununddreißig Kilometer auf dem virtuellen Tacho.
Mit einer Dreiviertelrunde um das "Hospital Provincial" werden weitere Meter geschunden, um dann doch wieder in die passende Richtung zu drehen. Gereicht hat das jedoch immer noch nicht. Denn die Innenstadtschlucht, die das Läuferfeld zum vierten Male zur Plaza de la Independencia bringt endet schon bei Kilometer vierzig.
An der Farola vorbei wären wohl gerade noch ungefähr jene 195 Meter, die den Marathon endgültig zu einer so krummen Distanz machen, bis zum Ziel zurück zu legen. Doch fehlt eben nicht nur dieser Bruchteil sondern auch noch zwei weitere volle Kilometer, um wirklich auf diese angeblich so magische Zahl zu kommen.
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Nach der dritten Zielpassage ist das Rennen dann auch tatsächlich beendet |
Das Bild hinter den Führungsfahrzeugen hat sich ziemlich verändert, seit die Sieganwärter zuletzt an dieser Stelle vorbei gekommen sind. Denn nun stürmt Soloman Tisige Asfaw aus Äthiopien alleine vorneweg. Der Kenianer Daniel Cheribo Kiplagat als Zweiter wird ihm mit schon deutlichem Abstand wohl nicht mehr vom ersten Platz verdrängen können.
Noch überraschender ist jedoch, dass danach keineswegs die weiteren Ostafrikaner aus der zerbröckelten Kopfgruppe durch das Publikumsspalier eilen. Vielmehr ist es der in der Region gut bekannte Hassane Ahouchar, der unter dem Jubel der einheimischen Laufinteressierten dem Mann aus Kenia nachsetzt.
Bis zum aus der anderen Richtung erfolgenden Zieleinlauf haben nicht nur sie sondern auch der Rest des Feldes noch einmal eine "Runde um den Block" zurück zu legen. Der erste Schwenk erfolgt kurz hinter der Kirche mit dem bekannten Namen "Sagrada Familia".
Doch mit ihrer Verwandten aus Barcelona lässt sie sich trotz eines durchaus auffälligen Turms natürlich nicht im geringsten vergleichen.
Kurz vor dem Riu Sec ist die zweite Längsseite des Vierecks beendet. Und am Busbahnhof - etwa in der Mitte zwischen Start und Ziel gelegen - kann man sich dann endgültig auf die letzten Meter über den Pseudo-Tartan der Busspur begeben. Man muss schon mehr als nur ein bisschen überlegen, bis sicher ist, dass man dieses Stück Asphalt nun viermal unter den Füßen hatte.
Selbst orientierungsstarke Pfadfinder dürften ziemliche Mühe haben, den Marathonkurs von Castellón in all seinen Verschnörkelungen zusammen zu bringen. Und noch größere, um definitiv zu bestimmen, wie oft man an welcher Ecke aus welcher Richtung vorbei gekommen ist. Wie lange die Organisatoren an der Strecke herum getüftelt haben, wäre in diesem Zusammenhang durchaus auch einmal interessant.
Doch haben sie - vielleicht einmal abgesehen von der Ehrenrunde um den Park als Schikane ganz zum Schluss - dabei mit Sicherheit keine schlechte Arbeit geleistet. Die vielen Schlenker sorgen immer wieder für regen Zuspruch. Und was es in Castelló zu sehen gibt, wird den Marathonis auch gezeigt, meist sogar mehrfach.
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Der Riese hat seinen Stein nicht auf die Läufer fallen lassen | so dass die meisten von ihnen ins Ziel kommen | und sich dort am reichhaltigen Buffet bedienen können |
Den Zieleinlauf mitten in den Park hinein genießt man ja auch immerhin schon zum dritten Mal. Und Soloman Tisige Asfaw ist nach 2:10:37 der Erste, der das feststellen kann. Dahinter ist das Klassement auf den letzten beiden Kilometern aber noch einmal umgekrempelt worden. Denn in 2:13:20 läuft der Marokkaner Hassane Ahouchar im gelb-roten spanischen Trikot als Zweiter ein.
Der Kenianer Daniel Cheribo Kiplagat bricht regelrecht ein und wird mit seinen 2:14:13 auch noch vom 2:14:05 laufenden Abdi Kidane Gemechu überholt, der im Gegensatz zu den anderen wohl rechtzeitig den Fuß vom Gas genommen hatte. Denn auch der Eritreer Alexander Medhanieâ in 2:16:41 und Deriba Robi in 2:17:49 handeln sich im letzten Viertel der Strecke ordentliche Rückstände ein. Und Sefir Dino muss sich sogar noch vom eigentlich doch schon weit abgehängten Chema Martínez aufsammeln lassen, bevor er nach 2:20:36 im Ziel ankommt.
Wesentlich unspektakulärer verläuft das Rennen der Frauen, wo sich Almaz Alemu Balcha in 2:31:27 klar durchsetzt. Während sie auf der zweiten Hälfte nur gut zwei Minuten verliert, packt Rahel Kebede Shiferaw fast zehn davon auf ihre Durchgangszeit und löst nach 2:38:28 die Zeitnahme aus. Der Abstand zur 2:48:56 benötigenden Dritten Maxine Mckinnon bleibt im Schlussabschnitt dann auch ziemlich konstent. Rosa Guillamon Gimeno in 3:07:04 und Carmen Sos Rubio in 3:08:13 auf den folgenden beiden Plätzen laufen dann schon in einer anderen Liga.
Mit der ganz sicher nicht zu klein geratenen Medaille um den Hals und einem neuen Badetuch anstelle einer Platikfolie um die Schultern können sie sich dann wie alle anderen am ziemlich reichhaltigen Zielbuffet bedienen, wo es neben Obst und Getränken auch von dem alles andere als kalorienarmen spanischen Kuchen gibt. Auch da haben sich die Organisatoren nicht lumpen lassen.
Angesichts des noch einmal gesteigerten Preis-Leistungs-Verhältnisses, lässt es sich dann vielleicht doch verschmerzen, dass auf dem gelb-grünen Handtuch das größte Logo von einem Sponsor stammt, der zuletzt eine weniger gute Presse hatte. Der besagte Geldgeber ist nämlich jene Mineralölgesellschaft, der einige Monate zuvor eine ihrer Bohrplattformen durch eine Explosion abhanden gekommen ist und die eine gefühlte Ewigkeit gebraucht hat um das dabei entstanden Loch wieder zu schließen.
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Trotz frühlingshafter Temperaturen herrscht am Abend auch in Castellón weihnachtliche Stimmung |
Den Machern des Marathons in Castellón kann es egal sein. Sie haben ihre Premiere in jedem Fall ziemlich perfekt über die Bühne gebracht. Vielleicht ist im nächsten Jahr wie hierzulande ja auch oft zu beobachten ohne Neugiereffekt, das Interesse nicht mehr ganz so hoch. Zumal ausgerechnet jetzt der Lauf von Valencia ankündigt, vom Februar in den November wechseln zu wollen. Und ob Chema Martínez noch einmal als Zugpferd herhalten wird, ist auch eher fraglich.
Doch hat man natürlich angesichts von gerade einmal ungefähr einem Dutzend nicht in Spanien ansässiger Teilnehmer im Ausland definitiv noch Entwicklungspotential. Ganz sicher ist Castellón kein echtes Touristenziel sondern eher eine typische mittlere spanische Großstadt. Doch so schlecht ist es auch nicht. Und im Umland gibt es zwischen Bergen und Strand durchaus Möglichkeiten genug, sich zumindest für ein verlängertes Wochenende zu beschäftigen.
Wer dreimal Salida, dreimal Meta und sechsmal Parque Ribalta nicht scheut, findet als laufender Winterflüchtling an der Costa del Azahar jedenfalls durchaus noch einmal eine Möglichkeit kurz vor dem Jahreswechsel in kurzen Hosen und Trägerhemd einen - vielleicht unspektakulären, aber ziemlich soliden Marathon - zu absolvieren.
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Bericht und Fotos von Ralf Klink Ergebnisse und Infos www.maratoncastellon.org Zurück zu REISEN + LAUFEN aktuell im LaufReport HIER |
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