21.04.08 - 112. Boston Marathon

It is not only a marathon. It is Boston!

von Axel Künkeler

Es ist nicht einfach nur ein Marathon. Es ist Boston! Mit einer ganzen Plakat-Kampagne voll Slogans wird man in der Stadt des weltweit ältesten Marathons begrüßt. „My muscles were screaming, but the crowd screamed louder.“ „When your body wants to stop, the mind must take over“. Bei solchen Sprüchen und den Mythen, die sich um den Hartbreak Hill ranken, denkt man als „normaler“ Mitteleuropäer zunächst: typisch amerikanisch, ob wirklich etwas dran ist? Doch dazu später mehr.

Boston hat nicht nur die längste Marathon-Tradition aufzuweisen, sondern in der gegenüber Europa noch jungen amerikanischen Geschichte einen ganz besonderen Stellenwert. Hier in den Neuengland-Staaten begann im 17. Jahrhundert die Besiedlung durch die europäischen Emigranten; Boston wird bereits 1630 gegründet. Die Hauptstadt von Massachusetts ist 140 Jahre später mit dem Boston Massacre und der Boston Tea Party auch Ausgangspunkt der amerikanischen Unabhängigkeit 1776. Einige der historischen Stätten kann man noch heute bei einem Rundgang durch die 600.000 Einwohner zählende Stadt auf dem Freedom Trail besichtigen.

Wolkenkratzer wie der Prudential Tower, bieten in der 50. Etage einen schönen Rundblick über die ganze Hafenstadt Boston US-Flagge im Stadtbild Historische Stadtviertel mit roten Klinkerbauten und schmucken Vorgärten sind typisch für Boston

Heute ist Boston eine junge, lebendige und kultivierte Stadt. Bekannte Elite-Universitäten wie Harvard und das Massachusetts Institute for Technology (MIT) mit zusammen ca. 50.000 Studenten haben hier ihren Sitz. Etliche kleinere Unis kommen dazu; junge Leute prägen das Bild der Stadt vor allem in der Newbury Street mit ihren Boutiquen, Restaurants und Bars, aber auch in den alten Markthallen des Faneuil Hall Marketplace. Typisch Boston sind neben den unvermeidlichen Wolkenkratzern wie dem Prudential Tower, der in der 50. Etage einen schönen Rundblick über die ganze Hafenstadt bietet, vor allem die historischen Stadtviertel mit ihren roten Klinkerbauten und den schmucken Vorgärten.

Von all den touristischen Highlights dieser sehenswerten Stadt bekommt man beim Boston-Marathon jedoch kaum etwas mit. Der ist nämlich kein typischer City-Marathon, sondern ein Lauf in die Stadt: „26,2 miles to Boston“. Das kleine Städtchen Hopkinton rund 40 Kilometer westlich von Boston ist traditioneller Startort des bereits 1897 erstmals durchgeführten Wettbewerbes. Früh morgens bringen fast 500 gelbe Schulbusse die rund 25.000 Läuferinnen und Läufer vor die Tore der Stadt. Die Abfahrt am Common Garden, dem herrlichen Park im Zentrum Bostons, ist wie die gesamte Organisation bestens organisiert. Alles läuft ab wie am Schnürchen, nur kurze Anstehzeiten, dann geht es mit der School-Bus-Karawane eine Stunde über den Highway.

Bereits am Vortag wurde auf einem Rundkurs in Boston die Olympia-Qualifikation der US-Frauen für Peking ausgetragen

Im Athleten-Dorf von Hopkinton kann man sich in Ruhe auf den Start vorbereiten. Der läuft seit zwei Jahren in zwei Wellen ab. Wave 1 mit den Eliteläufern und den Qualifikationszeiten startet um 10 Uhr Ortszeit. Für den Rest – ab Startnummer 14.000 – geht Wave 2 eine halbe Stunde später auf die Strecke. Hier zeigt sich das – wohl einzige – Manko: es gibt keine nach Zielzeiten gestaffelte Aufstellung. Für die deutschen Läufer bedeutet dies, mit Startnummern jenseits der 24.000 in den beiden letzten Corrals zu starten: mehr als 10.000 Läuferinnen und Läufer vorneweg. Darunter auch 5-Stunden-und-mehr-Läufer sowie zahlreiche Walker. Für etwas ambitioniertere Läufer, die die Qualifikationszeit vielleicht nur knapp verfehlt haben, bedeutet dies, die ersten Kilometer sehr konzentriert und teils im Slalomkurs durch den Pulk bewältigen zu müssen.

Historisches Boston Harvard Campus Die Abfahrt zum Marathonstart vom Common Garden aus, dem herrlichen Park im Zentrum Bostons

Dennoch ist die Stimmung bereits auf den ersten Metern riesig. Von Kilometer 1 bis ins Ziel wird man von der nur nach Hunderttausenden zu zählenden Zuschauermenge begeistert angefeuert. Da übersieht man leicht nach 1,2 Meilen oder rund 2 Kilometern den Hinweis auf die historische Startlinie. Die ersten Marathonwettbewerbe Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts wurden nämlich noch über 25 Meilen ausgetragen. Dies änderte sich erst mit den olympischen Spielen 1908 in London, die zur heute noch geltenden Länge von 26,2 miles oder eben 42,195 km führte.

Von Hopkinton aus geht es durch die hügelige Topografie Neuenglands, die Boston zu seiner Gründung zunächst zum Namen Trimountain verhalf. Richtige Berge sind zwar nicht im Profil und knapp 300 Höhenmeter auch kein entscheidendes Hindernis für gute Zeiten. Dennoch liegt genau darin die Gefahr, die Strecke zu unterschätzen. Zudem geht es zunächst meist bergab, was viele Läufer zu einem zu hohen Tempo verleitet. Doch das ständige Bergauf und -ab hat es in sich. Auf dem ersten Halbmarathon merkt man es noch nicht wirklich. Zumal nach der Hälfte der Strecke ein weiterer Stimmungshöhepunkt wartet. Das ‚Hey, kiss me‘ der kreischenden Girls vom Mädchenpensionat von Wellesley lädt manchen zum Busserl-Stopp ein, verleiht anderen Flügel.

Bostoner Zuschauer-Kult und Werbe-Sprüche

Eine weitere Stärkung gibt es an der Powerbar nach 16,5 Meilen, der einzigen Verpflegungs-Stelle, an der es mehr als Wasser und Sportdrinks gibt. Danach warten die vier Anstiege zum Heartbreak Hill, die alle nicht besonders steil sind, es aber in sich haben. Dass die Legenden um den härtesten Teil der Strecke ihre Berechtigung haben, merkt man nun. Auch, ob man sein Rennen richtig eingeteilt hat. Doch den Kampf am Heartbreak Hill führt man nicht allein und selbst „wenn die Muskeln schreien, die Menge schreit lauter“. Der Lärmpegel wird nun für europäische Ohren eher grenzwertig, die Begeisterung der dicht gedrängten Zuschauer schwappt fast über. Aber sie trägt viele über den Berg.

Die letzten drei Kilometer sieht man den Prudential Tower, das Ziel ist nun greifbar nah Manche nehmen mehr als 100 Prozent Zieleinlauf Boylston Street

Danach geht es in einem 5 km langen Gefälle überwiegend bergab Richtung Boston. Das Ziel rückt näher, dennoch sagt bei vielen „der Körper Stop, nun muss der Kopf übernehmen“. Es bleibt beim ständigen Bergauf und -ab im Streckenprofil, die Schlussphase wird wirklich zur Kopfsache. Die letzten drei Kilometer führen dann durch Boston, man sieht den Prudential Tower, das Ziel ist nun greifbar nah. Durch das Spalier der Zuschauer auf der Boylston Street geht es über die gelbe Finisher-Linie. Zuspruch selbst von den freiwilligen Helfern im Ziel: „Good Job. Great Runner“. Man fühlt sich als Held. Dabei war es eigentlich doch nur ein Marathon.

In Amerika ist man als Finisher „ein Hero“, die Zeit spielt keine Rolle. Auch nicht für Francine J. Prescott, die nach 7:41:09h als 21.963. und Letzte ins Ziel kommt. Da waren die Schnellsten längst geduscht und adrett gekleidet bei der Siegerehrung im großen Ballsaal des Fairmont Copley Plaza Hotels. Der 29-jährige Kenianer Robert Cheruiyot gewann in 2:07:46 h bereits zum dritten Mal in Folge und reihte sich mit seinem insgesamt vierten Erfolg in die Liste der legendären Boston-Sieger ein.

Boston Marathonsieger 2008 Robert Cheruiyot aus Kenia Die Laufgruppe von Grosse-Coosmann vor dem Massachusetts State House Boston Marathonsiegerin 2008 Dire Tune aus Äthiopien

Während Cheruiyot ungefährdet vor den beiden Marokkanern Abderrahim Bouramdane (2:09:04h) und Khalid El Boumlili (2:10:35h) siegte, war die Frauen-Konkurrenz historisch eng. Im knappsten Finish der 112-jährigen Geschichte des Bostoner Marathons gewann die Äthiopierin Dire Tune (2:25:25h) erst im Zielsprint vor der Russin Alevtina Biktimirowa (2:25:27h). Deutsche Top-Läuferinnen und Läufer waren diesmal nicht am Start. Am besten schnitt Lutz Kuhardt (Boettingen) ab, der in 2:48:09h Rang 393 belegte und als 9. der M50 sogar in die Top Ten seiner Altersklasse lief. Bei den Frauen wurde die für den LT Hemsbach startende Laurence Wylcans aus Mannheim in 3:08:28h als 139. Frau und 27. der W40 schnellste Deutsche. Insgesamt waren 151 deutsche Teilnehmer am Start, die meisten mit Laufreise-Veranstaltern wie Dertour und Grosse-Coosmann angereist.

Bereits am Vortag wurde auf einem Rundkurs in Boston die Olympia-Qualifikation der US-Frauen für Peking ausgetragen. Sowohl die Siegerin Deena Kastor (2:29:35h) als auch die Zweite Magdalena Lewy-Boulet (2:30:19h) und die Dritte Blake Russell (2:32:40h) sicherten sich die begehrten Tickets. Zahlreiche Zuschauer – darunter viele Teilnehmer des Boston-Marathons – machten auch dieses Event zum Spektakel.

Bericht und Fotos von Axel Künkeler

Infos unter www.bostonmarathon.org

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