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Det Norske Fjellmaraton - Norwegen (2.6.12)Bergmarathon auf norwegische Art |
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von Ralf Klink
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Das Wörtchen "Fjord" geht den Meisten relativ problemlos über die Lippen. Denn obwohl es mit dem deutschen "Förde" sowie mit dem englischen "firth" - aus dem Mund von "Managern" und "Consultants" wichtig klingend, aber aufgrund des "th" vielleicht doch etwas zu schwer auszusprechen - sprachlich eng verwandte Alternativen gäbe, hat sich die norwegische Bezeichnung für einen engen Meeresarm schließlich weltweit durchgesetzt.
Viel zu typisch ist im Norden Europas eben die damit beschriebene Geländeform ausgeprägt, jene vom Meer überfluteten und tief ins gebirgige Land einschneidenden Gletschertäler, die dem skandinavischen Königreich seine einzigartige Küstenlinie bescheren. Es gibt Fjorde auch in anderen Ländern - zum Beispiel in Island, Kanada, Grönland, Chile oder Neuseeland. Doch mit Norwegen haben sie eine regelrechte Symbiose gebildet.
Einem anderen nordischen Begriff war der internationale Durchbruch nicht vergönnt, obwohl er "Fjord" im Schriftbild extrem ähnelt. Doch nicht nur in der Aussprache tut man sich bei "Fjell" oft deutlich schwerer. Vielmehr kann hierzulande kaum jemand mit diesem Wort überhaupt etwas anfangen. Dabei ist die so genannte Landschaft ziemlich eng mit den norwegischen Fjorden verbunden. Denn ohne das skandinavische Gebirge - genau das ist nämlich mit "Fjell" gemeint - im Rücken würde ihnen viel von ihrer Dramatik fehlen.
Wie auch bei "Fjord" - damit ist eigentlich nur ein schmales schiffbares Gewässer bezeichnet, auch gar nicht durch Gletschereinwirkung entstandene Buchten wie der Oslofjord und sogar etliche Seen sowie Durchfahrten zwischen Inseln tragen diesen Namen - weicht der normale Sprachgebrauch im Norden Europas dabei allerdings von den deutlich engeren Definitionen der Geographen, die den Begriff sehr wohl in ihren Wortschatz übernommen haben, ab.
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In einem Hotel befindet sich die Startnummernausgabe sowie eine kleine Sportartikelmesse, die "Maratonbutikk" |
Denn während die Norweger völlig unabhängig von der wirklichen Ausprägung so ziemlich alles "Fjell" nennen, was an Bergen eine gewisse Höhe - in der Regel nimmt man dabei die bei selbst im Süden der skandinavischen Halbinsel bei weniger als tausend Metern liegende Baumgrenze als Maßstab - überschreitet, werden im wissenschaftlichen Sinne unter diesem Begriff einzig und allein die weiten, nur leicht gewellten Hochflächen verstanden, die große Teile der nordischen Gebirgslandschaft ausmachen.
Immerhin hat man sich auch hierbei wieder auf die norwegische Variante des Wortes geeinigt. Denn im benachbarten Schweden schreibt man die dort ebenfalls vorhanden Geländeform "Fjäll". Allerdings spielt bei dieser Wahl wohl eine wichtige Rolle, dass der Buchtstabe "ä" in den meisten Alphabeten überhaupt nicht vorhanden ist.
Auch im Isländischen, dem die Wissenschaft immerhin den Begriff "Geysir" verdankt gibt es mit "Fjall" eine Entsprechung. Und selbst das "Fell", mit dem die Briten gelegentlich ihre insbesondere im Norden durchaus an Skandinavien erinnernde Bergwelt bezeichnen, geht historisch auf den gleichen Ursprung zurück.
In Finnland, wo man bekanntlich eine Sprache benutzt, die mit den nordischen Nachbarn überhaupt nichts gemeinsam hat, aber eben trotzdem die gleichen Landschaftsformen kennt, lautet der Name dagegen "Tunturi". Ein Wort, dem man auch ohne große Überlegung die Verwandtschaft mit dem aus dem Samischen stammenden und etwa "baumlos" bedeutenden "Tundra" ansehen kann.
Die gleichen Gletscher, die mit ihren nach unten abfließenden Seitenarmen die Fjorde erschaffen haben, sind auch für die Entstehung des Fjells verantwortlich. Dort wo weiter oben das Land komplett unter Schnee und Eis begraben war, wurden die meisten Erhebungen mit der Zeit durch Gewicht und Bewegung der riesigen Eismassen weitgehend abgehobelt. Heute haben sie sich zwar ziemlich weit zurückgezogen. Aber auf einigen Gebirgszügen sitzen auch weiterhin sogenannte Plateaugletscher wie Jostedalsbreen, Svartisen, Hardangerjøkulen oder Folgefonna.
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Im Zentrum von Beitostølen sammeln Busse die Marathonis auf | um sie 42 Kilometer entfernt mitten in der Landschaft wieder auszuspucken |
Während "Svartisen" sich einfach mit "das schwarze Eis" übersetzen lässt, sind "bre", "fonn" und "jøkul" oder "jøkel" dabei gleich drei verschiedene Begriffe für "Gletscher", die von der norwegischen Sprache bereit gehalten werden. Dort wo ein Naturphänomen häufiger ist, gibt es eben meist auch mehrere Worte dafür. Doch auch im Deutschen gibt es ja zum Beispiel entsprechende Namensbestandteile wie "Ferner".
So kommt das Skandinavische Gebirge, das die gleichnamige Halbinsel praktisch auf voller Länge durchzieht, dann doch ein wenig anders daher als die Alpen. Denn insbesondere auf der Westseite steigen die Hänge sofort extrem steil an, so dass kaum eine Passtrasse ohne etliche enge Kehren aus den Tälern heraus kommen kann. Hat die Asphaltpiste dann aber das eigentliche Fjell erreicht, verläuft sie dann für viele Kilometer meist in eher weiten Bögen und mit leichtem Auf und Ab um Seen und kahle, felsige Kuppen herum.
Die Passhöhe selbst, die ansonsten ja meist eine deutlich erkennbare Einkerbung zwischen zwei Bergen ist, von der die Hänge auf beiden Seiten schnell abfallen, ist in den weiten Hochebenen manchmal gar nicht zu richtig erkennen. Denn sie besteht oft aus nicht viel mehr als einem kleinen Hügel, dem sich in jede Richtung noch einige andere beinahe genauso hohe anschließen. Bis man die Hardangervidda, das mit rund achttausend Quadratkilometern größte dieser Plateaus überquert hat, ist man zum Beispiel beinahe hundert Kilometer unterwegs.
Allerdings gibt es auch in den Skanden - wie die analog zu "Alpen" gebildete Kurzform des Gebirges lautet - einige durchaus alpin anmutende Massive mit hohen, schroffen Gipfeln und scharfen Graten. Die wohl bekannteste unter ihnen ist "Jotunheimen", was sich ziemlich passend mit "das Heim der Riesen" übersetzen lässt. Denn nirgendwo sonst im Norden Europas wachsen die Berge höher in den Himmel.
Gleich zwei Erhebungen streiten sich dort um die Bezeichnung "höchste Gipfel Skandinaviens". Lange Zeit wurde diese Ehre nämlich dem von einer Eiskappe bedeckten Glittertind - die "Glitzerspitze" - zuerkannt. Nachdem diese in den letzten Jahrzehnten aber deutlich abgeschmolzen ist, gilt inzwischen der 2.469 Meter hohe Galdhøpiggen als der neue Titelträger.
Erst auf Platz vierundzwanzig der norwegischen Größenrangliste taucht mit der im Dovrefjell gelegenen Snøhetta ein Berg auf, der nicht in Jotunheimen zu finden ist. Und insgesamt ragen in der Region sogar etwa hundertfünfzig Berge über zweitausend Meter auf, was sich unter Berücksichtigung der im Norden deutlich niedriger liegenden Vegetationszonen auf jeden Fall mit mitteleuropäischen Dreitausendern vergleichen lässt.
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Ein kleiner Campingplatz in der Nähe der Startlinie stellt den Läufern seine sanitären Anlagen zur Verfügung |
Rund ein Drittel des - ziemlich genau in der Mitte des von den großen Städten Oslo, Bergen und Trondheim gebildeten Dreiecks liegenden - Gebirgszuges ist 1980 zum ebenfalls "Jotunheimen" heißenden Nationalpark erklärt worden. Doch auch die übrigen Teile bestehen aus fast unberührter Natur und sind praktisch nur auf Schusters Rappen zugänglich. Mit den trotz ihrer Unwegsamkeit dennoch in hohem Maße erschlossenen Alpen lassen sich die skandinavischen Berglandschaften überhaupt nicht vergleichen.
Seilbahnen, die sich in Mitteleuropa in fast jedem Tal in luftiger Höhe über die Bergflanken ziehen, gibt es im Heim der Riesen genauso wenig wie Zahnradbahnen, die diese Hänge deutlich geerdeter erklimmen. Selbst mit dem Auto ist das Gebirge kaum erreichbar. Einzig einige kurze, in der Regel nicht einmal asphaltierte Stichstrecken führen hinein. Ansonsten lässt es sich auf dem abseits der Bevölkerungszentren ziemlich weitmaschig geknüpften norwegischen Straßennetz nur umfahren.
Im Nordwesen bildet dabei "Sognefjellsveien" - die Sognefjellstraße - eine der spektakulärsten und bekanntesten Bergstrecken des Landes, die selbst im Juli und August oft noch von hohen Schneewänden gesäumt ist. Nur wenige Monate im Jahr ist sie überhaupt passierbar. Im Winter ist die am Sognefjord - der am weitesten ins Land hinein reichende Fjord - endende Strecke wegen der enormen Neuschneemengen, die dort herunter kommen, nämlich komplett gesperrt.
Selbst im Sommer lässt sich oben deshalb meist noch auf gespurten Langlaufloipen trainieren. Und so ist es durchaus nicht ungewöhnlich, die Fahrzeuge von Nationalmannschaften am Skizentrum in der Nähe des bei 1434 Meter über dem Meer gelegen höchsten Punktes stehen zu sehen. Eine noch höhere Passstraße lässt sich in ganz Skandinavien nicht finden.
Die südlichwestliche Kante der von den Straßen gebildeten Triangel nimmt die über das Filefjell ebenfalls zum Sognefjord führende E16 ein, die sich deutlich weniger weit nach oben schraubt und deshalb auch in der kalten Jahreszeit praktisch durchgängig befahren werden kann. Etliche Tunnels, von denen der Lærdalstunnel mit fast fünfundzwanzig Kilometern der längste ist, sorgen dafür, dass diese Verbindung von Oslo nach Bergen als einzige nicht nur einigermaßen wintersicher sondern auch fährfrei ist.
Dennoch erinnert diese aus den genannten Gründen wohl wichtigste Strecke zwischen den beiden größten Metropolen des Landes in einigen Abschnitten noch immer mehr an ein kleines Seitensträßchen als an eine Hauptverkehrsachse. Nicht überall kommt man dabei mit zwei Lastwagen problemlos aneinander vorbei. Und sogar mit einem normalen Auto hält man bei - allerdings doch eher selten vorkommendem - Gegenverkehr ab und zu die Luft an.
Selbst wenn vielerorts sichtbar an der Verbreiterung gearbeitet wird, sind in manchen Passagen also weiterhin die weit verbreiteten Ausweichbuchten unverzichtbar. Und von einem autobahnähnlichen Ausbaugrad, den ein Mitteleuropäer bei einer solchen Straße wohl erwarten würde, ist man in Norwegen weit entfernt. Nur im Bereich der Großstädte gibt es überhaupt in kleinem Umfang vier- oder sechsspurige Pisten.
Die dritte und letzte, die östliche Kante der Jotunheimen-Dreiecks wird schließlich vom Fylkesvei 51 - mit "Fylke" werden in Norwegen die neunzehn Provinzen bezeichnet, ein Fylkesvei entspricht also ungefähr einer deutschen Landesstraße - eingenommen, der von zweitausend Einwohner zählenden Fagernes im Süden ins ähnlich große Vågå im Norden verläuft. Das sind dann auch schon die zwei größten Ortschaften entlang der weit über einhundert Kilometer langen Route.
Zwischen den beiden Verkehrsknoten, an denen die Fv 51 jeweils auf eine der anderen eben genannten Straßen trifft, liegt ansonsten nicht mehr als eine Handvoll Siedlungen, die man mit etwas gutem Willen noch als "Dorf" bezeichnen kann. Auf dem gesamten Gebiet aller dabei durchquerten Gemeinden leben schließlich weit weniger als zwanzigtausend Menschen. Statistisch teilen sich gerade drei von ihnen einen Quadratkilometer Fläche.
Nur zum Vergleich sei gesagt, dass der deutsche Durchschnittswert bei mehr als zweihundert liegt. Und die Norwegen von der Topographie stärker ähnelnden Alpenrepubliken Österreich und Schweiz haben immerhin eine Bevölkerungsdichte von etwa einhundert und hundertneunzig. Um die unglaubliche Weite Skandinaviens zu erleben, muss man also keineswegs bis zum Nordkap fahren. Sie beginnt eigentlich schon kurz hinter Oslo.
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Der Anfangskilometer verläuft entlang des Nedre Sjodalsvatn durch lichten Birkenwald |
Am wohl auffälligsten unter den kleinen Siedlungskernen ist dabei rund vierzig Kilometer nördlich von Fagernes das Wintersportzentrum Beitostølen. Wer nun glaubt, diesen Namen schon einmal gehört zu haben, hat durchaus recht. Denn immer wieder einmal werden dort Weltcuprennen im Skilanglauf oder Biathlon ausgetragen. Zuletzt waren die Skijäger 2004 zu Gast, die Langläufer im Jahr 2009. Deren Saisoneröffnung war auch 2011/2012 in Beitostølen geplant. Doch die Wettbewerbe mussten schließlich wegen Schneemangel verlegt werden.
Doch nicht nur für Rennen auf schmalen Latten ist die Seite www.beitoworldcup.com Anlaufstelle. Auch für eine an gleicher Stelle stattfindende Laufveranstaltung kann man dort Informationen bekommen. "Det Norske Fjellmaraton" heißt sie - was ins Deutsche übersetzt nichts anderes als einfach "der norwegische Bergmarathon" bedeutet.
In einem Land, das zu mehr als fünfzig Prozent oberhalb der Marke von fünfhundert Metern und zu einem Viertel gar höher als tausend Meter liegt, also praktisch überall gebirgig ist, erscheint dieser Absolutheitsanspruch zwar ein wenig übertrieben. Aber höher als beim Rennen von Beitostølen geht es halt bei keinem anderen Marathon in Norden Europas hinaus. Dennoch hat der Lauf einen völlig anderen Charakter als das, was man in Mitteleuropa unter einem "Bergmarathon" versteht.
Zwar gilt es auch bei der Veranstaltung einige Höhenmeter zu überwinden. Aber die steilen Rampen, die bei den Läufen in den Alpen selbst die Eliteathleten manchmal in den Wanderschritt fallen lassen, fehlen ebenso wie schmale, mit Wurzeln und Steinen gespickten Trampelpfade, die gerade in diesen Abschnitten oft den Untergrund bilden. Und das Ziel befindet sich keineswegs am Ende dieser Passagen weit oben am Berg oder gar am höchsten Punkt.
Die so völlig anderen topographischen Gegebenheiten des nordischen Fjells gäben so ein Profil ja auch maximal dann her, wenn man direkt am Ufer eines Fjords starten würde. Einige kürzere Bergläufe tun dies und kommen dabei manchmal auf Anstiege von durchschnittlich zwanzig Prozent. Zurück muss man mangels anderer Transportmöglichkeiten dabei allerdings in der Regel ebenfalls wieder zu Fuß. Der Berg-Halbmarathon von Geiranger mit dem bezeichnenden Namen "frå Fjord til Fjell", bei dem Busse eingesetzt werden können, bildet eine ziemliche Ausnahme.
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Ein erster kurzer Anstieg führt zum Øvre Sjodalsvatn und der kleinen Hüttengruppe Besstrond |
Aus den genannten Gründen ist der Norske Fjellmaraton dann auch ein reines Straßenrennen, das sich komplett auf dem schon mehrfach erwähnten Fylkesvei 51 abspielt. Selbst in den steileren Stellen bleibt das Asphaltband dabei meist weit von zweistelligen Steigungsgraden entfernt. Auf eindrucksvolle Naturerlebnisse muss man angesichts einer Strecke, die nur vereinzelt überhaupt einmal Häuser berührt, deswegen trotzdem keineswegs verzichten.
Die sich aufdrängende Frage, ob die Norweger für "ihren" Bergmarathon nicht doch einen Kurs hätten finden können, der sich mit den hierzulande bekannten Vorbilder aus Interlaken, Zermatt oder Davos vergleichen ließe, wird spätestens in dem Moment ad absurdum geführt, wenn man erfährt, dass die Veranstaltung in Beitostølen bereits seit Anfang der Achtziger ausgerichtet wird. Zum dreiunddreißigsten Mal werden die Läufer 2012 an den Rand von Jotunheimen eingeladen.
Sogar gegenüber dem Swiss Alpine Marathon, dem Senior der genannten Alpenläufe hat man also noch einige Jahre an Erfahrung Vorsprung. Und in Norge selbst nimmt man im Hinblick auf ununterbrochene Tradition gemeinsam mit dem bis auf wenige Monate genauso alten Marathon von Mandal hinter Trondheim den zweiten Platz ein. Schon weil er Anfang des neuen Jahrtausends einige Male ganz ausfiel, kann der Hauptstadtlauf von Oslo da nicht im Geringsten mithalten.
Auch Beitostølen hat im ersten Moment wenig mit dem gemein, was man sich außerhalb von Skandinavien unter einem Skiort vorstellt. Schon alleine die Landschaft erinnert gerade bei Anfahrt von Fagernes im Süden mehr an ein sanftes Mittel- als an ein für ein Wintersportzentrum geeignetes Hochgebirge. Selbst die höchsten Gipfel der näheren Umgebung finden sich kaum auf der doppelten Höhe des auf etwa acht- bis neunhundert Meter hoch gelegenen Dörfchen.
Und nicht einmal bis ganz oben hinauf kommen die Lifte, die genau wie Personenaufzüge in Gebäuden auf Norwegisch "Heis" genannt werden. Die - sowieso nicht unbedingt zahlreichen - möglichen Abfahrten fallen dann auch meist weder allzu lang noch besonders schwer aus. In anderen Ländern würde man bezüglich der alpinen Pisten dann wohl auch höchstens von einem "Familienskigebiet" sprechen. Aber mehr als einige hundert Meter Höhenunterschied findet man in Skandinavien diesbezüglich ohnehin selten.
Doch schaut man in der Heimat des Ski-Langlaufes eben beileibe nicht nur auf jene, die sich mit der Hilfe von maschinellen Aufstiegshilfen auf die Berge transportieren lassen, um anschließend deren Hänge wieder hinunter zu rutschen. Wie meist im hohen Norden übertrifft das Ausmaß des Loipen-Netzes in Beitostølen deshalb die Gesamtlänge der alpinen Strecken um mehr als das Zehnfache.
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In der Ferne sieht man schon den schneebedeckten Pass, den man viele Kilometer später erreichen wird |
Einige der Langlaufspuren führen dabei sogar weit höher hinauf als die Bergstationen der Lifte. Was in den in den oberen Lagen doch meist ziemlich steilen Alpen nur schwer vorstellbar wäre, ist im skandinavischen Fjell mit seinen abgerundeten Kuppen in der Regel problemlos möglich und durchaus auch üblich.
Der größte Unterschied zu mitteleuropäischen Wintersportzentren ist allerdings das Örtchen Beitostølen selbst. Schließlich hat man weder ein gewachsenes Dorf mit einem alten Ortskern vor sich - Beitostølen ist ursprünglich nur die Bergweide des ein Stück weiter unten im Tal gelegen Weilers Beito, denn mit "Støl" wird eine nahe gelegene, unbewohnte Alm beschrieben - noch eine jener Retortensiedlungen, die nicht ausschließlich, aber insbesondere in Nordamerika auf der grünen Wiese aus dem Boden gestampft wurden, um mit dem Skitourismus Geld zu verdienen.
Abgesehen von einigen wenigen mehrstöckigen Hotels und Geschäften, die sich rund um die einzige echte Kreuzung entlang der Durchgangsstraße aufreihen, besteht Beitostølen nämlich weitgehend aus weit in der Landschaft verstreuten hölzernen Ferienhäusern. Auch ohne wirklich nachzuzählen ist unschwer zu erkennen, dass es deutlich mehr sind als die nur ungefähr dreihundert im Ort gemeldeten Einwohner.
Besonders ungewöhnlich ist das im Norden jedoch nicht. Eigentlich sieht es in allen Feriengebieten so aus. Statistisch gesehen besitzt nämlich mindestens jede zweite norwegische Familie eine solche "hytte". Man begegnet ihnen nahezu überall, am Ufer von Fjorden oder Seen und auf winzigen Inseln, mitten in den endlosen Wäldern und auch in den Weiten des Fjells. Manchmal werden sie dem Namen "Hütte" tatsächlich gerecht und sind ziemlich einfach gehalten. Doch manchmal haben sie aber auch beinahe schon den Charakter einer kleinen Villa.
Rund um jene recht überschaubare Gruppe von etwas größeren Gebäuden, die man mit viel gutem Willen als "Zentrum" bezeichnen könnte, spielt sich ein großer Teil des Marathonprogramms ab. Denn nicht nur das Ziel befindet sich dort. Nur wenige Schritte entfernt liegt auch das Hotel, in dem die Startnummern ausgegeben werden. Der Name "Radison Blu" klingt ziemlich nobel. Und das Foyer macht auch den entsprechenden Eindruck.
Doch den für die Veranstaltung zur Verfügung gestellten kleinen Saal erreicht man am besten über einen direkten Zugang von der wenig imposanten Rückseite. Handgemalte Schilder zeigen den Weg zur dort ebenfalls aufgebauten "Maratonbutikk", der Laufmesse des ortsansässigen Sportgeschäftes, wo ziemlich gute Angebote die ansonsten recht saftigen norwegischen Preise auf mitteleuropäisches Niveau herunter holen.
Die Meldegebühren für den Marathon sind mit fünfhundert Kronen - umgerechnet zurzeit etwa fünfundsechzig Euro - auch nicht gerade "besonders günstig" zu nennen. Aber für norwegische Verhältnisse ist sie völlig im Rahmen. Und im Vergleich zu den schon erwähnten Rennen in der - zugegebenermaßen ebenfalls recht teuren - Schweiz, schneidet man sogar noch um einiges besser ab.
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Kilometerlang verläuft die Straße nahezu eben oder in ganz leichten Wellen entlang des Øvre Sjodalsvatn |
Deutlich happiger erscheinen da schon die vierhundert Kronen, die für den ebenfalls angebotenen Halbmarathon fällig werden. Beim sieben Kilometer langen Einsteigerlauf und einem über zehn Kilometer führenden, in die Veranstaltung integrierten Geländerennen muss man stolze dreihundert Einheiten der norwegischen Währung auf den Tisch legen. Alles wohlgemerkt bei Voranmeldung bis Mitte Mai. In den letzten beiden Wochen darf man noch weitere hundert Kronen Nachmeldezuschlag dazu addieren.
Selbst wenn der Fjellmaraton in Relation zu anderen Veranstaltungen im Land bereits eine mittlere Größenordnung besitzt, sind diese zusätzlichen Strecken wohl unverzichtbar. Denn "mittlere Größe" beginnt in Skandinavien eben schon bei einhundert Teilnehmern. Nur eine gute Handvoll Läufe kann in Norwegen überhaupt diese Marke überbieten. Und einzig Oslo zählt auf der Marathondistanz mehr als tausend Zieleinläufe. Auch im Nachbarland Schweden, wo allerdings Stockholm immerhin die Fünfstelligkeit erreicht, sieht es meist recht ähnlich aus.
Mit den ganzen Nebendistanzen, zu denen übrigens auch noch ein Kinderlauf über einen Kilometer gehört, hat man in Beitostølen keinerlei Mühe die Marke von eintausend Läufern zu knacken. In wirklich guten Jahren ist sogar immer wieder einmal eine Gesamtzahl von mehr als zweitausend Startern bei "Fjelleventyret" möglich. Denn unter diesem Namen, der nicht etwa nur "das Fjell-Event" sondern sogar - für Norweger überraschend unbescheiden - "das Fjell-Abenteuer" bedeutet, firmiert die Veranstaltung.
Zumindest das Wetter ist diesmal den Organisatoren allerdings nicht unbedingt wohl gesonnen. Als die Läufer am Freitagabend ihre Startnummern im Empfang nehmen - die Ausgabe ist bis um 22:30 Uhr geöffnet - liegen die Außentemperaturen nur bei mittleren einstelligen Werten. Und auch für den Folgetag, an dem die Rennen stattfinden sollen, sind gerade einmal sechs oder sieben Grad als Obergrenze angekündigt.
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Erst nach sieben Kilometern taucht mit dem Berghotel Bessheim das nächste Mal ein Gebäude an der Strecke auf |
Während im Süden und in der Mitte des Kontinents bereits längst die Badesaison begonnen hat, muss in Skandinavien noch einmal die dicke Jacke hervor geholt werden. Doch wer sich in diese Region Europas begibt, muss selbst im Hochsommer eben stets mit eher mäßigen Witterungsbedingungen rechnen. Zwar erreicht das Thermometer bei strahlendem Sonnenschein durchaus einmal die Marke von fünfundzwanzig oder gar dreißig Grad. Doch genauso gut können es bei Dauerregen auch weniger als die Hälfte sein.
Ohne große Formalitäten werden die Unterlagen verteilt. Wer auf der großen Tafel an der Wand seinen Namen gefunden hat, geht einfach zum entsprechenden Tisch, nennt die entsprechende Zahl und hat wenig später einen Umschlag mit Startnummer und Infoblatt sowie Chip nebst Klettband zur Befestigung am Knöchel in der Hand. Die Vorlage einer Meldebestätigung oder gar eines Ausweises erübrigt sich schon wegen der beinahe sprichwörtlichen Ehrlichkeit der Skandinavier.
Zwar schadet es, um wenigstens den guten Willen zu zeigen, ganz sicher nicht, wenn man dabei seine Nummer auch auf Norwegisch aussprechen kann. Doch ist dies für Ausländer keineswegs eine unabdingbare Voraussetzung, um an einer nordischen Sportveranstaltung teilzunehmen. Denn wie praktisch jeder Skandinavier beherrschen auch die Helferinnen hinter den Schaltern Englisch in ziemlich flüssiger Form. Selbst Deutschkenntnisse sind im Land relativ weit verbreitet.
Umso unverständlicher ist unter diesen Voraussetzungen, dass die ohnehin schon relativ schwer überhaupt zu entdeckenden Informationen zur Veranstaltung auf der Internetseite dann nur in norwegischer Sprache nachzulesen sind. Auch für die Online-Anmeldung, die man unter dem Abschnitt mit der Überschrift "Påmelding" findet, gibt es keine anderssprachige Alternative.
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Nach etwa zehn Kilometern beginnt an der Stichstraße zum Gjendesee der Anstieg. Hoch über der See verläuft der Besseggengrat, die vielleicht bekannteste norwegische Wanderung |
Mit ein bisschen Erfahrung und Phantasie lässt sich das Ganze zwar größtenteils verstehen. Wirklich leicht machen es die Organisatoren potentiellen Gästen damit aber ganz sicher nicht. Selbstverständlich hat man im Rest der Welt meist sowieso recht wenig vom Fjellmaraton gehört und dürfte sich deshalb eher selten auf diese Seite verirren. Doch irgendwie scheint man sich dennoch auch gar nicht ernsthaft um neue Teilnehmer aus dem Ausland zu bemühen.
Wie bei so vielen Läufen Norwegens bleiben die Skandinavier dann in Beitostølen dann auch weitgehend unter sich. Aber selbst Dänen und Schweden, die aufgrund der Ähnlichkeit und weitgehenden gegenseitigen Verständlichkeit der Sprachen noch die wenigsten Probleme haben dürften und die zudem die kürzeste Anreise hinter sich bringen müssen, lassen sich nur relativ wenige in den Listen finden.
Dass die "Løperinformasjon" zum Ablauf dem Startnummern-Umschlag ebenfalls einzig und allein auf Norwegisch beigelegt ist, macht dann auch nicht mehr viel. Die Uhrzeiten für den "Busstransport til Startsteder", der bei den auf Punkt-zu-Punkt-Strecken ausgetragenen Voll- und Halbmarathon-Rennen nötig ist, kann man darin auch ohne allzu große sprachliche Fähigkeiten problemlos nachlesen.
Für die lange Strecke ist die Abfahrt bereits auf 7:45 Uhr festgelegt. Denn entgegen nordischer Gepflogenheiten, wo man - auch wegen der deutlich längeren Anfahrtswege im abseits der Städte extrem dünn besiedelten Land - ansonsten viele Rennen erst um elf oder sogar zwölf startet, beginnt der Marathon von Beitostølen bereits um neun Uhr.
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In weiten Bögen und mit sanftem Anstieg zieht sich die Straße immer weiter den Hang hinauf |
Wie sehr sich das Dörfchen mit der Laufveranstaltung beschäftigt, zeigt ein kleines Erlebnis im Hotel. Denn nach einer kurzen Bemerkung beim Einchecken, dass man am nächsten Tag beim vollen Marathon starten wolle, spricht die durchaus sportlich wirkende Frau am Empfang einige Stunden später den gerade vom Abendessen ins Haus zurück kehrenden Gast von sich aus noch einmal an.
Sie habe inzwischen mit der Küche geredet. Denn eigentlich gäbe es erst ab acht Uhr Frühstück. Das wäre aber doch nach der Abfahrt des Busses zum Startpunkt. Also hätte man sich - wohlgemerkt ohne im Entferntesten darum gebeten worden zu sein - darauf verständigt, das "Frokostbuffet" am nächsten Tag schon etwas früher aufzubauen. Wer jetzt meint, das sei ein selbstverständlicher Service, dem sei gesagt, dass ihn am folgenden Morgen gerade einmal zwei Marathonis in Anspruch nehmen.
Denn wieder einmal sind kaum hundert Läufer auf der längsten angebotenen Strecke dabei. Das Gros der Teilnehmer tritt auf den kürzeren Distanzen an. Und die können deutlich länger schlafen. Denn erst zu dem Zeitpunkt, an dem der Marathon gestartet wird, setzen sich die ersten Busse für den Transport der restlichen Läufer in Bewegung. Der Halbmarathon beginnt nämlich erst um elf, das "Miniton" genannte Rennen über sieben Kilometer noch eine halbe Stunde später. Zumindest dort hält man sich dann doch wieder an die in Norden gewohnten Startzeiten.
Zwei Busse reichen angesichts des eher übersichtlichen Feldes vollkommen aus, um die Marathonläufer zu ihrem Startplatz zu bringen. Und da dies natürlich über die einzige Straße im Umkreis von fünfzig Kilometern geschieht, kann man unterwegs schon einmal den Kurs in Augenschein nehmen. Was da vom norwegischen Fjell zu sehen bekommt, ist auch durch das Busfenster schon grandios genug. Und auf was man sich einstellen sollte, wird spätestens in dem Moment klar, als der Fahrer wegen eines auf der Straße stehenden Rentiers bremsen muss.
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Die anfangs so weit entfernten Berge sind jetzt zum Greifen nah |
Die Sonne steht längst am nahezu wolkenfreien Himmel. Schließlich geht sie in Skandinavien im Monat Juni - wenn überhaupt - nur kurze Zeit unter. Um die berühmte Midnatsol, die Mitternachtssonne zu erleben, muss man zwar den Polarkreis überqueren, der Norwegen etwa auf halbem Weg zwischen Trondheim und Tromsø durchschneidet. Aber auch im Süden von Norge wird es im Frühsommer fast nicht mehr dunkel. Die Abenddämmerung geht in diesen Tagen beinahe nahtlos in die Morgendämmerung über.
Da kann es schon einmal sein, dass bereits nachts um vier die Sonne durch die meist nicht mit Läden ausgestatteten Fenster scheint. Und um sie abends hinter dem Horizont verschwinden zu sehen, muss man auch auf jeden Fall bis elf Uhr aufbleiben. Einen gar zu leichten Schlaf sollte man unter diesen Bedingungen vielleicht nicht haben. Weil ein Dezembertag im Umkehrschluss dann aber auch gerade einmal fünf bis sechs Stunden dauert, verfügen praktisch alle Wintersportorte in Skandinavien über beleuchtete Pisten und Loipen.
Mitten in der Landschaft spucken die beiden Busse nach einer gut halbstündigen Fahrt ihre Passagiere wieder aus. Ein kleiner Halteplatz in einem Birkenwäldchen an einem See genügt dazu. Im Gegensatz zu den Alpen, wo in der Regel die Kiefer dieser Rolle übernimmt, ist in Skandinavien die Birke der Baum, der sich in immer niedriger werdende Wuchsformen am weitesten den Berg hinauf traut. Dass sie überhaupt so hoch aufragen ist der relativ geschützten Position zu verdanken. Denn man befindet sich rund neunhundert Meter über dem Meer.
Viel ist nicht zu sehen, was darauf hindeuten könnte, dass an dieser Stelle ein Marathon gestartet werden soll. Keine Startaufbauten, kein Transparent, keine Beschilderung lässt sich entdecken. Nur wenn man ganz genau beobachtet, bemerkt man zwei über den Asphalt verlaufende dünne Kabel und einen dazugehörenden kleinen Apparat am Straßenrand. Später wird man feststellen, dass dies tatsächlich die Startlinie oder genauer gesagt die dort ausgelegte Zeitmessanlage ist.
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Irgendwann hat man auch die letzten Krüppelbirken hinter sich gelassen und läuft durch tundraähnliche Vegetation |
In dieser Form ist diese natürlich auch während der in Nordeuropa gegenüber den Laufveranstaltungen wesentlich bedeutsameren Skilanglaufwettbewerbe einsetzbar, bei denen die hierzulande bekannten und üblichen Matten eindeutig nicht benutzt werden können. Auch die Methode mit dem Klettband am Fußgelenk zur Befestigung des Chips kann man sowohl im Sommer wie auch im Winter verwenden.
Relativ einfach und kostengünstig dürfte das Messsystem ebenfalls sein. Obwohl das Feld aus mitteleuropäischen Blickwinkel extrem klein ausfällt, werden beim Fjellmaraton dennoch wie bei den ganz großen Stadtläufen Zwischenzeiten im Abstand von fünf Kilometern genommen und diese später auch in den Ergebnislisten angezeigt.
Einige hundert Meter entfernt vom Startplatz stellt ein kleiner Campingplatz namens "Heimsanden" den Läufern seine sanitären Anlagen zur Verfügung. Doch Umkleidekabinen oder -zelte sucht man genau wie eine warme Aufenthaltsmöglichkeit vergeblich. Trotz der nur wenig über dem Gefrierpunkt liegenden Temperaturen ist also eine Vorbereitung im Freien angesagt. Die auf den ersten Blick nicht unbedingt großzügig bemessenen Abfahrtszeiten haben in diesem Moment durchaus ihr Gutes.
Doch konnte man sich ja auf diese Verhältnisse durchaus einstellen. Und die wärmenden Strahlen der Sonne lassen die am Quecksilber abzulesenden Werte gar nicht so unangenehm herüber kommen, wie sie sich anhören. Den - als wetterhart bekannten - Skandinaviern machen sie ohnehin wenig aus. Bei der Ski-WM in Oslo konnte man im vergangenen Jahr schließlich gerade wieder erleben, wie Tausende mitten im Winter im Wald zelteten, um einen möglicht guten Platz an der Loipe zu bekommen.
Dennoch entscheiden sich praktisch alle Läufer für das Winterdress. Die nicht nur für Norddeutsche einigermaßen verständlichen und durchaus amüsanten kurzen Diskussionen, ob die "bukse" bei diesen Bedingungen denn nun besser "kort" oder doch lieber "lang" sein sollte, enden meist mit der Entscheidung für "lang". Nur ein einziger ganz Mutiger wagt sich tatsächlich mit Trägerhemd auf die Strecke. Für den Transport der Taschen und Beutel mit der dann doch abgelegten Bekleidung genügt übrigens ein Lieferwagen.
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Durch den Anstieg verdient man sich imposante Ausblicke auf das Jotunheimen-Gebirge |
Die Übersichtlichkeit der norwegischen Marathonszene macht es fast schon unvermeidlich, dass an nach einigen Starts in einem so kleinen Feld das eine oder anders bekannte Gesicht trifft. Da ist zum Beispiel Wiggo Bakken, der mit schöner Regelmäßigkeit auf einem der letzten Plätze landet, aber dennoch in der kurzen nordischen Laufsaison fast Woche für Woche wieder über zweiundvierzig Kilometer antritt. Auch in Beitostølen wird er am Ende nur drei Teilnehmer hinter sich lassen.
Am anderen Ende der Ergebnisliste ist zumeist Ross Wakelin zu finden, der Neuseeländer, den es inzwischen nach Narvik in Nordnorwegen verschlagen hat. Schon viele Male war er beim Fjellmaraton dabei, meist auf vorderen Plätzen. Und im Jahr 2002 hat er das Rennen sogar einmal gewonnen. Diesmal wird er in 3:14:36 Gesamtzehnter werden.
Trotz aller Routine bringt der Kiwi seine Startnummer vor dem Rennen versehentlich verkehrt herum am Trikot an. Als er an der Startlinie von einem Mitläufer den dezenten Tipp bekommt, diese doch besser umzudrehen, ist Wakelin immerhin schlagfertig genug, zu erklären, dass er ja von der anderen Seite der Erde aus Down Under stamme und dort stünde von der Nordhalbkugel aus gesehen eben alles auf dem Kopf. Dann beginnt der Mann aus Neuseeland aber doch mit dem Umstecken. Und kaum zehn Sekunden vor dem Start hat er seine Aktion beendet.
Ein anderer, den man einfach kennen muss, wenn man sich mit Marathon in Norwegen beschäftigt, und der eigentlich ebenfalls zu den Stammgästen in Beitostølen gehört fehlt allerdings. Die Rede ist von Helge Hafsås, der das Rennen bisher schon sechsmal gewonnen hat, damit Rekordsieger ist und zudem auch noch sechsmal Zweiter sowie einmal Dritter war.
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Je höher die Strecke klettert, umso mehr erinnert die Landschaft an die Arktis |
Außer dem Amerikaner Chuck Engle hat wohl niemand weltweit mehr Marathonsiege zu verzeichnen als der Norweger. Denn von seinen fast zweihundert Wettkämpfen über diese Distanz stand er bei rund drei Vierteln, genau gesagt bei 146 Marathons ganz oben auf dem Treppchen. Trotz der zum Teil recht kleinen skandinavischen Felder handelt es sich keineswegs um Verlegenheitserfolge mangels Konkurrenz. Denn gerade zweimal blieb der mit einer Bestzeit von 2:28 ausgestattete Hafsås bei all seinen ersten Rängen knapp über drei Stunden.
Wie bei einem so kleinen Feld und der eher einfachen Logistik kaum anders zu erwarten, verläuft das Startprozedere ziemlich entspannt und unspektakulär. Keine Musik hämmert schon lange im Vorfeld aus den Boxen. Kein gut bezahlter, aber völlig unsportlicher Ansager versucht da mit wenig sinnvollen Sprüchen im Stile von "seid ihr gut drauf" mühsam gute Laune zu verbreiten oder die Versammelten zur nächsten Welle aufzufordern.
Kurz vor neun wird die knappe Hundertschaft, die sich bis dahin noch scheinbar ziemlich uninteressiert in einiger Entfernung herum drückt, einfach per Zuruf gebeten, jetzt doch langsam einmal an die Linie zu kommen. Und wenig später ist man auch schon unterwegs. Da ist das "Fjelleventyr" eben keineswegs ein "Event" mit großem Rahmenprogramm und wenig Sport. Es ist ein nüchtern, aber solide ausgerichteter Landschaftslauf, der seinen Reiz einzig und allein aus der großartigen Natur am Streckenrand bezieht.
Noch ist diese nicht wirklich spektakulär, der relativ flache Anfangskilometer verläuft entlang des Nedre Sjodalsvatn - so der Name des bereits erwähnten Sees - durch lichten Birkenwald. Aber selbst wenn das für die Skandinavier nun wirklich nichts Besonderes ist, übt auch dieser Abschnitt auf den mitteleuropäischen Besucher aufgrund der so ungewohnten, menschenleeren Landschaft schon eine enorme Faszination aus.
Ein erster kurzer Anstieg führt vom Nedre zum Øvre Sjodalsvatn - also vom "Unteren" zum "Oberen Sjo-Tals-Wasser" - hinauf. Es sind kaum zwanzig Höhenmeter, die man dabei überwindet. Und doch ändert sich dabei schon die Vegetation. Denn vom gerade noch durchlaufenen Wäldchen sind nur noch einzelne Krüppelbirken übrig, die einzig an wenig exponierten Stellen ein wenig höher ausfallen. Man bewegt sich von nun an also im Bereich der Baumgrenze.
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Offene Hochflächen und schroffe Gipfel, die Marathonstrecke zeigt die Landschaft des norwegischen Fjells nahezu perfekt |
Dafür reicht der Blick jetzt aber auch über den deutlich größeren oberen See im Tal des Flüsschens Sjoa bis zu jenem noch schneebedeckten Pass, den man schon von der Hinfahrt kennt und den man erst viele Kilometer später erreichen wird. Die schier endlos erscheinende Weite des norwegischen Fjells, die den Lauf bestimmen wird, hat die Marathonios aufgenommen.
Am Ende der Steigung wartet Bessrond, eine kleine Gruppe von grasbedeckte Holzhütten. Wie auch der ungefähr zwei Kilometer entfernte Heimsanden-Campingplatz befindet sich die winzige Feriensiedlung praktisch irgendwo im Nichts. Selbst das nicht gerade übermäßig groß geratene Beitostølen ist ja vierzig Kilometer entfernt. Rundherum findet man einzig und allein Natur. Viel Abwechslung hat man in einer solchen Umgebung nun wahrlich nicht. Wandern, Skilaufen oder Angeln heißen die Möglichkeiten der Freizeitgestaltung.
Wobei man eventuell noch erwähnen sollte, dass ein engmaschiges Wegenetz, wie man es aus dem deutschsprachigen Raum kennt, nicht im Entferntesten existiert. Nur wenige Pfade durchziehen die nordische Landschaft. Und diese sind keineswegs gut ausgebaut sondern bestehen eigentlich nur aus einer langen Kette von Markierungen auf Steinen und Felsen, zwischen denen man seine Spur selbst suchen muss. Wer sich also ins Fjell hinaus begibt, sollte also durchaus die Fähigkeiten eines Pfadfinders haben.
Dennoch begegnet man bei einer Reise durch den Norden Europas nahezu überall solchen Hütten. Manchmal in losen Gruppen, manchmal völlig einsam mitten in der Wildnis. Auch sieht man regelmäßig in Parkbuchten weitab jeder Ortschaft einzelne Fahrzeuge stehen. Doch Menschen kann man keine dazu entdecken. Diese sind nämlich irgendwo im Fjell unterwegs. Man kann sich des Eindrucks nicht erwahren, dass es viele Skandinavier einfach hinaus in die Einsamkeit ihrer großartigen Natur zieht.
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Während des Laufes erlebt man Rauheit, Weite und Einsamkeit der skandinavischen Bergwelt ziemlich intensiv |
Auch die Straße, auf der man unterwegs ist, lässt einiges von dieser Menschenleere spürbar werden. Denn obwohl sie für den Marathon nicht gesperrt ist, beträgt die Autodichte vielleicht maximal zwei oder drei je zurückgelegten Kilometer. Schon deshalb stört der Verkehr eigentlich kaum. Die Fahrer verhalten sich - vom Vorausfahrzeug und den in regelmäßigen Abständen aufgestellte Schildern gewarnt - im Begegnungsfalls zudem ziemlich rücksichtsvoll.
Doch gewöhnt man sich angesichts der oft engen, kurvigen und unübersichtlichen Streckenführung in Norwegen sowieso einen deutlich vorsichtigeren Fahrstil an. Ständige Bremsbereitschaft ist beinahe selbstverständlich. Wer - wie hierzulande viele Fahrzeuglenker - versuchen würde, immer nur das Recht des Stärkeren durchzusetzen, käme nicht allzu weit. Ohne Ab- und Zugeben geht es auf den Straßen im Norden nicht.
Selbst der in der Anfangsphase entgegenkommende Rundfahrt-Bus - auf allen auch nur halbwegs touristisch interessanten Strecken bilden sie einen recht hohen Anteil am Verkehrsaufkommen - ist unter diesen Umständen dann kein Problem. Und die Passagiere, die zum Teil zwar sicht- aber nicht hörbar applaudieren stellen sogar für einen kurzen Moment einmal so etwas wie Publikum dar. Sehr viel später hätte die Reisegesellschaft aber nicht aufbrechen dürfen.
Denn wegen des zahlenmäßig doch wesentlich stärker besetzten Halbmarathons wird der Fylkesvei ab halb elf dann doch noch für mehrere Stunden komplett gesperrt. Diese Schließung ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil es ja keinerlei Ausweichstrecke gibt. Die kürzeste mögliche Alternativroute führt weiter im Osten über die manchmal als "Nordkaprennstrecke" verspottete E6 durch das Gudbrandsdal und bedeutet mindestens hundert Kilometer Umweg. Da kann man auch fast schon wieder bis zur Wiederöffnung warten.
Relativ schnell sind die ersten Kilometer vorbei gegangen, was nicht nur daran liegt, dass die Laufstrecke entlang des Seeufers weitgehend eben ist und nur ganz leichte Wellen besitzt. Die Läufer haben zudem auch ordentlich Windunterstützung erhalten. So kalt die Luft auch sein mag, sie hat zumindest den Vorteil aus Norden zu kommen. Und bei einem Punkt-zu-Punkt-Kurs, das von Norden nach Süden führt, schiebt sie die Marathonis praktisch während des gesamten Rennens ununterbrochen leicht an.
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An den im Abstand von etwa fünf Kilometern aufgebauten Verpflegungsstellen begegnet man den einzigen Menschen, sonst ist man unterwegs nahezu alleine in der nordischen Natur |
Das nächste Zeichen menschlicher Besiedlung, das man während des Rennens passiert, liegt dann schon in der Nähe des Täfelchens mit der "35" - der Kurs ist rückwärts ausgeschildert, so dass Voll- und Halbmarathon die gleichen Markierungen nutzen können - und heißt "Bessheim Fjellstue". Die "Bergstube" ist eines jener einsamen Hotels, denen man weit entfernt von jeder Ortschaft immer wieder einmal an den durchs Gebirge führenden Straßen begegnet.
Hinter der Übernachtungsstätte verlässt die Straße das Øvre Sjodalsvatn und verläuft in einigem Abstand zum Wasser. Aber obwohl sich das Tal langsam verengt und die Hänge an beiden Seiten näher heran rücken, bleibt es noch eine ganze Zeit ziemlich flach. Das ändert sich erst, als aus dem lang gestreckte See ein in ihn hinein strömender Fluss wird. Dort wo nach ziemlich genau zehn gelaufenen Kilometern der rauschende Oberlauf der Sjoa überquert wird, beginnt schließlich doch der Anstieg zur Passhöhe.
Direkt vor der Brücke zweigt eine kurze Stichstraße hinüber zum Gjende-See ab, an dem der wohl bekannteste Wildwasserfluss Norwegens seinen Weg beginnt. Allerdings hat die von steilen Felswänden umrandete Wasserfläche aus einem ganz anderen Grund im ganzen Land einen Namen. Denn hoch über ihr verläuft Besseggen. Und auf diesen Grat führt die wohl berühmteste Wanderroute entlang, die Norwegen zu bieten hat.
Dafür ist nicht nur die spektakuläre Aussicht verantwortlich, die man auf den Gjende sowie das nur von einer gerade einmal zweihundert Meter schmalen Landbrücke getrennten aber fast vierhundert Meter höher liegende Bessvatn hat. Die Bezeichnung "Sensengrat" hat also sehr wohl ihre Berechtigung. Die beiden verschiedenfarbigen Seen sind jedenfalls ein Foto, ohne das praktisch kein Norwegen-Bildband auskommen kann.
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Immer größer wird die Schneemenge an der Straße, als man sich der Passhöhe nähert |
Doch wird der Grat - auf Norwegisch "egg" oder mit dem zugehörenden männlichem Artikel "eggen", während das ebenfalls mit "egg" zu übersetzende Ei in der bestimmten Form "egget" heißt - eben angeblich auch in Hendrik Ibsens Gedicht Peer Gynt erwähnt, das die starke Umarbeitung eines alten Märchens und für Norwegen fast so etwas ein Nationalepos ist. Der Titelheld reitet darin unter anderem nämlich auf einem Bock über eine messerscharfen Grat. Die Verbindung mit Besseggen ergab sich da fast automatisch.
Fast noch bekannter als das literarische Werk ist allerdings die Musik, die Edvard Grieg für die Bühneversion komponierte. Noch heute zählen einige Teile der Peer-Gynt-Suite zu den populärsten klassischen Motiven überhaupt. Insbesondere der "Morgenstimmung" überschriebene erste Satz wird nicht nur als Hintergrundmelodie für Film und Fernsehen sondern auch in der Werbung immer wieder verwendet.
Selbst wenn viele Kritiker der Meinung sind, das in Teilen durchaus kritische, moderne literarische Stück sowie die dafür eigens geschriebene, eher romantische Musik würden eigentlich gar nicht richtig zusammen passen, bildet die Geschichte vom Aufschneider, Lügner und Abenteurer Peer Gynt die Klammer zwischen dem vielleicht bekanntesten norwegischen Dichter und dem wohl berühmtesten Komponisten des kleinen Landes.
Angeblich muss und soll jeder Norweger irgendwann in seinem Leben einmal diesen Weg gegangen sein. Aber alleine die ziemlich umständliche Anfahrt sorgt dafür, dass diese Behauptung gar nicht realistisch sein kann. Denn auf dem Gjende-See verkehrende Boote bringen die Wanderer vom Ende der Straße an der "Turisthytte" Gjendesheim zum Ausgangspunkt des Pfades bei der Merembu-Hütte. Der Rückweg mit rund tausend Metern Auf- und Abstieg dauert dann mindestens eine halben Tag.
In weiten Bögen und sanftem, ziemlich gleichmäßigem Anstieg zieht sich die Straße nun den Hang hinauf. Das wäre durchaus typisch für das skandinavische Fjell. Und auf der linken Seite der Läufer erstrecken sich tatsächlich jene weiten nur sanft gewellten Flächen, die man international mit diesem Begriff bezeichnet. Doch sind rechter Hand nun auch die wesentlich schrofferen und zum Teil über zweitausend Meter aufragenden Ausläufer des Jotunheimen-Gebirges zum Greifen nah.
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In der Nähe der Gaststätte "Valdresflya" ist auf 1389 Meter der Scheitelpunkt der Strecke erreicht |
Auch die letzten Krüppelbirken bleiben irgendwann zurück. Jetzt herrscht eine an arktische Tundra erinnernde Vegetation mit Moosen, Flechten und robusten, niedrigen Gräsern vor. "Snaufjell" nennen die Norweger in einer ziemlich feinen Abstufung diese Zone - auf Deutsch "Kahlfjell". Wo sich auch die zähen Pflanzen nicht mehr richtig halten können, beginnt dann das "Høyfjell" - übersetzt "Hochfjell" - in dem nur noch Felsen und Steine das Bild bestimmen.
Aus ersten Schneeflecken, die sich am Rande der Straße in von der Sonne nur schwer erreichbaren Senken gehalten haben, werden im Verlauf des Anstieges größere Flächen. Immer stärker wird dabei das Gefühl, in die Polarregion hinein zu laufen. Und mit praktisch jedem Meter, den man nach oben klettert, wird auch der Ausblick auf die Berge imposanter.
Es sind nicht die großen Veränderungen, die das Rennen so eindrucksvoll machen. Nicht hinter jeder Ecke wartet ein neues Panorama, wie es bei den sich aus engen Tälern nach oben schraubenden Bergmarathons in den Alpen oft der Fall ist. Vielmehr ist gerade dieser langsame Übergang zwischen den einzelnen Stufen, den man bei der Fahrt mit dem Auto in dieser Intensität einfach nicht erleben kann, das besonders Faszinierende. Auf der Marathonstrecke bekommt man die ganze Bandbreite der verschiedenen Landschaften des norwegischen Fjells präsentiert.
Inzwischen ist man auch ins Gebiet jener gerade einmal dreitausend Einwohner zählende aber fast tausend Quadratkilometer umfassende Gemeinde Øystre Slidre hinüber gewechselt, zu der auch der Ort Beitostølen gehört. Bisher war man nämlich einzig und allein in der sowohl bezüglich nach Bevölkerung wie auch bezüglich der Ausdehnung noch um ein Drittel größeren "Vågå Kommune" unterwegs. Und das obwohl der gleichnamige Hauptort eine volle Fahrstunde nördlich des Startpunktes zu finden ist.
Selbst wenn die beiden damit eher zu den durchschnittlichen Gemeinden des Landes zählen, übertreffen sie die Fläche der deutschen Hauptstadt Berlin deutlich. Und nicht einmal die Hälfte aller Schweizer Kantone kommt größenmäßig an sie heran. Schon aufgrund der deutlich dünneren Besiedlung sind die Areale in Skandinavien schließlich wesentlich weiter geschnitten. Abgesehen von einem kleinen Zipfel der Kommune Vang wird die Strecke des Fjellmaraton auch in der Folge jedenfalls kein anderes Gemeindegebiet mehr berühren.
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Hinter dem Pass geht es mit grandioser Aussicht kilometerlang leicht bergab, Knut Erichsen (links) kennt nach mehr als einem halben Dutzend Starts auch diesen Abschnitt ziemlich gut |
Eine Verpflegungsstelle sorgt dafür, dass ein zumindest paar Menschen die Einsamkeit beleben. Abgesehen von den im Abstand von ungefähr fünf Kilometern aufgebauten Posten ist man während des gesamten Laufes schließlich nahezu alleine in der nordischen Natur. Dick eingepackt warten einige Helfer darauf, an die inzwischen ebenfalls ziemlich vereinzelt eintreffenden Marathonis Wasser, Elektrolytgetränke oder Cola zu verteilen.
Damit die Getränke in diesem doch recht zugigen Gelände bei jeder Windböe durch die Gegend fliegen, hat man sich übrigens etwas ziemlich Pfiffiges einfallen lassen. Denn anstelle eines Tisches ist an den Versorgungspunkten ein mit Maschendraht bespanntes Holzgestell aufgebaut, in das man die Becher stecken kann, damit diese ausreichend Halt haben. Aus dieser Konstruktion können sie zwar nicht unbedingt im vollen Lauf aufgenommen, aber immerhin von den Helfern in ausreichender Zahl vorbereitet und bei ganz Eiligen auch problemlos angereicht werden.
Bald darauf ist aus anfangs nur vereinzelten Schneefeldern dann endgültig eine geschlossene Schneedecke geworden. Erst einmal fällt diese eher niedrig aus. Doch mit der Zeit türmt sie sich schließlich zu hohen Wänden auf beiden Seiten der Straße auf. In der Nähe der Passhöhe erreichen sie an manchen Stellen zwei bis drei Meter. Fast wie in einer Bobbahn und sich auf einmal ziemlich klein kommt man sich dabei vor.
Auch der Fylkesvei 51 ist den im Winter über viele Monate gesperrt. Und die Schneemassen, die auf dieser "Valdresflya" genannten Hochfläche auch Anfang Juni noch liegen, belegen eindrucksvoll warum. Hohe Stangen am Rand sollen dem Räumdienst zeigen, wo sich die Straße überhaupt befindet, wenn man Übergang am Anfang des Sommers vom Schnee befreit. Sie sind unverkennbar auch nötig.
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Sechzehn Kilometer vor dem Ziel liegt der Schnee noch mehrere Meter hoch |
Dort wo die ohnehin relativ erträgliche Steigung - auf zehn Kilometern werden ungefähr vierhundert Höhenmeter überwunden - noch einmal deutlich abflacht, befindet sich der Startpunkt für den Halbmarathon. Und gerade die Bilder von diesem mehrhundert Köpfe zählenden Feld, das sich zwischen den von Winter übrig geblieben Wällen auf die Reise geht, sind so etwas wie das Markenzeichen des Fjellmaraton.
Natürlich könnte man das Rennen auch im Spätsommer starten, wenn von den immensen Niederschlägen der kalten Jahreszeit nicht mehr viel zu sehen ist und Valdresflya sich als von Hochmooren durchsetzte Snaufjell-Ebene - die Norweger nennen diese Landschaftstyp "vidde", ein Wort, das seine gemeinsame Herkunft mit dem deutschen "Weite" kaum verheimlichen kann - präsentiert. Doch natürlich hat man den Termin Anfang Juni mit Absicht gewählt, um den Läufern dieses spektakuläre Erlebnis zu gönnen.
Nicht immer fallen die Wände dann allerdings tatsächlich so imposant aus wie dieser Auflage. Denn der skandinavische Winter 2011/2012 war nach dem eher bescheidenen Beginn, der ja den Weltcup von Beitostølen verhinderte, wohl besonders schneereich. Einige der sonst auch schon einmal im frühen Mai geöffneten norwegischen Passstraßen sind zum Zeitpunkt des Marathons gerade erst ein paar Tage freigegeben, manche sogar noch immer gesperrt.
Und was man beim Fjellmaraton an Schnee zu sehen bekommt, ist bei weitem noch nicht rekordverdächtig. Andere Passstraßen wie zum Beispiel der Sognefjellvei warten - insbesondere wenn sie ein wenig näher am Meer und damit auch nicht so stark im Windschatten des Gebirges liegen - an manchen Stellen durchaus auch mit drei oder vier Metern auf. Die Vermutung, dass diese bis zu den ersten neuen Schneefällen im Herbst nicht vollständig verschwunden sein dürften, ist sicher nicht allzu weit her geholt.
Vom Schild am Straßenrand, das auf 1389 Metern über dem Meer den Scheitelpunkt der Strecke markiert, ragt nur die blaue Tafel heraus. Ohne sie ließe sich mit bloßem Auge überhaupt nicht erkennen, dass man nun wirklich die höchste Stelle erreicht hat. Denn für ein ganzes Stück verläuft die Straße in dieser Passage nun wieder nahezu vollkommen eben. Viel typischer kann ein Übergang zwischen zwei Tälern im skandinavischen Fjell eigentlich gar nicht ausfallen.
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Selbst im Juni liegen die Temperaturen trotz strahlender Sonne nur wenige Grad über dem Gefrierpunkt |
Nur wenige Meter entfernt versteckt sich die wie der Pass "Valdresflya" heißende Gaststätte und Herberge hinter dem Schnee. Zwar sind die Zufahrt und der Parkplatz freigeräumt. Doch viel mehr als die Dächer der Gebäude kann man von der Straße dennoch nicht zu erkennen. An dieser Stelle haben die Busse, mit denen die Halbmarathonis herauf gebracht wurden, gedreht. Selbst wenn man gar nicht dabei war, ist das unschwer zu erraten. Denn viele Kilometer lang gibt es auf der engen Straße gar keine andere Wendemöglichkeit für so große Fahrzeuge.
Das letzte Stück zu ihrem rund einen Kilometer entfernten Startpunkt mussten die Läufer dann zu Fuß zurück legen. Die Zeiten sind allerdings so gewählt, dass die schnellsten Langstreckler bereits längst passiert haben, als das Feld auf die einundzwanzig Kilometer lange Strecke geschickt wird. Und angesichts eines Abstandes von zwei Stunden haben die Verfolger eigentlich keine Chance, sie einzuholen. Der Marathonsieger soll der Erste sein, der das Ziel erreicht und nicht in der Masse untergehen.
Ziemlich exakt siebenundachtzig Minuten sind seit dem Start des Rennens erst vergangen, da ist Vorjahressieger Gjermund Sørstad bereits an den sich langsam vorbereitenden Halbdistanzlern vorbei geeilt. Als einziger schafft er die erste - allerdings von Profil her auch schwerere - Hälfte unter eineinhalb Stunden. Kim Are Bull Hansen, der diesen Punkt als Zweiter passiert, liegt bereits über drei Minuten zurück.
Ganze sechs Männer sind schneller als Anita Håkenstad Evertsen, die als erste Frau den Pass überquert. Doch ist das nicht unbedingt erstaunlich. Schließlich handelt es sich bei der Vierundvierzigjährigen um die mit Abstand bekannteste Athletin am Start. Alleine ihre Marathon-Bestzeit von 2:30:08 ist aussagekräftig genug. Ende der Neunziger nahm sie dann auch im norwegischen Nationaltrikot an Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen teil.
Ein Sieg beim Stockholm Marathon des Jahres 1997 lässt sich ebenso in ihrer Erfolgsliste finden wie mehrere vordere Platzierungen bei den deutschen Läufen von Berlin, wo sie 1996 ihre Bestzeit erzielte, und Frankfurt. Und auch im Berglauf war Anita Håkenstad Evertsen schon ziemlich erfolgreich. Neben mehreren norwegischen Meistertiteln und etlichen Streckenrekorden bei skandinavischen Rennen steht da nämlich auch ein erster Rang beim Jungfrau Marathon zu Buche.
Vor allen Dingen startet sie aber seit langem für den Øystre Slidre IL, also genau jenen Verein der für den Fjellmaraton verantwortlich zeichnet - und in der üblichen Abkürzung "ØSIL" beinahe an einen deutschen Fußballer erinnert. Håkenstad Evertsen hat also ein absolutes Heimspiel. Da verwundert es im Nachhinein wenig, dass sich das Kamerateam, das den Lauf begleitet, vor dem Start ziemlich auf sie konzentriert hatte.
Selbst wenn die Temperaturen am Start noch mehrere Grad über dem Nullpunkt gelegen haben dürften, auf der deutlich höheren Valdresflya kommen sie zwischen den Schneewänden ganz sicher ziemlich nahe an den Gefrierpunkt heran. Doch die auf Klage, so kalt habe man sich das nun doch nicht unbedingt vorgestellt, kontert der gerade als Begleiter ausgesuchte Knut Erichsen nur trocken, immerhin würde es ja nicht regnen.
Denn die ursprüngliche "long term prediction" - fast schon selbstverständlich führt er das Gespräch mit dem des Norwegischen nur sehr bedingt mächtigen ausländischen Gast auf Englisch - hätte noch Anfang der Woche für den Rennsamstag heftige Niederschläge verkündet. Das mag man sich schon in diesem Moment lieber nicht vorstellen.
Und die Erfahrungen, die man am nächsten Tag machen kann, als die Regenfront tatsächlich durch das norwegische Fjell zieht, die Berge spätestens ab Höhe der Baumgrenze in dichte Wolken gehüllt sind und der Wind die Wassertropfen durch die kahle Landschaft peitscht, lassen die Kälte tatsächlich als ein nebensächliches Detail erscheinen. Denn ansonsten ist das Wetter tatsächlich perfekt. Die Aussicht, die man von der sich nun langsam nach unten neigenden Straße hat, sind deswegen auch jenseits des Scheitelpunktes grandios.
Der Fjellmaraton sei genau deshalb einer seiner absoluten Lieblingsläufe erzählt der drahtige Senior Erichsen, der mit 4:15:16 Zweiter der Klasse M65 werden wird. Schon weit über ein halbes Dutzend Mal wäre er dabei gewesen. Noch häufiger hätte er allerdings den Nordmarka Skogsmaraton am Rande von Oslo absolviert. Er kann sich sogar erinnern, dort im Vorjahr dem die Kamera zückenden, laufenden Reporter schon einmal kurz begegnet zu sein.
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Das letzte Drittel der Distanz beginnt mit herrliches Aussicht auf den See Vinstre, Niels Mortensen (links) findet sie sichtbar großartig |
Von den bisher achtzehn Austragungen habe er jedenfalls bisher gerade einmal zwei verpasst, berichtet er nicht ohne einen gewissen Stolz. Doch würde er eben nur wenige Steinwürfe vom Startplatz entfernt wohnen und hätte in den riesigen Waldgebieten im Norden der Hauptstadt seine Trainingstrecken. Da sei es fast schon Pflicht auch zum dortigen Marathon anzutreten.
Sieben bis acht Kilometer führt die Straße über die Valdresflya praktisch ohne jede Biegung ziemlich genau von Nord nach Süd. Das ist durchaus erwähnenswert, schließlich ist ein solcher Straßenverlauf im gebirgigen und von unzähligen Wasserflächen jeder nur denkbaren Größe durchsetzten Norwegen die absolute Ausnahme. Die meisten Pisten sind vielmehr so kurvig, dass - gelegentlich tatsächlich aufgestellte - Warnschilder eigentlich völlig überflüssig erscheinen. Viel eher könnte man diese dort postieren, wo einmal für längere Zeit keine Kurve kommt.
So läuft man unentwegt auf eine sich markant am Horizont erhebende Bergspitze zu. Das Bitihorn kann mit seinen 1608 Metern Höhe zwar nicht mit jenen Bergen mithalten, die man nun im Rücken hat. Doch aufgrund seiner ziemlich unverwechselbaren Form mit einer fast senkrechten Felswand und der exponierten Lage in der südöstlichsten Ecke des Jotunheimen-Gebirges dominiert es trotzdem die Landschaft.
"Fantastisk" entfährt es Niels Mortensen angesichts der Ausblicke, während er mit viel Schwung die Gefällestrecke hinunter eilt, auf der innerhalb von fünf bis sechs Kilometern wieder mehr als dreihundert der mühsam erarbeiteten Höhenmeter verloren gehen. Was er damit meint, ist auch ohne tiefere Kenntnis skandinavischer Sprachen klar. Denn in welcher von ihnen er das in allen gleichlautende "fantastisch" nun gesagt hat, ist nicht ganz klar.
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Die Strecke senkt sich hinunter zum ziemlich trocken liegenden See Bygdin | nur um kurz darauf noch einmal mehr als hundert Höhenmeter nach oben zu führen |
Obwohl er inzwischen in Norwegen lebt, kommt Mortensen, wie die Ergebnisliste zeigt, nämlich eigentlich aus "Danmark". Die Begeisterung für die norwegischen Berge ergibt sich aber keineswegs nur aus dem Kontrast zu seiner ziemlich flachen Heimat, deren höchster Punkt keine zweihundert Meter über dem Meer liegt. Auch alle Einheimischen, mit denen man unterwegs redet, schwärmen schließlich von der herrlichen Landschaft entlang der Strecke.
Hinter den langsam wieder niedriger werdenden Schneewällen taucht der größtenteils noch mit Eis bedeckte See Vinstre unten im Tal auf. Er läutet das letzte Drittel der Distanz ein. Denn wenig später ist die kleine Tafel mit der "14" erreicht. Die Neigung der Straße legt noch einmal ein oder zwei Prozentpunkte zu. Und nach der langen - aber dennoch keineswegs endlos erscheinenden - Gerade über die Hochfläche der Valdresflya lehnt sich das Asphaltband nun wieder deutlich drehender an einen Hang an.
Die im Sonnenschein glitzernde Wasserfläche kommt während des leicht kurvigen Abstieges stetig näher und scheint für eine Zeit lang direkt unterhalb der Straße zu liegen. Per Johan Helset lässt darüber einige begeisterte Worte in seiner Muttersprache fallen. Und er wiederholt sie gleich noch einmal auf Englisch als er darauf das längst perfektionierte "Jeg er Tysker, jeg snakker litt norsk" - "Ich bin Deutscher, ich spreche wenig Norwegisch" - zu hören bekommt.
Schon eine kurze Bemerkung reicht in der Regel, um diese Tür zu öffnen. Skandinavier erwarten schließlich nicht unbedingt, dass man ihre Sprache beherrscht. Wer sich dennoch einen kleinen Wortschatz mit mehreren Dutzend norwegischen Brocken und einige fertig vorbereitete Halbsätze zulegt, kann deshalb ziemlichen Eindruck schinden. Manchmal ist es fast peinlich, wenn man für wenige im Gespräch verwendete Redewendungen zu hören bekommt, das "norsk" sei "bra" - also "gut".
Helset plappert anschließend munter weiter und deutet dabei auf seine Startnummer. Denn eine "200" trägt er vor dem Bauch. Das ist viel mehr, als im Marathon Läufer gemeldet sind, und glaubt man dem Informationsblatt überhaupt die höchste Ziffernfolge im für die Langdistanz reservierten Nummernkreis. Er habe sie bekommen, weil er an diesem Tag seinen zweihundersten Marathon absolvieren möchte.
Aber der Achtundsechzigjährige läuft nicht nur lange Strecken, er legt sie auch im Wasser zurück. Es gäbe in Norwegen Schwimmwettkämpfe, erzählt er, bei denen man einen Fjord komplett durchqueren würde. Und von denen habe er ebenfalls schon einige mitgemacht. Unter anderem sei er dabei schon über den nicht nur mehrere Kilometer breiten sondern auch über einen Kilometer tiefen Sognefjord geschwommen.
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Am "Båtskaret" ist mit 1166 Metern auch die zweite Kuppe erreicht |
Da Per Johan Helset ein wenig langsamer unterwegs ist und am Ende über fünf Stunden benötigen wird, darf er beim Fjellmaraton übrigens wie einige andere schon dreißig Minuten früher auf die Strecke gehen. In dieser frühen Phase stört das wenig. Die Schnellsten haben den Vorsprung sowieso nach gut zehn Kilometern aufgeholt. Doch zum Ende hin passt es wesentlich besser in den Zeitplan, wenn man nicht so lange auf die Letzten warten muss. Und die Helfer unterwegs können ebenfalls eine halbe Stunde früher Feierabend machen.
Das am Ende dann doch wieder als Gerade, nun aber in Ost-West-Richtung verlaufende Gefälle endet an einer kleinen Häusergruppe, an der eine Brücke über einen ziemlich wasserlos wirkenden Bach führt. Noch auffälliger ist jedoch das Schiff, das hinter den Gebäuden ebenfalls auf dem Trockenen sitzt. Im Normalfall erstreckt sich hinter der "Bygdin" heißenden kleinen Siedlung mit einer weiteren "Turisthytte" nämlich der gleichnamige See.
Doch im Gegensatz zum aus ihm gespeisten Vinstre oder dem parallel zu ihm liegenden Gjende wird der Bygdin mit einem Damm reguliert. Für Norwegen, das nahezu seinen gesamten Energiebedarf über Wasserkraft deckt, ist das keineswegs ungewöhnlich. Der Wasserspiegel schwankt je nach Bedarf deshalb um etliche Meter. Und nun ist der Bygdin ziemlich leer gelaufen. Mit dem Schiff, das wie beim nördlichen Nachbarn sonst über den lang gestreckten Gletschersee zum anderen Ende verkehrt, werden zurzeit jedenfalls keine Touristen befördert.
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Das Båtskaret ist ein schmaler Durchlass am Fuße des Bitihorns, das mit seinen mehr als sechzehnhundert Metern und markanter Form die Gegend dominiert |
Ein weiteres Mal führt die Laufstrecke nun bergan. Denn zwischen den Läufern und dem gerade noch ein Dutzend Kilometer entfernten Ziel in Beitostølen liegt noch eine Kuppe, die zweite an diesem Tag. Am Fuße des Bitihorns, das so lange das Bild bestimmt, sich dann aber doch für einen Moment wieder versteckt hatte, beginnt der erneute Anstieg.
Wieder gilt es dabei mehr als hundert Höhenmeter zu überwinden. Allerdings ist die Steigung in der Anfangsphase eher moderat. Manchmal verläuft die Straße zwischendurch sogar nahezu vollständig eben. Und wie schon auf dem Weg hinauf zur Valdresflya wird in der Folge selbst während der steilsten Passagen die Marke von zehn Prozent nicht im Entferntesten erreicht.
Auf 1166 Metern über dem Meer ist dann auch der zweite Scheitelpunkt erklommen. Und obwohl er deutlich niedriger liegt als die erste überwundene Höhe und die Zufahrtsrampen keineswegs steil oder extrem kurvig sind, erinnert das Ganze doch schon ein wenig mehr an das, was man sich gemeinhin unter einem Gebirgspass vorstellt. Auf der rechten Seite erhebt sich nämlich unweit der Straße die rund vierhundert Meter hohe Steilwand des Bitihorns. Und auch in der anderen Richtung steigt das Gelände sichtbar und zudem recht felsig an.
Ein Stück hinter der höchsten Stelle rücken sich beide Hänge den Läufern bedenklich nahe und verengen sich zu einem schmalen Durchlass. "Båtskaret" heißt dieser Lücke, in der knapp acht Kilometer vor dem Ziel die vorletzte Verpflegungsstelle aufgebaut ist. Die Übersetzung des Namens, mag im ersten Moment ziemlich seltsam erscheinen, denn sie lautet "Boot-Scharte".
Doch hat sie durchaus einen tieferen Sinn. Denn um den fischreichen Vinstre gab es zwischen der Bevölkerung des Gudbrandsdals, wohin der See entwässert, und der "befolkning" der Region Valdres, die spätestens jenseits dieses Durchlasses beginnt, zu der man manchmal allerdings auch noch die Seen Bygdin und Vinstre zählt, lange Zeit einen erbitterten Streit.
Die zum Fischen benötigten Boote einfach am Ufer zurück zu lassen, war für die Valdres-Bewohner darum nicht möglich. Denn sonst hätte die große Gefahr bestanden, dass sie von den Rivalen beschädigt oder gar völlig zerstört worden wären. Also wurden sie jedes Mal mit erheblichem Aufwand über den Pass hin und wieder zurück transportiert.
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Hinter der zweiten Passhöhe läuft man in die etwas weniger rau wirkende Landschaft des Valdres hinein |
Wie schon bei der Halbmarathonmarke gibt es auch am Båtskaret eine Bergwertung. Zehn Minuten bevor ein Stück hinter der Passhöhe der sieben Kilometer lange "Miniton" gestartet wird, passiert der noch immer mit großem Abstand führende Gjermund Sørstad diesen Punkt. Als der inzwischen auf Rang zwei liegende Vidar Kvernvold durchläuft, haben die Kurzstreckler dagegen nur noch gut zwei Minuten zu warten.
Bei den Damen ist auch beim zweiten "Fjellpris" weiter Anita Håkenstad Evertsen in Front. Doch ist der zwischenzeitlich einmal beinahe sechs Minuten betragende Vorsprung vor Marte Pedersen auf gerade einmal die Hälfte geschrumpft. Den zweiten Anstieg hat die achtzehn Jahre jüngere Pedersen also deutlich schneller bewältigt als die routinierte Lokalmatadorin.
Jenseits des Båtskaret verändert sich die vor den Läufern liegende Landschaft relativ abrupt. Denn selbst wenn auch der letzte Teil der Strecke praktisch ausschließlich durchs einsame nordische Fjell führt, ist das Valdres, in das man nun hinein läuft, deutlich weniger rau und schroff. Vor den Marathonis erstreckt sich jetzt vielmehr ein eher hügeliges Mittelgebirgsprofil.
Mit dem Bitihorn - das als einziger echter Berg das Gelände weithin sichtbar überragt und deshalb eine Art Wahrzeichen für das Tal und die Gemeinde Øystre Slidre darstellt - im Rücken, geht es die letzten sieben Kilometer stetig bergab hinunter zum Ziel im Zentrum von Beitostølen. Die ungefähr zweihundert Meter, die dabei verloren werden, geben dem Gefälle eine eher sanfte, aber dennoch deutlich spürbare Neigung, die selbst in der Schlussphase angenehm zu laufen ist. Die Marathonis kommen so ziemlich genau auf ihr Ausgangsniveau am Start zurück.
Während sich Gjermund Sørstad den Sieg bei den Herren in 2:43:35 nicht mehr nehmen lässt und seinen Erfolg aus dem Vorjahr in überzeugender Manier - er ist nicht nur insgesamt sondern auch auf jedem den fünf Kilometer langen Teilabschnitte der Schnellste - wiederholt, wird es im Frauenrennen noch einmal richtig spannend.
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Auch der letzte Teil der Strecke führt praktisch ausschließlich durchs einsame nordische Fjell |
Zwar liegt Anita Håkenstad Evertsen auch fünf Kilometer vor dem Ziel, als nach rund dreißig Kilometern im Snaufjell am Straßenrand langsam wieder die ersten kleinen Bäume auftauchen, noch in Führung. Doch innerhalb von gerade einmal zwei Kilometern hat sich der Abstand um eine weitere Minute verringert. Und auf der in weiten Bögen verlaufenden Straße kann Marte Pedersen die immer stärker einbrechende Favoritin bereits anvisieren, selbst wenn beide nun in den Schwanz des kurz zuvor gestarteten Miniton-Feldes hinein stoßen.
Über vierhundert Teilnehmer werden dort gezählt. Und etwas mehr als die Hälfte von ihnen sind Frauen. Schnellste von ihnen ist mit der 24:52 laufenden Britin Hannah Whitelam von den Hallamshire Harriers aus Sheffield eine der wenigen Ausländerinnen am Start. Wirklich groß ist ihr Vorsprung auf der allerdings auch recht kurzen Distanz jedoch nicht. In 25:14 folgt Åse Klinkenberg als Zweite. Und bereits nach 25:36 ist mit Thine Wilkens Jernberg das Siegertreppchen komplett besetzt.
Sogar noch enger geht es bei den Männern zu. Denn zwischen Sieger Knut Lium mit seinen 21:35 und Vegard Galaaen auf dem undankbaren vierten Platz liegen gerade einmal vierundzwanzig Sekunden. Dazwischen werden noch die Chips von Andemariam Teweldebrhan (21:45) und Kjetil Andre Bjerkrheim (21:54) im Ziel von Beitostølen registriert.
Fast zeitgleich mit der Spitzengruppe des kürzesten Rennens kommen auch die Verfolger auf der Marathondistanz an. Denn für Vidar Kvernvold, der Kim Are Bull Hansen auf den letzten zehn Kilometern als erster Verfolger abgelöst hat, wird mit 2:52:46 gestoppt. Auch Christian Aarstad Odgaard schließt am Båtskaret die Lücke zu Hansen und kann dem so lange auf Platz zwei Liegenden im anschließenden Gefälle noch neunzig Sekunden abnehmen. In 2:53:57 wird er Dritter, während der 2:55:27 laufende Kim Are Bull Hansen am Ende auf Rang vier zurück fällt.
Noch ein fünfter Läufer, bleibt unter der Drei-Stunden-Marke und sorgt angesichts gerade einmal fünfundneunzig Einträgen in der Ergebnisliste trotz der schweren Strecke für eine durchaus beachtliche Leistungsdichte. Per Briskelund kann sich nach 2:56:06 die Medaille umhängen lassen, deren Band wie meist in Norwegen in den Farben der Nationalflagge gehalten ist und die als Motiv den Hausberg von Beitostølen, das Bitihorn zeigt.
Lange bevor die letzten Kurzstreckler im Ziel sind, kommen auch schon die besten Halbmarathonläufer in den Wintersportort hinein gerauscht und stellen so einen nahtlosen Übergang und eine ziemlich gleichmäßige Auslastung des Zielbereiche sicher. Zwar darf man die erzielten Leistungen angesichts von rund fünfhundert Metern Nettogefälle sicher nicht überbewerten. Doch ist eine Siegerzeit von 1:11:58 natürlich trotzdem aller Ehren wert.
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Mit dem Bitihorn im Rücken geht es sieben Kilometer stetig bergab zum Ziel im Zentrum von Beitostølen |
Endre Aamodt heißt der noch in der Jugendkasse antretende Sportler, von dem dieser Wert auf den Asphalt gelegt wird. Allerdings muss er sich dennoch ziemlich strecken, um Andreas Kullerud Larsen auf Distanz zu halten, denn dieser ist gerade zwölf Sekunden langsamer. Noch enger geht das Rennen um den letzten freien Platz auf dem Podest aus. Ganze zwei Sekunden läuft nämlich der aus Viborg in Dänemark stammende Sune Andersen mit 1:13:43 auf Rune Kvikstad heraus.
Noch drei weitere Herren sind innerhalb der nächsten Minute im Ziel, dann kann der Sprecher mit Marthe Katrine Myhre bereits die erste Frau begrüßen. In den vergangenen beiden Jahren war sie beim Marathon siegreich und hatte dabei 2011 die drei Stunden um gerade einmal eine halbe Minute verpasst. Diesmal gewinnt sie in 1:14:33 auch auf der halb so langen Distanz ganz überlegen.
Bis Nina Wavik Yttertad nach 1:21:49 als Zweite einläuft, hat Myhre schon längst die ersten Becher an der Zielversorgung ausgetrunken. Ein wenig enger wird es dann nur um Platz drei, wo mit Hanne Lybeck (1:24:06), Annvor Sletvold (1:24:54) und Arnlaug Wangensteen (1:25:36) immerhin drei Läuferinnen bis zum Schluss in Sichtweite zueinander liegen. Fast zweihundert der ziemlich genau Teilnehmer sind auch auf dieser Distanz übrigens weiblich.
Der durchaus clever gewählte Kombination der Startzeiten sorgt dafür, dass genau in dem Moment, in dem die Welle der Halbmarathonläufer etwas abebbt, die zur Mittagszeit im ein wenig außerhalb des Ortes gelegenen Skistadion gestarteten Zehner den "Staffelstab" übernehmen. Nur die letzten Meter ihres Rennens absolvieren sie auf dem Asphalt der Hauptstraße. Der Rest ihrer Strecke führt sie durchs nicht immer trockene Gelände. Und so sieht dann auch so mancher von ihnen bei der Zielankunft doch ziemlich verspritzt aus.
Neben dem auf dem keineswegs einfachen Kurs 37:39 benötigenden und gerade einmal fünfzehn Jahre alten Sieger Joakim Sødal bleiben mit Jonas Skiptvet (38:13), Henrik Bakke (39:22), Petter Soleng Skinstad (39:39) und Bjørn Egil Nordseth (39:51) noch vier weitere Läufer unter der Vierzig-Minuten-Marke.
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Dank geschickter Kombination der Startzeiten herrscht im Zielbereich für mehrere Stunden ständig Betrieb |
Bei den Damen, die auch auf diese Strecke zahlenmäßig beinahe gleich stark wie die Herren - das Verhältnis lautet 145 zu 121 - vertreten sind, liegt Maren Wangensteen in 42:04 vorne. Anne Grete Bleken hat mit 45:38 einen schon ziemlich deutlichen Abstand. Noch deutlich weiter ist Tina Knutsmoen nach 46:57 als Dritte zurück.
Bleibt noch die Auflösung, welche Frau denn im Marathon als Erste das Ziel erreicht. Es ist nicht die große Favoritin Anita Håkenstad Evertsen. Die ersten Hütten des recht sich weit in die umgebende Landschaft hinaus verlierenden Beitostølen sind schon erreicht, da fliegt Marte Pedersen tatsächlich noch heran und an ihr vorbei. Dreieinhalb Minuten verliert Håkenstad Evertsen auf den letzten fünf Minuten gegen ihre deutlich jüngere Konkurrentin, die nach 3:08:41 über ihren Überraschungscoup jubeln darf.
Die am Ende etwas resignierende Anita Håkenstad Evertsen folgt in 3:09:50. Zwei Wochen später wird sie sich als kleines Trostpflaster für den verpassten Heimsieg in Geiranger schadlos halten und den dortigen Berghalbmarathon überlegen für sich entscheiden. Angesichts dieses extrem spannenden Duells wird aus dem dritten Platz für Åslaug Golf Kaardal nach 3:17:12 trotz keineswegs schlechter Zeit kaum mehr als eine Randbemerkung.
Während die Frauen auf den anderen Distanzen durchaus zahlreich vertreten sind, machen sie sich beim Marathon dann doch ziemlich rar. Gerade einmal dreizehn von ihnen werden im Ziel registriert. In diesem Bereich gäbe es für die Macher des Fjelleventyr auf der Suche nach Teilnehmern also durchaus noch beträchtliches Potential.
Doch wohl deutlich größere Zuwächse könnte man vielleicht verbuchen, wenn sich endlich einmal herum sprechen würde, welches Juwel da am Rande des Jotunheimen-Gebirgsstockes schlummert. Ein wenig müssten die Organisatoren allerdings auch dafür tun, indem sie ihre Informationen nicht so sehr verstecken, so dass sie nur von absoluten Norwegenfans mit zumindest bescheidenen Norwegisch-Kenntnissen entdeckt und verstanden werden können.
Ende der Neunziger hatten zwei amerikanische Journalisten in dicken Büchern eine Vielzahl von Marathons beschrieben und dabei verschiedene Ranglisten erstellt. Als schönste Marathons der Welt wurden von ihnen der Big Sur Marathon entlang der unter dem Namen "Highway One" berühmten kalifornischen Küstenstraße und - eventuell um sich nicht des Vorwurfes der zu großen nationalen Brille auszusetzen - der Jungfrau Marathon in der Schweiz benannt.
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Insgesamt rund zweitausend Teilnehmer samt Anhang füllen das gerade dreihundert feste Einwohner zählende Beitostølen |
Natürlich ist so eine Bewertung immer subjektiv. Je nach persönlichem Geschmack könnte man durchaus auch noch weitere Läufe nennen. Jeder versteht unter "schön" schließlich etwas anders. Zumal sich die Szene ja außerdem noch ständig verändert und neue Rennen, die Bühne betreten. Der mit dem Jungfrau Marathon wohl durchaus vergleichbare Lauf in Zermatt zum Beispiel existierte zum Zeitpunkt der Bewertung noch gar nicht.
Andere Rennen werben gar mit entsprechenden Eigenbezeichnungen, um sich in Position zu bringen. Der Two Oceans Marathon von Kapstadt tritt zum Beispiel überall als "the world's most beautiful marathon" auf. Ähnliche Sprüche sind von Skandinaviern zwar kaum zu erwarten. Doch kann man bei der Diskussion durchaus auch einmal den "Norske Fjellmaraton" in den Ring werfen.
Welcher Lauf denn nun wirklich "der Schönste" ist, muss selbstverständlich jeder für sich selbst entscheiden.
Wenn man allerdings diese unglaublich faszinierende norwegische Variante eines Bergmarathon noch nicht persönlich in Augenschein genommen hat, dürfte man wirklich einen der Titelkandidaten verpasst haben.
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Bericht und Fotos von Ralf Klink Infos und Ergebnisse fjellmaraton.no Zurück zu REISEN + LAUFEN aktuell im LaufReport HIER |
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