Vor 10 Jahren verstorben:

Dr. habil. Karl Lennartz

Erinnerungen an einen
außergewöhnlichen Menschen

Foto: Lennartz privat

von Wolfgang W. Schüler im April 2024 

Es gibt Menschen, die behält man einfach in Erinnerung. Zu diesen gehört für mich Karl Lennartz, seines Zeichens … - ja, da beginnt das Dilemma. Wer das Wesentliche über den Genannten sagen möchte, könnte ein dickes, spannendes Buch schreiben oder eine ermüdend zu lesende, lange Liste mit unzähligen Spiegelstrichen. Dazwischen bleibt nur der Mut zur Lücke mit den Fragen: was auslassen und was behandeln, was andeuten und was ausführen?

Vor dieser Situation standen vor 10 Jahren - Lennartz ist am 2. Mai 2014 im Alter von 74 Jahren verstorben - all jene, die einen Nachruf auf ihn schrieben. Frank und frei bekannte Manfred Steffny, "überfordert von der Lebensfülle dieses Karl Lennartz" zu sein (1). Einigkeit bestand ebenso darin, dass man - wie Werner Sonntag es ausdrückte - "in die Gefahr der Überschätzung […] nicht kommen" werde (2).

Für diesen Beitrag der Erinnerung an einen unserer Großen der Lauf- und olympischen Sportbewegung möchte ich einige der damaligen Aussagen herausgreifen und sie zu Kapitelüberschriften machen. Als Einstieg sei mir die Darlegung meines eigenen Zugangs zu Person und Werk von Karl Lennartz gestattet.

Mein Zugang

Wir schreiben das Jahr 1985. Als junger, in der stationären Erziehungshilfe tätiger Sozialpädagoge gelingt es mir, die mir anvertrauten Jungen für den Dauerlauf zu begeistern. Womit ich beim Heimpersonal zweierlei auslöse: Erstaunen und Sorge. Sorge, dass die Kinder und Jugendlichen sich überfordern und damit gesundheitlich schädigen könnten. Zwischen den Zeilen kann ich den Vorwurf heraushören, dass ich die Jungen in ihrem Selbstanspruch zu sehr bestärken, ja, befeuern würde. Als sich auch der alte Heimarzt mit Bedenken einschaltet, folgen Gespräche der Heimleitung. Wie froh bin ich, dass mir hilfreiche Argumente aus einzelnen Publikationen der Sportmedizin und des Schulsports zur Verfügung stehen, namentlich von Dr. med. Ernst van Aaken und Dr. phil. Karl Lennartz. Lennartz, mit all seinen erst wenige Jahre zuvor verfassten Büchern zum Kinderlanglauf in privater, Vereins- und Schulpraxis, wird für mich noch einmal mehr die Inspiration und Quelle, der ich mich bediene und versichere. Die von ihm gemachten Erfahrungen sind nicht nur Eisbrecher in einer Zeit, in der der Kinderlanglauf mangels besseren Wissens noch sehr kritisch gesehen wird - auch methodisch-didaktisch kann ich von ihm vieles nutzen bzw. adaptieren. Die Tür, die ins Schloss zu fallen schien, ging für mich wieder auf. Mein erfolgreich verlaufender Versuch, der sich über zwei Jahre erstreckte und wissenschaftlich ausgewertet wurde, geriet zur "ersten Forschungsarbeit im deutschsprachigen Raum, die sich mit der Erziehungsrelevanz des Langlaufs bei verhaltensauffälligen Kindern und Jugendlichen beschäftigte" (Dr. Klaus Richter). (3)

"Er war ein hervorragender Trainer im Sinne von Dr. Ernst van Aaken"
(Manfred Steffny)

Kindertraining privat und im Verein

Es war 1975 als Karl Lennartz begann Kinder zu trainieren, ab 1976 im ASV Sankt Augustin. Tochter Birgit erinnert sich: "Angefangen hat alles […] in Südfrankreich am Strand. Vater trainierte für das Sportabzeichen und seine ‚Figur', wir Kinder hatten Langeweile und wollten mitlaufen. ‚Na ja, nach 100 m reicht es ihnen und sie spielen wieder im Sand' dachte er und ließ uns gewähren. Aber aus den 100 m wurden 20 Minuten und sein Forscherdrang war geweckt." (4)

Während seines Sportstudiums in den 1960er Jahren hatte Lennartz von Dr. med. Ernst van Aaken (1910-1984), dem "Laufarzt" und Befürworter des Langlaufs für Alt und Jung, gehört gehabt. Er beschaffte sich einige seiner Aufsätze zum Kinderlanglauf. "Mir schien […] einsichtig, daß es für den kindlichen Organismus besser ist, im steady state (Gleichgewicht von Sauerstoffeinatmung und Sauerstoffverbrauch) zu laufen als beim Sprint eine hohe Sauerstoffschuld (größerer Sauerstoffverbrauch als zugeatmet werden kann) eingehen zu müssen." (Karl Lennartz) (5) Von van Aakens Argumentation, Belegen und Handreichungen ermutigt wurde nun gemeinsam in der Familie Lennartz ausdauernd trainiert.

Auf der Volkslaufstrecke im heimatlichen St. Augustin war Birgit "die erste, die die ca. 10 km lange Strecke schaffte, sie brauchte 55 Minuten. Eine Woche später lief Burkhard 58 Minuten. Wir setzten das gemeinsame Training einige Monate fort. Die Kinder wurden immer schneller und sicherer" (Karl Lennartz) (6), liefen bald unter 50 Minuten. So wurde auch ein paar Mal an Volksläufen teilgenommen. 1976 stieß ein Kamerad von Sohn Burkhard dazu, der etwas jüngere Uwe Mindikowski.

Bei Volksläufen zu starten war seinerzeit "nicht ganz ohne Risiko. Kinderlanglauf wurde vom DLV noch nicht toleriert. Und […] Funktionäre, Zuschauer und Läufer [waren] überzeugt, daß Laufen gefährlich, für Kinder noch viel gefährlicher, ist. Ich mußte mich bei der Meldung ‚verschreiben', sonst erhielt ich todsicher Startkarten für die Schülerklasse, oder ich mußte nachmelden und dann die Startkarte selbst ausfüllen." (Karl Lennartz) (7)

Es zeichnete Karl Lennartz aus, dass er bei allem bedacht und vorsichtig vorging und insbesondere durch sportmedizinische Untersuchungen seiner Schützlinge - bei einem Arzt, der hin und wieder selbst lief - sich vergewisserte und sowohl die Kinder gesundheitlich als auch sich selbst rechtlich absicherte. Auch Sportmedizinern war "nicht immer Vertrauen zu schenken. Sie testen langlaufende Kinder immer noch auf dem Fahrradergometer, wollen einfach nicht verstehen, daß dort nicht die Laufausdauer, sondern die Kraftausdauer der Beinmuskeln festgesellt wird." (Karl Lennartz) (8)

Es war der erkennbaren Freude der Kinder am Dauerlauf und ihrer enormen Leistungsentwicklung zu verdanken, dass sich "um Uwe, Burkhard und Birgit […] eine richtige Laufgruppe - vorwiegend Väter mit ihren Söhnen - [gründete], die Karl intensiv betreute: Er schrieb Trainingspläne, kümmerte sich um Fahrgemeinschaften zu Wettkämpfen und half dem einen oder anderen auch aktiv über die Strecke." (Birgit Lennartz) (9)

Erste Veröffentlichungen zum Thema

Ein starkes Signal für den Kinderlanglauf bundesweit war der Erfahrungsbericht, den Lennartz dazu verfasste. Dieser erschien 1979 in Manfred Steffnys' "Edition Spiridon" unter dem Titel "Kinder laufen lieber länger" (Hilden, 184 S.) - zusammen mit van Aakens' neuem Werk "Die Ausdauer des Kindes" (ebenso "Edition Spiridon", 379 S.) ein gelungener Doppelschlag.

Es sollte nicht Lennartz' einzige Buchveröffentlichung zum Kinderlanglauf bleiben. Anfangs der 1980er Jahre folgten, gemeinsam mit Jürgen Buschmann erstellt, eine Auflistung bisheriger Literatur zum Thema sowie eine Dokumentation des von beiden in 1980 organisierten Schüler-Deutschland-Laufs, dessen Strecke von der dänisch-deutschen bis zur deutsch-österreichischen Grenze führte. An dem ca. 1.100 km langen - an die "Gehrmann-Staffel" von 1977 (10) erinnernden - Staffellauf nahmen 39 Kinder (Jungen und Mädchen) aus verschiedenen Vereinen teil. Sie wurden von exakt derselben Zahl von Erwachsenen betreut:

 

Daneben verfasste Karl Lennartz zahlreiche Artikel, in denen er Empfehlungen für das Ausdauertraining mit Kindern gab (z. B. "Wie man für den ersten Zehn-Kilometer-Lauf trainieren kann" / Sportpädagogik, H. 3/1980), zur Frage Marathonlauf im Kindesalter Stellung bezog (z. B. "Marathon - auch ein Traumziel für Schüler" / Leichtathletik, H. 9/1980) und entgegen Verbandsbevormundungen "Marathon-Hintertürchen für Jugendliche" öffnete (u. a. Spiridon, H. 9/1984).

Kindertraining in der Grundschule

Nicht nur die talentierten, sondern alle Kinder im Blick, setzte Karl Lennartz sich speziell auch für das Dauerlaufen im Schulsport ein. Hier dürfte seine Frau Ingrid, ihrerzeit Lehrerin an der Gemeinschaftsgrundschule Sankt-Augustin-Ort und seit 1980 selbst regelmäßige Läuferin, mit Patin gestanden haben. Im Ausloten der Richtlinien Sport von Nordrhein-Westfalen im Hinblick auf die schulische Förderung der Ausdauer führte Karl Lennartz mit ihr und Gunna Schuch im Herbst 1982 mit der Klasse 4 c der Grundschule ein Laufprojekt im Rahmen des Sportunterrichts durch. Zeitgleich wurden durch Sportstudenten auch im ersten, zweiten und dritten Schuljahr Laufprojekte gestartet.

 

Die Viertklässler wurden mit einem abwechslungsreichen Programm von den ersten Minutenläufen bis zu einem 10-km-Volkslauf erfolgreich geführt. Im später dazu erschienenen Buch "Langlauf in der Grundschule" (Hilden 1983) wurden die herleitenden Gedanken, Projektvorbereitungen und Stundenbilder dargelegt und mit Ablaufbeschreibungen, Skizzen und Fotos illustriert. Das innovative, praxisorientierte Werk erfuhr die verdiente Aufmerksamkeit und wurde zu einem Türöffner für Schulen. Kaum zwei Jahre nach dem Erscheinen veröffentlichte Prof. Wilhelm Kleine mit Dr. Karl Lennartz "Pulsschlag 130", in dem der Versuch noch einmal beschrieben und zudem Möglichkeiten aufgezeigt wurden, wie der Dauerlauf auch in der Sekundarstufe II, der Oberstufe von Gymnasien und in Gesamtschulen ein- und durchgeführt werden könnte.

Claus Dahms, der das Buch "Pulsschlag 130" seinerzeit rezensierte, zog das Fazit: "Für angehende und fertige Sportlehrer sollte dieses Buch eine angenehme Pflichtlektüre sein. Und hoffentlich nicht nur für die langlaufenden unter den Sportlehrern." (11)
Karl Lennartz selbst schrieb zu seinem Engagement: Es ist "für mich ein viel Zeit kostender Tätigkeitsbereich geworden. Ein Hobby konnte man es längst nicht mehr nennen. Neben dem Training mit den Kindern müssen Schulversuche betreut, Studenten bei ihren Examensarbeiten zum Thema Schülerlanglauf beraten, Korrespondenzen mit Lehrern, Trainern, Eltern geführt werden." (12)

Langlauf für Frauen

Im Verlauf richtete sich sein Augenmerk auch auf die Frauen. Als er 1985, ein Jahr nach dem Tod von Dr. van Aaken, von Hans Jürgen Meyer vom Meyer&Meyer Verlag Aachen gebeten wurde, ein van-Aaken-Laufbuch herauszugeben, willigte er ein. "Die kleinere Hürde war noch, die vielen hundert Artikel und Aufsätze zu diesem Thema zu sammeln, zu sichten und die wichtigsten herauszusuchen. Schwieriger war es schon, die Abhandlungen zu redigieren und zu erläutern." (13) Zudem musste ein Teil der Beiträge erst noch geschrieben werden, um das Buch thematisch rund werden zu lassen. Eine ebenfalls zeitintensive Aufgabe!

"Die Hauptarbeit an diesem Buch wurde wiederum innerhalb eines ‚Urlaubs' in Südfrankreich geleistet, bei dem sich Birgit auf ihren Start beim Weltcup im Marathonlauf der Frauen in Hiroshima vorbereitete. Wir trainierten, und sie half mir beim Redigieren der Arbeiten van Aakens und beim Abfassen neuer Texte." (Karl Lennartz) (14)

 

Training von Langstreckenläufern und Ausbildung von Lauftrainern

Auch im Spitzenbereich trug Karl Lennartz' Engagement als Trainer, in das er mehr und mehr hineingewachsen war, Früchte. Seine Langläufer gewannen mehr als 10 Deutsche Meisterschaften und stellten mehrere Deutsche, Europa- und Weltrekorde auf. Zudem bildete er viele Jahre Trainer aus. (15)

Von seinen Schützlingen könnten viele genannt werden. Zwei Namen sollen es stellvertretend sein: Thomas Eickmann, "der mit 20 Jahren zur Gruppe Lennartz stieß und es bis zu einer [Marathon-] Bestzeit von 2:13:24 h brachte und heute als Trainer und Veranstalter erfolgreich ist. (16) Oder Josef Galia, "der erst im Alter von 74 Jahren mit dem Laufwettkampf begann, im Alter von 86 Jahren den Altersklassen-Weltrekord im Marathonlauf aufstellte (4:47:50 Stunden) und ein Lebensalter von fast 104 Jahren erreichte." (17)

"Er reifte an der Seite seiner immer besser werdenden Kinder selbst zu einem hervorragenden Seniorensportler"
(Manfred Steffny)

Laufvita

Wie kam Karl Lennartz selbst zum Laufen? Da war zunächst die Suche nach der für ihn passenden leichtathletischen Disziplin. Er schrieb: "Nicht aus Vielseitigkeit, sondern weil ich überall nur Mittelklasse war, probierte ich einfach alles. Nur nicht Langlauf." (18) "Während der Zeit der Examensarbeit und dann, als ich meine Doktorarbeit schrieb, saß ich viel, trieb zum Ausgleich keinen Sport und nahm zu." (19) Schließlich, 1965, überredete ihn ein Kollege zum Laufen.

Nach einem Jahr lief er die 5.000 m in 20 min und die 10.000 m in 42 min. Und traute sich - es ist unser aller Geschichte - auch an die längeren Distanzen. Mit einem Training von "meist täglich ein bis zwei Stunden" erzielte er in den 1980er Jahren folgende persönliche Bestleistungen als über 40-jähriger:

3.000 m - 9:59,4 min (1985)
5.000 m - 16:40,3 min (1983)
10.000 m - 34:57,8 min (1983)
Stundenlauf - 16.425 m (1986)
25 km - 1:31:53 h (1983)
Marathon - 2:42:16 h (1985)
100 km - 7:50:10 h (1986) (20)

Die 100 km lief er mehrmals im schweizerischen Biel, seine Bestzeit im niederländischen Winschoten.

Zeitgleich reiften seine Kinder Birgit und Burkhard, die er trainierte und mit denen er zahlreiche Läufe bestritt, zu exzellenten Läufer/innen heran. Burkhard wurde 1992 Deutscher Meister über 100 km (21), Birgit von 1988 bis 2001 13 Mal Deutsche Meisterin im Marathon, 100-km-Lauf und Berglauf. Ihre läuferische Gesamtvita ist so umfangreich und über die genannten Titel hinausweisend, dass auf den Wikipedia-Artikel über sie (22) verwiesen sein soll.

Karl Lennartz mit Tochter Birgit und Sohn Burkhard vor dem
Frankfurt Hoechst Marathon 1982. Foto: Gustav Schröder

 

Karl Lennartz und Ehefrau Ingrid mit Tochter Birgit nach deren Sieg bei der Deutschen Meisterschaft über 100 km 1993 in Rheine-Elte. Foto: Lennartz privat

Karl Lennartz selbst musste das Laufen als Wettkampfsport in Folge einer Herzmuskelentzündung aufgeben. Seinen letzten Marathon lief er 1992. Danach fuhr er "nur" noch mit dem Rad.

Laufverbandsengagement

Die Tatsache, dass die ihn begeisternde Disziplin 100-km-Lauf in den 1980er Jahren noch ein zartes Pflänzchen war und dringend offizieller Anerkennung bedurfte, veranlasste ihn, sich auch verbandsmäßig zu engagieren. Jörg Stutzke von der DUV erinnert daran: "Ihm und 21 anderen Pionieren der Ultralaufbewegung verdanken wir die Gründung der Deutschen Ultramarathon-Vereinigung am 29. Dezember 1985. Ein gewaltiges Programm lag vor diesen wenigen Personen: Regelwerke schaffen, Wettkämpfe kreieren, Leistungen systematisieren und verwalten, Kontakte aufbauen und pflegen, Einvernehmen mit dem Leichtathletikverband herstellen, Mitglieder gewinnen, die Idee des Ultralaufsports verbreiten. Karl Lennartz hatte in den Anfangsjahren erheblichen Anteil am Gelingen dieser Aufgaben. Zwei Jahre lang führte [er] die DUV als ihr erster Vorsitzender" (23) und leistete Anschubhilfe von vorderster Stelle aus.

"Über Jahrzehnte hat sich der Sozialdemokrat im Stadtrat und darüber hinaus leidenschaftlich und mit viel Herz für das Wohl der Bürger engagiert."
(Michael Lehnberg) (24)

Engagement im Bereich Laufen und Sport

Karl Lennartz wirkte vor Ort weit und nachhaltig in die Lokalpolitik hinein. Da waren zunächst die sportlichen und sportpolitischen Akzente, die er setzte. Birgit Lennartz führt dazu aus: "Ohne meinen Vater [hätte es] wohl keine Laufbewegung in Sankt Augustin gegeben […]. Er war mit dafür verantwortlich, dass es 1971 in Sankt Augustin den 1. Volkslauf gab, 1978 folgte der Schüler- und Jugendlauf über 10 km im Pleiser Wald und auch die LVN-Waldlaufmeisterschaften fanden 1979 hier einmal statt." (25) Als es Anfang der 1990er Jahre zu Spannungen mit anderen Abteilungen des ASV Sankt Augustin kam, löste sich die Langlaufgruppe auf. "Einige wanderten zu Nachbarvereinen ab, ich trat der LG Sieg bei. Doch einem Verein anzugehören, der über eine Autofahrstunde entfernt ist, fand ich nicht sehr attraktiv. Mein Vater konnte zwar aufgrund gesundheitlicher Probleme nicht mehr laufen, trotzdem war er immer noch für die Langläufer da und bei uns im Hause wurde am 14.9.1993 die LLG St. Augustin gegründet." (26) Vater Lennartz kümmerte sich anfangs noch um die Belange und das Wachsen des Vereins und gab dann die Leitungsfunktionen an Tochter und Schwiegersohn Udo Lohrengel ab.

Auch hier blieb Karl Lennartz' Engagement nicht stehen. Aus seiner "Initiative heraus ist der Stadtsportverband gegründet worden, den er mit seinem Freund Heinz-John Cordes aufgebaut und von 2004 bis 2012 geführt hat." (27) Der Verein fungiert als Dachverband der lokalen und regionalen Sportvereine und ist ein Zusammenschluss von Sportvereinen und -gruppen in und um Sankt Augustin auf freiwilliger Basis. Lennartz blieb dem Stadtsportverband als Ehrenvorsitzender erhalten.

Politisches Engagement

Karl Lennartz hatte sich über Jahrzehnte im Stadtrat engagiert. Nach der kommunalen Neuordnung im Jahr 1969 half er, Sankt Augustin "mit aufzubauen und auf die Beine zu stellen." (28) Bis ins Jahr 2009 übte er ein Ratsmandat für die SPD aus, deren Vorsitzender er von 1971 bis 1977 war. Einmal, im Jahr 1975, wurde er sogar zu ihrem Bürgermeisterkandidaten bestimmt; 2003 bis 2004 war er Vizebürgermeister. Mit mehr als 300 Ratssitzungen in 40 Jahren im Stadtrat und in dessen Gremien, z. B. als Vorsitzender für Freizeit, Kultur und Sport, hat er vor Ort am längsten politisch gewirkt. Und wurde als ein Kommunalpolitiker "mit Leib und Seele" wahrgenommen. Einer, der sich nach allen Seiten kümmerte. So sammelte er mit dem Stadtsportverband Gelder, "damit bedürftige OGS-Kinder, deren Eltern nicht bezahlen konnten, ein tägliches Mittagessen bekamen." (29)

Im General-Anzeiger Bonn hieß es in 2014: "Er hat kritisiert, moderiert, gelobt, Anstöße und Impulse gegeben und mit seinem großen Sachverstand wichtige Ideen für die städtischen Projekte eingebracht. Er hat kontrovers diskutiert, gerne auch gestritten, war aber immer an konstruktiven Lösungen orientiert. Das verschaffte ihm über Parteigrenzen hinweg hohes Ansehen." (30)

Publikationen

Auch aus kommunaler Sicht hat Karl Lennartz Bücher und Artikel verfasst - u. a.:

Karl Lennartz hat sich um die Sportwissenschaft und die Sporthochschule Köln in besonderer Weise verdient gemacht."
(DSHS Köln) (31)

Akademische Laufbahn

Der am 19.03.1940 in Aachen geborene Karl Lennartz immatrikulierte sich als 20-jähriger an der Universität Bonn. Von 1960 bis 1966 studierte er dort und an weiteren Hochschulen Geschichte, Geographie, Sport, Kunstgeschichte und Pädagogik. 1968 promovierte er zum Dr. phil. Es folgten Jahre als Assistent und Dozent an den Pädagogischen Universitäten in Bonn und Köln. 1980 wechselte er als Sporthistoriker an die Deutsche Sporthochschule Köln, an der er bis 2005 die Lehrgebiete Geschichte und Didaktik des Sports vertrat. 1993 war er zum Studiendirektor im Hochschuldienst ernannt worden.

Durch seine Habilitierung konnte er auch nach seiner Emeritierung in 2005 als Privatdozent weiter Seminare anbieten und Diplomarbeiten vergeben und betreuen.

 

Prof. Dr. Lennartz bei der Arbeit. Foto: Lennartz privat 

Leiter des Carl und Liselott Diem-Archivs

Von 1982 bis zu seiner Pensionierung leitete Karl Lennartz das Carl und Liselott Diem-Archiv. Dabei handelt es sich um die Nachfolgeeinrichtung des Carl-Diem-Instituts an der Deutschen Sporthochschule Köln, gegründet 1964 durch das Nationale Olympische Komitee für Deutschland als Olympisches Institut.

Zu den Aufgaben des Archivs heißt es: "Es setzt die olympische Forschung und Auswertung der Diem-Sammlungen fort und nimmt weitere Aufgaben aus hinzukommenden Sammlungen auf. Zugleich übernimmt das Carl und Liselott Diem-Archiv die Funktion eines zentralen wissenschaftlichen Hochschularchivs." (32)

Lennartz dokumentierte die Arbeiten beider Diems und forschte umfangreich zur Geschichte und Idee der Olympischen Spiele. Er wurde zudem "Gründungsvorsitzender und seit 2012 Ehrenvorsitzender der Deutschen Arbeitsgemeinschaft von Sportmuseen, Sportarchiven und Sportsammlungen (DAGS), Mitherausgeber des ‚DAGS-Magazins' und zusammen mit Volker Kluge seit 2003 des ‚Journal of Olympic History'." (33) Neben unzähligen Artikeln veröffentlichte er rund 40 Bücher zur Olympischen Bewegung. Viele davon wurden Standardwerke der Sportgeschichte.

Es darf daran erinnert werden, dass in den 1990er Jahren sehr kontrovers geführte, teils leidenschaftliche Diskussionen um Carl Diem (1882-1962) bezüglich dessen Rolle im Nationalsozialismus anhoben, in deren Folge mehrere bundesdeutsche Städte Straßen, Schulen und Sporthallen, die Diems' Namen trugen, umbenannten. Werner Sonntag bekannte sich seiner ebenfalls kritischen Haltung, mit dem er einem Mainstream gefolgt sei und ergänzte: "Karl Lennartz überzeugte mich im Briefwechsel davon, daß Diem kein Nazi war; ich vertraute seiner Kompetenz als jahrelangem Diem-Forscher und seiner politischen Objektivität als SPD-Mitglied." (34)

"Er war ein weltweit anerkannter Forscher der Olympischen Bewegung", "ein Sporthistoriker von Format"
(Werner Sonntag) (35)

Dass Karl Lennartz und das Internationale Olympische Komitee (IOC) sich aufeinander zubewegten, war naheliegend. Ab Ende der 1980er Jahre wirkte er in verschiedenen Arbeitsgruppen des IOC mit, ab 2002 war er Mitglied der IOC Kommission für Kultur und Olympische Erziehung. Daneben bestanden Mitgliedschaften in weiteren internationalen Organisationen für Geschichte und Sport, zudem Gastprofessuren an der Universität der Peloponnes (GR) und der Sportuniversität Peking (CN).

 

Herausragend seine Rolle in der International Society of Olympic Historians (ISOH), die er mitgründete und ab 1996 als Vorstandsmitglied, ab 2000 als Vizepräsident und ab 2004 als Präsident führte. Die Gesellschaft hat knapp 400 Mitglieder aus 58 Ländern. Als Lennartz 2008 in Peking wiedergewählt wurde, bekam er von IOC-Präsident Jacques Rogge eine olympische Fackel überreicht.

Die Olympischen Spiele in Beijing waren die achten, an denen er teilnahm. Er schrieb: "Als sogenannter ‚Distinguished Guest' des IOC bin ich […] in einer sehr komfortablen Situation. Meine spezielle Akkreditierungskarte am Hals ist ein wenig Schlaraffenland. Die offiziellen Autos holen mich ab und bringen mich bis zum Eingang des VIP-Bereichs. Dann geht es durch die Lounge der Olympic Family, also einen bequemen Aufenthaltsraum mit Essen und Trinken und von dort zu den besten Plätzen. Natürlich fahren die Autos mich auch wieder ins Hotel oder zur nächsten Sportstätte. Ich habe bei der ersten solchen bevorzugten Behandlung Raymond Gafner, den damaligen Generalsekretär des IOC, nach dem Grund gefragt. Seine Antwort: ‚Du hast Jahrzehnte für die Olympische Bewegung Bücher geschrieben - für die Ehre. Unsere Aufgabe ist es, Dich einzuladen." (Lennartz, 2008) (36)

Karl Lennartz bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking, hier mit olympischer Fackel als Geschenk an ihn. Foto: Lennartz privat

Karl Lennartz bei den Olympischen Spielen 2012 in London, hier mit Tegla Loroupe (Kenia), jeweils mehrfache Weltrekordlerin im Marathon und Weltmeisterin im Halbmarathon. Foto: Lennartz privat

Prof. Dr. Karl Lennartz wurde im Laufe der Jahrzehnte mit zahlreichen Ehrungen und Preisen bedacht. 2006 erhielt er das Verdienstkreuz 1. Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland. Zuvor, 1991, hatte er das Bundesverdienstkreuz am Bande erhalten gehabt. 1997 wurde er mit dem Olympischen Orden in Silber ausgezeichnet. Auf der Ebene seines Bundeslandes wurde ihm 2013 der NRW-Sportorden verliehen.

"Sein Tod ist viel zu früh gekommen."
(Werner Sonntag) (37)

Als die Nachricht vom Ableben von Karl Lennartz am 2. Mai 2014 eintraf, schrieb Manfred Steffny, er sei "zu schockiert". (38) So wie ihm ging es sehr vielen. Lennartz hatte sich einer Herzoperation unterziehen müssen, war in ein wochenlanges Koma gefallen und nicht mehr daraus erwacht.

Am 12. Mai fand in Sankt Augustin eine Trauerfeier statt, an der über 200 Gäste unterschiedlichster Provenienz teilnahmen. "Musikalische Darbietungen […] leiteten zu Würdigungen ein und über. Birgit berichtete von der Nähe zu ihrem Vater, an der Sporthochschule, den gemeinsamen Fahrten und bei Training und Wettkämpfen (‚Wir waren gleich stark') […] Gerne hätte sie einen Wunsch ihres Vaters, die Olympiateilnahme, erfüllt. 1988 war sie nicht weit davon entfernt. […] Dr. Jürgen Buschmann berichtete in bewegten Worten über seinen beruflichen Ziehvater Karl Lennartz, dazu sprachen der Bürgermeister und weitere Vertreter der Kommune." (Steffny, 2014) (39)

Karl Lennartz ist zu früh gegangen; er hätte uns noch viel zu sagen gehabt und gewollt. Man kann immer wieder nur den Hut vor ihm ziehen, vor seiner Schaffenskraft und dem Geleisteten - "Wir haben ihm viel zu verdanken." (Steffny, 2014) (40) Und auch Ingrid Lennartz. Tochter Birgit schreibt zu Recht: "wie so oft, ohne eine starke Frau im Hintergrund hätte so mancher Mann nicht das leisten können, was er vollbracht hat." (41) Karl Lennartz hinterließ Frau und drei Kinder (neben Birgit und Burkhard Claudia).

Zurück bleibt ein sehr großes, facettenreiches Werk, das an Bedeutung nichts verlieren wird. Wir dürfen zu seinen Schriften greifen. In Vorbereitung dieses Beitrags zog ich u. a. sein dreibändiges Standardwerk "Marathonlauf" hervor und verlor mich im Durchblättern und Anlesen. Mit diesem 2005 bis 2007 in der Reihe "100 Jahre Leichtathletik in Deutschland" erschienen Werk hat er uns Marathonläufer/innen ein schönes Geschenk gemacht:

Persönlicher Ausklang

2014 erschien im Meyer&Meyer Verlag mein drittes Buch zum Ausdauerlauf im Kindes- und Jugendalter aus erzieherisch-therapeutischer Perspektive:

 
  • Schüler, Wolfgang W. (2014): Lauftherapie mit Kindern und Jugendlichen. Psychische Gesundheit und Leistungsfähigkeit durch ausdauerndes Laufen. Der Ausbildungs- und Praxisbegleiter. Aachen. (Paperback, E-Book)

Auf über 400 Seiten hatte ich zusammengetragen, was ich in 30 Jahren zum Thema praktiziert, erforscht, recherchiert, gelehrt und publiziert hatte. Werner Sonntag, einer der Rezensenten, schrieb: "Über [Schülers'] neues Buch hätte sich Dr. Ernst van Aaken […] riesig gefreut." (42) Für mein Dafürhalten gewiss auch Dr. Karl Lennartz. Beiden hatte ich auf Buchseite 374 für ihre Pionierarbeit zum Kinderlanglauf und für ihre Inspiration gedankt. Meine ursprüngliche Idee, Karl Lennartz ein Exemplar des Buches zukommen zu lassen, ja, persönlich zu überreichen, erfüllte sich leider nicht mehr.

Literatur

  1. Steffny, M. (2014): Zum Tode von Dr. Karl Lennartz. In: Spiridon, H. 6, S. 10.
  2. Sonntag, W. (2014): Zum Tode von Prof. Dr. Karl Lennartz. In: Condition, H. 07-08, S. 42.
  3. Richter, K. (1994): Buchbesprechung: Wolfgang W. Schüler - Sozialpädagogische Intervention durch Sport. In: DLZ-Rundschau, Ausg. 11, S. 36.
  4. Lennartz, B. (2010): Warum es ohne Ingrid und Karl Lennartz wohl keine LLG St. Augustin gäbe. In: LLG St. Augustin, Vereinsnachrichten 16-10 vom 12.03.2010.
  5. Lennartz, K. (1979): Kinder laufen lieber länger. Hilden, S. 20.
  6. Ebenda
  7. Ebenda, S. 20f
  8. Ebenda, S. 23f
  9. Lennartz, B. (2010): siehe 4
  10. Gehrmann, P. (o. J.): Deutschlandstaffel - ein Abenteuer auf der Ultralangstrecke. (o. O.)
  11. Dahms, C. (1985), in Spiridon, H. 12, S. 50
  12. Lennartz, K. (1979), S. 8
  13. van Aaken, E. & Lennartz, K. (1987): Das Laufbuch der Frau. Aachen, S. 9
  14. Ebenda, S. 11
  15. www.llg-st.agustin.de/Archiv/2014/Berichte/Zum_Tod_von_Dr_Karl_Lennartz.pdf
  16. Steffny, M. (2014): siehe 1
  17. Sonntag, W. (2016): Sonntags Tagebuch, https://www.laufreport.de/kolumnen/sonntag/sonntag_archiv/so162.htm, Eintrag vom 21.06.2016
  18. Lennartz, K. (1979): siehe 5, S. 18
  19. Ebenda, S. 19
  20. Sonntag, W. (2014): siehe 2
  21. www.laufen-in-koeln.de/lik4.php?aid=A-3958: Burkhard Lennartz
  22. https://de.wikipedia.org/wiki/Birgit_Lennartz-Lohrengel
  23. Stutzke, J. (2014): Tod von Dr. Karl Lennartz - Nachruf der DUV. In: www.germanroadraces.de vom 09.05.2014
  24. Lehnberg, M. (2014): Sankt Augustin trauert um Kommunalpolitiker, https://web.archive.org/web/20180630091756/https://www.general-anzeiger-bonn.de/region/sieg-und-rhein/sankt-augustin/Sankt-Augustin-trauert-um-Kommunalpolitiker-article1342132.html
  25. Lennartz, B. (2010): siehe 4
  26. Ebenda
  27. Lehnberg, M. (2014): siehe 24
  28. Ebenda
  29. Ebenda
  30. Ebenda
  31. www.dshs-koeln.de/aktuelles/meldungen-pressemitteilungen vom 06.05.2014
  32. www.dshs-koeln.de/visitenkarte/einrichtung/carl-und-liselott-diem/
  33. Sonntag, W. (2014): siehe 2
  34. Sonntag, W. (2014): Sonntags Tagebuch, http://laufreport.de/vermischtes/sonntag(index3.htm vom 05.05.2014
  35. Sonntag, W. (2014): siehe 2
  36. Lennartz, K. (2008): Der schönste Tag im Leben einer Chinesin. In: Spiridon, H. 9, S. 12-13, hier S. 12
  37. Sonntag, W. (2014): siehe 34
  38. Steffny, M. (2014): siehe 1
  39. Ebenda
  40. Ebenda
  41. Lennartz, B. (2010): siehe 4
  42. https://laufreport.de/vermischtes/buch/buch.htm

Mein Dank richtet sich an Birgit Lennartz-Lohrengel und Familie Lennartz, die mich mit Fotos und Informationen unterstützt haben, sowie an Ralph Schöder, der das Foto aus dem Archiv seines Vaters Gustav freigab.

 

Der Autor: Wolfgang W. Schüler (Wiesbaden) ist Sozialpädagoge und Pädagoge, regelmäßiger Läufer seit 1967, ausgebildeter Lauftherapeut (DLZ) und Lauftherapeut (IART/USA). Von 1995 bis 2019 war er Dozent am Deutschen Lauftherapiezentrum (DLZ) unter Prof. Dr. Alexander Weber. Er hat zahlreiche Bücher und Artikel zum gesundheitsorientierten Laufen und zur Lauftherapie veröffentlicht. Für LaufReport.de schreibt er seit 2006.

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