Interview mit Sebastian Kienle

Der Profisport ist nicht systemrelevant

Genießen, sich draußen bewegen zu können

von Hannes Blank am 23. März 2020

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Ein Interview mit dem bekannten deutschen Triathleten Sebastian Kienle, der im badischen Mühlacker wohnt. Der 35-Jährige gewann 2014 den Ironman Hawaii und ist dort schon oft der Zweitplatzierte gewesen. Außerdem hat er mehrere Europameistertitel über die Triathlon-Mitteldistanz gewonnen. Eine Woche vor dem Gespräch kam er mit seiner Frau, der Läuferin Christine Schleifer (Tri-Team Heuchelberg), aus einem Trainingslager in Spanien zurück.

LaufReport: Hallo, Herr Kienle, sind alle gesund, auch ihre Frau?

Sebastian Kienle: Danke, uns geht es sehr gut. Wir sind am Samstag aus Fuertaventura zurückgekommen und haben dort leider einen Vorgeschmack bekommen, was es heißt, wenn die Politik die Zügel nochmals deutlich enger fasst als aktuell in Deutschland. Wir waren eine Woche quasi in Quarantäne, da herrscht absolutes Ausgangsverbot. Dementsprechend sind wir froh, wieder hier zu sein. Ich hatte noch die Möglichkeit, auf der Rolle zu fahren, Laufen hat sich deutlich schwieriger gestaltet.

LaufReport: Wie muss man sich ihre Trainingsgestaltung in Deutschland vorstellen?

Sebastian Kienle: Das Schwimmen fällt natürlich komplett weg. Vor einer Woche war ich noch auf der Suche nach einer Möglichkeit, ohne auf ein öffentliches Bad angewiesen zu sein. Es gab hier und da noch Ausnahmegenehmigungen, die sind zu Recht, muss man sagen, ausgelaufen. Es gibt keine Möglichkeit mehr, irgendwo noch zu schwimmen. Ansonsten freuen wir uns, dass man sich noch draußen bewegen darf. Das ist auch sehr wichtig, einerseits für die Gesundheit, es ist zuträglich für das Immunsystem. Ich kann nur appellieren, nicht irgendwelche geheimen Lauftreffs zu veranstalten. Sondern sich bewusst zu machen, dass wir im Moment noch die wahnsinnig schöne Situation haben, mit der Leine, die wir noch gelassen bekommen haben und damit verantwortungsbewusst umzugehen. Aber ich habe das Gefühl, dass die meisten Leute das verstanden haben.

LaufReport: Machen Sie sich Sorgen, was die Triathlon-Wettkämpfe in nächster Zeit betrifft? Es könnte ja so weit kommen, dass man sich für Hawaii gar nicht mehr qualifizieren kann und dann vielleicht auch noch der Ironman auf Hawaii gefährdet wäre.

Sebastian Kienle: Im Moment stehen andere Sorgen weiter vorne. Der Sport ist gerade wenig systemrelevant. Dementsprechend rückt das in den Hintergrund. Ich denke, es ist auch schwierig, darüber zu spekulieren, was stattfinden kann und was nicht. Die Situation ändert sich quasi immer noch stündlich, von Tag zu Tag. Ich habe Spaß an dem, was ich machen kann. Für uns stellt es bis auf das Schwimmen noch keine so große Einschränkung dar. Ich habe davor auch schon das meiste alleine trainiert. Für viele andere ist das deutlich einschneidender.

LaufReport: Viele Läufer setzen sich gerne ein Ziel, meist bei einem Volkslauf. Das fällt jetzt weg, damit zusammen vielleicht auch die Motivation. Bei Ihnen glaube ich herausgehört zu haben, dass sie sich am Sport an sich weiterhin erfreuen und motivieren, ist das so?

Sebastian Kienle: 100 Prozent! Es hat sich in meiner doch schon sehr langen Karriere verschoben. Während am Anfang ganz klar die sportlichen Ziele über allen anderen standen, habe ich zunehmend gemerkt, dass mir der Weg dorthin Spaß macht und das ist, was mir etwas bedeutet. Das ist jetzt mal die Chance, die GPS-Uhr daheim zu lassen und zu genießen, dass man sich draußen bewegen kann. Es hat einen tollen Effekt für den Geist und die mentale Verfassung, das ist wichtig. Bewegen ohne Trainingsplan.

LaufReport: Es gab im Winter ein Angebot der Athletenorganisation der professionellen Triathletenvereinigung PTO an die Wanda, die Ironman-Serie zu übernehmen. Das hat viele überrascht, dass die PTO finanziell derart potent ist, solche ein Übernahmeangebot machen zu können. Wie ist Ihre Meinung dazu?

Sebastian Kienle: Aktuell hat die die PTO ihre Auszahlung vorgezogen. Diese wird eigentlich anhand der Weltrangliste am Ende des Jahres gemacht. Die vorzeitige Auszahlung ist von uns sehr zu begrüßen. Es ist nämlich so, dass für den unteren Teil der Weltrangliste, etwa ab Platz 50, die Ausschüttung von 2000 auf 5000 Dollar erhöht wurde. Das ist mehr als nur eine Geste! Das ist für uns eine tolle Sache, weil der untere Teil der Weltrangliste unter der jetzigen Situation sicher mehr zu leiden hat, als wie die oberen zehn. Der untere Teil ist viel eher auf Preisgelder und Prämien angewiesen. Im oberen Teil kann man über die sozialen Medien noch einen Mehrwert für die Sponsoren generieren. Dazu kommt, dass wir uns nicht freuen, wenn die Konkurrenz pleitegeht - wir sind darauf angewiesen, dass es attraktive Rennen gibt, dass es eine gute Konkurrenz gibt. Dass die PTO auch ein Kaufinteressent für die Marke Ironman ist, dem stand ich am Anfang skeptisch gegenüber, weil ich den Eindruck hatte, die Athleten könnten instrumentalisiert werden. Im Moment stehe ich dem positiver gegenüber. Der Profisport ist nicht systemrelevant. Die Marke Ironman wird sicher nicht von Steuergeldern gerettet oder gar verstaatlicht werden. Für uns ist das unter Umständen eher eine Rettung des Veranstalters denn einen Übernahme. Man muss abwarten, wie sich die Situation entwickelt. Für uns Profisportler ist extrem wichtig, dass es einen breiten Unterbau des Amateursports gibt.

Das Interview mit Sebastian Kienle führte Hannes Blank am 23.3.20

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Portrait Sebastian Kienle

Der Unauffällige

Auf dem Rad eine Macht, beim Laufen ein Kämpfer

von Hannes Blank im Januar 2014 

Sebastian Kienle - wenn dieser Name in der südwestdeutschen Läuferszene fällt, sagen viele: "Das ist doch der Freund von der Christine Schleifer!" - Als wäre er nur ein Anhängsel. Doch Sebastian Kienle kann auch selbst schnell laufen - und schwimmt und fährt Rad davor. Der 29jährige Nordbadener gehört inzwischen zur internationalen Top-Ten der Triathleten auf Mittel- und Langdistanz.

Christine Schleifer, das ist die Läuferin des Tri-Team Heuchelberg, die für 10 Kilometer-Zeiten unter unter 36, manchmal sogar unter 35 Minuten gut ist, Deutsche Duathlon-Meisterin 2012 und mehrmalige Siegerin des Halbmarathons in Karlsruhe war. Nicht selten hat und hatte sie Sebastian Kienle als Schrittmacher dabei.

 

Er ist auch eher einer von den Unauffälligen. Einer, der nicht gerne im Rampenlicht steht. Rückblick auf einen Pressetermin im März 2013: In einem winterlichen, fast melancholisch anmutenden Gewerbegebiet bei Bretten; ein treuer Sponsor lud zum Gespräch ins Unternehmensgebäude ein und einige Sportjournalisten kamen. Am meisten sprach - ganz Vollblutunternehmer - der Sponsor. Das war dem Triathlet Kienle, der eigentlich im Mittelpunkt stehen sollte, offensichtlich nicht unrecht.

Vor rund 20 Jahren hatte der kleine Sebastian das erste Mal vom Triathlonsport erfahren, im Urlaub in Bayern, aus einer Zeitung. Damals spielte er noch Faustball und Fußball, für einen Mannschaftssportler hält er sich jedoch nicht: "Ich war nicht der Talentierteste, aber der Motivierteste". Man kennt diese Art Fußballspieler: Vorne wollen sie alles selbst machen und hinten rennen sie jeden Gegenspieler über den Haufen, der auch nur in die Nähe des Tors kommt. "Ein bissl zu viel Ehrgeiz", nennt Kienle das, hat jedoch nach dem Wechsel zum Ausdauerdreikampf gute Erinnerungen an den Sport in seiner Jugendzeit: "Meine Eltern waren froh, dass es da ein Ventil gab. Ich war dadurch deutlich ausgeglichener."

 

Geboren am 6. Juli 1984, am gleichen Tag wie US-Tennispielerin Shenay Perry und wie der norwegische Fußballspieler Jone Samuelsen, wurde in den letzten Jahren in den Presseberichten mal Bretten, mal Karlsruhe als dessen Wohnort genannt. Das mit Karlsruhe war so falsch nicht, studierte er doch dort einige Zeit Physik, bevor er dies Ende 2012 zugunsten des Sports einstellte und nun ein Fernstudium in "Internationalem Management" betreibt. Eigentlich ist er Brettener, noch eigentlicher Knittlinger, und noch noch eigentlicher kommt er aus Knittlingen-Hohenklingen. Für die meisten ist schon Bretten ein weißer Fleck auf der Deutschlandkarte und käme nicht der erste deutsche Ironman Hawaii-Sieger Thomas Hellriegel (1997) ungefähr aus der Gegend, wäre es selbst in Triathlon-Kreisen völlig unbekannt.

Sebastian Kienle muss die Ehre, ein bekannter Sohn von Knittlingen zu sein, übrigens mit zwei Mitgliedern der Schlagerband "Die Flippers" ("Sha La La, I Love You" und "Die rote Sonne von Barbados") teilen. Inzwischen wohnt er in Mühlacker (zwischen Pforzheim und Stuttgart gelegen) und schätzt die Trainingsmöglichkeiten fürs Radfahren und Laufen ab Hauseingang - und dass, obwohl die Straße direkt vor der Tür steil den Berg hinaufgeht.

Erste größere Erfolge hatte Kienle 2005 mit dem Triathlon-Landesmeistertitel Baden-Württemberg und dem Sieg auf den deutschen Cross-Triathlonmeisterschaften.

 

In den Fokus der regionalen Sportberichterstattung geriet er in den Jahren danach mit seinen Siegen beim Challenge Kraichgau, einem Wettbewerb, das er nachvollziehbarer Weise als sein "Heimrennen" bezeichnet. Wie sehr er diesem Mitteldistanz-Triathlon verbunden ist, zeigte sich 2012, als Kienle hinter Andreas Raelert und dem Franzosen Sudrie "nur" Dritter wurde. Selten sah der Verfasser dieser Zeilen einen enttäuschteren Sportler, wie er den Zielbereich verließ.

Sebastian Kienles Problem war lange Zeit, dass er nach dem Schwimmen einen Rückstand aufholen musste. Das gelang ihm zwar oft und eindrucksvoll, aber dieser Kraftakt auf dem Rad kostete ihn doch immer wieder die Körner, die zum Sieg fehlten. Im Winter 2012/2013 intensivierte er sein Schwimmtraining auf der 25 Meter-Bahn der "Bäderwelt Bretten". Sein Wochenpensum in dieser Zeit: Schwimmen 28km, Radfahren 600km; Laufen 90km. Das Lauftraining vorzugsweise ohne Pause direkt nach dem Radfahren, wie im Wettkampf. Ob er an Volksläufen teilnimmt, macht er dabei weniger am Lauf selbst fest, als von seinem Trainingsplan abhängig und davon, ob Trainingspartner mitlaufen - womit untern anderen Christine Schleifer gemeint ist. LaufReport berichtete über deren gemeinsamen Sieg in Rastatt über die 10 Kilometer-Distanz 2014.

 

Gut in Erinnerung sind Kienle aus Teilnahmen in den vergangenen Jahren der Ottilienberglauf in Eppingen (bei Heilbronn) und der Schriesheimer Mathaisemarkt-Lauf (zwischen Mannheim und Heidelberg) geblieben. Und auch der Citylauf in Pforzheim, dessen Streckenführung ihn zwar nicht begeistert, wo er aber mal zwei bis drei Runden zusammen mit ein paar Kenianern an der Spitze lief (Kienle: "Die hielten mich für Dieter Baumann"), bevor er abreißen lassen musste und unter ferner liefen ins Ziel kam.( "Das war lustig!").

Sebastian Kienle, Hawaii-Dritter 2013 - Dabei hatte die Saison miserabel begonnen: Ende März Außenbandriss im rechten Sprunggelenk, nach einem Trainingslager Halsschmerzen. Scheinbar davon erholt, bestritt er in Utah (USA) einen leidlich guten Wettkampf. Doch dann "nahm mein Körper keine Befehle mehr an", formuliert Kienle die damaligen Erfahrungen im Training salopp. Es stellte sich heraus, dass er wochenlang eine bakterielle Infektion mitgeschleppt hatte. Erst drei Wochen vor dem Ironman im Frankfurt war er wieder einigermaßen genesen. In der Mainmetropole springt für ihn aber immerhin ein 9. Platz raus, bis Laufkilometer 5 war er noch Vierter. Die Kraft hat nicht ganz bis ins Ziel auf dem Frankfurter Römer gelangt: "Ich bin dann explodiert", so Kienle.

Sebastian Kienle - wenn dieser Name in der südwestdeutschen Läuferszene fällt, sagen viele: "Das ist doch der Freund von der Christine Schleifer!"

Auf der Mitteldistanz-EM im August in Wiesbaden kann er sich schon wieder weiter vorne positionieren, doch danach war sein linkes Knie unbeweglich: "Ich konnte ohne Hilfe nicht mal aus dem Auto aussteigen!" Das Auto, nicht das bevorzugte Fortbewegungsmittel für einen Ausdauerdreikämpfer, aber Triathlon ohne gesunde Knie? Unmöglich. Bei Sebastian Kienle kam der Gedanke auf, die Saison 2013 ad acta zu legen, also abzuschließen und abzuschreiben. Doch auf der Mitteldistanz-WM der Ironman-Serie in Las Vegas war er Titelverteidiger und davor "wurde jede Trainingseinheit besser", sagt Sebastian Kienle, "das Selbstvertrauen war wieder da". Der Lohn für die Zuversicht war der abermalige Titel beim sog. 70.3-Rennen, das wegen der zusammengerechneten Meilen des Wettkampfs so heißt. Eigentlich fast überflüssig zu sagen, dass auch dieser Erfolg bestraft wurde; in diesem Fall mit einer Achillessehnen-Entzündung.

Auch fünf Wochen vor dem Ironman im Oktober in Hawaii nur "Alibi-Trainingseinheiten", wie er sie nannte. Auf der Pazifikinsel folgte die große Überraschung, er kämpfte sich hinter dem Belgier Van Lierde und dem Australier McKenzie auf Platz 3. Der Rest der oft so starken Deutschen folgte erst auf Rang 9 (Timo Bracht) und 10 (Faris Al-Sultan).

Und 2014? Wenn er gesund bleibt, sind die Erwartungen natürlich hoch, dass ist ihm bewusst. Kienle will sich auf Hawaii im Oktober konzentrieren, aber ausdrücklich "nicht 100%ig": "Mir macht der Sport zu viel Spaß, um nur bei einem Rennen gut sein zu wollen" lautet sein Motto für dieses Jahr.

Das Portrait 'Sebastian Kienle' erstellte Hannes Blank
Fotos © Hannes Blank & 1x LaufReport

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