Sportsucht im Marathonsport

von Silke Hippler

Zusammenfassung

Einen Marathon laufen - egal ob Sportler oder nicht, das ist für viele Menschen ein großer Traum. Die Endzeit spielt dabei oftmals keine Rolle. Dennoch ist ein hohes Trainingspensum nötig, um die 42,195 km bis ins Ziel durchzuhalten. Doch negative Gedanken hegt man selten in Bezug auf Lauftraining. Im Gegenteil! Der allgemeine Konsens von Ärzten, Sportwissenschaftlern und den Medien vermittelt den Glauben, dass Sport treiben ausschließlich gesund ist und gerade der Laufsport wird mit vielen positiven Gesundheitseffekten in Verbindung gebracht. Nebenbei versprechen sich viele Menschen von einem regelmäßigen Lauftraining oder sogar dem Training für einen Marathon nicht nur einen gesunden, sondern auch einen schlanken Körper.

Allerdings hat das Laufen auch seine Schattenseiten. Neben Verletzungen und Überlastungen des Bewegungsapparates ist eine davon die Sportsucht beziehungsweise im Falle des Marathonsports die Laufsucht. Diese Krankheit ist vor allem im deutschsprachigen Raum noch nicht sonderlich gut erforscht. Die Literatur ist rar, es herrscht eine große Uneinigkeit über deren Entstehung und die Zahlen zur Prävalenz der Sportsucht weichen in Untersuchungen stark voneinander ab.

Im Rahmen meiner Bachelorarbeit habe ich mich deshalb mit genau diesem Thema auseinandergesetzt. Mit dem Arbeitstitel "Zur Prävalenz der primären Sportsucht im Marathonsport - eine Online-Befragung" ging es hierbei in erster Linie darum, zu klären, wie verbreitet die Sportsucht unter Marathonläufern ist. Hierfür wurden 127 Marathonläuferinnen und Marathonläufer befragt. Das Ergebnis: 2,3 % aller Marathonläufer sind sportsüchtig, 50,8 % sind gefährdet, sportsüchtig zu werden und 46,9 % sind nicht sportsüchtig und nicht sportsuchtgefährdet. Im Geschlechtervergleich sind mehr männlich als weibliche Marathonläufer sportsüchtig, dafür sind aber mehr weiblich als männliche Marathonläufer sportsuchtgefährdet. Auch das Alter spielt eine Rolle. Sportsucht tritt am häufigsten in den Altersgruppen 18-29 Jahre sowie über 59 Jahre auf. Außerdem zeigen die Ergebnisse, dass die Sportsucht sowie die Sportsuchtgefährdung mit zunehmenden Laufkilometern und Trainingszeiten pro Woche steigen.

Wer sich für die detaillierten Ergebnisse der Arbeit interessiert und außerdem wissen möchte, was genau Sportsucht eigentlich ist, wie sie sich zeigt und wie sie entsteht, der sollte weiterlesen. Bei dem Rest bedanke ich mich, dass ihr zumindest bis hierher gelesen habt.

Sportsucht - Theoretische Grundlagen

Definitionen

Sucht wird heute definiert als ein unabweisbares, starkes Verlangen nach einer Droge (z.B. Heroin, Alkohol, Tabletten) oder einem bestimmten Verhalten (z.B. Spielen, Essen, Arbeiten, Sex) mit dem Ziel, vor dem gegenwärtigen unerwünschten Erlebnis- und Bewusstseinszustand in einen anderen gewünschten zu fliehen (4).

Es gibt somit zwei unterschiedliche Arten der Sucht, die stoffgebundene und die stoffungebundene Sucht. Eine stoffgebundene Sucht ist an eine bestimme Substanz gebunden, eine stoffungebundene Sucht wiederum an ein bestimmtes Verhalten. Daraus ergibt sich, dass Sport- bzw. Laufsucht eine stoffungebundene Sucht und somit eine Verhaltenssucht ist.

Auch in Bezug auf die Sportsucht gibt es zwei Arten, die man unterscheidet. Bei der sekundären Sportsucht ist die Sportsucht "ein Begleitphänomen anderer Störungen" (2). Diese tritt "insbesondere bei essgestörten Patienten" (2) auf. Die primäre Sportsucht wiederum ist dadurch definiert, dass die Sportsucht "ein eigenständiges Krankheitsbild" ist. Hierbei liegt "das Phänomen eines exzessiven und dadurch gesundheitsschädigenden Sporttreibens vor, dass [sic] sich zu großen Teilen der Kontrolle des Betroffenen entzieht" (6).

Kriterien der primären Sportsucht

Insgesamt gibt es sieben Kriterien, die eine Sportsucht ausmachen. Dazu gehört das Kriterium der Toleranzentwicklung, was bedeutet, dass der Sportler eine Dosiserhöhung seiner Sportaktivität vollziehen muss, um die gewünschten Effekte zu erzielen (7). Er benötigt und toleriert also immer größere Belastungsmengen (6). Ein Läufer muss beispielsweise immer längere Distanzen laufen oder die Intensität der Einheiten erhöhen, um ein runners high zu erleben (7). Toleranzentwicklung kann sich aber auch dadurch zeigen, dass sich die Art und Weise der Sportaktivität verändert. Dies ist der Fall, wenn sich der Sportler immer komplexere und anspruchsvollere Ziele setzt (2).

Ein weiteres Kriterium der Sportsucht sind Entzugssymptome. Diese können schon 24 bis 36 Stunden nach der letzten sportlichen Tätigkeit auftreten (2) oder dann, wenn die Sportbetätigung stark reduziert wird (7). Als Entzugssymptome werden in der Literatur emotionale Befindlichkeitsstörungen erwähnt wie Gereiztheit, Ängstlichkeit und Unruhe, aber auch körperliche Symptome wie ein erhöhter Hautwiderstand, Magen-Darm-Störungen und muskuläre Erschöpfung. Auch Schlafstörungen können auftreten (2). Szabo (7) erwähnt außerdem Schuldgefühle, Trägheit, Depressionen und allgemein schlechte Laune als Symptome, die bei einem Sportentzug vorkommen können.

Unter dem Begriff der Intentionalität versteht man das "Kriterium des wahrgenommenen Zwangs, […] [welches] eines der Kardinalssymptome des Suchtverhaltens" (2) ist. Dieses liegt vor, wenn eine betroffene Person ihr Verhalten als ungewollt beschreibt oder sogar das Gefühl hat, fremdbestimmt zu werden. Damit einher gehen ein Zustand von Hilflosigkeit sowie das Empfinden, alltägliche Anforderungen ohne Sport nicht mehr bewerkstelligen zu können (2).

Es kommt zu einem vom Sportler wahrgenommenen Kontrollverlust, einem weiteren Kriterium der Sportsucht. Hierbei ist der Süchtige nicht mehr in der Lage, die Zeit oder die Menge der sportlichen Tätigkeit einzuschränken, auch wenn er sich dies vornimmt (3). "Generelle Tendenz ist, dass das sportbezogene Verhalten die Person kontrolliert, nicht aber umgekehrt" (5). Sportler, die die negativen Konsequenzen ihrer Sucht durch beispielsweise eine soziale Isolierung oder Verletzungen zu spüren bekommen, nehmen dann verstärkt Bewältigungsversuche vor. Diese bleiben jedoch zumeist erfolglos (2).

Das Kriterium des Aufwands bezieht sich vor allem auf die Substanzbeschaffung. Bei Sportsüchtigen zeigt sich dies durch ein "organisatorisch [..] [aufwendiges] Planungs- oder Vorbereitungsverhalten" (2). So befassen sich betroffene Personen auch in ihrem trainingsfreien Alltag in hohem Maße mit ihrer Trainingsplanung, der Trainingskontrolle, der Anschaffung von Sportbedarf (wie z. B. Bekleidung und Schuhe), der Beschaffung von Hintergrundinformationen, aber auch der Beschaffung von legalen und illegalen leistungssteigernder Substanzen. Ein Begleitkriterium hierbei ist, dass der Sport die Gedanken von Sportsüchtigen zu jeder Zeit beherrscht, wodurch häufig andere wichtige Lebensbereiche vernachlässigt werden (2).

Durch die Vernachlässigung wichtiger Lebensbereiche kommt es häufig zu Konflikten zwischen Sportsüchtigen und ihrem sozialen Umfeld. Das können Konflikte mit nahestehenden Personen sein, wie mit dem Partner oder der Familie, aber auch Konflikte mit anderen außersportlichen Aktivitäten, wie beispielsweise dem Beruf oder anderen Hobbys und Interessen (7). "Auf die Dauer besteht die Gefahr des sozialen Verfalls" (5).

Darüber hinaus können bei Sportsüchtigen auch intrapsychische Konflikte auftreten. Diese zeigen sich dann, wenn die betroffene Person realisiert, dass sie durch ihre Sportbetätigung andere Lebensbereiche stark vernachlässigt, sie aber nichts dagegen unternehmen kann, weil sich die Sporttätigkeit bereits ihrer Kontrolle entzieht (7). Dadurch rücken soziale Motive zunehmend "in den Hintergrund und suchtgebundene Motive (Reizbefriedigung) zunehmend in den Vordergrund" (2).

Ein letztes Kriterium der primären Sportsucht ist das der Kontinuität, welche sich auf die "Missachtung körperlicher Signale" (6) bezieht. Hierbei werden auftretende Verletzungen bagatellisiert sowie notwendige Erholungs- und Regenerationspausen ignoriert. Dies ist sowohl bei orthopädischen Verletzungen als auch bei internistischen Beschwerden, wie beispielsweise einem fiebrigen Infekt, zu beobachten. Selbst auf Anraten medizinischer Betreuer werden klinische Notwendigkeiten, wie zum Beispiel Sportpausen, oftmals nicht umgesetzt (2). In der Folge kommt es "zu körperlicher Schädigung, zu (nichtausheilenden) Verletzungen bis hin zu Todesfällen" (6).

Entstehung der primären Sportsucht

Die Endorphin-Hypothese

Es gibt viele Modelle, die zu erklären versuchen, wie die primäre Sportsucht entsteht. Welches den Anspruch auf Richtigkeit hat, ist bislang nicht geklärt. Hier sollen lediglich die sozialen Dimensionen vorgestellt werden, die zu einer Sportsucht führen können sowie eines der wohl bekanntesten Modelle, nämlich die Endorphin-Hypothese. Dies ist ein rein physiologisches Modell. Bei der Endorphin-Hypothese wird damit argumentiert, dass es bei einer sportlichen Tätigkeit zu einer ansteigenden Konzentration an Endorphinen im Gehirn kommt (7). Vor allem dem ß-Endorphin wird eine große Bedeutung zugesprochen, da es eine euphorisierende und schmerzregulierende Wirkung hat (6). Szabo (7) vergleicht deshalb Endorphine mit "internal psychoactive drugs". Er stellt die These auf, dass die Endorphin-Hypothese Sportsucht analog zu einer Drogenabhängigkeit beschreibt mit dem Unterschied, dass der Suchtstoff ß-Endorphin nicht von außen zugeführt wird, sondern während der Sporttätigkeit im Körperinneren entsteht. Dieses Modell wird in enge Verbindung mit dem runners high gebracht.

Andere Modelle beziehen nicht nur die physiologischen Komponenten mit ein, sondern beachten auch psychische und soziale Faktoren. Dazu gehören beispielsweise das Prozessmodell nach Schack (6) sowie das Hedonic Management Modell of Addictions nach Brown (3). Wer sich hierfür genauer interessiert, findet die entsprechenden Literaturangaben am Ende des Artikels.

Soziale Dimensionen und Sportsucht

Bei der Entstehung der Sportsucht scheinen vor allem auch soziale Faktoren eine große Rolle zu spielen. So kann eine erste Voraussetzung für eine Sportsucht zum Beispiel dann gegeben sein, wenn in einer Familie Anerkennung, Liebe und Wertschätzung einander nur gegen nachweisbare Leistungen zugesprochen werden. Diese Leistungsforderungen werden häufig über den Sport erbracht, und da Leistung ein grundlegender Wert der Sportsucht ist, können Personen dadurch in die Abhängigkeit geraten. Männer neigen hierbei eher zu einer primären Sportsucht, während Frauen häufiger unter Essstörungen leiden.

Sportsucht kann auch dadurch entstehen, dass Menschen im Sport Halt und Sicherheit finden. Dann können verschiedene Dynamiken einsetzen. Aus zeitlicher Sicht werden sowohl Training als auch Wettkampf immer umfangreicher und somit zeitintensiver bis hin zu einem täglichen, exzessiven Sporttreiben. Aus sachlicher Sicht steht der Sport als primäres Handlungsfeld im Vordergrund, während andere Aktivitäten in den Hintergrund rücken. Aus sozialer Sicht kommt es zu einer "Ausrichtung der Sozialbeziehungen auf eine hochgeschätzte Ingroup" (1), also an der Sportaktivität beteiligte oder interessierte Personen. Demgegenüber gibt es auch eine Outgroup. Vor dieser sowie vor sich selbst versuchen betroffene Personen oftmals, ihre Fixierung auf den Sport zu legitimieren, beispielsweise durch Schlankheitsideale oder erbrachte sportliche Leistungen.

Allgemein lässt sich sagen, dass Sportsucht für viele Betroffene eine Bewältigungsstrategie für sportunspezifische Probleme ist. So lassen sich im Lebenslauf von betroffenen Personen Krisenmomente finden, zu denen eine berufliche Stagnation bis hin zum Arbeitsplatzverlust, eine unglückliche Ehe bis hin zur Scheidung, Depressionen, ungewollte Kinder, Integrationskonflikte und Langeweilegefühle zählen. Aber auch eine schwere Krankheit, Tod, körperliche Leistungseinschränkungen oder die Angst vor dem Alter können Auslöser für eine Sportsucht oder auch eine andere Sucht sein.

Neben der Biographie, der Familie und dem persönlichen Umfeld einer Person kann darüber hinaus der organisierte Wettkampfsport zu der Entstehung einer Sportsucht beitragen. Das liegt daran, dass die Leistungen von Sportlern in einigen Sportarten beispielsweise nach Ästhetik oder Körpergewicht bewertet werden. Vor allem die kompositorischen und gewichtsabhängigen Sportarten sind hier zu nennen. Eine Sportsucht erweist sich in diesen Sportarten "als funktional, um die Ziele von Sportorganisationen zu erreichen" (1).

Auch der Marathonsport ist ein prädestiniertes Beispiel für eine Sportart, bei der eine Sportsucht durch den organisierten Wettkampfsport entstehen kann. Getreu dem Motto "je leichter, desto schneller" versuchen viele Läufer, ihr Körpergewicht so weit wie möglich zu reduzieren. Nur so besteht die Chance, mit der Weltspitze mithalten zu können.

Daneben können aktuelle kulturelle Leitideen und Wertvorstellungen zu der Entstehung einer Sportsucht führen. Diese werden vor allem durch die Massenmedien verbreitet und in die "Selbst- und Weltbilder der Gesellschaftsmitglieder" (1) verankert. Hierzu zählen zum Beispiel Sinnformeln wie "Konkurrenzfähigkeit", "Leistung" und "Selbstkontrolle". Aber auch körperliche Werte, die die Attraktivität einer Person betreffen, wie "Schlankheit" und "Schönheit" sind in den letzten Jahren hinzugekommen. Um die angestrebten Werte zu erreichen, verbringen betroffene Personen zunehmend mehr Zeit mit sportlichem Training, da nur auf diese Art und Weise Leistungseinbußen durch Alterung oder Krankheit verlangsamt oder aufgehalten werden können (1).

Empirische Untersuchung

Vorgehensweise

Um das Ziel meiner Bachelorarbeit zu erreichen, nämlich zu untersuchen, wie hoch die Sportsucht im Marathonsport ist, habe ich zunächst eine Mindmap erstellt, die alle wichtigen Kriterien einer primären Sportsucht beinhaltet. Auf Grundlage dieser habe ich einen Fragebogen entwickelt, der anhand der Ergebnisse eines Pretests nochmals überarbeitet wurde. Anschließend wurde die Umfrage für die Dauer von drei Wochen unter www.umfrageonline.com online gestellt. Den Link habe ich mittels E-Mail-Verteiler verschiedener Laufsport-Vereine, dem sozialen Netzwerk "Facebook" und dem Laufsport-Journal www.laufreport.de verbreitet. Alle Marathonläufer wurden hierbei zu einer freiwilligen Teilnahme aufgefordert. Außerdem wurde darum gebeten, bekannten und befreundeten Marathonläufern den Link weiterzuleiten. Nachdem ich einen Auswertungsschlüssel für die Ergebnisse festgelegt habe, wurde die Umfrage mit Hilfe des Programms Excel 2013 ausgewertet.

Ergebnisse der Online-Umfrage

Nun zu dem interessantesten Teil meiner Arbeit, den Ergebnissen der Umfrage. Hier möchte ich euch lediglich einige Diagramme ohne viele Kommentare präsentieren. Insgesamt nahmen 146 Probanden an der Untersuchung teil, wobei hiervon 128 Fragebögen gewertet werden konnten. Hinweis: Die Beschriftung der Diagramme "nicht sportsüchtig" impliziert auch "nicht sportsuchtgefährdet", auch wenn es nicht gesondert dasteht.

Das Gesamtergebnis der Umfrage, unabhängig von Faktoren wie Alter und Geschlecht, ist, dass 2,3 % der befragten Marathonläufer sportsüchtig sind. Etwas mehr als die Hälfte der Untersuchungsteilnehmer mit 50,8 % sind sportsuchtgefährdet und die verbleibenden 46,9 % sind nicht sportsüchtig und nicht sportsuchtgefährdet.

Abbildung 1: Prävalenz der primären Sportsucht im Marathonsport

Primäre Sportsucht in Abhängigkeit des Geschlechts

Unter den weiblichen Teilnehmern fällt auf, dass zwar 0 % sportsüchtig sind, aber mit 63,6 % eine recht hohe Sportsuchtgefährdung herrscht. Bei den Männern dagegen sind 3,2 % der Marathonläufer sportsüchtig, doch nur 46,3 % und somit 17,3 % weniger als bei den Frauen sind sportsuchtgefährdet. Deutlich mehr Männer als Frauen sind nicht sportsüchtig und nicht sportsuchtgefährdet.

Abbildung 2: Sportsuchtverteilung Frauen und Sportsuchtverteilung Männer

Primäre Sportsucht in Abhängigkeit des Alters

Primäre Sportsucht tritt nach den Ergebnissen der Umfrage interessanterweise am häufigsten bei den über 59jährigen Läufern mit 11,1 % auf. Auch junge Läuferinnen und Läufer sind vergleichsweise oft betroffen. Bezüglich der Sportsuchtgefährdung lässt sich sagen, dass diese mit zunehmenden Alter kontinuierlich abnimmt. Einzige Ausnahme bilden die 50-59 Jährigen. Gegengleich verhalten sich die Zahlen bei den nicht sportsüchtigen und nicht sportsuchtgefährdeten Marathonläufern, wobei hier die Läufer im Alter von 40-49 Jahre den höchsten Wert erreichen.

Abbildung 3: Sportsuchtverteilung in Abhängigkeit des Alters

Primäre Sportsucht in Abhängigkeit von Geschlecht und Alter

Betrachtet man die Sportsuchtverteilung in Abhängigkeit der Faktoren Geschlecht UND Alter, ergibt sich bei den Frauen ein identisches Bild wie bei der vorherigen Betrachtung des Faktors Alter. Einzige Ausnahme: Es liegt, wie bereits erwähnt, keine Sportsucht unter den weiblichen Marathonläufern vor.

Abbildung 4: Sportsuchtverteilung Frauen in Abhängigkeit des Alters

Auch bei den Männern zeigt sich eine nahezu identische Verteilung wie bei dem alleinigen Faktor Alter, wie man auf der nachfolgenden Abbildung erkennen kann.

Abbildung 5: Sportsuchtverteilung Männer in Abhängigkeit des Alters

Primäre Sportsucht in Abhängigkeit der Laufkilometer pro Woche

Grob lässt sich bei den Ergebnissen in dieser Kategorie sagen, dass sowohl die Sportsucht als auch die Sportsuchtgefährdung mit zunehmenden Laufkilometern pro Woche ansteigen. Bei der Sportsuchtgefährdung bildet die Gruppe der Läufer, die zwischen 26-50 km pro Woche laufen, eine Ausnahme. Entsprechend verhalten sich die Zahlen bei den nicht sportsüchtigen und nicht sportsuchtgefährdeten Läuferinnen und Läufern.

Abbildung 6: Sportsuchtverteilung in Abhängigkeit der Laufkilometer pro Woche

Primäre Sportsucht in Abhängigkeit der Trainingszeit pro Woche

Ähnlich verhält sich die Verteilung in Abhängigkeit der Trainingszeit pro Woche. Auch hier steigen die Sportsucht und die Sportsuchtgefährdung mit zunehmender Trainingszeit pro Woche an. Einzige Ausnahme: Diejenigen Läuferinnen und Läufer, die über 16 Stunden pro Woche trainieren, sind zu 0 % sportsüchtig, dafür aber zu 100 % sportsuchtgefährdet.



Abbildung 7: Sportsuchtverteilung in Abhängigkeit der Trainingszeit pro Woche

Fazit

Insgesamt zeigt sich, dass das Thema der primären Sportsucht eine recht große Rolle im Marathonsport spielt. Zwar kann nur von einer geringen Anzahl an Athleten behauptet werden, dass diese sportsüchtig sind. Doch die Sportsuchtgefährdung ist enorm hoch.
Diese Aussage trifft auch dann zu, wenn man die Ergebnisse differenziert nach Geschlecht betrachtet. Auffällig ist hierbei, dass bei den weiblichen Marathonläufern keine Sportsucht vorliegt, die Sportsuchtgefährdung jedoch deutlich höher ist als bei den Männern. Dies könnte daran liegen, dass Frauen häufig Sport treiben, um die bereits erwähnten Schönheitsideale zu erreichen. Das Laufen wäre dann ein Mittel zu einem bestimmten Zweck, zum Beispiel einer Gewichtsreduktion. Die Gefahr, aus solch einem Grund sportsüchtig zu werden, ist bei Frauen deutlich höher als bei Männern. Männer dagegen eifern oftmals bestimmten Sinnformeln wie Konkurrenzfähigkeit und Leistung hinterher. Diese können nur erreicht werden, wenn das Trainingspensum entsprechend erhöht wird. Durch die hieraus entstehenden psychophysiologischen Veränderungen kann es schnell passieren, sportsüchtig zu werden (1).

Betrachtet man die Prävalenz der Sportsucht in Abhängigkeit des Alters der Läuferinnen und Läufer, fällt auf, dass die höchste Prozentzahl an Sportsüchtigen in der Altersgruppe über 59 Jahren zu finden ist. Der Grund hierfür ist vermutlich, dass Sportsucht für viele Betroffene eine Bewältigungsstrategie für sportunspezifische Probleme ist. Gerade in der Altersgruppe der über 59 Jährigen kann es zu vielen dieser sportunspezifischen Probleme kommen. Man denke nur an Langeweilegefühle aufgrund des Übergangs von dem Arbeitsalltag in die Rente, an Leistungseinbußen durch das fortschreitende Alter und an die Angst vor dem Alter und vor dem Tod. Auch schwere Krankheiten und Schicksalsschläge können ein Grund für die Entwicklung einer primären Sportsucht sein (1).

Alle anderen Ergebnisse entsprechen größtenteils den Erwartungen. Insgesamt zeigen sie, dass die Problematik der Sportsucht, sowohl der Primären als auch der Sekundären, im Marathonsport mit all ihren Konsequenzen vorhanden ist. Diese reichen von dem Konsum illegaler leistungssteigernder Substanzen über Leistungseinbußen in der Schule, der Ausbildung und dem Beruf bis hin zu zerrütteten Familienverhältnissen. Helfen könnten neben weiteren Forschungsarbeiten zum Beispiel Aufklärungskampagnen und Beratungsangebote, um den Sportlern zu verdeutlichen, wie ernst eine Sportsucht zu nehmen ist. Denn viele Sportler behaupten von sich selbst, sportsüchtig zu sein, sind sich aber nur selten darüber im Klaren, was das tatsächlich bedeutet. Sport wird schließlich allgemein als etwas Positives angesehen.

Literaturverzeichnis

  1. Bette, Karl-Heinz & Gugutzer, Robert (2012). Sport als Sucht. Zur Soziologie einer stoffungebundenen Abhängigkeit. Sport und Gesellschaft - Sport and Society, 9 (2), 107-130.
  2. Breuer, Simone & Kleinert, Jens (2009). Primäre Sportsucht und bewegungsbezogene Abhängigkeit - Beschreibung, Erklärung und Diagnostik. In Batthyány, Dominik & Pritz, Alfred, Rausch ohne Drogen. Substanzungebundene Süchte (S. 191-218). Wien: Springer-Verlag.
  3. Brown, Rif. A theoretical model of the behavioural addictions - applied to offending. In: Hodge, J.F., McMurran, M., Hollin, C.R. (Hrsg.): Addicted to crime? John Wiley, Chichester, 1997, 13-65.
  4. Gross, Werner (2003). Sucht ohne Drogen. Arbeiten, Spielen, Essen, Lieben. Frankfurt am Main: Fischer-Taschenbuch-Verlag.
  5. Knobloch, Jörg, Allmer, Henning & Schack, Thomas (2000). Sport und Sucht - Ausdauer- und Risikosportarten. In Poppelreuter, Stefan & Gross, Werner, Nicht nur Drogen machen süchtig. Entstehung und Behandlung von stoffungebundenen Süchten (S. 181-208). Weinheim: Psychologie Verlagsunion.
  6. Schack, Thomas (2000). Laufsucht und Aspekte von Ausdauersport aus einer gesundheitspsychologischen Perspektive. In Ziemainz, Heiko, Schmidt, Ulf & Stoll, Oliver, Psychologie in Ausdauersportarten (S. 123-145). Butzbach-Griedel: AFRA-Verlag.
  7. Szabo, Attila (2010). Addiction to exercise. A symptom or a disorder? New York: Nova Science Publisher

Sportsucht im Marathonsport
Textbeitrag und Grafiken von Silke Hippler

Zu aktuellen Inhalten im LaufReport HIER

© copyright
Die Verwertung der Texte und Fotos, insbesondere durch Vervielfältigung oder Verbreitung auch in elektronischer Form, ist ohne Zustimmung der LaufReport Redaktion (Adresse siehe unter IMPRESSUM) unzulässig und strafbar, soweit sich aus dem Urhebergesetz nichts anderes ergibt.