Dokumentarfilmer Michael Schwarz traf Läufer Horst Preisler:

Videoinstallation „Lebenslauf“ – jetzt preisgekrönt

von Wolfgang W. Schüler

In 2009 wurde Horst Preisler mit einer Videoinstallation ein künstlerisches Denkmal gesetzt; bei „Kunst direkt 2010“ erfuhr der Film schaffende Künstler Michael Schwarz selber Ehre: Seine Installation wurde von einer Auswahlkommission für das Land Rheinland-Pfalz gekauft. Die Künstlermesse „Kunst direkt“ fand vom 12. bis 14. März 2010 in der Rheingoldhalle zu Mainz statt.

 

Das Objekt künstlerischer Annäherung muss man nicht vorstellen; Horst Preisler ist in der Läuferszene bekannt wie ein bunter Hund. Über Jahrzehnte schon reiht der 74jährige Marathon an Marathon, unangefochten die internationale Spitze der Vielläufer über die klassische Distanz behauptend. Das brachte ihm bereits einen Eintrag ins „Guinness Buch der Rekorde“ ein.

Im vergangenen Jahr hat Michael Schwarz sich seiner angenommen. Schwarz, 1979 in Nürnberg geboren, ist studierter Film- und Theaterwissenschaftler und seit 2007 Filmstudent an der Akademie für Bildende Künste in Mainz. Für das Ausstellungsprojekt „rotation“ im Nassauischen Kunstverein in Wiesbaden (5. – 26. Juli 2009) sahen er und Kommilitonen sich vor die Aufgabe gestellt, „Arbeiten zu konzipieren, die in der Form sich wiederholender Filmschleifen funktionieren. Arbeiten für einen Betrachter, der sich nicht in einer kinoähnlichen Rezeptionssituation befindet, sondern als Ausstellungsbesucher über seine Verweildauer selbst bestimmt. Und Arbeiten, die für den Raum konzipiert und inszeniert sind.“

Logo der Kunstmesse Rheinland-Pfalz

Zu Schwarz’ Themenfindung trug bei, dass er selber Läufer ist und sich für Menschen interessiert, die zu – von außen betrachtet – ungewöhnlichen bzw. unkonventionellen Lebensstilen gefunden haben. Ihnen in der Rolle des Dokumentarfilmers zu begegnen, ihre Motive nachzuvollziehen, ohne zu werten, das ist Schwarz’ zentrales Anliegen. „Letztlich steht man am Ende immer wieder vor der Frage nach dem Entwurf der eigenen Lebenskonzeption.“

Als Preisler die Anfrage erreichte, ob er bereit sei, an einem solchen Projekt mitzuwirken, war sein erster Gedanke: „Klar, so kann ich doch jungen Menschen helfen, ein solches Projekt zu gestalten.“

Und so bekam der gebürtige Hamburger beim Hamburg-Marathon am 26. April 2009 bei km 39 ein weit nach vorn ragendes Gestell mit Kamera umgeschnallt, die, aus Brusthöhe auf sein Gesicht gerichtet, ihn beim Zurücklegen der letzten gut 3 Kilometer filmte. Zuruf eines Zuschauers am Streckenrand: „Was ham se denn mit dir gemacht?!“

Preisler drückte das schwere Gestell so sehr auf die Hüften, dass er entschied, den Rest der Strecke flott zu gehen. (Das Einstreuen von Gehphasen ist durchaus nicht untypisch für seine Laufeinteilung.) So kamen 31 Minuten Film zu Stande. Daneben wurde mit ihm ein Interview geführt, in dem er Einblicke in seine Lauf- und Lebensphilosophie gab. Aus „Lauf“ wurde „Lebenslauf“.

 

Raumgestaltung

Beim Betreten des Ausstellungsraums – ob 2009 in Wiesbaden oder 2010 in Mainz – richtet sich der Blick des Besuchers auf den Monitor, der an der gegenüber liegenden Wand angebracht ist. Er zeigt Horst Preisler in bewegter Nahaufnahme. In der Mitte steht ein Podest mit Kopfhörer. Während der Raum mit den Preisler umgebenden Geräuschen des City-Marathons beschallt wird, kann der Betrachter via Kopfhörer zusätzlich seinen Ausführungen lauschen - eine Sowohl-als-auch-Möglichkeit. An den Wänden ringsum hängen 30 Listen mit Nennung aller Marathon- und Ultraläufe, die Preisler von September 1974 bis April 2009 absolviert hat – insgesamt 1621. Ein Gesamtkunstwerk, dessen mediale Wirkung sein Ziel nicht verfehlt, dem schlichten Raum eine ganz persönliche, intime Note zu verleihen.

Ohne Kopfhörer betrachtet ähnelt die Situation optisch und akustisch der des Zuschauers am Streckenrand, nur: der Ausstellungsbesucher ist näher dran, kann Preisler direkt in die Augen schauen, jeden seiner Gesichtszüge wahrnehmen, kilometerlang. Doch Preisler ist zu sehr Routinier, als dass Überraschendes passieren würde. Einzig hier und da ein einzelnen Zuschauerrufen geltender Seitenblick, ein Lächeln, ein Fingerzeig (kann nicht reden, werde gefilmt). Als er zu AC/DCs „Highway to hell“ das Ziel erreicht, setzt der Film erneut bei Kilometerpunkt 39 ein. Die Endlosschleife als Sinnbild für Preislers unaufhaltsamen Lebens-Lauf.

 

Filmsequenz

Was treibt ihn an, welches Motiv liegt seiner Passion zu Grunde? Wer zum Kopfhörer greift, taucht in 28 Kurzkapiteln in seine Lauf- und Lebensphilosophie ein. Die Betitelung ist sicherer Hinweis wie auch äußere Zuschreibung und für Preisler Anlass zur Stellungnahme: Der Ursprung, Ein elitärer Sport, Goldene Hochzeit, Der klare Kopf, Verzicht, Erlebnisläufer, 52 Länder, Der wichtigste Lauf, Den Frieden leben, Grenzgänger, Geschichtsbuch des Laufens, Sammler, Sucht, Ärzte, Verrückt – na und?, Disziplin, Hamburg, Durchhalten, Die innere Struktur, Schwäche als Stärke, Krafteinteilung, Doppeldecker, Ernährung, Nudelparty, Vorbildfunktion, Jeder Lauf ein Geschenk, Wertigkeit, Quintessenz & Zieleinlauf. – Kern seiner Laufphilosophie: „Jeder Lauf ist eine Geschichte! Jeder Lauf ist eine Begegnung mit einer Landschaft und deren Menschen! Jeder Lauf ist ein Treffen von Freunden.“

 

Kann Preisler sich ein Leben ohne Laufen vorstellen? Er erwähnt eine Zeit, in der er vorübergehend nicht laufen konnte und sich gefragt hat: „Was ist, wenn es nicht mehr geht, hast du dann einen Grund, mit dir und deinem Schicksal zu hadern?“ Die Antwort sei ein „Nein“ gewesen; er habe bisher so viel Schönes erlebt, „so ein Schatz reicht bis ans Lebensende.“

Horst Preislers Worte berühren ebenso wie Michael Schwarz’ künstlerische Aufbereitung beeindruckt. Bei „Kunst direkt 2010“ waren rund 170 Künstler vertreten. Dass Schwarz als Vertreter der Sparte „Junge Talente“ den Zuschlag erhielt, freut umso mehr.

Wo die Videoinstallation nach dem Kauf durch die Auswahlkommission ihren Platz finden wird, ist noch offen. Zu hoffen bleibt, dass sie als Leihgabe auf noch zahlreichen Ausstellungen zu sehen sein wird.

Die Macher: (li) Michael Schwarz, Idee & Realisation, (re) Alexander Griesser, Bildgestaltung

Das Video selber ist als DVD erschienen. Wer sich für „Lebenslauf“ interessiert, sende eine Nachricht an mail@nachtschwaermerfilm.de.

Und wer mehr über Horst Preisler lesen möchte, sei u. a. auf folgende Quellen verwiesen:
(2010) Horst Preisler. In: http://de.wikipedia.org/wiki/Horst_Preisler
(2006) Horst Preisler – Laufen als Lebenselexier. In: Bonnemann, A., Grell, J. & Richter, K. (Hg.): Laufen und Lauftherapie. Ein Lesebuch. Regensburg: LAS, S. 197-210
(2004) Der Marathonsammler. In: Krämer, H., Zobel, K. & Irro, W. (Hg.): Marathon. Göttingen: Die Werkstatt, S. 300-307
(1998) Der Kilometerfresser. In: Pramann, U.: Laufen. (Kleine Philosophie der Passionen) München: dtv, S. 71-75 (4. Aufl. 2004)
Der Verfasser
Wolfgang W. Schüler (Wiesbaden), ebenfalls 1967 zum Volkslauf gekommen, aber 9-jährig. Läufer bis Marathon, Marschierer bis 100 km. Diplom-Sozialpädagoge und Pädagoge M.A., Lauftherapeut (DLZ) und Dozent am Deutschen Lauftherapiezentrum, Laufbuchautor.

Videoinstallation „Lebenslauf“ – jetzt preisgekrönt
Beitrag und Fotos von Wolfgang W. Schüler

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