Quo vadis, Biel?62. Bieler Lauftage verschoben auf 02.-04. September 2021 |
von Thomas Disser (04.05.2021) |
Ja, der Bieler Hunderter zum 62. Mal sollte er Anfang Juni stattfinden. Von der Pandemie schon im letzten Jahr zur Absage gezwungen, war das Bieler Lauftage-Präsidium und OK hoffnungsvoll und mit angepasstem Konzept für 2021 gut vorbereitet. Am 19. April die Ankündigung, dass auf Anfang September verschoben wird. Nun müssen die Ultraläufer sich weiter gedulden. Erst einmal bis Juni, wenn es vom Schweizer Bundesrat die erhofften Signale gibt, ob am ersten Wochenende im September die Bieler Lauftage stattfinden dürfen. Im Juni läuft die Frist ab, die sich das OK gesetzt hat, um bis zum Veranstaltungstermin alles hinzubekommen.
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Nach der Entwicklung der Pandemie in letzter Zeit war jedem klar, dass zum regulären Termin im Juni noch kein Lauf dieser Art stattfinden kann. Wie immer stirbt die Hoffnung zuletzt. Nur, für Ausländer hätte es bis dahin bestimmt noch Einschränkungen irgendeiner Art gegeben und uns womöglich von der Reise ins Bieler Seenland abgehalten. Warten wir ab, was im Juni final entschieden wird. In der Zwischenzeit wird fleißig weiter trainiert, Motivation ist da. Der erste Schock saß tief, als es im Oktober 2020 die Information über die nächsten Bieler Lauftage gab. Die Stammkundschaft begehrte auf. Wer wagt es, die Originalstrecke in Frage zu stellen und stattdessen eine kleinere Runde anzubieten, die mehrfach zu laufen ist? Eigentlich kein neues Thema in Biel. Stimmen dieser Art waren schon Jahre vorher zu vernehmen. Sie konnten sich aber nie durchsetzen. Gut so. Nur, jetzt ist wirklich alles anders, dank einem Virus, den die Menschheit nicht gebraucht hätte.
Was ist aktuell machbar, genehmigungsfähig? Pragmatismus ist gefragt. Die klassische Originalstrecke verläuft durch zwei Kantone. Allein dadurch dürfte sich der Genehmigungsprozess schwieriger gestalten. Zumindest, wenn man sich das bei unseren Behörden vorstellt. Angenommen, ein Veranstalter würde versuchen, für 1000 Teilnehmer eine solche Strecke genehmigt zu bekommen, zwei Bundesländer inklusive. Auf allen staatlichen Ebenen ist mit unterschiedlichen Regelungen zu rechnen. Gemeinde, Kreis, Land und jetzt auch noch der Bund reden mit. Wie groß ist wohl die Chance, dass wirklich ALLE zustimmen, verlässlich und mit genug Vorlaufzeit zur finalen Planung?
Nun also 20 Kilometer, und das fünfmal. Die Stadt Biel wird Corona-konform nicht durchlaufen, es geht gleich raus ins Grüne. Oder besser, in die Dunkelheit, der Start ist wie immer um 22 Uhr. Kurz vor Neumond, am September-Termin auch wirklich dunkel, mit hoffentlich tollem Sternenhimmel. Eine längere "Nacht der Nächte" wird es durch die kürzeren Tage sowieso. Die letzten von der früheren Originalstrecke zum Eisstadion sind auch einbezogen. Wenn ich mich recht erinnere, war da noch eine kurze, aber eklige Steigung dabei. Gut, bei km 95 ist alles eklig. Diesmal ebenso.
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5 mal 20 Kilometer. Nur in diesem Jahr, soviel dürfte sicher sein. Die Läufer werden sich an das Versprechen der Verantwortlichen erinnern. Eine Übergangslösung für dieses Jahr, so wurde es schon sehr bald nach dem ersten Sturm der Entrüstung kommuniziert. Das wird die Bieler Fan-Gemeinde wohl auch zum Teil akzeptieren. Wie groß dieser Teil am Ende sein wird, und ob sich das Ganze dann auch noch finanziell trägt, bleibt abzuwarten.
Die Eventra GmbH aus Biel, ein Veranstaltungs-Profi mit regionalem Bezug, übernimmt. "Wir freuen uns sehr, die 62. Bieler Lauftage zu organisieren". Es kommt ehrlich an, wie es Murielle Phillot, für die Projektkoordination bei Eventra verantwortlich, im Gespräch beschreibt. Professionalität ist herauszuhören. Die Zeiten, wo es sich mehr nach einer vereinsgeführten Veranstaltung anfühlt, scheinen auch in Biel endgültig vorbei zu sein. Wie schon hierzulande bei unseren Stadtmarathons. Dem nachzutrauern, hilft allerdings nicht weiter. Die Zahl ehrenamtlicher Helfer wird überall kleiner, bis sie irgendwann kaum mehr ausreicht.
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Seit 1959: die bei Ultraläufern bekannteste Bäckerei der Schweiz - normalerweise bei km 72 | 2017: Frühstück nicht bei Tiffany, sondern bei Gerlafingen |
Allerdings, Biel ist nicht irgendeiner unter vielen Lauf-Events. Biel hat schon noch Kult-Status. Noch. Den gilt es zu bewahren, daran muss auch gearbeitet werden. Den Blick dafür sollten die Verantwortlichen nicht verlieren. Die Stadt Biel, die ganze Region, steht dahinter. Auch die Menschen auf dem Land, für die der Hunderter ein besonderes Highlight im Jahr ist. Nicht nur, weil die Sperrstunde aufgehoben wird und die Nacht hindurch gefeiert werden darf. Manch einer, der schon als Kind vor 60 Jahren an der Strecke stand und die Läufer anfeuerte, sitzt heute im Gemeinderat und entscheidet mit, ob der Hunderter auf der Originalstrecke stattfinden darf. Was sollte er nun dagegen haben? Oder wird er sogar enttäuscht sein, falls sein Dorf künftig nicht mehr mit von der Partie ist?
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2013: Ruhezone Esplanadehalle | 2015: Stillgestanden, militärische Siegerehrung |
Zurück zum 2021er Lauf. Start und Ziel an der Tissot-Arena, dem modernen Nachfolger des alten Eisstadions. Das kennen wir doch, bis 2010 wurde dort gestartet und wenn es gut lief auch gefinisht. Wegen des Abrisses der Halle ging es 2011 am Seeufer weiter. Petrus hatte leider etwas gegen zu viel Wohlgefühl und so wurde es eine schlammige Angelegenheit. Warum mussten Dieter Baumann und Wigald Boning auch ausgerechnet in dem Jahr hier laufen? Bestimmt kamen sie deswegen nie mehr nach Biel.
Ab 2012 ging es im Stadtzentrum weiter. Mit der großen Esplanadehalle wurde auch die Infrastruktur für die Läufer verbessert. Wenn man davon absieht, dass für die Massage eine schier unüberwindbar hohe Treppe zu erklimmen war. Eine echte Herausforderung nach 100 gelaufenen Kilometern. Aber schön wars trotzdem, auch die Stunden vor dem Lauf. Auf eine der Turnmatten gelegt, warten bis es dämmert, beim Startschuss "Tage wie diese" von den Toten Hosen mitgesungen, und los ging es wie bei einem Stadt-Nacht-Marathon, bevor wir die erste Steigung zu überwinden hatten. Ein letzter Blick zurück auf die Lichter der Stadt, dann hinaus aufs Land.
Nun also wieder Eisstadion. Nur einige Nummern größer. Multifunktional,
mit Einkaufsmeile und ÖPNV-Anbindung. Mit der Bahn sicher eine gute Alternative,
da es wieder das Gratis-Bahnticket innerhalb der Schweiz geben soll. Ob wir
Läufer wieder unter uns sein werden, so wie früher am alten Stadion?
Eher nicht. Das neue Areal wird kommerziell genutzt, da werden die Sportler
wohl eher am Rande neben dem Shopping wahrgenommen.
Das Interesse in der Laufszene ist jedenfalls groß. Bei der unverbindlichen
Vorab-Registrierung haben sich schon viele Sportler angemeldet. Klar, im Moment
macht eine finale Anmeldung mit Zahlung von Startgeldern einfach noch keinen
Sinn. Zumindest ist schon mal ein Trend erkennbar. Für jeden Veranstaltungstag
rechnet das OK mit 900 Teilnehmern. Auch für die 100 Kilometer. Das wäre
doch was.
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2010: Altes Eisstadion |
2010: Start und Ziel am alten Eisstadion |
Warten wir also ab, was der Schweizer Bundesrat im Juni bereit ist zu genehmigen. Das OK jedenfalls ist gerüstet und dürfte einen professionell organisierten Lauf-Event präsentieren. Auch wenn Eventra erstmals eine reine Laufveranstaltung managt, haben sie zum Beispiel mit Musikfestivals schon weit mehr Teilnehmer unterhalten. Wir Läufer müssen allerdings nicht derart bespaßt werden. Wir brauchen eine gut markierte Strecke, Verpflegung, Umkleide und Dusche, fertig. Vielleicht noch ein Plätzchen, um vorher in Ruhe die Beine hochzulegen. Nicht zu vergessen: ein kühles Bier im Ziel.
Gibt es doch einen Hunderter in diesem Jahr auf der Originalstrecke? Rolf Thallinger,
sympathischer Mehrfach-Teilnehmer in Biel und Sieger von 2017, hat den Plan,
den Lauf mit seinem Team auf der Originalstrecke zu veranstalten, terminiert
auf September/Oktober. Noch ist das nicht final entschieden. Zwei Hunderter
innerhalb von vielleicht vier Wochen wird es laut Rolf sicher nicht geben.
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2017: Rolf Thallinger gewinnt den 100km Lauf von Biel und ... | 2017: OK-Chef Jakob Etter überreichte persönlich Rolf Thallinger das Finisherhemd und die Medaille |
Sein Plan steckt nicht nur in irgendeiner Schublade. Der ist bei ihm präsent, und mit viel Herzblut versehen. Zurück zum Original, bezogen auf die Strecke. Aber auch auf den Kern des Laufes, den Hunderter. Keine 17 Verpflegungen, vielleicht vier oder fünf. Würden sich 200 oder 300 Abenteurer dafür finden? Bestimmt.
Mit Andi Ruefer und weiteren früheren Helfern der Lauftage kennen sie
nicht nur die Originalstrecke im Schlaf. Sie sind auch erfahrene Lauf-Veranstalter
und trauten sich auch schon 2020 zu, den nächsten originalen Hunderter
auszutragen. Das Bieler Lauftage-Präsidium hatte sich aber für Eventra
entschieden. In diesem Zuge auch für die jetzt geplante "Übergangslösung"
der 5x20 Kilometer.
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Von 2012 bis 2019: Start/Ziel im Stadtzentrum am Kongresshaus | Start 2019: wann und wo wird der nächste sein? |
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Wie auch allen anderen Läufen wünsche ich Biel, dass es diese Zeit übersteht und auch in Zukunft wieder die europäische Ultralaufszene anzieht. Das Schlimmste wäre, wenn durch falsche Management-Entscheidungen nachhaltige Schäden entstünden und der Hunderter verschwinden würde. Natürlich muss sich alles irgendwie "rechnen", aber zu viel Drumherum brauchen wir nicht.
So oder so, ich freue mich drauf, wieder nach Biel zu fahren. Endlich wieder viele Lauffreunde zu sehen. Endlich wieder zusammen am Start. Gerne auch mit ein wenig Abstand, den wir nach ein paar Kilometern doch sowieso haben. Endlich wieder eine Nacht hindurch laufen. Wieder morgens den Tag herbeisehnen. Wieder hadern, warum ich mir das antue. Wieder durchbeißen und alle Schmerzen überwinden. Wieder in Biel ankommen. Mehr will ich doch gar nicht.
Aber eines auf jeden Fall: nächstes Jahr wieder auf die Originalstrecke, auf den Spuren von Franz Reist und seinen Laufkameraden.
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