1. Vlaanderens mooiste Marathon
in Zwalm - Belgien (7.4.13)

In den Spuren der Radstars

von Ralf Klink

"Vlaanderens mooiste marathon" - im ersten Moment hört sich dieser Name ziemlich unangenehm an. Zumindest falls man im Hinterkopf eine Verbindung zum Englischen herstellt. Schließlich bedeutet "moist" in dieser Sprache doch nichts anderes als "feucht", "klamm" oder auch "nasskalt" und verspricht beim Auftauchen in Wetterberichten nicht wirklich Gutes. Man spürt die feuchte Kälte schon in den Kleidern hochsteigen. Oder man sieht sich beim Versuch zweiundvierzig Kilometer im Laufschritt zurück zu legen auf knöcheltiefen Schlamm herumrutschen.

Doch liegt dieser intuitive Ansatz einer Übersetzung völlig daneben. Obwohl man in Flandern - die Region, in der die Veranstaltung stattfinden soll, lässt sich aus "Vlaanderen" durchaus herauslesen - bekanntermaßen ja tatsächlich eine germanische Sprache gesprochen wird, in der man sehr wohl die eine oder andere Analogie zu den jenseits des Ärmelkanals benutzten Wörtern entdecken kann, ist etwas ganz anderes, deutlich positiveres gemeint.

Denn "mooi" heißt ins Deutsche übertragen eigentlich "schön". Und "Vlaanderens mooiste marathon" soll deswegen keineswegs der "feuchteste" sondern der "schönste" Lauf im belgischen Norden sein. Es ist ein Name, der - insbesondere für eine vollkommen neue Veranstaltung - nicht gerade nach einem Übermaß an Bescheidenheit klingt. Aber auch in diesem Fall lohnt sich noch einmal ein zweiter Blick.

Selbst ausgedacht haben sich die Organisatoren die Bezeichnung nämlich gar nicht sondern sie vielmehr von einem andreren Sportereignis übernommen, das diese Gegend in einen viel größeren Aufruhr versetzt als ein frisch aus der Taufe gehobener Marathon. Die Rede ist von der Flandern-Rundfahrt, jenes zu den größten Klassikern des Radsports zählende Rennen, das von den Fans den Spitznamen "Vlaandrens mooiste" bekommen hat.

Ziemlich genau hundert Jahre vor dem Marathon wurde es im Frühjahr 1913 zum ersten Mal ausgetragen. Damals ging es trotz längst nicht so gut ausgebauter Straßen und weitaus schlechterem Material über beachtliche dreihundertdreißig Kilometer, von denen heute immerhin noch zweihundertfünfzig übrig geblieben sind. Jedenfalls kann kaum ein halbes Dutzend noch heute gefahrener Eintagesrennen auf eine weiter in die Vergangenheit reichende Geschichte zurück blicken.

Auch eine Woche nachdem die Flandernrundfahrt dort endete, präsentiert sich Oudenaarde noch passend geschmückt

Und noch weniger haben eine vergleichbare Bedeutung wie "de Ronde van Vlaanderen". Zusammen mit der "Primavera" Mailand-San Remo, der Rüttelpisten-Meisterschaft Paris-Roubaix in der "Hölle des Nordens", dem mit dem Ehrentitel "la Doyenne" - auf Deutsch "die Älteste" - ausgestatten Ardennenklassiker Lüttich-Bastogne-Lüttich und dem "Rennen der fallenden Blätter", der Lombardei-Rundfahrt gehört die Ronde zu jenen fünf Veranstaltungen, die man mit vielleicht etwas zu pompös geratenen Namen "Monumente des Radsports" bezeichnet.

Im Dreieck zwischen mehreren der bisherigen Zielorte dieses Klassikers - nämlich Gent im Norden, wo bis Anfang der Siebziger zumeist die Sieger gekürt wurden, Meerbeke im Osten, das zwischen 1972 und 2011 die Gewinner feiern durfte, und dem aktuellen Ziel Oudenaarde im Westen - liegt etwa fünfzig Kilometer von Brüssel entfernt jenes Zwalm, in der man sich entschlossen hat, Vlaanderens mooiste nun erstmals auch als Marathon auszutragen.

Mit nur ungefähr achttausend Einwohnern zählt die durch Fusionen von insgesamt zwölf verschiedenen Dörfern entstandene und dabei nach dem gleichnamigen, weitgehend über ihre Gebiet verlaufenden Flüsschen benannte Gemeinde in Belgien zu den eher kleinen Verwaltungseinheiten. Und auch bezüglich der Bevölkerungsdichte landet man bei der Auflistung in der zweiten Hälfte und deutlich unter dem Landesdurchschnitt. Der ist allerdings verglichen mit den meisten anderen Staaten in Belgien auch recht hoch.

Die Gegend hat natürlich trotzdem einen ziemlich ländlichen Charakter. Felder, Wiesen und vereinzelte Wäldchen bestimmen zwischen den Dörfern und kleinen Städtchen das Bild. Vlaanderens mooiste Marathon muss schon deshalb eindeutig in die Kategorie "Landschaftslauf" einsortiert werden. Und das alleine stellt ja oft bereits ein wichtiges Kriterium dafür dar, ob man eine Strecke am Ende tatsächlich als "schön" empfindet.

Mit "Vlaamse Ardennen" wird diese Region meist bezeichnet. Doch von den "echten" Ardennen, die mit ihren bis fast siebenhundert Meter hohen Erhebungen und zwischen diesen Bergen tief eingeschnittenen, engen Tälern im Osten direkt in die Eifel übergeht, ist sie eigentlich weit entfernt. Auch geologisch haben beide Namensvettern nicht wirklich etwas miteinander zu tun. Viel eher verlief die Namensgebung wie bei der "Fränkischen" oder der "Holsteinischen Schweiz", die wegen einer gewissen, wenn auch nur sehr entfernten Ähnlichkeit so benannt wurden.

Und gerade mit der letzteren lassen sich die flämischen Ardennen abgesehen von den fehlenden Seen ganz gut vergleichen. Denn bei ihren Erhebungen handelt es sich um maximal hundertfünfzig Meter aufragende Kuppen. Jenseits der Sprachgrenze, die Belgien von Ost nach West durchschneidet, schließt sich im Französisch sprechenden Teil dann auch das "Pays des Collines" an, das sich eigentlich viel passender zum Landschaftsrelief mit "Land der Hügel" ins Deutsche übersetzen lässt.

Die Onze-Lieve-Vrouwekerk an der Schelde ... … die Sint-Walburgakerk und das Café "Carillon" am Großen Markt sowie … … das Stadhuis sind die wichtigsten Sehenswürdigkeiten von Oudenaarde

Aus rein topographischer Sicht gehören beide Gebiete im Grunde zusammen. Doch vielleicht nirgendwo sonst bei vergleichbaren Situationen in Europa wird die räumliche Trennung zwischen verschiedenen Sprachgruppen so rigoros durchgezogen wie in Belgien. Während man im Norden nahezu ausschließlich Niederländisch - der Schriftsprache, zu der die in Nordbelgien benutzten Dialekte gehören - begegnet, ist südlich dieser Linie in der Regel ohne jeden Übergangsbereich alles nur noch auf Französisch zu lesen und zu hören.

Sogar die Beschilderungen auf Straßen und Autobahnen sind konsequent einsprachig. Wer also die Stadt ansteuern will, die im Deutschen "Lüttich" heißt, muss sich je nachdem, wo er gerade unterwegs ist, an den Richtungsangaben nach "Luik" oder nach "Liège" orientieren. Und für Antwerpen oder Gent könnte auch einmal "Anvers" oder "Gand" zu lesen sein, während umgekehrt Bastogne durchaus "Bastenaken" heißen kann. Und "Mons" hat man mit "Bergen" sogar wortwörtlich übersetzt.

Auch dass in einem Zug, der über flämisches Gebiet fährt, genau wie auf einem Bahnhof in Flandern sowohl die Durchsagen als auch die Anzeigen auf den Leuchttafeln einzig und alleine Niederländisch erfolgen, wirkt für einen neutralen Betrachter gerade in einem so kleinen Land wie Belgien, in dem man selbst an den am weitesten entfernten Orten so gut wie nie mehr als hundert Kilometer ins andere Sprachgebiet hat, extrem ungewöhnlich.

Aus der ebenfalls mehrsprachigen Schweiz kennt man das durchaus anders, wenn sich dort auch die Reihenfolge der Ansagen je nach Landesteil eventuell verändern kann. Sogar in Südtirol gibt man sich diesbezüglich oft mehr Mühe und springt immer wieder einmal zwischen Deutsch und Italienisch hin und her. Und im stolzen Katalonien, das inzwischen strenge Regeln zur Bevorzugung des Katalanischen eingeführt hat, verkündet die U-Bahn von Barcelona trotzdem die jeweils nächste Haltestelle zusätzlich auch auf Spanisch.

Über das hierzulande übliche - und durch sich selbst für gebildet haltende Mitbürger gerne einmal von oben herab belächelten - "in e fju moments wi will ärreif ät…", "sänk ju for träwwling wis Deutsche Bahn" und "exit on se reit seit off träwwel" der DB muss man in dieser Hinsicht gar nicht reden. Selbst wenn es gelegentlich tatsächlich nicht unbedingt gut klingt, versucht man schließlich immerhin, den des Deutschen nur wenig mächtigen Kunden etwas entgegen zu kommen.

Übrigens sollte man als Zugführer des zwischen Frankfurt und Brüssel pendelnden ICE ziemlich sprachbegabt sein. Denn ausgerechnet in einem deutschen Zug in Belgien werden alle Begrüßungs- und Abschiedsformeln, Bahnhöfe und Verbindungsmöglichkeiten neben der ohnehin üblichen deutschen und englischen Version außerdem noch "en français" und "op nederlands" durchgegeben.

Legte man hingegen die strengen - man könnte auch sagen: "sturen" - belgischen Maßstäbe an, wäre so etwas definitiv nicht nötig. Sollen die Passagiere aus anderen Sprachgebieten doch sehen wo sie bleiben. Nur auf den Brüsseler Bahnhöfen bemerkt man doppelte Durchsagen und Anzeigen. Doch auch das ist völlig konsequent, ist doch die Hauptstadtregion ganz formal als "zweisprachig" - je nachdem also als "tweetalig" oder "bilingue" - definiert.

Neben Halb- und Vollmarathon gibt auch noch den "Aflossigsmarathon" für Sechserstaffeln Mit einem Wettkampfzentrum direkt am Bahnhof findet in Zwalm vermutlich der einzige Marathon mit einem eigenem Bahnanschluss statt Dass die "Zwalmperle" genannte Veranstaltungshalle der Gemeinde am Marathonsonntag so gut gefüllt ist, überrascht auch die Veranstalter

Wenn allerdings selbst in offiziellen Bereichen so agiert wird, wundert es nur noch bedingt, dass Informationen über diesen neu ins Leben gerufenen flämischen Marathon auf seiner Internetseite ebenfalls nur auf Niederländisch zu finden sind. Doch lässt sich mit ein wenig Erfahrung und Phantasie praktisch alles, was dort nachzulesen ist, auch ohne tiefere Sprachkenntnisse noch einigermaßen verstehen.

In geschriebener Form steht schließlich keine andere Sprache der deutschen näher. Und gesprochen bilden beide aus wissenschaftlichem Blickwinkel sowieso eine Einheit. Denn ihre Dialekte gehen fließend ineinander über, sind direkt an der administrativen Grenze auf beiden Seiten ursprünglich sogar gleich. Welche davon inzwischen dem Deutschen und welche dem Niederländischen zugeordnet werden, hängt eher vom historisch eigentlich zufällig und recht willkürlich entstandenen Grenzverlauf ab als von echten Unterscheidungskriterien.

Ähnliches - Linguisten sprechen von einem "Dialektkontinuum" - lässt sich auch in Skandinavien, im romanischen Sprachraum des südlichen und westlichen Europas sowie in den slawischen Gebieten im Osten des Kontinents und auf der Balkanhalbinsel feststellen. Erst das Aufkommen der Idee eines Nationalstaates im neunzehnten Jahrhundert und einer zu ihm gehörenden Einheitssprache trieb wirkliche Keile zwischen diese großen Gruppen.

Doch tatsächlich auseinander gebrochen sind sie mehr als hundert Jahre später - unter anderem durch den stärker werdenden Einfluss überregionaler Medien. Dass Dialekte - von wenigen Ausnahmen wie der Deutschschweiz oder Norwegen einmal abgesehen - zudem immer mehr in den Ruf gerieten, bäuerlich und primitiv zu sein, trug ein Übriges dazu bei. Gerade weil sich die besser angesehene, entsprechend geförderte Hochsprache in praktisch allen Situationen durchsetzte, wurde die Verständigung mit Nachbarn jenseits der Grenze aber erheblich erschwert.

Obwohl der Mensch natürlich dazu neigt, in Schubladen zu denken, ist die Einteilung in verschieden "Sprachen" keineswegs so "eindeutig" und "natürlich", wie man es gerne hätte. Gerade das Schwizerdütsch liefert dafür ein gutes Beispiel. Ist es doch für ungeübte Ohren mindestens genauso unverständlich wie das Niederländische, landet allerdings durch das Fehlen einer eigenen normierten Schriftsprache trotzdem noch im Kästchen "Deutsch".

Und um zu behaupten, dass der Plattdüütsch-Snacker aus Schleswig-Holstein und der Oberbayer aus den Alpen tatsächlich die gleiche Sprache benutzen würden, muss man wohl wirklich die nationale Brille aufsetzen. Ein Außenstehender könnte jedenfalls bei dem, was die beiden von sich geben, wohl kaum irgendeine Gemeinsamkeit heraus hören.

Jedenfalls lässt sich im weltweiten Netz über den Marathon in Zwalm unter anderem entdecken, dass bei "Voorinschrijvingen" für den Marathon gerade einmal fünfundzwanzig und für den Halbmarathon nur zwölf Euro zu bezahlen sind. Der "Dagprijs" sei dagegen dreißig und fünfzehn Euro. Das Preis-Leistungs-Verhältnis der ohnehin nicht gerade üppigen Meldegebühr wird durch den Satz "voor iedere deelnemer is een T-shirt als herinnering in de prijs inbegrepen" noch einmal deutlich besser.

Einen "Aflossingsmarathon" hat man ebenfalls im Angebot, den man mit etwas Nachdenken als "Ablösungs-", also "Staffelmarathon" identifizieren kann. Sechs Läufer teilen dabei die Strecke in Einzeldistanzen zwischen fünf und zehn Kilometern untereinander auf. Und auch für diesen Wettbewerb fällt das - hinterher separat auf ein Konto des Veranstalters zu überweisende - Startgeld mit dreißig und fünfunddreißig Euro für eine Vor- bzw. eine Nachmeldung keineswegs übertrieben hoch aus.

Während das Ziel genau vor der Halle aufgebaut ist… …findet sich der nur mit einer Linie auf dem Asphalt markierte Start in einem Wohngebiet jenseits der Bahngleise

Hangelt man sich nur ein bisschen weiter durch die unter dem Oberbegriff "Praktisch" geführten Punkte, entdeckt man den genauen Startort, der in einem Verbund aus zwölf verschiedenen, über immerhin dreißig Quadratkilometer verteilte Dörfern durchaus von gewissem Interesse sein dürfte. Denn "kleedkamers, douches, start- en aankomstplaats zijn gelegen in en aan de Zwalmparel-Sporthal".

Und dieser Doppelbau bestehend aus einem Veranstaltungssaal mit dem schönen Namen "Perle von Zwalm" und einer Großsporthalle, um den herum sich der Marathon abspielen soll, findet sich im größten und ziemlich genau in der Mitte des Gemeindegebietes gelegenen Ortsteil Munkzwalm. Allerdings ist dieser trotz seiner geographischen Position mit nicht einmal zweitausend Einwohnern weit davon entfernt ein echtes regionales Zentrum für die umliegenden, noch kleineren Siedlungen zu sein.

Dennoch ist Munkzwalm aufgrund der dort vorhandenen Infrastruktur natürlich der logische Start- und Zielort. Nicht nur, dass man durch die beiden zur Verfügung stehenden Hallen neben Umkleiden und Duschen auch praktisch alles andere Notwendige wie zum Beispiel Startnummernausgabe, Anmeldung, Siegerehrung und Bewirtung ohne große Aufbauten auf kleinstem Raum abwickeln kann. Direkt daneben gibt es zudem eine große Wiese, die sich als Parkplatz zweckentfremden lässt.

Zu allem Überfluss liegt dann auch noch der Bahnhof von Munkzwalm in der Nähe - oder wie es im Original heißt "ook het station van Munkzwalm ligt vlakbij de Zwalmparel-Sporthal". Wobei die Formulierung "nahe bei" allerdings fast noch eine Untertreibung darstellt. Denn vom Bahnsteig sind es im wahrsten Wortsinne nur wenige Schritte bis zum Zielkanal. So ist der Marathon von Zwalm vielleicht der einzige Lauf auf dieser Distanz, der über einen eigenen Bahnanschluss verfügt.

Die Station "is gelegen langs de spoorlijn Kortrijk - Brussel" und "in het weekend stopt er ieder uur een trein". Auch das - nämlich die stündliche Verbindung nach Kortrijk und Brüssel - stellt eine durchaus wichtige Information für jene Läufer dar, die auf das eigene Auto verzichten möchten - vor allem weil das Übernachtungsangebot in Zwalm ziemlich begrenzt ist.

Gerade einmal zwei Hotels und etwa ein Dutzend Bed-and-Breakfast-Unterkünfte werden unter "Overnachten" genannt. Allerdings befindet sich kein einziges dieser Quartiere in Munkzwalm.

In den benachbarten und ebenfalls längs der Bahnlinie gelegenen etwas größeren Städtchen Zottegem und Oudenaarde sind die Möglichkeiten, ein Bett für Nacht zu finden, nur unwesentlich besser. Erst im etwa vierzig Kilometer entfernten Kortrijk mit seinen knapp achtzigtausend Einwohnern wird die Auswahl größer. Von dort ist Munkzwalm aber in weniger als einer halben Stunde mit dem Zug erreichbar. Und in Brüssel, das mit fünfzig Kilometern und einer Fahrzeit von einer Dreiviertelstunde nur unwesentlich weiter weg ist, existieren sowieso genug Hotels.

Ins wesentlich nähere Gent - aus rein verwaltungstechnischer Sicht hinter Antwerpen und klar vor Brüssel, das eigentlich nur aus dem echten Zentrum der Metropole besteht und ansonsten von einer ganzen Reihe selbständiger Gemeinden umgeben ist, die zweitgrößte Stadt im Land - gibt es dagegen keine direkte Bahnverbindung. Doch mit einmaligem Umsteigen braucht man von dort ebenfalls nicht einmal eine Stunde zum Marathonstart. Angesichts einer Startzeit von zehn Uhr ist also auch von dort eine Anreise noch problemlos machbar.

Eingeleitet wird das Rennen mit einer kurzen Runde um den Häuserblock

Von einigen Studenten der Genter Hochschule bekommen die Organisatoren vom Sportamt der Gemeinde übrigens tatkräftige Unterstützung. Gleichzeitig können diese dabei ihre theoretisch erworbenen Kenntnisse über die Abwicklung einer Veranstaltung einmal praktisch in die Tat umsetzen. Aber auch die beiden örtlichen Laufvereine sind bei den Planungen mit eingebunden und haben ihre Ideen und langjährigen Erfahrungen beigesteuert, was man an einigen Details später durchaus bemerken wird.

Dass einer von ihnen unter "Joggingclub Zwalm" firmiert, der andere den Namen "Joggingclub Run for Fun Zwalm" trägt, ist keineswegs besonders ungewöhnlich. Denn während hierzulande das Wort "Jogging" inzwischen doch einen leicht negativen und ziemlich spöttischen Unterton bekommen hat, wird er in Belgien zumindest wertneutral verwendet und ist wahrscheinlich meist sogar eher positiv besetzt. Jedenfalls begegnet man in belgischen Melde- und Ergebnislisten diesem Begriff bei Vereinsbezeichnung ziemlich häufig.

Für Vlaanderens mooiste Marathon wird in den Resultaten später zwar kein Club sondern nur der Wohnort auftauchen. Doch zeigt gerade das selbst bei einer oberflächlichen Durchsicht, dass der Lauf eine weitgehend regionale Angelegenheit darstellt. Kaum mehr als ein halbes Dutzend Niederländer und sogar noch weniger Läufer aus Frankreich, bis zu dessen Grenze es gerade einmal fünfzig Kilometer wären, lassen sich dort entdecken.

Und selbst die Belgier kommen weitgehend aus dem Umland, zumindest aber aus dem nördlichen flämischen Landesteil. Da ist der nur einsprachig gehaltene Netzauftritt sicher ein gewisses Hindernis. Doch selbst bei Veranstaltungen, die ihre Informationen in mehreren Varianten anbieten, lässt sich feststellen, dass flämische und wallonische Läufer sich weitgehend auf Rennen in ihrem jeweiligen Sprachraum beschränken. Ähnliches kann man jedoch genauso in der Schweiz beobachten, wo Deutschschweizer und Romands ebenfalls meist unter sich bleiben.

Einen weit über das eigene Umland hinaus wirkenden Marathon hatten die Organisatoren aber irgendwie auch gar nicht erwartet. Glaubt man den Pressemeldungen sind sie über den Zuspruch, den ihr Lauf findet, sogar ziemlich überrascht. Mit hundertvierzig Marathon- und hundertzwanzig Halbmarathoneinschreibungen habe man schon im Vorfeld "een gigantisch aantal" erreicht. Zudem hätten bereits knapp zwanzig Staffeln angemeldet. Und da würden "de daginschrijvingen nog komen".

Auch weil nach einem noch ziemlich ungemütlichen Samstag, am Wettkampfmorgen wie zuvor angekündigt die Sonne vom Himmel herunter lacht, kommen diese tatsächlich. Auf fast zweihundert Starter wächst das Marathonfeld an, noch einmal hundert mehr sind es auf der Halbdistanz. Und auch noch ein paar Mannschaften melden. Obwohl "de organisatie verwachtte 300 lopers", sind bei der Premiere also ungefähr sechshundert Teilnehmer dabei.

"Voor een eerste editie is dit een fenomenaal success.", meinen die Veranstalter dazu gegenüber der Zeitung. Bei anderen Marathons würde man angesichts solcher Werte dagegen längst wieder über eine Einstellung nachdenken. Doch die Ansprüche sind eben durchaus verschieden. Und trotz nicht einmal zweihundert Marathonis im Ziel wird man sich am Ende des Jahres ziemlich sicher unter der zehn größten belgischen Läufen über diese Distanz wiederfinden.

Bereits nach einem Kilometer wird das Umfeld ziemlich ländlich und auch die erste kleine Welle wartet auf das Läuferfeld

Dass man andererseits aber Mühe haben wird, nicht in der zweiten Hälfte der nationalen Rangliste zu landen, sagt eigentlich alles über die Veranstaltungshäufigkeit im Land aus. Was sich allerdings im ersten Moment ziemlich dürftig anhört, relativiert sich schnell, wenn man einmal das bezüglich Größe und Bevölkerungszahl einigermaßen vergleichbare Baden-Württemberg betrachtet. Denn so sehr man die Kalender auch wälzt, zwanzig Läufe über zweiundvierzig Kilometer bekommt man dort ebenfalls nicht zusammen.

Ein wenig überraschend sind die belgischen Marathon-Daten allerdings doch. Weder in Brüssel noch in der Halbmillionen-Metropole Antwerpen erreicht man nämlich zweitausend Zieleinläufe. Die nächstkleineren Veranstaltungen wie der Maasmarathon von Visé, die "Nacht van Vlaanderen" in Torhout, der entlang der Frontlinien des ersten Weltkriegs gelaufene Marathon von Ypern und das Rennen in Kasterlee bleiben sogar klar unter der Fünfhunderter-Marke hängen. In der Summe werden deshalb in Belgien weit weniger als zehntausend Marathonis registriert.

Ein Stück weiter im Norden in Amsterdam hat man dagegen zuletzt mit nur einem einzigen Rennen die Fünfstelligkeit geknackt. Und das Rennen von Rotterdam stößt mit seinen mehr als siebentausend Läufern ebenfalls alleine jene Regionen vor, die man beim südlichen Nachbarn nur insgesamt erreicht.

Auf der anderen Seite sind die Belgier aber durchaus reisefreudig und stellen - hinter den diesbezüglich wohl eindeutig vorne liegenden Dänen - bei vielen bedeutenden Marathons in Europa bezogen auf ihre Einwohnerzahl eines der stärksten Kontingente.

Vlaanderens mooiste Marathon ist also im Hinblick auf seine Größe nicht nur völlig durchschnittlich sondern eigentlich auch ziemlich typisch. Anders hatten ihn sich seine vom "onverhoopt success" überraschten Erfinder sicher auch gar nicht vorgestellt. Zu einer echten Massenveranstaltung lässt sich der Lauf schließlich sowieso nicht machen, ohne den vorhandenen Rahmen zu sprengen. Schon mit den Startern bei der Premiere ist die "Zwalm-Perle", in der man seine Startnummer bekommt und hinterher noch schnell einen Kaffee trinken kann, ziemlich gut gefüllt.

Neben einer Startnummer, der man aufgrund der vielen Löcher in den Ecken ansieht, dass sie schon etliche Male im Einsatz war, findet sich im Umschlag auch ein Notfallzettel, den man ausfüllen und später wieder zu den Meldetischen zurück bringen soll. Der ist zwar natürlich ebenfalls nur in Niederländisch gehalten. Doch man versteht schon, dass da Angaben zu Adressen, Telefonnummern, Allergien, Arzneiunverträglichkeiten und chronische Krankheiten zu machen sind.

Bei den ganz großen Marathons kann man ähnliches oft auf der Rückseite der Startnummer tun. Und der eine oder andere fragt diese Informationen sogar schon bei der Online-Anmeldung ab. Doch auch die Zettellösung ist durchaus akzeptabel und bei Bedarf sicher wesentlich sinnvoller als ein simples ärztliches Unbedenklichkeitsattest, wie es in Frankreich und für Nicht-Vereinsmitglieder auch in Italien zwingend vorgeschrieben ist.

Für alle, die nicht ohnehin schon im Laufdress erschienen sind oder sich im - mit seinen kahlen Wänden gar nicht so festlichen wirkenden - Festsaal der dicksten Schichten ihrer Bekleidung entledigen, stehen zum Umziehen die Kabinen der direkt benachbarten Sporthalle zur Verfügung. Und auch an eine Taschenabgabe hat man in Zwalm gedacht. Was die Organisation angeht, muss man schon absolut in den Krümeln suchen, um irgendwo einen winzigen Schwachpunkt zu entdecken.

Ein Kilometer entlang der Bahn bringt die Marathonis endgültig aus dem Startort Munkzwalm hinaus

Trotz der Sonnenstrahlen, die vor der Halle auf die Straße prallen, belassen es viele bei der Auswahl ihres Laufdresses dann doch lieber bei der Wintergarderobe. In der Nacht hatte es schließlich leicht gefroren, bei der Anfahrt hatte noch Nebel über den Wiesen gelegen und selbst nachdem sich dieser nun gelichtet hat, zeigt das Quecksilber weiterhin Werte, die näher an der Null als an der Zehn liegen.

Im Laufe des Tages und des Rennens wird sich das zwar umkehren. Aber zweistellig werden die Temperaturen zumindest bei Messung im Schatten dennoch nicht. Dass sie sich deutlich wärmer anfühlen, liegt zum einen sicher am scharfen Kontrast zum unangenehm langen Winter, der sich am Vortag mit einem ziemlich kalten Ostwind unter dicken Wolken noch einmal in Erinnerung gebracht hatte.

Allerdings hat sich diese steife Brise am Marathonsonntag nicht nur zu eine leichten Lüftchen gewandelt, am blauen Himmel zeigen sich den ganzen Tag über auch nur ein paar vereinzelte Schönwetterwölkchen, so dass die im April doch schon recht kräftige Sonne ihre Wirkung einigermaßen entfalten kann. Wenn sich das Zentralgestirn allerdings dann doch einmal hinter ihnen versteckt und zudem der Wind in offenem Gelände etwas zulegt, wird es durchaus frisch.

Mutigere greifen deshalb sehr wohl zu kurzer Hose und T-Shirt. Doch ans Trägerhemd will sich im Starterfeld, das sich kurz vor zehn durch den Fußgängertunnel vor der Halle hinüber auf die andere Seite der Bahnlinie macht, wo sich der Start befindet, kaum jemand heran trauen. Es fällt aber auch zugegebenermaßen schwer sich für das leichteste denkbare Oberteil zu entscheiden, wenn die Dächer auf der Schattenseite noch gefroren glänzen.

Die Radprofis, die eine Woche zuvor am Ostersonntag während der Flandern-Rundfahrt in der gleichen Region unterwegs waren, hatten da bei Temperaturen allerdings doch noch deutlich schlechtere Bedingungen erwischt. Aber vollkommen ungewöhnlich sind solche Verhältnisse angesichts eines Termins Anfang April oder wie in diesem Jahr sogar Ende März bei der Ronde van Vlaanderen natürlich trotzdem nicht.

Es mag ein wenig verwundern, dass man so früh im Jahr aus dem schon etwas wärmeren Süden ins nicht ganz so vom Wetter verwöhnte Belgien wandert. Doch ist die Flandern-Rundfahrt sogar nur der Höhepunkt einer ganzen Serie von Rennen, die zwischen Ende Februar und Mitte April auf flandrischen Straßen ausgetragen und weitgehend vom gleichen Veranstalter organisiert werden. Es beginnt mit "Omloop Het Nieuwsblad", das - bis zur Übernahme der namensgebenden Zeitung durch eine andere - früher "Omloop Het Volk" hieß.

Dann folgen "Dwars door Vlaanderen" - auf Deutsch "Quer durch Flandern" - und Gent-Wevelgem sowie das "E3 Harelbeke" und die drei Tage von De Panne anderer Organisatoren. Am Tag des Marathons endet Paris-Roubaix - das in Wahrheit in Compiègne ein ganzes Stück nördlich der französischen Hauptstadt gestartet wird - nur wenige Kilometer von der belgischen Grenze entfernt. Und zwischen beiden großen Klassikern gibt es mittwochs in der Region auch noch den Scheldeprijs.

Bis zu den ersten Häusern des Ortsteiles Roborst folgt man den Gleisen... …kurz darauf führt ein Schlenker wieder ins offene Feld hinaus

Mit dem "Brabantse Pijl" - dem "Pfeil von Brabant" - in der Nähe von Brüssel wendet sich das Programm dann am Mittwoch darauf weiter nach Osten, wo anschließend in den Ardennen und ihren Ausläufern noch das niederländische "Amstel Gold Race", der "Flèche Wallonne" und Lüttich-Bastogne-Lüttich anstehen. Da ist es kein Wunder, dass etliche Radteams ihr Quartier gleich ganz in Flandern aufschlagen und sich zwischendurch gar nicht mehr auf den Heimweg machen.

Selbst wenn natürlich nicht immer alle Profis an allen Rennen teilnehmen, kommt angesichts dieser Wettkampfdichte, sofort das Stichwort "Doping" hoch. Wie anders als mit unerlaubter Unterstützung durch Medikamente soll man ein solches Programm denn überhaupt durchhalten können. Und wenn man über den Radsport schreibt, kommt man um dieses Thema wohl auch gar nicht herum. Schließlich scheint dieser ohne Aussicht auf Rettung immer tiefer im Sumpf zu versinken.

Doch obwohl er - vermutlich durch seinen in sich geschlossenen und aus sich selbst heraus immer wieder erneuernden Zirkel von Fahrern, Betreuern und Managern - über viele Jahrzehnte diesbezüglich eine besonders extreme Kultur aufgebaut hat, sollte man sich davor hüten, mit dem Finger nur auf die Radfahrer zu zeigen und alle andere Disziplinen als weitgehend "sauber" zu betrachten. Viel zu häufig wurden auch anderswo schon schwarze Schafe erwischt.

Und zu glauben, dass ein Mittel, das von etlichen Radsportlern genommen wird, um schneller und ausdauernder zu werden, nicht auch für Bi- und Triathleten, Skilang- und Marathonläufer etwas bringen könnte, wäre recht naiv. Da dort inzwischen ähnlich viel Geld im Spiel ist, gibt es durchaus auch einen Anreiz bei mangelnder Form mit unerlaubten Mitteln nachzuhelfen. Als Beleg für diese These dient zudem eine ganze Reihe von Athleten, die in den entsprechenden Sportarten ebenfalls bereits einmal aus dem Verkehr gezogen wurden, weil eine ihrer Proben positiv war.

Ohne das durch die Strukturen noch verstärkte Schweigekartell der sicher ziemlich belasteten Radprofis auch nur im Entferntesten in Schutz nehmen zu wollen, sollte man sich jedenfalls durchaus einmal die Frage stellen, warum es denn überall sonst so viel anders zugehen sollte. Dass nicht nur Prämien sondern auch Sponsoren- und Fördergelder einzig und allein dann fließen, wenn sich Erfolge einstellen, ist schließlich überall gleich. Und so mauern dann nicht nur Athleten, Trainer und Manager, falls wieder einmal irgendwo zufällig etwas aufgedeckt wird.

Verbände und Veranstalter haben genau wie die Geldgeber in der Regel ebenfalls überhaupt kein Interesse an einer gründlichen Aufklärung von Dopingaffären und der Benennung aller darin verwickelter Hintermänner. Gerade der Radsport zeigt hierzulande ja exemplarisch, wie schnell Aufmerksamkeit und Begeisterung verloren gehen können, wenn die Zahl der Fälle gar zu groß und das Image allzu schlecht wird. Die These vom Einzeltäter ist da der Öffentlichkeit doch viel einfacher zu verkaufen, ohne selbst Schaden zu nehmen.

Nie wirklich steil, aber meistens dennoch hügelig ist das Gelände

Der Hochleistungssport ist eben auch ein Zirkus, der das Publikum unterhalten soll. Und solange "unsere" mit vorne dabei sind, will die Masse der Zuschauer halt nur zu gerne glauben, dass dabei alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Und wenn dann doch einmal jemand erwischt wird, sind es meist "irgendwelche Russen", denen man in dieser Hinsicht sowieso alles zutraut.

Über die Belgier nun die Nase zu rümpfen, weil sie sich genau wie Franzosen, Italiener oder Spanier trotz aller Enthüllungen und Geständnisse auch weiterhin an den Straßenrändern drängen, wenn wichtige Rennen anstehen, wäre angesichts der Tradition, die der Radsport in diesem Land besitzt und die man alleine anhand der obigen Aufzählung vielleicht ein wenig erahnen kann, deswegen auch ein wenig unfair.

Es wäre schließlich auch kaum vorstellbar, dass man sich hierzulande die Freude am Fußball vollkommen verderben ließen und niemand mehr ins Stadion ginge, nur weil noch mehr Wett- und Manipulationsskandale als bisher schon aufgedeckt würden oder auch dort die Verwendung verschiedenster Mittelchen ans Licht käme. Von Pseudosportarten wie der Formel eins, bei der es bekanntermaßen weniger um Fairness und Moral als ums Geldverdienen geht und die dennoch jeden Sonntag Millionen Menschen vor die Fernsehschirme bringt, sowieso ganz zu schweigen.

Jenseits der Eisenbahn dehnt sich ein kleines Neubaugebiet aus, das hauptsächlich aus Fertig- und Reihenhäusern besteht. In der Straße zwischen ihnen markiert nichts als ein simpler Strich auf dem Asphalt den sich nur langsam füllenden Startplatz. Auch zur vorgesehenen Zeit um zehn Uhr ist dort aber von entsprechenden Vorbereitungen wenig zu sehen. Doch windgeschützt und von den Strahlen der Sonne gewärmt, lässt es sich an dieser Stelle durchaus ein wenig aushalten.

Erst als ein Herr mit Megafon auftaucht, die inzwischen dann doch weitgehend komplette Läuferschar hinter die Linie bittet und dabei etwas von "vijf minuten" erwähnt, wird auch denjeniegen, die bis dahin nichts davon mitbekommen hatten klar, dass der Start wegen des großen Andranges an den Nachmeldeschaltern um eine Viertelstunde nach hinten verschoben wurde.

Es ist nicht die einzige Verspätung an diesem Tag. Denn auch der Schuss knallt erst, als sich das Feld nach dem Herunterzählen der letzten Sekunden schon längst in Bewegung gesetzt hat und die erste Kurve ansteuert. "Eerst naar links" solle man an der keine fünfzig Meter vom Start entfernten Einmündung abbiegen, hatte die Vorgabe gelautet. Nach dem Absolvieren einer kleinen Runde ginge es dann an der gleichen Ecke aber "naar rechts".

Kompliziert ist das eigentlich nicht. Die Schleife ums Karree ist kaum länger als eine Stadionrunde. Und so ist das Feld auch noch ziemlich dicht, als es zum zweiten Mal durch das Spalier der am Start versammelten Zuschauer hindurch kommt. Der Beifall muss eine Zeit lang vorhalten, denn so viel Applaus auf einmal wird man im Verlauf des gesamten Rennens nicht mehr bekommen.

Nach knapp fünf Kilometern wird erneut Roborst erreicht und dabei auch die Sint-Dionysiuskerk gestreift

Ein wenig ungewöhnlich ist dieser zweite Schwenk nach rechts schon, wenn man den Streckenplan nur grob im Kopf hat. Eigentlich führt der Kurs nämlich wieder in die andere Richtung, um südlich der mitten durchs Gemeindegebiet hindurch schneidenden Bahnlinie einen großen im Uhrzeigersinn zu belaufenden Kreis zu beschreiben, der die Läufer nach einundzwanzig Kilometern wieder zurück nach Munkzwalm bringt.

Für die Marathonis schließt sich anschließend noch eine weitere völlig andere Schleife im Norden von Bahn und Zielort an. Die Ausschreibung erklärt diesen Verlauf einfach mit: "Het parcours bestaat uit twee lussen - een zuidelijke lus en een noordelijke lus." Da dieser nördliche Abschnitt später ebenfalls im Uhrzeigersinn absolviert werden wird, im Gegensatz zum Schreiben der Ziffer also kein Wechsel von einer Rechts- auf eine Linksdrehung stattfindet, könnte man die Strecke ungefähr als "falsche Acht" beschreiben.

Schnell schwenken die Marathonis dann aber doch nach Osten. Und fast noch schneller, bevor der erste der zweiundvierzig hervorragend markierten Kilometer erreicht ist, haben sie, auch das etwas dichter bebaute Gebiet des Dorfes hinter sich gelassen. Nun unterbrechen immer wieder einmal Ackerflächen oder Wiesen die lockere Häuserreihe am Rand der irgendwo zwischen schmalem Sträßchen und ausgebautem Feldweg einzuordnenden Asphaltpiste mit dem passenden Namen "Veldstraat".

Das ist durchaus typisch für die Siedlungsform in den flämischen Ardennen. Denn die Dörfer besitzen keineswegs eine kompakte Struktur. Nur einen ziemlich kleinen Kern, der sich meist um die Kirche gruppiert, kann man gut identifizieren. Dann ziehen sich die Häuser einzig und allein entlang der sich dort treffenden kleinen Straßen in alle Himmelsrichtungen, um dann irgendwann ohne scharfe Konturen in die Landschaft hinaus zu tröpfeln. Wo die einzelnen Ortsteile von Zwalm beginnen und wo sie enden, ist dem Uneingeweihten deshalb auch kaum ersichtlich.

Ein kleiner Anstieg bringt die Läufer zur quer durch Munkzwalm verlaufenden Hauptstraße, nach deren Überqueren sie den Ort dann langsam wirklich hinter sich lassen. Immer weniger Häuser säumen die Route, immer offener wird die Landschaft. Dafür stoßen sie nach ungefähr zwei zurückgelegten Kilometern dann allerdings auf die "spoorlijn", der die Marathonis nun für ziemlich genau tausend Meter folgen werden.

Erstmals läuft man dabei wirklich ein längeres Stück durch offenes Feld. Aber bis zur nächsten Häuserreihe, die ein wenig erhöht parallel zur Strecke entlang zieht, sind es nur wenige hundert Meter. Und am Ende des fast schnurgeraden Weges entlang der Gleise sind ebenfalls schon wieder Gebäude zu erkennen.

Dieser häufige Wechsel macht den Kurs vielleicht sogar interessanter und abwechslungsreicher als reine Naturrunden - insbesondere wenn diese hauptsächlich in einem wenig Aussichten bietenden Wald abgesteckt sind. In schöner Regelmäßigkeit ändert sich bei Vlaanderen mooiste Marathon schließlich das Blickfeld. Ständig bieten sich andere Orientierungspunkte. Immer wieder gibt es unterwegs Neues zu entdecken. Und ehe man sich versieht, ist so schnell die nächste Kilometermarkierung passiert.

Vorbei an einer vom Marathon ausgebremsten Radfahrergruppe …
… führt der Weg aus Roborst hinaus über die längste Steigung der gesamten Strecke

Nachdem man die ersten, zum Ortsteil Roborst gehörenden Häuser erreicht hat, wird die Eisenbahn wieder verlassen. Und mit diesem Abbiegen befinden sich die Läufer nun tatsächlich zum ersten Mal in exakt jenen Spuren, die von den Radprofis eine Woche zuvor hinterlassen worden waren. Denn für einen kurzen Abschnitt läuft man auf einem Sträßchen, das - allerdings in umgekehrter Fahrtrichtung - auch zum Parcours der Flandern-Rundfahrt gehörte. Noch an drei weiteren Stellen werden sich die Kurse beider Rennen überschneiden.

Bisher hatte das Profil nur ganz leichte Wellen. Nun allerdings scheint die Strecke genau auf einen Hügel zuzusteuern, der von einer Kirche gekrönt wird. Wirklich steil ist er aber nicht. Und selbst für die ohnehin recht bescheidenen Verhältnisse der flämischen Ardennen hat er auch keineswegs eine besondere Höhe. Wohl deshalb sind ihn die Radfahrer bei der Ronde van Vlaanderen eine Woche zuvor auch nur bergab gerollt.

Denn eine Besonderheit der Rennen in Flandern sind jene kurzen giftigen Anstiege, die aufgrund der örtlichen Gegebenheiten zwar eigentlich nie mehr als hundert Meter Höhenunterschied überwinden, dafür aber in ihren steilsten Abschnitten zweistellige Steigungsprozentsätze bieten können. "Hellingen" werden sie genannt, was zwar eigentlich in Niederländischen nicht viel mehr als "Steigung" bedeutet, aber dennoch längst zu einem festen Begriff im Radsport geworden ist.

Da ihre Zahl durchaus überschaubar ist, werden für die "Voorjaarsklassiekers" - eine tückische Sprachfalle, denn nicht "Vorjahr" sondern "Frühjahr" ist gemeint und das dazu passende Gegenstück für die Herbstrennen heißt "Najaarsklassieker" - die immer gleichen Rampen in anderen Kombinationen neu zusammen gemischt. So taucht dann auch so manche Helling gleich bei etlichen von ihnen im Streckenplan auf.

Einige dieser Stiche haben durch die Ronde van Vlaandren einen fast schon legendären Ruf. Anstiege wie die "Muur van Geraardsbergen", den "Bosberg" oder den "Koppenberg" kennen die Fans jedenfalls weit über Flandern hinaus. Obwohl diese Hügel rein geographisch nun wirklich nicht besonders sind und weltweit sicher zigtausende ähnliche Kuppen existieren, gibt es zu ihnen gleich in einem halben Dutzend Sprachen Wikipedia-Einträge.

Regelmäßig wurde an ihnen schließlich die Flandern-Rundfahrt entschieden. Und das nicht nur, weil sich wegen ihrer Schwierigkeit dort die besten Athleten meist von der Konkurrenz absetzen konnten. Immer wieder waren es auch Stürze, die auf den nur wenige Meter breiten Wegen das große Feld zum Stehen brachten und einige Favoriten damit ausbremsten, während andere ungehindert davon fuhren.

Dass jetzt nur noch die letztere dieser drei berühmtem Anstiege bei der Ronde auf dem Programm steht - und das keineswegs zu einem wichtigen Zeitpunkt im letzten Streckenteil sondern irgendwo mittendrin - hat bei den traditionsbewussten Fans genauso für Unmut gesorgt wie der Umzug von Meerbeke nach Oudenaarde, der die eigentliche Ursache für die Neugestaltung des Kurses war. Von Boykott oder sogar Sabotageaktionen wurde gesprochen. Doch längst haben sich die Gemüter wieder beruhigt und der Zuschauerzuspruch ist so groß wie zuvor.

Lange bleiben die Marathonis nicht auf der Route der Radfahrer, denn sie gehen den Hügel mit dem Ortskern von Roborst keineswegs auf dem direkten Weg an. Vielmehr lenkt man sie entlang der vorhin schon entdeckten Häuserreihe ins Feld hinaus und damit eigentlich wieder auf Munkzwalm zu. Zwei Linkschwenks an den jeweils nächsten Wegkreuzungen bringen die Läufer jedoch nicht nur einen sanften, aber lang gezogenen Anstieg hinauf sondern auch wieder in die genau umgekehrte Richtung.

Nach etwa fünfzig im Anstieg gewonnen Höhenmetern … … geht es auf der Kuppe erst einmal einigermaßen eben weiter

Auf einer Fläche von kaum einem halben Kilometer Breite hat man damit - ohne es überhaupt richtig zu merken - gleich drei parallel verlaufende Wege unter den Füßen gehabt, sich dabei zweimal um hundertachtzig Grad gedreht und zwei zusätzliche Kilometer ohne wirklich großen Raumgewinn absolviert. Noch einige weitere Male wird die Marathonstrecke ähnliche Haken schlagen und sich in verwirrende Schleifen legen.

Längere Geraden sind auf diesem Kurs eine absolute Mangelware. Im Schnitt kommt schon nach wenigen hundert Metern die nächste Kurve. Und selbst dazwischen lehnen sich die Feldwege und Sträßchen noch in leichten Bögen an die Hügel und halten selten die anfangs eingeschlagenen Himmelsrichtungen. Der wilde Zickzack lässt den Nicht-Ortskundigen manchmal schon ein wenig die Orientierung verlieren. Aber, wenn jede Ecke eine weitere Richtungsänderung bringen kann, kommt eben auch nicht einmal die Spur von Langeweile auf.

Den Organisatoren geht es mit den vielen Schlenkern nicht nur um das Zusammenbekommen der notwendigen Distanz. Sie haben auch die feste Absicht, alle zwölf Ortsteile zumindest einmal zu berühren. Erst in den Siebzigern - also etwa zur gleichen Zeit, als auch hierzulande mit großen Gemeindereformen zuhauf Fusionen durchgezogen wurden - waren die Dörfer zusammengelegt worden.

Die Flagge, die man für die neu entstandene "gemeente Zwalm" gewählt hat, symbolisiert diesen Verbund recht gut, zeigt sie doch zwölf im Kreis angeordnete gelbe Sterne auf blauem Grund. Von der in dieser Hinsicht ziemlich ähnlich gestalteten Europafahne unterscheidet sie sich eigentlich nur durch einen weiteren Stern im Zentrum - wohlgemerkt: mit zwölf Zacken - und einen zusätzlichen roten Rahmen außen.

Allerdings habe man beim Austüfteln der Strecke natürlich auch versucht, die ganz heftigen Steigungen möglichst zu vermeiden, erzählt Henk Decraecke während des Laufes. Da er in Zwalm zu Hause ist und zudem noch dem in die Organisation mit eingebunden Club Run for Fun angehört, hat er diesbezüglich selbstverständlich Informationen aus erster Hand.

Gemeinsam mit seinem Vereinskamerden Jan de Schamphelaere ist er in leuchtendem Rot durch die von vielen Trainingsläufen bekannten Hügel unterwegs. Während de Schamphelaere auf den heimatlichen Wegen seinen allerersten Marathon absolviert, ist Decraecke über diese Distanz schon wesentlich erfahrener. Neben einigen Rennen in Belgien und den Niederlanden steht unter anderem auch Zermatt schon in seiner Liste.

Im Hinblick auf den Höhenunterschied kann Vlaanderens mooiste Marathon gegen diesen Konkurrenten selbstverständlich nicht mithalten. Nur etwa achtzig Meter beträgt schließlich die Differenz zwischen dem tiefsten und dem höchsten Punkt. Doch durch die vielen kleinen Wellen addieren sich die Anstiege insgesamt wohl - je nachdem, wie genau man rechnet - doch auf drei- bis vierhundert Meter.

Hauptsächlich über asphaltierte Feldwege wird die gut ausgeschilderte Laufstrecke geführt

Am Ende des Schlenkers erreicht man erneut Roborst, jedoch ein Stück oberhalb der Kirche, die nur von unten betrachtet auf dem höchsten Punkt zu sitzen schien und nun von genau der anderen Seite aus angesteuert wird. Damit ist man auch zum zweiten Mal auf der Flandern-Rundfahrt-Strecke gelandet - diesmal sogar tatsächlich in Fahrtrichtung. Doch noch kürzer als zuvor ist die Überschneidung diesmal, sie reicht nur bis zur nächsten Einmündung, wo die Marathonis bereits vor Erreichen der Sint-Dionysiuskerk wieder von der Hauptstraße abbiegen.

Trotzdem zeigt der Abschnitt eine zweite wichtige Besonderheit der flämischen Radrennen und damit eben auch der Ronde van Vlaanderen. Man ist nämlich über Kopfsteinpflaster unterwegs. Was südlich der Grenze bei Paris-Roubaix unter "pavé" bekannt ist, heißt in Flandern "Kasseien". Im Gegensatz zum weitgehend ebenen französischen Klassiker fallen diese jedoch zumeist mit den Helligen zusammen, was deren Erklimmen - gerade bei Nässe - noch zusätzlich erschwert. Wie in Nordfrankreich sind einige dieser Wege sogar als "historisches Monument" geschützt.

Das Pflaster in Roborst hat allerdings recht wenig mit jenen hierzulande als "Katzenkopf" bezeichneten Natursteinen zu tun, die diese Rüttelpassagen zu einem echten Härtetest für Mensch und Material machen, und ist deshalb im Gegensatz zu diesen in der Streckenkarte der Ronde nicht einmal besonders gekennzeichnet. Selbst wenn man während des Laufes noch ab und zu auf kurze Pflasterabschnitte stoßen wird, hat man diese - anders als die Planer der Radrouten - genau wie die ruppigen Steigungen keineswegs gesucht und bewusst eingebaut.

Hinter der nächsten Kurve ist die erste von insgesamt acht Verpflegungsstellen aufgebaut. Sie folgt zwar tatsächlich nur knapp nach dem Schild mit der "5". Doch ansonsten hält man sich nur recht grob an die üblichen Abstände und hat den jeweiligen Standort der Tische eher aus logistischen Gründen gewählt. Da der vierte Posten erst beim Halbmarathondurchlauf, der letzte dagegen schon auf dem neununddreißigsten Kilometer zu finden ist, wird das Netz nach hinten zudem ein klein wenig dichter.

Was man an so einer "Bevoorrading" angeboten bekommt, lässt fast keine Wünsche offen. Neben Elektrolytgetränken, Wasser und Cola als flüssige Alternativen, bekommt man überall Schokolade, Müsliriegel, Zuckerstückchen, Kekse und natürlich Bananen. Schon die Auswahl zeigt, dass aktive Läufer im Vorfeld intensiv mit eingebunden waren. Dass die feste Nahrung immer auf dem ersten Tisch liegt und dann erst die Getränke kommen, kann man durchaus als weiteren Beleg dafür ansehen, ist es so doch viel leichter noch einmal nachzuspülen.

Die Stärkung kommt gerade zum richtigen Zeitpunkt. Denn aus Roborst hinaus steht der wohl schwerste Anstieg der ganzen Strecke an. Über etwa fünfzig Höhenmeter, die sich zudem auf mehr als einen Kilometer verteilen, können Läufer mit Trainingsrevieren im Mittel- oder gar im Hochgebirge zwar nur schmunzeln. Mehr als eine kleine Welle, die man einfach durchdrücken kann, ist die lang gezogene Steigung allerdings sehr wohl.

Auch oben auf dem Hügel bleibt der Marathonkurs ständig leicht wellig

Dass sie allerdings auch bei den Radprofis noch nicht in die Kategorie "Helling" eingeordnet wird, lässt sich daran erkennen, dass ihre zweite Hälfte das dritte kurze Teilstück der Ronde van Vlaanderen unter den Füßen der Läufer ist, man es dort allerdings keineswegs mit einem eigenen Namen und einem Steigungssymbol im Streckenplan vermerkt hat.

Während die Marathonis übrigens kaum mehr als einen Kilometer benötigt haben, um beide Passagen zu verknüpfen, war man eine Woche zuvor mit dem Rad ungefähr das Zehnfache davon unterwegs. Denn erst nach einem Ausflug ins benachbarte Zottegem waren die Radstars wieder zurück an dieser Stelle. Die Ronde van Vlaanderen schlägt nämlich noch viel mehr Haken als der Marathon, nimmt dabei einige Hellinge gleich mehrfach mit und hat mit einer echten "Runde" eher wenig zu tun. Der Begriff "Knoten" wäre eventuell wesentlich passender.

Es ist zwar Zufall, dass beim Überqueren der etwas breiteren Hauptstraße, von der die Profis auf den gemeinsamen Kurs eingeschwenkt waren, ausgerechnet eine größere Gruppe von rund zwanzig einheitlich gekleideten Rennradfahrer ausgebremst wird, die den Läufern einige Minuten zusehen müssen, bevor sie wieder in die Pedale treten dürfen. Doch zeigt dies irgendwie auch exemplarisch den Stellenwert dieser Sportart in Belgien. Es ist durchaus bezeichnend, dass in den Auslagen der Buchgeschäfte etliche Bände übers Radfahren und seine Stars zu entdecken sind.

Noch etwas anderes fällt bei belgischen "boekhandelaars" auf, nämlich die Vielzahl der dort verkauften Comics, die in der Regel sogar in einer komplett für sie reservierten Ecke angeboten werden. Vermutlich kein Land in Europa hat bezogen auf seine Größe in diesem Genre schließlich mehr bekannte Autoren und Zeichner sowie weit über seine Grenzen hinaus populäre Figuren hervorgebracht.

So stammt ein Cowboy namens Lucky Luke, der angeblich schneller zieht als sein Schatten, genauso aus belgischer Feder wie der abenteuerlustige Journalist Tim - im Original "Tintin" - und dessen Hund Struppi. Und auch "les Schtroumpfs", ein Völkchen blauer Zwerge, das hierzulande eher unter "Schlümpfe" bekannt ist, haben ihre Heimat ursprünglich in Belgien. Da erstaunt es wenig, dass es in Brüssel sogar ein Comic-Museum gibt.

Eine alte Windmühle, der allerdings die Flügel fehlen, dient oben auf der Kuppe als Zwischenziel. Sie markiert zwar nicht den absolut höchsten Punkt des Hügels, denn auch auf dem vor ihr rechts abzweigenden Feldweg geht es noch ein wenig empor. Doch sind die Steigungsprozentsätze dort ziemlich gering, der eigentliche Anstieg liegt nun hinter den Läufern.

Und erst einmal orientiert sich die Marathonstrecke nun auch am Kamm der Anhöhe und verzichtet - anders als die Radrennfahrer, die gleich wieder auf der anderen Seite hinunter gerollt waren - auf einen Besuch im Dorfkern des weiter unten gelegenen Ortsteils Rozebeke. Da der aus der Senke wieder heraus führende Rekelberg sehr wohl als Helling gilt, ist diese Entscheidung der Organisatoren allerdings gut nachvollziehbar.

Das schmale Asphaltband auf dem Hügel verläuft dabei keineswegs schnurgerade durch die zumeist noch ziemlich kahlen Felder sondern passt sich mit rund einem halben Dutzend Richtungswechseln immer wieder neu an das nicht völlig ebene Gelände an, wobei auch ohne allzu große Höhenunterschiede gelegentlich einmal einige Meter verloren gehen und anschließend wieder gewonnen werden müssen.

Durch Wiesen geht es auf den Ortsteil Sint-Blasius-Boekel zu… …und anschließend vorbei am Weiler Wijlegem mit seiner Kapelle

Die Querung des kleinen Sträßchens ungefähr in der Mitte dieses Abschnittes ist wie alle anderen auch nur halbwegs kritischen Stellen mit einem Ordner abgesichert. Zusätzlich markieren eigentlich an jeder noch so kleinen Einmündung Richtungspfeile aus Plastik die Strecke. Und gelegentlich hat man sogar große Tafeln in Verkehrsschildformat aufgestellt. Trotz der unzähligen Kurven und Abzweige kann man sich kaum verlaufen.

Am Arm trägt der Helfer eine Binde in den belgischen Nationalfarben. Sie trägt die Aufschrift "seingever". Alle anderen als "Zeichengeber" eingesetzten "vrijwilligers" haben diese ebenfalls übergestreift. Von den vielen im Land ausgetragenen Radrennen ist man dieses Vorgehen absolut gewohnt, denn auch dort verleiht die Armbinde den Helfern ganz offiziell eine gewisse Regelungsbefugnis für den Verkehr.

Die Kombination von Schwarz, Gelb und Rot in der Flagge kennt man gerade als Deutscher eigentlich ganz gut. Nur halten sich die Belgier an die von alters her überlieferten Regeln der Wappenkunde, die verlangen zwischen zwei "Farben" - nämlich Schwarz und Rot - zur besseren Erkennbarkeit immer ein "Metall" - Gelb und Gold sind in der Heraldik formal gleichwertig - einzufügen.

Doch obwohl auch bei Radrennen in Belgien ziemlich viele Fahnen am Streckenrand zu sehen sind, flattern diese drei Farben zusammen eher selten im Wind. Wesentlich häufiger ist dagegen bei der Ronde van Vlaanderen ein gelbes Tuch mit schwarzem Löwen zu sehen. Bei Liège-Basogne-Liège entdeckt man dagegen zumeist auf dem gleichen Hintergrund einen roten Hahn. Es sind die Flaggen der Regionen von Flandern und Wallonien, mit denen sich deren Einwohner viel eher identifizieren als mit dem belgischen Gesamtstaat.

Die Verwaltungsgliederung ist keineswegs einfach. Denn neben den Regionen - zu denen neben dem "Vlaams Gewest" und "Région wallonne" noch die Hauptstadtregion Brüssel gehört und die für Wirtschafts- und Energiepolitik, Raum- und Verkehrsplanung zuständig sind, gibt es auch noch die nach Sprachgruppen zugeordneten "Gemeinschaften", die sich hauptsächlich um Kultur- und Schulpolitik kümmern.

Zusätzlich zur "Vlaamse Gemeenschap" und der "Communauté française" existiert dabei die "Deutschsprachige Gemeinschaft" für die ganz im Osten der Wallonie gelegenen, nach dem Ersten Weltkrieg von Preußen abgetretenen Gebiete rund um Eupen, wo immerhin rund hunderttausend Belgier mit deutscher Muttersprache leben. Im zweisprachigen Brüssel kümmern sich die Gemeinschaften dann jeweils um die Mitglieder der eigenen Gruppe.

Sowohl Regionen als auch Gemeinschaften haben jeweils eigene Parlamente und Regierungen, die eigentlich nur die jeweils ihnen zugeordneten Themen bearbeiten sollen. Doch hat man die beiden flämischen Institutionen dann jeweils wieder zusammen gelegt und lässt bei Regionalfragen die für die "Gemeenschap" gewählten Abgeordneten aus Brüssel im Zweifelsfall einfach nicht mit abstimmen.

Dass so zum Beispiel der Ministerpräsident von Flandern durch seine zusätzliche Funktion als Regierungschef der flämischen Gemeinschaft deshalb auch in Brüssel und damit auf dem Gebiet der benachbarten "Région de Bruxelles-Capitale" - oder mit niederländischem Namen "Brussels Hoofdstedelijk Gewest" - einige Kompetenzen besitzt, macht die Konstellation für Außenstehende nur noch verwirrender.

"Vinkemolen" heißt die Windmühle an der die Strecke zwischen Sint-Blasius-Boekel und Sint-Denijs-Boekel (rechts) vorbei führt

Die letzte Richtungsänderung des Feldweges bringt die Marathonis noch einmal einige Meter bergan zu einer Hauptstraße. Diesmal übernehmen Polizisten die Absicherung der Ecke. Denn diese Allee ist nicht nur gut befahren, man wird ihr nun auch einige hundert Meter folgen. Dafür wird allerdings der abgesperrte und relativ breite Seitenstreifen benutzt, auf dem sonst wohl hauptsächlich Rennräder rollen.

Es wird zudem die einzige Stelle auf der gesamten Doppelschleife bleiben, an der man mit so vielen Autos auf einmal konfrontiert wird. Dass "het parcours" zwar "niet verkeersvrij" aber zumindest "verkeersarm" wäre, hatte man ja - durchaus verständlich und wie sich im Verlauf des Rennens heraus stellt auch vollkommen zu Recht - schon vor dem Start aus dem Megaphon vernehmen können.

Viel höher wird man während des Marathons ebenfalls nicht mehr hinauf kommen, knapp unter der nun beinahe erreichten Marke von hundert Meter über dem Meeresspiegel ist Schluss. Als auf der rechten Seite erneut einige Gebäude ins Blickfeld kommen, verlässt der Kurs die Hauptstraße schnell wieder und senkt sich spürbar in die kleine, lose verteilte Häusergruppe Heuvelgem hinunter. Bis man einen Kilometer später wieder im Zickzack durch Felder und Wiesen unterwegs ist, sind etwa vierzig Höhenmeter verloren gegangen.

Ungefähr das erste Viertel der langen und die Hälfte der kurzen Distanz haben die Läufer inzwischen hinter sich, als sie sich bald darauf Sint-Blasius-Boekel nähern, an dem man allerdings erst einmal leicht unterhalb des Dorfes vorbei zu laufen scheint. Schließlich dreht der Feldweg dann aber doch noch in den - selbst zusammen mit dem ihm zugeordneten Heuvelgem kaum siebenhundert Einwohner zählenden - Ortsteil hinein.

Die Hauptstraße ist schnell überquert, selbst wenn man ihr dafür einige Meter folgen muss. In dem Wohnsträßchen, in das die Strecke abzweigt, findet sich neben der zweiten Verpflegungsstelle auch der zweite Wechsel für die Staffeln. An ihm warten die Läufer, die nun den längsten Teilabschnitt - nämlich bis zurück zur Halbzeitmarke in Munkzwalm - zu bewältigen haben. Auch alle anderen "aflossingspunten vallen samen met de bevoorradingsposten". Doch schon das Verhältnis fünf zu acht zeigt, dass die umgekehrte Kombination keineswegs immer gilt.

Der übliche Wechsel zwischen kleinen Dörfchen und offenem Ackerland setzt sich auch hinter Sint-Blasius-Boekel fort. Zum vierten und letzten Mal hat man dabei - wenn auch in Gegenrichtung - einen Streckenabschnitt der Flandern-Rundfahrt in den Marathon-Parcours eingebaut. Und nicht nur weil es sich bei diesem kaum Fahrzeugbreite besitzenden Feldweg um das mit Abstand längste Stück aus dem Quartett handelt, hat es auch weitaus den größten Wiedererkennungswert.

Zum einen gibt es da nämlich den kleinen Weiler Wijlegem mit seiner genau in Blickrichtung der Läufer stehenden und deshalb schon von Weitem sichtbaren Kapelle. Noch viel markanter ist allerdings die Windmühle, die noch ein wenig oberhalb auf dem nicht allzu hohen Hügel sitzt den man gerade wieder hinauf läuft. Sie steht schließlich nicht nur vollkommen frei, man hat ihr auch nicht wie ihrer ein halbes Dutzend Kilometer zuvor passierten Kollegin die Flügel gestutzt. Und so präsentiert sich "de Vinkemolen" abgesehen von den Segeln in voller Pracht.

Jan de Schamphelaere (links) und Henk Decraecke kommen aus Zwalm und können deswegen einiges über die Region erzählen Sint-Denijs-Boekel ist einer der Ortsteile der aus insgesamt zwölf Dörfern bestehenden Gemeinde, die während des Marathons durchlaufen werden

Über die kleine Kuppe und auch das nächste kleine Sträßchen hinweg bleibt man auf dem Kurs der Ronde. Doch genau in dem Moment, als man einen seiner wirklich markanten Punkte erreicht trennen sich die Wege wieder. Von links kommt nämlich den Molenberg aus der Senke herauf, der eine Woche zuvor - obwohl erst bei der Hälfte der immerhin fast zweihundertfünfzig Kilometer langen Distanz zu finden - einer der ersten Hellinge im Rennprofil war.

Das erste Drittel des in Brügge gestarteten Rennens albsolvieren die Profis nämlich auf ebenen Straßen, bevor sich zum Ende hin die Frequenz der Anstiege immer weiter erhöht. In dieser Einrollphase wird das in diesem Bereich bereits ziemlich schmale Belgien praktisch vollständig von Nord nach Süd durchquert. Doch sind dazu auch kaum mehr als fünfzig oder sechzig Kilometer nötig.

Sogar zu Fuß konnte man bis vor einigen Jahren den größten Teil dieses Weges zurücklegen. Mehr als zwanzig Mal immer Angang Juli wurde nämlich der Guldensporen-Marathon zwischen Kortrijk und Brügge ausgetragen, der an eine in Flandern zum Mythos gewordene mittelalterliche Schlacht erinnerte, bei der 1302 von den Bürgern flandrischer Städte - insbesondere Brügge - aufgebotene Fußtruppen einem französischen Ritterheer bei Kortrijk eine vernichtende Niederlage beibrachten.

Sie gilt vor allen deswegen als historisch, weil erstmals seit Jahrhunderten dabei reine Infanterie-Einheiten gegen gepanzerte Reiter erfolgreich waren. Während der folgenden Jahrzehnte wurde die schwere Kavallerie der Franzosen im Hundertjährigen Krieg dann gleich mehrfach von englischen Bogenschützenverbänden ähnlich deutlich geschlagen. Und da gleichzeitig auch noch Schweizer Fußvolk mehrfach die Reiterei der Habsburger besiegte, begann sich die Zeit der auf dem Schlachtfeld dominierenden Ritter langsam ihrem Ende zuzuneigen.

Den ziemlich ungewöhnlichen Namen "Guldensporenslag" - also "Schlacht der Goldenen Sporen" - hat das Gefecht übrigens, weil nach dem flämischen Sieg die Sporen der vielen hundert gefallenen Ritter eingesammelt und in der Onze-Lieve-Vrouwe-Kerk von Kortrijk öffentlich ausgestellt wurden. Erst achtzig Jahre später, nachdem Franzosen die Stadt erobert hatten, kehrten diese Trophäen in ihre ursprüngliche Heimat zurück. Dafür steht in Kortrijk heute allerdings ein Denkmal in Form zweier übergroßer Sporen.

Der "Mühlenberg", bei dem es dem Ortsfremden nicht unbedingt klar ist, ob er seinen Namen denn nun von der Wassermühle an seinem Fuß oder der Windmühle an seinem höchsten Punkt hat, stand allerdings nicht nur für die Profis auf dem Programm. Noch am Tag vor dem Marathon rollte nämlich die Flandern-Rundfahrt der Junioren ebenfalls über ihn hinweg. Denn fast alle oben aufgezählten flämischen Rennen gibt es auch in einer Jugend-, Junioren- oder Frauenvariante.

Zu Füßen der zweiten während des Marathons passierten Sint-Dionysiuskerk findet sich die dritte Verpflegungsstelle

Erster bei dieser nicht in Brügge sondern im Zielort Oudenaarde gestarteten und über immerhin hundertsiebzig Kilometer führenden "kleinen" Ronde wurde übrigens ein gewisser Rick Zabel, der nicht ganz zufällig den gleichen Nachnamen trägt, wie der mehrfache Gewinner des grünen Tour-Trikots Erik Zabel. Schließlich handelt es sich beim frisch gekürten Sieger um dessen inzwischen in einem Profi-Nachwuchsteam fahrenden Sohn.

Nur noch wenige Kilometer sei Oudenaarde eigentlich entfernt, berichten die beiden Zwalmer Läufer Henk und Jan, die dem auswärtigen Besucher darüber aufklären wollen, dass auf diesen Feldwegen noch vor Wochenfrist ganz andere Sportler einen Wettkampf hatten, deuten dabei aber doch in eine leicht andere Richtung als erwartet. So langsam zeigen die vielen Schlenker und Haken des Kurses, von denen man gerade wieder einmal eine schlägt, bei der Orientierung dann doch Wirkung.

Allerdings ist auch der fast neunzig Meter hohe und deshalb ansonsten über viele Kilometer als markante Landmarke zu sehende wuchtige Turm der Sint-Walburgakerk von einer bewaldeten Kuppe verdeckt. Neben der architektonisch eher ungewöhnlichen, aus einigen Blickwinkeln fast unfertig wirkenden, hauptsächlich gotischen, zum Teil aber auch barocken Kirche ist das reich verzierte Rathaus aus dem sechzehnten Jahrhundert am anderen Ende des weiten Marktplatzes die wichtigste Sehenswürdigkeit des Städtchens.

Für Sportinteressierte gibt es aber mit dem "Centrum Ronde van Vlaanderen" noch eine weitere Attraktion. In diesem Museum sind Erinnerungsstücke aus einem vollen Jahrhundert und nun bereits siebenundneunzig Austragungen - das Rennen wurde nur im Ersten Weltkrieg unterbrochen, als sich die Schützengräben quer durch den Westen Flanderns zogen, im Zweiten Weltkrieg aber gefahren - der Rundfahrt zusammen getragen. Alte Fotos und Filmausschnitte, Trikots, Räder und sogar Begleitfahrzeuge lassen sich betrachten.

In der großen Fensterfront des Museums lässt sich auch die komplette Siegerliste nachvollziehen, passend zu den Besonderheiten der Ronde ist für jeden dort nämlich ein Pflasterstein mit Namen und Jahr des Erfolges platziert. Viele einstige, aber auch heute noch bekannte Stars belegen die hohe Wertigkeit des Rennens. "Eddy Merckx" lässt sich dort lesen, oder auch "Rudi Altig".

Dass beide durchaus mit Doping in Verbindung gebracht wurden, ist angesichts der anscheinend weiten Verbreitung im Radsport fast schon normal. Ein etwas flaues Gefühl in der Magengegend hinterlässt allerdings der Stein mit der Aufschrift "Tom Simpson". Einige Jahre nach seinem Sieg bei der Flandern-Rundfahrt war der Brite nämlich während der Tour de France am Aufstieg zum Mont Ventoux vollgepumpt mit Aufputschmitteln vom Rad gekippt und gestorben.

Ein kurzer Wendepunktabschnitt vor der Halle sorgt dafür, dass die Halbmarathonläufer auch ihre Zielgerade bekommen

Schon einige Jahre vor dem Umzug des Ziels nach Oudenaarde, in dessen Straßen überall Transparente verkünden, dass das Städtchen die Ronde lieben würde, war das Museum von der Provinz Oost-Vlaanderen gegründet worden. Bei Blick auf die Karte erscheint es ziemlich seltsam, dass eine Stadt im westlichen Drittel Belgiens - und damit auch des Landesteiles Flandern - nun ausgerechnet in "Ostflandern" liegen soll. Doch hat Flandern eben zwei verschiedene Bedeutungen.

Historisch verbirgt sich hinter dem Begriff eigentlich nur das Gebiet der mittelalterlichen Grafschaft, die neben Oost-Vlaanderen und West-Vlaanderen auch noch die Gegend um das seit dem siebzehnten Jahrhundert französische Dünkirchen - wo noch bis vor hundert Jahren nahezu ausschließlich Flämisch gesprochen wurde - und den Südteil der niederländischen Provinz Zeeland umfasste. Erst viel später setzte sich der Name für den gesamten belgischen Norden - außerdem noch die Provinzen Flämisch-Brabant, Antwerpen und Limburg - durch.

Auch unter "flämisch" kann man deswegen durchaus zwei verschiedene Dinge verstehen. Zum einen wird sprachwissenschaftlich so nämlich nur der in Flandern gesprochene Dialekt bezeichnet, der neben "Brabantisch" und "Limburgisch" - beide sind grenzübergreifend auch in den Niederlanden sowie im Übergangsbereich vom Niederdeutschen zum Niederländischen auch im Westen von Nordrhein-Westfalen anzutreffen - nur eines der in Belgien benutzten Idiome ist.

Inzwischen packt man andererseits allerdings ganz allgemein auch jenes "Belgische Niederländisch" unter diesen Begriff, das sich in geschriebener Form von der im Norden verwendeten Sprachvarianten kaum mehr unterscheidet als das Deutsche in Deutschland, Österreich und der Schweiz - also in Beispielen wie die gerne zitierten "Marillen" oder "parkieren". Interessant dabei ist allerdings, dass dabei weniger der flämische als vielmehr der rund um die großen Zentren Brüssel und Antwerpen gebrauchte brabantische Dialekt Einfluss hatte.

Kaum anders verhält es sich mit "Wallonien", denn streng genommen spricht man auch dort keineswegs überall Wallonisch. Andere aus Nordfrankreich nach Belgien hineingreifende Dialekte sind zum Beispiel das Picardische im Westen und das Lothringische im Süden. Das Wort seinerseits ist übrigens keine Eigenbezeichnung sondern vom niederländischen "Waals" abgeleitet, das dem im Deutschen verwendeten "Welsch" entspricht und eine - aus germanischer Sicht - unverständliche Sprache meint.

Der Schlenker mit dem man Sint-Denijs-Boekel ansteuert, erinnert - abgesehen davon, dass er anstatt links- diesmal rechtsherum absolviert wird - stark an den Haken, den man gleich am Anfang vor Roborst geschlagen hatte. Man läuft nach dem Erreichen der ersten Häuser nämlich erst einmal wieder ins Feld hinaus, um dann auf einem Parallelweg gleich wieder zurück zu kehren.

Hinter der zweiten während des Marathons passierten Sint-Dionysiuskerk, die in diesem Fall sogar dem relativ weit im hügeligen Gelände verstreuten Ortsteil seinen Namen gab und zudem den dritten Verpflegungsstand zu ihren Füßen hat, schließt sich noch ein weiteres - nun wieder linksdrehendes - Gegenstück dieser Zusatzschleife an. Die Verbindung zweier nur etwa tausend Meter auseinander liegender Punkte wird so auf annähernd fünf Kilometer gestreckt.

Die Wassermühle namens "Terbiestmolen" liegt am ebenfalls "Zwalm" heißenden Flüsschen … … die Verpflegungsstelle bei Kilometer 26 dagegen am "Schelde" genannten Fluss

Nachdem man wieder die Häuser von Sint-Denijs-Boekel erreicht hat, hält sich die Strecke an die Dorfstraße, die sich einen vollen Kilometer lang in leichten Bögen sanft bergab windet. An ihrem Ende treffen die Halb- und Vollmarathonis dann erneut auf jene Bahnlinie, der sie ganz am Anfang schon einmal gefolgt sind. Die beiden Abschlusskilometer der Südschleife werden sich wieder an ihr orientieren. Und so kommt man nach Munkzwalm fast genauso zurück, wie man die Ortschaft auf der anderen Seite verlassen hatte, immer geradeaus entlang der Gleise.

Der Tunnel, durch den sie vorhin schon einmal gemütlich zum Start geschlendert waren, bringt die Läufer zurück zu Zwalmperle. Doch da sich dessen Ausgang praktisch direkt vor der Halle befindet, hat man noch einen kleinen Wendepunkt eingebaut, um für die Halbdistanzler zumindest eine kurze Zielgerade auf der - für diese Funktion kaum passender als "Sportlaan" zu benennenden - Straße zu bekommen.

Verglichen mit den bei ähnlichen Veranstaltungen hierzulande gelaufenen Ergebnissen sind die Leistungen insbesondere angesichts des leicht welligen Profils durchaus beachtlich. Gerade einmal 1:14:25 benötigt nämlich Bart Bleyaert für die einundzwanzig Kilometer. Mit Chris (1:15:16) und Bart (1:15:25) Verhaeghe ist innerhalb einer Minute das Siegertreppchen komplett gefüllt. Noch vier weitere Läufer bleiben zudem unter achtzig Minuten.

Bei den Frauen sind die Abstände zwar etwas größer. Doch insbesondere die Siegerzeit von Nathalie de Clercq Semmerzake, die mit 1:25:37 nur knapp über einem Vier-Minuten-Schnitt gestoppt wird, ist ebenfalls aller Ehren wert. Johanna Dessein liegt in 1:30:45 aber bereits fünf Minuten zurück auf Rang zwei. Bis mit Joke Vandebuerie nach 1:31:52 die Dritte ins Ziel kommt, vergeht zudem noch eine weitere Minute. Allerdings könnte man damit so manchen deutschen Lauf vergleichbarer Größe locker gewinnen.

Während die Halbmarathonläufer rechts unter dem kleinen für die Zeitnahme aufgebauten Pavillon hindurch laufen, werden die anhand der niedrigeren Startnummern erkennbaren Marathonis vom davor postierten Ordner links vorbei und auf die nördliche der beiden Schleife gewinkt. Und schon kurz darauf haben sie Munkzwalm bereits wieder hinter sich gelassen und sind wieder ins offene Feld hinaus gelaufen.

Ein schwerer Belgier schaut ihnen dabei eher gelangweilt hinterher. Das ist jetzt keineswegs eine despektierliche Äußerung über einen vielleicht etwas Korpulenteren unten den wenigen Neugierigen, die es an die Laufstrecke gezogen hat. Die Rede ist vielmehr von einem Pferd, das einer der bekanntesten Kaltblutrassen angehört. Die größten dieser wuchtigen, aber sanften Riesen, deren Blut natürlich genau die gleiche Temperatur hat wie das der sogenannten Warmblüter, können bis zu einer Tonne auf die Waage bringen.

Das belgische Kaltblut gilt als Ausgangspunkt für viele weitere Züchtungen in anderen Regionen. Und noch vor einigen Jahrzehnten waren sie als Zug- und Arbeitstiere weit verbreitet. Doch sind sie wie die meisten ihre kaltblütigen Kollegen natürlich längst von modernen Maschinen abgelöst worden. In ihrer Heimat hält man ihnen aber dennoch ein wenig die Treue. Nicht nur einmal kann man während des Marathons nämlich Pferde dieses Kalibers - ein tatsächlich nicht nur für Geschosse sondern auch in der Pferdezucht benutzter Begriff - auf der Weide sehen.

Fast zwei Kilometer lang verläuft die Marathonstrecke immer entlang der Schelde auf dem Uferweg

Wieder einmal sind Henk Decraecke und sein Kumpel Jan de Schamphelaere auf diesem Abschnitt die Begleiter. Und Henk spielt erneut ein wenig den Fremdenführer. Man käme jetzt gleich an die Zwalm, jenes Flüsschen, das die Gemeinde durchschneidet und ihr auch den Namen gab. In Deutschland gäbe es aber noch einen Fluss, der so ähnlich heißen würde, ist ihm bekannt. Er meint die "Schwalm" in Nordhessen, denn Zwalm ist mit - dem bei einer Gebietsreform ebenfalls als Kunstgemeinde entstandenen - Schwalmstadt verschwistert.

Doch kurz bevor man den nicht einmal zwanzig Kilometer langen Wasserlauf erreicht, weicht ihm die Strecke noch einmal mit einem weiteren der schon bekannten Haken in eine der vielen kleinen Streusiedlungen aus. Anschließend zieht sie vor, noch einen weiteren Kilometer südlich der Zwalm weiter zu verlaufen. Höhenunterschiede gibt es in der weiten Senke des "Zwalmvallei" ohnehin keine zu überwinden. Die erste Hälfte der noordelijke lus ist nahezu eben.

Die Kommunikation mit Henk und Jan läuft wie die meisten anderen Gespräche übrigens weitgehend in Englisch ab, nachdem der Versuch einer Kontaktaufnahme auf Niederländisch am - mit leicht erhobenen Händen und einem eher ahnungslosen Blick verbundenen - Satz "ik ben van Duitsland, ik spreek niet goed nederlands" gescheitert ist. Die eine oder andere Bemerkung auf Deutsch streuen sie aber auch ein.

Überraschend viele Flamen sprechen es ein wenig, einige sogar ziemlich fließend, was sicher nicht nur darin begründet ist, dass es neben den großen Gruppen der Flamen und Wallonen eben auch noch einige Belgier mit deutscher Muttersprache gibt. Gerade in kleineren Nationen lassen sich vielmehr oft weitaus bessere, manchmal fast schon beschämende Fremdsprachenkenntnisse beobachten.

Andererseits ist es dann jedoch erstaunlich, dass längst nicht alle Belgier in der Lage sind, sich in der Sprache des jeweils anderen Landesteiles auch nur einigermaßen zu verständigen. Insbesondere in der Wallonie beherrscht - wenn auch mit inzwischen leicht steigender Tendenz - nur eine Minderheit der Bevölkerung Niederländisch. Vielleicht sind auch deswegen so wenige Wallonen in Zwalm am Start. Von den Flamen spricht immerhin etwas mehr als die Hälfte Französisch.

Doch die Kluft zwischen beiden Bevölkerungsgruppen ist weiterhin tief. Denn die Ursachen dieses "Sprachenstreites" reichen weit in die Geschichte zurück. Und dabei gibt es - ähnlich wie sich der Nordirlandkonflikt zwischen "Katholiken" und "Protestanten" längst nicht nur um die Religion dreht - aber auch weit mehr Differenzen, als es der Begriff aussagt. Vielmehr spielen dabei zudem kulturelle, wirtschaftliche und soziale Aspekte eine Rolle.

Am Ende des fünfzehnten Jahrhunderts war das zuvor in etliche verschiedene Grafschaften zersplitterte Gebiet der heutigen Benelux-Länder weitgehend unter habsburgischer Herrschaft vereint. Doch nachdem sich im Zuge der Reformation im Norden der Calvinismus durchgesetzt hatte, erhoben sich die dortigen Provinzen im Jahr 1568 gegen die Regenten, die den katholischen Glauben - im Zweifelsfall auch mit Gewalt - wieder einführen wollte. Der katholisch gebliebene Süden stellte sich dagegen auf die Seite der Spanier.

Nachdem achtzig Jahre lang immer wieder gekämpft wurde, gelang es der "Republiek der Zeven Verenigde Provinciën", mit dem Westfälischen Frieden ihre Unabhängigkeit anerkannt zu bekommen. Der südliche Teil der Region, der ungefähr dem heutigen Belgien entsprach und damit auch einige anfänglich ebenfalls calvinistische Gebiete wie Flandern oder Brabant umfasste, blieb dagegen weiterhin - zuerst als "Spanische" später als "Österreichische Niederlande" - habsburgisch und wurde energisch rekatholisiert.

Ein kurzes Stück über einen Trampelpfad beendet den Ausflug an den Fluss

Ein großer Teil der Eliten der im Mittelalter bedeutenden flandrischen Städte emigrierte deswegen in den Norden. Der wallonische Süden gewann an Einfluss. Da die Sprache in jener Zeit zudem ein ziemlich hohes Ansehen besaß, setzte sich Französisch mehr und mehr in der Oberschicht durch. Nur noch in den ländlichen Bereichen im Norden des habsburgischen Gebietes benutze man hauptsächlich niederländische Dialekte.

Nachdem Ende des achtzehnten Jahrhunderts französische Revolutionstruppen einmarschierten und die Region später sogar annektierten, verstärkte sich der Effekt noch. Im Umgang mit Behörden wurde nur noch Französisch akzeptiert, in den Schulen rein Französisch unterrichtet. Die ursprünglichen germanischen Dialekte wurden so noch weiter aus den öffentlichen Leben verdrängt.

Übrigens wird diese ziemlich rigiden Sprachpolitik in Frankreich bis heute durchgezogen. So ist man zum Beispiel dem Abkommen zum Schutz von Minderheitensprachen noch immer nicht beigetreten. Dabei hätte man mit dem Baskischen, dem keltischen Bretonisch, dem Elsässischen, dem Korsischen sowie dem Katalanischen in der Nähe der spanischen Grenze eigentlich genug Kandidaten auf dem eigenen Territorium.

Viele Linguisten sind sogar der Meinung, dass es sich bei den im südlichen Drittel des Landes benutzten Formen keineswegs um französische Dialekte sondern um eine eigene Sprache, das Okzitanische handelt. Alle genannten sind inzwischen weit zurück gedrängt, viele von ihnen gelten als gefährdet. Doch auch nach mehr als zwei Jahrhunderten unter Bedrängung sind sie nicht völlig verschwunden. So blieben nach gerade einmal zwanzig Jahren französischer Herrschaft natürlich auch die flandrischen und brabantischen Dialekte in Belgien erhalten.

Mit dem Wiener Kongress am Ende der Napoleonischen Epoche wurden beide Niederlande eineinhalb Jahrhunderte nach ihrer Trennung wieder vereint. Auch das Gebiet des bisher selbstständigen Fürstbistums Lüttich kam zum neu gegründeten Staat. Monarch im "Königreich der Vereinigten Niederlande" wurde Wilhelm I aus dem Hause Oranien, das zuvor in der Niederländischen Republik meist das - zuletzt sogar erbliche - Statthalteramt besetzt hatte.

Obwohl der katholische Süden damals mehr Einwohner hatte als der protestantische Norden, bekam dieser das politisch größere Gewicht. Und der neu eingesetzte König drehte die Politik im Sprachbereich vollständig um, indem er das Niederländische förderte und versuchte die Verwendung des Französischen einzuschränken. So brachte er die Bevölkerung im Süden seines Reiches gegen sich auf. In der Ablehnung des Calvinismus waren diese sich außerdem auch mit den katholischen Flamen einig.

Nach nur fünfzehn Jahren brach 1830 deshalb die sogenannte "Belgische Revolution" aus. Wilhelm versuchte die Rebellion zwar mit Waffengewalt nieder zu schlagen. Doch viele Soldaten aus dem Süden liefen über. Und so war bald der komplette Süden der Vereinigten unter Kontrolle des Aufständischen. Nur wenige Monate nach dem Beginn der Revolution war das "Königreich Belgien" - benannt nach dem antiken Stamm der Belger, der in dieser Region lebte und gegen Caesar kämpfte - ausgerufen.

Anschließend geht es entlang eines Seitenarmes in genau entgegengesetzter Richtung weiter Dirk Baillière läuft für ein Wohltätigkeitsprojekt zugunsten Depressionskranker mit dem Namen "Marathon voor geluk"

Als erster "König der Belgier" - nicht "König von Belgien", um zu zeigen, dass er nicht dem Territorium sondern dem Volk verpflichtet sein sollte - wurde der deutsche Prinz Leopold von Sachsen-Coburg und Gotha vereidigt. Wilhelm tat sich allerdings schwer mit der belgischen Unabhängigkeit und versuchte kurz darauf noch einmal einen militärischen Einfall, der nur durch den Aufmarsch französischer Truppen beendet wurde. Und erst 1839 stimmte er dieser zweiten Trennung in einem Vertrag endgültig zu.

Nun schlug das Pendel wieder zugunsten des Französischen zurück, das im neu entstandenen Staat in Verwaltung, Armee, Kunst und Wissenschaft eindeutig dominierte. Niederländisch war als "Sprache des Feindes" dagegen ziemlich verpönt. Und selbst als sich beide Königreiche später politisch wieder etwas annäherten, galt Flämisch weiterhin als "Mundart der Bauern" und war fast schon ein Schimpfwort.

Verstärkt wurde der Effekt noch durch den rasanten Aufstieg der Stahlindustrie in Wallonien rund um Liège und Charleroi, was dort zu einer stärkeren Verstädterung und der Entwicklung einer Arbeiterbewegung führte, während der Norden weiterhin eher ländlich geprägt war. So sind im Süden dann auch traditionell sozialistische und sozialdemokratische Parteien stark. In Flandern ist man seit jeher bezüglich der politischen Einstellung meist deutlich konservativer orientiert.

Nur langsam entstand eine flämische Gegenbewegung. Und erst Ende des neunzehnten Jahrhunderts wurden beide Sprachen zumindest offiziell gleichgestellt. Münzen und Geldscheine sowie Briefmarken waren als sichtbares Zeichen dafür nun zum Beispiel sowohl mit "Royaume de Belgique" als auch mit "Koninkrijk België" beschriftet. Doch noch immer hatte Französisch die wichtigere Rolle und das höhere Ansehen. Ein sozialer Aufstieg war ohne seine Kenntnis nur schwer möglich.

Im Ersten Weltkrieg, als Belgien trotz Neutralitätserklärung vom Deutschen Kaiserreich angegriffen wurde und die Frontlinien durch das westliche Flandern verliefen, sprach praktisch das gesamte Offizierskorps ausschließlich Französisch. Die Flamen dienten dagegen weitgehend als einfache Soldaten in den Schützengräben. Hartnäckig hält sich deswegen die Behauptung, dass viele von ihnen nur deswegen starben, weil sie die - auf Französisch gegebenen - Befehle ihrer Kommandeure nicht verstanden.

Dass die Deutschen, die fast das gesamte Land kontrollierten, nun wieder verstärkt die Flamen bevorzugten, goss weiteres Öl ins Feuer. So wurde unter anderen die Universität Gent, wo bisher nur auf Französisch unterrichtet wurde, "verniederländischt". Doch diese wie auch alle anderen Maßnahmen der Besatzungsmacht machte man nach Kriegsende sofort wieder rückgängig und viele, die mit den Deutschen zusammen gearbeitet hatten, wurden streng bestraft. Dass es sich dabei nahezu ausschließlich um Flamen handelte, hinterließ einen zusätzlichen Beigeschmack.

Sint-Maria-Latem heißt die nächste Zwischenstation auf der großen Runde durch die Zwalmer Ortsteile

Anstatt das Land bei der Abwehr eines Angriffes von außen zu einen, hatte der Krieg die Spaltung nur noch vertieft und beide Sprachgruppen weiter radikalisiert. Und statt der Zweisprachigkeit eines gesamten Landes wurde immer häufiger die Einsprachigkeit zweier voneinander getrennter Landesteile gefordert. Und in den Zwanziger- und Dreißigerjahren setzte man diese tatsächlich nach und nach um. Die Umgangssprache sollte nun jeweils auch Amtssprache sein. Doch war dies nur auf Provinzebene festgelegt.

Erst lange nach dem Zweiten Weltkrieg - in dem ungeachtet der Differenzen untereinander sowohl flämische als auch wallonische Nationalisten mit den deutschen Besatzern kollaborierten und aus beiden Gruppierungen sogar jeweils viele tausend Freiwillige an der Ostfront kämpften - wurde Belgien formal in zwei Sprachgebiete mit weitreichender Autonomie sowie die zweisprachigen Hauptstadtregion Brüssel aufgeteilt. Noch stärker als zuvor teilte sich das Königreich entlang der nun scharfen Grenzlinie.

So existieren Parteien zum Beispiel keineswegs landesweit sondern jeweils nur für die jeweilige Sprachgruppe. Es gibt flämische und wallonische Christdemokaraten, flämische und wallonische Sozialisten, flämische und wallonische Liberale, womit die Bildung von soliden Koalitionen natürlich erheblich erschwert wird und dem Land zuletzt mehrere Regierungskrisen in schneller Folge bescherte. Und in fast jede politische Debatte kommt früher oder später ein Aspekt, der sich auf diesen immer weiter schwelenden Konflikt bezieht.

Auch eine gemeinsame belgische Rundfunkgesellschaft gibt es nicht mehr. Für Flandern ist nun die VRT - "Vlaamse Radio en Televisie" - zuständig. In Wallonien überträgt die RTBF - "Radio-Télévision Belge de la communauté Française". Das hat natürlich zur Folge, dass man sich bei den dort gesendeten Informationen verstärkt auf den eigenen Landesteil konzentriert und sich andererseits kaum noch für die Geschehnisse jenseits der Trennlinie interessiert.

Und nachdem schon in den Dreißigern die Universität in Gent wieder auf Niederländisch als Unterrichtsprache umgestellt hatte, wurde unter anderem auch die traditionseiche Hochschule von Leuven in die "Katholieke Universiteit Leuven" und die "Université catholique de Louvain" aufgespalten. Für den französischsprachigen Teil wurde sogar eigens eine neue Stadt namens "Louvain-la-Neuve" gegründet, die in kaum dreißig Kilometer Entfernung vom alten Standort, aber südlich der Sprachgrenze liegt.

Hinter dem kleinsten Ortsteil Paulatem… ... folgt ein zweiter deutlich längerer Abschnitt ohne Asphalt, der am Wald entlang fast einen Kilometer bergauf führt

Allerdings entspricht die vor Jahrzehnten gezogene Linie längst nicht mehr überall den wirklichen Gegebenheiten. Gerade rund um Brüssel gibt es in einigen eigentlich flämischen Gemeinden durch Zuzug längst eine französischsprachige Mehrheit, wodurch sich neues Konfliktpotential aufgebaut hat. Während die Flamen - obwohl nun in der Minderzahl - ihre Vorrechte dort nämlich unbedingt verteidigen möchten, verlangen frankophone Hitzköpfe den Anschluss an die Hauptstadtregion oder gar an Wallonien.

Zusätzlich haben sich auch die wirtschaftlichen Verhältnisse inzwischen umgekehrt. Aus dem einstigen Armenhaus Flandern ist in den letzten Jahrzehnten eine florierende Region geworden, während mit dem Niedergang der Stahlindustrie in Wallonien ein heftiger Abschwung eingesetzt hat. Und nun fließen insbesondere in den Sozialsystemen Transfergelder von Nord nach Süd anstatt in die umgekehrte Richtung.

Deswegen fallen Ideen über eine komplette Auflösung des belgischen Königreiches insbesondere bei den Flamen natürlich auf fruchtbaren Boden. Noch immer sind die Fliehkräfte, die Belgien zu zerreißen drohen, keineswegs gebändigt. Als vor einigen Jahren die französischsprachige RTBF in einer fiktiven, aber realitätsnahen Reportage von einer Unabhängigkeitserklärung Flanderns berichtete, schlugen die Emotionen jedenfalls ziemlich hoch, weil viele die gesendeten Meldungen tatsächlich ernst nahmen.

Durchaus bezeichnend für das nicht immer unbedingt "harmonisch" zu nennende Zusammenleben sind auch die jeweiligen offiziellen Feiertage von Flamen und Wallonen. Denn im flämischen Landesteil wird der 11. Juli, an dem sich die Guldensporenschlacht jährt, begangen. Die Frankophonen feiern dagegen am 27. September, an dem sich während der Belgischen Revolution die niederländischen Truppen aus Brüssel zurück zogen.

Als man sich nach nun insgesamt fast fünfundzwanzig Kilometern zum zweiten Mal der Zwalm nähert, macht Henk auf eine der sehenswerten alten Wassermühlen aufmerksam, die sich am Fluss entlang ziehen. Insgesamt fünf von ihnen finden sich in seinem eigentlich ziemlich kurzen Verlauf, da sich das Gefälle selbst im unteren Bereich durchaus noch für den Betrieb von Mühlrädern eignet.

Wie alle anderen sei auch der "Terbiestmolen" - "Mühle" hat im Niederländischen einen männlichen Artikel erhalten - am Ortsrand von Nederzwalm-Hermelgem inzwischen aber ein Restaurant. Und angesichts des Sonnenscheines am ersten echten Frühlingstag des Jahres sind trotz der noch immer recht frischen Temperaturen tatsächlich einige Plätze auf der Terrasse direkt über dem "rauschenden Bach" besetzt.

Nicht mehr allzu lange werden die beiden Vereinskameraden Henk Decraecke und Jan de Schamphelaere anschließend noch ein Duo bilden. Denn Jan bekommt langsam Probleme und wird später von heftigen Krämpfen geplagt werden. Mit 4:31:47 wird er seinen ersten - und wie er später zu Protokoll gibt auch ganz sicher letzten - Marathon beenden. Doch Jan wäre ganz sicher nicht der Erste, der nach einer kurzen Bedenkzeit seine Meinung diesbezüglich wieder ändert.

Die schweren Belgier auf der Weide lassen sich von Jef van de Weerdt aus dem niederländischen Maastricht nicht aus der Ruhe bringen Bei Kilometer sechsunddreißig stattet man dem Dörfchen Dikkele einen Besuch ab

Sein Kumpel Henk spielt dagegen seine ganze Routine aus und wird mit 3:59:54 gerade noch unter vier Stunden ins Ziel kommen. Dennoch werden von den 175 in der Ergebnisliste notierten Marathonis nicht einmal vierzig langsamer sein. Vlaanderens mooiste Marathon kommt auf eine für einen Landschaftslauf aus deutscher Sicht fast sensationelle Vier-Stunden-Quote von achtundsiebzig Prozent.

Jenseits der an der Mühle vorbei führenden Straße zieht sich die Strecke noch einen Moment über einen Feldweg entlang einer noch nicht wirklich ergrünten Baumreihe um das Doppeldorf Nederzwalm-Hermelgem herum, bevor sie dann doch in den etwas dichter bebauten Bereich eintaucht. "Op de fietspad" lautet die Vorgabe der Streckposten, von denen die Überquerung der nächsten breiteren "straat" abgesichert wird.

Allerdings ist Verkehr auch dort praktisch nicht existent, so dass es eher eine Vorsichtsmaßnahme als um eine echte Notwendigkeit handelt, für die nächsten Meter den Radweg zu benutzen. Selbst wenn es mit etwas Phantasie meist nicht allzu kompliziert ist, den Sinn niederländischer Worte zu entschlüsseln, muss man das "Fahrrad" bedeutende "fiets" wohl wirklich kennen, um es zu verstehen. Wo der Begriff wirklich herkommt, ist selbst Sprachforschern nicht wirklich klar. Doch spätestens in der Ableitung "bromfiets" für "Mofa" bekommt er eine ziemliche drollige Note.

Auf gar keinen Fall verwechseln sollte man "fiets" mit "friet" oder "frieten". Denn damit sind natürlich Pommes frites gemeint. Neben Schokolade und Waffeln werden sie im Ausland wohl am häufigsten unter "typisch belgische Spezialität" einsortiert. Doch sowohl in Flandern wie auch in der Wallonie - diesbezüglich sind sich sogar beide Landesteile einmal weitgehend einig - sind sie tatsächlich ziemlich beliebt.

Fast an jeder Ecke findet man in den Städten irgendwo einen Imbiss, der sie anbietet. Und während hierzulande bei Laufveranstaltungen meist nicht nur Versorgung mit Getränken vom Ausrichter übernommen wird, sondern man in der Regel auch Essen verkauft, hat in Zwalm eine riesige fahrbare Frittenbude vor der Halle geparkt, die nicht nur frieten sondern auch noch einige weitere alles andere als fettarme Gerichte im Angebot hat.

Nicht allzu lange läuft man über den mit roter Farbe auf dem Asphalt markierten fietspad, dann verschwindet die Strecke schon wieder in einem der typischen schmalen Seitensträßchen. Wenig später stößt sie nicht nur auf die nächste Verpflegungs- und Wechselstelle sondern auch auf einen Fluss, der deutlich breiter als die zuvor überquerte Zwalm ist. Aber dafür, dass sie nur hundert Kilometer später von Hochseeschiffen befahren werden kann, ist die Schelde an dieser Stelle andererseits noch ziemlich schmal.

Rund achtzig Kilometer müssen die Frachter und Tanker stromaufwärts fahren, um am größten belgischen Hafen in Antwerpen ihre Ladung zu löschen. Er wird nach Rotterdam und Hamburg sogar oft als Nummer drei in Europa einsortiert. Doch nicht nur weil er so weit im Landesinneren liegt, ist das ziemlich überraschend. Mindestens genauso erstaunlich, dass die Schelde in ihrem Unterlauf keineswegs mehr durch Belgien fließt.

Nicht nur nördlich sondern auch südlich der Mündung befindet sich niederländisches Territorium. Die Grenzziehung wiederspricht also dem, was man anhand der natürlichen Gegebenheiten intuitiv erwartet hätte. Der Name "Zeeuws Vlaanderen" - auf Deutsch "Seeländisch Flandern" - zeigt, dass es sich um den schon erwähnten Norden der einstigen Grafschaft handelt, der nicht mehr zu Belgien gehört.

Sowohl für die Marathonläufer mit den niedrigen Startnummern wie auch für die Teams mit hohen Zahlen vor der Brust und Staffelholz in der Hand, beginnen im Feld hinter Dikkele die letzten fünf Kilometer

Allerdings ist das Gebiet schon fast vier Jahrhunderte Bestandteil der Niederlande, die es im Achtzigjährigen Krieg besetzen und anschließend gegen die Spanier verteidigen konnten. Auch nach der Vereinigung und erneuten Teilung blieb es seeländisch. Eine feste führende Verbindung zum Rest des Landes gibt es aber erst seit der Eröffnung des Westerscheldetunnels im Jahr 2003. Zuvor musste man entweder mit der Fähre übersetzen oder einen längeren Umweg durch Belgien machen.

Umgekehrt kommen die den Strom hinauf fahrenden Schiffe erst mit dem Erreichen des Stadtgebietes von Antwerpen in belgische Gewässer. So sind zum einen dem weiteren Wachstum des Hafens ziemlich enge Grenzen gesetzt, da er sich eigentlich nur noch ins nördliche Nachbarland hinein ausdehnen könnte.

Andererseits ist er vollständig von der Zusammenarbeit und dem guten Willen der Niederländer abhängig. Im und nach dem Achtzigjährigen Krieg war zum Beispiel die Zufahrt komplett blockiert, was zum Niedergang Antwerpens und dem Aufstieg Amsterdams beitrug. Und nach der Belgischen Revolution wurde lange der sogenannten Scheldezoll auf jedes einfahrende Schiff erhoben. Erst mehr als dreißig Jahre später konnten sich die Belgier durch die Zahlung eines hohen Millionenbetrages die freie Zufahrt erkaufen.

Die Marathonstrecke schwenkt auf den Uferweg ein und folgt der Schelde fast zwei Kilometer weit stromabwärts. Der Charakter des Laufes ist dabei auf einmal ein völlig anderer. Anstatt ständig die Richtung wechselnder Feldwege und weit verstreuter Dörfer, ist man auf einmal abgeschirmt von hohen Auwaldbäumen weitgehend alleine am nur in einem ganz leichten Bogen verlaufenden Fluss unterwegs.

Ziemlich genau zwei Drittel der Distanz haben die Marathonis in den Beinen, als ein kurzes Stück über einen Trampelpfad den Ausflug an den Fluss beendet. Abgesehen von einigen meist nur wenige Schritte umfassenden Kopfsteinpflasterabschnitten, verlässt die Strecke damit erstmals den Asphalt. Störend ist das jedoch bei einem ohnehin als Landschaftslauf konzipierten Marathon natürlich keineswegs.

Als man am Ende der schmalen und etwas schlenkrig verlaufenden Weges wieder festen Straßenbelag unter den Füßen hat, verkündet ein Ortsschild am Rand das Erreichen von Meilegem, das die nordwestliche Ecke des Gemeindegebietes besetzt. Doch selbst als "Streifen" kann man diesen kurzen Besuch nur mit ziemlich viel Wohlwollen beschreiben. Denn abgesehen von einigen wenige angelegen Gehöften bekommt man das Dorf überhaupt nicht zu Gesicht.

Vielmehr dreht der auf den letzten beiden Kilometern nördlich orientierte Kurs nun wieder nach Süden und verläuft entlang eines vom Hauptstrom abgetrennten Seitenarmes in genau entgegengesetzter Richtung zurück nach Hermelgem. Etwa die Hälfte des Weges verläuft noch im Schatten der Bäume, doch mit dem Verlassen des Altwassers geht es für die Marathonis wieder ins Feld hinaus.

Vorbei an einem markanten Baumriesen… …einem farblich nicht gerade dezenten Haus in Hundelgem… … und der Wassermühle "Zwalmmolen" geht es dem Ziel entgegen

Dreihundert Meter Luftlinie und vier Marathonkilometer entfernt vom Punkt, an dem man sie verlassen hat, trifft man ein zweites Mal auf die durch Nederzwalm-Hermelgem führende Hauptstraße. Und erneut muss man sie zum einen queren und zum anderen dabei ein Stück auf dem fietspad zurücklegen. Welche der beiden Seiten man dabei am besten wählen sollte, wird dabei durch die an der Einmündung aufgebaute Verpflegungsstelle vorgegeben.

Bald darauf winkt ein Seingever die Läufer wieder von der Straße hinunter und in einen Seitenweg hinein, der sie auf dem folgenden Kilometer nach Sint-Maria-Latem bringt, der nächsten Zwischenstation auf der großen Runde durch die Zwalmer Ortsteile. Doch haben es die Kurssetzer bei einer Stippvisite an den unteren Häusern des sich einen kleinen Hang empor ziehenden Dorfes belassen, um die Route dann nach Paulatem, der mit nicht einmal zweihundert Bewohnern kleinsten deelgemeente weiter zu leiten.

Wirklich etwas von dieser Winzigkeit bemerken kann man allerdings nicht. Auch von Paulatem bekommt man neben dem Ortsschild nämlich nur einige etwas abseits gelegene Häuser zu Gesicht. Doch muss man nicht nur wegen der vielen Haken und Schleifen des Kurses ohnehin aus Zwalm oder der allernächsten Umgebung stammen, um entscheiden zu können, welcher der unzähligen, sich ähnelnden Siedlungssprenkel denn nun wo zuzuordnen ist. Ohne die in der Halle ausgehängte Karte einzubeziehen, haben Auswärtige in dieser Disziplin jedenfalls keine Chance.

Etwas anderes bleibt von diesem Streckenabschnitt aber eindeutig im Gedächtnis haften. Denn für den Beginn der letzten zehn Kilometer haben sich die Kursarchitekten noch etwas Spezielles einfallen lassen. Zum zweiten Mal verlässt man nämlich den Asphalt, der einfach endet und in einen immer schmaler werdenden, sich anfangs absenkenden Waldweg übergeht.

Das in diesem Moment durchquerte Wäldchen ist selbst schon eine Besonderheit in der abgesehen von einzelnen Baumgruppen und Hecken ansonsten meist ziemlich ausgeräumten Hügellandschaft der Flämischen Ardennen. Der "Ter Biezen Bos" ist jedenfalls das größte zusammen hängende Waldstück auf dem Gemeindegebiet von Zwalm.

Ein kleiner Steg führt über eine noch kleineren Bachlauf. Und danach beginnt der nun am Waldrand verlaufende Pfad zu steigen. Fast einen Kilometer lang zieht er sich sanft aber stetig den Hang hinauf und gewinnt dabei etwa dreißig Höhenmeter. Doch auch nachdem man auf das quer dazu verlaufende Sträßchen eingeschwenkt ist, setzt sich der Anstieg noch ein wenig fort. Nach einem weitgehend flachen Viertel wird die Strecke zum Abschluss noch einmal deutlich welliger.

Für einen kurzen Moment öffnet eine schnurgerade Schneise den Blick zu einem mitten im Wald gelegene Schlösschen, dem nicht zugänglichen Kasteel Ter Biezen. Wenig später ist am Ortsrand von Beerlegem nach knapp vierunddreißig Kilometern der letzte Wechselpunkt für die Staffeln und die nächste Bevoorrading erreicht. Wieder einmal kommt von den Helfern hinter den Tischen dabei jenes inzwischen schon oft gehörte und kaum wortwörtlich zu übersetzende "success", das neben einem gewünschten "viel Erfolg" nämlich auch ein gutes Stück Anfeuerung beinhaltet.

Auf dem letzten Kilometer führt der Kurs noch einmal über eine Wiese am Ortsrand von Munkzwalm

Auf einem Feldweg umgeht man wieder einmal den eigentlichen Dorfkern und verlässt den - für alle, die nicht mitgezählt oder den Überblick verloren haben - zehnten inzwischen berührten Ortsteil mit einer erneuten Steigung. Von nur etwa zehn Metern über dem Meer an der Schelde ist man deren an seiner Kuppe wieder auf beinahe sechzig Metern angekommen.

Jef van de Weerdt geht die letzten Meter hinauf. Er sei schließlich schon etwas älter, nämlich zweiundsechzig, gibt er in nicht einmal schlechtem Deutsch als Begründung an. Als wirklich heftig empfindet er diese Hügel aber dennoch nicht. Schließlich stehen neben einigen Mittelgebirgsrennen auch schon der Montafon-Arlberg-Marathon und der Dolomiten-Marathon von Brixen in seinen Palmarès.

Eine eigene Altersklasse, in der er sich im kleinen Feld eventuell vorne platzieren könnte, gibt es für den Routinier jedoch nicht. Gerade einmal zwei Wertungskategorien sind ausgeschrieben. Sie nennen sich "Senioren" und "Veteranen", wobei letztere aber schon mit fünfunddreißig Jahren beginnt. Und so wird er am Ende mit nur wenig mehr als halb so alten Konkurrenten in einen Topf geworfen.

Als einer von wenigen Teilnehmern des Rennens kommt Jef nicht aus Belgien sondern aus dem niederländischen Maastricht. Dennoch musste er mit seinen beiden mitgereisten Laufkameraden keineswegs nach Süden sondern einzig und allein nach Westen fahren, um nach Zwalm zu gelangenn. Denn beide Orte liegen ziemlich exakt auf gleicher geographischer Breite. Wie ein Keil schiebt sich schließlich ein schmaler Streifen Niederlande fast fünfzig Kilometer weit zwischen Deutschland und Belgien hinein.

Die beiden niederländischen Staaten wurden bei ihrer erneuten Trennung nämlich keineswegs nur nach Nord und Süd oder auch einfach nach Konfessionszugehörigkeit - die Gegend um Maastricht ist traditionell katholisch - aufgespalten. Neben politischen spielten auch militärische Aspekte in die Verhandlungen hinein. Denn das nördliche "Koninkrijk der Nederlanden" war nicht bereit die wichtige Festungsstadt Maastricht aufzugeben und konnte sie nach zähen Verhandlungen tatsächlich auch behalten.

So wurde die Provinz Limburg nicht in Nord-Süd- sondern in Ost-West-Richtung geteilt. Und neben einer belgischen Provinz Limburg gibt es auch eine niederländische gleichen Namens. Maastricht grenzt deswegen zudem als niederländische Stadt an den französischen Sprachraum, denn die äußerste Spitze des Gebietes ragt bis zu Wallonie nach Süden. Umgekehrt hat Deutschland aus diesem Grund eigentlich recht überraschend keinen einzigen geographischen Berührungspunkt mit Flandern.

Über Sprach- und Landesgrenzen hinweg gibt es im Mai jeweils auch einen Lauf über zweiundvierzig Kilometer, der je nachdem entweder "Maasmarathon" oder "Marathon de la Meuse" heißt. Von belgischen Visé führt er am einen Ufer der Maas bis nach Maastricht und am anderen wieder zurück. Fast scheint es allerdings, als sei dies leichter möglich, als ein Rennen gleichzeitig in Flandern und der Wallonie auszutragen.

Die kurz hinter der zweiundvierzigsten Kilometermarkierung … … beginnende Zielgerade hatten die Marathonis zur Halbzeit schon einmal unter den Füßen … ... doch nun dürfen auch sie am Zeitnehmerpavillon stehen bleiben

Als das Gespräch auf diese Veranstaltung kommt, berichtet Jef van de Weerdt übrigens, dass er seinen "Heimmarathon" natürlich ebenfalls schon einige Male gelaufen sei. Genauer gesagt habe er sogar an allen von ihnen teilgenommen, schiebt er dann noch nach. Selbst wenn er es keineswegs großmäulig heraus posaunt, sondern eher beiläufig erwähnt, ist ein ganz klein wenig Stolz dabei trotzdem zu spüren. Immerhin steht diese Veranstaltung ja nun auch schon zum fünfzehnten Mal an.

Hinter der Kuppe führt die Straße erst einmal wieder spürbar bergab, fast die Hälfte der gewonnen Höhenmeter gehen dabei wieder verloren. Dass man dabei für fast einen Kilometer sogar einmal die Zwalmer Gemarkung verlässt und aufs Gebiet der Nachbargemeinde Gavere hinüber wechselt, wird angesichts des gewohnten Gemisches aus Wiesen, Feldern und Streusiedlungen überhaupt nicht deutlich.

Nachdem das Sträßchen eine Senke durchquert hat und erneut zu steigen beginnt, hat man auch wieder Zwalmer Boden unter den Füßen. Noch sechs Kilometer sind zu laufen und nun stattet man schnell dem Dörfchen Dikkele einen Besuch ab. Die Kopfsteinpflasterstraße zur etwas weiter oben erkennbaren Kirche dürfen oder müssen - je nach persönlicher Einstellung und aktueller Verfassung - die Läufer nicht hinauf. Stattdessen schneiden sie den ansonsten nötigen Bogen auf einem kurzen, malerischen Trampelpfad entlang eines Baches ab.

Die Strecke führt, nachdem sie hundert Meter später wieder auf Asphalt getroffen ist, noch immer leicht aufwärts aus Dikkele ins freie Feld hinaus und gleicht damit endgültig alle zuvor verlorenen Höhenmeter aus. Auf ihrem weiteren, erneut ein wenig im Zickzack verlaufenden Weg über die noch ziemlich kahle Ackerflächen wird sich an diesem nun erreichten Niveau erst einmal auch nicht viel ändern.

Nach vielen auch akustisch ziemlich ruhigen Kilometern dröhnt auf einmal heftiger und ungewöhnlicher Lärm zu den nun in erhöhter Position laufenden Marathonis herüber. Der erste Gedanke an ein landendes Flugzeug ist schnell verworfen, schließlich handelt es sich um einen praktisch nicht unterbrochenen, nur kurz an- und abschwellenden Dauerton. Die Überlegungen gehen anschließend zu Motocross-Maschinen

Und die nächste Kurve zeigt am in einigen Kilometer Entfernung gegenüber liegenden Hang dann auch eine komplett vollgeparkte Fläche. Dort scheinen etliche Zuschauer ein ganz anders geartetes Rennen als den Marathon zu verfolgen. Je nachdem, ob Häuser oder Hügel ein wenig vom Schall abfangen wird es in der Folge mal etwas mehr, mal etwas weniger laut sein. Ganz verschwindet das Hintergrundgeräusch bis zum Ziel aber nicht mehr.

Vom letzten noch fehlenden Dorf, nämlich Hundelgem, ist der Eindruck nun wieder ein wenig länger. Denn rund einen Kilometer absolviert man in den Straßen der lang gestreckten Ortschaft, bevor man sie - frisch gestärkt von der letzten Verpflegungsstelle - auf der anderen Seite wieder verlässt. Nur noch etwa drei Kilometer sind bis zum deutlich tiefer gelegenen Ziel zurück zu legen. Aber auch weiterhin ist eigentlich nichts von der zuvor gewonnenen Höhe verloren gegangen.

Nicht nur das Museum "Centrum Ronde van Vlaanderen" in Oudernnarde … …zeigt die belgische Radsportbegeisterung, vor, während und nach der Siegerehrung wird in der Halle von Zwalm auch das Rennen Paris-Roubaix auf einer Großleinwand übertragen

Ganz im Gegenteil steigt der Feldweg, der die Marathonis aus Hundelgem hinaus bringt, sogar wieder leicht an. Erst einen weiteren Kilometer und zwei Abzweigungen der - wie üblich keineswegs geradeaus verlaufenden - Strecke später beginnt das Gelände sich schließlich doch in einen Hohlweg hinein zu senken. Die bald darauf erreichten Häuser gehören zwar bereits zu Munkzwalm. Doch der Blick zwischen ihnen hindurch zeigt, dass keineswegs bereits der noch etwas weiter unten gelegene Ortskern mit dem Ziel erreicht ist.

Nach dem Einschwenken auf die zwischen den Wohngebäuden hindurch führende Straße beruhigt sich das Profil erst einmal wieder und hält sogar noch eine weitere kleine Kuppe mit einer knappen Handvoll Höhenmeter parat. Ganz langsam nähert man sich bereits der vorletzten Kilometermarke mit der "41", als der Kurs nicht nur nach links sondern auch nach unten wegknickt. Denn um die ungefähr zwanzig Höhenmeter zu verlieren, braucht das Sträßchen kaum zweihundert Meter Länge. Zumindest bergab lernt man also doch noch eine, wenn auch kurze Helling kennen.

Das Gefälle endet am Zwalmmolen, einer weiteren Wassermühle am Flüsschen gleichen Namens, an dem sich die Strecke nach dessen Überquerung nun für einige hundert Meter orientiert, bis sie auf die Hauptstraße von Munkzwalm stößt. Der nicht allzu lange Abschnitt, auf der man diese beläuft, reicht immerhin um die Kirche des Dorfes - diesmal eine "Sint-Mattheuskerk" - zu passieren. Doch an der nächsten Straßenecke geht es schon wieder rechts ab dem Ziel entgegen.

Die letzten Meter vor dem Einbiegen auf die schon bekannte Zielgerade führt der Kurs dann noch einmal auf einem Fuß-und Radweg über eine Wiese am Ortsrand von Munkzwalm. Nach hundert Metern entlang der Eisenbahn - neben den wenigen Schritten zwischen Startlinie und erster Kurve auch der einzige Streckenteil, den man tatsächlich mehr als einmal absolviert - dürfen nun auch die Marathonis an den Zeitnehmern vorbei.

Als Erster tut dies in beachtlichen 2:40:46 Gerd Devos aus dem etwa Dreißig Kilometer von Zwalm entfernten, allerdings bereits in Westflandern liegenden Dentergem. Auch Bart de Grove absolviert die nicht unbedingt für Rekorde geeignete Strecke mit 2:47:21 noch in einem Durchschnittstempo von mehr als fünfzehn Kilometern in der Stunde. Dritter wird durch den 2:50:07 laufenden Gauthier Flasque aus Lille kurz hinter der Grenze zu Frankreich einer der wenigen internationalen Gäste bei Vlaanderens mooiste Marathon.

Rein belgisch und auch rein flämisch besetzt ist dagegen das Podest bei den Frauen. Doch zumindest ist die regionale Verteilung ein wenig weiter gestreut, denn Mieke Remmerie aus Hooglede in Westflandern siegt in 3:45:33 vor der Zweitplatzierten Patricia Verschuere (3:47:03) aus Eeklo in Ostflandern und der Dritten Hilde Ottevaere (3:48:50) aus Vosselaar in der Provinz Antwerpen.

Im Fenster des Rundfahrtmuseum kann man sich die steinerne Siegerliste aus der kompletten hundertjährigen Geschichte der Ronde van Vlaanderen durchlesen

Alle drei gehören bereits als Enddreißiger- und Frühvierzigerinnen der "Veteranenklasse" an. In der Hauptklasse bei den Damen lässt sich bei gerade einmal einer einzigen Teilnehmerin einzig und allein die oberste Treppchenstufe besetzten. Doch fällt die Frauenquote auf der langen Distanz angesichts von nur zehn Zieleinläufen mit kaum sechs Prozent ohnehin ziemlich ernüchternd aus. Falls die Organisatoren überhaupt weiteres Wachstum anstreben, wäre dies sicher ein Punkt an dem man ansetzen sollte.

Um das versprochene Funktions-T-Shirt zu bekommen, muss man die Startnummer genau dort zurück geben, wo man sie vor dem Lauf erhalten hat. Und neben einer Flasche belgischen Bieres findet sich - entgegen der Ausschreibung - auch noch eine Medaille im dort ausgegebenen Beutel. Sie ist jedoch eigentlich eher ein Schlüsselanhänger und nur ein Aufkleber auf der Rückseite zeigt, bei welchem Lauf man sie sich verdient hat.

Doch was die im Startgeld enthaltenen Gegenleistungen angeht, gibt es in Zwalm nun wirklich nicht das Geringste zu meckern. Und auch der sicher alles andere als bescheiden klingende Name hat durchaus ein wenig Berechtigung. So spektakulär wie ein Lauf im Hochgebirge oder entlang einer Steilküste kann die Strecke natürlich nicht sein, doch schön ist es definitiv, was die Kursplaner da in mühevoller Kleinarbeit zusammen gebastelt haben.

Auch ohne die Verbindung zur Ronde van Vlaanderen eine Woche zuvor hat dieser Marathon deshalb ganz sicher eine Berechtigung und auch in den kommenden Jahren weiter guten Zuspruch verdient. Doch gerade für die radsportbegeisterten Flamen bekommt er durch die Tatsache, dass man in den noch ziemlich frische Spuren der Radstars unterwegs ist, noch einen ganz besonderen Reiz.

Kleine Beobachtungen am Rand zeigen den Stellenwert den diese Rennen in Belgien haben, ziemlich deutlich. Denn während man sich hierzulande vielleicht höchstens vorstellen könnte, dass wichtige Fußballspiele nach einer Laufveranstaltung auf Großleinwand gezeigt werden, wirft man in Zwalm vor, während und nach der Siegerehrung die Übertragung von Paris-Roubaix an die Wand.

Nachdem der offizielle Teil abgeschlossen ist, konzentrieren sich meisten in der Halle Verbliebenen schnell wieder auf die Radprofis. Jede wichtige Aktion, jeder Antritt, jeder Sturz wird kommentiert. Die Frage "wer gewinnt" wird immer intensiver diskutiert, je mehr sich die Spitzengruppe lichtet. Und als es am Ende zum Schlussspurt zwischen dem Flamen Sep Vanmarcke und dem Schweizer Fabian Cancelara kommt, wird es in der Halle richtig laut.

Ein kollektives Aufstöhnen ertönt, als der Eidgenosse, der schon eine Woche zuvor die Flandern-Rundfahrt für sich entscheiden konnte, knapp vor dem Belgier über die Linie rollt. Erst danach löst sich die Versammlung langsam auf und die Zwalmperle leert sich deutlich. Es sind diese besonderen, immer wieder anderen Erlebnisse, die den Start gerade bei kleinen Rennen in anderen Ländern so interessant machen.

Vlaanderens mooiste Marathon kann man diesbezüglich jedenfalls sicher in die Kategorie "lohnender Geheimtipp" einsortieren.

Bericht und Fotos von Ralf Klink

Info und Ergebnisse www.vlaanderensmooistemarathon.be

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