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5. North Devon AONB Marathon Woolacombe - UK (29.6.2014)Außergewöhnliche Schönheit nicht nur im Namen |
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von Ralf Klink
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Um es gleich vorweg zu nehmen: Wer glaubt, bei "AONB" würde es sich um einen Sponsor handeln, irrt sich gewaltig. Vielmehr verbirgt sich hinter der Abkürzung ein "Area of Outstanding Natural Beauty", womit im Vereinigten Königreich von Queen Elizabeth ein Gebiet bezeichnet wird, das aufgrund seiner im Namen auftauchenden "außerordentlichen natürlichen Schönheit" unter besonderen staatlichen Schutz gestellt wurde.
Hinsichtlich ihrer Einordnung können diese Areale zwar nicht ganz mit den Nationalparks konkurrieren, von denen es in Großbritannien ebenfalls einige ganze Reihe gibt. - wobei diese angesichts der dichten Besiedlung und fast überall vorhandenen landwirtschaftlichen Kultivierung der britischen Insel ohnehin weit weniger urwüchsig und wild ausfallen als anderswo. Gemessen an hiesigen Maßstäben ließe sich der Status eines "AONB" jedoch ungefähr mit Kategorien wie "Landschaftsschutzgebiet" oder "Naturpark" vergleichen.
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Schroff und spektakulär präsentiert sich die Küste von North Devon nicht nur wie hier in Woolacombe sondern fast in ihrem gesamten Verlauf | |
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"Außergewöhnliche Schönheit" ließe sich der Region North Devon allerdings auch ohne den entsprechenden Titel kaum absprechen. Auf der Karte sollte man diese keinesfalls in jener Himmelsrichtung suchen, die in ihrem Namen steckt. Die Grafschaft "Devon" ist vielmehr ganz im Südwesten Englands auf jener weit ins Meer hinaus ragenden Halbinsel zu finden, deren Spitze von Cornwall eingenommen wird.
Von mehreren Gebietsreformen, bei denen die Verwaltungsstrukturen Englands in der jüngeren Vergangenheit, in anderen Gegenden zum Teil erheblich umgestaltet wurden, ist Devon weitgehend unberührt geblieben. Und so gibt es eine durchaus eigenständige regionale Identität, die sich unter anderem in einer eigenen Flagge ausdrückt, die obwohl sie erst Anfang des neuen Jahrtausends eingeführt wurde, im County gut angenommen und weit verbreitet.
Die Grundform eines im Gegensatz zu seinem skandinavischen Vettern zentral gesetzten Kreuzes entspricht dem der englischen Flagge. Allerdings ist die Grundfarbe grün und das Kreuz selbst weiß mit einem schwarzen Rahmen. Sie ähnelt damit auch der traditionellen Fahne Cornwalls, deren Eckfelder komplett schwarz sind. Deshalb kommt von den westlichen Nachbarn - halb spaßig, halb aber durchaus auch ernst gemeint - schon einmal der Vorwurf des Plagiats.
Mit dem hierzulande weitaus bekannteren Cornwall gemeinsam hat Devon jedenfalls eine wild zerklüftete felsige Küstenlinie, die sich praktisch rund um die gesamte "South West Peninsula" zieht und an vielen Stellen zu ein- bis zweihundert Meter hohen Steilabbrüchen aufschwingt. Sowohl im Süden als auch im Norden kann Devon deswegen etliche wirklich spektakuläre Abschnitte bieten. Und so gibt es neben dem "North Devon AONB" auch noch ein "East Devon AONB" und ein "South Devon AONB" an der längeren Südküste.
Über eine Gesamtlänge von tausend Kilometern umrundet der "South West Coast Path" die gesamte Halbinsel. Dessen Beginn und Ende ist sogar noch ein Stück weiter östlich in den angrenzenden Counties Somerset und Dorset zu finden. Und einige ganz besonders sehenswerte Teile dieses beeindruckenden Fernwanderweges, werden beim North Devon Marathon unter die Füße genommen.
Eigentlich sollte man ja von Haus aus etwas vorsichtig sein, wenn sich eine Laufveranstaltung gar zu lautsprecherisch mit der Schönheit der eigenen Strecke rühmt. Schließlich haben sich rund um den Globus viel zu viele Rennen selbst den Titel "schönster Marathon der Welt" verpasst, um ihre Anmeldungszahlen nach oben zu treiben, obwohl sie am Ende eigentlich nicht viel mehr als bloße Durchschnittsware im Angebot haben.
Doch hört sich das Ganze bei den Organisatoren in North Devon dank der häufig gerühmten und gelegentlich sogar tatsächlich vorhandenen britischen Zurückhaltung weit dezenter an. Nur von "one of the most beautiful courses in the UK" ist da die Rede. Und selbst wenn die Zahl der Veranstaltungen im britischen Königreich im letzten Jahrzehnt beinahe schon explosionsartig gestiegen ist, so dass auch in dieser Formulierung ein gewisser Anspruch steckt, lässt sie sich spätesten dann problemlos akzeptieren, nachdem man den Kurs einmal absolviert hat.
Um zusätzliche Teilnehmer muss man bei der Veranstaltung im englischen Südwesten allerdings sowieso nicht buhlen. Denn das sowohl beim Marathon als auch beim ebenfalls ausgetragenen Halbmarathon existierende Limit von maximal vierhundert Läufern wird eigentlich jedes Mal problemlos erreicht. In der Regel ist schon einige Monate vor dem Start auf der Internetseite unter der Rubrik "registration" die Meldung "sold out" veröffentlicht.
Egal ob man über den vollen Marathon antreten will oder es bei der Halbdistanz belassen möchte, zweiunddreißig Pfund muss man für beide Strecken auf den Tisch legen, so dass sich bei den aktuellen Wechselkursen knapp vierzig Euro an Startgebühr ergeben. Ein Funktions-T-Shirt wird zwar auch angeboten, ist aber nicht im Preis enthalten sondern muss bei der Anmeldung zusätzlich bestellt werden und kostet dann zehn weitere "pound".
Dass in den sich so ergebenden zweiundvierzig Pfund eine gewisse Symbolik steckt, dürfte von den Organisatoren allerdings niemand bemerkt haben. Wie auf der - sich hartnäckig dem international üblichen und fast überall auf der Welt etablierten metrischen System verweigernden - britischen Insel nämlich absolut üblich gibt man die Streckenlängen nicht mit zweiundvierzig und einundzwanzig Kilometern sondern mit sechsundzwanzig und dreizehn Meilen an.
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Überhaupt gibt es in den kleinen Dörfern von North Devon viele pittoreske Motive |
Wer sich rechtzeitig vor dem Erreichen des Teilnehmerlimits angemeldet hat, muss allerdings dann auch noch die Anreise organisieren. Und dabei kommt man ohne ein wenig Tüfteln nicht aus. Denn jenes nur etwa tausend Einwohner zählende Woolacombe, in dem die beiden Rennen gestartet werden, kann als Urlaubsort zwar mit einer gewissen Bandbreite an verschiedenen Übernachtungsmöglichkeiten aufwarten, liegt jedoch fernab aller großen Ballungszentren.
Die Bevölkerungsdichte von Devon ist nicht einmal halb so hoch wie der englische Durchschnitt. Selbst den von den menschenleeren schottischen Highlands deutlich nach unten gezogenen Wert für das gesamte Vereinigte Königreich unterbietet die Grafschaft deutlich. Und rechnet man außerdem die zwar traditionell zu Devon gezählten, verwaltungsmäßig als eine Art "kreisfreie Städte" aber selbständigen Häfen Plymouth und Torbay an der Südküste heraus, sinkt das Ergebnis noch einmal erheblich ab.
Doch auch sonst sind die Besiedlung eher im Süden konzentriert, während sich in North Devon - hinter diesem Begriff kann sich sowohl ein Verwaltungsdistrikt des countys als auch die gesamte nördliche Region der Grafschaft, zu der dann auch noch den Distrikt Torridge gehört, verbergen - Werte ergeben, die man hierzulande hauptsächlich aus ländlichen Regionen in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern kennt.
Entsprechend schwach ist auch die Infrastruktur ausgebaut. Die noch am nächsten zum Marathon-Austragungsort gelegene Bahnstation findet sich im rund zwanzig Kilometer entfernten Barnstaple. Immerhin kann man sich von dort aus dann mit einem mehrfach am Tag verkehrenden Bus weiter nach Woolacombe durchschlagen, muss dafür aber noch eine Stunde zusätzlich einplanen.
Und bis zum nächsten Flughafen hat man vom Badeort aus sogar rund hundert Kilometer in die Grafschaftshauptstadt Exeter zu fahren. Allerdings ist die Zahl der dort startenden und landenden Flugzeuge eher überschaubar. Nicht viel anders verhält es sich auch mit dem "Newquay Cornwall Airport" in der benachbarten Grafschaft im Westen. Die Distanz zu diesem ist mit rund hundertfünfzig Kilometer außerdem noch etwas größer.
Die besten Verbindungen in den Südwesten Englands hat man wohl noch, wenn man sich den ähnlich weit von Woolacombe entfernten Flughafen Bristol im Osten als Landeplatz aussucht. Immerhin wird dieser gleich aus einer ganzen Handvoll Städte im deutschsprachigen Raum regelmäßig angesteuert. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln hat man aber auch von dort eine regelrechte Odyssee vor sich, die mindesten einen halben Tag in Anspruch nimmt, so dass ein Leihwagen eigentlich noch als die sinnvollste Alternative erscheint, um zum Startort zu gelangen.
Nicht wirklich überraschend ist, dass unter diesen Voraussetzungen der überwiegende Teil des Starterfeldes aus dem näheren und weiteren Umfeld stammt. Internationale Gäste verirren sich dagegen praktisch überhaupt nicht zum North Devon Marathon - und wenn doch, werden sie mit großen Erstaunen zur Kenntnis genommen. Trotz theoretisch weltweiter Verfügbarkeit der Informationen hat der Lauf auch bei der fünften Austragung seinen Status eines je nach Blickwinkel sowohl regionalen als auch exotischen Geheimtipps behalten.
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Weit über hundert Meter hoch sind insbesondere im Exmoor-Nationalpark oft die Klippen |
Es ist tatsächlich erst Auflage Nummer fünf, obwohl auf der Internetseite gleich mehrfach die Jahreszahl 1984 auftaucht und man dort auch etwas von "celebrating 30 years" lesen kann. Allerdings beziehen sich diese Aussagen nicht auf den Marathon sondern auf seinen Ausrichter. Und nicht etwa ein Sportverein - oder wie inzwischen auch immer öfter zu beobachten eine kommerzielle Agentur - zeichnet für die Veranstaltung des Rennens verantwortlich sondern die Wohltätigkeitsorganisation "North Devon Hospice".
Die Verbindung zum Langstreckenlaufen stellt "race director" Simon Oliver her. Der grauhaarige und -bärtige Mittfünfziger engagiert sich zum einen nämlich für diese "local charity", kann andererseits mit schlanker Figur und schmalem Gesicht den Ausdauersportler aber wahrlich nicht verheimlichen. Irgendwann hatte der in Woolacombe beheimatetet Läufer die Idee, auch anderen Sportlern die Schönheit seines Trainingsreviers zu zeigen.
Und mit der Möglichkeit, die Erlöse für die Arbeit des Vereins einzusetzen, ließen sich gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. So haben längst nicht alle Helfer auch wirklich eine enge Beziehung zum Laufsport sondern sind hauptsächlich deswegen dabei, weil sich der North Devon Marathon in der relativ kurzen Zeist seines Bestehens bereits zu einem "significant fundraiser" für die Organisation entwickelt hat.
Doch selbst, wenn man den "Renndirektor" immer wieder dabei entdecken kann, wie er an etlichen Stellen selbst mit Hand anlegt, ist das Team zum einen zahlreich und zum anderen sichtbar eingespielt. Ohnehin lässt sich ja immer wieder beobachten, dass es umso leichter zu sein scheint, Freiwillige zu finden, je abgelegener die Gegend und kleiner die Ortschaft ist. So mancher Anwohner übernimmt in solchen Fällen gerne einmal die Betreuung eines Verpflegungsstandes oder stellt sich für einige Zeit als Streckenposten zur Verfügung.
Und natürlich lassen sich auch eine Reihe lokaler Firmen als Sponsoren einbinden. Dass es sich bei den wichtigsten Werbepartnern unter anderem um den Betreiber mehrere Campingplätze und Ferienhaussiedlungen sowie ein lokales Restaurant handelt, die von der Veranstaltung ein wenig profitieren, hat durchaus Vorteile. Anderseits bieten aber auch mehrere Physiotherapeuten aus der Region völlig ohne Bezahlung und gegen eine Spende für die Hospizstiftung nach dem Rennen einen Massageservice an.
Dass die Verwaltung des "North Devon AONB" ebenfalls mit eingebunden ist, versteht sich schon wegen der nötigen Genehmigungen fast von selbst. Doch bieten die Ranger des zuständigen "National Trust" im Vorfeld eben auch noch mehrere organisierte Trainingsläufe an und haben neben dem als Wettkampfzentrum zudem einen eigenen Informationsstand aufgebaut, um allen Interessierten - egal ob Marathoni oder zufälliger Passant - das "Gebiet von außerordentlicher natürlicher Schönheit" noch ein wenig näher zu bringen.
Schon dieses Start- und Zielareal ist irgendwie ziemlich bezeichnend für den gesamten Marathon. Denn es besteht aus wenig mehr als einer großen Grasfläche, auf die man mehrere mittelgroße Zelte gestellt hat, in denen Startnummern und T-Shirts verteilt werden oder man sich umziehen kann. Einiges wird auch erst am Morgen des Wettkampfes aufgebaut, als die ersten Teilnehmer schon längst angekommen sind. Denn samstags muss man gar nicht erst versuchen seine Unterlagen abzuholen.
Diese werden nämlich angesichts der Tatsache, dass ein großer Teil der Läufer aus der näheren und weiteren Umgebung stammt und deshalb es am Marathontag anreist, nur sonntags zwischen acht und halb zehn - die Starts sind auf zehn Uhr für den Marathon und Viertel nach zehn für den Halbmarathon angesetzt - verteilt. Selbst wenn man sicherheitshalber noch einmal nach dem Geburtsdatum gefragt wird, bevor man den Umschlag mit Startnummer und dem Chipplättchen für die Zeitmessung, wirkt alles ziemlich familiär.
Doch neben dieser angenehmen Atmosphäre fällt eben auch die beeindruckende und zudem abwechslungsreiche Landschaft auf. Unterhalb der etwa zehn bis zwanzig Meter über dem Meeresspiegel gelegen Wiese erheben sich felsige Klippen aus dem Wasser. Dahinter dehnt sich ein weiter Sandstrand scheinbar fast bis zum Horizont aus, der im Norden und Süden jeweils von einer weit ins Meer hinaus ragenden und deutlich weiter nach oben ragenden Halbinsel abgeschirmt wird.
Mit den rückwärtigen, eine Höhe von bis zu zweihundert Meter erreichenden und ebenfalls recht steil abfallenden Hügeln bilden diese beiden einen schützenden Halbkreis um die Woolacombe Bay. Der beste Zugang zu diesem natürlichen Amphitheater bietet noch jener Taleinschnitt, der sich auf zwei bis drei Kilometern Länge vom eher plateauartigen Landesinneren hinunter zum Meer zieht.
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Eine Rasenfläche direkt über dem Meer dient als Wettkampzentrum, Start- und Zielplatz |
Deswegen folgt ihr dann natürlich auch die Hauptzufahrtsstraße nach Woolacombe. Um ein paar enge Kurven kommt sie dennoch nicht herum. Die Aussicht, die man dabei auf einmal hat, ist allerdings beeindruckend. Und so kann man sich sowohl bei der Anfahrt als auch beim Warten auf der Start darüber klar werden, warum der North Devon Marathon nicht nur als "one of the most beautiful courses in the UK" sondern auch als "one of the most challenging" beschrieben wird.
Diese Kerbe in der Landschaft ist es auch, die dem Örtchen seinen Namen gab. Mit "Combe" - einem aus dem keltischen ins altenglische gekommenen Wort - werden nämlich im englischen Südwesten die für die Region so prägnanten kurzen, schmalen und steilen Täler bezeichnet, die im Gegensatz zu den meist eher mit Wiesen oder Heideland bedeckten Höhen zudem häufig dicht bewaldet sind.
Alleine in der Grafschaft Devon lassen sich viele Dutzend Orts- und Geländenamen entdecken, die diesen Begriff enthalten. Keine zehn Kilometer Luftlinie in Richtung Nordosten findet sich zum Beispiel ein deutlich größeres und auch wesentlich bekannteres Seebad namens "Ilfracombe", das zudem einen Stadtteil "Chambercombe" besitzt. Und noch ein wenig weiter östlich heißt gleich die nächste größere Ortschaft dann "Combe Martin". Wirklich außergewöhnlich ist der vermutlich ursprünglich "Wolfstal" bedeutenden Name "Woolacombe" also nicht.
Direkt neben der Wiese mit den Meldezelten gibt es einen großen, allerdings gebührenpflichtigen Parkplatz, der hauptsächlich für jene Besucher gedacht ist, die später in größerer Zahl den Strand bevölkern werden, obwohl sich die Wassertemperaturen um diese Zeit gerade einmal bei fünfzehn bis siebzehn Grad bewegen und selbst im August am Ende des Sommers so gut wie nie in die Nähe der Zwanzig-Grad-Marke kommen. Von den Läufern wird diese nahe Abstellmöglichkeit für ihre Autos selbstverständlich trotzdem gerne angenommen.
Genauso einfach ist es auch die wegen des Strandbetriebes vorhandenen öffentlichen Toiletten zu nutzen. Und selbst, wenn sie von den Veranstaltern nicht wirklich ausgeschildert sind, lassen sich dort im Bedarfsfall zudem einige Duschen entdecken. Der North Devon Marathon präsentiert sich also wirklich als Veranstaltung der ziemlich kurzen Wege. Denn direkt vor den Zelten ist auch noch der aufblasbare Zielbogen positioniert, während das Starttransparent genau am Übergang von Wiese und Parkplatz zwischen zwei Pfosten hängt.
Das als "obligatorisch" angekündigte "race briefing" zehn Minuten vor dem Start stellt sich als ganz normale Begrüßungsansprache des Organisators Simon Oliver zu seinen Teilnehmern heraus, in der höchstens der Nebensatz interessant - und irgendwie auch wieder für den Charakter des Rennens ziemlich bezeichnend - ist, dass man eine kleine Streckenänderung habe vornehmen müssen, weil auf einer sonst immer überquerten Weide im Moment eine größere Viehherde stünde.
Die Warnung, dass es an den Verpflegungsständen keine Sonnencreme gäbe und man tunlichst selbst für ausreichenden Schutz zu sorgen hätte, scheint angesichts der dichten Wolkendecke, aus der zwischenzeitlich sogar einmal einige Tropfen gefallen waren, ziemlich aus der Luft gegriffen. Doch die Vorhersagen der Meteorologen künden einen sich im Laufe des Tages aufklarenden Himmel an. Eine Hitzeschlacht bei dreißig Grad, wie es sie in den vergangenen Auflagen auch schon gegeben hat, soll den Marathonis allerdings diesmal erspart bleiben.
Ansonsten gibt es während der ziemlich entspannten Startprozedur von Woolacombe aber nicht das geringste Brimborium. Nicht einmal Schuss entlässt die Läufer auf die Strecke. Und auch die sonst bei britischen Rennen so häufig eingesetzte Druckluftfanfare ist nicht zu hören. Die letzten Sekunden werden wie üblich laut herunter gezählt. Dann ertönt einfach nur ein "go" und das Feld setzt sich in Bewegung.
Eigentlich ist der Durchlass unter dem Transparent mit einer Breite von gerade einmal drei bis vier Metern selbst für die nur ungefähr zweihundert Marathonläufer, die sich kurz vor zehn Uhr zum Start versammelt haben, ein wenig zu schmal geraten. Und so dauert es über zwanzig Sekunden, bis sich alle durch den Engpass vom Aufstellungsbereich auf die Strecke gezwängt haben. Von dem rund doppelt so starken Feld im Halbmarathon werden die Letzten sogar erst nach einer Dreiviertelminute die Linie überqueren können.
Doch über den in diesem Bereich von Autos freigehaltenen Parkplatz lässt es sich danach umso besser anlaufen. Am seinem Ende biegt der Marathonkurs nach rechts in das parallel zum Strand verlaufende Sträßchen ein und verliert im Anschluss erst einmal einige Höhenmeter. Doch jenseits dieser hohlwegartigen kleinen Senke dreht der asphaltierte Fahrweg schon vom Meer weg und dem Hang entgegen.
Bevor es allerdings richtig steil wird - das Sträßchen überwindet innerhalb von einem Kilometer über einhundertfünfzig Höhenmeter und hat in seinen ruppigsten Abschnitten weit über zwanzig Prozent Steigung - werden die Läufer in eine schmalen Trampelpfad gelenkt, auf dem sie in die nicht allzu hohen, grasbewachsenen Dünen gelangen, die sich hinter der mehrere hundert Meter breiten Woolacombe Beach anschließen.
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Nach einem Kilometer mit eher leichtem Auf und Ab | zieht die Strecke irgendwann deutlich steiler den Berg hinauf | bevor es zwischen unzähligen lila blühenden Disteln wieder wellig wird |
Etwa einen Kilometer lang geht es zwischen Strandhafer und niedrigen Sträuchern in ständigem Wechsel entweder leicht bergauf oder bergab. Verglichen mit dem, was im weiteren Verlauf des Marathons noch kommen wird, ist dieses schmale schlenkrige Wegelchen eigentlich nicht viel mehr als ein kleiner Appetithappen. Doch macht es trotzdem unheimlich viel Spaß, auf ihm unterwegs zu sein.
Irgendwann beginnt die Strecke dann immer stärker den Hang hinauf zu ziehen. Statt lockeren Wellen ist das nun auf einmal eine spürbare Steigung. Auch die Hecken werden höher, so dass man zwischen oder sogar unter ihnen hindurch schlüpfen muss. Und spätestens als sich die ersten Stufen aus querliegenden Holzstücken vor den Läufern aufbauen, ist der Rhythmus erstmals ein wenig gebrochen.
Der Trampelpfad endet mit einem steilen Stich hinauf zu einem Fahrweg, der sich in einer Höhe von vierzig bis fünfzig Metern über dem Wasser an den Hang legt. Anfangs ist er noch asphaltiert. Und die auf den Teerbelag aufgemalten Linien zeigen an, dass sich an "guten" Tagen selbst bis hierhin geparkte Autos aufreihen, die ihre Besitzer zu den weiter vom Ort entfernten - und damit auch etwas weniger bevölkerten Abschnitten - der sandigen Küste gebracht haben.
Wenig später wird aus dem Asphalt allerdings bereits wieder eine Schotterpiste, die den nächsten Kilometer des Marathons beherbergt. An rund zwei Drittel des etwa vier Kilometer langen Strandes ist man inzwischen schon - wenn auch in stets in einem gewissen Abstand - entlang gelaufen. Und langsam aber sicher kommt man die "Baggy Point" genannten Halbinsel, die ihn nach Süden abschließt, deutlich näher.
Sie ist das nächste markante Zwischenziel, das Simon Oliver in die Laufrunde eingebaut hat. Aber selbst wenn dieser Weg eigentlich weiter in Richtung auf die praktisch genau im rechten Winkel abknickende Landspitze verlaufen würde, macht die Strecke irgendwann trotzdem einen kurzen Schlenker nach rechts in eine Wiese hinein. Zwischen unzähligen lila blühenden Disteln steuert man die Halbinsel nun einige Meter unterhalb an.
So kommt man einer Handvoll noch etwas dichter am Meer stehenden Häusern näher. Doch wirklich bis zu ihnen vor stößt der Pfad nicht vor, denn nach einigen hundert Metern stößt man doch wieder auf die schon bekannte Schotterpiste, die nicht lange zögert und gleich anschließend noch einige Höhenmeter dazu gewinnt. Denn der "South West Coast Path", auf dem man unterwegs ist und noch einige Zeit weiter sein wird, verläuft oberhalb recht steiler Klippen rund um die etwa einhundert Meter hohe Baggy-Point-Landzunge.
An einer verstreuten Häusergruppe erreicht man wieder Asphalt. Unter einigen baumhohen Yucca-Palmen, die im relativ milden, frostarmen Klima der britischen Küste durchaus auch im Freien überleben können, findet sich die erste Verpflegungsstelle. Insgesamt fünfzehn von ihnen finden sich auf der Marathonrunde. Die Halbmarathonläufer können sich immerhin sechsmal unterwegs bedienen. Und dabei ist die Zielversorgung jeweils noch nicht einmal mitgerechnet.
Rein rechnerisch ergeben sich also Abstände von ungefähr drei Kilometern - oder nach britischer Systematik von zwei Meilen - zwischen den einzelnen Posten, wobei diese in der Realität aber weit stärker schwanken. Denn bei einem Landschaftslauf mit ziemlich hohem Anteil an schmalen Fußpfaden orientiert man sich natürlich eher an der Erreichbarkeit der einzelnen Stellen im Gelände als an irgendeiner strengen Zahlenlogik.
Zur zweiten Getränkestelle wird man zum Beispiel rund drei Meilen, also beinahe fünf Kilometer unterwegs sein. Einige andere Verpflegungspunkte im späteren Verlauf der Strecke sind dagegen bis auf eine Meile aneinander heran gerückt, was angesichts der während des Tages weiter ansteigenden Temperaturen bei den meisten Marathonis nicht unbedingt auf Ablehnung stößt. Selbst wenn man aufgrund des ziemlich welligen Profils natürlich ein wenig länger zwischen den jeweiligen Posten unterwegs ist als auf der Straße, reicht dies nun wirklich absolut aus.
Dass trotz einer solchen Versorgungsdichte dennoch viele zusätzlich noch große Trinkrucksäcke oder mit einem halben Dutzend Flaschen gefüllte Bauchgurte mit sich herum schleppen, könnte den Marketingstrategen der Ausrüsterfirmen wieder einmal belegen, wie gut ihre Kampagnen, die mit Werbemaßnahmen ja oft einen Bedarf an Dingen erst geweckt haben, die zuvor niemand vermisst hat, in der Laufszene inzwischen wirken.
"Typisch angelsächsisch" könnte man die Auswahl nennen, die an den Ständen angeboten wird. Denn neben Wasser und Saft sowie den weltweit üblichen Bananen findet sich dort regelmäßig auch eine Schale mit Gummibärchen auf den Tischen. Was hierzulande bei vielen Läufern eher Kopfschütteln hervorrufen dürfte, ist nicht nur auf den britischen Inseln sondern auch in Nordamerika selbst bei weit größeren Veranstaltungen keineswegs etwas Besonderes.
Auf dem Asphalt geht es noch ein wenig weiter bergan. Doch allzu lange haben ihn die Marathonis nicht unter den Füßen. Ziemlich schnell weicht der South West Coast Path nämlich auf einen direkt neben dem Sträßchen verlaufenden schmalen Grünstreifen aus. Und kaum zweihundert Meter hinter den Häusern lassen die Handzeichen der Ordner am geöffneten Weidetor nur den Schluss zu, dass man nun auf die Wiesen von Baggy Point hinaus zu laufen hätte.
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Rund ein halbes Dutzend Mal gilt es während des Marathon über Viehgatter hinweg zu klettern |
Was anfangs wie ein richtiger Weg aussieht, wird schnell zu einer grasbedeckten Spur durch die Wiese, die in einigen Abschnitte selbst die Bezeichnung "Trampelpfad" nicht wirklich verdient hat. Nicht immer ist es wirklich eindeutig, wo die Strecke denn nun verläuft. Dass nicht alle hundert Meter ein Streckenposten stehen kann, versteht sich allerdings auch. Immerhin geben leuchtend gelbe Schilder mit schwarzen Pfeilen eine gewisse Orientierung. Etliche hundert von ihnen haben die Organisatoren an praktisch jeder noch so kleinen Ecke angebracht.
Im offenen Gelände sind die Möglichkeiten zur Befestigung allerdings nicht gerade zahlreich. Und selbst wenn in Fällen, in denen die Trittspuren im Gras gar zu verwirrend sind, gelegentlich auch einmal eine Tafel einfach die Wiese gesteckt ist, um für endgültige Klarheit zu sorgen, muss man in solchen Abschnitten gelegentlich doch schon in etwas weiterem Umkreis nach der nächsten Markierung Ausschau halten.
Solange das Läuferfeld noch dicht genug beisammen ist, kann man sich - in der Hoffnung, dass diese eine Ahnung davon haben, wo es entlang geht - einfach an die Vorderleute halten. Wenn sich die in recht überschaubarer Zahl auf die Strecke gegangenen Läufer allerdings in der zweiten Hälfte des Marathons so weit auseinander gezogen haben, dass an vielen Stellen keinerlei Sichtkontakt mehr existiert, gilt es schon ein wenig aufmerksam zu sein, um keinen Abzweig zu verpassen.
Allerdings sollte man sich nicht nur auf die Suche nach Wegmarkierungen konzentrieren. Zum einen wäre es nämlich viel zu schade, das Panorama, das sich nun auf der rechten Seite auftut, nicht zu genießen. Über die gesamte Länge des Strandes reicht der Blick bis hinüber nach Woolacombe und zur dahinter aufragenden Halbinsel im Norden der Bucht, der man den Namen "Morte Point" gegeben hat.
Viel wichtiger ist jedoch, die auf der Wiese beheimatetet Schafherde nicht aus dem Auge zu verlieren. Denn diese scheint sich durch die über ihre Weidegründe eilenden Marathonis motiviert worden zu sein und beginnt ihrerseits anzutraben. Da sie dabei ziemlich überraschend plötzlich die Laufstrecke kreuzt, bleibt einigen Langstrecklern nichts anderes übrig, als abzustoppen und dem tierischen Querverkehr den Vortritt zu lassen. Auch diese ungewöhnliche Begegnung zeigt anschaulich den Charakter des Rennens durch das AONB.
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Über Wiesen und Weideflächen führt der Kurs auf die Halbinsel "Baggy Point" hinaus |
Der inzwischen wieder besser erkennbare Pfad steuert auf die Hecken zu, die sich in den schon deutlich geneigten Hang zwischen den die Kuppe der Landzunge bedeckenden Weiden und den fast senkrechten Klippen an ihrem Fuß festkrallen. Anfangs führt der Weg auch einmal zwischen den meist eher stacheligen Sträuchern hindurch. Später wird dieser dann genau die Grenzlinie zwischen Gras und Büschen darstellen.
Die Schafe bleiben längst nicht die einzige Hindernis, das man sonst von Laufwettbewerben nicht unbedingt kennt. Einige hundert Meter nach der Begegnung mit den Wollerzeugern stößt man nämlich auf den Zaun, der ihre Weide begrenzt. Zwar hat man schon mehrfach im gerade einmal fünf Kilometer alten Rennen umfriedete Wiesen überlaufen. Doch konnten jedes Mal durch geöffnetes Tor betreten und verlassen werden. Diesmal steht man aber vor einem geschlossenen Holzgatter, das mit Hilfe einiger eigens angebrachter Tritte überquert werden muss.
Zwei Stufen geht es nach oben, anschließend mit Schwung über die Begrenzung hinweg und dann auf der anderen Seite wieder zwei Stufen nach unten. Es ist ein Rhythmus, an den man sich gewöhnen sollte. Denn rund ein halbes Dutzend dieser Hürden gilt es während des Marathons zu überwinden. Dazu kommt noch einmal ungefähr die gleiche Zahl von den Läufern selbst zu öffnender und zu schließender kleiner Türchen. Unter "barrierefrei" ist diese Marathonstrecke wahrlich nicht einzuordnen.
Rund drei Kilometer verläuft der South West Coast Path oberhalb des Abbruches immer weiter nach Westen auf das "headland" hinaus. Mit diesem Begriff werden im Englischen ins Meer ragende Teile der Küste bezeichnet. Damit kann sowohl ein echtes Kap gemeint sein als auch nur eine kleine Ausbuchtung der Uferlinie. Das wichtigste Kriterium ist vielmehr, dass die Formation einigermaßen hoch und zudem relativ steil abfallend ist.
Wortwörtlich lässt sich der Ausdruck selbstverständlich nur mit einem seltsamen und ziemlich unverständlichen Ergebnis übersetzen. Doch auch ein sinngemäßes Gegenstück gibt es in kaum einer anderen Sprache. Die lange britische Küste ist jedenfalls ziemlich reich an solchen Felsformationen, als deren bekannteste man wohl "Land's End" an der südwestlichen Spitze von Cornwall gelten darf.
Auch Baggy Point hat durchaus spektakuläre Klippen, die sogar noch etwas schroffer daher kommen. Doch sind diese hauptsächlich bei Felsenkletterern populär, die in ihnen eine Vielzahl zwar nicht allzu langer, aber dafür fast senkrechter Routen vorfinden. Neben der topographisch herausragenden Position fehlt der Landzunge in North Devon vor allem auch die touristische Logistik, bei der man von einem Parkplatz direkt zu gut ausgebauten und gesicherten "lookouts" spazieren kann.
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Eine Feldsteinmauer markiert den entferntesten Punkt der Runde | bevor es auf einem etwas breiteren Weg der Croyde Bay entgegen geht |
Baggy Point muss man sich vielmehr mit einer kilometerlangen Wanderung hart und ehrlich erarbeiten. Darüber ob dies aber wirklich einen Nachteil darstellt, lässt sich sicher streiten. Auch Aussichtspunkte, von denen man direkt nach unten auf die Felsen blicken kann, gibt es nicht allzu viele. Der Coast Path hält sich meist in gebührender Distanz zur Abbruchkante. Und dort, wo er sich an der westlichsten Spitze tatsächlich einmal etwas weiter vorwagt, zieht die Marathonroute eine fünfzig bis hundert Meter landeinwärts gelegene Alternative vor.
Eine aus Feldsteinen aufgeschichtete Trockenmauer, wie man sie nicht nur in Irland sondern auch in Großbritannien - korrekt müsste es eigentlich "auf" Großbritannien heißen, denn eigentlich bezieht sich dieser Begriff nur auf die größte Insel im britischen Archipel, während der Staat "United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland" nicht nur den nordöstlichen Teil von Irland sondern auch noch viele andere Eilande umfasst - kennt, gibt dafür die Orientierung vor.
Nachdem sie bereits an zwei Seiten der nicht ganz rechtwinkligen Feldbegrenzung auf einem grasigen Pfad entlang gelaufen sind, stoßen die Marathonis an ihrer südwestlichen Ecke auf eine nun wieder etwas besser ausgebautes Schotterpiste, die sich langsam und mit mäßiger Neigung einem am Horizont erkennbaren Dorf entgegen senkt, das sich um eine kleine, sandige Bucht gruppiert.
Über mehr als einen halben Kilometer geht es sanft bergab. Doch gerade als die ersten, noch ziemlich verstreut in den Hang platzierten Häuser schon zum Greifen nahe scheine, legt das Gefälle noch einmal deutlich zu. Denn kurzeitig stürzt die Strecke einen steilen Pfad zwischen den Küstenhecken hinab, der auf einer Länge von nur etwa einhundert Metern zwanzig bis dreißig Höhenmeter verliert, um dann unten dann wieder auf den gut ausgebauten Küstenwanderweg einzubiegen.
Als sie die Bebauung erreichen, wechseln die Marathonis wieder aus Asphalt hinüber. Und nicht nur die Helfer, die dort den zweiten Verpflegungspunkt betreuen, stehen in diesem Bereich an der Strecke sondern auch einige weitere Zuschauer. Sie sind allerdings die absolute Ausnahme während des Rennens. Nur an wenigen anderen Stellen werden die Läufer überhaupt noch auf Publikum treffen - und darunter ist dabei keineswegs eine größere Menschenmenge sondern bereits die Ansammlung einer Handvoll Menschen zu verstehen.
Denn nur selten dringt die weitgehend aus Naturwegen bestehende Marathonstrecke überhaupt in besiedeltes Gebiet vor. Und selbst Freunde und Angehörige können ohne große Umwege oder eigene körperliche Anstrengung nicht allzu viele Punkte unterwegs erreichen, um ihre Läufer anzufeuern. So konzentriert sich der Anhang dann auch weitgehend im Start- und Zielbereich von Woolacombe, den die Marathonläufer bei Halbzeit ebenfalls noch einmal passieren werden.
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Kurz bevor sie die ersten Häuser erreichen, müssen sich die Läufer noch einen steilen Pfad hinunter stürzen, dann geht es auf gut ausgebauten Wegen der zweiten Verpflegungsstelle entgegen |
Unterhalb der Häuser, die zwar eigentlich zum Örtchen Croyde gehören, aber weit von dessen rund eine Meile landeinwärts gelegenen Dorfkern entfernt sind, ragen relativ flache, dafür aber in regelrechten Reihen angeordnete Felsen in Meer hinaus. Ähnliche Formationen lassen sich an etlichen Stellen entlang der North Devon Coast entdecken - so auch unterhalb der Startwiese in Woolacombe. Und fast überall ist ihre Ost-West-Ausrichtung gleich.
Im Laufe der Erdgeschichte wurden diese schon relativ alten, einst übereinander angeordneten Sedimentgesteine durch die gigantischen Kräfte der Plattentektonik um neunzig Grad gedreht, so dass die einzelnen Schichten nun nebeneinander liegen. Wenn die Bruchlinien zwischen ihnen genau mit dem Küstenverlauf übereinstimmen, ergeben sich dann selbstverständlich oft auch besonders steile und schroffe Klippen.
Die Gesteine sind in der Region so markant, dass im neunzehnten Jahrhundert auf Vorschlag zweier - natürlich britischer - Geologen ein ganzes Erdzeitalter den Namen der Grafschaft erhielt. Während diese sechzig Millionen Jahre andauernde, noch von den Fischen dominierte Periode im Deutsche tatsächlich schlicht und einfach "Devon" -im Gegensatz zum Original allerdings mit einem deutlich längerem "o" gesprochen - genannt wird, heißt sie im Englischen "Devonian".
Die Laufstrecke folgt für einige hundert Meter der etwas breiter werdenden Straße und weicht für einige Zeit sogar auf den neben ihr verlaufenden Fuß- und Radweg aus. An einem großen Campingplatz biegt der Kurs dann jedoch scharf nach rechts und erreicht kurz darauf den Strand. Ihren nächsten Kilometer werden die Marathonis jetzt nämlich über den Sand von "Croyde Beach" absolvieren. Kaum eine denkbare Küstenform scheint die Route des North Devon Marathon unterwegs auslassen zu wollen.
Die ersten Schritte auf dem ungewohnten Untergrund fallen nicht wirklich leicht. Denn gerade im Eingangsbereich ist der sandige Boden durch den dort herrschenden ständigen Betrieb ziemlich aufgewühlt und darum auch ein wenig tiefer. Hat man allerdings diese Meter überwunden und mit der Querung des Strandes begonnen, ist der Sand dann relativ fest und ohne größere Probleme zu belaufen.
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Fast einen Kilometer führt die Strecke über den Strand von Croyde |
Nur der schon aus größerer Entfernung sichtbare breite Wasserlauf, der in der Mitte der weiten Fläche dem Meer entgegen strebt, gibt irgendwie ein bisschen Anlass zur Sorge. Am Ende ist der Bach dann zwar nicht viel tiefer als eine ganz normale Pfütze. Doch um nicht nur die Laufschuhe sondern auch die darin steckenden Füße spürbar anzufeuchten, reicht die über sie strömende Flüssigkeitsmenge vollkommen aus.
Als man auf der gegenüber liegenden Seite des Strandes angekommen ist, stellen sich einige der zuvor schon aus der Distanz betrachteten Felsreihen in den Weg. Um auch in dieser Ecke einen Zugang zum Strand zu ermöglichen, hat man über sie hinweg mehr schlecht als recht eine Art Damm betoniert. Allerdings ist dieser schmal und zudem an einigen Stellen bereits recht bröckelig, so dass eine ganze Reihe von Marathonis dann doch die auch nicht wirklich viel schlechter zu belaufenden Steine vorzieht.
Noch einmal geht es einige Meter durch den Sand. Dann hilft eine Treppe den Läufern auf die über den Strand aufragende Böschung hinauf, wo sich der South West Coast Path nun wieder vorbei an kleinen Wiesen und Weideflächen immer an der Abbruchkante entlang zieht. Doch auch weiterhin sorgt die Marathonroute ständig für Abwechslung und verändert spätestens nach einem Kilometer - in diesem Fall ist es sogar deutlich weniger - ihr Gesicht.
Gerade ist man auf einer etwas weiter aus der Küstenlinie heraus ragenden Felsnase noch aufs offene Meer zugelaufen, als sich die Strecke nach der Passage eines Fußgänger-Weidetors mit Klappmechanismus innerhalb weniger Schritte halb um die eigene Achse dreht und direkt den rückwärtigen Hang hinauf strebt. Und als ob der schon ziemlich ruppige Stich nicht genug wäre, wartet zum Ende sogar eine noch etwas steilere Treppe an einer Mauer entlang.
Sie endet an der Landstraße, die parallel zur Küste nach Croyde und zum dortigen Strand führt. Und genau diese Richtung wählt nun auch die Laufstrecke. Das erscheint in diesem Moment ziemlich paradox, weil man doch schließlich nur ein kleines Stück weiter unten am Hügel gerade erst von dort gekommen ist. Nach nicht einmal hundert Meter geht es jedoch auf der anderen Straßenseite erneut in den Hang hinein, wo der Pfad augenblicklich eine weiteren Hundertachtzig-Grad-Schwenk vollführt und oberhalb des Sträßchens wieder vom kleinen Badeort weg verläuft.
Zwar hält sich auch an dieser Stelle der Verkehr in Grenzen. Aber das Kreuzen der Straße wird natürlich dennoch von Ordnern überwacht, die an den beiden Endpunkten der zusätzlich auch noch in einer leichten Kurve verlaufenden und deshalb nicht in ihrer vollen Länge einzusehenden Passage die ankommenden Autos stoppen und dann versuchen ihre - in der Regel durchaus verständnisvollen und geduldigen - Fahrzeuglenker vorsichtig durch die Sportler hindurch zu bugsieren.
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An einem Wasserlauf gibt es ein bisschen nasse Füße ... | ... doch ansonsten ist der feste Sand gut zu belaufen |
Manchmal ist dies aber gar nicht so einfach, weil inzwischen von hinten längst die schnelleren Teilnehmer des Halbmarathons - zu diesem Zeitpunkt ist immerhin bereits die Hälfte ihrer Runde absolviert - zu den Marathonis aufgelaufen sind und sich die Felder ziemlich gut vermischt haben. Auch auf dem manchmal recht schmalen Pfad, der sich über einen Kilometer lang leicht wellig und dabei sanft ansteigend immer einige Meter oberhalb der Straße hält, kommt es deswegen noch zu einigen Überholvorgängen.
Sowohl die "Croyde Road" als auch der sie begleitende Küstenwanderweg führen ein ganzes Stück nach Osten, wo sich - nun wieder in Nord-Süd-Ausrichtung - der weite und rund ein halbes Dutzend Kilometer bis zur Mündung des Flusses Taw reichende Strand von "Saunton Sands" ausdehnt. Die Größe des winzigen Dörfchens Saunton, auf das man dabei ebenfalls zuläuft, will zu dessen Dimensionen allerdings nicht wirklich passen.
Im Gegensatz zur etwas kleineren, aber wesentlich besser erschlossenen Woolacombe Beach beginnt dahinter aber nicht gleich das den Großteil von North Devon prägende Hügelland. Vielmehr erstreckt sich die etliche Quadratkilometer umfassende Dünenlandschaft "Braunton Burrows" weit ins Landesinnere bis fast zum Städtchen Braunton, von dem es seinen Namen hat. Sie gilt zumindest hinsichtlich der Fläche als die größte Düne in ganz England.
Als der inzwischen rund fünfzig Meter über dem Meer verlaufende Pfad in der Nähe von Saunton und des nach ihm benannten Strandes angekommen ist, senkt er sich wieder ein wenig ab und stößt dabei erneut an die Straße. Der Coast Path setzt dort über sie hinweg, um seinen Weg nach Süden fortzusetzen. Die Marathonstrecke, die bisher fast durchgehend über die Fernwanderroute geführt wurde oder ihr wenigstens grob gefolgt war, verabschiedet sich nun von dieser, um zurück zum - in genau entgegen gesetzter Richtung gelegenen - Ziel in Woolacombe zu führen.
Ziemlich heftig geht es zwischen zum Teil über den Marathonis zusammen schlagenden Hecken den Hang hinauf. Nur echt Bergspezialisten dürften diesen Stich noch in einem einigermaßen vernünftigen Laufstil nach oben kommen. Die meisten Sportler im mittleren und hinteren Bereich des Feldes wechseln dagegen gleich im Einstieg der zumindest hinsichtlich ihres "grades" - wie man im Englischen kurz und knapp den Steigungsgrad bezeichnet - doch ziemlich alpin wirkenden Rampe in den Gehschritt.
Mehr als zwei- bis dreihundert Meter dauert es nicht, dann ist man rund fünfzig Meter weiter oben angekommen. Erstmals hat die Strecke dabei auch die Hundert-Meter-Höhenlinie durchbrochen. Und am Ende der kurzen, aber heftigen Kraxelei dürfen die Marathonis zum krönenden Abschluss gleich noch einmal mit der ihnen inzwischen schon recht gut bekannten Doppelttrittmethode über ein weiteres Viehgatter hinweg klettern.
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Zur Überwindung einiger Felsen am Strand hat man über sie hinweg mehr schlecht als recht eine Art Damm betoniert |
Dafür öffnet sich allerdings auch das dichte Buschwerk, das zuvor die Sicht versperrte, zu einer offenen Wiese, von der man viele Kilometer weit praktisch über die gesamten Saunton Sands und die dahinter liegenden Dünen blicken kann. Für dieses Panorama hat sich der Aufwand durchaus gelohnt. Man kann es sogar ein wenig länger genießen. Denn die Strecke schwenkt auf einen weitgehend parallel zum Hang verlaufenden Fahrweg ein.
Als dieser jedoch Anstalten macht, wieder von der Anhöhe hinunter zu einigen in einer Talsenke gelegenen Häusern zu führen, zieht der Marathonkurs noch ein wenig weiter bergauf. Etwas später stößt man auf ein großes Getreidefeld, das sich über die Kuppe des oben etwas flacher werdenden Hügels erstreckt. An ihm vorbei arbeiten sich die Läufer endgültig zum höchsten Punkt der Halbmarathonrunde hinauf.
Wobei die Formulierung allerdings eigentlich nicht ganz korrekt ist. Denn es geht zwar wirklich am Rande des Ackers entlang, aber eben dennoch auch durch ihn hindurch. Ein an manchen Stellen kaum zu identifizierender, schmaler Pfad führt mitten in die Ähren hinein. Es ist genau jene Passage, an der die Strecke gegenüber den Vorjahren verändert wurde und nun auf einer improvisierten Alternativroute verläuft.
Vor dem Start hatte es beim "race briefing" auch die Aufforderung gegeben, doch bitteschön in diesem Abschnitt tunlichst hintereinander zu laufen, um in den "crops" nicht allzu viele Schäden zu hinterlassen. Es funktioniert problemlos. Und obwohl man ganz zum Ende beinahe einen Halbkreis um die in ihren äußeren Formen recht ungleichmäßige Bepflanzung schlägt, kommt niemand auf den Gedanken auch nur einen Meter abzukürzen. Der Farmer, der bereit war sein Feld für diesen Tag freizugeben, wird es den Sportlern im Nachhinein sicher gedankt haben.
Die selbst für einen Landschaftsmarathon doch eher ungewöhnliche Passage endet an der Zufahrt zum Acker, auf der die Läufer nach wenigen Metern einen noch breiteren Fahrweg erreichen. Doch nutzten sie diesen gerade einmal dafür, um eine auf dem Kamm des Buckels verlaufende Heckenreihe zu umgehen, durch die das Getreidefeld von der benachbarten Wiese getrennt wird. In einem ziemlich spitzen Winkel knickt man anschließend nämlich gleich wieder in die weite Grasfläche hinein, die sich nun zur anderen Seite hin absenkt.
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Nach der Passage eines Fußgänger-Weidetors mit Klappmechanismus dreht sich die Strecke innerhalb weniger Schritte halb um die eigene Achse und strebt direkt den rückwärtigen Hang hinauf |
Ohne dass man einen echten Weg erkennen könnte, verläuft die schwarz auf gelb markierte Route diagonal über sie hinweg. Das durchaus spürbare, aber doch eher sanfte Gefälle sorgt dafür, dass sie sich noch etwas angenehmer belaufen lässt. Und erneut kann man dabei den Blick weit in die Ferne wandern lassen. Nun geht dieser jedoch in Richtung der Croyde Bay und des dahinter aufragenden "headlands" von Baggy Point.
Längst hat man sich an die im Weg stehenden Hindernisse gewöhnt. Aber ist es diesmal kein hölzerner Weidezaun sondern eine ziemlich robuste Feldsteinmauer, die eine Weidefläche von einer anderen trennt. Auch sie ist zum Überqueren mit mehreren Tritten entsprechend präpariert. Allerdings erfordert diese kleine Kletterpartie noch mehr als die übrigen ein gewisses Mindestmaß an Geschicklichkeit und Beweglichkeit, denn insbesondere der Abstieg ist ein wenig höher als sonst üblich ausgefallen.
Zumindest das Gatter, über - die Formulierung ist wörtlich zu verstehen - das man die zweite, ebenfalls in direkter Linie gequerte Wiese dann wieder verlässt, hält sich an die "normalen" Größenordnungen und bereits eingeübten Trittmuster. Dahinter nimmt ein mit Bäumen und Büschen bestandener Hohlweg die Marathonis auf, der sie weiterhin mit viel Schwung bergab dem eigentlichen Kern von Croyde entgegen laufen.
Innerhalb von etwa eineinhalb Kilometern hat man rund einhundert Höhenmeter verloren, als die ersten Häuser des Örtchens erreicht werden. Und nach zwei Rechtsschwenks in den leicht geschwungenen ziemlich engen Gassen ist man nicht einmal die Distanz einer Stadionrunde später auf der ebenfalls noch recht schmalen, aber immerhin mit einer Mittellinie versehenen Hauptstraße angekommen.
Croyde ist ein englisches Dorf, wie man es sich vorstellt - oder wie man es aus Verfilmungen von ziemlich häufig im landschaftlich so bemerkenswerten Südwesten der britischen Insel spielenden Schmachtromanen zu kennen glaubt. Im alten Zentrum finden sich noch eine ganze Reihe reetgedeckter Bauten. Auch mehrere komplett aus naturbelassenen Feldsteinen gemauerte Gebäude sind zu entdecken. Und direkt neben der Straße plätschert sogar ein Bach den nun wieder leicht bergan laufenden Marathonis entgegen.
Eine echte Ausnahme stellt Croyde damit allerdings nicht dar. Leidenschaftliche Fotografen können in den malerischen Städtchen und Dörfchen North Devons unzählige Motive entdecken, die es wert, sind auf Zelluloid oder Silikon festgehalten zu werden. Am vielleicht interessanten unter ihnen ist ein knapp dreißig Kilometer östlich von Woolacombe gelegener Doppelort namens "Lynton and Lynmouth".
Lynmouth befindet sich an einer Stelle, an der gleich zwei enge Täler in den Bristol Channel - der Meeresarm zwischen der südwestenglischen Halbinsel und Wales - einmünden. Die in ihnen fließenden und sich kurz vor dem Ozean vereinenden "West Lyn River" und "East Lyn River" erklären den Namen des kleinen Hafens, der sich in den schmalen Uferstreifen zwischen den steilen Feldwänden und dem Wasser regelrecht hinein zwängen muss.
Einhundertfünfzig Meter höher blickt das etwas größere Schwesterstädtchen Lynton von oben über die imposante Steilküste. Beide Ortsteile sind durch eine steile Sträßchen und einen noch steileren Treppenweg miteinander verbunden. Doch verkehrt zwischen beiden mit der "Lynton and Lynmouth Cliff Railway" auch eine Standseilbahn, die von allen Verbindungen mit deutlich über fünfzig Prozent eindeutig die größte Neigung hat.
Eine Besonderheit ist der inzwischen außerordentlich selten gewordene Antriebsmechanismus. Denn in den jeweils hinunter fahrenden Wagen wird in der Bergstation Wasser gepumpt, um ihn schwerer zu machen. Während hangabwärts die Schwerkraft hilft, kann so der am anderen Seilende befestigte Wagen gleichzeitig wegen des geringeren Gewichtes problemlos hinauf gezogen werden. Oben nimmt dieser dann wieder Ballast auf, während unten das Wasser abgelassen wird, um das gleiche Spiel mit umgekehrter Rollenverteilung erneut zu beginnen.
Das eher breite und sich früh zum Meer hin öffnenden Tal, in dem sich Croyde verteilt, ist zwar keineswegs hässlich, aber im Vergleich dazu eben doch weit weniger imposant. Kurz bevor die Straße das Dorf verlässt, zweigt die Strecke von ihr ab. Sie führt nach links in einen weiteren Hohlweg, der jenem, den man benutzt hatte, um zuvor ins Örtchen hinunter zu kommen, in vielem doch recht ähnlich ist.
Vorbei an vereinzelten Höfen geht es durch ein kleines Seitental stetig leicht bergan. Doch mit etwa vierzig Metern, die innerhalb von fast zwei Kilometern zu überwindenden sind, hält sich der Anstieg wirklich in Grenzen. Der Weg bringt die Marathonis zu einer Häusergruppe, die zwar aus kaum mehr als einigen wenigen Bauernhöfen besteht, aber mit "Putsborough" trotzdem einen eigenen Namen besitzt.
Dort beginnt erneut eine Wiesenquerung. Der Blick auf die Karte zeigt zwar, dass um sie herum auch einen asphaltierten Feldweg gegeben hätte. Doch war Simon Oliver wohl bei der Konzeption "seiner" Strecke der Meinung, dass es im Gelände deutlich mehr Spaß macht. Und ganz Unrecht hatte er damit natürlich nicht. Nur auf die lustigen Klettereinlagen muss man diesmal verzichten. Denn sowohl zum Betreten als auch zum Verlassen der Weide stehen den Läufern die Tore offen.
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Hoch über den "Saunton Sands" geht es über Wiesen und durch ein Kornfeld dem höchsten Punkt der ersten Schleife entgegen |
Den Platz, an den sie wieder auf das zuvor verschmähte schmale Sträßchen trifft, kennen die Marathonis bereits. Auf dem Hinweg war man genau gegenüber auf dem South West Cosat Path hinaus auf die Landzunge von Baggy Point abgebogen. Die letzten dreieinhalb Kilometer des Halbmarathons entsprechen nämlich dem nun in Gegenrichtung zu absolvierenden Anfang der Strecke, wodurch sich eine Kursführung ergibt, deren Form in der englischsprachigen Laufszene aus nachvollziehbaren Gründen gerne mit dem Begriff "lollipop" belegt wird.
Langsam hat die Sonne sich durch die dichten Wolken gekämpft. Und mit blauem Himmel sind der helle Strand und die ihn umgebenden grünen Hügel, an denen vorbei man nun zurück zum Ausgangspunkt läuft, optisch noch viel reizvoller. War der Sand auf dem Hinweg noch nahezu völlig menschenleer, sind inzwischen auf ihr die ersten Badegäste zu entdecken. Doch der ganz große Ansturm hat noch immer nicht eingesetzt. Und selbst später wird es auf der riesigen Fläche kein wirkliches Gedränge geben.
Nicht immer ging es dort unten aber so friedlich zu. Vor sieben Jahrzehnten rollten vielmehr regelmäßig Panzer über den Strand oder klatschten die Bugtore von Landungsbooten ins Wasser. Denn weil die Küsten von North Devon denen der Normandie recht ähnlich sind, wurden sowohl Woolacombe Beach als auch Saunton Beach während des zweiten Weltkrieges intensiv als Übungsgelände genutzt. Bereits ein Jahr vor der Invasion bereiteten sich an ihnen amerikanische Einheiten auf ihren Einsatz am sogenannten "D-Day" vor.
Die Schotterpiste inklusive des kleinen Umweges über die Wiese, das kurze Asphaltstück und dann der Pfad durch die Dünen, all das kennt man schon, selbst wenn es in Gegenrichtung doch oft ganz anders aussieht. Und langweilig wird die Strecke schon alleine durch den ständigen Wechsel von Neigung und Untergrund ohnehin nie. Aber erst am Parkplatz in Woolacombe, der nun nicht mehr überquert sondern auf einem Fußweg an der Seeseite umgangen wird, verlassen die Läufer tatsächlich wieder ihre eigenen Spuren.
Zu diesem Zeitpunkt verlaufen beide Strecken noch immer gemeinsam. Man hat sogar schon die Startwiese erreicht, als ein simples Täfelchen die Halbmarathonläufer für ihre letzten Meter nach rechts zum gelben Zielbogen lenkt, wo eine in Blau gehaltenen Zeitmessmatte ihre Leistungen registriert, während die Marathonis dagegen direkt die links daneben aufgebaute Verpflegungsstelle ansteuern dürfen, um anschließend eine weitere, allerdings völlig anders geschnittene Schleife zu absolvieren.
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Eine Steinmauer sorgt für die nächste rhythmusbrechende Klettereinlage ... | dann läuft man quer über eine Wiese sanft bergab |
Gleich zweimal können die Helfer im Ziel ihre Medaillen den Haltern neuer Streckenrekorde um den Hals hängen. Denn bei den Männern verbessert Ronnie Richmond mit 1:24:23 die bisherige Bestmarke des diesmal in 1:29:56 auf Rang drei einkommenden Tom Kenderdine um über eine Minute. Zwar schafft es damit erstmals überhaupt jemand im Schnitt jeden der einundzwanzig Kilometer auf diesem Kurs in vier Minuten zurück zu legen. Doch den in Meilen denken Briten ist dies natürlich nicht im Entferntesten klar.
Auch Rosemary Terribile - man sollte dabei genau hinsehen, um ihren Nachnamen nicht als "schrecklich" zu interpretieren, denn da gibt es noch ein zusätzliches "i" - zwackt weitere siebzig Sekunden von der alten Rekordzeit ab. Allerdings müssen die Organisatoren in diesem Fall in ihren Rekordlisten nur die Zeit nicht aber den Inhaber austauschen. Denn die in Woolacombe ansässige und bereits im der W45 startende Triathletin löst mit der verbesserten Marke nur sich selbst ab.
Es ist durchaus bezeichnend für die alles andere als einfache Strecke, deren Gesamtsteigung mit siebzehnhundert britischen Fuß - also deutlich über fünfhundert Meter - angegeben wird, dass Rob Joules auf Platz drei bei den Männern erst nach 1:33:00 ins Ziel kommt. Und hinter der 1:45:02 laufenden Frauenzweiten Libby Wechter ist die Gesamtdritte und W40-Siegerin - die niedrigste Altersklasse, denn Neununddreißigjährige landen noch in der allgemeinen Kategorie "Senior" - Kathryn Kyle mit ihren 1:54:01 schon fast auf die Sekunde genau neun Minuten zurück.
Danach wird die Frauenquote zwar etwas höher. Doch nicht einmal hundert der fast vierhundert Einträge in der Ergebnisliste sind mit Zeiten unter zwei Stunden verzeichnet, was sich eindeutig nicht nur mit der auch auf den britischen Inseln spätestens seit der Jahrtausendwende im Allgemeinen stark zurück gehenden Leistungsfähigkeit begründen lässt. Und gerade einmal neun dieser Zeiten sind weiblichen Teilnehmern zuzuordnen.
Für die Marathonis führt der Weg nun am Zielbereich vorbei. Die zweite Schleife folgt der Küste nämlich erst einmal in der anderen Richtung. Der Anfang ist dabei ziemlich harmlos. Etliche hundert Meter orientiert sich die Route - und genauso der Coast Path - an der Uferpromenade. Diese ist zwar ganz unterschiedlich ausgebaut, präsentiert sich manchmal als breiter Fußweg, aber auch gelegentlich nur als Spur in der Rasenfläche. Doch bleiben größere Höhenunterschiede eben erst einmal aus.
Das ändert sich jedoch, als man am anderen Ende von Woolacombe näher an Morte Point heran kommt. Oberhalb einer kleinen sandigen Bucht, die durch Felsen vom Hauptstrand des Ortes abgetrennt ist, sitzt ein Hotel, auf das der Pfad ziemlich genau zu strebt. Dahinter ziehen sich einige weitere Häuser die Hänge der dort beginnenden Halbinsel hinauf. Und direkt neben der Unterkunft endet die Promenade an der zu ihnen führenden Straße.
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Am Ende des Gefälles wartet der alte Ortskern von Croyde auf die Marathonis, die nach einem weiteren Aufstieg eine bereits vom Hinweg bekannte Verpflegungsstelle erreichen |
Statt weiter dem Ufer zu folgen, schlägt nun auch die Laufstrecke dieser Richtung ein. Und auf dieser mit zweistelligen Steigungsprozenten ausgestatteten Rampe hat sie schnell vierzig bis fünfzig Meter gewonnen. Es ginge durchaus auch das Doppelte. Allerdings bleibt man auf dem immer stärker vom Meer weg drehenden Sträßchen nicht, bis es das auf der Kuppe des Hügels bereits erkennbaren Dörfchen Mortehoe erreicht, sondern verlässt es nach einigen hundert Metern wieder.
Die kleine Ortschaft ist weit älter als das benachbarte Woolacombe, in dessen Tal sich bis zum Beginn des Badetourismus vor eineinhalb Jahrhunderten eigentlich nur einige vereinzelte Farmen verloren. Mortehoe wird dagegen schon in Dokumenten aus dem elften Jahrhundert erwähnt, in denen der erst wenige Jahre zuvor in England gelandete neue normannische Herrscher Wilhelm der Eroberers die Aufteilung von früher angelsächsischen Ländereien unter seinen Rittern beurkunden ließ.
Das erscheint durchaus logisch. Schließlich lassen sich die Namen von Dorf und Halbinsel auf alt-angelsächsische Begriffe zurückführen. Denn selbst wenn auch von Einheimischen gerne einmal die Verbindung von "Morte Point" zum in Latein sowie allen anderen romanischen Sprachen fast genauso geschriebenen Wort für "Tod" hergestellt und diese mit der Gefährlichkeit des Kaps begründet wird, bezieht "morte" sich wohl eigentlich auf sein zerfurchtes Aussehen.
Hinter dem für das Dörfchen angefügten "hoe" lässt sich dazu mit viel Phantasie außerdem die Bedeutung "Höhe" erkennen. Die Silbe ist bei topographischen Bezeichnungen in England mehrfach zu entdecken. Auch jenseits der Nordsee, von wo die Angeln und Sachsen einst nach England gekommen waren, lassen sich einige Ortsnamen - als Beispiel sei die Stadt "Itzehoe" genannt - finden, die sie enthalten. Und im benachbarten Dänemark sind die Endungen "høj" oder "høje" sogar noch weitaus häufiger verbreitet.
Hinter einem mit einem einzigen Schritt zu erklimmenden niedrigen Mäuerchen neben der Straße wartet eine kurze Treppe auf die Marathonis. Sie bringt die Läufer wieder hinunter ins Gelände, wo sich die Strecke erneut nur als schmale Trittspur im Gras erahnen lässt. Noch viel schneller, als man sie gewonnen hat, wird man dort die eben erst mühsam erarbeiteten Höhenmeter los. Denn fast in direkter Linie geht es den steilen Hang hinab.
Unten angekommen orientiert sich die Strecke wieder an der Küstenlinie, die sich in diesem Bereich meist als klar definierte Abbruchkante zwanzig Meter über dem Wasserspiegel präsentiert, unterhalb derer sich immer wieder flache Felsen deutlich weiter ins Meer hinaus wagen. In leichtem Auf und Ab führt der Coast Path rund einen Kilometer lang durch karges Weideland der Spitze von Morte Point entgegen.
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Auf dem Rückweg wirkt der weite Sandstrand von Woolacombe Beach durch die inzwischen herausgekommen Sonne noch einladender |
Die Höhe des Hügels auf ihrer rechten Seite nimmt langsam ab, je weiter die Marathonis auf die Landzunge hinaus laufen. Doch dafür tauchen immer häufiger schroffe Gesteinsformationen aus ihm auf. Auch direkt neben der Strecke wird es zunehmend felsiger. Würden nicht links unten die Wellen an die Klippen schlagen, könnte man sich angesichts eines solchen Geländes durchaus auch im Hochgebirge wähnen.
Wer nach der landschaftlich wahrlich herausragenden ersten Schleife gedacht hatte, es könne gar nicht mehr besser werden und der zweite Teil des in Form einer acht verlaufenden Kurses müsse nun optisch abfallen, sieht sich längst getäuscht. Denn die Route ist in diesem Abschnitt eigentlich noch spektakulärer als zuvor. Und selbst wenn man es nun endgültig nicht mehr erwartet, hat sie sogar weiterhin Steigerungspotential.
Die Zacken werden nämlich zunehmend wilder, je näher man den äußersten Punkt der Halbinsel kommt, bis sie sich den Hügelkamm entlang ziehen wie Schuppen über den Rücken eines Drachen. An der Spitze der Halbinsel führt der Pfad dann sogar einmal ein Stück über den blanken Fels. Man befindet sich in diesem Moment nur wenige Meter über dem Meer und praktisch am tiefsten Punkt der zweiten Schleife. Allerdings würde eine solche Passage trotzdem jedem Bergmarathon in den Alpen absolut zur Ehre gereichen.
Nach der Umrundung des Kaps hat man zwar wieder einen einigermaßen gut ausgebauten Wanderweg unter den Füßen und muss deswegen nicht mehr ständig auf den Untergrund achten sondern kann sich ein wenig weiter umsehen. Prompt entdeckt einer der Marathonis dann auf einer kleinen Felseninsel unweit der Küste auch einen "seal", also eine Robbe, die er mit ausgestrecktem Arm allen in seinem Bereich laufenden Sportkameraden zeigt.
Doch steigt der Weg nun auch langsam aber sicher spürbar an, um sich innerhalb des nächsten Kilometers immer am Hang entlang auf rund fünfzig Meter Höhe hinauf zu winden. Das letzte, besonders steile Stück führt dabei über mehrere Serpentinen, die - selbst wenn die Gefahr besteht, dass solche Bemerkungen in ihre dichten Abfolge langweilig werden - doch ziemlich stark an einen Bergpfad durch eine Almwiese erinnern.
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Noch einmal geht der Blick zurück zum Baggy Point | dann erreicht man wieder den Dünenweg bei Woolacombe |
Oben taucht vor den Läufer wieder einmal eine der vielen Verpflegungsstelle auf. Diesmal hat man jedoch etwas länger auf sie warten müssen, obwohl sie bei zunehmender Wärme von vielen bereits herbei gesehnt werden dürfte. Seit dem Zieldurchlauf, wo es zum letzten Mal etwas zu trinken gab, sind nämlich nun schon rund vier - zwar wirklich schöne und abwechslungsreiche, aber auch recht anstrengende - Kilometer vergangen.
Doch waren diese größtenteils auf keine andere Art als zu Fuß zu erreichen und lagen weit abseits jeder mit einem Auto anzufahrenden Stelle, so dass man das gesamte Material über größere Distanz hätte tragen müssen. Selbst dorthin, wo man sich nun endlich stärken kann, kommt man allerdings nur mit einem Allradfahrzeug. Dafür hat man von diesem Punkt ein absolut überwältigendes Panorama.
Und auch die nächsten Kilometer stehen dem in nichts nach. Denn weiterhin verläuft der South West Coast Path in gebührendem Abstand zu Wasser, aber eben immer auch in Sichtweite der Steilküste. Und praktisch nichts stellt sich dem Blick auf die ständig ihr Aussehen verändernden Uferlinie in den Weg. Wer in diesem Teil des Kurses die "outstanding natural beauty" des Marathons von North Devon noch immer nicht entdecken kann, dem ist wohl wirklich nicht mehr zu helfen.
Man kann sich durchaus fragen, warum die Region um den Morte Point nicht ebenfalls Bestandteil des Exmoor-Nationalparks ist, der etwa ein Dutzend Kilometer weiter östlich bei Combe Martin beginnt und neben mehr als fünfzig Kilometern Küste auch fast siebenhundert Quadratkilometer Hinterland umfasst. Knapp ein Drittel seiner Fläche findet sich in Devon, der Rest greift in die Nachbargrafschaft Somerset hinüber.
Nicht nur am Wasser hat der Park jedoch etwas zu bieten. Dahinter erstreckt sich eine wellige Landschaft, die schon wenige Kilometer vom Meer entfernt eine Höhe von bis zu fünfhundert Metern erreicht und hierzulande wohl unter "Mittelgebirge" firmieren würde. Größere Flächen davon sind mit Hochmooren und Heide bedeckt, über die einige Herden der weitgehend wild lebenden Exmoor-Ponys ziehen.
Dass andere Zonen des geschützten Areals dagegen keineswegs naturbelassen sind sondern von Farmern bewirtschaftet werden, stellt dazu keineswegs einen echten Widerspruch. Wie bei allen britischen Nationalparks sind größere Teile des Gebietes weiterhin in Privatbesitz. Im Park liegen sogar etliche größere Ortschaften mit insgesamt mehreren tausend Einwohnern. Auch das schon erwähnte Doppeldorf Lynton und Lynmouth ist eine davon.
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Während die Halbmarathonläufer an der Start- und Zielwiese ihr Soll erfüllt haben, laufen die Marathonis entlang der Uferpromenade weiter durch Woolacombe |
Benannt ist Exmoor nach dem "River Exe", der in dieser Gegend entspringt und auch den im Süden der Grafschaft gelegenen Städten Exeter und Exmouth ihren Namen gegeben hat. Denn ziemlich überraschend entwässert rund die Hälfte des Park nicht in Richtung des nahen Bristol Channel sondern quer über die ganze südwestenglische Halbinsel zum Ärmelkanal. Zum Teil liegt die Wasserscheide sogar kaum eine Handvoll Meilen von der North Devon Coast entfernt.
Hinter dem Getränkeposten gewinnt der Weg vorerst nicht mehr weiter an Höhe. Daraus freilich zu schließen, die Strecke würde nun flacher, ist ein vollkommener Trugschluss. In regelmäßigen Wechseln geht es nämlich von nun an mal zwanzig Meter bergab, dann wieder zwanzig Meter hinauf, dreißig Meter nach unter und erneut dreißig Meter aufwärts. Steine im Pfad, etliche Treppenstufen und mehrere Weidetore brechen zusätzlich den Rhythmus.
Über Langeweile kann man sich bei aller Anstrengung, die dieser Pfad fordert, nun wahrlich nicht beschweren. Allerdings ist diesmal der Weg bis zum nächsten Versorgungspunkt auch nicht mehr ganz so weit. Schon zwei Kilometer später hat man nämlich das in seiner exponierten Position schon lange sichtbare "Bull Point Lighthouse" erreicht. Und da es zu diesem Leuchtfeuer eine Zufahrtsstraße gibt, bietet es sich natürlich an, dort eine weitere Getränkestelle aufzubauen.
Von ihr aus kann man noch einmal einen letzten Blick zurück auf den gerade zurückgelegten Viertelkreis und zurück auf Morte Point werfen. Denn nachdem die nächste, hinter dem - gar nicht so hoch ausgefallenen - Leuchtturm auf die Marathonis wartende Kuppe überwunden ist, wird die Sicht durch den Hügel versperrt sein, der in der nicht allzu weit ins Meer hinaus ragenden Felsnase des "Bullenpunktes" ausläuft.
Das Auf und Ab der letzten Kilometer setzt sich natürlich trotzdem weiter fort. Und die Ausschläge des Streckenprofils werden sogar noch deutlich heftiger. Denn während der Weg zuvor zumindest stets deutlich oberhalb des Wasserspiegels am Hang verlief, senkt er sich nun gleich zweimal innerhalb kurzer Zeit fast bis auf Meeresniveau ab, um einmündende Seitentäler zu durch- und die in ihnen fließenden Bäche auf Brücken zu überqueren.
In steilen Serpentinen stürzt man sich vierzig, fünfzig oder gar sechzig Meter den Berg hinab, nur um auf der Gegenseite in ähnlichen engen Kehren und nicht minder heftigen Steigungsprozenten wieder hinauf zu klettern. Und kaum hat man die Ausgangshöhe erreicht, wiederholt sich kaum einen halben Kilometer später das gleiche Spiel noch einmal. Nachdem man inzwischen auch zwei Drittel der Gesamtdistanz in den Beinen hat, erscheinen diese Anstiege subjektiv noch deutlich höher, als sie es bei objektiver Betrachtung wirklich sind.
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Nicht unbedingt sanft ansteigend führt ein Sträßchen aus dem Ort hinaus | doch das anschließende Gefälle wieder hinunter zum Wasser ist noch deutlich steiler |
Claire Meech und Mandi Yeo strahlen trotzdem noch über das ganze Gesicht. Ihnen macht der Marathon sichtlich Spaß. Und dabei kennen die zwei Mittvierzigerinnen die Strecke ganz genau. Schließlich haben sie das Rennen schon in den vergangenen Jahren einige Male absolviert und tragen zudem das Trikot mit dem markanten roten Brustring, das die "North Devon Road Runners" für sich gewählt haben, sind also praktisch in ihrer Heimat unterwegs.
Beide stammen allerdings nicht direkt aus Woolacombe sondern aus Barnstaple, wo auch ihr Laufklub eigentlich ansässig ist, selbst wenn er seine Mitglieder aus der gesamten Region rekrutiert. Beim North Devon Marathon sind diese jedenfalls unübersehbar. Alleine auf der langen Distanz gehen mehr als zwanzig von ihnen auf die Strecke, so dass dort über ein Zehntel aller Teilnehmer aus einem einzigen Verein stammt.
Sie würden eigentlich fast immer zusammen laufen, erzählen Claire und Mandi, nachdem man sich einander vorgestellt hat. Doch viel mehr interessiert sie, wieso es den Festlandseuropäer, von dem sie da gerade wieder geknipst worden sind, ausgerechnet zu "ihrem" Marathon gezogen hat und natürlich auch, was er denn nun von der Strecke hält. Über die begeisterte Antwort, diese gehöre sicher zu den absolut schönsten in der bisherigen "Sammlung", ist deutliche Freude zu bemerken.
Nicht allzu weit, nachdem man auch den zweiten Aufstieg aus den Quertälern hinter sich gebracht hat, erreicht der Coast Path nach vielen Kilometern im Gelände ein kleines Sträßchen, auf dem es zum dritten Mal mit ordentlichem Gefälle dem Meer entgegen geht. Neben dem asphaltierten Untergrund zeigen auch einige Häuser ringsherum an, dass es sich diesmal wohl doch um ein etwas größeres und vor allem besiedeltes Tal handeln muss.
"Lee Bay" heißt sowohl die Bucht, in der dieses endet, als auch die Häusergruppe, die sich um deren aus Natursteinen errichtete Kaimauer gruppiert und sich von dort recht lose ins "Lee Valley" hinein zieht. Ein wenig seltsam wirkt das Gebäude und Straße zum Meer hin abgrenzende kleine Hafenwall schon. Denn hinter ihm entdeckt man nicht etwa gleich Wasser sondern erst einmal die schon bekannten flachen Felsen. Erst ein ganzes Stück weiter draußen schwappen die Wellen.
Doch sollte man sich nicht täuschen lassen. Diese können sehr wohl bis an das Mäuerchen heran reichen. Nur herrscht zu diesem Zeitpunkt gerade Ebbe, bei der das Becken komplett trocken fällt. Denn der Bristol Channel besitzt einen extrem hohen Tidenhub. Zum Teil werden über zehn Meter Differenz zwischen Hoch- und Niedrigwasser gemessen. Abgesehen von der ostkanadischen Bay of Fundy, die mit achtzehn Metern der Weltrekordhalter ist, kann man ansonsten praktisch nur noch an der französischen Kanalküste vergleichbare Werte messen.
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Wer nach der schon wirklich sehenswerten ersten Schleife geglaubt hatte, es könne nicht mehr besser werden, den belehrt die spektakuläre Umrundung von Morte Pointe eines Besseren |
Wieder einmal gibt es in Lee Bay zu trinken. Und nicht nur die Getränkebecher finden angesichts der inzwischen von Himmel regelrecht herunter knallenden Sonne reißenden Absatz, auch die ebenfalls angebotenen Schwämme lässt sich kaum jemand entgehen. Und man greift lieber noch einmal zusätzlich zu, denn Claire Meech hatte beim Hineinlaufen ins Örtchen gewarnt, das Schlimmste wäre noch lange nicht überstanden, erst jetzt stünde der wirkliche "Monster-Hill" bevor.
Ganz unlogisch scheint das nicht. Schließlich muss man die Halbinsel, die man die ganze Zeit umlaufen hat, nun irgendwie überqueren, um zurück nach Woolacombe zu kommen. Er beginnt allerdings erst einmal ziemlich gemäßigt. Denn der Kurs schwenkt in das bewaldete Tal hinein, wo das schmale Seitensträßchen bald in einen am Bach entlang laufenden Fußweg einmündet. Und auch als er nach wenigen hundert Metern seinerseits wieder auf ein anderes Gässchen trifft, gibt es da zwar eine Steigung, doch als "Ungeheuer" kann man diese wahrlich nicht bezeichnen.
Bevor es richtig in den Berg hinein geht, haben die zwei Einheimischen ohnehin noch einen anderen Tipp parat. Gleich könne man nämlich einen Becher Bier erhalten. Eines der Gebäude am Streckenrand sei eine "local brewery" und diese habe ihren ganz privaten Verpflegungsstand aufgebaut, an dem sie allen vorbei kommenden Läufern eine Kostprobe des eigenen Gerstensaftes anbiete. Beide greifen tatsächlich zu.
Und irgendwie scheint es beflügelnd zu wirken. Denn als direkt danach mit einer Spitzkehre nach links die "richtige" Steigung beginnt, ziehen sie langsam aber sicher davon. In einem leichten Bogen lehnt sich ein weiteres Sträßchen an den Hang und klettert ihn dabei gleichzeitig merklich empor. Als man die Häuser hinter sich lässt, legt die Steigung sogar noch einmal ordentlich zu. Fünfzehn Prozent dürften als Schätzung in diesem Abschnitt der Wahrheit sicher näher kommen als bloße zehn.
Nur wenige hundert Meter braucht man, um wieder auf jener Höhe anzukommen, in denen die Anstiege zuvor jeweils zu Ende waren. Doch dieser Rampe gibt sich mit fünfzig oder sechzig Metern nicht zufrieden. Der Kurs biegt, als man bei einer Einmündung an einen anderen Feldweg stößt, vielmehr in diesen ein und zieht auf ihm weiter - nun auch ziemlich direkter Linie - den Hügel hinauf.
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Würden nicht links die Wellen ans Ufer schlagen, könnte man sich gelegentlich durchaus irgendwo in den Alpen wähnen |
Keinen halben Kilometer später hat man schon die Höhe von einhundert Metern klar hinter sich gelassen und noch geht es stetig ohne die geringste Ruhephase weiter bergan. Vielleicht nicht unbedingt in ihrer absoluten Steilheit, die von einigen anderen kürzeren Stichen noch überboten wird, aber in ihrer Länge und Konstanz ist dies wirklich die mit Abstand heftigste Steigung des gesamten Marathonkurses.
Kurz durchatmen kann man, als der Asphaltweg an einer kleinen Häusergruppe endet. Denn zum einen gibt es dort wieder einmal etwas zu trinken und zum anderen wird es endlich etwas flacher. Doch als es wenig später auf eine Weidefläche hinaus geht, kommen noch etliche weitere Höhenmeter dazu, selbst wenn man sie sich aufgrund des weniger heftigen Anstieges nicht mehr ganz so hart erarbeiten muss.
Doch die Aussicht, die man sich damit verdient, ist wirklich grandios. Der Blick geht nun nämlich nicht mehr nur alleine über die Steilküste bis zurück zum Bull Point. Er reicht zudem weit über die Hügel, die sich dahinter ins Land erstrecken. Und auch in Laufrichtung erkennt man zum Meer hin abbrechende helle Klippen unterhalb von sattgrünen Wiesen. Sogar die noch etwas höheren Berge des Exmoor-Nationalparks kann man von dieser Kuppe aus erkennen.
Und noch etwas anderes gibt es zu entdecken. In einer kaum zwei Kilometer entfernen Senke liegt nämlich unübersehbar ein Städtchen, dem sich der Weg nun sogar ein wenig entgegen neigt. Woolacombe kann es aufgrund der Streckenführung natürlich nicht sein. Wendy Dale - eine Teamkollegin von Mandi und Claire von den North Devon Road Runners - erläutert, dass es sich dabei um Ilfracombe handele.
So angenehm es auch sein mag, nach einer mehr als zwei Kilometern langen, praktisch ununterbrochener Steigung, ein wenig bergab laufen zu können, die Freude währt nicht allzu lange. Denn gerade als der Schotterweg beginnt, nach dem Verlassen der Weide ein wenig Fahrt nach unter aufzunehmen, zweigt die Strecke schon wieder nach rechts ab und führt in den nächsten Anstieg hinein.
Wieder einmal schlägt man sich auf einem Pfad durchs Gelände, zwischen Büschen hindurch und über Gras hinweg. Doch nun sind die Läufer nicht mehr der Coast Path unterwegs, dem sie so lange gefolgt waren. Denn durch das Abbiegen hat man ihm endgültig den Rücken gekehrt. Der spektakulärste Teil der Strecke ist damit vorbei, nun hat der quer durchs Land führende Rückweg nach Woolacombe begonnen.
Eine Markierung mit einer "20", die wenig später am Streckenrand steht, sorgt allerdings doch für einen gewissen Schock. Nicht etwa weil man im Zustand der Sauerstoff-Unterversorgung Kilometer und Meilen völlig durcheinander gebracht hätte. Allerdings ist die zwanzigste Meile ziemlich identisch mit dem zweiunddreißigsten Kilometer. Und irgendwie hätte man sich nach all den Eindrücken, die man seit dem ersten Passieren des Zieles aufgesaugt hat, doch ein wenig weiter gewähnt.
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Die Serpentinen hinauf zum nächsten Versorgungspunkt wären auch in einer Almwiese vorstellbar |
Vielleicht sind auch genau diese vielen anderen Dinge, die es unterwegs zu sehen gibt, sowie die ständigen, viel Konzentration erfordernden Wechsel von Laufrichtung und Untergrund dafür verantwortlich, dass die meisten anderen Meilen-Markierungen zuvor irgendwie unbemerkt durchgerutscht waren. Allerdings würden diese im Gegensatz zu Straßenkursen angesichts des wild gezackten Streckenprofils ohnehin nur sehr bedingt bei der Geschwindigkeitsgestaltung helfen.
Über eine Wiese geht es hinauf zum höchsten Punkt des Kurses, der sich ziemlich genau auf zweihundert Metern über dem Meer befindet. Der Titel verspricht allerdings mehr als er in der Realität halten kann. Denn verglichen mit der bereits zurück liegenden Strecke ist das Überlaufen dieser eigentlich eher sanft geschwungenen und fast ausschließlich von Weideland bedeckten Kuppe nicht unbedingt bemerkenswert.
Insgesamt kommen nach den Angaben der Veranstalter auf der zweiten Schleife noch einmal etwa siebenhundert Höhenmeter dazu. Gefühlt sind es sogar deutlich mehr. Doch auch offiziell ergeben sich so über die Marathondistanz rund zwölfhundert Meter, die bei einem Rundkurs natürlich sowohl im Auf- als auch im Abstieg zu bewältigen sind. Angesichts der Tatsache, dass man sich während des Rennens nie mehr als eine Handvoll Kilometer vom Meer entfernt, ist dieser Wert eigentlich noch viel beachtlicher.
Hinter der Kuppe ginge es erst einmal länger bergab, hatte Wendy Dale noch im Anstieg versprochen. Und tatsächlich fällt der breite Fahrweg, den man hinter der Wiese erreicht hat, ohne größere Richtungsänderungen erst langsam, dann etwas stärker einer in der Ferne erkennbaren Senke in der welligen Hochfläche entgegen. Auf diesem angenehmen Gefälle kann man es für den nächsten halben Kilometer wirklich wunderbar rollen lassen.
An einer Feldscheune, neben der sich doch tatsächlich einige Laufinteressierte zum Anfeuern eingefunden haben, trifft die Schotterpiste auf ein richtiges Sträßchen. Den Asphalt erreicht man allerdings erst, nachdem man mit vorsichtigen Schritten das im Boden versenkte Viehgitter überwunden hat, dessen Metallrohre nicht nur für die Hufe von Kühen sondern auch für die Füße von Läufern - insbesondere in der Endphase eines Marathons - ein unangenehmes Hindernis darstellen.
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In stetigem Auf und Ab führt der schmale Weg hoch über dem Meer mit herrlichen Aussichten weiter |
Kaum ist man nach links auf die Nebenstraße eingeschwenkt, nimmt auch das Gefälle schon merklich zu. Denn das schmale Asphaltband führt in einer S-Kurve hinunter in eines der für die stark gegliederte Topographie der North Devon Coast typischen kleinen Seitentäler. Anstatt einfach nur gleichmäßig sanft bergab zu gleiten, gilt es nun gelegentlich auch schon wieder einmal vorsichtig die Bremse zu betätigen, um beim Aufprall auf den Boden nicht zu heftige Schläge einstecken zu müssen oder zu viel Schwung zu bekommen.
Fast noch unangenehmer ist jedoch, dass die Strecke zu beiden Seiten von hohen Hecken bestanden ist, so dass man sie nicht allzu weit einsehen kann. Denn nach langer Zeit treffen die Marathonis in diesem Abschnitt tatsächlich wieder einmal auf einige Autos. Allerdings nehmen die Fahrer entsprechend Rücksicht. Die Einheimischen kennen es eigentlich auch gar nicht anders. Denn wirklich schnell fahren lässt sich solch engen, kurvigen und unübersichtlichen Sträßchen ohnehin nicht.
"Slade" heißt das winzige Dörfchen, in das man hinein läuft. Und am Ortseingang ist eine etwas schräg an einem Busch hängende Pfeil-Markierung durchaus unterschiedlich interpretierbar. Denn sie könnte sowohl nach rechts in einen Weg hinein zeigen als auch weiter auf die ebenfalls in einer leichten Rechtkurve verlaufende Straße deuten. So richtig schlüssig ist sich keiner aus dem kleinen Grüppchen, das sich während des Gefälles zusammen gefunden hat.
Matthew Bowerman trägt zwar das Trikot der North Devon Road Runners, erklärt aber gleich, dass er zum einen wie so viele seiner Vereinskameraden aus Barnstaple stamme und außerdem noch nie bei diesem Marathon gelaufen sein. Und Paul Harvey vom Athletic Club aus dem über zweihundert Kilometer weiter im Osten gelegenen Southampton ist zwar eigentlich Stammgast bei der Veranstaltung, kann sich aber auch nicht so richtig erinnern.
Erst eine Anwohnerin, die aus einiger Entfernung zufällig das Zweifeln der Läufer bemerkt hat, sorgt für Klärung. Es ginge auf der Straße durch das Dorf hindurch, ruft sie herüber, und erst ein Stück weiter unten im Tal dann nach rechts zu den "reservoirs". Wirklich mit dem Rennen zu tun hat sie wohl nicht, aber nach fünf Austragungen kennt sie inzwischen eben auch die Route der an ihrem Haus vorbei kommenden Sportler. Bei einem großen Stadtmarathon dürfte man eher selten solch - im Rückblick irgendwie doch ziemlich amüsante - Erlebnisse haben.
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Steile Anstiege und Gefälle kosten zwar viel Energie, aber das Panorama ist die Mühen eindeutig wert |
Die Markierung weiter unten am tatsächlichen Abzweig ist dann wieder ziemlich eindeutig. Während die Straße weiter abwärts in Richtung Ilfracombe strebt, deuten die Pfeile auf ein Wäldchen, in dem der Querweg recht schnell verschwindet. Als die Marathonis diese Stelle erreichen, sind ihnen innerhalb der weit weniger als zwei Kilometer, die man seit dem höchsten Punkt zurück gelegt hat, rund hundert Höhenmeter abhanden gekommen. Nun beginnt die Strecke allerdings erneut langsam zu steigen.
Nicht allzu lange hat man an beiden Rändern des Weges dichten Baumbewuchs. Dann öffnet sich rechts eine zwar eher schmale, aber lang gestreckte Wasserfläche, an der die Route nun mehrere hundert Meter entlang führt. Es ist das untere der beiden "reservoirs" - zwei kleine Speicherbecken, zu denen man den durch das Tal führenden Bach aufgestaut hat. Ruhig, idyllisch und verträumt liegt der kleine See im Wald und zeigt den Läufern so wieder eine völlig andere Seite der vielfältigen Landschaft North Devons.
Ein kurzer Anstieg bringt sie anschließend hinauf zum etwas höher gelegenen "Upper Slade Reservoir", das nun nicht mehr in voller Länge passiert wird. Denn über eine Treppe, die den gerade gefundenen Laufrhythmus in diesem flachen oder maximal sanft bergan führenden Abschnitt gleich wieder bricht, führt in den Wald hinein, wo man auf einen asphaltierten Weg trifft, der dem Tal etwas oberhalb der beiden Seen folgt.
Solange er im Schatten der Bäume leicht am Hang entlang verläuft, wirkt dieser wie eine ganz normale Forststraße. Doch nachdem sie das Wäldchen langsam hinter sich gelassen hat, führt die Piste als abgesenkter Hohlweg weiter. Ihre weiten Bögen und der zwar spürbare, aber gleichmäßige und eher vorsichtige Anstieg lässt einen Verdacht aufkommen, der durch eine sich irgendwann über die Strecke spannende kleine Brücke noch verstärkt wird.
Ja, das sei eine zum Radweg umgebaute alte Bahntrasse, bestätigt Matthew Bowerman, der sich in seiner Heimatregion natürlich doch gut genug auskennt, um diese Passage der Marathonroute identifizieren zu können. Die "Ilfracombe Branch Line" verband einst das Seebad mit dem zentralen Knoten von North Devon in Barnstaple. Der letzte Zug rollte allerdings schon 1970 über die danach größtenteils zum "cycle path" umgestaltete Linie.
Ausgerechnet in jenen Teil, in dem ein Marathon endgültig hart wird, bleibt der der Kurs nun für volle drei Kilometer auf dieser insgesamt recht zähen Fahrradpiste. Es ist vielleicht wirklich die einzige Länge auf der gesamten ansonsten so faszinierenden Strecke, Da lenkt das Gespräch mit Matthew - der sich nach einer auf den britischen Inseln weit verbreiteten Angewohnheit seinen Vornamen auf die Brust der Vereinstrikots hat drucken lassen, um so bei allen Rennen vom Publikum persönlich angefeuert werden zu können - zumindest ein wenig ab.
Er laufe nicht nur zum ersten Mal in Woolacombe, erzählt er. Es ist überhaupt zum allerersten Mal auf dieser langen Distanz unterwegs. Und obwohl er so natürlich fast direkt vor der eigenen Haustür starten und im eigenen Bett schlafen kann, ist er sich inzwischen nicht mehr ganz so sicher, ob dies wirklich eine so tolle Idee war. Denn eigentlich habe er aufgrund seines umfangreichen Trainings gedacht, er sei auf seinen Premierenmarathon wirklich gut vorbereitet.
Doch nachdem es anfangs wirklich ausgezeichnet gelaufen sei, hat auf zweiter Hälfte nun sichtbar schwer - eine Formulierung, die angesichts seines großen und recht kräftigen Körperbaus durchaus doppelt zu interpretieren wäre - zu kämpfen. Immerhin lässt Matthew das Argument gelten, dass es bei einem solch harten Streckenprofil psychologisch weitaus weniger schlimm sei, auch einmal ein Stück zu wandern, als bei einem topfebenen Straßenkurs.
Wenn man "the wall" sehen würde, hätte man den höchsten Punkt des sich zum Ende des Marathons wie Kaugummi ziehenden Radweges und dieses schleichenden - mehr als die auch in diesem Fall vorhandenen zwei bis drei Prozent findet man auf Bahnlinien eigentlich kaum - aber eben aufgrund seiner Länge doch einiges an Kraft kostenden Anstieges erreicht, gibt Bowerman eine im ersten Moment recht schwer zu deutende Erläuterung zum weiteren Streckenverlauf.
Doch Matthew, der zumindest diesen Teil des Kurses jetzt wieder ziemlich gut kennt, bezieht sich damit keineswegs auf die härteste Phase eines Marathons, für die man ja im Allgemeinen diese Begriff benutzt, sondern meint dies wirklich im wortwörtlichen Sinne. Denn irgendwann spannt sich wirklich ein kleines Mäuerchen quer über die inzwischen wieder zwischen auf gleichem Niveau liegenden Feldern verlaufenden und von zwei Baumreihen gesäumten Trasse.
Es sichert den Radweg als eine Art Geschwindigkeitsbarriere gegen eine quer verlaufende Straße ab und kann mit einem kleinen Schlenker seitlich umgangen werden, bevor sich die Laufstrecke nach der Querung eines mit Verkehrsinseln versehen - und zudem von Ordnern in knallgelben Leuchtwesten bewachten - Überweges auf der anderen Seite noch etwas weiter auf dem nun weitgehend ebenen "cycle path" fortsetzt.
Die Häusergruppe, die man mit der Straße ebenfalls erreicht, macht irgendwie einen bekannten Eindruck. Und tatsächlich hat man diese bei der morgendlichen Anfahrt nach Woolacombe schon einmal passiert. Sie hat sich um den früheren Bahnhof von Woolacombe und Mortehoe gruppiert, der einige Meter hinter der Straße am Streckenrand steht. Von beiden Orten liegt er mehrere Kilometer entfernt, doch eben an einer Stelle, die ohne übermäßig große Schwierigkeiten mit Gleisen zu erreichen war.
In einer Zeit, in der Kinder bereits wenige hundert Meter mit dem Auto zur Schule gefahren werden, ist es zwar kaum noch vorstellbar, doch Mitte des neunzehnten Jahrhunderts waren drei oder vier Kilometer, die man zu Fuß von der "Mortehoe and Woolacombe railway station" zu den namensgebenden Ortschaften noch zurück zu legen hatte, verglichen mit den durch die Anbindung entstandenen Möglichkeiten völlig zu vernachlässigen. Woolacombe jedenfalls wuchs erst durch die Eisenbahn zu einem größeren Dorf.
Einen guten halben Kilometer später endet der Radweg am von Matthew schon angekündigten Parkplatz. Doch bereits kurz zuvor verlassen die Läufer die Piste, um sich an einem neben einer Scheune aufgebauten Verpflegungsstand zum letzten Mal vor dem Ziel zu stärken. Noch etwa vier Kilometer haben sie vor sich und befinden sich nun wieder auf einer Höhe von fast zweihundert Metern. Ohne dass man es wirklich bemerken konnte, sind durch den lang gezogenen Anstiegs, den man seit Slade bewältigen hat, erneut etliche Höhenmeter hinzu gekommen.
Zwar geht dem Seitensträßchen, auf das man hinter der Getränkestelle einbiegt, der eine oder andere von ihnen verloren. Doch wirklich viele sind es nicht unbedingt. Und bis zum am Ende der Geraden erkennbaren Bauernhof, den Matthew als nächste Wegmarke bezeichnet, geht es sogar wieder ein wenig bergauf. Zwar darf man zur Überraschung der Einheimischen, der bei seiner Streckenkenntnis eine weitere kleine Lücke offenbart, schon etwas früher nach rechts auf eine Wiese schwenken. Doch auch auf dieser muss man noch eine kleine Kuppe überwinden.
Hat man sie überwunden, bietet der Kurs den Marathonis kurz vor Schluss des Rennes noch einmal einen echten optischen Leckerbissen. Denn hinter der Anhöhe öffnet sich der Blick auf Woolacombe, von dem man bis dahin eigentlich nur die höher gelegenen Teile erkennen konnte, sowie auf Strand und Küste. Und von hundertfünfzig Meter weiter unten kann man - ganz wie Bowerman es zuvor versprochen hatte - nicht nur bereits das Ziel erahnen sondern auch in der Ferne schon die Lautsprecher hören.
Nur noch etwas mehr als zwei Kilometer sind zu laufen. Und langsam neigt sich die Strecke nun doch ein wenig stärker. Während die Straße die nördliche, die rechte Seite des "Wolfstals" gewählt hat, zieht sich am gegenüber liegenden Hang - manchmal als schmaler Pfad, manchmal auch wieder nur als Spur im Gras - jener Wanderweg entlang, der die Marathonis mit angenehmem Gefälle ihrem schon sichtbaren Ziel näher bringt.
Dann geht alles auf einmal ganz schnell. Als man eigentlich schon auf Höhe der etwas weiter vom Meer entfernten hinteren Häuserreihen des Ortes ist, wird es plötzlich deutlich steiler. Mit einem keineswegs mehr Schwung gebenden sondern nach über vierzig Kilometern eher schmerzhaften "grade" stürzt man jenem aus Woolacombe hinaus führenden Sträßchen entgegen, das man auf der ersten Runde bereits zweimal kurz unter den Füßen hatte.
Es wird jedoch diesmal deutlich weiter oben am Berg erreicht. Und so setzten sich die zweistelligen Prozente auch auf dem Asphalt erst einmal fort. Erst am Parkplatz, den man erneut auf der Seeseite umrundet, wird es dann flach. Dass der Weg dabei einige Meter unterhalb der Zielwiese verläuft, sorgt ganz zum Schluss noch einmal für einige Meter Anstieg, die aber nach all dem, was man unterwegs schon bewältigt hat, eigentlich kaum noch etwas ausmachen.
Verglichen mit der schon keineswegs einfachen Schleife der Halbmarathonläufer hat die Route hinsichtlich des Schwierigkeitsgrades in der zweiten Hälfte schließlich noch einmal erheblich zugelegt. Und so kommen Ergebnisse zustande, die sich im ersten Moment lesen wie bei einem Bergmarathon in hochalpinem Gelände. Die Siegerzeit von Peter Sutton liegt mit 3:14:46 zum Beispiel weit jenseits der Drei-Stunden-Marke. Und nur etwas mehr als ein Zehntel des Feldes schafft es unter vier Stunden ins Ziel.
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Oberhalb des inzwischen deutlich besser gefüllten Strandes führen die letzten Meter entlang |
Zwei davon sind Frauen. Denn Mary Menon aus dem Dörfchen Exford mitten im Exmoor-Nationalpark beendet ihre Marathonpremiere in 3:58:41 gleich einmal als Siegerin. Und Jane Allison folgt ihr mit 3:59:34 nach weniger als einer Minute über die Linie. Da Joanna Mackenzie auch nur 4:00:07 benötigt und damit wirklich hauchdünn an dieser Grenze scheitert, sind die drei ersten Plätze in diesem ziemlich engen Rennen innerhalb von nicht einmal neunzig Sekunden vergeben.
Ein wenig deutlicher fällt dann doch der Abstand bei den Herren aus. Denn Sutton nimmt Iain Hindes fast fünf Minuten ab. Vorjahressieger Hindes wiederholt mit seinen 3:19:37 zwar fast genau jene Leistung, die ein Jahr zuvor zum Gewinnen ausreichte, muss aber diesmal die Überlegenheit seines Vereinskameraden - beide Erstplatzierte starten nämlich für die "North Devon Road Runners", die also nicht nur viel sondern auch gute Läufer in ihren Reihen haben - anerkennen.
Wie schon bei der letzten Austragung kommt Joey Jordan einen Platz hinter Hindes ins Ziel. Dass er damit statt der zweiten diesmal nur die dritte Stufe auf dem Treppchen besetzen kann, stört den im Veranstaltungsort Woolacombe lebenden Mittzwanziger nicht unbedingt. Denn während er bei der letzten Austragung über zwölf Minuten zurück lag, ist es diesmal gerade einmal achtundvierzig Sekunden. Mit 3:20:25 verbessert er seine 2013 gelaufene Zeit nämlich erheblich.
Die Letzten sind mehr als doppelt so lange unterwegs wie die Läufer an der Spitze. Und obwohl wohl jeder - egal ob vorne oder hinten im Feld unterwegs - sich während des Rennens etliche Male für seine Entscheidung, beim North Devon Marathon zu starten, verflucht haben dürfte, bedauert es hinterher höchstwahrscheinlich niemand mehr. Viel zu viele herrliche Eindrücke hat dieser Lauf an einem nahezu idealen Tag schließlich hinterlassen. Man hat da gerade "one of the most beautiful" und auch "one of the most challenging courses in the UK" hinter sich gebracht.
Jetzt darf man mit der ehrlich verdienten Medaille um den Hals auf dem Rasen von Woolacombe das schöne Wetter sowie den zum Starpaket gehörenden und deswegen kostenlosen englischen Tee genießen. Dank der unterwegs gemachten neuen und anschließend noch etwas vertieften Bekanntschaften, hat sich inzwischen irgendwie herumgesprochen, dass da auch ein Läufer von der anderen Seite des Ärmelkanals zwischen den vielen Devonians auf der Wiese sitzt.
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Die letzten Höhenmeter, die man in Woolacombe noch kurz vor dem Ziel überwinden muss, sind nach all den anderen Anstiegen unterwegs, allerdings wirklich nicht mehr der Rede wert | |
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Der "German" ist für einige fast so etwas wie eine kleine Attraktion, die den Marathon enorm aufwertet. Und so kommen nicht nur mit Simon Oliver sondern noch mit mehreren anderen Offiziellen kurze Gespräche zustande. Nicht nur die Frage, wie denn die Strecke gefallen hätte, wiederholt sich dabei. Der Satz "du kommst doch sicher wieder?" ist ebenfalls gleich mehrfach zu hören. Und dann wird noch nachgeschoben: "Und nächstes Mal bringst du am besten auch noch ein paar Freunde mit."
Nun das Wiederkommen ist angesichts der wirklich herrlichen Strecke durchaus eingeplant, wenn es vielleicht auch nicht unbedingt auf einen jährlicher Besuch hinaus laufen wird. Doch einfach so zu versprechen, beim nächsten Mal ein paar zusätzliche Interessenten mitzubringen, ist sicher nicht ganz so einfach. Dafür ist vermutlich den meisten schon alleine die Anreise ein wenig zu umständlich.
Allerdings kann man ja zumindest einmal ein wenig Werbung für diesen Lauf machen - in der Hoffnung, dass sich demnächst vielleicht doch wieder einmal der eine oder andere "German" in den Start- und Ergebnislisten von Woolacombe findet. Der Weg dürfte sich lohnen. Denn dieser Marathon im "Area of Outstanding Natural Beauty" hat die außergewöhnliche Schönheit nicht nur im Namen.
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Bericht und Fotos von Ralf Klink Info & Ergebnisse www.northdevonmarathon.co.uk Zurück zu REISEN + LAUFEN aktuell im LaufReport HIER |
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