5.4.10 - 10. Jaarbeurs Utrecht Marathon

Durch alte und neue Stadt

von Ralf Klink

"Utrecht? Das ist doch in Holland". In der Regel wird man für diese Aussage ein zustimmendes Kopfnicken bekommen. Doch der notorische Besserwisser und Rechthaber, dem auch das ständige Verwechseln von Olympische Spielen und Olympiade - die in Wahrheit der Vierjahreszeitraum zwischen zwei Olympischen Spielen ist - ein Dorn im Auge ist, wird in oberlehrerhafter Art sofort energischen Widerspruch einlegen. Denn nein, Utrecht liegt nicht in Holland, Utrecht liegt in den Niederlanden.

Und das ist, obwohl es in der deutschen Umgangssprache völlig synonym verwendet wird, streng genommen etwas völlig anderes. Schließlich ist dieses besagte Holland nur eine jener sieben Provinzen, die sich im sechzehnten Jahrhundert von Spanien lossagten, um die "Republik der Vereinigten Niederlande" und damit den Vorgänger des heutigen Königreiches zu gründen. Die anderen sechs hießen Zeeland, Groningen, Friesland, Gelderland, Overijssel und - neben Groningen die einzige, die nach ihrer Hauptstadt benannt wurde - eben Utrecht.

Doch ist das inzwischen in Zuid-Holland und Noord-Holland aufgeteilte Holland eben mit Abstand die wichtigste Region der Niederlande. Und sie war in der Geschichte meist auch ziemlich dominierend. Die größten und auch wirtschaftlich bedeutendsten Städte Amsterdam, Rotterdam und Den Haag sind hier zu finden. Und rund vierzig Prozent der niederländischen Gesamtbevölkerung lebt in diesen beiden Provinzen im Westen des Landes.

Es ist darum nicht wirklich unwahrscheinlich, dass ein Niederländer, dem man begegnet, tatsächlich auch ein Holländer ist. Nicht nur im Deutschen sondern in praktisch allen anderen europäischen Sprachen ebenso hat sich "Holland" als Bezeichnung deshalb allgemein durchgesetzt. Zumal es ja auch deutlich leichter über die Lippen geht als das doch etwas gestelzt klingende "Niederlande".

Der Domturm ist das Wahrzeichen von Utrecht Mehrere Grachten durchziehen die kleine, aber feine Altstadt Kein Kirchturm im Land ist höher

Ein Phänomen, für das es durchaus noch weitere Beispiele gibt. Auch die Helvetische Eidgenossenschaft hat ja von ihren Nachbarn irgendwann den Namen eines ihrer Kantone, nämlich Schwyz, bekommen. Und im Gegensatz zu Holland ist dieser sogar - zumindest aus heutiger Sicht - eher klein und unbedeutend. Doch während die Schweizer die Bezeichnung inzwischen auch offiziell übernommen haben, machen die Niederländer - jedenfalls wenn sie unter sich sind - dann doch noch etwas genauere Unterscheidungen.

Nicht nur formal sondern auch in der Umgangssprache ist dabei "Holland" eben wirklich einzig und allein Holland. Wenn man vom Gesamtstaat redet, sagt man in der Regel auch weiterhin "Nederland" und als Adjektiv "nederlands". Und mancher Bewohner aus den Provinzen im Süden und Osten des Landes kann sogar ziemlich sauer werden, wenn man ihn als "Holländer" bezeichnet.

Man würde sich als nicht aus dem Freistaat stammender Deutscher schließlich auch nicht überall als "Bayer" bezeichnen lassen wollen. Oder um in der Größenordnung einen vielleicht besseren Vergleich zu ziehen: Im gegenüber den Niederlanden nur unwesentlich kleineren Baden-Württemberg können die Badener ja fuchsteufelswild werden, wenn man sie einfach so zu den "Schwaben" rechnet.

Doch andererseits macht man gerade in der Werbung auch von niederländischer Seite im Ausland sehr wohl Gebrauch vom Begriff "Holland". Und zwar nicht nur in der Tourismusbranche, wo man natürlich die meisten Beispiele finden kann. Auch die inzwischen beinahe legendäre Frau Antje bringt ja seit nun schon fünf Jahrzehnten "Käse aus Holland" auf den deutschen Markt. Wobei die bekanntesten "Käsestädte" Gouda, Edam, Leerdam und Maasdam allerdings tatsächlich alle in Holland zu finden sind.

Jedenfalls liegt Utrecht - hält man sich an die exakten Definitionen - nicht in Holland. Doch wirklich weit weg davon ist sie auch nicht. Denn die gleichnamige Provinz grenzt sowohl an den südlichen als auch an den nördlichen Teil Hollands. Nach gerade einmal einem Halbmarathon wäre man jedenfalls vom Stadtzentrum aus in gleich mehrere Himmelsrichtungen hinüber gelaufen. Und bis zur Hauptstadt Amsterdam müsste man auch nur ziemlich genau eine volle Marathondistanz zurück legen.

Utrecht, die viertgrößte niederländische Metropole, stellt nämlich den östlichen Endpunkt der sogenannten Randstad dar. Ein dichter Siedlungsring von ungefähr siebzig Kilometern Durchmesser, der sich neben Utrecht und Amsterdam noch aus den in den Bevölkerungsstatistiken dazwischen liegenden Städten, Rotterdam und Den Haag sowie Haarlem, Dordrecht, Delft und Leiden zusammen setzt. Nimmt man noch die ganzen Vorortgemeinden dazu, leben in dieser Region, die nicht einmal ein Fünftel der Landesfläche einnimmt, fast die Hälfte der sechzehn Millionen Niederländer.

Alte und neue Bürogebäude in direkter Nachbarschaft Auf dem Gebäude der Bahnverwaltung ist scheinbar ein UFO gelandet Ein Schilderbaum hilft bei der Orientierung

Eigentlich sollte das ein ausreichendes Einzugsgebiet sein, um einen größeren Marathonlauf ausrichten zu können. Doch auch in den Niederlanden scheint der Markt im Moment ziemlich ausgereizt. Zumal neben den hierzulande genauso üblichen Halbmarathons, bei denen man zum Beispiel in Egmond oder Den Haag in hohe vierstellige Teilnehmerbereiche vorstößt, auch - in Deutschland leider kaum noch existente - Zwischendistanzen wie fünfzehn Kilometer oder zehn Meilen um die Gunst der Läufer buhlen.

Bei dem über jene 16093 Meter führenden Dam tot Damloop zwischen Amsterdam und Zandam gehen inzwischen mehr als dreißigtausend Teilnehmer auf die Strecke. Binnen weniger Stunden sind dabei alle zur Verfügung stehenden Startnummern vergriffen. Beim Zevenheuvelenloop - dem Sieben-Hügel-Lauf - im gar nicht weit von der deutschen Grenze entfernten Nijmegen sind es über fünfzehn Kilometer immerhin ebenfalls fünfundzwanzigtausend.

Große Zuwächse bei bestehenden Marathonveranstaltungen sind jedenfalls im Moment wohl nicht mehr zu erwarten. Für neue ist eigentlich kaum noch Platz. Denn selbst wenn man die Miniläufe mit gerade einmal zehn bis zwanzig Starten, bei denen sich die ganz hartgesottenen Sammler weitere Striche für ihre Liste holen, außen vor lässt, sind noch immer drei bis vier Dutzend Rennen über die längste olympische Laufdistanz ausgeschrieben.

Doch kaum die Hälfte davon schafft es überhaupt in die Dreistelligkeit. Und neben den beiden bei sieben- bis achttausend Marathonis angelangten Rennen von Amsterdam und Rotterdam, die damit den größten Teil des Potentials schon abgreifen, knackt nur noch der Lauf in Eindhoven regelmäßig die Tausendermarke. Der Zeeland-Marathon ganz im Südwesten des Landes kann diese Zahl zumindest aus der Ferne schon einmal anvisieren.

Einzig den beiden Erstgenannten gelingt es dabei auch größere ausländische Kontingente anzuziehen. Ansonsten schmort man dabei hauptsächlich im eigenen Saft. Nur aus Belgien findet man doch eher einmal ins nördliche Nachbarland. Auf deutsche Namen trifft man dagegen eher selten in den auf Niederländisch "Uitslagen" heißenden Ergebnislisten. Doch zumindest beim mit dem Münster Marathon kooperierenden und einige Jahre auch über die Grenze ins benachbarte münsterländische Gronau führenden Lauf von Enschede sind sie ein bisschen häufiger.

Dennoch muss sich die bereits vierzig Mal ausgetragene, aufgrund des ursprünglichen Zwei-Jahres-Rhythmus allerdings bis in Jahr 1947 zurückreichende Traditionsveranstaltungen genau wie der hierzulande recht bekannte und ebenfalls bereits ziemlich alte Midwinter Marathon in Apeldoorn mit guten fünfhundert Teilnehmern begnügen. In ähnlichen Regionen landet außerdem der Berenloop auf der Nordseeinsel Terschelling, der mit einem Termin im November und einem Eisbären auf dem Logo aus der Masse schon ein wenig heraus sticht.

Die Jaarbeurs ist für den Marathon Sponsor und Veranstaltungsort zugleich In einer Messehalle findet man Startnummernausgabe und Marathonmesse

Auch der seit einigen Jahren traditionell am "tweede paasdag", dem Ostermontag ausgetragenen Marathonlauf von Utrecht kann mit ähnlichen Zahlen aufwarten, womit man in Bezug auf die Einwohner zwar eigentlich etwas zu weit hinter, allerdings in der Größenrangliste dennoch sicher unter den ersten zehn landet. Doch um einen richtigen Stadtmarathon auf die Beine zu stellen, ist das natürlich viel zu wenig.

So hat man in Utrecht dann neben der langen Distanz außerdem praktisch noch die gesamte Bandbreite anderer möglicher Strecken im Programm. Über fünf und zehn Kilometer kann man starten. Und fast selbstverständlich ist auch ein Halbmarathon ausgeschrieben. Dazu dürfen Schüler auch noch über einen Kilometer laufen. Fast über den ganzen Tag erstrecken sich die Rennen, die nicht nur verschiedene Kurse sondern zum Teil auch noch unterschiedliche Startpunkte haben.

Mittelpunkt der Veranstaltung ist allerdings die Jaarbeurs von Utrecht. Das kann man zwar nun Silbe für Silbe und eigentlich aufgrund der engen sprachlichen Verwandtschaft auch recht einfach mit "Jahr" und "Börse" ins Deutsche übersetzen. Gemeint ist allerdings zusammengesetzt und in diesem Zusammenhang etwas ganz anderes, nämlich das Messegelände der Stadt.

Dort finden sich die meisten Starts und Zieleinläufe. Dort gibt es Unterlagen, eine - allerdings recht überschaubare - Marathonmesse und am Vortag sogar eine kleine Nudelparty. Und wenig verwunderlich mangelt es im Umfeld auch an Parkplätzen keineswegs. Die zu belaufenden Distanzen mögen zwar zum Teil etwas länger sein, was die Organisation angeht, ist der "Jaarbeurs Utrecht Marathon" - seit einigen Jahren tritt die Messe auch als Namenssponsor auf - wahrlich eine Veranstaltung der kurzen Wege.

Zumal das Ausstellungsgelände keineswegs wie vielerorts sonst weit außerhalb des Stadtkerns sondern mitten im Zentrum liegt. Wer in der Station Utrecht Centraal, dem Hauptbahnhof ankommt, muss sich entscheiden, ob er das über die Gleise errichtete Gebäude nach Osten durch das angrenzende Einkaufszentrum Hoog Catharijne verlässt und damit in der Altstadt landet. Nimmt man jedoch die andere Richtung, steht man mehr oder weniger direkt gegenüber dem Ausgang vor der Jaarbeurs.

Doch nicht nur deshalb ist die Anreise mit dem Zug eine ziemlich gute Alternative. Denn die relativ zentrale Lage hat die Stadt zum wichtigsten Bahnknoten des ganzen Landes gemacht. Auch Nederlandse Spoorwegen, die staatliche Eisenbahnbetriebsgesellschaft der Niederlande und die für die davon abgekoppelte Infrastruktur zuständige ProRail haben aus diesem Grund ihren Sitz in Utrecht.

In praktisch alle Himmelsrichtungen verlaufen die Strecken aus dem Bahnhof hinaus. Bis zu fünfzig Züge stündlich starten auf ihnen von Utrecht Centraal aus. Kaum eine niederländische Stadt, die man nicht in ein bis zwei Stunden mit direkten Verbindungen erreichen kann. Ein dichtes Liniennetz und ein relativ kleines Land machen es möglich.

Aus Deutschland halten ebenfalls jeden Tag ein halbes Dutzend ICE auf dem Weg nach Amsterdam in Utrecht an. Die Stadt ist dabei näher als man im ersten Moment denkt. Denn gerade einmal zwei Zugstunden sind es aus dem Ballungszentrum an Rhein und Ruhr, dreieinhalb aus Frankfurt. Womit zumindest aus den Metropolen im Westen sogar eine Anreise am Lauftag ohne Probleme machbar ist.

Kinderläufe über einen Kilometer eröffnen die Veranstaltung In mehreren Wellen werden die meist in orange gekleideten Schüler auf die Strecke gelassen

Gerade auch weil man die morgendliche Anfahrt in den kleinen Niederlanden angesichts der relativ kurzen Distanzen eigentlich kaum anders kennt, sind die Startzeiten meist für deutsche Gepflogenheiten recht spät angesetzt. Mit 10:30 geht es in Utrecht sogar noch eine halbe Stunde früher los als eine knappe Woche danach auf der Rekordpiste von Rotterdam. Auch ansonsten werden die Felder im kleinen Königreich selten vor zehn Uhr auf die Reise geschickt.

Angesichts der doch ziemlich frischen Temperaturen, die am Ostermontag in Utrecht herrschen, bringt das allerdings noch einen zweiten Vorteil. Denn so hat die Sonne, die sich an einem eher verregneten "Paaszondag" am Himmel blicken lässt, ein wenig mehr Möglichkeiten die Luft zumindest in die Nähe der Zehn-Grad-Marke aufzuwärmen. Dass sie sich im Tagesverlauf später wieder hinter Wolken verstecken wird, ist nicht ganz so tragisch. Denn abgesehen von ganz wenigen Tropfen am Nachmittag bleibt es während der gesamten Veranstaltung weitgehend trocken.

Eröffnet werden die Rennen jedoch schon eine Stunde vor dem Marathonstart mit den Kinderläufen. In mehreren, nach Alter gestaffelten Wellen werden die Schüler im Abstand von jeweils einigen Minuten auf ihre einen Kilometer lange Strecke geschickt. Ein einfacher Wendepunkt auf der Straße vor den Messehallen bringt sie nach dem Start auf dem Parkplatz zurück zum nebenan aufgebauten Ziel. Ziemlich genau vierhundert Sechs- bis Zwölfjährige legen dabei - zumeist in den an sie verteilten orangefarbenen T-Shirts - die Distanz zwischen etwas mehr als drei und zwölf Minuten zurück.

Doch bereits vorher sind andere Teilnehmer unterwegs. Mit "Utrecht rent", wie die Veranstaltung auch überschrieben ist, um dem breiten Programm gerecht zu werden, hat man nämlich noch immer nicht alles abgedeckt. Denn nicht nur gelaufen wird in Utrecht an Ostern sondern auch gewandert. Bereits am Vortag konnte man beim in die Veranstaltung integrierten "Paaswandel2daagse Utrecht" aus mehreren unterschiedlichen Distanzen auswählen. Nun gehen die Ersten schon relativ früh am Morgen auf ihre ebenfalls je nach Wahl verschieden lange zweite Etappe.

Es wirkt aus deutschem Blickwinkel inzwischen schon etwas ungewöhnlich zwischen den Läufern in ihren Trainingsanzügen Menschen mit Rucksäcken und schweren Wanderstiefeln zu sehen. Insbesondere, da manche Ausrüstung angesichts der hauptsächlich durch bewohnte Gebiete führenden Strecken und der wohl kaum vorhandenen Höhenunterschiede doch reichlich überdimensioniert wirkt.

Wer schon etwas länger im Geschäft ist, kann sich allerdings vielleicht doch noch daran erinnern, dass vor zwanzig Jahren auch hierzulande bei fast jedem Volkslauf mindestens eine zusätzliche Wanderstrecke angeboten wurde. Doch später haben sich die beiden Szenen ziemlich entkoppelt, sich immer weiter voneinander entfernt und längst jeden Kontakt verloren.

Zwar wird inzwischen auch bei Laufveranstaltungen wieder immer häufiger marschiert. Aber mit dem altmodischen Wandern hat das angeblich ja nichts zu tun. Denn es wird zumeist als das viel modernere, sportlichere und dynamischere "Walking" oder gar "Nordic Walking" verkauft. Dabei ist die Geschwindigkeit oft auch nicht anders und die Ausrüstung angesichts der dabei zurückgelegten Distanzen gelegentlich noch viel überdimensionierter.

Weder durch die Altstadtgassen ... ... noch direkt am Dom vorbei führt der Marathon

In den Niederlanden ist die Verbindung von "Lopen" - genauer gesagt "Hardlopen", wie man das, was im Deutschen mit "Laufen" oder "Rennen" bezeichnet wird, in der Regel nennt - und "Wandelen" auch weiterhin nichts Ungewöhnliches. Und so haben dann die Wanderer in der großen Messehalle, in der die Startnummern ausgegeben werden und die Laufmesse stattfindet, dann auch ihren eigenen, als "Wandelpaviljoen" bezeichneten Bereich, in dem sie sich die nötigen Unterlagen abholen können.

Ein paar Meter weiter erhalten auch die Läufer ihre Umschläge. Wer für den Marathon gemeldet hat, kann sich zudem ein paar Tische weiter mit dem im Kuvert enthaltenen Gutschein noch ein Funktionsfaser-T-Shirt geben lassen. Alle anderen müssen sich den dazu nötigen Bon am Schalter daneben kaufen. Doch nicht nur deshalb ist die Langdistanz von Utrecht im nationalen und internationalen Vergleich ein echtes Schnäppchen.

Wenn man sich bis Januar anmeldet, ist man für gerade einmal neunzehn Euro dabei. Bis Mitte März - also drei Wochen vor der Veranstaltung - legt man auch nur neunundzwanzig Einheiten der europäischen Gemeinschaftswährung für die Teilnahme hin. Erst die Nachmeldung ist mit fünfundvierzig dann in Regionen vorgestoßen, die anderswo gelegentlich auch schon einmal in der niedrigsten Preisstufe fällig werden.

Der Halbe kostet bei Voranmeldung fünfzehn und zwanzig, der Zehner elf und vierzehn Euro. Womit man sich dabei angesichts der Tatsache, dass Medaille und Pasta-Party bei allen Distanzen inklusive sind, in einem mehr als vertretbaren Rahmen bewegt. Auch der Transport zum Start des auf einer Punkt-zu-Punkt-Strecke ausgetragenen Rennens über zehn Kilometer gehört zum mit der Meldegebühr bezahlten Paket.

Dass Umkleiden und Kleideraufbewahrung in der Messehalle ebenfalls vorhanden sind, ist angesichts des von den Organisatoren der Veranstaltung betriebenen Aufwandes schon fast selbstverständlich. Nur die Duschen sucht man - wie oft außerhalb des deutschsprachigen Raumes - dann doch vergeblich.

Selbst für Routiniers ziemlich ungewöhnlich ist allerdings das Procedere bei der Abgabe der Taschen. Denn obwohl den Startunterlagen ein Streifen zur Kennzeichnung mit der Nummer beigelegt war, werden diese keineswegs entgegen genommen und nach der Ziffernfolge einsortiert. Vielmehr deponiert sie jeder Teilnehmer selbst auf mit Buchstaben versehenen Tischen und holt sie von dort auch wieder ab.

Immer entlang des alten Festungsgraben umläuft man die Altstadt Ziemlich lange bleibt die große Spitzengruppe zusammen

Nur an den Eingängen des Bereiches sind einige Helfer postiert, die zumindest in Verdachtsfällen Stichproben machen können. Ein pragmatisches Verfahren, das bei den überschaubaren Teilnehmerzahlen und dem entzerrten Programm des Utrechter Marathons eigentlich recht gut funktioniert, allerdings bei einem größeren Ansturm irgendwann zum Scheitern verurteilt sein dürfte.

Nicht dort, wo eine Stunde zuvor die Schüler beginnen durften, sondern wo diese ihr Rennen beendet haben, befindet sich die Startaufstellung für den Marathon. Die Langstreckler genießen als einzige das Privileg von der Ziellinie und damit zwischen den aufgebauten Tribünen loslaufen zu dürfen. Alle anderen Distanzen starten, wie der zur Orientierung in der Mitte des Platzes aufgebaute Schilderbaum eindeutig belegt, wieder aus dem anderen Kanal.

So wirklich nachvollziehen, weshalb das so sein muss, kann man allerdings auch nach längerem Überlegen nicht. Denn beide Zonen befinden sich mehr oder weniger in direkter Nachbarschaft. Vielleicht geht es auch nur darum, dem Lokalsender RTV Utrecht für seine Fernsehübertragung bessere Bilder zu bieten. Schon lange bevor es tatsächlich losgeht, plaudern die Moderatoren auf ihrem Podium. Und auch im Startblock werden von den sich langsam einfindenden Läufern vor laufender Kamera Fragen der Reporter beantwortet.

Die Aufstellung ist zweigeteilt und die Zugangsberechtigung mit einem Punkt auf der Startnummer kenntlich gemacht. Doch nicht etwa nach den bisher erreichten Zeiten wird dabei unterschieden. Es geht vielmehr darum, ob man wie in den Niederlanden in der Regel üblich als "wedstrijdloper" oder "recreatieloper", also "Wettkampf-" oder einer der - selbstverständlich weiter hinten stehenden - "Freizeitläufer" gemeldet hat.

Diese haben sogar eine eigene Wertungsklasse "REC" und kommen damit nicht in das normale Altersklassenschema, das im Zehnerrhythmus allerdings bei fünfunddreißig Jahren beginnend ausgeschrieben ist. Ziemlich genau die Hälfte der Teilnehmer zählt sich, wie die Ergebnisliste am Ende zeigt, dazu. Ob diese Einteilung wirklich sinnvoll ist, kann man natürlich in Frage stellen. Denn sie hängt eher von der Selbsteinschätzung als von objektiven Kriterien ab. Der schnellste "recreatieloper" ist jedenfalls deutlich unter drei Stunden im Ziel, die langsamsten "Wettkämpfer" erst nach über fünf.

Bei ungefähr sechshundert Marathonis und einer kurz vor dem Start entfernten Abtrennung ist der Effekt der unterschiedlichen Startblöcke ohnehin nicht wirklich groß. Länger als eine knappe Minute benötigt praktisch niemand, um die Chipmatte auszulösen. Nur Orga-Chef Gerard Peek, der im Vorfeld alles so gut geregelt hat, dass er selbst den Marathon mitmachen kann, läuft - dabei noch schnell ein Interview gebend - dem Feld etwas hinterher. Er wird "seinen Marathon" deshalb Netto zwar in fast exakt zweihundertneununddreißig Minuten beenden, allerdings doch erst vier Stunden nach dem Start im Ziel sein.

Dass die Aufstellungszone allerdings nicht nur quer sondern auch längs durch Absperrgitter geteilt ist, gibt eigentlich viel mehr zu denken. Es ist jedoch weder Zufall noch Versehen, sondern hat einen guten Grund. Die Lösung des kleinen Rätsels wird man aber erst einige Zeit später bekommen.

Auch Tempomacher können einmal abgehängt werden Das Hiëronymushuis war ursprünglich Waisenhaus und Altenheim Marcel Uppelschoten (hinten) wird als Zehnter schnellster Niederländer

Eigentlich sind es nicht zwei sondern drei Startgruppen, denn an der Spitze des Feldes haben sich rund zwei Dutzend meist afrikanischer Laufprofis eingefunden, die sich um die für die vorderen Plätze ausgelobten Preisgelder balgen. Im dichten niederländischen Marathonmarkt setzt man durchaus häufiger auf schnelle Siegerzeiten, um ein bisschen Aufmerksamkeit von den Medien zu bekommen.

Ein Unterfangen, das schwer genug ist, zählen doch sowohl Rotterdam wie auch Amsterdam, zu den Veranstaltungen, die regelmäßig auf den vordersten Rängen der Weltrangliste landen. Neben Utrecht geht man zum Beispiel auch in Enschede oder Eindhoven in die Vollen und gibt sich nicht mit einem oder zwei Kenianern zufrieden, die dann weit vor dem Rest des Feldes herlaufen, sondern engagiert gleich einen ganzen Pulk von Eliteathleten, die nicht nur für ein schnelles sondern auch für ein spannendes Rennen sorgen sollen.

Dass man dabei auf die schnellen Ostafrikaner setzt, ist wenig verwunderlich. Schließlich waren die niederländischen Athleten ähnlich wie die deutschen international zuletzt meist nicht mehr wirklich konkurrenzfähig. Doch immerhin noch rund ein halbes Dutzend Männer bringt jedes Jahr Zeiten unter 2:20 zustande. Und Kamiel Maase ist seinen Landesrekord von 2:08:20 auch erst 2007 gelaufen. Mehr als ein neunter Platz kam damit allerdings beim Amsterdam Marathon dennoch nicht heraus.

Bei den Frauen ist sogar die eine oder andere tatsächlich für vordere Platzierungen gut. Haben die Niederländerinnen doch in den letzten Jahren sogar einige Welt- und Europameistertitel im Cross und auf der Straße gewonnen. Doch die Namen Lornah Kiplagat und Hilda Kibet zeigen deutlich, wo diese schnellen Damen im Oranje-Trikot ursprünglich her kommen. Kiplagat hält übrigens auch die aktuellen Weltrekorde über zwanzig Kilometer und Halbmarathon.

Mit einer Art Einführungsrunde um das Messegelände beginnt die Marathonstrecke. Nicht nur an Ausstellungshallen, auch an einigen architektonisch durchaus interessanten Bürotürmen geht es dabei vorbei. Rund um den Bahnhof sind in den letzten Jahrzehnten etliche Hochhäuser in den Himmel gewachsen. Denn nicht nur die Hauptverwaltung der Bahn hat ihren Sitz in der Stadt. Auch einige andere große und bekannte Firmen haben sich in Utrecht nieder gelassen. Weniger Industrie als vielmehr der Dienstleistungssektor bestimmen die Wirtschaft.

So findet man zum Beispiel ein Verwaltungszentrum der Fortis-Bank, von der man in der Laufszene vor allen Dingen als Titelsponsor des Rotterdamer Marathons gehört haben könnte. Auch nach der Aufspaltung des in der Finanzkrise schwer angeschlagenen Unternehmens in einen belgischen und einen niederländischen Teil und seiner anschließenden Verstaatlichung hat sich daran nichts geändert. Beim Utrechter Lauf übernahm man ebenfalls mehrerer Jahre die Rolle des Namensgebers, bis man von der Jaarbeurs abgelöst wurde.

Noch führt Zeddy Chepkoech Rere klar, am Ende wird sie Zweite Andre Heeren (206) kommt auf Rang elf als zweitschnellster Einheimischer ins Ziel Begegnungsverkehr am Stadtgraben

Und noch eine andere als Geldgeber im Ausdauersport bekannte Bank hat ihr Hauptquartier in der Stadt. Allerdings finanziert Rabobank damit seit mehr als einem Jahrzehnt ein professionelles Radteam. In einem radsportverrückten Land wie den Niederlanden sicher eine durchaus werbewirksame Maßnahme. Nur gute vier Wochen nach dem Marathon wird der Giro d'Italia weit weg von seinem eigentlichen Austragungsland in Utrecht Station machen.

Dass der Zielsprint dabei auf der Straße vor dem Ausstellungsgelände, auf die der Marathonkurs nach gut zwei Kilometern und dem Ende der Einführungsrunde einschwenkt, stattfinden soll, hat sicher auch mit der guten Infrastruktur zu tun. Doch dass gegenüber der Messe der nagelneue Wolkenkratze ausgerechnet dieses Kreditinstituts nach oben gewachsen ist und sich kurz vor der Fertigstellung befindet, die Etappe also mehr oder weniger direkt zu seinen Füßen endet, ist vermutlich auch nicht ganz zufällig.

Das "Rabobank Bestuurscentrum" - übersetzbar ungefähr mit "Verwaltungszentrale" - wird bei mehr als einhundert Metern das höchste "kantoorgebouw" - also Bürogebäude - der Stadt. Ein Stück überragt wird es allerdings noch vom "Domtoren", dem Turm des Doms. Er ist das Wahrzeichen von Utrecht. Und auch für das Logo des Marathons hat man ihn verwendet.

Kein anderer Kirchturm im Land ist höher als der im vierzehnten Jahrhundert in gotischem Stil erbaute Campanile. Diese Bezeichnung ist durchaus passend, denn obwohl die freistehenden Glockentürme eigentlich sonst hauptsächlich in Italien verbreitet sind, hat auch der "Toren" in Utrecht keinerlei Kontakt zur Kirche sondern ragt auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes empor. Genauer gesagt: Jetzt hat er keinen Kontakt mehr zur Domkerk.

Denn einst erhob er sich direkt vor dem Hauptschiff des Gotteshauses. Doch ein heftiger Orkan, der 1674 über die Stadt fegte und auch an einigen anderen Kirchen schwere Schäden hinterließ, brachte dieses zum Einsturz. Nur der Querbau, der den Dom nach Osten abschließende Altarraum und eben der Turm blieben übrig. Dort wo danach lange Jahre die Trümmer lagen, erstreckt sich in der Mitte der Altstadt nun der "Domplein", auf dem man die enormen früheren Ausmaße der Kirche nur noch erahnen kann.

Auch der Marathon nimmt nun Kurs auf das alte Zentrum. Statt mit einem weiteren Linksschwenk die Startrunde völlig abzuschließen, dreht er nämlich genau in die entgegengesetzte Richtung ab, um einen Durchschlupf unter den Eisenbahngleisen zu finden, die sich vorerst noch wie ein Sperrriegel zwischen die Läufer und den Stadtkern legen. Doch nach einem guten Kilometer ist die Lücke entdeckt und die Marathonis können hinüber wechseln.

Nur wenige Schritte später stoßen sie auch auf jenen breiten Grabenring, der die Altstadt nahezu vollständig umgibt. Sein zackiger Verlauf, dem die Strecke für fast zwei Kilometer folgen wird, zeigt deutlich, dass er in früheren Zeiten als Befestigungsanlage diente. Auch die auf dieser Passage alle mit "-singel" endenden Straßen belegen das. Denn mit "Singel" bezeichnete man im Niederländischen ursprünglich eben genau diese Art von Festungsgraben. Kaum eine Stadt im Land, in der es nicht noch solche Singels oder zumindest einen Straßenzug mit entsprechendem Namen gibt.

Die Maliebaan entstand nicht als Straße sondern als Sport- und Spielplatz An einem Kreisel wird nach sechs Kilometer gewendet

Doch ist er in Utrecht keineswegs völlig künstlich angelegt sondern wird auch von einem natürlichen Wasserlauf durchflossen. Der Kanal, dessen Einmündung in den mittelalterlichen Stadtgraben die Läufer kurz nach dem Einbiegen auf die Uferstraße überqueren, ist nämlich eigentlich der Kromme Rijn, einer der vielen Nebenarme des Rheins, die sich kreuz und quer über fast die gesamten Niederlande erstrecken.

Der Fluss ist vermutlich dafür verantwortlich, dass es Utrecht überhaupt gibt. Schon die Römer gründeten an dieser Stelle eine Siedlung, mit der die Furt geschützt wurde. Und auch den Namen hat die Stadt wohl dieser seichten Stelle zu verdanken. Denn im Lateinischen heißt "Furt, Flussübergang" eben "Traiectum". So gehen die meisten Sprachwissenschaftler und Historiker dann auch davon aus, dass Utrecht nichts anders als "außerhalb, neben der Furt" bedeutet.

Nicht nur den Ringgraben, den Kromme Rijn und den bei dessen Verlandung bereits im Mittelalter neugegrabenen Kanal Vaartse bzw. Vaartsche Rijn, den die Marathonis ebenfalls bereits überquert haben, gibt es in der Innenstadt von Utrecht. Auch mehrere Grachten durchziehen den Altstadtkern innerhalb des einstigen Befestigungsringes.

Diese schmalen Kanäle, auf denen der Warentransport per Schiff bis mitten in die Städte hinein möglich war, kennt man zwar hauptsächlich aus Amsterdam. Doch gibt es kaum eine ältere niederländische oder auch flämische Gemeinde, in der man ihnen nicht begegnet. Eine richtige, eine passende Übersetzung für den Begriff lässt sich eigentlich nicht finden. "Gracht" gehört deshalb zu den Wörtern die es aus dem Niederländischen auch in viele andere Sprachen geschafft haben.

Jedenfalls macht nicht nur der Turm des Domes die kleine aber feine Altstadt sehenswert. Er ist übrigens keine Kathedrale mehr, da er sich inzwischen in protestantischen Händen befindet. Die katholische Bischofskirche von Utrecht ist die Sint-Catharinakathedraal. Noch mehrere weitere mittelalterliche Kirchen kann man beim kurzen Bummel durch die Straßen besichtigen.

Und auch an mehreren alten Gebäuden der Universiteit Utrecht kommt man dabei vorbei. Sie ist zwar nicht die am frühesten gegründete Hochschule der Niederlande. Allerdings reicht ihre Geschichte trotzdem bis ins siebzehnte Jahrhundert zurück. Inzwischen ist sie die größte des Landes. Rund dreißigtausend Studenten sind eingeschrieben. Und natürlich sind die meisten Fakultäten längst in einen neuen Campus am Stadtrand umgezogen. Doch auch in der Altstadt haben noch einige Bereiche ihr traditionelles Quartier.

Aber es sind gerade die Wasserflächen der Grachten und Singels, auf die man beim Spaziergang unwillkürlich immer wieder stößt, und die oft recht schmalen Gassen, die Utrecht eine recht beschauliche Note verleihen. Eine Idylle, die so gar nicht zur unweit davon herrschenden Geschäftigkeit in einem der wichtigsten Wirtschaftszentren des Landes passen will.

Besichtigen müssen sie die Läufer jedoch vor oder nach ihrem Rennen. Denn keine der Strecken führt in den Stadtkern hinein. Am nächsten kommt ihm noch der Marathon. Aber auch dieser bleibt leider auf der äußeren, der falschen Seite des Befestigungsgrabens. So betrachtet ist das Logo, das einen Läufer unterhalb des Domtoren zeigt, definitiv eine - gelinde ausgedrückt - gewisse Übertreibung.

Nach sieben Kilometern sind die Gruppen der Schrittmacher noch groß Auch zurück geht es immer am Wasser entlang

Doch den Streckenverlauf als unattraktiv und nicht interessant zu bezeichnen, wäre allerdings genauso wenig zutreffend. Die baumbestandenen Grünflächen entlang des auch "Stadsbuitengracht" genannten Grabens sowie die häufigen Richtungswechsel lassen keine Langeweile aufkommen. Und auch "buiten het centrum" - außerhalb des Stadtzentrums - gibt es schließlich das eine oder andere zu sehen. Das ursprünglich als Waisenhaus und Altenheim errichtete neugotische Hiëronymushuis etwa.

Oder auch die nur wenige Schritte entfernte, frühere Bastion Sonnenborgh. Die liegt zwar, wie es sich für eine Verteidigungsanlage gehört, auf der Stadtseite des Grabens, ist aber in ihrer exponierten Lage eigentlich von der gegenüberliegenden Maliesingel am besten zu sehen. Im einstigen Bollwerk ist inzwischen längst die Utrechter Sternwarte und ein dazu gehörendes Museum eingezogen.

Wirklich groß ist der Publikumsandrang an der Strecke nicht. Doch immer wieder stehen auch einmal Zuschauer am Straßenrand und wünschen den Läufern "Succes!", also "Viel Erfolg!". Immer wieder wird man sogar namentlich angefeuert, denn auch in Utrecht ist wie inzwischen vielerorts üblich der Vorname auf die Startnummer aufgedruckt. Nicht nur in diesem Fall ist diese persönliche Anrede allerdings völlig normal. Denn ohnehin ist man in den Niederlanden mit "du" ja deutlich schneller zur Hand als in Deutschland.

Einige Zuschauer rollen allerdings auch neben dem Feld her und betrachten sich den Marathon von Fahrrad aus. Ebenfalls völlig normal in den Niederlanden. Denn im Gegensatz zu Italien oder Frankreich, wo man das Rad zwar ebenfalls als Sportgerät kennt und die zuletzt doch arg in Verruf geratenen Helden der Landstraße wie Helden verehrt, ansonsten aber von seinem Gebrauch eher wenig hält, ist es in Holland - hoppla her Schulmeister, grober Fehler - ein alltägliches und wichtiges Verkehrsmittel.

Ohne "Fiets" geht in den Niederlanden gar nichts. Das relativ kleine und flache Land bietet sich allerdings dafür auch wirklich an. Radwege gibt es praktisch neben jeder auch nur etwas größeren Straße. Und in denn schmalen Gassen der Altstädte ist ein "Fietser" gegenüber der motorisierten Konkurrenz sowieso klar im Vorteil. Wo immer man Räder abstellen kann, sind sie auch abgestellt. Und manchmal muss man sich schon ganz schön anstrengen, um in der langen Reihe von geparkten Drahteseln überhaupt irgendwo einen Durchschlupf zu entdecken.

Ziemlich genau bei Kilometer fünf verabschiedet sich der Kurs - allerdings nicht für allzu lange, wie der beginnende Gegenverkehr zeigt - vom Wasser und verläuft auf der Maliebaan genannten breiten Allee weiter. Seit mehreren hundert Jahren führt sie aus der Stadt hinaus. Allerdings ursprünglich nicht als Straße. Angelegt ist sie als Spielbahn für das im siebzehnten Jahrhundert ziemlich populäre, dem heutigen Krocket ähnelnde Paille-Maille, das in den Niederlanden "Maliespel" genannt wurde und der Straße zu ihrem Namen verhalf.

Sonnenborgh (rechts) war einst Festungsbastion und ist nun die Utrechter Sternwarte Die vielen Ecken zeigen eindeutig, dass der Stadtgraben zur Verteidigung angelegt wurde

Doch nicht nur in Utrecht gibt es solche ehemaligen Spielbahnen. Der Hamburg Marathon verläuft in der Nähe von Kilometer zehn zum Beispiel über die Palmaille. Und in London findet man nicht nur die später zur Einkaufstraße geworden Pall Mall, die damit wiederum den Begriff der Shopping-Mall prägte. Es gibt daneben auch noch direkt vor dem Buckingham Palast "The Mall", wo der London Marathon sein Ziel hat und auf der deshalb unter anderem die Weltrekordläufe von Paula Radcliffe und Khalid Khannouchi endeten.

Über die Utrechter Allee erzählt man sich die Anekdote, dass der französische König Ludwig XIV, der in einem der von ihm geführten Angriffskriege auch in den Niederlanden einfiel, bei ihrem Anblick seinen Soldaten verboten hätte, sie zu beschädigen oder gar die dort stehenden Bäume zu Brennholz zu verarbeiten. In einem anderen der vom angeblichen "Sonnenkönig" angezettelten Kriege spielte die Stadt sogar noch eine wichtigere Rolle. Denn mit dem Frieden von Utrecht endete der mehr als ein Jahrzehnt andauernde Spanische Erbfolgekrieg.

Es ist nicht der einzige bedeutende Vertrag, der in der Stadt geschlossen wurde. Noch wichtiger für die Geschichte des Landes ist die Utrechter Union, zu der sich die schon erwähnten sieben Gründungsprovinzen Holland, Zeeland, Utrecht, Gelderland, Overijssel, Groningen und Friesland im Jahr 1579 zusammen fanden. Der während der Reformationszeit protestantisch gewordene nördliche Teil der damaligen "Spanischen Niederlande", verbündete sich darin, um sich gegen die Maßnahmen König Phillips II zu wehren, der dem Katholizismus wieder die Oberhand in der Region verschaffen wollte.

Schon in den Jahren zuvor war es zwischen den Niederländern und den als Besatzern empfundenen Spaniern deshalb zu militärischen Auseinandersetzungen gekommen. Das rigorose Vorgehen des berüchtigten Herzog von Alba tat ein Übriges, um den Unabhängigkeitswunsch zu bestärken. Doch erst im Westfälischen Frieden wurde nach immer wieder aufflammenden Kämpfen, die als "Achtzigjähriger Krieg" in die Geschichtsbücher eingingen, die Selbstständigkeit der Niederländischen Republik auch formal anerkannt.

Der Kreisel am Ende der knapp einen Kilometer langen Maliebaan dient als Wendepunkt. Da hat sich an der Spitze hinter einigen Hasen - auch im Mittelfeld sind die einst im münsterländischen Steinfurt erfundenen aber längst weltweit verbreiteten Zugläufer für bestimmte Zeitmarken im Einsatz - bereits eine Spitzengruppe mit ungefähr einem Dutzend Läufern aus Kenia, Tansania und Marokko gebildet, in der ein Franzose mit dem wenig französischen Namen Hassan Belkhanouch der einzige europäische Vertreter ist.

Auf der knallgelben Vleutensebrug geht es über den Amsterdam-Rijn-Kanal Auch in den Niederlanden sind Brücken nicht immer niedrig

Bis die Gruppe mit den schnellsten Niederländern, unter anderem Marcel Uppelschoten und Harm Sengers, am gleichen Punkt vorbei kommen, sind dann schon über zwei Minuten vergangen. Deutlich größer sind die Abstände bei den Frauen. Dort hat sich Zeddy Chepkoech Rere aus Kenia bereits klar von ihren Konkurrentinnen gelöst und einen Vorsprung von mehr als einhundert Metern vor der Ukrainerin Olena Biloshchuk heraus gearbeitet.

Während unter den genannten Damen an der Spitze keine der Siegerinnen der letzten Jahre dabei ist, sind Mariko Kiplagat, der Gewinner von 2007 und Vorjahressieger William Kipchumba in der Kopfgruppe dabei. Beide erzielten bei ihren Erfolgen jeweils neue Streckenrekorde. Inzwischen steht die Marke bei 2:09:41. Und auch Sammy Chumba, der 2008 auf dem Treppchen ganz oben stand, steht in der Startliste. Zum zehnten Jubiläum des Utrechter Marathons hat man sich besondere Mühe bei der Zusammensetzung des Elitefeldes gegeben.

Doch kann man über diese Zählung heftig debattieren. Denn bereits seit dem Jahr 1978 wird in der Stadt am Kromme Rijn Marathon gelaufen. Jährlich wurde er meist im Mai, manchmal auch Ende April gestartet. Erst 1998 endete die Serie. Danach beschränkte man sich nur noch auf den in die Veranstaltung integrierten Halbmarathon.

Genau in diese Lücke stieß zur Jahrtausendwende dann der Leidsche Rijn Marathon, zu dem der traditionell am Ostermontag ausgetragene, fünfzehn Kilometer lange Paasloop in der damals noch selbstständigen Gemeinde Vleuten-De Meern erweitert worden war. Seinen Namen hatte er von der zwischen Utrecht und Vleuten-De Meern geplanten neuen Siedlung, deren erste Bauabschnitte zu diesem Zeitpunkt kurz zuvor begonnen worden waren.

Im Jahr 2001, die Fläche Utrecht hatte sich gerade durch die Eingemeindung des Marathonstartortes beträchtlich nach Westen vergrößert, fiel das Rennen gleich wieder aus. Die in den Niederlanden ausgebrochene Maul- und Klauenseuche verhinderte die erneute Austragung. Allerdings ging es am nächsten Ostermontag beim Leidsche Rijn Marathon wieder über zweiundvierzig Kilometer.

Der Termin am "tweede paasdag" blieb, doch 2005 wurde aus der Veranstaltung durch die Fusion mit dem ja ebenfalls noch weiter existierenden "Halve marathon van Utrecht", der dafür im Kalender nach vorne wanderte, wieder der "Utrecht Marathon". Und auch der Start und das Ziel, die sich beide für einige Jahre in De Meern befunden hatten, wanderten schließlich zurück in die Innenstadt.

Für die Chronisten ist dieser Verlauf nun wirklich keine einfache Konstellation. Doch auch in Deutschland gibt es - zum Beispiel in Frankfurt, München oder auch Bremen - mehr oder wenige lange unterbrochene Serien mit Neustarts durch andere Veranstalter. Manchmal wird dann durchgezählt, manchmal auch nicht. Es ist eben nicht immer leicht, sich auf etwas - und sei es auch nur eine simple Nummer - fest zu legen.

Ein übergroßer Osterhase und ein Luftballonbogen empfangen die Läufer in Groenendijk Sambatrommel helfen in De Meern über eine kleine Welle

Wenn der Stadtteil Leidsche Rijn in etwa einem Jahrzehnt komplett bebaut sein wird, sollen darin rund achtzig- bis hunderttausend Menschen ihre Heimat finden. Für die Stadt Utrecht, in deren politischen Grenzen zur Zeit rund dreihunderttausend Einwohner leben, bedeutet das ein beträchtliches Wachstum. Selbst wenn man die Vorortgemeinden im Umland dazu nimmt, die noch einmal eine ähnlich große Bevölkerungszahl beisteuern können, bleibt es noch immer eine Vergrößerung um mehr als zehn Prozent.

In und um Leidsche Rijn wird der größere Teil des Marathons ausgetragen. Denn mit der Wende ist der am weitesten vom Start entfernte Punkt im Innenstadtbereich schon erreicht. Genau auf dem gleichen Weg, den man dorthin gelaufen ist, geht es dann auch wieder zum Messegelände zurück. Erst entlang von Maliebaan und Singel, dann unter der Bahn hindurch und schließlich über die einen Kilometer lange Gerade zur Jaarbeurs.

Wirklich ungewöhnlich ist eine so geschnittene Strecke bei niederländischen Marathons absolut nicht. Auf der Suche nach schnellen Kursen opfert man relativ oft die Attraktivität. Auch der Rotterdam Marathon führt zum Beispiel hauptsächlich durch den Außenbereich der Stadt und optisch relativ wenig hergebende Vortortsiedlungen. Er endet übrigens traditionell auf eine "Coolsingel" heißenden Straße. Doch einen Graben gibt es dort nicht mehr. Der ist längst zugeschüttet.

Und in Amsterdam bekommt man den Grachtenring, der die Stadt doch eigentlich auszeichnet, inzwischen praktisch nicht mehr zu sehen. Bis ins eigentliche Zentrum dringt er nach einer Kursänderung vor einigen Jahren überhaupt nicht mehr vor. Vielmehr werden die Marathonis in genau die andere Richtung aus der Stadt hinaus geleitet und absolvieren einen Teil der Distanz sogar in vollkommen ländlicher Umgebung entlang der Amstel. Unter einem Citymarathon stellt sich mancher Teilnehmer vielleicht dann doch etwas anderes vor.

Jetzt darf man wieder direkt vor der Jaarbeurs vorbei laufen. Ja, sogar noch mehr. Eine scharfe Kehre führt die Marathonis direkt in den Zielkanal hinein und gibt ihnen damit die Möglichkeit, nach genau zehn Kilometern bereits Appetit für den zweiten, endgültigen Durchlauf anzusammeln. Es ist dieser Schlenker unter den Zielaufbauten hindurch, der das Rätsel der längs aufgestallten Gitter im Startbereich klärt. Denn nachdem man die so gleich mehrfach nutzbare Verpflegungsstelle hinter der Ziellinie passiert hat, führt ein zweiter Wendepunkt auf genau dem gleichen Weg, nur auf der anderen Seite der Absperrungen, auch wieder hinaus.

Wenig hat sich auch auf den zweiten fünf Kilometern an der Spitze getan. Denn noch immer hängt der Zug mit allen Favoriten - unter anderem die Kenianer William Kipchumba, Mariko Kiplagat, Joash Kipkoech Mutai, Moses Kiptum und Kenneth Kiprono Korir, der Marokkaner Ahmed Nasef, Andrea Sambu Sipe und Andra Silvini aus Tansania sowie eben dem Franzosen Hassan Belkhanouch - hinter den als Lokomotiven dienenden Schrittmachern. Der Fahrplan deutet auf eine 2:10 hin.

Zeddy Chepkoech Rere, die inzwischen schon fast eine Minute auf die Ukrainerin Olena Biloshchuk heraus gelaufen hat, geht ihren Alleingang fast noch mutiger an. Hat sie doch bei einer Durchgangszeit von 36:16 eine Endzeit im Visier, die den bisherigen Streckenrekord der ebenfalls aus Kenia stammenden Lydya Kurgat von 2:34:28 um ungefähr zwei Minuten unterbieten würde.

In der neuen Siedlung Leische Rijn wird viel am Wasser gebaut An einem See ist der entfernteste Punkt erreicht

Die zu diesem frühen Zeitpunkt noch nicht gar zu unangenehme Spitzkehre bringt die Läufer zurück auf die Hauptstraße. Wieder einmal läuft man den gerade erst passierten Weg in genau entgegengesetzter Richtung. Gegenüber der Stelle, an der man auf sie einbiegt, zwischen Messegelände und Hauptbahnhof erhebt sich ein nach der niederländischen Königin Beatrix benanntes Theater. Während anderswo Monarchien abgeschafft und Republiken eingeführt wurden, sind die Niederlande den genau umgekehrten Weg gegangen.

Bis zur Eroberung durch französische Truppen nach der dortigen Revolution war das Land schließlich formal eine Bundesrepublik, wenn auch die Vorfahren der heutigen Königin aus dem Hause Oranien in der mehr oder weniger erblichen Position des "Statthalters" am Ende eine durchaus vergleichbare Rolle spielten.

Mit dem Ende der napoleonischen Ära kam das - nach den Intermezzos der "Batavischen Republik" und dem vom Bonaparte-Bruder Louis regierten "Königreich Holland" - zwischenzeitlich von Frankreich annektierte Land als "Verenigd Koninkrijk der Nederlanden" unter einem oranischen Monarchen auf die Karte zurück. Nicht nur die heutigen Niederlande umfasste dieser Staat sondern auch die Territorien, die nun als Belgien und Luxemburg selbstständig sind. Benelux ist also mitnichten eine neue Idee.

Doch nur fünfzehn Jahre später war mit der belgischen Revolution der Bund wieder zerbrochen. Die mehrheitlich katholischen Regionen im Süden, in denen zudem meist Französisch oder der französische Dialekt Wallonisch gesprochen wurde, wollten sich mit der Dominanz des calvinistischen Nordens nicht abfinden und erklärten sich 1830 für unabhängig.

Die weiterhin bestehende Union mit Luxemburg zerbrach 1890, als Wilhelm III, König der Niederlande und Großherzog von Luxemburg, keinen männlichen Nachkommen hatte. Denn während das Erbrecht in den Niederlanden auch eine Tochter des Regenten, nämlich Wilhelmina, als Thronfolgerin akzeptierte, war das in Luxemburg zu jener Zeit noch nicht zulässig. So ging der Titel an eine andere Seitenlinie des Hauses Oranien-Nassau über.

Seit diesem Zeitpunkt hatten die Niederlande nur noch Königinnen als Staatsoberhaupt. Auf Wilhelmina folgte Juliana und auf diese schließlich Beatrix. Doch mit dieser wird die Reihe der weiblichen Monarchen wohl enden. Und Utrecht ist daran sogar ein wenig beteiligt. Denn der Kronprinz Willem-Alexander wurde genau wie seine beiden Brüder Johan-Friso und Constantijn in der Stadt geboren.

Auch den nächsten Kilometer kennen die Marathonis schon, denn nun läuft man auf der Einführungsrunde in die entgegengesetzte Richtung. Zumindest bis zur hinter der Jaarbeurs gelegenen Spielbank von Utrecht, über der mit "Holland Casino" ausgerechnet ein Name steht, der den ganzen Mühen des Besserwissers, den Unterschied zwischen den "Niederlanden" und "Holland" zu erklären, einen schweren Rückschlag versetzt.

Immer wieder läuft man an Entwässerungsgräben entlang Manchmal wird es an der Strecke richtig ländlich

Überall im Land, auch in allen nichtholländischen Provinzen treten die staatlichen Glücksspielstätten nämlich unter dieser Marke auf. Nicht immer nimmt man es auch in Nederland - im Gegensatz zu den meisten anderen Sprachen, in denen ja zum Beispiel von "the Netherlands", "los Países Bajos" oder "les Pays Bas" die Rede ist, wird der Landesname im Niederländischen in der Einzahl verwendet - mit der Begrifflichkeit ganz genau.

Dort wo man neben dem Casino vorhin an den Merwede-Kanal - ein weiterer der durch und um Utrecht führenden Kanäle, der zwischen Messegelände und Spielbank verläuft und den man inzwischen schon zum dritten Mal überquert hat - kam, beginnt dann aber doch wieder Neuland für die Marathonis. Denn jetzt folgt man der parallel zum Kanal verlaufenden Straße, anstatt erneut, zum vierten Mal über ihn hinweg und damit wieder zurück zu Start und Ziel zu laufen.

Dass die Unterführung unter der Brücke hindurch auch deutlich tiefer als der Wasserspiegel absinkt, fühlt sich schon etwas seltsam an. Aber in einem Land, das zu über einem Viertel unterhalb der Meeresoberfläche liegt, ist so etwas völlig normal. Und insgesamt sogar mehr als die Hälfte der Niederlande, die ihren Namen also vollkommen zu recht tragen, ist weniger als eine Handvoll Meter oberhalb dieses Ozeanniveaus. Kein Wunder, dass man sich da durch ein verändertes Klima und den dadurch steigenden Wasserspiegel besonders bedroht fühlt.

Wie flach es im Land ist, zeigt auch, dass die östlich von Utrecht gelegenen, nur rund fünfzig Meter hohen Hügel als "Utrechtse Heuvelrug" - "Utrechter Hügelrücken" - schon den Status eines erwähnenswerten Höhenzuges haben. Nur ganz im Südosten, in der Provinz Limburg - eine Region, die erst mit der Gründung des Königreichs 1815 zu den Niederlanden kam und nach der belgischen Revolution dann zwischen beiden Staaten geteilt wurde - gibt es wirklich nennenswerte Erhebungen mit dreistelligen Höhenangaben.

Es gibt sehr wohl einige Staaten, durch deren höchsten Punkt eine Grenze verläuft. So taucht ja auch der größte Berg Deutschland, die Zugspitze, in der österreichischen Liste irgendwo um Rang dreißig auf. Eine Tatsache, die durchaus anschaulich zeigt, wie uninteressant manche Superlative aus einem etwas anderen Blickwinkel auf einmal sein können.

Doch sicher ziemlich ungewöhnlich ist es, wenn es sich beim Gipfel eines Landes auch noch um ein Dreiländereck handelt. Wo die Niederlande in der Nähe von Aachen auf Belgien und Deutschland treffen, findet sich mit 322 Metern nämlich der Vaalserberg. Und höher geht es in den Niederlanden nirgendwo hinaus.

Wenig später, nachdem man die Unterführung hinter sich gebracht hat, verlässt man dann aber doch den Kanal und holt zu einem weiten Rechtsbogen um einen Park aus. In der Reihenhaussiedlung auf der anderen Straßenseite findet man dagegen den Beleg, dass es sich bei den Erzählungen von vorhanglosen niederländischen Wohnungen keineswegs nur um haltlose Gerüchte handelt.

Musikkapellen sorgen unterwegs für Stimmung ... ... und freuen sich auch, wenn sie fotografiert werden

Nicht bei allen, aber bei vielen Fenstern, auch bei den größeren, ist das tatsächlich so. Es wäre nicht das geringste Problem, mitten in die Wohnzimmer hinein zu sehen. Doch gehört es eben zum Anstand und guten Ton, dass man es nicht tut. Zumindest nicht so, dass man es merkt. Denn dass ausgerechnet bei den Niederländern die Nachbarschaft nicht doch gelegentlich einmal neugierig wird, was denn da nebenan so alles passiert, dürfte nun wirklich ein Gerücht sein.

Der Bogen endet wieder am Merwede-Kanal, dem man auf dem Uferweg für einen weiteren Kilometer folgt, um ihn dann doch noch ein viertes Mal zu überqueren. Ein Gewerbegebiet nimmt die Läufer kurz danach auf. Und langsam fängt die Straße auch an spürbar zu steigen. Es ist keine natürliche Erhebung, denn der Marathon bleibt auf der völlig ebenen Seite der Stadt. Doch auch in den Niederlanden sind Brücken nicht immer niedrig.

Knallgelb gestrichen ist der Stahlbogen der Vleutensebrug, über die das Marathonfeld den bisher breitesten Wasserweg quert. Waren auf den bisher passierten Kanälen maximal kleine Kähne einzusetzen, können auf diesem große Flussschiffe fahren. Und sie tun es auch wie ein Blick nach unten zeigt. Doch ein richtiger Fluss ist es eigentlich auch nicht, den man da überläuft. Es handelt sich nämlich um den Amsterdam-Rijn-Kanal, der die niederländische Metropole mit den Hauptmündungsarmen des Rheins verbindet.

Doch sind die Grenzen zwischen Flüssen und Kanälen in den Niederlanden ohnehin ziemlich - in diesem Zusammenhang ein absolut passendes Wort - fließend. Seit Jahrhunderten, ja eigentlich fast seit Jahrtausenden betreiben die Bewohner der Region Wasserbau, errichten Dämme zum Schutz vor Überflutungen, leiten Flüsse je nach Notwendigkeit auch einmal um, verschaffen ihnen neue Betten oder verbinden sie zur Abkürzung mit Kanälen.

Und die Natur selbst verändert die Stromverläufe ebenfalls immer wieder einmal, wenn sich die Wassermassen im gemeinsamen Delta von Rhein, Maas und Schelde in schöner Regelmäßigkeit neue Wege suchen. Nur so ist manchmal auch die Namensvergabe zu erklären. Denn die Bezeichnung "Rhein" geht irgendwann auf schmale, früher aber sicher einmal deutlich größere Seitenarme über, von denen es dann zu allem Überfluss auch noch eine verwirrende Vielfalt gibt.

Die Äste, die heutzutage das meiste Wasser aufnehmen, heißen dagegen Lek und Waal, haben also eigentlich gar keinen Bezug mehr zur Benennung des Flusses, von dem sie gespeist werden. Noch gesteigert wird das ganze Durcheinader, wenn in der Nähe von Rotterdam dann Oude und Nieuwe Maas hinzukommen. Auch "alte" und "neue Maas" sind nämlich in Wahrheit Rheinarme und enthalten, nachdem die Verbindung zum Namensgeber durch einen Damm gekappt wurde, eigentlich gar kein Maaswasser mehr.

Jedenfalls ist das Wasserstraßennetz in den Niederlanden mindestens genauso dicht wie dasjenige von Eisen- und Autobahnen. Und als Schiffsführer muss man sich in dem Gewirr von Abzweigungen und Kreuzungen, Flüssen und Kanälen vermutlich ziemlich gut auskennen, um nicht in eine Sackgasse hinein zu steuern und am Ende auch tatsächlich den jeweils richtigen Hafen zu erreichen.

Nach 32 Kilometern durchläuft man den alten Ortskern von Vleuteni Noch einmal kommt man auf dem Heimweg in De Meern vorbei

Den von Utrecht haben die Marathonis gerade passiert. Und die um ihn herum entstandenen Gewerbeflächen sind auch weiterhin weiter am Wachsen, wie die große Baustelle zeigt, die man bei Kilometer fünfzehn durchläuft. Diese ist zwar nun wahrlich nicht besonders attraktiv, doch nach einem Kilometer ist man wieder in einem Wohngebiet und damit einer deutlich ansprechenderen Umgebung angelangt.

Dort ist dann auch die schon längst überfällige Verpflegungsstelle aufgebaut. Denn obwohl auch beim Marathon von Utrecht acht von ihnen auf der Strecke verteilt sind, nimmt man es mit ihrer Positionierung nicht ganz so genau wie im Mittelmeerraum, wo die Versorgungstische in ganz exakter Auslegung der Regeln des Verbandes tatsächlich oft direkt neben den Kilometermarken beginnen. Vielmehr hat man sie wohl eher nach logistischen Gesichtspunkten aufgebaut.

Eigentlich lässt auch nur diese eine, die zum fünfzehnten Kilometer gehört, aber erst bei dem Schild mit der "16" auftaucht, etwas länger auf sich warten. Alle anderen finden sich zumindest in der Nähe ihres Bestimmungsortes. Und dass man gerade die letzten beiden Posten dann sogar noch ein wenig vorgezogen hat, wird sicher von keinem der Läufer wirklich bedauert.

Solide, wenn auch nicht unbedingt üppig ist die Auswahl. Wasser und Elektrolytgetränke sowie Bananen gibt es aber dennoch praktisch überall. Genug um auch ohne eigener Verpflegung gut über die Strecke zu kommen. Und im weiteren Verlauf des Rennes sorgen in De Meern, Vleuten und Leidsche Rijn außerdem etliche private Wasserstellen für zusätzliche Erfrischung zwischendurch.

Auch jetzt bekommen die Marathonis bereits kurz hinter der offiziellen Verpflegung erneut Becher hin gehalten. Ein übergroßer Osterhase und ein Luftballonbogen empfangen die Läufer zur Streckenparty in und auf dem Groenendijk. Das ganze Viertel hat seinen Namen nämlich von jenem zwischen zwei mit Wasser gefüllten Gräben verlaufenden Asphaltband, das man inzwischen unter den Füßen hat und bei dem man nicht so wirklich entscheiden kann, ob es sich dabei nun um einen besonders breiten Radweg oder eine ziemlich schmale Straße handelt.

Auch diese Gräben sind ein typisches Merkmal der Niederlande, selbst wenn man ihnen auch in der Norddeutschen Tiefebene regelmäßig begegnen kann. Doch in einem Land, in dem das Wasser mangels Gefälle eigentlich gar nicht abfließen kann oder sogar in die falsche Richtung - nämlich in die unter dem Meeresspiegel liegenden Flächen - strömen würde, muss man sich etwas ganz besonderes einfallen lassen.

Je tiefer sich der Boden befindet, umso dichter ist das Netz der Entwässerungsgräben, das dafür sorgt, dass man den im Land nicht unbedingt seltene Regen auch wieder irgendwie los werden kann. Pumpen sorgen dafür, dass das Wasser nach oben gepumpt wird. Dämme verhindern anschließend, dass es wieder zurück strömt.

Schnurgerade ist kilometerlang der Rückweg ... ...und verläuft immer entlang des Oude Rijn

Die vielen Windmühlen in den Niederlanden, die ja auch zu den Markenzeichen des Landes gehören und - wie der Name "Holländer" für einen Mühlentyp zeigt - sogar in vergangener Zeit ein Exportprodukt des Landes wahren, sind keineswegs nur zur Mehlerzeugung gebaut. Vielmehr schöpfte ein großer Teil von ihnen Flüssigkeit aus den mühsam dem Wasser abgerungen Poldern in immer höher gelegene Gräben und halfen so bei der Trockenlegung immer weiterer Flächen.

Wasserbau ist nun wahrlich ein Spezialgebiet der Niederländer. Welches Land sonst kann denn schon behaupten, sich selbst eine neue Provinz geschaffen zu haben. Denn neben den sieben bzw. nach der Teilung von Holland acht ursprünglichen Regionen und den zwar ebenfalls von Anfang an zum Staatsgebiet gehörenden, aber erst spät zu selbstständigen Provinzen gewordenen Drenthe und Noord-Brabant - der südliche Teil von Brabant liegt in Belgien - sowie dem schon erwähnten Limburg gibt es seit 1986 auch noch Flevoland.

Vor nicht einmal einhundert Jahren erstreckte sich dort noch die Zuidersee. Nachdem diese weite Meeresbucht 1932 von der offenen See durch den zweiunddreißig Kilometer langen "Afsluitdijk" - auf Deutsch "Abschlussdeich" - abgeriegelt wurde, entstanden dort mehrere große Polder, die nach ihrer Fertigstellung und Besiedlung zur jüngsten Provinz der Niederlande erhoben wurden.

Man muss aber wohl vorsichtig sein und von der "vorerst letzten Provinz" sprechen. Denn noch gäbe es hinter dem Afsluitdijk noch genug Wasserfläche zur weiteren Landgewinnung. Doch kurzfristig ist erst einmal nicht daran gedacht in der früheren Zuidersee und jetzigen Ijsselmeer neue Polder anzulegen. In den Begriffen kommt übrigens eine klassische Verwechslungsfalle zwischen dem Deutschen und der niederländischen Sprache zum Vorschein. Denn mit "Meer" ist dort ein Süßwassersee gemeint, "See" bezieht sich dagegen immer auf das Meer.

Am Ende des Groenendijk, wird es für einen kurzen Moment ein wenig ländlicher. Denn zwischen den neuen Siedlungen gibt es gelegentlich doch auch alte Bauernhöfe und sogar das eine oder andere Feld. Doch sind das meist nur kurze Momentaufnahmen. Schnell nachdem die Strecke für den nächsten Kilometer auf eine nun auch wieder deutlich als solche zu identifizierende Straße eingebogen ist, verdichtet sich die Bebauung nämlich erneut.

Doch ist sie keineswegs mehr städtisch, besteht nicht aus Wohnblöcken, sondern zumeist aus Einzelhäusern mit großen Gärten. Der Ortskern des früheren Start- und Zielpunktes De Meern, den man gerade durchläuft, ist sichtbar natürlich gewachsen und nicht auf dem Reißbrett geplant. Er zieht sich entlang eines Wasserlaufes, dem auch die Marathonis nach einem Rechtsschwenk nun folgen.

Selbst wenn man es kaum glauben möchte, handelt es sich dabei um den Oude Rijn, also den "alten Rhein". Von einem der noch zur Römerzeit wichtigsten Mündungsarme des Stromes ist aber durch natürliche Veränderungen und menschliche Eingriffe nur noch ein wenige Meter breites Flüsschen übrig geblieben. Schnurgerade verläuft er in einem kanalisierten Bett durch De Meern nach Westen. Sein Ziel ist die Stadt Leiden. Und die sich daraus ergebende, zweite Bezeichnung des Flusses hat immerhin dem kompletten neuen Utrechter Stadtteil den Namen gegeben.

Dem schmalen Flüsschen sieht man wirklich nicht an, dass er ein Rheinmündungsarm ist Da ist es am Amsterdam-Rijn-Kanal, an dem ein Schrittmacher seine Gruppe durchzählt, schon breiter

Genau wie am Groenendijk haben sich auch in De Meern an etlichen Stellen Zuschauergruppen eingefunden. In den Außenbezirken ist in dieser Hinsicht meist deutlich mehr los als beim kurzen Besuch in der Innenstadt. Man gibt sich allerdings auch wirklich Mühe. So trommeln gleich an mehreren Stellen Sambabands oder schmettern Blaskapellen Stimmungsmusik aus ihren Blechinstrumenten. Es ist schon erstaunlich, dass bei entsprechendem Arrangement selbst die Titelmelodie von Biene Maja wieder Schwung in die nicht mehr ganz so frischen Beine bringen kann.

Kurz vor der Halbmarathonmarke endet das erste Gastspiel am Oude Rijn. Die Absperrungen in der Mitte der Straße, auf die man eingeschwenkt ist, zeigen aber, dass man wohl zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal zurückkehren wird. Nicht wirklich kleiner geworden ist die Spitzengruppe auch bei Halbzeit des Rennens, selbst wenn die ersten langsam Probleme bekommen, den Anschluss zu halten.

Das Tempo ist allerdings ein wenig abgesunken. Knapp sechsundsechzig Minuten als Durchgangszeit für die erste Hälfte lassen einen erneuten Streckenrekord nicht mehr allzu wahrscheinlich wirken. Der spürbar aus westlicher Richtung blasende Wind fordert langsam seinen Tribut. Im platten Land findet er eben doch immer wieder einmal Angriffspunkte im Läuferfeld.

Auf gut sieben Minuten vergrößert hat sich inzwischen der Rückstand der Gruppe mit den schnellsten Einheimischen, die immerhin noch in etwas mehr als 1:13 über die Matte laufen. Der Sieger wird - wie es allerdings schon vor dem Start nicht anders zu erwarten war - mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aus dem Ausland kommen.

Im Frauenrennen liegt zwar Zeddy Chepkoech Rere auch weiterhin mit 1:18:19 in Front. Allerdings hat sie ihren Vorsprung keineswegs vergrößern können. Ganz im Gegenteil Olena Biloshchuk folgt nur noch sechsundzwanzig Sekunden hinter der vielleicht doch etwas zu schnell angelaufenen Kenianerin. Zwischen diesen beiden muss sich jedoch das Rennen eigentlich entscheiden.

Denn bis die Tschechin Jirina Kocianova als Dritte die Zeitmessung nach 1:26:51 erneut zum piepen bringt, vergehen schließlich volle acht Minuten. Die Niederländerin Nina Bakker und die Belgierin Ange Dammen kommen wenig später ebenfalls noch auf einem Kurs unter drei Stunden vorbei.

Nur kurz war man zwischen Kilometer zwanzig und einundzwanzig über offenes Land unterwegs. Jetzt ist man wieder in bebautes Gebiet hinein gelaufen. Das ist keineswegs erstaunlich. Schließlich ist die Provinz Utrecht nach Zuid-Holland und noch vor dessen nördlichem Gegenstück der am zweitdichtesten bevölkerte Landesteil. Mehr als doppelt so viele Menschen wie im Landesdurchschnitt leben hier auf einem Quadratkilometer.

Und dass will etwas heißen. Schließlich gelten die Niederlande auf diesem Gebiet abgesehen von einigen Klein- und Kleinststaaten wie Monaco, Malta oder San Marino als absoluter Spitzenreiter der europäischen Rangliste. Ein wenig relativiert sich das ganze allerdings, wenn man feststellt, dass im sogar noch etwas kleineren Nordrhein-Westfalen noch einmal fast zwei Millionen Einwohner mehr zu Hause sind.

In der "Provincie Utrecht", die als kleinste der zwölf Provinzen eine Fläche einnimmt, die nur etwas größer als die von Berlin ist, zählt man jedenfalls etwa 1,2 Millionen. Doch wurde und wird ja selbst in den Außenbezirken der gleichnamigen Hauptstadt keineswegs wirklich verdichtet und in die Höhe, sondern eher lose und in die Breite gebaut, so dass die Abstände zwischen den einzelnen Siedlungekernen schon aufgrund der fehlenden Weite des Landes eher gering bleiben. Dafür sind diese aber dann auch ziemlich grün.

Drei Kilometer vor dem Ziel beginnt der Anstieg zur Brücke ... ... auf der man zum zweiten Mal den Amsterdam-Rijn-Kanal quert

Selbst bei der Planung eines so großen Stadtteils wie Leidsche Rijn legt man Wert darauf, dass die Bebauung möglichst kleinteilig erfolgt und immer Grünanlagen oder Wasserflächen in der Nähe sind. Der Fehler, den man in vielen anderen europäischen Städten gemacht hat, als man ganze Reihen anonymer Wohnsilos auf die grüne Wiese stellte, will man in Utrecht nicht wiederholen.

Da sind die doch etwas höheren Gebäude in der Nähe der Halbmarathonmarke schon regelrecht auffallend. Bewohnt werden sie allerdings zum größten Teil noch nicht. Denn unübersehbar wird an vielen der Gebäude noch herum gewerkelt. Und auch dort, wo keine Kräne oder Gerüste mehr stehen, sind sie noch nicht lange verschwunden.

Los ist hier dennoch etwas. Zumindest wird laut mit Musik und Ansage beschallt. An dieser Stelle ist eben nicht nur Halbzeit für die Langstreckler. Es ist auch der Startpunkt für den Zehner, die auf dem letzten Teil des Marathonkurses zurück zum Ziel laufen. Um 11:15 wird das stärkste Feld der ganzen Veranstaltung auf die Reise geschickt. In der Ergebnisliste werden am Ende 2864 Namen auftauchen.

Ganz oben steht dort der von Thomas Poesiat, der in 30:42 als Erster ins Ziel an der Jaarbeurs einläuft. Nach 32:01 wird Hamid Takhim aus Marokko Zweiter und hält damit Chris Hemstede um fünf Sekunden auf Distanz. Bei den Damen ist Emily Chemutai aus Kenia mit 34:46 die Schnellste. Dahinter folgen mit Nina Mathijssen (36:30) und Miriam van Reijen (36:44) zwei Holländerinnen.

Ja, richtig gelesen, Holland. Und das ist diesmal kein Versehen oder gar ein Fehler. Denn beide stammen aus dem nordholländischen Amsterdam, das zwar Hauptstadt jedoch nicht Regierungssitz - das ist Den Haag - der Niederlande ist. Und als Hauptstadt der Provinz Noord-Holland dient es auch nicht. Mit dieser Aufgabe wurde bei der Teilung Hollands, mit der 1840 auch dessen Dominanz ein wenig gebrochen werden sollte, nämlich Haarlem bedacht.

Auch der Halbmarathon, der um 14:00 gestartet wird, also wenn die Schnellsten über zweiundvierzig Kilometer längst im Ziel sind, wendet hier. Ihn wird der Belgier Stefan van de Broek in 1:05:17 vor seinem 1:05:57 benötigenden Landsmann Gino van Geyte und dem zeitgleichen Franzosen Regis Bordier für sich entscheiden können.

Bei den Frauen wird der Sieg nach Kenia gehen. Naomi Jepkosgei legt dazu eine 1:15:31 hin. Doch nicht allzu weit hinter ihr kommt mit Lindsey van Marrewijk bereits die schnellste Einheimische ins Ziel. 1:16:19 zeigt die Uhr für sie am Ende an. Dritte wird in für eine Läuferin der W45 wirklich überzeugenden 1:18:11 "Altmeisterin" Nadja Wijenberg, die eigentlich gebürtige Russin, aber längst in den Niederlanden heimisch ist.

Die Strecke der Halbdistanz setzt sich aus dem zweiten und dem letzten Viertel des Marathonkurses zusammen, woraus sich jetzt eigentlich fast logisch ergibt, dass den Langstrecklern eine Schleife von gut zehn Kilometern bevor steht, bevor sie wieder an diesem Punkt vorbei kommen werden.

Mit Schwung geht es von der Brücke wieder hinunter Erst unter der nächsten Brücke durch, dann über sie drüber

Sie beginnt mit einer Passage, die erneut zeigt, dass der Stadtteil Leidsche Rijn nicht nur zufällig sondern mit voller Absicht vom Wasser geprägt sein wird. Denn erst einmal läuft man nun wieder für einige hundert Meter an einem Kanal entlang, an dessen gegenüberliegendem Ufer vor nicht allzu langer Zeit eine komplett neue Häuserzeile entstanden ist. In ihrem Aussehen erinnert sie allerdings schon jetzt durchaus ein wenig an die Grachtenstraßen in den Altstädten. Noch größer dürfte die Ähnlichkeit werden, wenn aus den auf beiden Seiten des Grabens frisch gesetzten jungen Bäumen einmal eine richtige Wasserallee geworden ist.

Doch wenig später werden nicht nur die Bäume sondern auch die Häuser wieder sichtbar älter. Auch die etwas schlenkrige Straßenführung deutet darauf hin, dass dieser Teil der Gegend schon etwas länger besiedelt ist. Der Kurs, der nun wieder erst nach Süden und dann nach Osten - also ungefähr in die Richtungen, aus denen man vor nicht allzu langer Zeit gekommen ist - führt, passiert nun das, was im Streckenplan als "Leidsche Rijn Park" eingezeichnet ist. Erst durchqueren und dann umlaufen soll man dieses dreihundert Hektar große Gebiet.

Allerdings sollte man sich darunter trotz des Namens keineswegs einen weiträumig angelegten Landschaftspark oder gar in mühsamer Kleinarbeit sorgsam gepflegte Gartenanlagen vorstellen. Entlang der belaufenen schmalen Straßen erstreckt sich vielmehr eine Streusiedlung zwischen einer Feld- und Wiesenlandschaft. Langfristig wird diese Fläche jedoch wirklich zu einem Parkgelände umgestaltet und soll dadurch zu einer grünen Lunge mitten im neuen Stadtteil werden.

Aufgemalte oder ins Pflaster eingelassene Blumen zieren die Rad- und Spazierwege, auf denen man nach ungefähr fünfundzwanzig Kilometern tatsächlich zur Umrundung ansetzt und dazu nach Norden einschwenkt. Rechts wachsen neugebaute Häuser, links erstrecken sich erste Sportplätze und dann wieder Grünflächen.

Doch hinter einer Bahnunterführung läuft man wieder ein Stück unter altem Baumbestand und entlang von Entwässerungsgräben zwischen vereinzelten Höfen entlang. Irgendwie hat man gelegentlich den Eindruck, dass sich das Areal noch nicht entschieden hat, ob es denn tatsächlich Stadt werden will oder nicht doch lieber Land bleiben möchte.

Am nördlichsten Punkt, wo der Kurs nach zwei Dritteln der Distanz in einem weiten Bogen zum Rückweg ansetzt, ist man in einem neu entstehenden Gewerbegebiet dann wieder mitten in der Stadt. Und das in einer nur durch Straßen und Baumärkte geprägten wenig attraktiven Gegend. Allerdings nur bis der Radweg, dem man noch immer folgt, einen Tunnel unter dem Autobahnzubringer hinter sich gelassen hat. Denn anschließend blickt man auf einen kleinen See. Der Marathon von Utrecht ist auch ein Lauf der Kontraste und des ständigen Wechsels.

Noch einmal werden zwischen dem Ortsrand von Vleuten, an dem die Marathonis inzwischen angekommen sind, und dem Wall der erhöht errichteten Umgehungstraße auf einem Begegnungsstück ordentlich Meter geschunden, um die Gesamtdistanz exakt hin zu bekommen. Anschließend können die Läufer auf einem der typischen zwischen Gräben verlaufenden Asphaltstreifen in der Grauzone zwischen Weg und Straße noch eine zweite Außenseite des früheren Dorfes und jetzigen Stadtteils begutachten.

Backsteinbauten prägen das Bild der Innenstadt Das Academiegebouw am Domplatz gehört zur Universität

Anschließend verläuft die Strecke jedoch mitten durch den Ortskern, in dem sich wieder an vielen Stellen die Bewohner zum Zuschauen versammelt haben. Sie bekommen noch immer einen dichten Pulk an der Spitze zu Gesicht, in dem noch mehr als ein halbes Dutzend Athleten die Chance auf den Sieg haben, selbst wenn sich die Reihen dort natürlich trotzdem langsam lichten.

Andra Silvini aus Tansania, der schon zur Hälfte Probleme mit dem Anschluss hatte, ist abgefallen und wird auf den letzten zehn Kilometern ziemlich einbrechen. Als Neunter nach 2:28:38 im Ziel braucht er für den Schlussabschnitt mehr als dreiundvierzig Minuten. Der ebenfalls schon abgehängte Marokkaner Ahmed Nasef kommt da doch wesentlich besser durch. Nur einen Platz aber fast zwölf Minuten davor wird er den Marathon nach 2:16:46 beenden.

Bei den Damen ist dagegen inzwischen tatsächlich etwas passiert. Denn die Ukrainerin Olena Biloshchuk hat die lange führende Kenianerin kurz zuvor überholt und nun ihrerseits einen kleinen Vorsprung von fünfzehn Sekunden heraus gelaufen, der jedoch noch nicht wirklich entscheidende Bedeutung haben muss. Doch angesichts des schon über zwölf Minuten großen Abstandes zur Dritten Jirina Kocianova scheinen die ersten beiden Plätze fast sicher vergeben.

Spätestens an der Eisenbahn, unter der man nun auch schon zum vierten Mal hindurch läuft, endet das eigentliche Vleuten und beginnt der neue Stadtteil Vleuterweide. Die Gesellschaft, die für die Planung und Bebauung verantwortlich ist, tritt übrigens als Sponsor des Laufes auf. Ein kleiner Zusammenhang, mit dem hier stattfindenden Zehnerstart, der Halbmarathonwende und dem zweimal vorbei kommenden Marathonkurs ist da irgendwie schon zu vermuten.

Inzwischen ist die Zusatzrunde der Langstreckler nämlich abgeschlossen und die nun für alle Distanzen gemeinsame Strecke strebt auf den Marathonis erst einmal bekannten Wegen dem Ziel zu. "Nog 9 km" steht wenig später auf der großen roten Fahne am Straßenrand, denn die letzten zehn Kilometer bis zum Ziel werden einzeln herunter gezählt.

Nicht nur aufgrund der Gegebenheiten ist es nicht allzu schwierig den Sinn der Aufschrift zu verstehen. Die meisten niederländischen Texte sind mit etwas Phantasie durchaus ganz gut lesbar. Wer des Englischen mächtig ist oder gar in Norddeutschland zu Hause ist und Plattdüütsch beherrscht, hat es sogar noch einfacher.

Denn das Niederländische ist nicht nur eng mit dem Deutschen verwandt sondern von diesem eigentlich gar nicht klar abzugrenzen. Die Dialekte gehen in den Grenzregionen fließend ineinander über und reichen wie das Niederrheinische oder das Limburgische oft auch über diese - historisch ohnehin eher zufällig entstandene - Linie auf die andere Seite hinaus. Sie sind dann auch eher aus politischer als aus sprachwissenschaftlicher Sicht der einen oder anderen Sprache zugeordnet.

Auch auf dem letzten Kilometer spielt noch einmal die Blasmusik Um die Messe herum stehen viele moderne Hochhäuser Auf dem Weg zum Ziel vermischen sich Lang- und Kurzstreckler

Im Laufe der Jahrhunderte entstanden - gemäß dem vermutlich gar nicht so unzutreffenden Satz "Eine Sprache ist ein Dialekt mit einer Armee und einer Marine" - daraus zwei noch immer nicht unähnliche, aber voneinander völlig unabhängige Schriftsprachen. Dass die Schweizer und die Österreicher nur mangels der fehlenden Seestreitkraft keine eigene Sprache haben, wäre allerdings auch ein grober Fehlschluss.

Selbst wenn dabei die Gleichsetzung von "Niederländisch" und "Holländisch" auch in diesem Fall wieder streng genommen nicht korrekt ist, hatten die holländischen Dialekte aufgrund der politischen und wirtschaftlichen Dominanz dieses Landesteils großen Einfluss bei der Entwicklung des Standards. Und so ist die Umgangssprache auch heute noch in Holland deutlich näher am Niederländischen als zum Beispiel die Mundarten in Limburg oder im belgischen Flandern.

An der Brücke über den Oude Rijn teilen sich die Strecken wieder. Jedoch nur für einen kurzen Schlenker, denn nach einem Kilometer ist man wieder am Flüsschen angekommen, dem man nun für den größten Teil des Heimweges folgen wird. Das tun die Marathonis nun allerdings auf der südlichen, also der gegenüberliegenden Uferstraße. Kerzengerade geht es vier Kilometer lang auf Utrecht zu. Immer auf der Suche nach der nächsten roten Fahne, die schon weit im Vorfeld sichtbar die nächste Zwischenmarke ankündigt.

Als die Spitzengruppe zum zweiten Mal durch De Meern läuft, ist sie weiter auseinander gefallen und droht endgültig zu zerreißen. Moses Kiptum aus Kenia - später in 2:13:57 immerhin noch Fünfter - und der Franzose Hassan Belkhanouch, der von ihm im Schlussspurt nur hauchdünn geschlagener Sechster wird, sind bereits heraus gefallen. Andrea Sambu Sipe, Joash Kipkoech Mutai und Kenneth Kiprono Korir mühen sich verzweifelt der Tempoverschärfung von Mariko Kiplagat zu folgen, der anscheinend nur William Kipchumba etwas entgegen zu setzen hat.

Innerhalb weniger Kilometer hat bei den Frauen dagegen Olena Biloshchuk ihrer kenianischen Konkurrentin eine weitere halbe Minute abgenommen, nun schon über zweihundert Meter Vorsprung heraus gelaufen und damit eine wohl vorentscheidende Lücke aufgemacht. Ein Doppelsieg der Läufernation aus Ostafrika wie im Vorjahr rückt in weite Ferne.

Erst jenseits des achtunddreißigsten Kilometers endet die lange Gerade, die wie ein Blick auf die Karte bestätigt, aber dennoch eine den Läufern kaum bewusste leichte Biegung vollzieht, am Amsterdam-Rijn-Kanal. Und den gilt es noch einmal zu überqueren. Schließlich findet sich die Jaarbeurs und damit das Ziel ja auf der anderen Seite.

Diesmal passiert das allerdings nicht auf der gelben Vleutensebrug sondern ein Stück weiter südlich über die hell gestrichenen Meernbrug, die man auf dem für einige hundert Meter parallel zum Kanal verlaufenden Streckenabschnitt schon einmal mit ein wenig Respekt betrachten kann. Niedriger als ihr Gegenstück bei Kilometer fünfzehn ist nämlich auch sie nicht.

Sportfotografen haben manchmal einen wirklich gefährlichen Job Gino van Geyte und Regis Bordier kämpfen vor laufender Kamera um Platz zwei im Halbmarathon Vorbei an Bürogebäuden führt der Schlussabschnitt

Man hat den hohen Bogen schon fast erreicht, bis man scharf rechts abbiegt, um ihn auch zu überschreiten. Eine Fahrradrampe bringt die Marathonis hinauf zur Zufahrtsstraße, auf der sie nach einem zweiten, diesmal sogar hundertachtzig Grad betragenden Schwenk dann die letzten Höhenmeter zur oben flatternden roten Fahne mit der Aufschrift "Nog 3 km" bewältigen.

Nur zur Hälfte für die Läufer gesperrt ist die Brücke und ihre Rampen. Doch ist die komplette Abtrennung mit Gittern vorgenommen. Viele hundert Meter von ihnen sichern die Strecke dort ab. Überhaupt treiben die Organisatoren in dieser Hinsicht einen wirklich beträchtlichen Aufwand. Ordner stehen an praktisch jeder noch so kleinen Kreuzung. Probleme mit dem motorisierten Verkehr gibt es auch deshalb nicht die Geringsten.

Genau an der Brücke übernimmt Vorjahressieger William Kipchumba die Spitze von seinem letzten verbliebenen Begleiter Mariko Kiplagat und löst sich auf dem anschließenden Gefällestück langsam aber sicher von ihm. Es ist kein wirklich großer Vorsprung, den er heraus arbeitet. Gerade einmal zehn Sekunden beträgt er im Ziel. Doch er reicht eben um den zehnten - oder vielleicht doch den einunddreißigsten - Marathon von Utrecht in 2:12:01 zu gewinnen.

Hinter den beiden Kenianern läuft Andrea Sambu Sipe aus Tansania, der den Kontakt zwar nie ganz verlor, aber eben auch die Lücke nicht mehr schließen konnte, in 2:12:25 auf Rang drei. Joash Kipkoech Mutai muss da doch schon deutlicher abreißen lassen, sichert sich aber immerhin noch Rang vier, während sein lange mithaltender Landsmann Kenneth Kiprono Korir kurz vor dem Ziel noch auf den siebten Platz nach hinten gereicht wird.

Auch wenn die Straße eigentlich direkt auf die Messe zuführen würde, können die Läufer sie dennoch nicht auf diesem Weg ansteuern. Denn eigentlich müsste man hinüber auf die andere Spur. Seit dem Kreisel, neben dem eine weitere Sambatruppe den vorletzten Kilometer ankündigt, verläuft in der Mitte jedoch eine Straßenbahnlinie, auf der man den Verkehr nicht unbedingt für viele Stunden unterbrechen möchte.

Also wird noch einmal die schon bekannte Unterführung am Merwede-Kanal aktiviert. Unter ihr hindurch gelangt man nämlich auch ohne die Gleise zu queren auf die Gegenspur. Die Brücke darüber, an der die letzten tausend Meter beginnen kennt man auch schon. Denn zum Abschluss wird auch der letzte noch fehlende Abschnitt der Einführungsrunde in Gegenrichtung gelaufen.

Kurz vor dem Ziel sind die Gruppen dann doch schon ziemlich geschrumpft Die letzten zehn Kilometer werden herunter gezählt Im Ziel wartet dann die verdiente Medaille

Wirklich größer ist der Vorsprung von Olena Biloshchuk bis hierher kaum noch geworden, Doch reicht ihr die zwischen Vleuten und De Meern aufgemachte Lücke zu einem ungefährdeten Sieg. Nach 2:39:43 durchreißt sie das Zielband. Zeddy Chepkoech Rere kommt in 2:41:04 auf einen noch viel weniger bedrohten zweiten Platz. Denn bis die Chipmatten den dritten weiblichen Zieleinlauf registrieren dürfen, vergeht über eine Viertelstunde. Erst bei 2:57:35 löst die Tschechin Jirina Kocianova sie aus.

Auch die bereits der W45 angehörende Nina Bakker bleibt mit 2:59:24 noch unter der Drei-Stunden-Marke. Ange Dammen, die diese zur Halbzeit auch noch in Reichweite hatte, wird in 3:03:34 schließlich Fünfte. Sogar noch größer als bei der schnellsten Einheimischen Nina Bakker ist der Rückstand des schnellsten Niederländers auf den ersten Platz. Marcel Uppelschoten wird als Gesamtzehnter in 2:32:19 registriert. Und hinter ihm wird die 2:40 nur noch vom 2:39:27 laufenden Andre Heeren geknackt.

Insgesamt kommen 547 Marathonis ins Ziel, womit man die Ergebnisse der beiden Vorjahre trotz des Jubiläums um gerade einmal ungefähr zwanzig Teilnehmer übertrifft. Dem Halbmarathon, der ziemlich passend 2010 Namen in der Ergebnisliste von 2010 aufführt, gehen trotz aller Presse-Jubelmeldungen nach der Veranstaltung sogar etliche Läufer verloren. Ein deutliches Indiz dafür, dass der Markt für das Hardlopen auch in den Niederlanden im Moment ziemlich gesättigt ist.

Denn an organisatorischen Mängeln kann es kaum liegen, dass der Zuspruch in Utrecht nicht größer ist. Die lassen sich nämlich selbst bei gründlicher Suche eigentlich kaum finden. Auch über das Preis-Leistungs-Verhältnis kann man sich nicht beschweren. Und die Strecke ist zwar nicht absolut spektakulär, aber durchaus interessant und abwechslungsreich. Vor allem ist sie aber ziemlich niederländisch.

Man muss nämlich nicht bis Holland, um in den Niederlanden Marathon laufen zu können. Es gibt auch anderswo im Land genug Möglichkeiten dazu. Utrecht und sein Marathon sind dabei sicher nicht die wirklich schlechteste Wahl. Beides kann man - um einen Spruch der Utrechter Macher zu benutzen - durchaus einmal "bekijken, beleven, belopen".

Bericht und Fotos von Ralf Klink

Ergebnisse und Infos unter www.athletic.nl/2010/nl

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