29. Maratón Ciudad de Sevilla (24.2.13)

Von Bananen, Orangen und Kirchen

von Ralf Klink

Man glaubt, die höhnischen Kommentare in den Ohren fast schon zu hören. "Die von LaufReport sind echt zu doof, die beherrschen ja nicht mal eine vernünftige Rechtschreibung." Deshalb sei gleich vorweg bemerkt, dass sich hinter dem letzten Wort der Titelzeile keineswegs eine falsch geschriebene Frucht verbirgt. Schließlich soll es hier in der Folge nicht nur um verschiedene Obstsorten gehen.

Gemeint sind vielmehr wirklich jene von Türmen und Kuppeln überragten Bauwerke, denen man insbesondere im katholisch geprägten Süden Europas beim Bummel durchs Zentrum einer größeren Stadt auf Schritt und Tritt begegnet. Das ist in Sevilla dann auch nicht im Geringsten anders als in Madrid, Barcelona, Lissabon, Venedig oder Florenz.

Man könnte sogar beinahe schon den Eindruck gewinnen, dass - natürlich einmal abgesehen vom in dieser Hinsicht wohl unschlagbaren Rom - die Kirchendichte nirgendwo höher ist als in der andalusischen Hauptstadt. Der einzige Vorwurf, der sich deshalb akzeptieren ließe, ist der Gebrauch eines nun wahrlich nicht unbedingt anspruchsvollen Wortspiels in der Überschrift.

Orangen und Kirchen sind die vielleicht auffälligsten Zutaten für das spezielle Menü, das Sevilla seinen Besuchern bietet

Denn auch der Begriff "Marathon" wird bei weitem nicht überall auf der Welt so geschrieben, wie man ihn zu kennen glaubt. Ganz im Gegenteil, völlig egal ob in Skandinavien, dem Baltikum, der Balkan- oder aber der iberischen Halbinsel fast überall taucht statt des hierzulande üblichen "th" eigentlich nur ein einfaches "t" auf. Das Rennen führt aus diesem Grund tatsächlich und im dortigen Sprachgebrauch vollkommen korrekt den Namen " Maratón de Sevilla".

Fast drei Dekaden hat der Lauf nun schon auf dem Buckel. Bis zurück ins Jahr 1985 reicht seine lückenlose Geschichte. Doch lange verharrte der Lauf in der - mit allen formal selbstständigen, aber praktisch mit ihr verwachsenen Vorortgemeinden immerhin rund eine Million Menschen zählenden - Metropole weitgehend im Dornröschenschlaf.

Während der ersten Hälfte seines Bestehens blieb der Sevilla Marathon bei der Größe des Feldes unter fünfzehnhundert Teilnehmern hängen. Bis zum ersten Überbieten der Zweitausendermarke mussten die Organisatoren vom städtischen Sportamt sogar bis ins neue Jahrtausend warten. Erst seit fünf Jahren wird dieser Wert, um den man noch eine ganze Zeit herum schwankte, nun deutlich übertroffen. Und seit diesem Zeitpunkt werden bei jeder Austragung neue Rekordwerte geschrieben.

Doch ist dies keineswegs typisch für den Maratón de Sevilla. Es handelt sich wohl eher, um eine allgemeine Entwicklung der spanischen Laufszene, die zuletzt einen gewaltigen Aufschwung erlebt hat. So hat sich innerhalb von nicht einmal zehn Jahren die Zahl der Zieleinläufe auf der iberischen Halbinsel beinahe verdreifacht. Im Südwesten Europas beginnt der Marathon-Boom, der hierzulande schon lange vorüber zu sein scheint, gerade erst.

Obwohl man dabei bezüglich der Veranstaltungsdichte auch weiterhin nicht ganz so aufgestellt ist wie im deutschsprachigen Raum, sind zuletzt in etlichen Städten des Landes neue Rennen hinzu gekommen. Las Palmas auf Gran Canaria, Zaragoza in Aragon im Nordosten, A Coruña in Galicien im Nordwesten, die andalusische Hafenstadt Málaga oder auch Castellón de la Plana bei Valencia und Tarragona unweit von Barcelona wären da als Beispiele zu nennen.

Vor allem haben aber die alle schon rund drei Jahrzehnte bestehenden Läufe in den großen Zentren deutlich zugelegt. Insbesondere das Interesse am Marathon in der katalonischen Metropole Barcelona, der noch vor gar nicht allzu langer Zeit bei dreitausend Teilnehmern herum krebste, ist regelrecht explodiert. Mit mehr als sechzehntausend Zieleinläufen im Jahr 2012 gehört er inzwischen zu den größten Rennen Europas. Nur noch die Megamarathons Berlin, London und Paris können da im Moment noch größere Zahlen bieten.

Die Zahl der Kirchen in der Altstadt geht in die Dutzende, oft sind sie wirklich farbenfroh gestaltet. Überragt wird alles aber vom Turm der Kathedrale. Die Giralda ist das Wahrzeichen und unübersehbarer Orientierungspunkt der Stadt

Im Umkehrschluss bedeutet dies aber auch, dass die Katalanen ihre Rivalen aus dem ungeliebten Madrid inzwischen deutlich abgehängt haben. Obwohl dort ebenfalls neue Teilnehmerrekorde verkündet werden konnten, blieb man in der spanischen Hauptstadt im Vorjahr jedenfalls ganz knapp unterhalb der Fünfstelligkeit hängen.

Als noch recht frischer Bestandteil der inzwischen weltweit auf mehrere Dutzend Veranstaltungen angewachsenen Serie der Rock'n Roll Marathons und Halbmarathons scheint das Überspringen der Marke allerdings schon bei der nächsten Auflage denkbar. Bei den modernen "Eventläufern" kommt dieses von einer - wohl nach dem großen Vorbild der Ironman Corporation agierenden - amerikanischen Veranstaltungsagentur nun auch in Europa platzierte Format anscheinend gut an.

Ob man diese durchaus mit einer gewissen Penetranz und Ignoranz durchgezogene Expansion wirklich mögen muss, steht dabei jedoch auf einem ganz anderen Blatt. Schon in den USA setzte man in der Vergangenheit einigen alt gedienten Veranstaltung einen neuen Konkurrenten praktisch direkt vor die Nase. Und in Oslo ist jetzt zum Beispiel ein neuer Halbmarathon genau für den gleichen Termin angekündigt wie der traditionsreiche Skogsmarathon in den nur wenige Kilometer entfernten Wäldern rund um den Holmenkollen.

Auch in Valencia, wo man sich fast immer in ähnlichen Größenordnungen wie Sevilla bewegte, dabei allerdings doch zumeist die Brust gegenüber den Andalusiern ein wenig vorne hatte, war zuletzt ein gewaltiger Schub zu erkennen. Innerhalb weniger Jahre haben sich die zuvor in der Regel zwischen zwei- und dreitausend liegenden Teilnehmerzahlen auf nun beinahe achttausend verdreifacht.

Wäre nicht auch allgemein in Spanien ein deutlicher Zuwachs bei den Marathonfeldern zu beobachten, könnte man als Begründung für diesen enormen Sprung sicher das nun direkt zwischen den futuristischen Bauten der Ciudad de las Artes y de las Ciencias befindliche Ziel, das praktisch einzigartige Bilder ermöglicht, nennen. Oder auch den Terminwechsel vom Februar in den November hervor holen, mit dem man das bisherige Gedränge im frühen Frühjahr ein wenig entzerrte.

Die Gärten der Reales Alcázares wären auch für sich alleine und ohne den benachbarten Palast eine echte Attraktion

Gerade für Sevilla bedeute dies - noch verstärkt durch den früher nur eine Woche später stattfindenden, neuerdings aber mit dem Datum ein wenig nach hinten gerutschten und nun erst Mitte März ausgetragenen Marathon von Barcelona - jetzt deutlich mehr Freiraum. Vielleicht schlägt auch dieser ein wenig bei den Zuwächsen durch, die das Rennen in Andalusien in diesem Jahr auf über siebentausend Meldungen und ziemlich genau sechstausend Zieleinläufe bringen.

Allerdings bleibt die Wirkung dieser nun etwas besser im Kalender verteilten Konkurrenz hauptsächlich auf die iberische Halbinsel beschränkt. Denn abgesehen von spanischen werden an der Startnummernausgabe eigentlich nur noch portugiesische Ausweise - deren Vorlage bei der Abholung wird im Infomaterial ausdrücklich verlangt - in etwas größerer Zahl gezeigt. Nach Lissabon ist es von Sevilla aus gesehen schließlich näher als nach Madrid. Jedenfalls sind mehr als neunzig Prozent des Feldes Iberer.

Das nächstgrößere Kontingent besteht dann schon aus nur noch etwas über mehr als einhundert britischen Staatsbürgern. Französische Pässe werden ebenfalls gut hundert Mal gezückt, italienische nur unwesentlich seltener. Aus dem gesamten deutschsprachigen Raum sind dagegen gerade einmal fünfzig Meldungen eingegangen. Ein typischer Marathon für Lauftouristen ist Sevilla damit wirklich nicht unbedingt.

Doch lässt sich eben auch die Metropole selbst - vermutlich ein wenig zu Unrecht - hierzulande nicht gerade besonders weit oben in der Rangliste der beliebtesten Städtereiseziele finden. Und wenn sie besucht wird, dann oft nur als eine von mehrere Stationen einer Andalusien-Tour, bei der in der Regel dann auch Córdoba, Granada, Ronda und Málaga auf dem Programm stehen. Mehr als ein- oder zweimal übernachtet man dabei selten.

Noch weniger bekommen jene Kreuzfahrtpassagiere zu Gesicht, denen man gelegentlich rund um die wichtigsten Sehenswürdigkeiten auch begegnet, wenn sie auf einem Tagesausflug in größeren Gruppen ihren Reiseführern hinterher trotten. Für einen ersten kurzen Eindruck mag dies eventuell reichen, doch wirklich erleben kann man die Atmosphäre einer Stadt wie Sevilla in wenigen Stunden natürlich nicht.

Von außen eher trutzig wirkend, präsentieren sich die Reales Alcázares, die königlichen Paläste in ihrem Inneren mit den filigransten Verzierungen

Von den mindestens zwei Dutzend Kirchen, die sich zumeist in den engen Altstadtgassen verstecken, hat man außer der gigantischen Kathedrale in dieser Zeit vermutlich kaum eine zu Gesicht bekommen - davon sich selbst einmal auf eigene Faust durch dieses unübersichtliche Labyrinth, das gelegentlich sogar ziemlich erfahrene Pfadfinder über die einzuschlagende Richtung rätseln lässt, treiben zu lassen ganz zu schweigen.

Für eine Besichtigung im Schnelldurchgang ist die Stadt eigentlich viel zu schade. Schon alleine in den "Reales Alcázares" kann man schließlich problemlos mindestens einen halben Tag verbringen - und zwar nicht nur ohne sich im geringsten zu langweilen sondern auch mit einem Mund, der aufgrund all der prächtigen Details immer wieder weit offensteht.

"Alcázar" ist ein Lehnwort aus dem Arabischen, das seinerseits aber vermutlich - nur ergänzt um einen Artikel - wieder vom lateinischen "castrum", das ein befestigter Heerlager bezeichnet, abgeleitet ist. Dieses stellt auch den sprachlichen Urvater des deutschen "Kastell", des englischen "castle", des französischen "château" des italienischen "castello" und eben auch des spanischen "castillo" dar.

Trotz ihrer gleichen Herkunft sind all diese Vokabeln bekanntermaßen keineswegs deckungsgleich, je nach Region und Sprache manchmal enger, manchmal weiter gefasst und gegeneinander verschoben. Die Übergänge zu "Schloss" - ein Wort, das es ansonsten ohnehin nur noch in Skandinavien gibt - und "Palast" sind zudem meist fließend. Auch "castillo" und "alcázar" überlappen sich. Doch versteht man unter ersterem in der Regel eher eine mittelalterliche Burg während "alcázar" einen befestigten Palast meint, der zudem oft auch einen maurischen Ursprung hat.

Der Bau von Sevilla geht jedenfalls tatsächlich auf eine "alcazaba" - ein weiterer Begriff, der die Auswahl erweitert und für arabische Festungen benutzt wird - zurück. Doch selbst wenn es ziemlich danach ausschaut, ist der größte Teil der Anlage nicht unter moslemischen Herrschern entstanden. Erst rund einhundert Jahre nach der Rückeroberung der Stadt durch die Christen im Jahr 1248 wurden die filigran verzierten Säulenhallen im Auftrag des kastilischen Königs Pedro I errichtet.

Obwohl später mehrere Erweiterungen im Stil von Gotik und Renaissance - vielleicht daher die Pluralform "Reales Alcázares" - vorgenommen wurden, bilden diese noch immer das Herzstück der schon vor über einem Vierteljahrhundert auf der Weltkulturerbe-Liste gelandeten Anlage. Und tatsächlich waren es trotz eines christlichen Bauherrn eben wie vermutet maurische Bauhandwerker und Künstler, die sie in all ihrer Pracht gestalteten.

Ganz so streng getrennt wie man es sich etliche Jahrhunderte später vorstellt, verliefen die Frontlinien während der ihrerseits mehrere Jahrhunderte dauernden Periode der Reconquista nämlich keineswegs. Da verbündeten sich bei den nicht gerade seltenen internen Streitigkeiten durchaus auch schon einmal muslimische mit christlichen Fürsten, um gegen eine ganz ähnlich zusammen gesetzte Gegenallianz in den Krieg zu ziehen.

Christliche und islamische Baukunst vereinigen sich im Palast zu einer einzigartigen und wirklich faszinierenden Mischung

Und so wie unter maurischer Herrschaft Christen oft weitgehend unbedrängt leben konnten, blieben auch nach der Vertreibung ihrer Truppen viele Moslems erst einmal in den zurück eroberten Gebieten. "Mudéjares" wurde diese Bevölkerungsgruppe genannt, die in ihrer Zahl die christlichen Einwohner der jeweiligen Region manchmal sogar deutlich überstieg. Der Mudéjarstil, in dem der älteste Teil der Reales Alcázares erbaut ist und der viele maurische mit einigen europäischen Elementen verbindet, lässt diese Bezeichnung weiter leben.

Auch war zum Beispiel das Emirat von Granada, das letzte nach den Feldzügen des dreizehnten Jahrhunderts noch verbliebene maurische Gebiet auf der iberischen Halbinsel viele Generationen lang dem König von Kastilien tributpflichtig und konnte auf diese Art der eigenen Eroberung entgehen. Man schickte Pedro - dessen Beiname "der Grausame" so gar nicht all diesen feinen Ornamenten passen will - sogar Handwerker für die Konstruktion seines Palastes.

Viele von ihnen waren deshalb vielleicht auch beim Bau der etwa gleichzeitig entstandenen Alhambra in Granada beteiligt. Doch während man von dieser vermutlich doch schon einmal irgendwo gehört hat, sind die kaum weniger spektakulären Reales Alcázares weitgehend unbekannt. Von festen, auf dem Ticket festgelegten Zugangszeiten wie bei den Nasridenpalästen von Granada und der damit verbundenen Massenabfertigung ist man weit entfernt.

Warteschlangen gibt es in Sevilla zwar auch ab und zu, aber eben nur kurze. Sie bilden sich außerdem nur vor maximal zwei und nicht gleich vor zwei Hände voll Kassen. Und insbesondere durch die weitläufigen Gartenanlagen, die auch ohne die Räume des Palastes schon alleine eine Visite wert wären, verteilen sich die Besucher jenseits des Einganges sowieso schnell wieder. Auch sind die Wartenden selbst weit weniger international zusammen gesetzt als beim berühmten Gegenstück zweihundert Kilometer weiter östlich.

Jedenfalls ist überraschend ausgerechnet amerikanisch gefärbtes Englisch die beim Bummel durch die Straßen und Gassen der Stadt vielleicht am häufigsten zu hörende Fremdsprache. Noch erstaunlicher kommt es zudem extrem häufig aus dem Mund ziemlich junger Besucher. Aus welchen Gründen auch immer scheint "Seville" jenseits des großen Teiches - auch und gerade bei der Jugend - als "travel destination" deutlich bekannter und populärer zu sein als in Europa selbst.

Obwohl er im Auftrag des kastilischen Königs Pedro I erbaut wurde, sind im Alcazar von Sevilla die maurischen Einflüsse nicht zu übersehen

Doch leicht haben es Interessierte eben auch nicht unbedingt, wenn sie in die Stadt kommen wollen. Immerhin liegt diese praktisch im äußersten Süden der iberischen Halbinsel und damit auch des gesamten Kontinents. Um mit dem Zug oder dem Auto aus Mitteleuropa zu gelangen, sollte man deswegen schon zwei Tage für jede Richtung einplanen. Alleine zwischen dem Überqueren der Pyrenäen und dem Erreichen der andalusischen Metropole muss man schließlich noch volle tausend Kilometer zurück legen.

Zwar besitzt Sevilla auch einen internationalen Flughafen. Aber abgesehen von einigen Billiggesellschaften, die nur etwa ein Dutzend Städte in ganz Europa ansteuern, starten und landen dort nahezu ausschließlich Inlandsverbindungen der Iberia. Ob der Grund dafür ist, dass wegen geringer Nachfrage nicht mehr Flüge angesetzt werden, oder aber ob aufgrund des nicht gerade üppig vorhandenen Angebots niemand nach Sevilla fliegt, ist dabei eigentlich egal. Vermutlich spielen beide Aspekte eine Rolle. Und der Effekt ist ohnehin der gleiche.

Ohne ein Umsteigen an einem der großen Drehkreuze in Madrid oder Barcelona ist also die Anreise mit dem Flieger ebenfalls nur schwer möglich. Mit allen Wartezeiten und Transfers ist man so ebenfalls mindestens einen halben Tag los, bevor man überhaupt in die Nähe des eigentlichen Urlaubszieles kommt. Natürlich hat man da wesentlich schneller mal einen Kurztrip nach Paris, London oder Amsterdam hinter sich gebracht.

Allerdings können diese im Februar auch mit kaum besserem Wetter als daheim aufwarten. In Andalusien dagegen ist die Wahrscheinlichkeit für deutlich angenehmere Temperaturen wesentlich höher. Selbst mitten im Winter sind die Durchschnittswerte für Sevilla nämlich zweistellig. Und nur in extrem seltenen Fällen rutschen die Tiefstwerte selbst nachts überhaupt einmal unter den Gefrierpunkt.

Auch und gerade für von Winterdepressionen geplagte Mitteleuropäer ist die Stadt um diese Jahreszeit ein absolut lohnendes Ziel. Denn die Chance, in Sevilla das zu Hause so sehnsüchtig vermisste Licht zu finden, ist nicht gerade klein. Im langjährigen Mittel scheint dort die Sonne schließlich in jedem der dieser Jahreszeit zugeordneten Monate Dezember, Januar und Februar genauso lange wie daheim in allen drei zusammen. Am Ende des besonders trüben Winters 2012 / 2013 schlägt dieser Effekt zudem noch viel stärker zu Buche.

Der Rio Guadalquivir war lange Zeit die Lebensader Sevillas und prägt noch immer das Gesicht der Stadt. Zwischen dem Torre del Oro (rechts) an seinem linken Ufer und dem wuchtigen Torre Triana auf der gegenüber liegenden Seite liegen immerhin fast acht Jahrhunderte

Auch deshalb findet der Maratón de Sevilla vielleicht wirklich zu einem absolut passenden Zeitpunkt statt. Viel weiter nach hinten im Kalender kann man eigentlich sogar kaum noch gehen. Denn im April und Mai, wenn in der Mitte und dem Norden Europas die Laufsaison erst langsam ins Rollen kommt, sind in Andalusien fünfundzwanzig oder dreißig Grad keine Seltenheit. Und im Sommer springt das Quecksilber auch immer wieder einmal über die Vierzigermarke. Sevilla ist zumindest bezüglich der Temperaturen definitiv eine der heißesten Städte des ganzen Kontinents.

Dass man beim Marathon dennoch von Lauftouristen aus dem Norden nicht gerade überrannt wird, hat aber nicht nur mit der eher abgelegenen geographischen Position der Stadt oder den um diese Jahreszeit ungünstigen Trainingsmöglichkeiten im Rest Europas zu tun. Ein wenig müssen sich die Sevillanos in der Organisation diesbezüglich auch selbst an die Nase fassen.

Denn obwohl man inzwischen den eigenen Internetauftritt nicht mehr wie noch vor Kurzem auf den Seiten des Sportamtes versteckt sondern mit www.maratondesevilla.es endlich über eine eigene Adresse verfügt, sind die Informationen dort nahezu ausschließlich auf Spanisch verfügbar. Viel mehr als eine Kopie des Werbe-Blättchens, das man - immerhin auch schon ein Fortschritt gegenüber der Vergangenheit - bei anderen internationalen Marathons verteilt, ist dort weder in deutscher noch in englischer Sprache zu finden.

Der Vergleich mit Barcelona mag vielleicht ein wenig hinken. Doch eventuell liegt der Erfolg der Veranstaltung in Katalonien auch darin begründet, dass ihre Internetseite neben einer katalanischen und einer spanischen - oder wie man dort zur sauberen Unterscheidung von Sprache und Staatsangehörigkeit trotzig sagt "kastilischen" - Variante vorliegt, sondern alle Informationen auch auf Englisch und Französisch abgerufen werden können.

Und die Online-Anmeldung lässt sich sogar komplett in über einem halben Dutzend verschiedener Sprach-Alternativen - neben den genannten noch Deutsch, Italienisch, Niederländisch und Dänisch - ausfüllen. Da wundert es kaum, dass in Barcelona die Teilnehmerzahlen aus den jeweiligen Staaten die Vergleichswerte aus Sevilla in der Regel um etwa das Zehnfache übersteigen. So besteht dann das dortige Starterfeld zu mehr als einem Drittel aus Lauftouristen von jenseits der katalanischen und spanischen Grenzen.

Mit ein wenig Erfahrung und Sprachgefühl kommt man beim Sevilla Marathon zwar auch ohne überragende Spanisch-Kenntnisse durch das Anmeldeverfahren. Doch der eine oder andere potentielle Interessent aus der Ferne dürfte so schon abgeschreckt werden. Wirklich weh tut das den Organisatoren aber nicht. Schließlich haben sie im Vorfeld nicht nur einen neuen Teilnehmerrekord zu verkünden sondern hatten die Anmeldungen sogar bereits Ende Januar vorzeitig dicht gemacht, weil das selbst gesetzt Limit erreicht war.

Die Siegerpreise des im Estadio Olímpico (rechts) endenden Marathons zeigen die auf der Spitze der Giralda als Wetterfahne sitzende Figur, den Giraldillo

So kann und muss dann auch niemand mehr das ab diesem Zeitpunkt ursprünglich geplante doppelte Startgeld bezahlen. Was sich jetzt erst einmal nach einem wirklich heftigen Aufschlag anhört, wird deutlich harmloser, wenn man erfährt, dass regulär gerade einmal einundzwanzig Euro zu entrichten sind. Selbst nach einer Erhöhung um volle hundert Prozent liegt man also noch unter dem weiter im Norden üblichen Normalpreis für einen großen Stadtmarathon.

Der Maratón de Sevilla ist also hinsichtlich der Startgebühren eindeutig ein Schnäppchen - zumal das Leistungspaket außer der fast obligatorischen Medaille im Ziel und einer kostenlosen Nudelparty eben auch noch ein komplettes Laufdress mit kurzer Hose und Trägerhemd umfasst, das man nach dem Abholen der Startnummer in der Plastiktüte zusammen mit dem sonst üblichen Werbematerial in die Hand gedrückt bekommt. Im Süden Europas ist man in dieser Beziehung jedenfalls recht oft deutlich freigiebiger als hierzulande.

Verteilt wird all dies im "Estadio de La Cartuja", das oft auch "Estadio Olímpico" - also "Olympiastadion" - oder in Kombination beider Varianten "Estadio Olímpico de La Cartuja" genannt wird, obwohl in ihm bekanntermaßen nie Olympische Spiele stattfanden. Doch hatte sich Sevilla sowohl für die Austragung 2004 als auch 2008 beworben. Die neu erbaute, fast sechzigtausend Zuschauer fassende Arena sollte als starkes Argument für diese Kandidatur dienen.

Beide Male scheiterten die Andalusier jedoch bereits in der Vorauswahl. Und so blieben die Leichtathletik-Weltmeisterschaften 1999, einige Testländerspiele und das UEFA-Cup-Finale 2003 im Fußball sowie die Davis-Cup-Endspiele 2004 und 2011 die bisher größten Sportereignisse, die in diesem Stadion, das von außen wegen der fehlenden Flutlichtmasten - die Beleuchtung ist in die Dachkonstruktion integriert - beinahe wie ein Bürogebäude wirkt, veranstaltet wurden.

Zwischen der Altstadt (links) und dem Triana-Viertel sind die Flussufer des Guadalquivir beliebter Treffpunkt für Einheimische und Touristen

Ansonsten steht es allerdings meist leer und teilt damit das Schicksal mit so manch anderer Arena, die für eine Großveranstaltung neu- oder ausgebaut wurde, sich dann aber für die regelmäßige Benutzung als völlig überdimensioniert heraus stellen. Wer zum Beispiel bei der Berichterstattung von den Olympischen Spielen ein wenig genauer hin gehört hat, wird sich vielleicht noch erinnern können, dass auch in London nach Abschluss der Wettkämpfe nun die meisten Sportstätten zurück gebaut und deutlich verkleinert werden sollen.

Mit Leichtathletik kann man ein solches Riesenstadion ohnehin nur noch bei einer EM oder WM füllen. Und Fußball wird in ihm auch einzig und allein in Ausnahmefällen gespielt. Zwar gibt es in der andalusischen Metropole mit dem Sevilla FC.und ihren Erzrivalen von Real Betis gleich zwei Traditionsclubs aus der Primera División, der ersten spanischen Liga.

Doch besitzen beide eben auch ihre vereinseigenen Arenen ohne störende Laufbahn, die zudem jeweils ein nur unwesentlich kleineres Fassungsvermögen haben. Die ursprüngliche Idee der Stadtväter, dass beide Clubs im wöchentlichen Wechsel im Estadio Olímpico spielen und dafür ihre alten Plätze aufgeben könnten, scheiterte unter anderem aber auch an der massiven Ablehnung der nicht gerade miteinander befreundeten Anhänger der Teams.

Der Marathon nutzt das Stadion allerdings seit nun schon mehr als einem Jahrzehnt als Wettkampfzentrum sowie als Start- und Zielort. Und wenig überraschend findet die Veranstaltung dort eine ausgezeichnete Infrastruktur vor. Um ausreichend Parkplätze in der Umgebung muss man sich zum Beispiel wenig Gedanken machen. Auch die zur Abwicklung benötigten Aufbauten halten sich in engen Grenzen. Viel mehr als Start- und Zielbogen sind kaum nötig. Auf Zelte oder ähnliches kann verzichtet werden, da man im Stadion ausreichend Räumlichkeiten vorfindet.

Das Rathaus (links), der Palacio de San Telmo (mitte) und das Archivo General de Indias sind drei der markantesten Prachtgebäude aus dem sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert

Einen großen Nachteil hat das Stadion allerdings. Es liegt ziemlich abgelegen mehrere Kilometer außerhalb des eigentlichen Zentrums am äußersten Rand Sevillas und ist auch nicht unbedingt einfach mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen. Eine eigentlich direkt vor der Haupttribüne gelegene Station der "Cercanías Sevilla" - eine Art S-Bahn, die mit einigen Linien das Umland erschließt - wird nur einmal in der Stunde vom seinerseits ebenfalls nicht mitten in der Stadt gelegenen Hauptbahnhof angefahren.

So bleiben nur die beiden Ringbuslinien - eine im, eine gegen den Uhrzeigersinn - der städtischen Verkehrsgesellschaft TUSSAM, die bei ihrer großen Runde um die gesamte Innenstadt als einzige überhaupt in der Nähe des Stadions kommen. Von der Haltestelle sind es dann zwar noch einige hundert Meter bis zur Arena. Doch immerhin kommt man so ohne einen längeren Fußmarsch hinüber zur "Isla de la Cartuja".

Auf dieser lang gestreckten Halbinsel zwischen zwei Armen des Flusses Guadalquvir, die entgegen ihrer Bezeichnung in Wahrheit nicht vollkommen von Wasser umgeben ist sondern an einem schmalen Isthmus im Norden Landverbindung besitzt, liegt das Stadion nämlich und hat von ihr natürlich auch seinen Namen. Diese ist ihrerseits wieder nach einem auf ihr gelegenen früheren Kloster benannt. Offiziell heißt es zwar "Monasterio de Santa María de las Cuevas", doch da es von Mönchen des Kartäuserordens ist, wird es im allgemeinen Sprachgebrauch einfach "la catuja" genannt.

Das Kloster ist vom Stadion allerdings nicht zu sehen, liegt der Namensgeber doch rund zwei Kilometer von ihm entfernt. Freitags und samstags kann man dort in den Räumen unter und hinter der Haupttribüne seine Startnummern inklusive der dazu gehörenden Geschenke abholen und dabei schon einmal die Anfahrt testen. Wirklich großer Puffer bleibt am Renntag bei einer Startzeit von neun Uhr nämlich nicht.

Das hört sich im ersten Moment überhaupt nicht eng an. Fast alle großen Marathons starten schließlich ebenfalls um diese Uhrzeit. Doch sieht das Ganze schon ein wenig anders aus, wenn man erfährt, dass die allerersten Busse am Sonntag nicht vor sieben aus den Depots rollen und auch dann nur in einem Takt von zehn bis fünfzehn Minuten verkehren. Andererseits sollen aber die mitgebrachten Taschen bis spätestens 8:30 an der "guardarropa" abgegeben sein. Viel dazwischen kommen darf angesichts dieser Vorgaben natürlich nicht.

Mit Stadtmauer und einem Labyrinth unzähliger enger Gässchen hat sich in der Altstadt von Sevilla noch immer der Charme einer längst vergangenen Zeit erhalten

Die Cercanía scheidet als Transportmittel am Morgen der Marathons ohnehin von vorne herein aus. Denn sogar erst nach acht Uhr setzt sich der früheste Zug jener Linie, die das Stadion anfährt, am Hauptbahnhof in Bewegung. Selbst an ganz normalen Werktagen beginnt der Bahn- und Busverkehr gerade einmal eine Stunde früher. Was aus hiesiger Sicht für eine Metropole dieser Größenordnung ziemlich seltsam erscheint, ist für Andalusien ziemlich normal.

Denn der Lebensrhythmus ist im Süden der iberischen Halbinsel deutlich nach hinten verschoben. Und das ist zu einem nicht unerheblichen Teil dem Klima geschuldet. Wenn im Sommer die Sonne vierzig oder gar mehr Grad vom Himmel brennt, bleibt den Menschen kaum etwas anderes übrig, als die körperlichen Anstrengungen so weit wie möglich zurück zu fahren. Die weiter nördlich manchmal als Faulheit interpretierte, zumindest aber belächelte Siesta war früher unter solchen Voraussetzungen fast schon eine Notwendigkeit.

Inzwischen wird sie allerdings insbesondere bei den großen Firmen seltener. Die internationalen Verknüpfungen lassen es kaum noch zu, dass wie früher mitten am Tag die Arbeit drei bis vier Stunden lang komplett liegen bleibt. Die längst nahezu überall vorhandenen Klimaanlagen senken die Temperaturen in den Gebäuden zudem auf ein erträgliches Maß ab, so dass auf eine so lange Pause durchaus verzichtet werden kann.

Auch in den großen Geschäften und Kaufhäusern orientiert man sich bereits seit etlichen Jahren an den anderswo in der Welt üblichen durchgängigen Öffnungszeiten. Doch bei kleinen Läden kann es auch weiterhin immer wieder einmal vorkommen, dass man als Kunde zwischen zwei und vier, im Extremfall sogar zwischen eins und fünf vor herunter gelassenen Rollgittern am Eingang steht.

Dafür rückt dann vieles in die späten Abend- und Nachstunden. Vor einundzwanzig Uhr bekommt man zum Beispiel in etlichen Restaurants überhaupt nichts zu essen. Umgekehrt ist es allerdings genauso normal, dass deren Küche manchmal auch noch um Mitternacht warme Mahlzeiten liefert. Und bis weit in die Nacht hinein herrscht reges Leben in den Straßen und auf den Plätzen andalusischer Städte.

So gesehen ist ein Start um neun Uhr für Sevilla und die Sevillanos keineswegs eine Selbstverständlichkeit. Zumal es auch gerade erst anfängt zu dämmern, als rund ums Stadion der Betrieb zunimmt. Denn nicht nur die sommerliche Hitze allein lässt sich als Argument für den nach hinten verschobenen Lebensrhythmus vorbringen. Auch die geographische Position der Stadt spielt dabei eine gewisse Rolle.

Die Plaza del Triunfo zwischen Kathedrale, Alcázar und Archivo de Indias ist das touristische Zentrum der Stadt. Vor Casa de la Provincia (links) und erzbischöflichem Palais (rechts) warten dort zahlreiche Kutschen auf Fahrgäste

Sevilla liegt nämlich auf sechs Grad westlicher Länge, also von Mitteleuropa aus gesehen ein ganzes Stück jenseits des durch den Londoner Stadtteil Greenwich verlaufenden Nullmeridians. Abgesehen von Katalonien findet sich auch der große Rest des spanischen Staatsgebietes im Westen dieser Marke, so dass das Land von seiner Lage her eigentlich zur gleichen Zeitzone wie die britischen Inseln gehören würde. Dennoch hat man sich bei der spanischen Regierung nach dem Zweiten Weltkrieg für die Einführung der Mitteleuropäischen Zeit entschieden.

Doch bedeutet dies eben auch, dass nahezu überall der Sonnenhöchststand erst nach ein Uhr erreicht wird. Mit der Umstellung auf Sommerzeit verschiebt sich das Ganze von April bis Oktober zum Beispiel in Sevilla sogar auf beinahe halb drei am Nachmittag. Das bedeutet aber auch, dass die Sonne deutlich später auf- und untergeht, als man es beim Blick auf die Uhr eigentlich erwarten könnte. Ende Februar lässt sie sich - wenn es die Bewölkung denn zulässt - erst gegen acht Uhr am Himmel sehen. Dafür steht sie dort dann aber auch bis nach sieben Uhr am Abend.

Ohne ihre wärmenden Strahlen sind die Temperaturen am Marathonmorgen nach einer wolkenlosen Nacht dann auch nicht unbedingt angenehm. Doch kommt man in Westen Andalusiens an diesem Wochenende wettermäßig eigentlich noch ziemlich gut weg. Denn die noch am Freitag über der Stadt niedergehenden Schauer haben sich endgültig verzogen. Vor allem aber fällt in jenen Tagen nicht nur in der Mitte und dem Norden des Kontinents sondern auch in großen Teilen der iberischen Halbinsel Schnee.

Dass die Häuser in dieser so heißen Stadt zwar fast alle über Klimaanlagen, jedoch eher selten über eine Heizung verfügen und zudem auch die Böden traditionell - und zwar selbst in Hotelzimmern - meist gefliest sind, macht das Aufstehen für die Marathonis allerdings nicht wirklich einfacher. Was in der Hitze des andalusischen Sommers sicher wirklich angenehm sein mag, fühlt sich an einem frühen Februar-Morgen ohne wärmende Decke und mit blanken Füßen dann doch ziemlich frisch an.

Es sind übrigens tatsächlich nur Marathonläufer, die sich da aus dem Bett schälen. Denn im Gegensatz zum deutschsprachigen Raum, wo praktisch alle Rennen, die vom Namen her über die legendären zweiundvierzig Kilometer führen, durch Unterdistanzen verwässert sind und der eigentliche Hauptlauf sogar zahlenmäßig oft nur noch ein reiner Rahmenwettbewerb ist, wird in der andalusischen Metropole tatsächlich nur die Marathondistanz absolviert.

Das "Olympiastadion" von Sevilla ist Wettkampfzentrum für den Marathon… …der Tunnel unter den Tribünen dient dabei gleichzeitig als Umkleide, Taschenabgabe und Verpflegungsstraße

Bis vor kurzem war dies auf der iberischen Halbinsel der absolute Standard. Doch inzwischen wird es ebenfalls immer mehr aufgeweicht. Madrid hat vor drei Jahren einen Zehner hinzu genommen, Valencia tat das Gleiche zusammen mit der Verschiebung in den Herbst. Und der Traditionslauf im baskischen San Sebastian - aktuell die landesweite Nummer fünf - schiebt nach dem bereits eingeführten Zehner bei der im November anstehenden sechsunddreißigsten Auflage auch noch einen Halbmarathon nach.

Da dabei dennoch überall die Zahlen der Marathonläufer steigen, zeigt sich allerdings, dass der hierzulande meist zu beobachtende Effekt der Selbstkannibalisierung keineswegs ein unumstößliches Naturgesetz ist, sondern es sehr wohl auf die jeweilige Gesamtentwicklung der Laufszene ankommt. In Barcelona ist man aufgrund des enormen Wachstums ohnehin bereits wieder den umgekehrten Weg gegangen und hat den dort ebenfalls eine Zeit lang angebotenen Zehner wieder aus dem Programm genommen.

Hinunter ins Untergeschoss des Stadions werden die Läufer in Sevilla geleitet. Im dort rund um die Arena führenden Tunnel findet sich die schon erwähnte "guardarropa" für die Taschenabgabe. Und nach dem Rennen wird dort auch die Verpflegungsstraße aufgebaut sein. Angesichts des dort eigentlich zur Verfügung stehenden Raumes hat man die Schalter allerdings dann doch ziemlich dicht nebeneinander gepackt. Da wird es schon einmal etwas enger, bevor man seine Wechselkleidung bei der richtigen Box abgeliefert hat.

Und auch die Tatsache, dass die in den Vortagen ausgegebene Startertüten nur durch einen kleinen Aufdruck als Kleidersäcke zu identifizieren sind und man zudem im Vorfeld keine vorgefertigten Aufkleber oder Anhänger ausgegeben hat, verzögern die Abläufe weiter. Denn so muss nicht nur praktisch jede Nummer vor Ort von den Freiwilligen auf die Beutel geschrieben werden, so manche Sportasche und so mancher Rucksack wird zuvor an den Tischen auch erst einmal mühsam eingetütet.

Da können sich die wirklich flinken und eifrigen Helfer noch so mühen, gegen halb neun wird es trotzdem langsam hektisch. Das liegt aber nicht nur daran, dass natürlich fast alle so lange wie möglich im zwar auch noch ziemlich kühlen, verglichen mit draußen aber dennoch angenehmeren Stadionkeller aufhalten wollen und deshalb das Anstellen an die Schlange bis zuletzt hinaus zögern. Ganz so genau nimmt man es mit dem vorgegebenen Annahmeschluss angesichts der vielen noch Wartenden selbstverständlich nicht.

Vom Stadion steht für die Läufern noch ein knapp einen Kilometer langer Fußmarsch hinüber … … zum Start auf der sechsspurigen Avenida Carlos III an

Doch ist bis zum Startpunkt noch fast ein ganzer Kilometer zurück zu legen. Erstmals seit langem wird das Rennen nämlich nicht auf der Tartanbahn gestartet. Die "Salida" findet sich außerhalb des Stadions auf der anderen Seite der autobahnartig ausgebauten und auf Stelzen über die Isla de la Cartuja führenden Ausfallstrecke. An einem zu ihr hinauf führenden Verkehrskreisel endet die Aufstellungszone und zieht sich von dort noch ein ganzes Stück die quer dazu verlaufende Hauptstraße bis zum Starttransparent hin.

Am Rand zeigen Tafeln die Zielzeit und damit die einzelnen Blöcke an, in die man sich eigentlich anhand der diesbezüglich nach Größe sortierten Startnummer einordnen soll. Im mit den Unterlagen verteilten Programmheft sind je nach Zuordnung zu den verschiedenen "Cajones" - was sich ungefähr mit "Kisten" oder "Schubladen" übersetzen ließe - sogar verschiedene Anmarschwege empfohlen.

Doch ganz so eng sieht das niemand. Scharfe Zugangskontrollen gibt es genauso wenig wie hohe Absperrungen. Wer unbedingt nach vorne will, kann sich ohne Probleme zwischen den umstehenden Läufern auch wirklich nach vorne schieben. Allerdings bekommt man irgendwie dennoch den Eindruck, dass die meisten Läufer die Position, an die sie in diesem großen Feld gehören, ziemlich genau kennen.

Für weit mehr als sechstausend Teilnehmer, die über gerade einmal zwei Straßen heran strömen funktioniert die Aufstellung jedenfalls überraschend reibungslos. Vielleicht hat das mangelnde Gedränge aber auch nur damit zu tun, dass in den hinteren Teil der Startzone die wärmenden Strahlen der inzwischen am Himmel stehenden Sonne fallen, während ihre vorderen Bereiche noch weitgehend im Schatten liegen.

Zwischen der aus den Boxen kommenden Musik erfolgen immer wieder einmal Ansagen. Doch bis auf wenige Grußworte, mit denen der Sprecher die internationalen Gäste auf Englisch begrüßt erfolgen sie ausschließlich in spanischer Sprache. Wer schon ein paarmal jenseits der großen Zentren des Massentourismus an der Küste, auf den Balearen und Kanaren im Land unterwegs war, kann darüber nicht unbedingt erstaunt sein.

Abgesehen von den Briten, die meist einfach davon ausgehen, dass alle Welt ihre Muttersprache beherrscht, und die sich deshalb mit dem Erlernen anderer Zungen nicht die geringste Mühe geben, belegen in Europa vielleicht wirklich die Spanier den schlechtesten Platz in der Rangliste der Verbreitung von Fremdsprachen. Es mag noch normal sein, dass man nicht überall gleich auf Englisch oder gar Deutsch Auskunft bekommen kann. Doch auch dort, wo man eigentlich öfter mit Touristen zu tun haben müsste wie in Hotels, ist die Verständigung manchmal eher zäh.

Nach fünf Kilometern führt der Marathonkurs direkt am Torre del Oro vorbei, der sich am Flussufer als eines der unverwechselbarsten Bauwerke der Stadt erhebt

Selbst viele spanischen Flugbegleiter haben so ihre liebe Mühe mit der englischen Konversation. Während ihre Kollegen von anderen Gesellschaften diese Sprache sehr oft nahezu akzentfrei beherrschen, sind bei Iberia manchmal - sogar mit gerade einmal rudimentären Spanisch-Kenntnissen - die Durchsagen im Original leichter verständlich als in der eigentlich für das internationale Publikum gedachten Variante, die nur mit viel Mühe überhaupt als "Englisch" zu erkennen ist.

Man muss den Iberern allerdings ein wenig zu Gute halten, dass sie einige Laute, die sie für eine verständlichere Aussprache benötigen würden, eben nicht von Kindesbeinen an gelernt haben. So mancher wird sich ja auch hierzulande an seine anfangs beinahe verzweifelten Versuche erinnern, das englische "th" auch nur einigermaßen korrekt heraus zu bringen. Und trotz viel Übung klingt es noch immer hin und wieder einmal wie ein "t", "d", "s" oder "f".

Ausgerechnet mit diesem Ton, bei dem sich Deutschsprachige fast die Zunge brechen, tun sich Spanisch-Sprecher jedoch eher leicht, findet sich doch in ihrer Muttersprache dazu die eine oder andere, fast wie ein Lispeln klingende Analogie. Ein "sch" lässt sich dagegen von ihnen in der Regel kaum heraus bringen. Und auch manch anderer "harte" Buchstabe aus dem Norden will so gar nicht zum eher weichen, die Wörter miteinander verschleifenden Spanisch passen.

Hat man sich erst einmal ein bisschen an den Klang gewöhnt und - was allerdings eher selten geschieht - der jeweilige Sprecher bei der Aneinanderreihung der einzelnen Silben ein nicht gar zu hohes Tempo vorlegt, lässt sich auch auf Spanisch einiges verstehen. Wenn man genau aufpasst, kann man aus dem Wortschwall des Ansagers zum Beispiel die Namen der wohl populärsten iberischen Marathonläufer Chema Martínez, Martín Fiz und Abel Antón heraus hören.

Gleich alle drei hat man nämlich in Sevilla als Werbeträger für die eigene Veranstaltung gewonnen. Schon auf der Internetseite des Laufes musste man über ein Foto des Trios vor der Kathedrale stolpern. Im Programmheft wird ihre Anwesenheit ebenfalls reichlich ausgeschlachtet. Und sowohl Martínez wie auch Antón waren im Vorfeld auch einmal bei von den Marathon-Machern organisierten Trainingsläufen dabei.

Gerade Abel Antón hat eine besondere Beziehung zu Sevilla und dem Estadio Olímpico, konnte er doch in diesem Ort den zweiten seiner beiden Weltmeistertitel erlaufen. Sein direkter Vorgänger Martín Fiz, der nach der EM 1994 und WM 1995 zwei Jahre zuvor noch knapp geschlagen Silber gewonnen hatte, wurde dabei immerhin noch einmal Achter. Abel Antón hat zudem Siege in Berlin und London zu Buche stehen, Martín Fiz neben dem Rotterdam Marathon auch gleich dreimal den japanischen Elitelauf am Lake Biwa gewonnen.

Diese durchaus ansehnliche Erfolgsliste sorgt dafür, dass beide nach wie vor herum gereicht werden. Über deren Zustandekommen gibt es jedoch nicht nur wegen der Fuentes-Untersuchungen sondern auch aufgrund der Tatsache, dass ein anderer Läufer dieser Generation, der unter anderem in Sevilla einmal siegreiche Diego García mit nicht einmal vierzig Jahren an einem Herzstillstand starb, längst durchaus kontroverse Ansichten.

Mit der Überquerung des Guadalquivir geht es von den Hochhäusern des Stadtteils Triana hinüber ins Zentrum mit deutlich mehr alter Bausubstanz

José Manuel Martínez Fernández, wie der überall nur "Chema" genannte Läufer mit vollem Namen heißt, kann zwar nicht ganz so viele Titel vorzeigen. Nur der Spurtsieg gegen Dieter Baumann über 10.000 Meter bei der Europameisterschaft 2002 in München und ein Erfolg beim Madrid Marathon ließen sich neben einigen zweiten und dritten Plätzen nennen. Doch seine im Alter von fast neununddreißig Jahre bei der Heim-EM von Barcelona gewonnene Silbermedaille sorgte 2010 für das letzte herausragende Ergebnis der einst so dominanten spanischen Langstreckler.

Auch zwei Jahre später ist Chema noch immer aktiv, selbst wenn er inzwischen gegen die gelegentlich gerade einmal halb so alte Konkurrenz aus Afrika beim Kampf um die obersten Treppchenplätze nicht mehr unbedingt bestehen kann. Doch in der Rolle des Publikumslieblings und Lokalmatadoren, der irgendwo zwischen den Rängen fünf und zehn weiterhin ziemlich solide Zeiten abliefert, hat er seine Marktlücke gefunden und kann so mit dem Laufen noch immer Geld verdienen.

Bezeichnend für das auf der iberischen Halbinsel ebenfalls sinkende Leistungsniveau und den fehlenden Nachwuchs ist, dass der nun bereits über vierzigjährige Martínez dabei im Vorjahr auf die Halbmarathondistanz sowohl in der spanischen Rangliste - immerhin mit einer 1:02:55 - als auch bei den nationalen Titelkämpfen jeweils den zweiten Platz belegte. Als Ruhmesblatt für die nachrückende Generation lässt sich das wahrlich nicht bezeichnen. Auch in Sevilla wird er mit 2:17:55 zweitbester Spanier werden und damit immerhin auf Gesamtrang neun kommen.

Der knapp zehn Jahre ältere Abel Antón lässt sich da trotz Startnummer eins ein wenig mehr Zeit und landet mit einer 3:31:28 im vorderen Mittelfeld. Der ebenfalls gemeldete und mit Nummer zwei ausgestattete Martín Fiz - im Dezember 2012 immerhin auch noch mit einer 2:29:57 beim Marathon von Castellón notiert - kann wegen einer Verletzung dagegen nicht antreten und muss sich mit einer Zuschauerrolle begnügen.

Schnell ist das sechstausendköpfige Rekordfeld nach dem Herunterzählen der letzten Sekunden auf die Strecke entlassen und vollständig im Rollen. Viel länger als drei Minuten muss niemand warten, bis der in die Nummer integrierte Zeitmessungschip ausgelöst hat. Doch die Avenida Carlos III bietet sich nicht nur durch ihre Nähe zum Estadio Olímpico für den Start eines großen Marathons nun auch wirklich nahezu perfekt an.

Die Stierkampfarena ist wenig später die nächste Sehenswürdigkeit, die den Blick zum Streckenrand wandern lässt

Auf insgesamt sechs Fahrbahnen - angeordnet in zwei Dreierpack mit Grünstreifen in der Mitte - zieht sich die Straße schnurgerade mehrere Kilometer lang am westlichen Rand der Isla de la Cartuja entlang. Selbst die beiden Verkehrskreisel, die im Abstand von jeweils etwa tausend Meter auftauchen, zwingen aufgrund der vorhandenen Durchgangsspuren die Laufstrecke nicht in einen Bogen.

Dafür ist das Umfeld dann- gelinde gesagt - aber auch nicht wirklich heraus ragend. Jenseits der Bäume der Allee verläuft anfangs auf der einen Seite die S-Bahnlinie ihrer Endstation entgegen, nur um danach von einer unansehnlichen Freifläche abgelöst zu werden, auf der an diesem Morgen ein Flohmarkt stattfindet. Gegenüber entdeckt man außer Parkplätzen nur noch einige dahinter stehende nüchterne Bürogebäude und Werkshallen.

Sie sind Überbleibsel der Weltausstellung von 1992 für die das gesamte Gelände der Isla de la Catuja eigentlich erst richtig erschlossen wurde. Wie so oft bei solchen Großprojekten - auch in Hannover kann man nach der dortigen EXPO davon durchaus ein Lied singen - fand sich längst nicht für alles, was für die Veranstaltung gebaut wurde, eine sinnvolle Anschlussnutzung. Die Träume von einem Technologiezentrum, das in den dann leer stehenden Gebäuden entstehen sollte, erfüllten sich in Sevilla jedenfalls nur zum Teil.

So konnte sich anfangs nur der Vergnügungspark Isla Mágica, in dem auch die Pasta-Party des Marathons stattfindet, als wirklich nennenswertes Überbleibsel der Weltausstellung behaupten. Inzwischen sind allerdings viele der Pavillons tatsächlich wieder gefüllt - oder abgerissen und durch zweckmäßigere Neubauten ersetzt. Die gute Infrastruktur der mehrere Quadratkilometer umfassenden Fläche hat am Ende doch einige Firmen und Organisationen angezogen. Doch einige Bauten gammeln eben auch weiter vor sich hin und bieten inzwischen ein recht trostloses Bild.

Selbst wenn es die Organisatoren solcher Ausstellungen meist anders darstellen dürften, kann man sich angesichts dieser auch anderswo zu entdeckenden Situation schon die Frage stellen, ob das Konzept jener internationalen Leistungsschauen nicht längst überholt ist und die entstehenden Kosten wirklich noch gerechtfertigt sind. Was in der Periode der Ozeandampfer, die Wochen oder Monate benötigten, um andere Kontinente zu erreichen, tatsächlich interessant gewesen sein mag, ist in einer immer enger vernetzten Welt vielleicht doch nicht mehr ganz so zeitgemäß.

Immer entlang des Flusses führt die Strecke nordwärts und an der markanten Schrägseilbrücke Puente del Alamillo ist man nach zehn gelaufenen Kilometern praktisch wieder auf Höhe des Stadions angekommen

Der Baumbestand am Straßenrand hat sich inzwischen gelichtet und anstelle eines Grünstreifens trennen simple Leitplanken beide Fahrtrichtungen der nach einem spanischen König aus dem achtzehnten Jahrhundert benannten Avenida, als nach mehr als zwei bereits zurückgelegten Kilometern der Torre Triana den Blick auf sich zieht. Der wuchtige, kreisrunde Bau soll angeblich von der Engelsburg in Rom inspiriert worden sein, wirkt mit seiner glatten nur an wenigen Stellen unterbrochenen Fassade aber natürlich deutlich nüchterner.

In seinen Räumen sitzen Mitarbeiter der "Junta de Andalucía". Was sich im ersten Moment schon ein wenig bedrohlich anhört, bedeutet eigentlich aber nur "Rat", "Verwaltung" oder "Regierung von Andalusien". Dafür dass "Junta" im deutschen Sprachgebrauch inzwischen sofort die Assoziation zu einer von Putschisten errichteten Militärdiktatur herstellt, sind einzig und allein die lange ziemlich unruhigen politischen Verhältnisse in den ehemaligen spanischen Kolonien in Lateinamerika verantwortlich.

Eine solche Regionalregierung gibt es allerdings erst seit Anfang der Achtzigerjahre. Noch während der Franco-Diktatur wurde das Land nämlich zentralistisch von Madrid aus verwaltet. Erst mit dem langsamen Übergang zu einem demokratischen System - der sogenannten "Transición" - bekamen die einzelnen Landesteile wieder mehr Rechte zugestanden. Die "Comunidades Autónomas" wurden gegründet, die durchaus vergleichbar mit Bundesländern oder Kantonen, wenn auch mit etwas weniger Rechten ausgestattet sind.

Meist gehen sie auf bereits im ausgehenden Mittelalter bzw. der frühen Neuzeit bestehende Teilgebiete des - erst durch die Vereinigung der beiden Reiche von Kastilien und Aragón entstandenen - Spaniens zurück. Auch Andalusien - flächenmäßig nach dem im Norden von Madrid gelegenen Kastilien-Léon die zweigrößte und sogar die bevölkerungsreichste "Autonome Gemeinschaft" - hat als Region eine lange gemeinsame Geschichte.

Selbst wenn es sich aufgrund der sukzessiven Eroberung des maurischen Herrschaftsgebiets ursprünglich formal aus vier einzelnen kleinen Königreichen - den jeweils nach ihren Hauptstädten benannten Gebieten "Reino de Córdoba", "Reino de Jaén", "Reino de Sevilla" und "Reino de Granada" - zusammen setzte, die allerdings alle der kastilischen Krone unterstanden, wurde die Region spätestens ab dem achtzehnten Jahrhundert, als der Begriff der "vier Königreiche von Andalusien" aufkam, als zusammen gehörig betrachtet.

Der Name geht auf jenes "Al-Andalus" zurück, mit denen die Araber das von ihnen eroberte Gebiet auf der iberischen Halbinsel selbst bezeichneten. Schon kurz nach ihrer Landung zu Beginn des achten Jahrhunderts lässt sich das Wort belegen. Da die letzte im Zeitalter der Reconquista von den Mauren beherrschte Region eben das heutige Andalusien war, übertrug sich der Begriff. Woher er allerdings ursprünglich kommt, ist noch immer ziemlich unklar.

Nach einem Schlenker durch moderne Wohngebiete erreichen die Marathonis am andalusischen Parlament wieder das an dieser Stelle durch das ungewöhnliche Stadttor Arco de la Macarena eindeutig abgegrenzte "centro histórico"

Die gern zitierte populärwissenschaftliche Erklärung, die darin enthaltene Silbe "luz" mit dem spanischen Wort für "Licht" gleichzusetzen, ist inzwischen von den Linguisten genauso weitgehend verworfen wie eine Ableitung vom Stamm der Vandalen, der währender der Völkerwanderung einige Zeit im damals noch römischen Iberien siedelte. Andalusien ist also weder das "Land des Lichtes" noch das "Land der Vandalen".

Die Grenzen der heutigen Comunidad unterscheiden sich tatsächlich nur marginal von dem einstigen Gebiet der "cuatro reinos de Andalucía". Allerdings wird diese Ausdehnung auch ziemlich deutlich durch die Geographie bestimmt. Denn gerade im Norden bildet die fast vierhundert Kilometer lange und zum Teil weit über tausend Meter aufragende Sierra Morena eine recht eindeutige Begrenzung.

Weiter südlich steigt ein anderes Gebirgsmassiv, die Cordillera Bética parallel zur Küste noch weiter nach oben. Der Mulhacén in der Sierra Nevada erreicht dabei 3478 Meter und ist damit der höchste Gipfel der gesamten iberischen Halbinsel. Nur der Pico del Teide von Teneriffa ist auf spanischem Territorium noch höher. Nach Osten hin verbreitert sich dieser Höhenzug und trennt so die benachbarte Region Murcia ab.

Im Westen bildet zumeist der Fluss Guadiana die Grenze zu Portugal. Und im Süden endet Andalusien natürlich am Mittelmeer sowie jenseits der Straße von Gibraltar am Atlantik. Zwischen beiden großen Gebirgszügen erstreckt sich das breite und deutlich niedrigere Tal des Guadalquivir, der in der Nähe von Sevilla seine von Ost nach West verlaufende Fließrichtung ändert und nach Süden abknickt.

Dass "Guadiana" und "Guadalquivir" am Anfang gleich aussehen, ist keineswegs ein Zufall. Noch mindestens ein halbes Dutzend andere andalusische Gewässer beginnen genauso. Denn die in den von den Mauren übernommenen Namen enthaltene Vorsilbe "gua" bedeutet ursprünglich "Fluss". Im deutschsprachigen Raum wird das arabische Original meist mit dem gar nicht so viel anders ausgesprochenen "Wadi" umschrieben.

Der Marathonkurs steuert nicht weit hinter dem Torre Triana nun auch auf den Guadalquivir zu. Nach mehr als zwei Geradeauskilometern ist er an einem Kreisel, der die bisherigen an Größe noch einmal deutlich übertrifft, nun nämlich nach Osten geschwenkt. Da genau an dieser Stelle ein Flussbogen die Isla de la Cartuja auf wenige hundert Meter Breite einschnürt, wäre auch der stadtnähere Arm, auf den man nun zusteuert, schnell erreicht.

Entlang der noch aus der maurischen Zeit stammenden Stadtmauern führt die Strecke im Bogen um die Altstadt herum

Mehr oder weniger direkt am Ufer wächst zwischen zwei Baukränen der "Torre Cajasol" in den Himmel. Nach seiner noch für das aktuelle Jahr geplanten Fertigstellung wird er nicht nur das höchste Gebäude Sevillas sondern ganz Andalusiens sein. Eigentlich war der Turm als Hauptsitz der regionalen Sparkasse mit dem blumigen Namen "Sonnenkasse" geplant. Im Zuge der Finanzkrise hat diese allerdings längst mit anderen "cajas" fusioniert und gehört nun zum Konzern der katalanischen La Caixa.

Doch wirklich harmonisch will sich dieses Bauwerk - nun oft wieder nach seinem Architekten als "Torre Pelli" bezeichnet - ohnehin nicht in die Stadtlandschaft Sevillas einfügen. Während sich anderenorts Bürohochhäuser zumeist in Gruppen zusammen finden, ragt hier ein einzelner dünner Wolkenkratzer weit über die ansonsten eher niedrig gebaute Stadt hinaus und übertrifft den bisher die Silhouette der Stadt prägenden Glockenturm der Kathedrale, die sogenannte "Giralda" fast um das Doppelte.

Der Neubau war darum auch viele Jahre heftig umstritten. Und die UNESCO überlegte seinetwegen sogar, Sevilla den Weltkulturerbe-Status abzuerkennen. Da beide Türme aber immerhin vom Fluss getrennt werden und knapp zwei Kilometer voneinander entfernt sind, wurde am Ende darauf verzichtet. Wirklich Freundschaft mit dem nun fast fertigen Prestigeobjekt haben aber natürlich trotzdem nicht alle Sevillanos geschlossen.

Schon an der nächsten Kreuzung biegt der Marathonkurs wieder nach rechts und verschwindet zwischen den Wohnhäusern des Stadtteils Triana, das einzige gewachsene "barrio" Sevillas, das sich am rechten Flussufer befindet. In die engen Gassen des ältesten Viertels von Triana, die kaum weniger pittoresk ausfallen als die der eigentlichen Altstadt, der "Casco Antiguo" jenseits des Guadalquivir, stößt man dabei allerdings nicht vor. In einer so frühen Phase des Rennens wäre das Feld dafür wohl auch noch zu dicht.

Die Marathonstrecke bleibt so auf den breiten Straßen im von eher gesichtslosen Wohnblöcken geprägten neuen Teil. Und abgesehen von dem kurzen Seitenblick, den man auf die in einer Querstraße stehenden Kirche mit dem schönen Namen "Basílica Menor de Nuestra Señora del Patrocinio" werfen kann, bleiben auch das halbe Dutzend zum Teil ziemlich sehenswerter alter Gotteshäuser, die es alleine in diesem Stadtteil gibt, vor den Läufern verborgen.

Von der ibero-amerikanischen Ausstellung des Jahres 1929 sind in Sevilla noch viele interessante Gebäude, wie die Paviilons von Guatemala (links) und Kolumbien (mitte) oder der Costurero de la Reina (rechts) übrig geblieben

So ist die kurze Kopfsteinpflasterpassage über einem kleinen, aber sehr zentralen Platz der Abschnitt, der von den beinahe drei Kilometern durch Triana am besten im Gedächtnis hängen bleibt - und das nicht nur wegen des ziemlich unerwartet auftauchenden unebenen Untergrunds sondern auch weil sich zum ersten Mal eine größere Menge Zuschauer an der Strecke versammelt hat.

Es gibt nur wenige Publikumsschwerpunkte, meist irgendwo im Zentrum der jeweiligen Viertel und später dann auch in der Altstadt, an denen sich beim Sevilla Marathon ein echtes Spalier am Straßenrand bildet. Ansonsten sind es eher vereinzelte Zaungäste von denen die Läufer Beifall bekommen. Einzig die oft schon von weitem an ihren Fahnen zu erkennenden, immer gleichen Fangruppen, die auf dem in Schleifen gelegten und sich deshalb immer wieder nahe kommenden Kurs die günstigen Stellen anlaufen, sind wohl wirklich nur wegen des Laufes unterwegs.

Allerdings gibt es im gesamten Verlauf des Rennens auch praktisch keine Aufregung wegen der durch die Veranstaltung entstehenden Verkehrsbehinderungen. Die Sevillanos haben den Marathon akzeptiert, ohne ihn auf der anderen Seite gleich zu einer großen Feier zu machen. Aber vielleicht liegt der größte Teil von ihnen zu einer für Andalusier doch ziemlich frühen Stunde am Sonntagmorgen auch einfach noch im Bett.

Auch ein kurzes Gleisstück wird beim Überlaufen des Kopfsteinpflasters gequert. Doch da es auf beiden Seiten schon nach wenigen Metern wieder endet, ist klar, dass es sich nur um ein historisches Relikt aus einer vergangenen Zeit handeln kann. Der alte knallgelbe Trambahnwagen, der hinter den Zuschauern inmitten des Platzes seine wohl endgültige Haltestelle erreicht hat, dürfte wohl einst auf ihnen gerollt sein.

Viele Jahrzehnte gab es auch in Sevilla ein Straßenbahnnetz. Wie an vielen anderen Orten wurde der Betrieb in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts, als die Verkehrsplaner die autogerechte Stadt propagierten, dann aber nach und nach eingestellt. Nachdem die immer größer, stärker und zahlreicher werdenden Blechkarossen allerdings für ständig mehr Probleme im nun wahrlich nicht für sie ausgelegten Stadtkern sorgten, hat man inzwischen umgedacht und versucht wieder verstärkt auf öffentliche Verkehrsmittel zu setzen.

Immer wieder einmal gibt es am Rande der Strecke historische Gebäude aus unterschiedlichsten Jahrhunderten zu entdecken

Seit 2007 hat man in Sevilla nun auch wieder eine Straßenbahn, die mit "MetroCentro" nicht nur einen peppigen Namen bekommen hat sondern deren moderne Niederflurtriebwagen praktisch nichts mehr mit dem gerade passierten rumpligen Wagon aus der Vergangenheit zu tun hat. Noch handelt es sich nur um eine einzige Linie von gerade einmal zwei Kilometern Länge. Aber ein Anfang ist gemacht - und das sogar im besonders neuralgischen Bereich der Kathedrale. Zudem sind längst mehrere Streckenerweiterungen in der Planung.

Nicht zum ersten Mal fallen Orangenbäume am Straßenrand auf. Selbst wenn man von Biologie nicht wirklich viel versteht sind sie aufgrund der unzähligen an ihnen hängenden Früchte in der gleichnamigen Farbe eigentlich unverkennbar. Aus mitteleuropäischer Sicht ist es im ersten Augenblick ziemlich erstaunlich, dass sie ausgerechnet zu Ende des Winters reif sein sollen. Schließlich erntet man zu Hause Obst ja im Sommer.

Doch überall in der Stadt kann man in praktisch jeder noch so kleinen Grünanalage "naranjas" - auch ein aus dem arabischen stammendes Wort, das auf dem weiteren Weg in den Norden Europas dann seinen ersten Buchstaben verloren hat - begegnen, die nur darauf zu warten scheinen, gepflückt zu werden. Orangen sind um diese Jahreszeit wirklich ein charakteristisches, nicht zu übersehendes Merkmal Sevillas.

Es will aber irgendwie so gar nicht zu den zumindest im Unterbewusstsein doch eher mit Wärme verbundenen Früchten passen, dass eine kurz darauf passierte Uhr mit Thermometer gerade einmal sechs Grad meldet. Doch ist weder eine Wolke zu sehen noch irgendwie Wind zu spüren. Und die Sonne wandert immer weiter am Himmel nach oben. Nicht einmal eine Stunde später werden die Kolleginnen dieser Temperaturanzeige dann auch schon zweistellige Werte verkünden. Und im Laufe des Tages wird sich das Quecksilber sogar der Zwanzig-Grad-Marke nähern.

Während sich der aus der Winterkälte kommenden Mitteleuropäer bei diesen Bedingungen schon längst der Jacke entledigt hat, sind etliche Andalusier noch immer mit ihrem Wintermantel unterwegs. Einige setzen zudem sogar auch weiterhin auf Handschuhe oder Kappen. Dennoch sind die Straßencafés gut gefüllt - und zwar beileibe nicht nur mit Touristen. Auch die Einheimischen zieht es nach draußen.

Auch an einer ganzen Reihe der vielen Kirchen Sevillas führt der Marathon vorbei

Im Marathonfeld sind ebenfalls nahezu sämtliche denkbaren Bekleidungskombinationen vertreten. Der eine oder andere hat zu langen Hosen, Jacke und Winterpulli gegriffen. Direkt daneben läuft man dagegen bereits im Trägerhemd. Wie so vieles andere ist eben auch das Temperaturempfinden ziemlich unterschiedlich ausgeprägt. Fast alle zeigen aber irgendwo an den Extremitäten zumindest etwas Haut, so dass sich optisch schon ein etwas anderes Bild bietet als bei jenen dick eingemummelten Gestalten, denen man daheim auf der Laufstrecke begegnet.

Kurz vor Kilometer fünf schwenkt die Laufstrecke erneut nach Osten in Richtung Guadalquivir und Stadtzentrum. In einer Straße, die aufgrund der eng zusammen rückenden acht- bis zehnstöckigen Wohngebäude schon ein wenig den Charakter einer Hochhausschlucht besitzt, gibt es erstmals etwas zu Trinken. Wie meist im Süden hält man sich diesbezüglich ziemlich genau an den vom Leichtathletik-Verband vorgegebenen Abstand.

Alle fünf Kilometer warten also "große" Verpflegungsstellen mit erweitertem Angebot. Dazwischen gibt es jeweils noch einmal Wasser und Schwämme. Vorerst werden in Sevilla aber selbst an den Hauptposten nur Getränke ausgegeben, erst ab der Hälfte der Distanz gibt es an den Posten dann zusätzlich feste Nahrung in Form von Bananen und Energieriegeln. Einmal finden sich dann allerdings überraschend auch Rosinen auf den Tischen.

Angesichts der Wetterbedingungen ist das Versorgungsnetz natürlich absolut ausreichend - zumal entgegen des Reglements gegen Ende hin auch die "Wasserstellen" ebenfalls Elektrolytgetränke ausgeben. Und angesichts ziemlich zahlreicher, meist jugendlicher Helfer geht es trotz des Rekordfeldes selbst in der Anfangsphase dabei ziemlich geordnet zu. Einzig, dass hie und da die Becher zum Schluss ein wenig knapp werden, ließe sich in dieser Hinsicht vielleicht noch kritisieren.

Tief unter der gerade belaufenen Avenida de la República Argentina ist die Metro von Sevilla unterwegs. Ziemlich spät für eine Metropole dieser Größenordnung hat nun auch die andalusische Hauptstadt vor wenigen Jahren eine eigene U-Bahn bekommen. Nur eine einzige Linie gibt es allerdings bisher. Und wegen ihres Verlaufes in Ost-West-Richtung, der das eigentliche Stadtzentrum nur streift, hat sie eher für Pendler als für Touristen Bedeutung.

Drei weitere Strecken sind geplant und zum Teil bereits im Bau. Bis 2017 soll das Netz schon deutlich erweitert sein und dann auch die Altstadt passieren sowie den Hauptbahnhof anbinden. Ob es am vorgesehenen Termin dann wirklich so weit sein wird, bleibt abzuwarten. Auch bei der nun in Betrieb befindlichen "Línea 1" verzögerte sich die Premierenfahrt schließlich um volle drei Jahre. Und darüber, wie pünktlich - oder eben unpünktlich - Großprojekte abgeschlossen werden, kann man ja dank einiger unrühmlicher Beispiele aktuell auch hierzulande ein Lied singen.

An der Gran Plaza läuft man vorbei an vielen Zuschauern schon einmal auf die Innenstadt zu… …doch erst einmal steht noch eine Schleife zum Stadion von Betis Sevilla an, das den südlichsten Punkt der Marathonstrecke markiert

Eine Ringlinie, die ähnlich wie die bisherige Busverbindung die Isla de la Cartuja und damit auch das Estadio Olímpico anbinden soll, gehört zum Gesamtpaket. Der Marathon mit seinen nicht unbedingt kurzen Wegen könnte irgendwann in der Zukunft davon eventuell profitieren. Doch zeitlich würden die Läufer nach aktuellem Stand auch in diesem Fall kaum besser weg kommen. Schließlich orientiert sich die neue U-Bahn ebenfalls am andalusischen Rhythmus und beginnt im Moment sonntags erst ab 7:30 mit ihren Fahrten.

Auch unterhalb der sich zum Fluss öffnenden, ansonsten aber kreisrunden Plaza de Cuba befindet sich eine ihrer Stationen. Hinter diesem kleinen Platz mit Grünanlage, der sternförmig von einem halben Dutzend Straßen angesteuert wird, schließt sich in direkter Verlängerung der Avenida de la República Argentina der Puente de San Telmo an, über den die Marathonis nun wirklich das andere Ufer des Guadalquivir ansteuern.

Trotz gerade einmal acht Jahrzehnten auf dem Buckel ist er - die Übersetzungen von "Brücke" haben in romanischen Sprachen einen männlichen Artikel - nach dem nördlich benachbarten Puente de Isabel II der älteste noch bestehende Flussübergang. Und gemeinsam nehmen diese zwei auch eine ziemlich zentrale Position unter den inzwischen auf zehn angewachsen Brücken Sevillas ein. Schließlich queren beide den Guadalquivir unweit des Altstadtkerns und bieten herrliche Panoramablicke auf das Herz von Sevilla mit all seinen Kirchtürmen und -kuppeln.

Auch den Torre del Oro kann man von beiden Brücken aus sehen. Die bessere Sicht hat man aber eindeutig vom Puente de San Telmo. Denn der "Goldturm" steht mehr oder weniger direkt neben ihm am Fluss. Im Gegensatz zu den nur wenige hundert Meter entfernten Reles Alcázares sieht der zwölfeckige Torre nicht nur maurisch aus. Er stammt tatsächlich aus der Zeit vor der Rück-Eroberung Sevillas durch die Kastilier.

Ursprünglich diente er zur Verteidigung des Hafens der Stadt. Zwischen ihm und einem nicht mehr existierenden Gegenstück im heutigen Triana wurde nämlich im Bedarfsfall eine Kette gespannt, mit der man die Zufahrt blockieren konnte. Allerdings wurde diese bei der christlichen Belagerung Sevillas kaum dreißig Jahre nach seiner Errichtung von einer kastilischen Flotte durchbrochen. Auch die dahinter liegende Schiffbrücke wurde erobert. Die dadurch rundherum eingeschlossene und vom Nachschub abgeschnittene Stadt musste deshalb ein halbes Jahr später kapitulieren.

Über die Herkunft seines Namens gibt es gleich zwei Theorien. Die eine besagt, dass eine - inzwischen nicht mehr vorhandene - helle Kachelverkleidung der Grund dafür ist, denn in der Sonne habe diese wie Gold geglitzert. Eine andere These geht davon aus, dass die Bezeichnung erst aufkam, als der Turm im sechzehnten Jahrhundert zur Aufbewahrung von Edelmetallen aus den neu gewonnen amerikanischen Kolonien diente.

Entlang der breiten Avenida de la Palmera, auf die man kurz vor Kilometer dreißig einbiegt, reihen sich palastartige Villen, Repräsentationsgebäude und selbstverständlich auch eine Kirche auf

Zu jener Zeit besaß Sevilla nämlich praktisch ein Monopol für den Überseehandel, da theoretisch sämtliche ein- und ausgeführten Waren von der in der Stadt ansässige Casa de Contratación - übersetzt etwa "Handelshaus" - begutachtet und besteuert werden musste. Durch die Behörde sollte auch der gesamte Verkehr mit den Kolonien kontrolliert werden. Kein Schiff durfte sich ohne Genehmigung auf den Weg über den Atlantik machen.

Sevilla wurde zum vielleicht wichtigsten Hafen des gesamten Kontinents und kam zu immensem Reichtum. Durch den Zustrom von immer mehr Menschen stiegen die Bevölkerungszahlen in den sechsstelligen Bereich. Amerigo Vespucci verbrachte die letzten Jahre seines Lebens als eine Art "Oberster Kartenbeauftragter" des aufstrebenden Spaniens in der Stadt. Und die Weltumseglungsexpedition Fernando Magellans startete bald darauf in ihrem Hafen.

Rund hundert Jahre dauerte das "Goldene Zeitalter" Sevillas. Dann begann die auch kunsthistorisch als "Siglo de Oro" bezeichnete Hochperiode Spaniens langsam auszulaufen, weil in der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts britische und niederländische - ausgerechnet ein zuvor selbst zum iberischen Weltreich gehörendes Gebiet - Schiffe das Kommando auf den Weltmeeren übernahmen.

Sevilla verlor an Bedeutung. Andere Städte zogen gleich oder - insbesondere das von einem kleinen Dorf zur Hauptstadt aufgestiegene Madrid - sogar vorbei. Doch vielleicht könnte man dies sogar im Nachhinein eher positiv sehen. Denn so blieb die enge, verwinkelte Struktur des alten Kerns, die viel vom Charme Sevillas ausmacht, weitgehend erhalten. Die breiten Schneisen, die in anderen Metropolen von den großen Boulevards späterer Jahrhunderte ins historische Zentrum geschlagen wurden, blieben der Stadt jedenfalls erspart.

Noch immer hat Sevilla allerdings einen großen Hafen. Es ist sogar der einzige Binnenhafen der gesamten iberischen Halbinsel. Denn abgesehen vom Guadalquivir ist praktisch kein Fluss auf längeren Abschnitten schiffbar. Obwohl rund achtzig Kilometer vom offenen Meer entfernt kann der "Puerto de Sevilla" auch von kleineren bis mittelgroßen Seeschiffen angefahren werden. Inzwischen befinden sich die Anlegestellen allerdings ein Stück südlich des Zentrums am Rande der Stadt.

Fast jedes der Anwesen an der "Palmenstraße" hat architektonisch einen anderen Charakter und so gibt es von nun an einiges zu sehen

Gleich nach dem Überqueren der Brücke schwenkt die Marathonstrecke auf die Uferstraße ein und passiert wenig später auch den Torre del Oro. Rund vier Kilometer lang wird man nun mehr oder weniger direkt am Guadalquivir wieder stromaufwärts unterwegs sein. Der Kurs schlägt dabei den gleichen Bogen wie der Fluss und stößt dabei erst einmal nicht in den Stadtkern sondern lässt ihn - in diesem besonderen Fall einmal - rechts liegen.

Schon beim Blick auf die Karte ist die Abgrenzung dieses fast kreisförmigen Gebietes mit immerhin zwei bis drei Kilometern Durchmesser eigentlich recht einfach. Im Westen bildet die schon erwähnte Flussschleife einen Teil des Bogens. Wo diese im Norden und Süden endet, beginnt eine Ringstraße die den Kreis dann im Osten abschließt. Auf der Innenseite ist das Straßenmuster weitaus enger und unregelmäßiger als außerhalb, wo viel eher geometrisches Raster erkennbar ist.

Doch auch entlang des Paseo de Cristóbal Colón - der Name dieser nach Kolumbus benannten "Promenade" täuscht ein wenig, es handelt sich nämlich um eine sechsspurige Straße - gibt es anfangs eine Menge zu sehen. Schräg gegenüber des Torre del Oro zeigt zum Beispiel die Vorderfront des "Teatro de la Maestranza" - das immerhin achtzehnhundert Plätze bietende Opernhauses der Stadt - zum Guadalquivir hin.

Vermutlich wenige Orte sind der Schauplatz von mehr Opern als Sevilla. Als erstes fällt einem da natürlich jenes Stück von Gioachino Rossini über den Barbier ein, das die Stadt sogar im Namen führt. Der Figaro, der in Mozarts Komposition heiraten möchte, ist genau der Gleiche. Noch weitere Personen kommen in beiden Werken vor, die Handlung ist allerdings eine völlig andere und wird meist als Fortsetzung des "Barbiers" angesehen.

Trotz des italienisch klingenden Titels handelt auch "Don Giovanni" - ebenfalls von Mozart - von Sevilla. Denn eigentlich ist die literarisch oft verarbeitete Figur des Don Juan gemeint. Nur weil Opern zu jener Zeit eben meist auf Italienisch gesungen wurden, bekam der wenig tugendhafte Edelmann den entsprechenden Namen. Und Beethovens "Fidelio" spielt in einem Gefängnis vor den Toren der Stadt.

Allerdings steht den Plakaten zufolge im Teatro de la Maestranza keine einzige von ihnen auf dem Programm. Die aktuellen Helden heißen eher Rigoletto und Siegfried. Doch vermutlich wäre es den Sevillanos auf Dauer wirklich zu langweilig immer nur Friseure auf der Bühne singen zu sehen. Nicht einmal Carmen, die wohl spanischste aller Opern - geschrieben vom in Paris geborenen Georges Bizet - ist auf dem Spielplan. Doch dafür liegt nur wenige Schritte den Paseo hinauf jene Stierkampfarena, in der die Geschichte bei jeder Aufführung ein tragisches Ende findet.

Der Pabellón de Colombia und … …der Pabellón de Argentina bilden den Abschluss des breiten Boulevards… ..bevor die Strecke am Costurero de la Reina in den Parque de María Luisa abbiegt

Seit zweieinhalb Jahrhunderten werden in der "Plaza de toros de la Real Maestranza de Caballería de Sevilla", wie sie in voller Länge offiziell heißt, nach einem fest definierten Ablauf Stiere getötet. Nicht einmal im nur gut hundert Kilometer entfernten, ebenfalls andalusischen Ronda, wo die noch heute gültigen Regeln definiert wurden, hat man eine längere Geschichte. Mit mehr als zwölftausend Plätzen zählt die Arena auch zu den größten im Land.

Man muss dieses rituelle Abschlachten von Tieren wahrlich nicht mögen. Und man muss schon gar kein Geld dafür ausgeben, um es mit eigenen Augen zu erleben. Selbst bei den Iberern ist die Begeisterung für den Stierkampf schließlich deutlich im Sinken begriffen. Die allem "Spanischen" ohnehin ablehnend gegenüber stehenden Katalanen haben ihn inzwischen gesetzlich verboten. Auf den Kanaren wurden Stierkämpfe sogar noch früher abgeschafft. Doch in Andalusien gehört die "Corrida de toros" nach wie vor fest zur Kultur.

Hinter dem Puente de Isabel II, der nicht nur mit seinen drei verschnörkelten Eisenbögen insgesamt ein schönes Motiv für die Fotografen bietet, sondern insbesondere mit der am westlichen Ende direkt auf der Brücke stehenden winzigen Capilla del Carmen zudem sehenswerte Details besitzt, wird die Strecke für einige Zeit einige hundert Meter wieder zu beiden Seiten von Bebauung begleitet. Die Straße schneidet den äußersten Punkt der Flussschleife an dieser Stelle einfach ein wenig ab.

Die im Volksmund auch "Puente de Triana" genannte Brücke war die erste feste sevillanische Querung des Guadalquivir überhaupt. Während es im stromaufwärts gelegenen Córdoba mit dem "Puente Viejo" bereits seit der Römerzeit eine Brücke gab, behalf man sich, obwohl es immer wieder einmal Pläne für einen Neubau gab, in Sevilla bis zu ihrer Eröffnung noch immer wie im Mittelalter mit Booten oder Pontonbrücken. Erst Mitte der neunzehnten Jahrhunderts errichtete man den nach der zu jener Zeit regierenden spanischen Königin benannten Flussübergang.

Nachdem man den wenig einladenden Betonklotz des zentralen Busbahnhofs passiert hat, ist dann aber die Sicht auf den Guadalquivir wieder frei. Und für zwei weitere Kilometer wird der Strom Begleiter der Läufer sein. Schon die ungewöhnlichen Straßenlaternen auf dem schmalen Grünstreifen in der Mitte geben diesem Abschnitt der Uferstraße ein eher modernes Aussehen. Und auch die zwei dann jeweils im Kilometerabstand auftauchenden Brücken sind eindeutig neueren Datums. Tatsächlich wurden beide anlässlich der EXPO errichtet.

Im Pabellón Mudéjar an der Plaza de América, die auf dem dreiunddreißigsten Kilometer umrundet wird, ist das Museum für Volkskunst und Brauchtum untergebracht

Der Puente de la Barqueta, vor dem - eigentlich ein wenig zu spät, aber wie man später sehen wird, aus logistischen Sicht absolut nachvollziehbar - eine Wasserstelle postiert ist, hat mit seinem hohen Stahlbogen eine noch einigermaßen verbreitete Form. Der von Stararchitekt Santiago Calatrava entworfene Puente de Alamillo mit seinem nach hinten geneigten Pylonen, der gemeinsam mit den schrägen Halteseilen ein wenig an eine gigantische Harfe erinnert, ist ziemlich einzigartig.

Über die Alamillo-Brücke - deren Name ungefähr "kleine Pappel" bedeutet - führt jene Ausfallstraße, die man beim Weg zum Stadion und auch zum Start bereits mehrfach unterquert hat. Denn nach fast zehn Kilometern zurückgelegter Strecke und einer lang gezogenen Schleife nach Süden ist man inzwischen in der Luftlinie wieder kaum einen Kilometer vom Estadio Olímpico entfernt.

Der Marathonkurs dreht aber genau in die Gegenrichtung und verlässt den Fluss nun endgültig, um erneut einen längeren Abstecher in eine jener ziemlich austauschbaren Vorstädte mit genauso austauschbaren Wohnblocks zu machen, die sich in vielen Metropolen als Ring um das eigentliche Zentrum legen. Auch Sevilla ist trotz seiner beachtlichen Größe eindeutig noch zu klein, um eine zweiundvierzig Kilometer lange Strecke ohne jeglichen Leerlauf zusammen zu bekommen.

Die Zwischenzeitenmatte bei Kilometer zehn überläuft wie längst bei nahezu allen internationalen Marathons üblich eine Gruppe von mehr als einem halben Dutzend Ostafrikanern gemeinsam. Die Kenianer Solomon Busendich Nabei, Emmanuel Samal, Enock Mitei, Kipkemoi Katui, die Äthiopier Berge Degu, Andualem Belay Shiferaw, Tsegabu Gebremariam und der Eritreer Yared Dagnaw Sharew benötigen dafür wenig mehr als eine halbe Stunde. Die Lokalmatadoren Javier Diaz Carretero und Chema Martínez haben bis dahin schon eineinhalb Minuten verloren.

Auch bei den Damen bietet sich das gewohnte Bild. Denn dort ist zwar das Feld deutlich weniger dicht, allerdings liegen mit Gebreyes Ehite, Megeresa Megertu und Debola Wudnesh ebenfalls drei Äthiopierinnen in Front. Dahinter haben sich mit einer Minute Rückstand auf die Kopfgruppe Estela Navascués Parra und Barbara Sanchez zusammen getan, wobei erstere tatsächlich Spanierin ist, Sanchez allerdings trotz ihres ebenfalls iberisch klingenden Namens aus Irland angereist ist.

Von der Plaza de América geht es … … hinüber zur benachbarten Plaza de España

Inzwischen haben die Marathonis das stadtauswärts führende Asphaltband auch nicht mehr für sich alleine. Nur noch einige Fahrspuren sind für sie reserviert. In der Folge wird das immer dort, wo der Kurs auf breiteren Straßen verläuft, so sein. Doch funktioniert auf solchen Abschnitten die Absperrungen durch Polizei und Streckenposten in der Regel ausgezeichnet. Abgesehen davon, dass die Luft ohne laufende Automotoren in direkter Nachbarschaft wohl etwas besser wäre, gibt es deswegen auch keine großen Probleme mit dem Verkehr.

Nach etwa vier Kilometern ist der in der Streckengrafik fast wie ein Pferdekopf aussehende Abstecher in den "Macarena" heißenden Stadtteil beendet. Und nur wenige hundert Meter von der Barqueta-Brücke entfernt erreichen die Läufer am "Hospital de Las Cinco Llagas" den Innenstadt-Ring. Das "Hospital der fünf Wundmale" war zwar bis vor wenigen Jahrzehnten tatsächlich ein Krankenhaus, doch handelt es sich eben auch um einen riesigen Renaissance-Palast, in dem inzwischen das Parlamento de Andalucía seinen Sitz hat.

Gegenüber des - einerseits relativ neuen und andererseits allerdings auch ziemlich alten - Parlamentsgebäudes beginnt das "centro histórico", das sich in diesem Bereich hinter einem aus der Maurenzeit erhaltenen, ungefähr einen halben Kilometer langen Stück Stadtmauer versteckt. Ein gutes halbes Dutzend der über hundertfünfzig Wach- und Verteidigungstürme, die sich entlang der "muralla" verteilten, sind in diesem Abschnitt ebenfalls noch übrig.

Am mit Abstand markantesten ist allerdings der "Arco de la Macarena", der den westlichen Endpunkt dieser Mauerreste besetzt. Das mehrfach umgebaute Stadttor mit seinen vielen kleinen Türmchen erstrahlt nämlich neben der ansonsten grauen Mauer in leuchtendem Gelb. Nur wenige Schritte dahinter präsentiert sich die Basílica de la Macarena farblich ziemlich gut abgestimmt. Doch warme Gelb-, Ocker-, Rot- oder Brauntöne bestimmen in den winkligen Gassen fast überall das Bild. Auch sind viele andere Gebäude Sevillas farbenfroh gestrichen.

Selbst die Kirchen haben oft einen eher bunten Putz. Gleich mehrere von ihnen - wie die Iglesia de los Capuchinos oder die Iglesia de San Roque - werden auf dem rund zwei Kilometer langen Bogen, den der Maraton de Sevilla im Osten des Casco Antiguo schlägt, passiert. Letztere, die fast genau bei Kilometer sechszehn am Straßenrand steht, ist Heimatkirche der "Hermandad de San Roque", einer der in Sevilla weit verbreiteten christlichen Bruderschaften.

Die monumentale Plaza de España wurde ebenfalls zur ibero-amerikanischen Ausstellung erbaut und ist einer der wichtigsten touristischen Anlaufpunkte der Stadt

In der Woche vor Ostern, der "Semana Santa" führen diese in der ganzen Stadt Prozessionen durch. Mit von hohen Kapuzen verhüllten Gesichtern werden von den Mitgliedern, den "Hermanos" hölzerne Konstruktionen mit Marien- und Christusstatuen oder gar der bildlichen Darstellung ganzer Szenen aus der Bibel - sogenannte "Pasos" - durch die Straßen getragen. Meist habe sie dabei die Begleitung einer Musikapelle. Und häufig geschieht dies auch am Abend unter dem Schein von Kerzen oder Fackeln.

In ganz Spanien ist diese Tradition verbreitet, doch ganz besonders in Andalusien. In jeder größeren Stadt gibt es einige solche Prozessionen, aus nahezu jeder Kirche wird in der Karwoche irgendwann ein Paso heraus bugsiert. Angesichts der oft engen Portale, der manchmal wirklich riesigen Gestelle und der stark eingeschränkten bis überhaupt nicht vorhandene Sicht der Träger ist übrigens alleine das oft ein Kunststück für sich.

Aber wohl nirgendwo sind es so viele wie in Sevilla. Über die Woche verteilt kann man insgesamt mehrere Dutzend von ihnen beobachten. Und so ist am Ende aus diesen eigentlich religiösen Umzügen längst eine weltweit bekannte Touristenattraktion geworden. Sogar auf die moderne Infrastruktur haben die Prozessionen erheblichen Einfluss genommen. Denn wegen dieser "cortejos" verboten sich Oberleitungen für die neue Straßenbahn. Die Züge fahren mit einem neuen System, bei dem Akkus an den Haltestellen immer wieder neu aufgeladen werden.

Ungefähr ein Viertel des Kreises um die Altstadt ist bewältigt, als der Kurs wieder nach links vom Zentrum weg dreht. Bevor die Bebauung am Streckenrand nun wieder deutlich moderner und damit auch eher wenig interessant wird, gilt es gleich nach dem Abbiegen noch die auf einer Verkehrsinsel stehenden und sonst von Autos umbrausten Überreste eines römischen Aquäduktes zu bestaunen. Schließlich reicht die Geschichte der damals "Hispalis" genannten Stadt weit in die Antike zurück.

Eine komplette Runde um den weiten Platz haben die Marathonis zu absolvieren

"Caños de Carmona" - also "Carmona-Röhre" - nennen die Einheimischen diese Wasserleitung, die nicht nur vor hundert Jahren noch deutlich besser erhalten sondern sogar einsatzbereit war. Da sie aber zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts dem weiteren Wachstum der Stadt im Wege stand, wurde sie bis auf wenige verbliebene Bögen abgetragen - eine folgenschwere und aus heutiger Sicht sicher bedauerliche Entscheidung.

Während der Zeitpunkt und die Verantwortlichen ihres Abrisses eindeutig bekannt sind, gibt es über ihren Vater nur Vermutungen. Allerdings erzählt man sich in der Stadt gerne die Legende, Julius Caesar, der ganz zu Anfang seiner politischen Karriere als Beamter in Spanien diente, habe ihren Bau zu verantworten. Zeitlich passt beides tatsächlich ganz gut zusammen. Überhaupt beruft man sich in Sevilla ziemlich gerne auf den späteren Alleinherrscher. Schließlich wurde die Stadt durch ihn offiziell in den Status einer römischen "Colonia" erhoben.

Schon vor der Ankunft der Römer war Sevilla jedoch durch seine Lage am Guadalquivir ein regional bedeutender Handelsplatz. Während einige Kilometer nördlich Sevillas bei archäologischen Ausgrabungen eine ganze Reihe bedeutender Bauwerke der einstigen römischen Siedlung "Italica" - immerhin der Geburtsort des bekannten Kaisers Hadrian - freigelegt werden konnten, sind in der andalusischen Hauptstadt selbst nur noch wenige Überbleibsel aus dieser Periode vorhanden.

Neben den wenigen Bögen des Aquäduktes wären dabei vor allem die Fundamente zu nennen, die bei Bauarbeiten unterhalb der Plaza de la Encarnación entdeckt wurden und nun im Tiefgeschoss des Platzes besichtigt werden können. Doch viel interessanter für die meisten Besucher ist eine gerade einmal zwei Jahre alte Konstruktion, die sich hoch über der Freifläche befindet. Rund fünfundzwanzig Meter erhebt sich dort der "Metropol Parasol" über das Straßenniveau.

Eigentlich soll das riesige, geschwungene, aus Holz errichtete Gestell an mehrere Sonnenschirme erinnern und hat deshalb seinen Namen bekommen. Die Sevillanos haben sich allerdings schnell auf die Bezeichnung "Las Setas" - "die Pilze" - festgelegt. In luftiger Höhe befindet sich dort ein Rundweg, der fantastische Aussichten über die Stadt bietet. Doch auch von unten bietet das auf einem halben Dutzend Säulen ruhende Gebilde ständig neue, faszinierende Motive.

Auf beiden Seiten begrenzen hohe Türme die halbkreisförmige Plaza

Zwar gab es wie meist bei solchen Projekten heftige öffentliche Diskussionen über Aussehen und Position, jahrelange Verzögerungen bis zur Fertigstellung und deutliche Kostensteigerungen. Doch längst hat sich die Plaza de la Encarnación durch den Metropol Parasol als neuer Treffpunkt für Touristen und Einheimische insbesondere bei der Jugend etabliert. Und mit seinem unverwechselbaren Aussehen hat der Riesensonnenschirm eindeutig das Zeug zu einem der wichtigsten Wahrzeichen der Stadt zu werden.

Ein weiterer scharfer Linksschwenk lässt die Marathonis auf die "Estación Santa Justa" zusteuern. Den von weiten Zufahrtsrampen und Parkplätzen umgebene, äußerlich wenig imposante neue Hauptbahnhof Sevillas hatte man ebenfalls zur Weltausstellung errichtet. Gleichzeitig wurde auch eine Schnellfahrstrecke zwischen Madrid und der andalusischen Metropole eröffnet, mit der für die spanische Bahngesellschaft RENFE gleich in mehrfacher Hinsicht ein neues Zeitalter begann.

Denn durch die neue Linie konnten zum einen die Fahrzeiten zwischen beiden Städten mehr als halbiert werden und die Eisenbahn wurde gegenüber Auto und Flugzeug wieder konkurrenzfähig. Zum anderen wurde aber erstmals auf der iberischen Halbinsel die fast im gesamten Rest von Europa übliche Normalspur verwendet, um die Gleise zu verlegen. Bis dahin hatte man ausschließlich die immerhin um über zwanzig Zentimeter weitere iberische Breitspur benutzt.

Ein wichtiges Argument für den Umstieg war die Möglichkeit, bereits anderswo eingesetzte Technik - insbesondere natürlich Züge - nutzen zu können und nicht alles neu entwickeln zu müssen. Doch im Hinterkopf spukte auch der Gedanke, das Land langfristig ans europäische Schienennetz anzubinden, so dass durchgehende Verbindungen angeboten werden könnten und das lästige Umsteigen wegen des Spurwechsels überflüssig würde.

Innerhalb von gerade einmal zwei Jahrzehnten sind etliche weitere Strecken fertig gestellt worden, mit denen Spanien eines der längsten Hochgeschwindigkeitsnetze weltweit besitzt. Neben Valencia und Málaga wurde vor allem auch Barcelona an die spanische Hauptstadt angebunden. Und mit den vor kurzem eröffneten noch fehlenden hundertfünfzig Kilometer bis ins französischen Perpignan ist die letzte Lücke inzwischen geschlossen, so dass demnächst wohl tatsächlich durchgehende Züge bis Paris rollen werden.

Dafür hat die Estación Santa Justa dann aber wie alle großen Bahnhöfe des Landes Gleise mit zwei verschiedenen Spurweiten, denn im Nahverkehr und abseits der Neubautrassen sind natürlich auch weiterhin Strecken mit dem alten Schienenabstand im Betrieb. Inzwischen haben die spanischen Ingenieure allerdings längst auch Züge mit verstellbaren Achsen entwickelt, die in der Lage sind, an einer Umspuranlage innerhalb weniger Minuten zwischen beiden Systemen hin und her zu wechseln.

Die Brücken über den sich rund um den Platz ziehenden Kanal bleiben den Läufern nach fast vierunddreißig zurück gelegten Kilometern zum Glück erspart

Parallel zu den Gleisen verläuft die Marathonstrecke in nordöstliche Richtung weiter. Eine erneut ziemlich breite Ausfallstraße führt immer weiter aus der Stadt hinaus. Dass diese schnurgerade Piste, die später sogar in eine unter anderem zum Flughafen führende Autobahn übergeht, ausgerechnet "Avenida Kansas City" heißt, mag nach all den Heiligen, die sonst so gerne zur Namensgebung heran gezogen werden, erstaunen. Doch ist die amerikanische Stadt am Missouri seit vielen Jahrzehnten mit Sevilla verschwistert.

Kurz vor Kilometer zwanzig fängt die kleine Schleife an, die dafür sorgt, dass man bei der Halbmarathonmarke gerade einmal einen Straßenblock von der Avenida Kansas City entfernt bereits wieder auf dem Rückweg ist. Als dort nach 1:04:10 die Matten erstmals auslösen hat sich an der Spitze des Rennens wenig getan. Der afrikanische D-Zug ist noch immer voll besetzt. Drei Minuten später hat Chema Martínez allerdings schon erste Probleme das Hinterrad von Javier Diaz Carretero zu halten. Bis zum Ziel wird ihn der 2:15:34 laufende Diaz dann klar abgehängt haben.

Die drei Äthiopierinnen sind ebenso unzertrennlich und haben zudem in ihrer nach 1:15:08 durchlaufenden Gruppe weiterhin noch einige flotte, keineswegs als Schrittmacher angeheuerte Herren dabei. Im Lande des Machismo dürfte es dem einen oder anderen wohl noch schwerer als anderswo fallen, eine Frau davon ziehen zu lassen. Einige ihrer anfänglichen Begleiter haben sie allerdings trotzdem schon verloren. Und am Ende werden fast alle noch verbliebenen Männer ebenfalls hinter der Siegerin ins Ziel kommen.

Vorbei am Denkmal für den Nationalhelden El Cid… …und der alten Tabaksfabrik, in die nun die Universität eingezogen ist… …erreichen die Marathonis wenig später erneut den alten Stadtkern

Auf über zwei Minuten ist der Rückstand von Estela Navascués und Barbara Sanchez angewachsen. Doch ist dies alles ziemlich stimmig und gleichmäßig. Auf dem von den Organisatoren als "el más llano del mundo" - also als "flachster der Welt" - angepriesenen und wirklich fast ohne Höhenunterschiede daher kommenden Kurs gibt es zumindest von der Topologie her auch nicht den geringsten Grund für irgendwelche Rhythmuswechsel.

Aus dem vermeintlich direkten Rückweg in die Innenstadt wird allerdings nichts. Kurz hinter der Halbzeitmarke beginnt ein weiteren diesmal nach Süden führender Schlenker, auf dem zwischen Wohnvorstädten und Gewerbegebieten noch einige weitere Kilometer heraus gekitzelt werden. Wirklich schön ist das nicht, ein längerer wieder schnurgerader Abschnitt über eine auf der Gegenfahrbahn vielbefahrenen Straße sogar ein wenig nervig. Doch in dieser Phase des Rennens lässt es sich noch ohne größere Probleme ertragen.

Am optisch interessantesten ist noch ein größerer Gebäudekomplex bei Kilometer fünfundzwanzig, der mit seinen Fensterbögen und Fassadenverzierungen eindeutig dem Ende des neunzehnten Jahrhunderts aufkommenden Stil des Neo-Mudéjar, bei dem man sich auf die alten maurischen Elemente zurück besann, zugeordnet werden kann. Die Überraschung ist groß, als sich heraus stellt, dass es ich um den "Antiguo Matadero de Sevilla" handelt - den alter Schlachthof der Stadt.

Die Straße, die vom diesem den Eckpunkt der Schleife markierenden Gelände, zu dessen schmucken Äußeren die jetzt dort eingezogene Musikschule doch deutlich besser passt, zurück führt, heißt "Avenida de la Ciudad Jardín". Eine "Gartenstadt" stellt man sich allerdings doch irgendwie ein wenig anders vor. Dafür hat die "Gran Plaza", an der die Straße endet, mit ihrem großen Verkehrskreisel und den Springbrunnen in der Mitte etwas von jenem großstädtischen Aussehen, das Sevilla - vielleicht zum Glück - ansonsten meist abgeht.

Mit dem Linksschwenk, den der Marathon auf diesem kreisrunden Platz vollführt, an dem sich - vielleicht auch aufgrund der dort vorhandenen Metrostation - recht viele Zuschauer eingefunden haben, kommt ganz am Ende der nun belaufenen Achse erneut die Giralda ins Blickfeld. Fast hundert Meter ist dieser Glockenturm der Kathedrale hoch. Und ursprünglich war er einmal das Minarett der maurischen Großen Moschee.

Neben dem Turm ist von ihr aber nur noch der "Patio de los Naranjos" - tatsächlich ein Innenhof mit Orangenbäumen - übrig geblieben. Ein Erdbeben hatte die ursprünglich einfach als Kirche weiter benutzte "Gran Mezquita" so beschädigt, dass sie abgetragen und durch einen gotischen Neubau ersetzt wurde. Der Turm, der zu jener Zeit eines der höchsten Bauwerke weltweit war, überstand die Erschütterungen weitgehend unbeschädigt. Später bekam er noch einen Renaissance-Aufsatz, in dem nun die Glocken untergebracht sind.

Am Hotel Alfonso, der wohl nobelsten Herberge Sevillas (mitte und rechts) biegen die Läufer auf die prächtige Avenida de la Constitución ein

Wirklich übersetzen lässt sich die Bezeichnung "La Giralda" nicht. Ihr Ursprung liegt im Verb "girar", das ungefähr "drehen" oder "kreisen" bedeutet. Die Figur, die als eine Art Wetterfahne auf der Spitze des Turmes sitzt, wurde und wird deshalb als "el Giraldillo" bezeichnet - obwohl es sich um eine Frauengestalt handelt, mit männlichem Artikel. Einige ihrer Miniaturausgaben werden beim Marathon übrigens anstelle von Pokalen als Ehrenpreise ausgegeben. Und selbst wenn der Turm sich nicht im Geringsten drehen kann, übertrug sich das Wort am Ende irgendwie auch auf ihn.

Doch die Giralda muss warten. Der Marathon kommt ihr vorerst nur wenig näher. Denn kurz nachdem man - von vielen gänzlich unbemerkt - das etwas hinter Bäumen versteckte Stadion des Sevilla Fútbol Club hinter sich gelassen hat, biegt die Laufstrecke an der nächsten großen Kreuzung schon wieder nach links und damit in Richtung Süden ab.

Für mitgereiste Fans bietet sich diese Ecke zum Anfeuern allerdings regelrecht an. Gerade einmal fünfhundert Meter entfernt von der Stelle, an der die Marathonis auf dem sich doch ziemlich durch die Stadt windenden Kurs nun etwa sechsundzwanzig Kilometer in den Beinen haben, war man nämlich zu Anfang des Weges aus Sevillas Zentrum hinaus in die Außenbezirke am Schild mit der "17" vorbei gekommen.

Die anfangs immer geradeaus verlaufende Straße, deren Bebauung mit Wohn- und Bürohäusern zwar meist ebenfalls wenig spannend, zumindest aber nicht vollkommen eintönig ist, beschreibt zum Ende hin eine lang gezogene Kurve. Ein Stück vor sich sieht man nach Absolvieren dieses Bogens andere Marathonis von links nach rechts laufen. Doch dürfen die Nachfolgenden keineswegs gleich diesen Weg einschlagen. Eine Kreuzung zuvor müssen sie erst einmal in genau die entgegengesetzte Richtung abbiegen.

Direkt an der Kathedrale und dem Archivo General de Indias - beide vor mehr als fünfundzwanzig Jahren zum Weltkulturerbe erklärt - führt die Strecke vorbei

Es ist eine weitere jener Schleifen, mit denen der Kurs auf die richtige Länge gebracht werden soll. Und diese sieht im Streckenplan besonders unangenehm aus. Denn rund eineinhalb Kilometer führt dabei eine lange Gerade nach Süden, bevor es dann nach zwei schnell aufeinander folgenden Rechtsschwenks in gerade einmal einhundert Meter Abstand dazu die ebenso kurvenlose Parallelstraße sofort wieder zurück geht.

Doch ganz so heftig und psychologisch fordernd, wie es beim Blick auf die Karte im ersten Moment wirkt, ist dieser Schlenker in der Realität gar nicht. Er führt zwar auch wieder vom Zentrum weg, doch ist das Umfeld ein ganz anders als in den bisher durchlaufenen Außenbezirken. Anstelle von immer gleichen Wohntürmen stehen da nämlich immer öfter kleine, von Gärten umgebene und individuell gestaltete Häuser am Straßenrand.

Das im maurischen Stil errichtete Hotel Ciudad de Sevilla ist mit seinem verzierten Portal und dem Turm, der in ähnlicher Form durchaus an einer der sevillanischen Kirchen stehen könnte und tatsächlich auch steht, sowieso ein echter "Hingucker". Und selbst die in dieser - aus ästhetischer Sicht vielleicht dann doch ein wenig zu inhomogenen - Mischung stehenden Universitäts- und Bürogebäude sind zwar nicht unbedingt alle schön, aber von der Architektur dennoch meist ziemlich originell.

Ein wenig störend werden allerdings langsam die nicht gerade wenigen Radfahrer und Skater, die immer wieder einmal neben den Marathonis entlang rollen. So mancher von ihnen lässt sich schon durch die mitgeschleppten Trinkflaschen als individueller Betreuer irgendeines Mitläufers identifizieren. Einige andere scheinen aber auch einfach nur die gute Gelegenheit nutzen zu wollen, einmal auf abgesperrten Straßen unterwegs sein zu können.

Dabei ist Sevilla inzwischen durchaus auf Radler eingestellt. Nahezu überall stößt man auf mit grüner Farbe markierte Radwege. Da diese oft auf dem Bürgersteig direkt neben den Fußgängern entlang geführt werden, bedeutet dies im Umkehrschluss, dass man beim Stadtbummel insbesondere an Ecken verstärkte Wachsamkeit an den Tag legen sollte. An vielen Stellen entdeckt man gerade im Casco Antiguo zudem auch Ständer mit Leihfahrädern, die dem Anschein nach sowohl bei Einheimischen wie auch bei Touristen durchaus gut genutzt werden.

Mit der ersten Rechtskurve, an der die Gerade ihren Abschluss findet, taucht direkt vor den Läufern, das Stadion von Betis Sevilla auf, das den südlichsten Punkt der Strecke markiert und vor dem mit der zweiten weiteren Rechtskurve der Rückweg beginnt. Ob es nur Zufall ist oder durchaus mit voller Absicht geplant wurde, spielt eigentlich keine Rolle, die Marathonis bekommen während des Rennens jedenfalls alle drei großen Arenen der Stadt zu Gesicht.

Die riesige Catedral de Santa María de la Sede de Sevilla ist eine der flächenmäßig größten Kirchen der Welt

Ihren Namen haben die "Grünen" von "Real Betis Balompié" - im Gegensatz zu den "Roten" des Sevilla FC - der antiken Bezeichnung "Baetis" des Guadalqiuvir und der nach ihm benannten der römischen Provinz "Baetica", die bereits zwei Jahrhunderte vor der Zeitenwende unter die Herrschaft der Imperium Romanum kam und im Großen und Ganzen schon damals die heutige Ausdehnung Andalusien vorweg nahm, entlehnt.

Irgendwie bemerkenswert ist bei genauerem Hinsehen, dass die zwei sich nicht unbedingt freundlich gesonnenen Vereine sich sogar in ihrer Bezeichnung für "Fußball" unterscheiden. Während der Fútbol Club nämlich das aus dem englischen übernommen und nur den spanischen Schreibgewohnheiten angepasste Lehnwort "football" gewählt hat, führt man bei Betis die ebenfalls denkbare, inzwischen aber selten verwendete wörtliche Übersetzung "Balompié" im Namen, die in "Balonmano" eine Entsprechung für "Handball" hat.

Kurz hinter dem "Estadio Benito Villamarín" löst zum dritten und letzten Mal eine Zwischenzeitmatte aus. Und inzwischen ist die lange ziemlich kompakte Spitzengruppe dann doch in mehrere Einzelteile zerbröselt. Nur noch Solomon Busendich Nabei, Yared Dagnaw Sharew, Emmanuel Samal und Andualem Belay Shiferaw liegen nämlich in Front. Berge Degu hat eine Viertelminute später immerhin noch direkten Sichtkontakt zu ihnen. Mit jeweils ähnlichen Abständen folgen dann auch Kipkemoi Katui, Tsegabu Gebremariam und Tsegabu Gebremariam als Einzelkämpfer.

Der äthiopische Dreierpack bei den Damen ist dagegen auch weiterhin unzertrennlich. Nur die Zahl ihrer männlichen Begleiter ist noch einmal etwas kleiner geworden. Estela Navascués und Barbara Sanchez laufen ebenfalls noch gemeinsam - und wie bisher im Pulk mit rund einem Dutzend Männern - am Dreißig-Kilometer-Schild vorbei. Mit mehr als drei Minuten Abstand auf die Führenden rückt ein Sieg für beide allerdings in immer weitere Ferne.

Mit der breiten Avenida la Palmera, auf der sich diese Marke befindet, beginnt nach vielen mäßig interessanten Abschnitten nun genau zum richtigen Zeitpunkt ein Feuerwerk von direkt hintereinander folgenden Attraktionen, die kaum einen wichtige Sehenswürdigkeit Sevillas auslässt. Es beginnt erst einmal langsam mit den - gegenüber der vor kurzem belaufenen Parallelachse deutlich größeren und luxuriösen - Anwesen entlang der "Palmenstraße". Praktisch jedes von ihnen hat architektonisch einen anderen Charakter.

Eine Verpflegungsstelle direkt vor dem Hauptportal einer Kathedrale dürfte weltweit ziemlich einzigartig sein Viele Zuschauer säumen in der Avenida de la Constitución den Straßenrand, manche von ihnen dürften aber eher zufällig beim Marathon gelandet sein Hinter der Plaza Nueva mit dem Rathaus verschwindet die Strecke in den engen Gassen der Altstadt

Bei einigen von ihnen handelt es sich um "Pabellónes", die von der 1929 in Sevilla veranstalteten "Exposición Iberoamericana" - eine Art "kleine" Weltausstellung, die sich hauptsächlich auf die iberische Halbinsel und die Staaten Lateinamerikas beschränkte - übrig geblieben sind. Wobei der Begriff "Pavillon" in diesem Falle ziemlich missverständlich ist. Viel eher sind es fast schon kleine Paläste, die in der Regel typische Baustile oder zumindest Stilelemente der jeweiligen Region verwenden.

So könnte man sich den "Pabellón de Cuba", den man beim Marathon als einen der ersten passiert und der inzwischen eine andalusische Behörde beherbergt, sehr wohl als das Herrschaftshaus auf der Plantage eines karibischen Zuckerbarons vorstellen. Die Formen des nun von der Universität belegten mexikanischen Pavillons, der wenig später eine Straßenecke an einer Kreuzung einnimmt, sind an eine Maya-Pyramide angelehnt.

Genau gegenüber erinnert das kolumbianische Ausstellungsgebäude mit seinen beiden Türmen an eine Kirche aus der Zeit des spanischen Weltreiches. Und der - in etwas einer Seitenstraße versteckte und deshalb von der Marathonstrecke allerdings nicht berührte - Pabellón de Peru präsentiert sich mit einem riesigen Portal, das der Zugang zu einer Inkastadt sein könnte, heute jedoch nur zum sevillanischen Naturkundemuseum führt.

Als letzte warten am Ende einer auf dem Rückweg sogar weit über zwei Kilometer langen Geraden über den breiten Boulevard noch der Pavillon von Argentinien - einer der größten und mit Turm und Kuppel ebenfalls kirchenähnlich - und direkt daneben der Pavillon von Guatemala - der kleinste und rundherum mit bunten Kacheln, die unter anderem den Wappenvogel Quetzal abbilden, verkleidet - auf die Läufer. Beide gemeinsam beherbergen übrigens die Tanzakademie "Escuela superior de Danza".

Dort wo ein großer Kreisel den Brückenkopf des "Puente de Los Remedios" bildet, stoßen die Marathonis für einen kurzen Moment erneut auf den Fluss. Doch dreht er genau an diesem in der Mitte mit Springbrunnen und Säule - ein Denkmal für den Entdecker Juan Sebastián Elcano, unter dessen Kommando nach Magellans Tod auf den Philippinen die erste Weltumseglung beendet wurde -verzierten Platz die Strecke in den Parque de María Luisa hinein, an dem man nun schon eine ganze Zeit entlang gelaufen ist.

Nach einem Kilometer im Schatten bunter Häuser… … geht es über die Alameda de Hércules, einen lang gestreckten Platz mit je einem Säulenpaar an seinen beiden Enden

Zeit für einen Blick auf die gegenüber liegen Ecke der "Glorieta de los Marineros" bleibt allerdings noch, wo ein kleines mit roten und gelben Ringeln und auffälligen Türmchen verziertes Gebäude im Neomudéjar-Stil steht. Ursprünglich hieß es einmal "Pabellón de San Telmo" - nach dem gleichnamigen Palast, zu dessen Park es einst gehörte. Doch längst hat sich der im Volksmund gebräuchliche Name auch offiziell durchgesetzt und ist in allen Karten zu finden. Er lautet "Costurero de la Reina", was nichts anderes als "Nähkästchen der Königin" bedeutet.

Nur wenige Meter hinter dem Parkeingang führt eine Allee dann sogleich wieder in entgegengesetzte Richtung zurück und auf ein anderes ebenfalls im maurischen Stil errichtetes, allerdings dann doch wesentlich größeres Gebäude zu. Der "Pabellón Mudéjar" war einst ebenfalls Teil des Geländes der Exposición Iberoamericana und diente als Ausstellunggebäude für "Alte Kunst". Nun ist in ihm das Museum für Volkskunst und Brauchtum untergebracht.

Noch weit imposanter wirkt der Bau jedoch, nachdem man in halb umrundet hat und auf dem dreiunddreißigsten Kilometer die Plaza de América erreicht. Denn diesem palmenbestandenen und mit Beeten in geometrischen Mustern sowie Wasserbecken angelegten Platz ist die eigentliche Hauptfront mit ihren Türmen zugewandt. Gegen die vielen verspielten Details wirkt das "Museo Arqueológico", das die andere Seite der Freifläche einnimmt, eher nüchtern.

Vielleicht liegt es aber auch nur einfach daran, dass das Archäologische Museum nicht wie der Pabellón Mudéjar sonnenbeschienen ist, sondern im Schatten liegt. Die Freiwilligen, die direkt davor eine Wasserstelle betreuen, können sich jedoch in den wärmenden Strahlen des inzwischen ein ganzes Stück nach oben gewanderten und auch weiterhin von keiner noch so kleinen Wolke verdeckten Zentralgestirns aufhalten. Ihre Position ist ohnehin ziemlich geschickt gewählt. Die meisten Marathon-Verpflegungsposten weltweit haben jedenfalls eine weniger schöne Aussicht.

Doch längst nicht nur Läufer und Helfer bevölkern den "Amerikaplatz". Natürlich ist er auch eine touristische Attraktion und an einem Frühlingssonntag gut besucht. Insbesondere an der gerade umrundeten, von Tauben regelrecht überfüllten "Glorieta de las Palomas" klicken die Fotokameras. Und auf den anderen Parkwegen sind ebenfalls Spaziergänger und gelegentlich auch Radfahrer unterwegs. Ein wenig Vorsicht und Rücksichtnahme ist da auf beiden Seiten gefragt.

Noch wesentlich mehr Menschen begegnet man auf der Plaza de España, die man nach dem Umrunden des Pabéllon Real an der Stirnseite der Plaza de América und einem erneuten Richtungswechsel einen knappen Kilometer später erreicht. Schließlich handelt es sich bei ihr um die neben Kathedrale, Giralda, Torre del Oro und Reales Alcázares vermutlich bekannteste Sehenswürdigkeit der Stadt.

Es handelt sich dabei aber nicht um einen Platz, wie man ihn sich in der Regel vorstellt. Vielmehr wird er von einem einzigen Gebäude geformt, das sich als halbe Ellipse um eine freie Fläche in der Mitte legt. Auf der anderen Seite öffnet er sich dagegen auf seiner vollen Breite zum Parque de María Luisa hin. Nur gemeinsam mit dem ebenfalls zur Iberoamerikanischen Ausstellung errichteten Bau wird daraus etwas Besonderes. Und so wird dann auch unter dem Begriff eigentlich stets das gesamte Ensemble verstanden.

Über die imposante Bogenbrücke mit dem Namen "Puente de la Barqueta" wechselt die Marathonstrecke ans andere Flussufer

Beide Endpunkte des Bauwerks, das eine ganze Reihe verschiedener Stilrichtungen aus der iberischen Kunstgeschichte zu einem zwar monumentalen aber einigermaßen harmonischen Gesamtbild zusammen fügt, sind von über achtzig Meter hohen Ecktürmen begrenzt. Und in der Mitte befindet sich ein schlossähnlicher Haupttrakt, der mit den beiden "Torres" durch ringförmige Bogengänge verbunden ist.

Der davor rund um den Platz verlaufende Kanal wird zudem von insgesamt vier Brücken überquert, die dem Ganzen noch einen Hauch von Venedig geben. Doch nicht nur in ihrem Gigantismus ist die an der Längsseite immerhin zweihundert Meter weite Plaza de España sehenswert. Auch mit kleinen Details wie die unzähligen Ornamente und Bilder aus bunt bemalten Kacheln - sogenannte Azulejos - kann man sich lange beschäftigen.

Die Marathonis dürfen eine längere Schleife über den Platz drehen. Über den angesichts der enormen Ausmaße eher schmalen Zugang zwischen den beiden Kanal-Enden laufen sie auf die Freifläche und umrunden sie dann - immer mit dem Springbrunnen in der Mitte auf der linken und der sogar von kleinen Booten befahrenen Wasserfläche auf der rechten Seite einmal gegen den Uhrzeigersinn, um sie dann an der gleichen Stelle, an der man sie betreten hat, auch wieder zu verlassen.

Die Plaza de España ist Höhe- und gleichzeitig auch Endpunkt des längeren Ausfluges in den Parque de María Luisa. Schon wenige hundert Meter später verlässt man den Park und läuft auf eine große Kreuzung hinaus. Zwei andere ihrer Ecken werden von dem Pabellón de Portugal und dem in das frühere Casino der Exposición Iberoamericana eingezogene Teatro Lope de Vega eingenommen. Und mittendrin steht auf einer Verkehrsinsel eine Statue des spanischen Nationalhelden El Cid.

Eindeutig dominierend ist allerdings die alte Tabakfabrik, belegt sie doch eine Fläche, auf der man locker zwei Fußballfelder unterbringen könnte. Bei ihrer Fertigstellung wurden ihre Ausmaße nur noch vom königlichen Palast El Escorial übertroffen. Mehrere tausend Frauen - in der Oper auch die Figur der Carmen - drehten in Spitzenzeiten in der "Real Fábrica de Tabacos de Sevilla" Zigarren, bevor sie Mitte des letzten Jahrhunderts nach rund zweihundert Jahren geschlossen wurde und die Universidad de Sevilla in den Gebäudekomplex einzog.

Gleich an zwei Seiten der Universität laufen die Marathonis entlang, denn an der nächsten großen Kreuzung wechselt der Kurs sofort wieder die Richtung und führt auf den Gleisen der an diesem Tag für einige Stunden nicht verkehrenden Straßenbahn weiter auf den Casco Antiguo zu. Erstmals wird es auf dieser - abgesehen von der Tram nur Fußgängern und Radfahrern zur Verfügung stehenden Straße - sogar ein wenig eng. Denn das zahlreicher werdende Publikum bildet an dieser Stelle eine regelrechte Gasse.

Direkt auf der Brücke gibt es zum vorletzten Mal auf der Strecke etwas zu trinken

Die Puerta de Jerez bildet wenig später das Eingangstor zur Altstadt. Nachdem der Maraton de Sevilla zuletzt für einige Jahre einen Bogen ums Zentrum machte und sich das Rennen weitgehend im Außenbereich abspielte, ist er nun wieder zurück gekehrt. Vermutlich haben die Organisatoren erkannt, dass man auch in optischer Hinsicht etwas bieten muss, um die Teilnehmer anzulocken. Insbesondere beim Blick auf den internationalen Markt gehört eine attraktive Strecke eindeutig zum Gesamtpaket.

Selbst wenn in Spanien noch weit stärker auf Zeiten geachtet wird als hierzulande - fast ein Zehntel des Feldes läuft unter drei Stunden und beinahe siebzig Prozent der Läufer haben im Ziel weniger als vier Stunden auf der Uhr - reicht eine flache Strecke für weiteres Wachstum alleine nicht mehr aus. Der mit sechs Stunden angesetzte Zielschluss ist - auch wenn er angesichts von nicht einmal zweihundert Startern für über fünf Stunden zur Zeit noch kaum genutzt wird - zudem auch ein klares Signal der Öffnung für neue Teilnehmerkreise.

Eigentlich ist die Puerta de Jerez gar keine Pforte mehr sondern längst nur noch ein großer Platz. Doch der Name des dort einst stehenden Stadttores hat sich erhalten. Markantestes Gebäude ist - selbst wenn es sich ein wenig hinter den Bäumen versteckt - das ebenfalls anlässlich der Ausstellung von 1929 im Neomudéjar-Stil erbaute Luxushotel Hotel Alfonso XIII. Die Gästeliste der in dieser Hinsicht wohl besten Adresse Sevillas ist illuster und umfasst neben Schauspielern, Musikern und Politikern auch einige gekrönte Häupter.

Am anderen Ende der Plaza ist dagegen die Kapelle Santa Maria de Jesus das kleinste und bescheidenste Gebäude weit und breit. Der Kontrast zur nur hundert Meter später ins Blickfeld kommenden Kathedrale könnte kaum größer sein. Schließlich zählt sie zu den größten Gotteshäusern überhaupt und wird bezüglich ihrer Grundfläche in Europa nur noch von Petersdom und der Londoner St. Paul's Cathedral übertroffen. Und von den gotischen Kirchen des späten Mittelalters ist ohnehin keine größer als die im fünfzehnten Jahrhundert gebaute Santa María de la Sede.

In ihr findet sich das Grabmal jenes Mannes, dem die Stadt viel von ihrem Reichtum verdankt - Christoph Kolumbus. Doch wie der lebende Entdecker, der für seine Ideen anfangs belächelt und dann für seine erste Reise gefeiert wurde, am Ende seines Lebens nach einigen Fehlschlägen aber doch wieder eher auf der Verliererseite stand, haben auch seine Gebeine eine wahre Odyssee hinter sich.

Nach seinem Tod zuerst in Valladolid bestattet, wurde der Sarg einige Jahre darauf nach Sevilla gebracht. Später wurden sie dann nach Santo Domingo auf der von ihm entdeckten Insel Hispaniola, die sich heute Haiti und die Dominikanische Republik teilen, überführt. Als im Zuge der französischen Revolution die Spanier durch die Franzosen vertrieben wurden, brachte man die sterblichen Überreste nach Havanna. Nach Kubas Unabhängigkeit kamen sie hundert Jahre darauf doch wieder nach Sevilla zurück.

Ein Stück flussaufwärts lässt sich von der Barquetta-Brücke beim Weg über den Fluss erneut der noch deutlich markantere Puente del Alamillo erkennen Bevor man ins Olympiastadion einlaufen darf, muss erst noch eine längere Runde im Parque del Alamillo absolviert werden

Allerdings erhebt auch Santo Domingo Anspruch darauf, die Grabstätte des Entdeckers zu besitzen, weil man dort einen Sarg mit entsprechender Innschrift entdeckt hatte und nun davon ausgeht, dass bei der Flucht nach Havanna ein falscher "Cristóbal Colón" mitgenommen wurde. Immerhin haben DNA-Vergleiche mit lebenden Nachkommen ergeben, dass die Überreste in Sevilla wohl mit hoher Wahrscheinlichkeit tatsächlich von Kolumbus stammen könnten.

Nur eine Steinwurf entfernt lagern in einem Renaissance-Gebäude, an dem die Marathonis vorbei kommen noch bevor sie die Catedral de Sevilla erreichen, unzählige Dokumente, die mit dem - im Endeffekt hauptsächlich aufgrund der Atlantiküberquerung von Kolumbus entstandenen - spanischen Weltreich in Zusammenhang stehen.

In der ehemaligen, im sechzehnten Jahrhundert erbauten früheren Börse der Stadt wurden nämlich auf königliche Anordnung zweihundert Jahre später sämtliche noch vorhandenen Akten über die Kolonien im "Archivo General de Indias" zusammen geführt. Weniger das Bauwerk selbst als vielmehr die unermesslichen Werte, die in seinen Regalen gesammelt sind, sind dafür verantwortlich dass das "Indienarchiv" gemeinsam mit Kathedrale und Reales Alcázares zum Welterbe erklärt wurde.

Es trifft sich gut, dass alle drei sich rund um die Plaza del Triunfo gruppieren. Der Platz der eigentlich aus zwei Teilen neben und hinter der Bischofskirche besteht,ist das touristische Zentrum der Stadt. Von dort verzweigen etliche Gassen ins Labyrinth der Altstadt. Und neben den schon genannten Gebäuden sind auch die Casa de la Provincia und das erzbischöfliche Palais ein paar Bilder wert. Dass jeder Tourist dort vorbei kommen muss, lässt sich schon daran ablesen, wie viel Kutschen an der Plaza auf Fahrgäste warten.

Selbst wenn die Marathonis nun direkt an der Kathedrale entlang laufen, von ihrem Glockenturm, von der Giralda bekommen sie wenig zu sehen. Dass es deshalb gleich Etikettenschwindel sei, dass man die Veranstaltung im Logo führt und auch auf der Internetseite fleißig Bilder von ihr präsentiert - unter anderem eben jenes mit Martínez, Fiz und Antón im Vordergrund - ist dann aber vielleicht doch ein wenig weit her geholt.

Dafür gibt es schließlich nach fünfunddreißig Kilometern die vermutlich weltweit einzige Verpflegungsstelle, die direkt vor dem Hauptportal einer Kathedrale postiert ist. Schon am Nachmittag wird von den Tausenden von Bechern, die die Läufer auf dem Pflaster der Fußgängerzone verteilen aber schon wieder nicht mehr das Geringste zu sehen sein. Es schadet gerade bei solchen Dingen anscheinend keinesfalls, wenn wie im Falle von Sevilla die Stadtverwaltung bei der Organisation eines Marathons mit im Boot sitzt.

Die Strecke macht mit der raschen Abfolge von Sehenswerten auch hinter der Kathedrale weiter und führt zur Plaza Nueva mit dem ziemlich ungewöhnlichen Rathaus der Stadt. Denn die "Casa consistorial de Sevilla" hat zwei völlig verschiedene Seiten, hinter denen niemand, wenn er nur die Bilder zu Gesicht bekommen würde, auch nur im Entferntesten das gleiche Gebäude vermuten dürfte.

Während es nach Osten zur Plaza de San Francisco hin eine reich verzierte Fassade im plateresken Stil der spanischen Renaissance besitzt, präsentiert sich die gegenüberliegende Front am "Neuen Platz" mit dem Haupteingang neoklassizistisch schlicht. Den Marathonis, die über diese zentrale, mit ihrer eher modernen Bebauung nicht wirklich schöne Plaza geführt werden, bleibt also nur die eher glatte Westseite.

Nicht nur der Puente de la Barqueta zeigt einen beeindruckenden Bogen, fast noch imposanter ist die Holzkonstruktion des Metropol Parasol, die seit einigen Jahren die Plaza de la Encarnación überspannt und unter anderem eine Aussichtsplattform in luftiger Höhe beherbergt

Die Avenida de la Constitución, über die man gekommen war und die Plaza Nueva mit der Puerta de Jerez verbindet, mag vielleicht die Prachtmeile der Stadt sein. Doch ist diese eher den Touristen vorbehalten. Wenn dagegen der Sevillano flanieren gehen möchte, wird es eigentlich erst hinter dem Rathaus wirklich interessant. Denn dort beginnen mit der Calle Sierpes und der Calle Tetuán die beiden Haupteinkaufstraßen - auf jeder Seite des Gebäudes eine.

Der Marathon wählt die in Laufrichtung linke von ihnen, die Calle Tetuán und taucht damit endgültig in die engen Gassen ein. Das inzwischen weit auseinander gezogene Feld macht in dieser späten Phase des Rennens problemlos möglich, was anfangs - wie man sich jetzt anschaulich überzeugen kann - kaum denkbar gewesen wäre. Nur wenige Meter ist die Einkaufsstraße nämlich an den engsten Stellen breit. Mit einem dichten, vieltausendköpfigen Pulk wäre da das Chaos fast vorprogrammiert.

Obwohl die Calle Tetuán noch einigermaßen geradeaus führt, lässt auch bei ihr fast von keiner Position erkennen, wo sie denn endet. Denn auch sie verläuft wie alle anderen Gassen in leichten Bögen, die den Blick nach vorne immer wieder an irgendwelchen Häusern an ihren Rand enden lassen. Fast nirgendwo in der Altstadt verhält es sich anders. Sogar wenn man bis zur nächsten Ecke sehen kann, ist das oft schon eine Ausnahme.

In dieses Gewirr, in dem eigentlich alle Straßen und Gassen aus dem Winkel laufen und das man für einen der inzwischen gelegentlich veranstalteten Stadt-Orientierungsläufe wahrlich nicht besser konzipieren könnte, sollte man sich als Ortsunkundiger auf keinen Fall mit dem Auto hinein wagen. Das ist durchaus möglich, denn obwohl die Calle Tetuán als eine reine Fußgängerzone definiert ist, fahren in vielen anderen auch nicht breiteren Gassen sehr wohl Fahrzeuge.

Schon wenig später, nachdem man an der Plaza del Duque de la Victoria den überhaupt nicht in sein Umfeld passenden klotzig-kalten Bau des überall in Spanien anzutreffenden Kaufhauses El Corte Inglés passiert hat, sind in der danach belaufenen Calle Trajana sehr wohl eine ebenerdige Fahrbahn, die gerade einmal ein Auto aufnehmen kann, und ein erhöhte Bürgersteig voneinander zu unterscheiden.

Natürlich kann dies nur funktionieren, wenn man überall strenge Einbahnstraßenregelungen durchzieht, was natürlich die Orientierung für Menschen, die nicht von Kindesbeinen an in diesem Irrgarten leben, noch um eine weitere Stufe schwieriger macht. Dennoch rollt der Verkehr durch die Gassen, wenngleich man natürlich hauptsächlich Kleinwagen und keinerlei große Limousinen sieht. Zur Belieferung der Geschäfte werden allerdings sogar spezielle Laster in Kleinbusformat eingesetzt.

Das gleiche Portal, durch dem man vor dem Start den Tribünentunnel erreichte, führt die Läufer nun auf die letzten Meter im Stadionrund

Und überall finden sich Garagentore. Ganz einfach nach außen aufschwingen können sie allerdings nicht, da sie sonst weit in die Fahrbahn hinein ragen würden. Fast alle haben deshalb einen speziellen Klappmechanismus, der das Tor regelrecht zusammen faltet. Doch um das Auto dann hinaus auf die enge Straße zu bekommen, ist meist auch noch erhebliches fahrerisches Geschick vonnöten.

Als Fußgänger hat man es da in der Regel doch noch ein bisschen leichter. Allerdings sind die Trottoirs meist so schmal, dass man bei jeder Begegnungen mit anderen Passanten sofort auf die Fahrbahn ausweichen muss. Und manchmal, wenn es noch enger wird, gehört schon ein gutes Stück Balance dazu, um überhaupt auf dem - dann nur aus dem Randstein bestehenden - Gehweg zu bleiben.

Die schmale Gasse weitet sich zu einem langestrecken Platz, an dessen Anfang zwei Säulen - sie sind tatsächlich noch römischen Ursprungs - aufragen. Oben sind zwei Figuren zu erkennen, von denen die eine Julius Caesar darstellen soll. Bei der anderen handelt es sich um Herkules. Denn während Caesar der Stadt mehr Rechte gab, soll der griechische Sagenheld dem Mythos zufolge Sevilla gegründet haben.

"Alameda de Hércules", "Herkulesallee" heißt der Platz deswegen. Tatsächlich reihen sich - zumeist aber noch ziemlich kahle Bäume - entlang der über ihn hinweg führenden Straße. Doch auch Zuschauer haben sich an dieser Stelle wieder einige am Rand der Strecke eingefunden. Manche ziehen den Sitzplatz in einem der Cafés vor, die sich entlang des Platzes hin ziehen.

Die meisten Menschen stehen allerdings. Und so kann man noch einmal aus nächster Nähe die ganze Palette der spanischen Anfeuerungen kennen lernen. "Animo" appelliert zum Beispiel an Mut und Kampfgeist. Mit "venga" ist nicht anders als "los, komm" gemeint. Beides kann in dieser Phase des Rennens wahrlich nicht schaden. Nur das "muy bien" - "sehr schön" - ist nach mehr als sechsunddreißig absolvierten Kilometern mit inzwischen ziemlich schweren Beinen irgendwie nicht mehr ganz glaubhaft.

Bald nachdem man die am anderen Ende der Alameda stehenden Löwensäulen hinter sich gelassen hat, stößt man hinaus auf den Verkehrsknoten, hinter dem sich der schon bekannte Puente de la Barqueta erhebt. Gut vier Kilometer vor dem Ziel kreuzt die Strecke an diesem Punkt ihren eigenen Verlauf, denn während man bei Kilometer acht die Uferstraße entlang gelaufen war, geht es nun über die Brücke zurück auf die Isla de la Cartuja.

Und nun erklärt sich auch warum die erste Wasserstelle ein wenig zu lange auf sich warten ließ. Die Helfer haben nämlich inzwischen die Tische einfach um neunzig Grad gedreht und auf die Brücke gestellt, so dass man mit dem gleichen Personal und Material die Läufer noch ein weiteres Mal versorgen kann.

Das Überqueren des Puente de la Barqueta ist ein regelrechter Bruch. Denn während man auf den letzten Kilometern von einem optischen Leckerbissen zum nächsten eilte, gibt es jetzt auf dem weiteren Weg zurück zum Stadion fast nichts mehr zu sehen. Der eher grobe und klobige Betonkasten des trotz seiner eher abgelegenen Position "Teatro Central" genannten Theaters und das architektonisch recht auffällige Hotel Barcelo sind die beiden einzigen Bauten, die noch auf dem Weg liegen.

Eine Dreiviertelrunde gilt es auf der schon etwas lädierten Tartanbahn noch zu drehen

Dann taucht auch schon der Puente del Alamillo mit der auf Stelzen geführten Ausfallstraße auf. Bis zum Stadion wäre es nun nicht mehr weit. Dumm ist allerdings, dass man noch nicht einmal die Tafel mit der "39" passiert hat und noch mehr als drei Kilometer fehlen. Diese müssen nun mit einer zusätzlichen Schleife durch den ebenfalls Alamillo heißenden Park gewonnen werden. Für die Psyche hat man am Ende des Maraton de Sevilla noch eine harte Prüfung eingebaut. Die Anfeuerung der jungen Teilnehmer des im Park stattfindenden Pfadfindertreffen hilft da wenig.

An der letzten Verpflegung bei Kilometer vierzig kann man das Stadion schon sehen und läuft bald darauf nach einem kurzen Zickzack auf den Parkwegen sogar fast am nördlichen Ausgang des Stadiontunnels vorbei. Und noch immer fehlt mehr als ein Kilometer bis ins Ziel. Die Hochstraße muss zwei weitere Male unterquert werden, bevor man dann tatsächlich auf den anderen, den südlichen Tunneleingang zu und ins Stadion hinein laufen darf.

Der Tartanbelag im Stadion ist überraschend schlecht und brüchig. Man sieht ihm an, dass er seit Jahren keine Verwendung mehr hatte. Und abgesehen von der Haupttribüne, wo einige Freunde und Familienmitglieder Platz genommen haben, ist das weite Rund auch vollkommen leer. Doch durch seine Bauart ist das Estadio Olímpico auch mit leeren Rängen ziemlich imposant. Ein wenig Zeit, diese Atmosphäre aufzusaugen bleibt. Eine Dreiviertelrunde gilt es auf der schon etwas lädierten Bahn nämlich noch zu drehen, bevor der Lauf sein Ende findet.

Solomon Busendich Nabei könnte sie zumindest theoretisch genießen. Denn der Kenianer braucht nicht bis zum letzten Meter zu beißen, um das Rennen für sich zu entscheiden. Mit 2:10:13 hat er am Ende einen ziemlich beruhigenden Vorsprung auf seine letzten beiden Begleiter, die zum Schluss doch stark nachlassen. Der Eritreer Yared Dagnaw Sharew, der in 2:12:35 Zweiter wird, verliert noch mehr als zwei Minuten.

Bei Emmanuel Samal (2:13:10) sind es sogar fast drei. Und viel weiter hätte es für ihn wohl auch nicht gehen dürfen, sonst hätte ihn der zwischendurch schon viel weiter zurück liegende, am Ende mit eine Zeit von 2:13:32 schon in Sichtweite heran gekommene Enock Mitei vielleicht noch vom Treppchen verdrängt. Auch Platz fünf geht durch Kipkemoi Katui nach Kenia, doch muss dieser für die höhere Prämie gegen den in 2:15:19 zeitgleichen Berge Degu ziemlich hart kämpfen.

Während bei den Herren die Äthiopier also nicht viel zu melden haben, sind im Frauenrennen wie erwartet die ersten drei Ränge für Läuferinnen aus diesem Land reserviert. Gebreyes Ehite schafft es mit einer um einige Sekunden schnelleren zweiten Hälfte in 2:29:52 noch knapp unter die Marke von zweieinhalb Stunden. Fast zwei Minuten danach kommt Megeresa Megertu mit 2:31:49 ins zweite Geld. Und bis Debola Wudnesh nach 2:32:59 das Treppchen komplettiert, ist eine weitere Minute ins Land gegangen.

Nicht immer endet der "Maraton de Sevilla" vor der Haupttribüne mit einem Spurt um die Plätze

Auch Estela Navascués läuft ein nahezu gleichmäßiges Rennen und liefert mit 2:35:40 eine neue persönlich Bestzeit ab. Barbara Sanchez büßt zwar ihr gegenüber noch etwas Zeit ein, doch bleibt sie in 2:37:14 ebenfalls von einem wirklichen Einbruch verschont. Und die 2:43:39, die Esther Hidalgo Garcia als völlig ungefährdete Sechste auf den Asphalt legt, können sich durchaus sehen lassen.

Neue Streckenrekorde lassen sich diesmal zwar nicht feiern, sie bleiben bei 2:09:53 und 2:26:03 stehen. Doch die sprunghaft gestiegenen Teilnehmerzahlen dürften den Organisatoren eine viel größere Zufriedenheit gegeben haben als einige Sekunden weniger auf einer Stoppuhr. Der Marathon de Sevilla hat einen gewaltigen Satz nach vorne gemacht und spielt jetzt vielleicht endlich in einer ihm und insbesondere der Stadt gebührenden Liga.

Darauf gilt es nun weiter aufzubauen, denn ein dauerhaftes Ruhekissen oder ein Selbstläufer sind - wie der Blick auf die Veranstaltungen hierzulande nur allzu deutlich zeigt - einmalig erreichte große Felder keineswegs. Einige kleine Schwächen wären mit neuen Ideen vermutlich noch auszumerzen. Doch ist man in der andalusischen Metropole eindeutig auf einem guten Weg. Und mittelfristig könnte man sich gerade durch die Position im konkurrenzarmen Februar auch international etablieren.

Sevilla selbst ist auf jeden Fall eine Reise wert. Und mehr als einen Tag auf einem Andalusien-Trip sollte man schon investieren. Wenn jemand dann nicht nur von dem für die Stadt so typischen Duo Orangen und Kirchen erzählt, sondern auch noch Bananen erwähnt, berichtet er vielleicht tatsächlich vom dortigen Marathon.

Bericht und Fotos von Ralf Klink

Infos und Ergebnisse www.zurichmaratonsevilla.es

Zurück zu REISEN + LAUFEN – aktuell im LaufReport HIER

© copyright
Die Verwertung von Texten und Fotos, insbesondere durch Vervielfältigung oder Verbreitung auch in elektronischer Form, ist ohne Zustimmung der LaufReport.de Redaktion (Adresse im IMPRESSUM) unzulässig und strafbar, soweit sich aus dem Urhebergesetz nichts anderes ergibt.