Laufen in Kolumbien

26.11.17 Bogotá Carrera New Balance 15k

17.12.17 Medellín- Bello Carrera Atlética Cotrafa 12k

von Michael Schardt

Im frühen November diesen Jahres lief eine Meldung über den Ticker, die laufinteressierte Leser vielleicht etwas überrascht zur Kenntnis genommen, danach aber möglicherweise schnell wieder vergessen haben dürften. So wäre es vermutlich auch dem Chronisten ergangen, wäre er zu diesem Zeitpunkt nicht mit den Vorbereitungen auf eine größere Reise nach Kolumbien beschäftigt gewesen, auf der - als Beigabe - die Teilnahme an der ein oder anderen Laufveranstaltung avisiert wurde, so wie es Lauftouristen gemeinhin tun. Die Meldung betraf den Maratón de las Flores Medellin, der von der AIMS (Association of International Marathons and Distance Races) auserwählt worden war, eine weltweit begehrte Auszeichnung zu erhalten, den Social-Award der internationalen Marathonvereinigung als Anerkennung für soziale Initiativen.

Ein Charakteristikum fällt auf sowohl beim New Balance Straßenlauf "15k" in Bogotá (links) als auch beim 26. Weihnachtslauf von Medellin nach Bello: man kleidet sich weitgehend einheitlich und läuft mehrheitlich schon im aktuellen Finishershirt. Wie die Sponsoren es schaffen, die Läufer dazu zu bewegen, wird weiter unten im LaufReport noch zu erläutern sein
Ausführliche und einladend präsentierte Laufankündigungen im LaufReport HIER

Begründet wurde die Zuerkennung des renommierten Preises, der Marathonläufe zur Erreichung des Millenium-Entwicklungsziels der Vereinten Nationen würdigt und auf der AIMS-Gala in Athen am 10. November übergeben wurde, damit, dass der Maratón de las Flores Medellin im Rahmen seiner Veranstaltung soziale Anliegen unterstützt und damit "umfassend zur Beseitigung von extremer Armut und Hunger, zur Bekämpfung von Krankheiten, zur Senkung der Kindersterblichkeit, zur Geschlechtergleichstellung und zur Stärkung von Frauen beitrage sowie die Gewährleistung von Umweltstabilität fördere". Konkret wurde genannt, dass der Medellin Marathon die Vereinigung "United of Colombia" seit 2003 mit der Rehabilitation von Verletzten durch Landminen fördere, was "Bemühungen auch der Geldbeschaffung" einschließe, "um die Kosten der Prothetik zu unterstützen". Zur Erreichung dieses Zwecks werde in der Stadt sogar ein zusätzliches Rennen während des Jahres organisiert, um diese Initiative zu unterstützen.

Ein Symbol tiefgreifenden Wandels

Dass ausgerechnet der Medellin Marathon diese Anerkennung bekam, hat für die Stadt und das Land eine größere Bedeutung, als "nur" den Rang einer einmaligen, rein sportpolitischen Anerkennung; vielmehr erlangt sie symbolische Dimensionen für einen kontinuierlichen gesellschaftlichen und politischen Wandel, den Kolumbien seit nunmehr zweieinhalb Jahrzehnten durchmacht und den viel zu wenige Menschen und Medien - vor allem in der westlichen Hemisphäre - wahrgenommen haben.

Die riesige, baumlose Plaza de Bolivar, gelegen in der kolonial geprägten Altstadt "La Candelaria", ist der zentrale Platz Bogotás und meist Ausgangspunkt einer Stadtbesichtigung. Es heißt, hier schlage nicht nur das Herz der Hauptstadt, sondern das des ganzen Landes. Zahlreiche Veranstaltungen finden hier statt und nicht wenige politische Kundgebungen für die am Tagesgeschehen sehr interessierte Bevölkerung. Aktuell warben Schülergruppen für Frieden und mehr Dialog der Parteien An der Plaza beginnt eine der Hauptverkaufsstraßen der Stadt und beliebte Flaniermeile, die Carrera 7, auch Avenida Septima genannt. Sie ist im Zentrum ohnehin autofrei, gehört aber am Sonntag auf voller Länge den Radlern und Läufern Bogotá ist mit knapp acht Millionen Einwohnern hinter Sao Paulo die zweitgrößte Metropole Südamerikas mit pulsierender urbaner Atmosphäre. Ruhepole, Parks oder stille Plätze finden sich im geschäftigen Treiben jedoch immer wieder

Kolumbien ist in den Köpfen nicht weniger Zeitgenossen immer noch das Land von Gewalt und Bürgerkrieg, von Korruption und Kriminalität und Medellin die Stadt des Kokainkartells und der Drogenbarone. Das allerdings gilt längst nicht mehr, vor allem seit der Kopf und Drahtzieher der kriminellen Organisation, Pablo Escobar, 1993 gestellt und erschossen werden konnte und das Kartell sehr schnell zerfiel. Gleichzeitig war dieses Ereignis Initialzündung für tiefgreifende Bestrebungen, das Land und die Stadt trotz einer mehr als schwierigen Ausgangslage in einen tiefgreifenden, positiven Wandel zu überführen. Erste Erfolge wurden sehr bald erreicht, allerdings ohne internationale Kenntnisnahme. Erst als die günstigen Veränderungen - vor allem in der einstmals gefährlichsten Stadt der Welt, Medellin, unübersehbar wurden, goutierte das langsam auch die westliche Presse.

Inzwischen ist auch die Tourismusbranche auf die Entwicklung angesprungen und nimmt Kolumbien mehr und mehr in ihre Angebotspalette auf als Land, das für jeden Urlaubstyp genau das Richtige zu bieten hat. Kulturmagazine berichten zunehmend über diese, ihre "Entdeckung", und Trendforscher erblicken das Neuerungspotential der nördlichsten Nation auf dem südamerikanischen Kontinent als bedeutend. Inzwischen vergibt die internationale Öffentlichkeit Preise an Kolumbien, nicht nur im Laufsektor. So wurde Medellin vom US-Magazin "Wall-Street Journal" zuletzt als "innovativste Großstadt" weltweit bezeichnet - nicht zu Unrecht, wie noch zu berichten sein wird.

Bogotá ist nicht nur geschäftliches Zentrum des Landes, sondern auch Hauptstadt der Kultur, Bildung und des Geisteslebens. Hier feiern Absolventen einer der zahllosen renommierten Universitäten und Eliteschulen ihr Abschlussexamen Unübersehbar ist die Fülle interessanter Museen. Eines der bestgeführten auf dem gesamten Kontinent und Hauptsehenswürdigkeit der Stadt ist das Museo del Oro (Goldmuseum), bestückt mit herausragenden Arbeiten aus der vorkolonialen Zeit beziehungsweise mit dem, was den räuberischen spanischen Konquistadoren nicht in die Hände fiel

Bogotá - stilvolle Megacity in den Anden

Wer nicht mit einem Kreuzfahrtriesen die kolumbianische Karibikmetropole Cartagena für nur wenige Stunden besucht, reist in der Regel über Bogotá in das Land ein und landet auf dem modernen Großflughafen im Nordwesten der Stadt. Für einen Direktflug aus Deutschland zahlt er zwischen 750 bis knapp 1000 Euro. Wie riesig die Kapitale ist, erschließt sich dem Besucher schon aus der Luft, vor allem wenn er abends oder nachts ankommt und er ein vielmillionenfaches Lichtermeer unter sich erblickt.

Bogotá ist hinter Sao Paulo, aber noch vor Lima und Rio, mit rund acht Millionen Einwohnern die zweitgrößte Stadt Südamerikas und administratives Zentrum des Landes. Sie ist so vielfältig, dass um ihr gerecht werden zu können, ein mehrwöchiger Aufenthalt nötig wäre, allein um die wichtigsten Museen und Sehenswürdigkeiten besuchen zu können. Bei nur vier zur Verfügung stehenden Tagen, ist eine Beschränkung auf das Wesentliche unabdingbar.

In der Regel beginnt eine Stadtbesichtigung, egal ob auf eigene Faust oder geführt - auf der Plaza Simon Bolivar, ein riesiger, baumloser und etwas schmuckfreier Platz, auf dem große Sakral- und Profanbauten stehen und an den auch das Regierungsviertel anschließt. Hier "schlage das Herz der Stadt und ganz Kolumbiens", heißt es, nicht zuletzt, weil hier jederzeit politisch und gesellschaftlich motivierte Kundgebungen stattfinden und kulturelle Aufführungen über die Bühne gehen.

Allgegenwärtig ist die Liebe des Kolumbianers zur Literatur, nicht nur auf den Straßenflohmärkten, sondern auch in den gut bestückten Bibliotheken. Ein Kulturzentrum nahe des Hauptplatzes ist nach dem kolumbianischen Literaturnobelpreisträger Gabriel Garcia Marquez ("100 Jahre Einsamkeit") benannt

Bei der Begehung der beiden sich kreuzenden Einkaufsmeilen Carrera 7 und Calle 13 sowie der kolonial geprägten Altstadt "La Candelaria", wo man jederzeit ein schönes, patioartig strukturiertes Hotel findet, fällt auf, dass die Menschen einen sehr gelassenen Habitus favorisieren und sich der besonderen Rolle "ihrer" Stadt durchaus bewusst sind. Stilvoll sind nicht nur die Geschäftsleute gekleidet, sondern gerne auch ältere Männer, die die siebzig längst überschritten haben. Sie treffen sich auf der Straße zu einem kleinen kulturpolitischen Disput, bei dem ein leckerer, einheimischer Hochlandmokka genussvoll geschlürft wird oder literarische Werk besprochen werden. Nicht selten kommen sie im feinsten Zwirn, dekoriert mit Seidenkrawatte und feiner Blume in Knopfloch, gestützt auf einen gedrechselten Spazierstock mit handbeschlagener Metallverzierung.

Auch findet man Männer vorgerückten Alters, die im Café literarische oder biografische Texte zu Papier bringen, denn zu erzählen haben sie vieles. Dass die Kolumbianerinnen, wie andere Latinas auch, besonders modebewusst sind, ist sofort erkennbar. Geradezu elektrisiert (aber auch etwas traurig) war die weibliche Bevölkerung just an dem Tag des Laufes, der weiter unten beschrieben wird, als die eigene Kandidatin Laura González bei der Miss-World-Wahl in die Endauswahl kam und hinter der indischen Siegerin Platz zwei errang.

Der Berg und das Gold rufen

Freilich ist die Welt der Betuchten, der Intelligenz und des Künstlertums, der Mode, des Stils und der Ökonomie nur die eine Seite einer pulsierenden Urbanität. In anderen Vierteln wird Armut sichtbar, hausieren Obdachlose, Drogensüchtige und gesellschaftlich Gestrandete. Diese Welt bekommt der Reisende aber kaum zu sehen, denn vor einem Besuch der Problembezirke auf eigene Faust wird gewarnt: man könne schnell Opfer von Trickdieben werden oder anderweitig Schaden erleiden - eine Gefahr, die zu relativieren ist und wie sie in jeder anderen Großstadt des Kontinents und in jeder Megacity weltweit drohen kann.

Nicht nur in der Hauptstadt ist eine aktive Graffiti-Szene am Start, die gerne staatlich oder städtisch gefördert wird, um gefährdete Jugendliche sozial und künstlerisch einzubinden. Das Werk hier ist über 12 Meter hoch und ziert eine Häuserwand Aber auch das Traditionelle kommt nicht zu kurz. Folkloremusiker bei einem der vielen Straßenfeste Große Sakralbauten gehören zum Stadtbild

Auf den frequentierten Plätzen und Straßen herrschen in Bogotá und in anderen kolumbianischen Städten sichere Verhältnisse. Dafür sorgen Dutzendschaften allzeit präsenter Polizisten und städtische Security-Mitarbeiter - eine Errungenschaft, die Voraussetzung für das "kolumbianische Wunder" ist, Abstand von der gewaltgeprägten Zeit der achtziger und neunziger Jahre zu bekommen. Eine andere ist die Vielzahl der sogenannten grünen Männer, eine vielköpfige "Säuberungsarmada", wenn man so will, die immer und überall unterwegs ist, bewaffnet mit Besen und Kehrblech, um der Verunreinigung Herr zu werden. In der Tat produziert die Bevölkerung Unmengen von Müll, weil jedes Gut in Plastiktüten über die Ladentheke geht und alle Getränke in Plastik- oder Pappbechern serviert wird. Jedoch sind die Müllmänner und -frauen, die Angestellte der Kommune sind, hier wie überall, sehr erfolgreich.

Nicht selten agieren sie singend oder im Salsaschritt und sind nett anzuschauen. Weitflächig ist Kriminalität und Müll der Kampf angesagt, nicht nur konkret, wie hier beschrieben, sondern auch über Bewusstseinsprozesse, die von den Behörden in den Medien einflussreich propagiert werden. Das verändert soziale Wahrnehmung der Bevölkerung, und davon profitieren nicht zuletzt auch die Gäste.

Touristische To-do-Liste

Freilich, in einer solch großen, quirligen Stadt kann sich der Fremde leicht verlieren, es sei denn, er hat sich für das Besichtigungsprogramm "nur" die Inaugenscheinnahme bestimmter Highlights vorgenommen. Ein Höhepunkt im besten Wortsinne etwa ist die Ersteigung des mehr als 3100 Meter hohen Hausberges von Bogotá, des Monserrate, der auf unterschiedlichen Wegen erfolgen kann; ein anderer der Besuch des Museo del Oro, des Goldmuseums, das im Ruf steht, eines der bestgeführten Museen des Kontinents zu sein.

Ein "Have-to-do" in Bogotá ist die Fahrt zum Hausberg der Stadt, zum über 3100 Meter hohen Monserrate. Das geht mit einer Zahnradbahn über diese Schmalspurschienen oder, viel spektakulärer, mit der Kabelbahn, aus der diese Aufnahme auf die Schienen entstand Wenn man Glück hat, ist der Blick vom Monserrate auf die wunderschöne Lage der Hauptstadt in einem weitläufigen Andental nicht so diesig wie an diesem Tag. Das Ausmaß der zu Stein gewordenen Savanne ist daher nur zu erahnen Ein durch Bogotá mäandernder Fluss wurde schon vor Längerem kurzerhand ins Unterirdische verbannt und darüber die Calle 13, eine der Hauptverkehrsadern, gelegt. Vom einst reißenden Gewässer ist nur noch eine symbolische Minivariante zu sehen - gebändigt und friedlich kanalisiert

Den Gipfel des Monserrate kann man problemlos fußläufig erreichen, die meisten Gäste wählen aber die Fahrt mit der Zahnradbahn oder die schwebende Variante mit der Kabelbahn, welche die besten Aussichten auf den steilen Hang bietet, an dem von Studenten eines Instituts ein Naturgarten mit seltenen Pflanzen, verschlungenen Pfaden und sprudelnden Wasserläufen angelegt wurde. Spektakulär ist nicht nur die Auffahrt, sondern auch, oben angekommen, der Blick über die im riesigen Andental schön gelegene Stadt - zumindest wenn die Sicht klar ist. Die Bergspitze beherbergt zudem eine Kirche und eine kleine Klosteranlage sowie Bewirtungseinrichtungen.

Mit der Geschichte und Kultur der indigenen Urbevölkerung macht das nur wenige hundert Meter vom Hauptplatz entfernt gelegene Goldmuseum bekannt. Bei einem Eintrittsgeld von nur anderthalb Euro können die schönsten Goldarbeiten der präkolumbianischen Zeit in einer breitgefächerten Dauerausstellung bewundert werden: Schmuck, naturreligiöse Symbole, Tierdarstellungen, Machtinsignien und vieles mehr. Auch werden Hintergrundinformationen vermittelt und Arbeitstechniken erläutert. Nicht zuletzt wird der Besucher (indirekt) mit dem dunkelsten Kapitel des spanischen Eroberungs- und Ausrottungszug der Konquistadoren ab dem 16. Jahrhundert konfrontiert, dem auch die meisten Goldarbeiten zum räuberischen Opfer fielen. Die Anzahl der Ausstellungsstücke ist zwar riesig, jedoch ist das Verbliebene nur ein bescheidener Rest des einmal vorhandenen Bestandes. Zur speziellen To-do-Liste des Berichterstatters gehörte in Bogotá zudem der Start bei einem Straßenlauf, der, auf den 26. November terminiert, zufällig bestens in die Anfangstage der Reise passte.

Der New Balance 15k-Lauf findet im und um den weitläufigen Park Metropolitan im Nordwesten der Stadt statt. Man fährt mit dem Metrobus dorthin, der mangels U-Bahn das Privileg hat, eine eigene Fahrspur zu haben. Wie man sieht, sind sonntags einige der gar zwölfspurigen Straßen für den Verkehr gesperrt und nur für Radler und Läufer offen Der 15k-Lauf in Bogotá ist ein relativ neues Format und als solches Teil einer großen New-Balance-Laufserie, die in Megacitys auf dem südamerikanischen Kontinent stattfindet. Die Teilnehmerobergrenze von 5500 Läufern wurde erreicht, Nachmeldungen waren nicht mehr möglich. Bei 4500 Finishern waren fast 1000 Akteure nicht angetreten

Kein leichtes Unterfangen - der Straßenlauf in 2600 Metern Höhe

Dass es sich bei der Teilnahme nicht um einen Marathonlauf handeln würde, der üblicherweise in der Rubrik "Reisen und Laufen" beschrieben und von der Leserschaft vermutlich auch erwartet wird, stand schon vor der Abreise statt. Zwar wird in Bogotá - wie in Medellin und in anderen Städten des Landes auch - ein international bekannter Marathonlauf organisiert, jedoch liegt der terminlich ungünstig im September. Außerdem hatte der hier berichtende westliche Flachlandbewohner einen nicht geringen Respekt vor den klimatischen Bedingungen, und, mehr noch, vor der dünnen Luft, denn Bogotá liegt auf über 2500 Metern Höhe. Deshalb war von vornherein eine kürzere Distanz überaus willkommen, und schnell wurde bei der Internetrecherche klar, dass der "15k New Balance Bogotá Run" die beste Option sein würde.

Ein erster Versuch der Informationsbeschaffung in deutschen Journalen und Foren scheiterte mangels Masse, denn mit Ausnahme einer kleinen Privatnotiz in einem Blog fand sich über Laufen in Kolumbien schlichtweg einfach nichts. Es war also Pionierarbeit zu leisten, was einigermaßen verwunderte in der kommunikativen Lauftourismusszene. Die sehr positiven Meldungen zur U18-WM, 2015 ausgetragen in der drittgrößten Stadt Kolumbiens, Cali, waren zum vorgesehenen Zweck nicht brauchbar.

Die Strecke ist flach und verläuft überwiegend auf breiten, abgesperrten Straßen. Besonders für Flachländer nicht zu unterschätzen ist, dass die Stadt auf über 2500 Metern Höhe liegt. Zum Startzeitpunkt um 10 Uhr zeigte das Thermometer angenehme 22 Grad an

Die einzige kleine Steigung ist diese Autobrücke, die gleich zweimal zu überqueren ist, gleichzeitig die einzige Stelle, wo man mit Straßenverkehr in Berührung kommt. Man kann sich Pacemakern (mit gelben Ballon gekennzeichnet) anvertrauen, dass man nicht zu schnell unterwegs ist

Glücklicherweise gibt es zahlreiche kolumbianische Internetseiten, die mit großer Akribie geführt werden. Allein die Übersicht von "runningcolombia" verzeichnet zahlreiche Laufveranstaltung in den Metropolen, aber auch in der Provinz, die treffende Details dazu vermittelt oder mit den Spezialseiten verlinkt. So weit, so gut. Jedoch stellte sich die Anmeldung, hier wie in Medellin, als schwierig, beziehungsweise als unmöglich heraus. Medellin hatte gar keine Online-Anmeldung vorgesehen, die für Bogotá scheiterte im Online-Formular schon bei der Angabe der Reisepassnummer, was bereits zum Abbruch der Anmeldung führte, später, als die Stelle mit einem Trick überwunden war, ließ das System eine Überweisung der Startgebühr per Kreditkarte nicht zu. Erst durch eine persönliche Kontaktaufnahme bei jeweils sehr freundlichen Antworten der Organisatoren wurde eine Teilnahme in Aussicht gestellt. Diese könne aber nur durch Anmeldung vor Ort realisiert werden. Das Problem dabei war, dass sich die Zahl der Starter in Bogotá bereits bedrohlich der Obergrenze von 5500 angenähert hatte. Letztendlich klappt es für den einzigen deutschen Teilnehmer dann doch.

"15k" - Teil einer großen Laufserie

Eine persönliche Anmeldung bei gleichzeitiger Aushändigung der Startunterlagen war in Bogotá nur in einem von zwei New-Balance-Laufläden möglich, die je über die Hälfte des Kontingents verfügten. Da die innenstadtnahe Filiale bereits alle Startnummern aufgebraucht hatte, war eine Fahrt an die Stadtgrenze im äußersten Norden notwendig, die selbst mit dem schnellsten Verkehrsmittel der Stadt, dem Metrobus, der über eigene Fahrspuren verfügt, noch anderthalb Stunden dauerte. Immerhin lernte man hierdurch, und später durch den Lauf selbst, zwei Bezirke der City kennen, die einem sonst unbekannt geblieben wären. Nach der dann doch problemlosen Anmeldung konnte der erste Teil des Abenteuers "Laufen in Kolumbien" beginnen.

Zweimal kommen sich die Läufer nach Wendepunkten entgegen. Farblich passend zu den neonleuchtenden Trikots der Akteure ist dieses (augenblicklich unbesetzte) Begleitmotorrad ausstaffiert Wendemarke und Kontrollmatte bei km 5. Insgesamt gab es fünf Zwischenzeitnahmen, der erste schon nach 1000 Metern

Das Rennen fand erst zum fünften Mal statt und hat die offiziell vermessene Länge von 15 Kilometern, genau dieselbe Distanz also, wie sie für alle Läufe der lateinamerikanischen New-Balance-Laufserie vorgesehen ist, egal ob in Sao Paulo, Lima, Santiago, Buenos Aires, Rio, Mexiko City oder einer anderen Megametropole. Der "Bogotá 15k Run" ist immer auf den letzten Novembersonntag terminiert und startet um zehn Uhr im Simon Bolivar Metropolitan Park im Nordwesten der Stadt, wo der gutsituierte Mittelstand seine Bungalows und Villen stehen hat. Der Sonntag als Austragungstag ist bewusst gewählt, denn große Teile der Stadt sind bis in die frühen Nachmittagsstunden autofrei und gehören dann der Bevölkerungsgruppe, die sich ausschließlich der eigenen Muskelkraft zur Fortbewegung bedient, also Radlern, Läufern, Skatern oder Inlinern.

Schon bei Ankunft am Startareal wird ein Unterschied zu deutschen Gepflogenheiten deutlich. Über neunzig Prozent aller Teilnehmer haben sich bereits das offizielle Finishershirt übergezogen, das sich im Starterbeutel befunden hat. Hintergrund: unter allen Läufern, die das gesponserte Shirt tragen, verlost New Balance zwei Freistarts für den Airbnb Brooklyn Halbmarathon in New York inklusive Flugreise und Hotelaufenthalt für zwei Personen - ein attraktiver Anreiz. Für das Land üppig sind auch die Gratifikationen für die schnellsten drei Läufer und Läuferinnen der drei Kategorien Teen (17-19 Jahre), Hauptklasse (20-39) und Master (40+). Sie betragen in den Hauptklassen für das siegreiche Trio zusammen neun Millionen Pesos, für die Altersklassen die Hälfte.

Die letzten drei Kilometer führen um den kleinen See im Bolivar-Park. Es ist der schönste Teil des Rennens Das Ziel erreichte der schnellste Mann nach spannendem Endkampf nach 48:18min. Die schnellste Frau brauchte 59:14min. 32 Prozent der Teilnehmer waren weiblich

Kurz nach dem pünktlichen Start wird eines schnell klar: das Laufen in der Höhenlage fällt dem europäischen Gastläufer nicht leicht, den Einheimischen scheint die dünne Luft hingegen kaum etwas auszumachen. Werden die ersten 12 Kilometer auf breiten Straßen absolviert, erleben die Läufer den schönsten Teil der Strecke direkt im weitläufigen Park, wobei sie final einen See zu umrunden haben. Auf der schnellen und überwiegend flachen Strecke werden von den Siegern sehr gute Zeiten erreicht. Bei den Männern ist dies Javier Andres Peña Cabrera, der nach spannendem Endspurt in 48:16min knapp gewinnt, bei den Frauen ist es Ginory Fernanda Comargo Triana, die nach 59:14min als erste ins Ziel kommt. Insgesamt war der Lauf tadellos organisiert, nur für die Kleiderbeutelrückgabe, die mit großem bürokratischem Aufwand durchgeführt wurde, musste man viel Geduld aufbringen, denn die zog sich über Stunden hin.

Diese Zeit jedoch hatte der Chronist nicht, denn sein inländischer Weiterflug nach Cartagena war auf den frühen Nachmittag terminiert, weshalb er seine Tasche, in der sich keine wichtigen oder wertvollen Dinge befanden, an Ort und Stelle beließ (belassen musste).

Als schönste Stadt des Landes gilt gemeinhin Cartagena, gelegen im Norden, direkt an der Karibikküste. Ein Besuch der Millionenmetropole gehört zum Pflichtprogramm eines jeden Kolumbienreisenden. Ihre Attraktion bezieht sie aus der bedeutenden und wunderschön restaurierten Altstadt, der vielfältigen Kolonialarchitektur und ihrer einzigartigen Lage am Meer. Hier werden landesweit die meisten Besucher registriert. Nachteil vielleicht: als einziger Anlegeplatz für Kreuzfahrtriesen wird sie saisonal von japanischen und amerikanischen Tagestouristen überschwemmt

Reisen ohne Laufen

Zum Pflichtprogramm eines jeden Kolumbienreisenden gehört der Besuch der wohl schönsten Stadt des Landes, Cartagena. Hier ist die touristische Infrastruktur am weitesten fortgeschritten, hier wartet die "Königin der Karibik" mit einem einmaligen, kolonial geprägten Gebäudeensemble in der historischen Altstadt und mit der herrlichen Lage in einer Meeresbucht auf ihre Gäste. Das alte Zentrum ist vollständig erhalten und hervorragend restauriert und wird fast komplett von einer meterdicken Stadtmauer aus der spanischen Besatzungszeit umgeben, auf der man spazieren gehen und den Sonnenuntergang genießen kann, gerne auch bei einem Kaffee oder einem frischgepressten Fruchtgetränk, denn in den Abendstunden öffnet auf der Mauer, in der Nähe eines Stadttores ein beliebtes Restaurant seine Türen, das besonders von Reisenden frequentiert wird.

Weniger herausgeputzt und daher authentischer wirkend als die Altstadt gibt sich der jenseits der Mauer befindliche Stadtteil Getsemani, wo insbesondere die Backpacker logieren und allabendlich für Feierlaune sorgen. Gleich nebenan liegt eine Hauptsehenswürdigkeit der Ortschaft, das mächtige Kastell San Felipe, die größte je auf lateinamerikanischen Boden von Spaniern erbaute Festung, die fast vollständig erhalten geblieben ist und begangen werden kann. Wie wehrhaft das Kastell tatsächlich war, erfuhren ihre Erbauer - Ironie des Schicksals - am eigenen Leibe. Ihnen, den Konquistadoren, gelang es nicht, die Stadt zurückzuerobern, nachdem sie zeitweise aus ihr vertrieben worden waren.

Das Theater von Cartagena genießt einen hervorragenden Ruf. Es liegt an der fast vollständig erhaltenen Stadtmauer, die zu großen Teilen begehbar ist Blick auf den Platz vor dem historischen Haupttor. Die Altstadt ist komplett zum Unesco-Weltkulturerbe erklärt worden und wird zurecht als Königin der Karibik bezeichnet. In der Nähe starten kleine Boote, die Tagesausflügler auf nahegelegene, hübsche Miniinseln mit schönen Stränden oder andere Naturattraktionen wie das Oszeaneum auf der Isla de Flores bringen

Im weit außerhalb gelegenen Stadtteil Bocagrande türmen sich die Wolkenkratzer vieler Luxushotels in den Himmel, da es hier doch ordentliche Strandabschnitte gibt, die im Zentrum fehlen. Am Anfang, an der Mole, starten die kleinen Ausflugsschiffe, die Tagesausflügler auf kleine, hübsche Inseln bringen, beispielsweise auf Baru oder die Isla del Flores. Weiter hinten, im Hafen, legen - singulär für Kolumbien - Kreuzfahrtriesen an mit bekannten, nicht immer erfreulichen Folgen. Als Besucher für nur wenige Stunden handelt es sich oftmals um keine am Land wirklich interessierten Leute. Hektisch durchlaufen sie das Zentrum auf der Suche nach Souvenirs oder Einkehrmöglichkeiten und ziehen durch ihr Verhalten lästige Verkäufer und auch Trickdiebe an. Sie bringen zwar das schnelle Geld in die Stadt, sorgen aber genauso dafür, dass die Preise explodieren und für die einheimische Bevölkerung nicht mehr realistisch sind, besonders im Miet- und Immobilienbereich.

Berühmtheit

Entspannter und stressfreier als in Cartagena geht es in dem 500.000 Einwohner zählenden Santa Marta zu, das im Zentrum das Flair einer beschaulichen Kleinstadt versprüht, zumindest tagsüber. Am Abend geht auf den schönen Plätzen und schmucken Gassen jedoch das heftige Partyleben los - nicht zuletzt, weil sich hier die Rucksacktouristen die Klinke in die Hand geben, hängengebliebene Althippies ihre selbstgemachten Lederbändchen feilbieten und die immer gutgelaunten jungen Leute - Besucher wie Einheimische - bereit sind, das Tanzbein zu schwingen. Santa Marta erreicht man per Bus von Cartagena aus in vier Stunden für kleines Geld. Die Stadt ist idealer Ort für einen längeren Aufenthalt und bildet den Ausgangspunkt für Tagesausflüge an die herrlichen Karibikbuchten im Norden, etwa nach Taganga oder Palomino, in den artenreichen Nationalpark Tayrona oder, wer mag, auch ins unaufgeregte, in der Provinz liegende Aracataca, ein unbekannter Ort von weltliterarischer Bedeutung.

Einer der vielen Plätze in der Altstadt wird zur Adventszeit festlich dekoriert und erstrahlt in der Dunkelheit glanzvoll Auch das ist Cartagena: im Stadtteil Bocagrande türmen sich die Luxushotels in den Himmel. Hier besitzen viele betuchte Einheimische großzügige Appartements

Es ist der Geburtsort von Gabo, wie ihn die Kolumbianer liebevoll nennen, von Literaturnobelpreisträger Gabriel Garcia Marquez und der Schauplatz seines berühmtesten Romans "Cien años de solidad" (Hundert Jahre Einsamkeit). Im Werk heißt die sagenumwobene Gemeinde, die rund vierzigtausend Einwohner beherbergt, allerdings Macondo, benannt nach einer dort wachsenden, blätter- und fruchtlosen Baumart mit glatter Rinde. Als in Aracataca vor wenigen Jahren ein Bürgerentscheid anberaumt wurde, ob man den Ort in nach dem im Buch verwendeten Macondo umbenennen sollte, war die Wahlbeteiligung zu gering, um wirksam zu werden. Nichtsdestotrotz ist an jeder Ecke und in jeder Gasse ersichtlich, wie stolz die Bewohner auf ihren großen Sohn sind. Das Konterfei ist oftmals auf Mauern abgebildet, Restaurants sind nach ihm benannt, die alte Schule trägt seinen Namen und aus dem Haus, in dem der Schriftsteller 1927 das Licht der Welt erblickte, hat man ein kleines Museum gemacht. Vor fünfzig Jahren genau, 1967, erschien sein Meisterwerk und damit eine neue literarische Gattung, der magische Realismus.

Höhepunkt Medellin

Vor zwanzig Jahren wäre es vollkommen unmöglich gewesen, den Besuch Medellins als Höhepunkt einer Kolumbienreise zu bezeichnen, heute scheint nichts selbstverständlicher zu sein - so sehr hat sich die einstmals gefährlichste Stadt seit der Zerschmetterung des Drogenkartells in den frühen neunziger Jahren gewandelt, verändert, vollkommen neu erfunden. Mehr noch, sie ist in mancherlei Hinsicht Vorreiter geworden für andere Großstädte weltweit, beispielsweise mit der Resozialisierung gestrandeter oder ins Abseits gedrängter Menschen sowie mit einem innovativen Verkehrskonzept in einer geographisch und städtebaulich problematischen Lage. Besonders erfolgreich gestaltete sich auch das Gewalt-Deeskalations-Konzept in einer Stadt, die einst die höchste Mordrate der Welt aufwies und heute nicht mehr unter den ersten fünfzig zu finden ist.

In (fast allen) lateinamerikanischen Ortschaften sind die Straßen schachbrettartig mit fortlaufender Nummer angeordnet, da macht Kolumbien keine Ausnahme. Das erleichtert die Orientierung ungemein, auch in Supermetropolen wie Medellin. Hier kreuzen sich (zufällig am Hauptplatz der Stadt) die Carrera 52 (immer und überall Nord-Süd-Richtung) und die Calle 52 (West-Ost) Der Hauptplatz heißt Plazoleto de las Esculturas oder auch Plaza Botero. Letzteres, weil der bekannte kolumbianische Künstler Fernando Botero 23 riesige Bronzeskulpturen dort aufstellen durfte mit Menschen und Tieren in mehr als stattlichem Format, sprich dick. Das ist humorvoll, hat Wiedererkennungswert und machte Botero so angesehen, dass er zu einem der bestbezahlten Künstlern weltweit wurde Auf der Plaza steht auch der eindrucksvolle Palacio de la Cultura des belgischen Stararchitekten Agustin Goovaerts

Bizarre Spuren in der Stadt, die heute 3,7 Millionen Einwohner zählt, hat der brutale Obergangster Pablo Escobar, der zum uneingeschränkten Boss der weltweit agierenden Kokainmafia aufstieg und zu einem der reichsten Männer der Welt wurde, bis heute dennoch hinterlassen. Findige Leute bieten Stadtbesichtigungstouren auf den Spuren jenes Mannes an, der für mehrere hundert Morde verantwortlich sein soll, meist ausgeführt durch Auftragskiller. Zu den Besichtigungsorten gehören seine Luxustempel ebenso wie Unterschlupfszenarien oder andere "Wirkungsstätten" wie etwa der heutige Naturpark Cerro Arvi auf einer weitläufigen Andenerhebung, wo er seine Gegner - in Plastiksäcken verpackt - entsorgt haben lassen soll. Unter den umtriebigen Stadtführern befindet sich sogar ein ausgesprochener "Kenner" der Szene, der ehemalige Chefkiller Escobars, Jhon Jairo Velásquez, der sich nach dem Tod seines Bosses stellte und zwanzig Jahre absaß. Heute führt er Gäste aus aller Welt an die Tatorte und verdient seinen Lebensunterhalt damit - eine etwas andere Art der Resozialisation. Das ist - ohne Frage - schon sehr speziell, und nicht zu Unrecht fragt der "Spiegel" in seiner Titelstory vom 2. Juli diesen Jahres, warum Menschen, vor allem Jugendliche, die diese Führungen buchen, auf diese Weise einen Mörder hofieren.

Viele Menschen, frisches Obst, Straßenverkäufer. Gleich neben dem Boteroplatz, unter der Metrotrasse, herrscht von morgens bis abends quirliges Treiben Angeboten und erworben wird einfach alles. Wohl kaum Verkaufsschlager dürften in einer Stadt, in der das Quecksilber nie unter 16, gerne aber bis zu 30 Grad steigt, gefütterte Handschuhe und Wollmützen sein, selbst die nicht mit der Aufschrift "Police". Nicht umsonst wird Medellin als Stadt des ewigen Frühlings bezeichnet Auch das ist Medellin: ausgestattet mit historischen Schreibmaschinen bieten Männer ihre Dienste vor allem für ältere Mitmenschen an. Die Jugend daddelt wie bei uns fortwährend auf ihren Smartphones herum

Stadt mit Zukunft - trotz oder gerade wegen dieser Vergangenheit!

Im direkten Kontakt mit den Einwohnern wird sichtbar, dass sie froh sind, die Zeit des kriminellen Terrors hinter sich gelassen zu haben, haben doch viele Familien Opfer der Gewalttaten zu beklagen. Um so mehr sind sie stolz auf die vielen Verbesserungen, die sich für sie seither im konkreten Alltag ergeben haben und auch weiter ergeben werden.

Die Stadt ist für sie sicherer, sauberer, mobiler geworden. Beispielsweise durch ein Kabelbahn- und Rolltreppensystem als innovatives Verkehrskonzept, angebracht an den steilsten Hängen der einst wildwuchernden Armenviertel. Dort, wo die ältesten Menschen wohnen und die Wege am beschwerlichsten sind, hat man mit internationalen Finanzhilfen die kostenintensive Bauten realisiert und bietet die Benutzung für ein Minimalsalär oder vollständig kostenfrei an. So kommen die Leute schneller in die City, zu ihren Arbeitsplätzen, zu Freunden. Im einst problematischsten aller Viertel, in der Comuna 13, dort wo die Rolltreppen laufen, hat die Stadt ihre jungen Bewohner mit umfangreichen Graffitiarbeiten betraut, weshalb hier jetzt Kunstinteressierte aus aller Welt auflaufen, um den bunten Street-Art-Bezirk ausgiebig zu bestaunen, wobei sie geführt werden von eben jenen jungen Künstlern, die am allerbesten in der Lage sind, das nötige Hintergrundwissen zu vermitteln. Also (Re)-Sozialisierung pur darf man das benennen.

Eine besondere Sehenswürdigkeit ist der historische Bahnhof von Medellin. Das Gebäude wird nach dem weitgehenden Niedergang der kolumbianischen Eisenbahn für museale und wissenschaftliche Zwecke genutzt Berühmt ist Medellin für seine Blumenzucht, für die internationalen Tangotage, das weltweit angesehene Festival der Poesie und, zur Weihnachtszeit, für die aufwändige Festbeleuchtung. Dieser Schnappschuss spiegelt die Pracht kaum wieder

Medellin ist vielleicht nicht ganz so stilvoll und museal wie die Hauptstadt, aber es steht zu ihr in einer gesunden Konkurrenz. Auf den Straßen geht es geschäftiger zu, herrschen größere Menschenansammlungen und besteht ein mindestens ebensolch hohes Verkehrsaufkommen. Stolz sind die Einwohner auf die vielen Festivals, sei es das der Poesie, des Tangos oder der Skulpturen. Berühmt ist die "Stadt des ewigen Frühlings" vor allem aber für ihre üppige Weihnachtsilluminationen und die traditionsreiche Zucht von Blumen, insbesondere Orchideen, die in alle Welt verkauft werden. Das ist sicher auch der Grund, warum der gerade prämierte Marathon den schönen Untertitel "de las Flores" trägt.

Von Punkt zu Punkt: der Weihnachtslauf in der Blumenstadt

Ein Marathon, wie gesagt, stand nicht auf dem Plan des Reiselaufreporters, wohl aber ein weiterer Unterdistanzstraßenlauf, der am 17. Dezember in Medellin schon zum 26. Mal angeboten wurde, der "Cotrafa Carrera Atlética Nadvideña", der gleichzeitig (fast) den Abschluss der Reise bildete.

Latinos haben die Ruhe weg. Erst dreißig Minuten vor dem Start des 26. Medelliner Weihnachtslaufs wird mit den Aufbauten für den Start begonnen, der einwandfrei und mit deutscher Pünktlichkeit angeschossen wurde Für einen Berichterstatter aus Alemania stellt man sich gerne für ein Gruppenfoto auf

Titelsponsor des Weihnachtslaufes ist ein sozial eingestellter Versicherungs- und Finanzdienstleister, die Cotrafa-Genossenschaft, die in Medellin, wo der Start erfolgt, und in Bello, wo das Ziel ist, seinen Hauptsitz hat. So ist es auch kein Zufall, dass genau an deren Firmengebäuden gestartet und gefinisht wird. Die Distanz zwischen beiden Standorten (auch Bello ist eine größere Stadt mit einer halben Million Einwohnern) beträgt genau zwölf Kilometer. Rund eintausend Läufer hatten sich für das von der regionalen Laufvereinigung Antioquias organisierten Rennen angemeldet, knapp 900 Finisher erreichten das Ziel. Zum Lauf gehören des Weiteren verschiedene Jugendrennen über Distanzen von einem bis fünf Kilometer, die allesamt in Bello über die Bühne gehen. Dies bereits sehr früh um 7:30 Uhr, und zwar deshalb, weil schon eine Stunde später mit den ersten Zieleinläufen im Hauptrennen zu rechnen ist, das um acht Uhr in Medellin angeschossen wird.

Über 1000 Läufer und Läuferinnen machen sich auf die 12 km lange Strecke von Medellin in die Nachbarstadt Bello Nicht ganz so hoch wie Bogotá, aber doch immerhin auf 1600 Metern Höhe liegt Medellin. Den Einheimischen scheint das nichts anhaben zu können (ebensowenig wie die hohen Temperaturen), den wenigen ausländischen Gastläufern aber durchaus

Ganz leicht ist der Lauf auf einer Höhe von 1600 Metern bei Temperaturen von knapp 25 Grad und direkter Sonneneinstrahlung nicht. Außerdem weist die Strecke vor allem im ersten Teil einen Höhenunterschied von mehr als 200 Metern auf, die bei mehreren kurzen, steilen Anstiegen zu bewältigen sind. Bei Kilometer acht ist der Scheitelpunkt erreicht, und es geht nur noch abwärts ins Stadtzentrum von Bello, wo ganz am Schluss noch ein Minihügel wartet. Als schnellster Mann erwies sich Jeisson Alexander Suarez Bocanegra-Ganador, der nach 38:49min zu Hause war, schnellste Läuferin war Muriel Coneo, die 46:12min brauchte. War der Frauenanteil in Bogota bei der längeren Strecke noch ein Drittel gewesen, lag er in Medellin bei gut einem Viertel.

Drei Wasserstellen waren eingerichtet worden, ein Stadtmitarbeiter kehrt die Plastikbeutel sofort zusammen Die Strecke mag Andenbewohner flach erscheinen, faktisch aber waren bis etwa km 8 etliche Höhenmeter mit teils kurzen, steilen Anstiegen zu bewältigen. Später ging es aber wieder runter aufs Ausgangsniveau

Medaillen und Shirts gab es in beiden Fällen für alle, ein Weihnachtsgeschenk beim Weihnachtslauf sogar obendrauf. Die ausgelobten Siegprämien waren auch hier erheblich, wurden aber nicht in monetärer Form, sondern als Einkaufsgutscheine vergeben. Der Anmeldevorgang war gleichfalls nur persönlich möglich, für welchen man schon zwei Tage vorher in der Stadt sein musste, was für (ausländische) Gäste schwierig sein kann. Notfalls kann man auch ohne Startnummer mitlaufen und erhält sogar im Ziel seine Medaille, wie mehrfach zu beobachten war, nur in der Ergebnisliste taucht man dann nicht auf.

Wie in Bogota so hat man auch hier den Stadtfluss Rio Medellin gebändigt und in ein Betonbett gezwängt - ihn aber im Gegensatz zur Hauptstadt überirdisch belassen. Der Fluss war lange Zeit Begleiter der Läufer auf der Strecke Beide Läufe, der in Bogotá und dieser in Medellin, waren auch nach internationalen Maßstäben hervorragend organisiert. Start und Ziel in Medellin bzw. Bello waren Gebäude des Hauptsponsors Cotrafa, ein Versicherungs- und Finanzdienstleister, der viele wohltätige Aktionen begleitet und initiiert

Grünes Bewusstsein schaffen

Und die Zukunft? Lange Zeit kannten die Einwohner Medellins nur Asphalt, Beton und Häuserschluchten, auf den Hängen bestehend aus Bungalows und Hütten aus charakteristischem, roten Backstein, traditionell unverputzt belassen. Eines der vielen ehrgeizigen, noch zu verwirklichenden Ziele der Stadtverwaltung ist es, grüne Erholungsräume im und um die Stadt zu schaffen oder zu erschließen. Eines der wenigen intakten Ökosysteme - zugleich eine lohnende Sehenswürdigkeit - ist der Stadthügel Nutibara, der achtzig Meter hoch und komplett bewaldet ist und nach einem mächtigen indigenen Vorfahren und Führer benannt wurde. Hier hat man am Hang einen Skulpturenpark internationalen Formats eingerichtet und ein großes Freilichttheater geschaffen, zudem wurde auf dem Gipfel ein ursprüngliches Dorf der Region in Miniformat sowie ein kleines regionalgeschichtliches Museum gebaut. Die Tatsache, dass die Einheimischen den Hügel in Scharen aufsuchen, zeigt an, dass die Bemühungen auf fruchtbaren Boden fallen.

Eine steile Treppe mit knapp 300 Stufen führt mitten in der Stadt, vorbei am Kulturenpark, hinauf zum bewaldeten Hügel Cerro Nutibara, wo ein indigenes Dorf - in Miniaturformat nachgebaut - zu besichtigen ist. Einheimische zieht es vor allem sonntags in Scharen hierher. Eine Sehenswürdigkeit ist es auch für Gäste, vor allem wegen dem schönen Blick über die Stadt

Gleichfalls hat man eine der neuen Seilbahnen, die zunächst nur vom Stadtteil Santo Domingo auf die höheren Wohnhänge führte, über mehrere Kilometer über den gesamten Hügel bis zum Nationalpark Arvi verlängert. Was anfangs als Attraktion vorwiegend für die Touristen gedacht war, entpuppt sich mehr und mehr auch als Möglichkeit der Einwohner, in dieses weitgefächerte, geschützte Reservat zu kommen, in dem große, geführte Wanderungen in wilder Berglandschaft angeboten werden bis hin zu einem idyllisch gelegenen See. Auch findet sich hier ein Schmetterlings- und Pflanzenhaus, da die Gegend so reich an seltener Flora und Fauna ist. Viele Arten kommen nur hier und sonst nirgendwo auf der Welt vor.

Ganz aus dem Häuschen sollen die Stadtväter einem Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zufolge gewesen sein, als sie davon hörten, dass ein deutscher Bürgermeister innerhalb seiner Stadt schon vor vielen Jahrzehnten einen kreisrunden Grüngürtel einrichten ließ als Erholungsoase für alle Bewohner. Die Rede ist von Köln und seinem früheren Stadtoberhaupt Konrad Adenauer.

Medellin gilt Fachleuten und Magazinen als innovativste Stadt der Welt. Ein Grund dafür ist das ultramoderne Verkehrssystem mit der S-Bahn auf Stelzen, den Metrokabelverbindungen in die Berghänge hinein und einem Rolltreppensystem innerhalb besonders steiler, bewohnter Viertel. Das schafft für die Bewohner Mobilität und sozialen Fortschritt, für Gäste die aufregende Möglichkeit, per Seilbahn die Stadt von oben zu bewundern und Entdeckungen zu machen, beispielsweise die spacige Biblioteca de España des renommierten italienischen Baumeisters Giancarlo Mazzanti. An spektakulärem Ort errichtet, gleicht sie schwarzen Diamanten
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Ein solch visionäres Projekt will man nun auch in Medellin unbedingt angehen, obwohl eine Realisierung - von der Struktur der Metropole her betrachtet - fast ein aussichtsloses Unterfangen scheint. Aber: Mit scheinbar aussichtslosen Ausgangslagen kann man hier - wie sich zeigte - besser umgehen als sonst irgendwo.

Fazit: Medellin bleibt spannend wie wohl kaum eine andere Stadt von Weltformat. Die Zuerkennung des "Sozial-Awards" für ihren Marathon wird sicher nicht die letzte internationale Auszeichnung für die Stadt gewesen sein.

Bericht und Fotos von Michael Schardt

Ergebnisse
zu Bogota www.finalap.com - zu Medellin www.finalap.com

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