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7.4.07 - 38. Two Oceans Marathon KapstadtKlassiker mit ein wenig Diskussionsbedarf |
Eigentlich ist es ja nur ein Trainingslauf, ein reines Testrennen für den in Südafrika am meisten beachteten Wettkampf eines jeden Jahres, für den Comrades Marathon. Zumindest war das von den Organisatoren am Anfang einmal so gedacht.
Aber im Laufe von nicht allzu langer Zeit hatte die Sache dann eine vollkommen unerwartete Eigendynamik bekommen. Und die ursprüngliche Intention, Läuferinnen und Läufer nur für noch bevorstehende neue Ziele aufzubauen, ist völlig in den Hintergrund getreten. Das Ganze hat inzwischen eine ganz andere und viel, viel größere Bedeutung erhalten. Und für manch einen könnte es längst das wichtigste Rennen überhaupt sein.
Der traditionell am Ostersamstag ausgetragene Two Oceans Marathon von Kapstadt hat sich selbst zu einem absoluten Topereignis im südafrikanischen Sportkalender entwickelt. Insgesamt fast zwanzigtausend Teilnehmer, zumindest für afrikanische Verhältnisse recht hohe – umgerechnet jeweils rund 15.000 Euro für die Siegerin und den Sieger - Preisgelder und eine vielstündige Live-Übertragung im Fernsehen belegen das eindrucksvoll.
Dabei könnte man gleich mehrere Dinge im Werbeslogan „Two Oceans Marathon Cape Town – the world’s most beautiful marathon” beanstanden. Unbedarfte dürften sich zum Beispiel darüber wundern, dass man während des gesamten Laufes die Kapstädter City überhaupt nicht zu Gesicht bekommt. Das Ganze spielt sich ein ganzes Stück weiter südlich in den weit verstreuten Vorortsiedlungen ab.
Aber falsch ist dieser Teil des Veranstaltungsnamens dennoch nicht. Denn auch die gesamte sich fast fünfzig Kilometer vom Stadtzentrum ausdehnende und am „Kap der guten Hoffnung“ endende Halbinsel gehört verwaltungstechnisch zur ältesten Siedlung des Landes.
Da ist das „Two Oceans“ schon viel eher eine Diskussion wert. Im Gegensatz zur weitverbreiteten Auffassung ist das „Cape of Good Hope“ nämlich keineswegs die Südspitze Afrikas. Die findet man rund zweihundert Kilometer entfernt am Kap Agulhas.
Der vom portugiesischen Erstumsegler Bartolomeu Diaz aufgrund der dortigen spitzen Felsen „Cabo das Agulhas“ (= „Kap der Nadeln“) genannte Landvorsprung reicht rund dreißig Kilometer näher an den Südpol heran als das auf dem Weg nach Indien vorher zu umfahrende „Cabo da Boa Esperança“. Um zu retten, was noch zu retten ist, steht dann auf der dortigen Tafel halt etwas vom „südwestlichsten Punkt“ Afrikas.
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Werbebanner | Werbefahrzeug | Friendship Run: Ein Läufer aus Tansania an der Waterfront mit Tafelberg im Hintergrund |
Nun lassen sich die Weltmeere natürlich nicht exakt abgrenzen. Und es gibt durchaus Argumente, den Indischen Ozean ein wenig weiter nach Westen auszudehnen. Denn erst bei Kapstadt treffen seine warme Agulhasströmung und der kalte Benguelastrom des Atlantiks aufeinander, weshalb die Badeorte der False Bay im Osten der Kaphalbinsel auch spürbar wärmeres Wasser aufweisen als die Strände der Luftlinie nur wenige Kilometer entfernten westlichen Atlantikküste.
Und zudem sind die steilen Felsabbrüche am Kap der guten Hoffnung auch wesentlich dramatischer und fotogener als das relativ flache Kap Agulhas. Ähnliches gibt es ja auch in Europa, wo das berühmte Nordkap ebenfalls nicht der nördlichste Punkt des Kontinents, für den es fast jeder hält, aber eben viel spektakulärer als der wahre Titelträger ist.
Dennoch wird die Bezeichnung „einzige Stadt an zwei Ozeanen“ vermutlich doch mehr aus Werbegesichtspunkten als aus echter Überzeugung so offensiv verwendet. Und ein an zwei Ozeanen gelaufener Marathon lässt sich eben auch besser verkaufen als ein nur an zwei unterschiedlichen Buchten entlang führender.
Auf jeden Fall einen Streit provozieren kann man mit der Bezeichnung „schönster Marathon der Welt“. Schließlich sind solche Superlative immer subjektiv und hängen eindeutig von der Perspektive und dem Erfahrungsschatz des Betrachters ab. Neutrale Kriterien lassen sich da noch viel weniger definieren wie bei der Abgrenzung der Ozeane. Zumal ja weltweit auch einige andere Veranstaltungen mit ähnlichen Slogans für sich werben.
Aber ein Wort im Namen des Rennens ist definitiv gelogen: „Marathon“. Denn der Two Oceans ist eben kein Rennen über jene bekannten 42,195 Kilometer sondern ein lupenreiner Ultra. Während man anderswo Halb-, Zwei-Drittel- oder Drei-Viertel-Marathons aus der Taufe hebt und dabei dennoch gerne jene so emotionsbehaftete Bezeichnung benutzt, läuft man am Kap bei einer Länge von 56 Kilometern ziemlich genau einen Vier-Drittel-Marathon ohne darüber viele Worte zu verlieren. Doch so genau nimmt man es mit der Namensvergabe in Südafrika sowieso nicht, denn auch der knapp neunzig Kilometer lange Comrades firmiert ja der Einfachheit halber noch unter Marathon.
Wem die Zahlenkombination mit der 5 und der 6 dabei irgendwie bekannt vorkommt, dem sei gesagt, dass umgerechnet auf das angelsächsische System dabei ziemlich exakt 35 Meilen – der Two Oceans hieß nach den Ausrichterverein anfangs auch nur „Celtic 35 Miler“ – herauskommen. Und der Massenauftrieb von sechzigtausend Gelegenheits- und Sonst-Gar-Nicht-Läufern der Frankfurter Corporate Challenge führt – wie alle Schwesterveranstaltungen weltweit - genau über ein Zehntel jener Distanz.
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Vor dem Start zum Friendship Run | Vorstellung der Eliteathleten: Simona Staicu, Olesya & Yelena Nurgalieva und Marina Bychikova | Ansprache vom scheidenden Rennleiter Chet Sainsbury |
Zwar sind die Teilnehmerzahlen in Kapstadt nicht ganz so groß, doch wenn es um die insgesamt gelaufenen Kilometer geht, liegt man eindeutig vorne. Jeweils knapp achttausend Meldungen gingen für den Ultra in den letzten Jahren bei den Organisatoren ein. Dazu gibt es seit einem Jahrzehnt auch noch einen Halbmarathon, der inzwischen auf ungefähr zehntausend Starter limitiert werden musste. Bei diesem sieht man zwar keinen der beiden „Ozeane“, aber dennoch ist er inzwischen der größte Lauf über diese Distanz in ganz Südafrika.
„Fun Runs“ zwischen 2,5 und 8 Kilometern sowie Kinderläufe runden am Karfreitag das Programm ab. Und als neueste Ergänzung gibt es seit diesem Jahr einen „International Friendship Run“ für die ausländischen Teilnehmer und ihren Anhang, denen man so zumindest ein wenig die Möglichkeit gibt, an den Sehenswürdigkeiten der Kapstädter City vorbei zu laufen.
Die 1652 von den Niederländern gegründete älteste europäische Siedlung des Landes - deshalb von den Südafrikanern manchmal auch als „Mother City“ bezeichnet - hat nämlich durchaus einiges an Interessantem zu bieten. So ganz zu unrecht wird Cape Town nicht in der Liste der schönsten Städte der Welt geführt. Denn zumindest was die geographische Lage am Fuße des Tafelberges angeht, kann man sich kaum viel Imposanteres vorstellen.
Mehr als tausend Meter erhebt sich die steile Nordflanke des Berges über die nach ihm benannte Tafelbucht. Zusammen mit den benachbarten Devil's Peak und Lion’s Head sowie dem Signal Hill bildet er fast ein natürliches Amphitheater, das sich im Halbkreis um das Stadtzentrum legt. Am markantesten und unverwechselbarsten aus dieser Kette ist aber definitiv der mit seinem fast drei Kilometer langen, fast völlig ebenen Plateau zumindest aus der Entfernung wirklich an einen Tisch erinnernde Tafelberg.
Nicht weniger typisch und einmalig ist allerdings auch der Charakter der Stadt, die sich unterhalb von ihm ausdehnt und längst aus dem viel zu kleinen Felsenrund hinausgewachsen ist. Eine wirklich spannende Mischung aus Europa, Afrika, Nordamerika und Asien, der man als Tourist dort begegnet. Historische Gebäude unterschiedlichster Epochen, wie sie auch in jeder europäischen Großstadt zu finden sein könnten, wechseln sich mit eher amerikanisch anmutenden Straßenschluchten zwischen den Glasfronten moderner Hochhäuser ab. Breit angelegte Boulevards mit Grünanlagen im neueren Teil der Stadt gehen im alten Kern in schmale Fußgängergassen über.
Dazwischen machen sich dann afrikanische Markstände breit, herrscht ein wildes Gewusel Menschen unterschiedlichster Hautfarben und Herkunft. Und nur wenige Meter von dieser Hektik entfernt bieten Parkanlagen mit tropischer Vegetation Orte der Ruhe.
Etliche wichtige Museen und Galerien - nicht wenige mit Namenszusätzen wie „South African“ oder „National“ - laden ebenfalls zum Besuch ein. Schließlich ist Kapstadt in der ein wenig verwirrenden politischen Konstellation des Landes eine der Hauptstädte. Als nach dem Krieg zwischen den die Küste beherrschenden Briten und den im Hinterland ansässigen Buren die Südafrikanische Union gegründet wurde, einigte man sich nämlich auf den Kompromiss der räumlichen Trennung der drei Staatsgewalten.
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Friendship Run: Vor dem Rathaus | Vor dem Sklavereimuseum | Vor dem Parlament |
Während die Regierung ihren Sitz in der „exekutiven“ Hauptstadt Pretoria im früheren Transvaal hatte und hat, sprechen die obersten Gerichte in der „judikativen“ Hauptstadt Bloemfontein aus der zweiten Burenrepublik Oranje-Freistaat Recht. Und als Standort für das Parlament und damit „legislative“ Hauptstadt wurde eben Cape Town in der schon lange britischen Kapkolonie ausgewählt.
Auch im „neuen“ Südafrika nach dem Ende der Apartheid hat sich an dieser Verteilung erst einmal nichts geändert. Und so gibt es dann auch einiges an Repräsentativbauten wie das Parlamentsgebäude und den Präsidentenpalast in Kapstadt zu bewundern. Mindestens einmal muss sich jeder Teilnehmer am Two Oceans Marathon auch in diesen Innenstadtbereich hinein begeben. Denn die Startnummern erhält man im „Good Hope Centre“ einer Veranstaltungs-, Ausstellungs- und Kongresshalle, die mit ihrer gewölbten Dachkonstruktion entfernt an die „schwangere Auster“, ihre Kollegin von Berlin, erinnert.
Schon ab Mittwoch werden hier die leuchtend grünen Läuferbeutel mit den Unterlagen und den üblichen Werbegeschenken verteilt. Die insgesamt rund tausend Ausländer, die sich für die beiden Hauptrennen gemeldet haben, bekommen sie an ihrem eigenen Schalter.
Ganz so leicht ist es nicht festzustellen, welche Nation denn nun nach den natürlich absolut dominierenden Südafrikanern die stärkste ist. Schon wieder gibt es da Diskussionsbedarf. Denn zwei völlig unterschiedliche Interpretationsmöglichkeiten lassen sich finden. Betrachtet man nämlich die Staatsangehörigkeit sind eindeutig die Briten in Führung. Deutlich mehr als dreihundert Starter mit der Nationenbezeichnung „United Kingdom“ spuckt der Rechner auf Nachfrage aus.
Doch in den verschiedenen Meldelisten lässt sich bei Durchstöbern so einiges Interessante entdecken. Manche Vereinsbezeichnungen hinter den Namen mit britischer Nationalität machen zum Teil nämlich stutzig. Etliche deuten eindeutig auf Orte in Südafrika hin.
Des Rätsels Lösung ist, dass viele Briten – selbst wenn sie bereit in der zweiten, dritten oder gar vierten Generation im Land leben – auch nach dem Ende des Empire ihren Pass behalten und nie die südafrikanische Staatsbürgerschaft beantragt haben. Wirklich ausländische Gäste sind das natürlich keine. Und ziemlich genau die Hälfte aller Briten am Start fällt dann auch in diese Kategorie.
Die Sache sieht schon ganz anders aus, wenn es darum geht, aus welchem Land die Teilnehmer angereist sind. Denn da liegt - wie bei vielen anderen internationalen Rennen auch - wieder einmal Deutschland vorne. Zusammengenommen über zweihundert Läuferinnen und Läufer, von denen sich mehr als zwei Drittel für die lange Distanz entschieden haben, lassen sich in den Startlisten finden.
So ist es dann auch wenig verwunderlich, dass am Karfreitag etliche deutsche Flaggen und Trikotaufschriften zu entdecken sind, als sich die internationalen Teilnehmer kurz vor halb zehn vor dem Good Hope Centre zum „Freundschaftslauf“ einfinden. Eine eigene „Startnummer“ und auch ein weiteres T-Shirt – ein Funktionshemd gab es schon mit den Startunterlagen - für die Sammlung darf man sich als Teilnehmer der Hauptrennen vorher noch kostenlos abholen. Am Folgetag nicht startende Begleiter sind mit fünfzig Rand – umgerechnet gut fünf Euro – dabei.
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Friendship Run: Vor South African National Gallery | An der Waterfront mit ... | ... Tafelberg im Hintergrund |
Für 9:30 ist der Start angesetzt. Doch wer geglaubt hat, dass es zu diesem Zeitpunkt auch wirklich los geht, kennt sich nicht unbedingt mit dem südafrikanischen Zeitverständnis aus. Es gibt zwar verbal feinste Unterscheidungen wie „just now“ und „now now“ für eine Terminabsprache. Doch in der Praxis können beide sehr wohl jenes "manaña“ bedeuten, das man im auf ähnlicher geographischer Breite wie Kapstadt gelegenen Mittelmeerraum zu hören bekommt.
Zuerst einmal müssen ein paar Begrüßungsreden gehalten werden. Das passiert zwar in Englisch. Doch der holprigen Ansprache, mit der sich zum Beispiel die Vize-Bürgermeisterin an die Läufer wendet, merkt man deutlich an, dass es sich hier keineswegs um ihre Muttersprache handelt. Ausgerechnet in der von allen südafrikanischen Provinzen am längsten britisch beherrschten Kapregion wird nämlich hauptsächlich Afrikaans gesprochen.
Als letzter ergreift dann der scheidende Renndirektor Chet Sainsbury das Wort. Über ein Vierteljahrhundert stand der frühere Rugbyspieler an der Spitze des Organisationsteams. In dieser Zeit hat sich die Gesamtzahl der Teilnehmer mehr als verzehnfacht. Nun macht er Jüngeren Platz. Dass Sainsbury sich nicht nur – oder vielleicht doch gerade - aufs perfekte Organisieren verstand, lässt sich aus fünfundzwanzig Medaillen des „eigenen“ Laufes ablesen, die er sich zwischendurch auch noch erlaufen hat. Seine sechsundzwanzigste wird er 2007 hinzufügen.
Ein paar Topläuferinnen, die sich nicht zu schade sind, bei diesem lockeren Läufchen am Tag vor dem großen Rennen mit dabei zu sein, werden auch gleich vorgestellt. Da ist zum Beispiel die Ungarin Simona Staicu, die den Two Oceans Marathon 2003 gewinnen konnte. Da sind die durch ihren Doppelsieg beim Frankfurt Marathon auch in Deutschland bekannten russischen Zwillinge Olesya (Zweite 2004 und 2005) und Yelena Nurgalieva (Siegerin 2004 und 2005, Zweite 2006) sowie ihre Landsfrau Marina Bychkova, die in den beiden Vorjahren immerhin Dritte und Vierte werden konnte, dieses Mal aber nichts mit dem Ausgang des Rennens zu tun haben wird.
Den berühmtesten Namen unter den auf die Eingangstreppe zum Good Hope Centre hinaufgerufenen jungen Damen hat allerdings Tegla Loroupe. Auch wenn die kleine Kenianerin „nur“ den Halbmarathon bestreiten wird und trotz ihrer gerade einmal knapp vierunddreißig Jahre schon deutlich über ihren Leistungszenit hinaus ist, erhält sie den wohl stärksten Applaus. Schließlich hat sie im Laufe ihrer Karriere zwei Marathonweltrekorde aufgestellt und unter anderem in New York, Berlin, London und Rotterdam zum Teil gleich mehrfach gesiegt.
Es ist fast zehn Uhr, als es dann wirklich los geht. Die mitgebrachten Fahnen flattern schon die ganze Zeit wie wild im Wind und werden es auch weiter tun. Denn bereits seit dem Vortag pfeift der berüchtigte „Southeaster“ mit Böen bis zu hundert Stundenkilometern durch die Straßen der Stadt.
Mitteleuropäern können da sehr wohl unschöne Erinnerungen an jenen Tag kommen, als knapp drei Monate zuvor ein gewisser Kyrill ihre Heimat besuchte. Doch die Kapstädter sind diesen Wind, der sonst allerdings hauptsächlich im südafrikanischen Frühling und Frühsommer auftritt, durchaus gewohnt. Da er auch die schlechte Luft über der City wegbläst, ist er gar nicht einmal unbeliebt und hat den Spitznamen „Cape Doctor“ erhalten.
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Two Oceans Marathon: Bei Sonnenaufgang kurz vor Muizenberg | Am Bahnhof von Muizenberg | In Muizenberg | In Muizenberg am Rhodes Cottage Museum |
Nicht so gut gefällt zumindest den Läufern unter den Capetonians jedoch, dass er von den Meteorologen auch für den folgenden Morgen angekündigt wird. Aber zumindest warm und trocken soll es bleiben. Langjährige Two Oceans Marathonis könnten da durchaus auch von ganz anderen Bedingungen während des Rennens berichten.
Noch etwas anderes bewirkt der aus Südosten kommende Wind. Er erzeugt das sogenannte „Tischtuch“ auf dem Tafelberg, durch das trotz rundherum besten Bedingungen der Gipfel häufig in Wolken gehüllt ist.
Die Luft zieht nämlich auf ihrem Weg nach Kapstadt zuerst über die False Bay und nimmt dabei einiges an Wasser auf, um dann auf das tausend Meter hohe Bergmassiv zu prallen. Aufgrund des Temperaturunterschiedes kondensiert die Feuchtigkeit am Hang bald zu Nebelschwaden. Der Wind schiebt diese dann von der Rückseite zum Plateau hinauf. Regelmäßig drückt er das Kissen fest an die oberen Partie. Oft auch für einen längeren Zeitraum.
In die deutlich wärmere Stadt schwappen die Wolken dagegen unter diesen Bedingungen nur selten. Denn weiter unter löst sich die Feuchtigkeit dann wieder in der Luft. An den beiden Tagen vor dem Rennen sind vom Tafelberg jedenfalls trotz strahlender Sonne in der City nur die ersten drei Viertel zu sehen.
Besteigungen über die Wege der doch recht steilen Nordflanke machen unter diesen Voraussetzungen eigentlich keinen Sinn, zumal man vom Gipfel sowieso keine Aussicht hat, die man sich mit dem Aufstieg verdient hätte. So bleiben die meisten Wanderer bei solchen Verhältnissen dann auch im unteren Teil des Berges.
Sie können sich damit trösten, dass auch die Seilbahn, die vom Stadtrand zum Plateau hinauf führt, bei dem starken Wind immer wieder den Betrieb einstellen muss. Auch der bequeme Weg der Fototouristen bleibt an Tagen mit Southeaster eben öfter verschlossen.
Mit einem Megaphon versucht einer der mitlaufenden Helfer den internationalen Gästen zu erklären, was sie da gerade an Sehenswürdigkeiten passieren. Viele Zuhörer hat er nicht, denn obwohl vor dem Start noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen wurde, dass das jetzt KEIN Rennen sei und man doch bitte möglichst dicht zusammen bleiben solle, zieht sich das Grüppchen sehr schnell weit auseinander.
Als erstes deutet er nur wenige Meter hinter dem Good Hope Centre auf das älteste Gebäude der Stadt und des ganzen Landes, das Castle of Good Hope. Die bereits 1666 begonnene und 1679 fertig gestellte Festungsanlage schützte einst den Hafen der Tafelbucht. Erst für die niederländische „Vereinigte Ostindische Compagnie“, später nach deren Eroberung der Kapprovinz für die Briten. Durch Aufschüttung der sogenannten Foreshore, mit der die Fläche der Innenstadt in den Vierziger Jahren enorm vergrößert wurde, liegt sie inzwischen aber rund einen Kilometer vom Meer entfernt mitten im Zentrum.
Gleich nebenan wartet die imposante City Hall in ihrem ungewöhnlichen Mix aus Elementen der Renaissance und britischen Kolonialstils. Und als die Läuferinnen und Läufer dann in die Government Avenue einbiegen, kommt der Gute aus dem Deuten und Erzählen gar nicht mehr heraus.
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An der False Bay und die bunten Badehäuser bei St. James |
Zuerst taucht da an der linken Seite das Kulturgeschichtliche Museum auf. Seltsamerweise ist gerade die ehemalige Sklavenunterkunft der Ostindischen Handelskompanie, in die das Museum eingezogen ist, das zweitälteste erhaltene Gebäude der Stadt.
Auf der anderen Seite ist die St. George’s Cathedral zu entdecken, deren Spitzname “The peoples Cathedral” sich aus der Tatsache herleitet, dass sie zu Zeiten der Apartheid Menschen aller Hautfarben offen stand und politisch Verfolgten als Zuflucht diente. Von ihrem Aussehen her könnte sie allerdings auch mitten in London erbaut sein, ohne dort im Geringsten aufzufallen.
Höhepunkt der zur Fußgängerzone umgestalteten Allee ist allerdings das Gebäude der Houses of Parliament. Hinter der mit wuchtigen Säulen verzierten Front tagen die beiden Parlamentskammern, die Nationalversammlung und der Rat der Provinzen, der in etwa dem deutschen Bundesrat entspricht. Das immerhin auch schon über 250 Jahre alte benachbarte Tuynhuys ist der Kapstädter Amtssitz des südafrikanischen Präsidenten.
Und mit der South African Library, der National Gallery und dem South African Museum liegen gleich drei der schon erwähnten Nationalen Kultureinrichtungen rund um den ebenfalls an die Government Avenue angrenzenden Company’s Garden. Dort wo früher von den ersten Siedlern Kräuter, Obst und Gemüse angebaut wurde, ist inzwischen ein mit dichtem Grün bewachsener Park entstanden, der von Einheimischen und Touristen gleichermaßen frequentiert wird.
Natürlich geht es nicht in dieser Sehenswürdigkeiten-Dichte weiter. Doch zeigt zum Beispiel der Blick in die Long Street, an der man wenig später vorbeikommt wieder eine ganz andere Seite von Kapstadt. Viktorianische Häuser erinnern dort mit ihren vorgebauten Balkonen ein wenig an Pionierstädte im Wilden Westen.
Und Boo Kaap ist sowieso eine Welt für sich. Das Viertel mit den in allen Farben, die sich auf der Palette finden lassen, leuchtend bunt gestrichenen Häuserfronten wird nämlich hauptsächlich von den sogenannten Kapmalaien bewohnt. Diese Nachfahren von Sklaven aus Indonesien, Malaysia, Ceylon oder Madagaskar, die von der VOC hierher verschleppt wurden, sind zwar längst mit Menschen anderen Herkunft durchmischt, bilden aber mit ihrem muslimischen Glaube dennoch eine eigene, relativ klar abzugrenzende Bevölkerungsgruppe in der kulturellen Vielfalt der „Regenbogennation“ Südafrika.
Das letzte Stück hinunter zur Victoria and Albert Waterfront, wo dieser Lockerungslauf endet, ist dann zwar weniger sehenswert. Doch hat man den Hafen erst einmal erreicht, nimmt der Trubel deutlich zu. Aus den alten Lagerhallen und Dockanlagen ist hier in den letzten beiden Jahrzehnten ein Einkaufs- und Vergnügungsviertel mit unzähligen Geschäften, Cafés und Restaurants geworden. Fast rund um die Uhr ist hier Leben. Eine Touristenfalle ersten Ranges, die aber auch von den Kapstädtern selbst gerne zum Bummel genutzt wird.
Wem dieser Lauf noch nicht gereicht hat – oder als Südafrikaner dazu nicht eingeladen war –, der kann am Nachmittag des Karfreitags bei den „Fun Runs“ über fünf oder acht Kilometer seine Beine lockern. Allerdings haben die trotz ihres Namens dann doch schon eher Wettkampfcharakter. Für aus europäischer Sicht fast schon lächerliche 10 bis 20 Rand Startgebühr gibt es sogar eine Medaille für jeden Teilnehmer.
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An der False Bay ... | ... bei Fish Hoek | Verpflegungsstelle bei Halbzeitmarke |
Dabei kann man dann schon einmal das Areal der Universität von Kapstadt in Augenschein nehmen, auf deren Rugbyfeld der Einlauf stattfinden wird. Im Gegensatz zum Friendship-Run findet dieser Teil der Veranstaltung nämlich nicht in der City sondern am für den Folgetag bereits aufgebauten Zielgelände statt.
Und sogar auf der Originalstrecke wird bereits am Karfreitag gelaufen. Auf den speziellen Wunsch von Teilnehmern, die aufgrund religiöser Überzeugungen nicht an einem Samstag starten wollten, können die 56 Kilometer auch am Tag zuvor – allerdings auf nicht gesperrten Straßen und mit deutlich eingeschränktem Service – absolviert werden.
Die aufgrund des weiterhin blasenden Windes sowieso recht unruhige Nacht endet für praktisch alle Läufer schon, als die Uhr noch eine „3“ am Anfang zeigt. Für sechs Uhr ist nämlich bereits der Start des Halbmarathons angesetzt, zwanzig Minuten später der des Ultras. Und da die meisten zudem auch noch aus den weit verstreuten Vororten zum etwas außerhalb des Stadtzentrums liegenden Start- und Zielbereich fahren müssen, ist schon das zum Teil noch recht knapp kalkuliert.
Rund um die Universität finden sich zwar etliche Parkplätze, doch auch alle umliegenden Straßen sind am Ende ziemlich zugeparkt. In der völligen Dunkelheit der noch lange nicht beendeten Nacht ist es ohnehin nicht ganz so einfach die Orientierung zu behalten.
Denn der Start ist eben nicht direkt bei der am Fuße des Devil's Peak traumhaft schön gelegenen University of Cape Town sondern einen guten Kilometer entfernt im Stadtteil Newlands. „Immer der Masse nach“, muss dann auch das Motto für den Erstteilnehmer lauten, was angesichts von nahezu zwanzigtausend dem Startbereich entgegen strömenden Menschen jedoch nicht allzu schwer fällt.
Hintereinander angeordnete Aufstellungsräume mit sechs (Halbmarathon) bzw. sogar acht (Ultralauf) unterschiedlichen Startgruppen machen dann das Einsortieren in die richtigen Positionen recht leicht. Für die Teilnahme am langen Two Oceans ist nämlich der Nachweis eines in fünf Stunden absolvierten Marathons oder eines im Zeitlimit bewältigten Ultras innerhalb der letzten zwölf Monate notwendig. Und anhand dieser Belege und einer umfangreichen Umrechnungstabelle werden die Läufer dann in die einzelnen Blocks verteilt.
Gerade einmal zehn Jahre ist es her, dass man eine volle Dreiviertelstunde schneller über die 42,195 Kilometer sein musste, um überhaupt beim Two Oceans Marathon antreten zu dürfen. Erst 1998 wurden angesichts der auch in Südafrika immer stärker breitensportlichen Orientierung der Laufszene fünfzehn Minuten zugegeben. Drei Jahre später kam man dann bei der heute noch gültigen Qualifikationsleistung an.
Solche Zeiten sind für den bei der Vorstellung der Spitzenathleten am meisten bejubelten Läufer natürlich überhaupt kein Thema. Josiah Thugwane hat schließlich eine Bestzeit von 2:07:28 vorzuweisen und ist der Marathon-Olympiasieger der Spiele von Atlanta. Als erster Schwarzer konnte er dabei Gold für sein Land gewinnen. Bereits 1912 in Stockholm hatte allerdings Kennedy McArthur einen südafrikanischen Erfolg in einem olympischen Marathon erzielt.
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Blick auf Strand von Noordhoek vom Chapman's Peak Drive | Anfeuerung am Chapman' Peak Drive | Auf dem Chapman's Peak Drive |
Der richtige Durchbruch bei den großen Stadtläufen gelang Thugwane nach seiner Goldmedaille jedoch irgendwie nicht. Nur Siege bei den japanischen Rennen von Fukuoka und Nagano finden sich noch in seiner Vita. Immer wieder warfen ihn auch Verletzungen zurück. Jetzt ist er auf die in Südafrika sowieso fast wichtigere Ultradistanz gewechselt. Und nachdem er im Vorjahr beim Two Oceans nicht ins Ziel kam, unternimmt er nun einen zweiten Anlauf.
Während sich die Eliteläufer ein wenig aufwärmen, haben es sich viele aus dem großen Feld in ihren Startblocks mitten auf der Straße gemütlich gemacht. Noch ist viel Zeit und einen Ultra, selbst wenn es sich hier noch um eine kürzere Variante handelt, geht man vielleicht doch etwas ruhiger an als einen Marathon. Die Nervosität wird sich erst in den letzten Minuten vor dem Start wirklich entwickeln. Da kann man sich vorher durchaus noch ein wenig umsehen.
Voller Informationen stecken zum Beispiel die Nummern. Viele offene und versteckte Botschaften kann man herauslesen. Der aufgedruckten Vornamen erklärt sich eigentlich von selbst. Den Buchstaben vor der Zahlenkombination, identifiziert man noch recht einfach als die Startgruppe, in die man sich einzuordnen hat. Und auch die bei vielen im rechten oberen Eck angedruckten Zahlen „40“, „50“ oder „60“ lassen sich nur – vollkommen zu Recht – als Altersklasse interpretieren.
Mit den vielen unterschiedlichen Farben sieht es da schon ganz anders aus. Die aus dem Ausland angereisten Läuferinnen und Läufer sind zum Beispiel alle mit Startnummern in orange ausgestattet. Das lässt sich bei genauerer Betrachtung an den in etwas kleinerer Schrift auch noch angegebenen Namen und Herkunftsländern schnell erkennen. Einen eigenen Nummernkreis haben sie außerdem noch.
So sind die Gäste auch für die Einheimischen schnell in der großen Läufermasse zu identifizieren. Da jeder gleich zwei Nummern, eine für die Vorder-, eine für die Rückseite bekommen hat, ist das sogar ohne mühsames Umdrehen beim Überholen problemlos möglich. Entsprechend oft wird man dann unterwegs gefragt werden, wo man denn her komme und wie einem Südafrika, Kapstadt und der Two Oceans gefallen würden.
Doch da gibt es außerdem auch noch Sonderausstattungen in blau, gelb oder rosa. Und die haben etwas mit jenen „permanent numbers“ zu tun, die man in Südafrika fast überall erhält, wenn man einen Lauf zehn oder mehr mal absolviert hat. Die niedrigen Zahlen der blauen Nummern lassen schon die Vermutung aufkommen, dass es sich bei ihren Trägern um die Stammgäste handeln könnte.
Die – natürlich – auf dem Papier ebenfalls ausgewiese Anzahl der Teilnahmen bestätigt diese Vermutung. Und wenn man dann weiter beobachtet, werden auch die anderen Farben klar. Blau mit einem weißem Streifen bedeutet nämlich zwanzig und mehr beendete Two Oceans Marathons. Jene Starter mit den rosa Startnummern sind nach neunzehn Läufen bei dieser Ausgabe auf dem besten Weg sich diesen weißen Streifen zu verdienen.
Und die mit gelb angetretenen Damen und Herren stehen nach bisher neun Rennen kurz vor der Aufnahme in jenen prestigeträchtigen „Blue Number Club“. Sie müssen nur noch dieses Mal durchkommen, um für die Zukunft ihre dann bei jedem weiteren Start feste Nummer zu erhalten. Die wartet schon im Ziel und kann im Anschluss an das Rennen direkt abgeholt werden.
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Auf dem Chapman's Peak Drive |
Übrigens sind beim Two Oceans bereits über dreitausend dieser Nummern vergeben. Rekordhalter ist Noel Stamper, der mit Startnummer „4“ in diesem Jahr seinen siebenunddreißigsten Two Oceans Marathon in ununterbrochener Folge beenden wird. Nur die allererste Austragung fand ohne ihn statt.
Jedes seiner Ergebnisse kann man im Internet exakt nachvollziehen. Und auch die aller anderen Mitglieder des „Blue Number Club“. Bis zurück ins Gründungsjahr 1970. Da wirkt es schon ziemlich hilflos und fast ein wenig peinlich, wenn einige Veranstalter hierzulande für ihre „Jubiläumsklubs“ die Läufer darum bitten, die Anzahl ihrer Teilnahmen selbst nachweisen.
Es ist noch immer stockfinster, als Punkt sechs die Halbmarathonläufer zu den bekannten Klängen aus dem Läuferfilm „Chariots of Fire“ als erste auf die Strecke geschickt werden. Im Gegensatz zum Freundschaftslauf am Vortag wird die Uhrzeit auch genau eingehalten. Dass bis kurz vor dem zwanzig Minuten später angesetzten Start der Ultradistanz allerdings noch immer Nachzügler dem längst verschwundenen Feld hinterher eilen, ist doch schon etwas bezeichnend.
Und bis die schnellsten Kurzstreckler im Ziel ankommen, wird es gar nicht wirklich hell sein. Denn die Sonne beginnt gerade erst sich zu erheben, als der Kenianer Willy Mwangi nach 1:03:06 als Erster in den Zielkanal auf dem Rugbyplatz einläuft. Zwanzig Sekunden Vorsprung hat er auf den Südafrikaner Enos Matalane heraus geholt.
Mit Lebenya Nkoka aus Lesotho in 1:03:44 und dem zweiten Kenianer Elijah Mbogo in 1:03:50 bleiben zwei weitere Läufer unter 64 Minuten. Kani Simons kommt als zweiter Einheimischer nach 1:04:40 auf Gesamtrang fünf ins Ziel. Während auf der langen Strecke zumindest bei den Herren die Läufer aus den Ländern des südlichen Afrikas die ersten Plätze eigentlich immer unter sich ausmachen, mischen über den Halbmarathon auch in Kapstadt die Ostafrikaner fleißig vorne mit. Denn Charles Wanjohi, für den 1:04:48 gestoppt werden, ist bereits der dritte Kenianer im Vorderfeld.
Bekannte Namen sind das allerdings - zumindest für Europäer - nicht unbedingt. Ein Henrik Ramaala, der 2005 beim Two Oceans Halbmarathon erfolgreich war, hatte da als Sieger des New York Marathons doch einen ganz anderen Stellenwert. Und auch Josiah Thugwane taucht 2002 als Gewinner der kurzen Strecke in den Annalen auf.
Beim weiteren Lesen der Ergebnisliste fällt dann auf Platz zwölf als Sieger der hier „Veterans“ genannten M40 aber Lucketz Swartbooi aus Namibia (1:06:04) ins Auge, an den sich einige vielleicht noch erinnern können. Bei der WM in Stuttgart konnte er sich nämlich 1993 in einem dramatischen Rennen die Silbermedaille erkämpfen. Eine Zeit lang hatte er damals sogar wie der sichere Sieger ausgesehen, bevor ihn der in die USA ausgewanderte, gebürtige Südafrikaner Mark Plaatjes einen Kilometer vor dem Ziel noch überholte.
Swartbooi ist zum ersten Mal beim Halbmarathon dabei, kann allerdings aus den vergangenen Jahren schon auf Plätze zwei, drei und vier über die 56 Kilometer lange Königsdistanz verweisen. Beim Two Oceans noch etwas erfolgreicher ist seine Landsfrau Helaria Johannes, die mit einer Endzeit von 1:13:16 bei den Damen schon zum zweiten Mal in Folge auf die oberste Stufe des Halbmarathon-Treppchens klettern darf.
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Auf dem ... | ... Chapman's Peak Drive | Am höchsten Punkt des Chapman's Peak Drive bei km 34 |
Ihren eigenen Streckenrekord verbessert sie dabei um 19 Sekunden. Allerdings war das auch ziemlich nötig, denn ihre erste Verfolgerin Rene Kalmer läuft in 1:13:42 nur knapp an der alten Marke vorbei. Zintle Xiniwe von den ausrichtenden Celtic Harriers benötigt als zweite Südafrikanerin mit 1:14:52 dann allerdings schon eine gute Minute mehr, kann aber Thabita Tsatsa (1:15:17) auf Distanz halten.
Ein wenig enttäuschend für Organisatoren und Publikum wird Tegla Loroupe nach 1:17:40 „nur“ Fünfte. Aber absolute Spitzenleistungen sind von der kleinen Kenianerin nach einer doch schon recht langen und erfolgreichen Laufbahn wohl eigentlich nicht mehr zu erwarten.
Einen weiteren Rekord können die Macher des Two Oceans jedoch verbuchen. Noch nie waren mehr Teilnehmer beim Halbmarathon unterwegs. Insgesamt 9262 Zieleinläufe werden registriert, davon 9196 innerhalb des Zeitlimits. Mit drei Stunden fällt die Zielschlusszeit seit dem vergangenen Jahr allerdings auch um einiges weicher aus als beim Ultralauf, so dass auch deutlich Untrainiertere sich auf die 21,1 Kilometer begeben können.
Für die Ultraläufer stehen die ersten Kilometer ebenfalls in der Dunkelheit an. Nachdem im Vorjahr der Startschuss unter großen Diskussionen auf sieben Uhr nach hinten verlegt wurde, ist man inzwischen wieder zu einer früheren Startzeit zurück gekehrt. Auch so werden die meisten noch in die Wärme des Spätsommermittags hinein rennen.
Das Laufen im Dunklen sind die aus dem Winter der Nordhalbkugel kommenden Europäer sicherlich gewohnt. Die kurzen Hosen und Netzhemden, die bei Temperaturen von bereits fünfzehn Grad am Start durchaus empfehlenswert sind, trotz des milden Winters dann aber wohl doch weniger.
Das fehlende Tageslicht lässt anfangs natürlich ziemlich wenig von der Umgebung erkennen, selbst wenn Laufen auf der beleuchteten Straße problemlos möglich ist. Doch auch falls es hell wäre, gäbe es auf dem ersten Teilstück des Two Oceans Marathons sowieso recht wenig zu sehen. Beinahe schnurgerade zieht sich die Straße mit dem nicht wirklich einfallsreichen Namen „Main Road“ kilometerweit durch die Vororte von Kapstadt.
Wer dem Getümmel der Startphase entkommen ist und seinen Rhythmus gefunden hat, kann also erst einmal die Gedanken weit weg schweifen lassen. Auf dem ersten Viertel der Strecke verpasst man dabei wirklich wenig vom „schönsten Marathon der Welt“.
Und in die Versuchung, das Rennen zu schnell zu beginnen, kommt man in diesem Fall dann ebenfalls eher nicht. Und das ist wichtig, denn das Profil des Kurses ist ziemlich tückisch. Bis auf eine Kuppe bei Kilometer vier, die man angesichts der Dunkelheit und des dichten Feldes gar nicht so wirklich wahr nimmt, ist die erste Hälfte des Kurses nämlich nahezu völlig eben.
Die heftigen Steigungen, bei denen in der Summe immerhin rund fünfhundert Höhenmeter zu erklettern sind, kommen erst im zweiten Teil. Und wenn man sein Pulver durch ein zu hohes Anfangstempo dann schon verschossen hat, wird es richtig hart.
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Blick auf Hout Bay von Chapman's Peak Drive |
Die Sonne schickt gerade ihre ersten Strahlen über die Berge im Osten der Stadt, als die Spitzengruppe am Meer ankommt. Vorne hat sich mit Frans Chauke ein Läufer bereits um rund eine Minute abgesetzt. So wirklich ernst nimmt diesen Vorstoß im großen Feld der Favoriten jedoch noch niemand. Man lässt den Hasardeur, der schon zweimal unter den ersten Zehn, aber eben mit ähnlicher Renntaktik auch schon auf Platz 108 einkam, fürs Erste gewähren. Auch diesmal wird ihm seine frühe Flucht nur Rang 34 einbringen.
Innerhalb weniger Sekunden rauscht dann wenig später allerdings ein rund fünfzig Köpfe umfassender Pulk mit allen Favoriten nach Muizenberg hinein. Bis auf einige Läufer aus Simbabwe, Malawi und Lesotho, die jedoch auch für südafrikanische Teams antreten, sind es durchgängig Einheimische. Zumindest bei den Männern sind die Zeiten vorbei, als - auch wenn der Sieg bisher immer in Afrika blieb - einige Ultraspezialisten aus Europa in der Spitze mitmischten.
Bei den Frauen war allerdings seit 2000 keine Südafrikanerin mehr ganz vorne. Fünf russische und ein ungarischer Erfolg sind seitdem verzeichnet. Und mit Simona Staicu und Yelena Nurgalieva sind zwei dieser Siegerinnen auch in der achtköpfigen Spitzengruppe dabei. Vorjahresgewinnerin Tatyana Zhirkova hat dagegen schon eine halbe Minute Rückstand.
Neben der zweiten Nurgalieva-Schwester Olesya haben sich noch Angeline Molaba und Mamorallo Tjoka aus Südafrika, Samukeliso Moyo aus Simbabwe sowie Rakela Akukothela aus Namibia eingereiht. Dazu kommt als dritte Russin Madina Biktagirova, die zwar ihr Debüt beim Two Oceans gibt, aber mit 2:24:48 die mit Abstand schnellste Marathonbestleistung bieten kann.
Mit Muizenberg, wo 1795 die Briten die Niederländer besiegten und damit die Herrschaft am Kap der Guten Hoffnung übernahmen, beginnt der zweite Teil des Rennens, der nun für ungefähr acht Kilometer an der False Bay entlang zieht. Direkt hinter dem wuchtigen Bahnhof des Ortes, dessen Dimensionen wohl auch der Tatsache geschuldet sind, dass hier einst etliche der oberen Zehntausend der Kapprovinz ihren Wohnsitz hatten, taucht das Meer erstmals auf.
Und von jetzt an gibt es deutlich mehr zu sehen, wird die Strecke wirklich schön, auch wenn ihr das absolut Spektakuläre noch fehlt. Während auf der einen Seite die Wellen des Meeres ans Ufer schwappen, erheben sich auf der anderen Seite direkt hinter den Häusern mehrere hundert Meter hohe, felsige Berge. Die einzelnen kleineren Buchten, in die sich die Uferlinie weiter aufgliedert und die von den Marathonis umrundet werden, bieten zudem ständig neue Perspektiven.
Direkt an die Strände der False Bay, die ihren Namen erhielt, weil sie regelmäßig von den aus dem Osten kommenden Seefahrern schon für die Tafelbucht gehalten wurde, kommen die Läufer jedoch nicht direkt heran. Auf der gesamten Länge wird die Eisenbahnlinie, mit der die Verbindung der Badeorte, die sich hier wie Perlen an der Schnur aufreihen, nach Kapstadt hergestellt wird, zwischen der Straße und dem Ufer verlaufen.
Eigentlich hätte spätestens jetzt der angedrohte heftige Wind das Feld voll erfassen müssen. Doch ist zwar durchaus ein Luftzug im Gesicht spürbar, aber der kann definitiv nicht mit den Böen der vergangenen beiden Tage verglichen werden. Das Wetter hat sich einige Stunden früher als von den Meteorologen berechnet beruhigt. Den Läufern kann das nur recht sein.
Langsam wandert die Sonne aus ihrem Versteck hinter den Bergen den Himmel ein Stück hinauf und taucht alles in ein warmes Licht. Einige der Gebäude am Straßenrand in Muizenberg lassen dabei sehr klar erkennen, dass ihre Erbauer ganz sicher nicht zu den Ärmeren gezählt haben.
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Blick auf Hout Bay von Chapman's Peak Drive | Auf dem Chapman's Peak Drive | Anstieg zum Constantia Nek |
Das Häuschen, das der durch den Diamantenhandel enorm reich gewordene Cecil Rhodes als Feriensitz ausgesucht hatte, nimmt sich da mit seinem Reetdach regelrecht bescheiden aus. Heute findet man dort ein Museum, das dem Kolonialpolitiker, der unter anderem durch die Burenkriege die britische Einflusssphäre im südlichen Afrika beträchtlich ausdehnte und nach dem Rhodesien – das heutige Simbabwe – benannt wurde, gewidmet ist.
Als nächstes Dorf am Meer folgt St. James, dessen in knallbunten Farben gestrichene Strand-Umkleidekabinen als Foto in keinem Kapstadt-Reiseführer fehlen dürfen. Auch Kalk Bay und Fish Hoek, die sich fast übergangslos anschließen, bieten mit ihren Badebuchten ähnliche Bilder.
Den letzten und vielleicht sogar schönsten dieser Orte passieren die Teilnehmer beim Two Oceans allerdings nicht. Simon’s Town ist zwar auch als wichtigster Marinestützpunkt des Landes bekannt. Doch geworben wird für das immerhin sechstausend Einwohner zählende – und dafür erstaunlich ruhige - Städtchen vor allem damit, dass man der Platz auf der Welt sei, an dem man am leichtesten die nähere Bekanntschaft eines Pinguins machen könnte.
Nun ist das sicher ein klein wenig übertrieben, denn auch in einigen anderen Ländern gibt es da entsprechende Möglichkeiten. Doch für den afrikanischen Kontinent ist der Spruch definitiv zutreffend. Denn der „African Penguin“, der aufgrund seiner Augenzeichnung im deutschen Brillenpinguin heißt, nistet eigentlich hauptsächlich auf Inseln vor der Küste.
In Simon’s Town gibt es allerdings nicht nur eine Festlandskolonie. Nein, sie ist auch noch mitten im Dorf. Zwar versucht man die Vögel durch Zäune von den Gärten der Anwohner fernzuhalten. Doch ganz gelingt das nicht immer. Und so muss man immer damit rechnen, auch direkt an der Hauptstraße einmal einen Pinguin zu entdecken.
Der größte Teil der Tauchvögel hält sich jedoch an den ihnen zugewiesenen Bereich am Boulder Beach, wo die Touristen gegen ein geringes, an die Nationalparkbehörde zu entrichtendes Eintrittsgeld von umgerechnet zwei Euro auf Holzwegen zwischen den unzähligen Pinguinen herum spazieren können. Kaum ein Besucher von Kapstadt lässt sich diese Attraktion dann auch entgehen. Und - wie die Aufschriften auf einigen Jacken zeigen - wohl auch kaum einer der aus dem Ausland angereisten Läufer.
Übrigens kann man sehr wohl die ganze Küste bis Simon’s Town bei einem großen Wettkampf entlang laufen. Der immerhin auch schon vierzig Mal ausgetragene Peninsula Marathon führt im Februar von der Kapstädter Innenstadt auf ähnlicher Route wie der Two Oceans zum Marinestützpunkt. Ausgerichtet wird er ebenfalls von den Celtic Harriers. Aber mit etwa zweitausend Marathonis fällt sein Feld inzwischen doch etwas kleiner aus als beim etwas jüngeren Bruder.
Der wildeste und dramatischste Abschnitt an der Ostküste der Kaphalbinsel bleibt trotz des Namens aber auch den Teilnehmern des Peninsula Marathons vorenthalten. Hinter Simon’s Town wachsen die Berge, die bisher immer einem Küstenstreifen Platz ließen, nämlich direkt ans Ufer der Bucht heran. Und die Straße windet sich an etlichen Aussichtspunkten vorbei auf halber Höhe die Steilküste entlang zum Kap der Guten Hoffnung.
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Originelle Kopfbedeckung | Bei 53km im Stadtteil Newlands | Nationalblume Protea am Wegesrand | Ungewöhnliche Anfeuerung vom Sponsor |
Wirklich umrundet wird die Halbinsel, die auch auf der Atlantikseite im Südteil noch etliche spektakuläre Stellen zu bieten hat, nur bei der Cape Argus Cycle Tour. Das nach einer Zeitung benannte Radrennen ist mit rund vierzigtausend Teilnehmern, die in insgesamt sechzig Startwellen auf die 109 Kilometer lange Strecke geschickt werden, vielleicht sogar die weltweit größte Veranstaltung dieser Art überhaupt.
Der Two Oceans Marathon dreht jedenfalls schon bei Fish Hoek von der False Bay weg und wechselt hinüber zur Westküste. Doch wer jetzt meint, die Steigungen würden hier schon beginnen, hat sich getäuscht. Einige wenige Höhenmeter nach dem Abbiegen von der „Main Road“, der man seit rund 22 Kilometern gefolgt ist, sind alles. Der Gebirgsrücken, der die Kaphalbinsel durchzieht ist zwischen Fish Hoek und Noordhoek nämlich unterbrochen.
Ein eigentlich recht flaches Verbindungsstück durch Wohngebiete führt die Läufer zum ersten wichtigen Kontrollpunkt bei 25 Kilometern. Nicht nur, dass man wie nahezu alle südafrikanischen Wettkämpfe einen strengen, ja fast schon gnadenlosen Zielschluss von exakt sieben Stunden hat. Auch an mehreren Stellen unterwegs werden Läuferinnen und Läufer, die diese nicht in der vorgegebenen Zeit erreichen, vorzeitig aus dem Rennen genommen.
Exakt um 9:28 Uhr ist hier das Limit erreicht. Wer nur ein klein wenig später kommt, hat Pech gehabt. Doch angesichts der nun deutlich schwerer werdenden Strecke wäre die Wahrscheinlichkeit, die sieben Stunden einhalten zu können, für diese Teilnehmer sowieso ziemlich gering. Genauso streng wird um 11:05 bei Kilometer 38, um 11:37 bei Marathon und um 12:06 bei 46,1 Kilometern selektiert.
Erst seit 2000 hat man übrigens so viel Zeit. Davor wurde das Ziel zwei Jahre lang nach sechseinhalb Stunden geschlossen. Und bis einschließlich 1997 blieben sogar nur sechs Stunden für bergige 56 Kilometer.
Es ist nahe dieser Marke, als sich die Soloflucht von Frans Chauke dem Ende zuneigt. Fast die Hälfte der Gesamtdistanz ist er alleine vor dem Feld her geeilt. Doch entlang der False Bay haben die Favoriten deutlich mehr Druck gemacht und die Verfolgung aufgenommen. Die riesige Gruppe, die zehn Kilometer zuvor am Meer angekommen war, hat dabei einiges an Stärke eingebüßt. Nur noch etwa ein Dutzend Läufer kann das von Josiah Thugwane und Bethuel Netshifhefhe bestimmte Tempo mitgehen.
Die Sonne hat sich inzwischen doch schon ein ganzes Stück über den Horizont erhoben und schickt ihre warmen Strahlen auf den an manchen Stellen doch recht schattenlosen Asphalt. Allerdings folgen die Verpflegungsstellen bereits zu diesem Zeitpunkt in immer kürzerem Abstand.
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Verpflegungsstelle 32 zwei Kilometer vor dem Ziel | Auf dem drittletzten Kilometer ... | ... auf der Union Avenue |
Bis zum Ziel werden die Ultraläufer fast schon unglaubliche 33 Versorgungsposten auf 56 Kilometern passiert haben. Das in den Teilnehmerinformationen ausdrücklich verbotene „seconding“ durch einen Radfahrer oder gar ein Begleitfahrzeug ist angesichts einer solchen Dichte wirklich völlig unnötig.
Auf dem letzten Abschnitt des Rennens wartet dann gar alle tausend Meter ein neuer Stand. Diese sind zwar nicht mehr voll bestückt, sondern bieten nur noch im Wechsel die für südafrikanische Läufe so typischen kleinen Beutel mit Wasser oder Elektrolytgetränken an. Doch bis zur Marathonmarke erhält man nahezu überall beides. Dazu – wichtig für die Läufer, die mit den „water satches“ überhaupt nicht klar kommen – auch noch Cola entweder in Bechern oder oft sogar in kleinen Fläschchen.
Ziemlich genau mit der Halbzeitmarke, die sich hier eben nicht bei 21 sondern bei 28 Kilometern befindet, geht es dann aber doch spürbar bergan. Und es geht dem optischen Höhepunkt des Laufes entgegen. Der Chapman’s Peak Drive steht nämlich an. Jene an vielen Stellen regelrecht in den Felsen gesprengte Küstenstraße, auf der meist die Fotos gemacht werden, die das Bild des Two Oceans Marathons weltweit bestimmen.
Immerhin siebenköpfig ist die Spitzengruppe, in der sich die schnellsten Frauen in den Anstieg, bei dem auf knapp fünf Kilometern 180 Höhenmeter gewonnen werden, hinein begeben. Die Nurgalieva-Zwillinge haben mit Madina Biktagirova und Lilia Yadzhak, die einen kleinen Rückstand aus der Anfangsphase inzwischen aufgeholt hat, noch doppelte russische Begleitung.
Simona Staicu geht ebenfalls noch vorne mit, während die Zahl der Südafrikanerinnen auf eins geschrumpft ist. Einzig Mamorallo Tjoka hält die bunten Farben ihres Landes hoch. Samukeliso Moyo aus dem Nachbarland Simbabwe mildert als zweite Afrikanerin die osteuropäische Dominanz doch etwas ab.
Das einst so kompakte Männerfeld ist durch den Druck, den vor allem Josiah Thugwane und Bethuel Netshifhefhe machen schon ziemlich zersplittert. Nur Neo Molema und der simbabwische Vorjahressieger Moses Njodzi können noch den Anschluss halten.
Henry Moyo (Malawi), Hatiwande Nyamande (Simbabwe), Graham Malinga, der später aussteigende Rapson Chigara, Joseph Maerman und Charles Tjiane folgen als Einzelkämpfer jeweils im Abstand einiger Sekunden. Noch etliche Positionswechsel werden diese Reihung auf der zweiten Hälfte jedoch ziemlich durcheinander wirbeln.
Der erste Anstieg auf dem nach einem fast sechshundert Meter hohen Berg benannten Chapman’s Peak Drive erfolgt noch ein ganzes Stück vom Meer entfernt. Und doch bietet er den Läufern schon einen phantastischen Blick auf die Küstenlinie. Denn links unter ihnen erstreckt sich der mehr als fünf Kilometer lange und mehrere hundert Meter breite Strand von Noordhoek.
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Auf dem vorletzten Kilometer auf der Union Avenue |
So schön „Long Beach“ von hier oben auch aussehen mag, er ist eher bei Surfern als bei Badeurlaubern beliebt. Denn der Atlantik ist hier nicht nur ziemlich kalt sondern zum Schwimmen meist auch viel zu wild. Davon können sich die Marathonis spätestens dann überzeugen, als sie mit einem langen Rechtsbogen auf die Küstenlinie einschwenken. Denn unter ihnen krachen die Wellen schon recht heftig an die schroff abfallenden Felsen.
Immer höher windet sich die Straße am steilen Abhang entlang nach oben. An etlichen Stellen sichern Netze vor Steinschlag. Und eine besonders anfällige Passage ist gar durch eine Lawinengalerie geschützt. Das ist auch bitter nötig, denn 2000 verschüttete eine solche Menge Geröll den Chapman’s Peak Drive, dass er für mehrere Jahre geschlossen werden musste.
Der Marathon wich auf dem „Ou Kaapsweg“ aus. Der „alte Kapweg“, der nicht um, sondern auf der Rückseite eher über den Berg führt, ist zwar vom Profil her fast noch anspruchsvoller und bietet auch phantastische Aussichten. Doch natürlich war er nur eine Notlösung, zumal der Name „Two Oceans“ nun endgültig zur Makulatur wurde, denn die Läufer kamen ja nur noch an der False Bay vorbei. Prompt wurde das bisherige Rekordergebnis von fast zehntausend Meldungen beim Ultramarathon dann auch im Jahr 2004 erzielt, als er erstmals wieder auf der traditionellen Route über den „Chappie“ ging.
Die Straße ist inzwischen übrigens an einen privaten Investor verpachtet, da sich die öffentlichen Stellen nach dem schweren Erdrutsch nicht in der Lage sahen, die immensen Kosten zur Reparatur und Absicherung zu übernehmen. Als Gegenleistung für das Wiedereröffnen des Touristenmagnetes darf die Betreibergesellschaft nun von jedem Fahrzeug eine Maut kassieren, die jedoch mit zum Beispiel 23 Rand, also umgerechnet etwa 2,50 € für einen PKW nicht übermäßig heftig ausfällt.
Der Anstieg lässt auch die Spitzengruppen schnell weiter zerbröseln. Thugwane und Netshifhefhe können sich von ihren letzten Begleitern lösen und laufen von nun an als Duo Seite an Seite. Dahinter läuft der am Anfang des Anstiegs schon etwas zurückhängende Hatiwande Nyamande wieder zu Neo Molema und Henry Moyo auf, zieht sogar vorbei und setzt seinem simbabwischen Landsmann Moses Njodzi nach.
Die Frauenspitze dünnt sich ebenfalls aus. Mamorallo Tjoka kann das Tempo nicht mehr mitgehen. Und auch für Simona Staicu, die im letzten Jahr immerhin den Jungfrau-Marathon gewinnen konnte, wird es am im Vergleich zu den Schweizer Bergen eigentlich harmlosen Chapman’s Peak Drive ein wenig zu schnell.
Bis Kilometer 34 geht es nahezu ständig bergauf. Hinter jeder der über hundert Kurven ändert sich die Aussicht ein wenig. Doch einen richtigen Bruch gibt es mit dem Erreichen des höchsten Punktes der Küstenstraße. Denn während man die Kilometer davor am schattigen Steilabbruch entlang lief, taucht nun auf einmal die bereits voll in der Sonne liegende Hout Bay auf. Und während auf den letzten Kilometern meist nackte Felsen das Bild dominierten, lockt nun am Ende der von der gleichnamigen Siedlung umgebenen Bucht ein Sandstrand.
Auch die Straße ist auf einmal wieder der Einstrahlung des inzwischen doch recht hoch stehenden Zentralgestirns ausgesetzt. Langsam wird es wirklich warm und die Wasserbeutel an den Verpflegungsstationen, die meist richtige Stimmungsnester sind, finden immer verstärkteren Absatz. Und das ist dringend nötig. Noch ist nämlich erst die niedrigere der beiden Steigungen auf der zweiten Rennhälfte überwunden.
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Erster "Unter-6-Stunden-Bus" | Zwölffüßige Raupe | Verpflegungsstelle 33 einen Kilometer vor dem Ziel |
Bis Kilometer 40 geht es nun allerdings erst einmal bergab nach Hout Bay. Vorbei an jenem Sandstand, den man schon seit Chapman’s Point vor Augen hatte. Im Feld kursierende Geschichten erzählen von Läufern, die jedes Jahr hier einen kleinen Stop für eine Badeeinlage machen. Nun, die Temperaturen sind inzwischen in einem Bereich angelangt, die so etwas durchaus nachvollziehbar erscheinen lassen.
Mit dem Abbiegen von der mit M6 nummerierten Küstenstraße in die Hout Bay Road knickt die Strecke wieder etwas nach oben weg. Zuerst nur leicht, bis etwa zur Marathonmarke ist das noch nicht übermäßig steil. Und immer wieder spendet auch das dichte Grün am Straßenrand ausreichend Schatten. Dennoch geht das Rennen nun in die entscheidende Phase.
Noch immer laufen Josiah Thugwane und Bethuel Netshifhefhe nebeneinander her und belauern sich. Wie Schachspieler wartet jeder auf den nächsten Zug des anderen und analysiert gleichzeitig den voran gegangenen. Über eine Minute haben sie inzwischen auf ihre nächsten beiden Verfolger, die beiden Simbabwer Hatiwande Nyamande und Moses Njodzi heraus gearbeitet.
Auch noch weniger als zwei Minuten zurück sind Henry Moyo und Neo Molema, weniger als drei sind es für Mluleki Nobanda, Claude Moshiywa und Mabule Raphotle. Alles Abstände, die auf den verbleibenden vierzehn Kilometern durchaus aufholbar sind.
Für die beiden Führenden wird ganz nebenbei eine Marathonzwischenzeit unter 2:20 gestoppt. So mancher Veranstalter wäre über solche Siegerzeiten regelrecht entzückt. Und sogar 35 Läufer gehen an dieser Stelle unter 2:30 durch, bis auf fünf Simbabwer und einen Läufer aus Malawi alles Südafrikaner. Eine wirklich beeindruckende Leistungsdichte. Letzter unter dieser Grenze ist übrigens Frans Chauke, der dem ersten Teil des Rennens seinen Stempel aufgedrückt hatte.
Statt zwei Zweiergrüppchen ist es bei den Frauen eine Vierergruppe, die sich gemeinsam auf das letzte Viertel der Distanz begibt. Und Verständigungsprobleme haben sie nicht. Man kann sich problemlos auf Russisch unterhalten. Zweimal Nurgalieva, Yadzhak und Biktagirova lauten die Namen, 2:40:56 ist die Durchgangszeit.
Eine gute Minute später kommt Samukeliso Moyo vorbei. Knappe zwei Minuten Rückstand sind es für Simona Staicu. Und Mamorallo Tjoka hat sich als schnellste Südafrikanerin an der Atlantikküste annähernd drei Minuten eingefangen.
Als die Straße anfängt kurviger zu werden, nehmen auch die Steigungsprozente zu. Constantia Nek heißt jener Pass auf der Rückseite des Tafelberges, zu dem 215 Meter zu erklettern sind. Seinen höchsten Punkt hat man bei Kilometer 46,1 erreicht. Hier wird zum letzten Mal gesiebt. Wer es in der Sollzeit bis zur Kuppe schafft, darf bis ins Ziel weiterlaufen. Ob man für die absolvierten 56 Kilometer dort allerdings eine Medaille erhält, ist noch nicht gesagt. Da gibt es ja jene ominöse Grenze von sieben Stunden, die es einzuhalten gilt.
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Verpflegungsstelle 33 einen Kilometer vor dem Ziel |
Während auf dem ja nur über die am Renntag gesperrte Küstenstraße selbst zu erreichenden Chapman’s Peak Drive bis auf die Verpflegungsposten eher wenig los war, herrscht hier oben ziemlicher Trubel. Musik hämmert aus den Boxen und auch das Zuschauerspalier wird ziemlich dicht. Die Absperrungen am Scheitelpunkt erinnern fast schon ein wenig an die Bilder von den Alpenpässen bei der Tour de France.
Selbst wenn aufgrund der Streckenführung natürlich nicht überall Publikum am Straßenrand steht, kann man sich als Läufer über mangelnde Unterstützung sicher nicht beklagen. Zumindest in den Orten ist – sogar schon am frühen Morgen – immer etwas los. Und mit zunehmender Streckenlänge wird auch das Interesse immer größer. Der Two Oceans ist auch für die Anwohner ein echtes Ereignis.
Die Gegend südlich des Tafelberges, die man gerade durchläuft, kann mit einigen der ältesten Weingüter des Landes aufwarten. Zwar ist das Hauptanbaugebiet für südafrikanische Reben nordöstlich von Kapstadt rund um Stellenbosch, Paarl und Franschhoek, doch einige der besten Tropfen kommen eben aus dem Constantia Valley nur wenige Kilometer vom Zentrum der Mother City entfernt.
Von der Laufstrecke ist davon allerdings nicht allzu viel zu sehen. Nur eines der meist im „kapholländisch“ genannten Baustil der ersten europäischen Siedler errichteten Güter wird passiert. Und statt Rebstöcken stehen meist schattenspendende Bäume an der Straße. Das dürfte fast allen Marathonis aber inzwischen auch wesentlich lieber sein.
Das sich anschließende lange Bergabstück über inzwischen recht schmale Sträßchen liegt ebenfalls zum größten Teil im Schatten. Doch so richtig rollen lassen können es viele auf diesen Kilometern dann doch nicht mehr. Schließlich hat man nun schon fast einen Fünfziger in den müden Beinen. Und zudem wartet immer, wenn man glaubt seinen Schritt endlich gefunden zu haben, eine Gegensteigung als Rhythmusbrecher.
Fast direkt an dem Kilometerschild, das zum ersten Mal eine fünf als erste Ziffer zeigt, liegt der Eingang zum Botanischen Garten von Kirstenbosch. Auch er hat als Namenszusatz das „National“, trägt ihn aber mit über 500 Hektar Gesamtfläche und etlichen tausend verschieden Pflanzenarten wohl durchaus zurecht.
Fremdländische Gewächse muss man keineswegs zeigen, die einheimische Flora ist mehr als ausreichend. Rund ein Zehntel aller weltweit überhaupt bekannten Pflanzenarten stammt aus Südafrika. Neben Wüsten, Steppen und Grasland, die den größten Teil des Landes bedecken, gibt es rund ums Kap noch einen besonderen einzigartigen Vegetationstyp – „Fynbos“. Hartlaub- und Heidekrautgewächse dominieren, niedrige Sträucher ersetzen die in Südafrika seltenen Wälder. Doch was so unspektakulär aussieht, ist an Artenreichtum kaum zu übertreffen. Alleine auf dem Tafelberg wurden mehr Pflanzenspezies gezählt, als in ganz Großbritannien heimisch sind.
Da die meisten dieser Arten eben nur rund ums Kap und nirgendwo sonst vorkommen, wird die Region von den Botanikern sogar als eigenständiges Pflanzenreich bezeichnet. Gerade einmal sieben davon hat man definiert. Und die Kapregion ist das mit Abstand kleinste von ihnen. Dem gerade einmal der Größe Niedersachsens entsprechenden „Capensis“ steht zum Beispiel das die ganze Nordhalbkugel bis zu den Tropen umfassende Florenreich „Holarktis“ gegenüber.
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Auf dem letzten Kilometer auf der Union Avenue |
Wer als Nicht-Südafrikaner unterwegs ein wenig die Augen offen gehalten hat, dem könnten deshalb am Wegesrand durchaus etliche Blumen aufgefallen sein, die von zu Hause nicht bekannt sind. Gerade die Nationalpflanze Protea lässt sich mit ihren großen Blüten rund ums Kap nahezu überall entdecken.
Auch in Kirstenbosch ist noch immer keine wirkliche Entscheidung gefallen. Weiterhin scheint das Pärchen Netshifhefhe und Thugwane unzertrennlich. Doch Vorjahressieger Njodzi kann seinem auf Rang drei liegenden Landsmann Nyamande inzwischen nicht mehr folgen.
Das russische Damen-Quartett kommt schon etwas gedehnt daher. Madina Biktagirova hat sich etwa zwanzig Meter abgesetzt. Lilia Yadzhak hält dahinter Position zwei, während ausgerechnet die Nurgalieva-Zwillinge, die bisher hauptsächlich an der Spitze gelaufen sind, langsam abreißen lassen müssen.
Dahinter sind die Verhältnisse aber inzwischen klar. Simona Staicu hat die deutlich nachlassende Samukeliso Moyo auf dem Weg über Constantia Nek zwar überholt, doch hat sie mit vier Minuten Rückstand eigentlich keine Möglichkeit mehr, noch weiter nach vorne zu kommen. Umgekehrt muss sie die fünf Minuten zurück liegende Simbabwerin aber auch nicht mehr fürchten.
War der größte Teil der Strecke bisher fast völlig für den Verkehr gesperrt, sind die drei letzten Kilometer nur auf einer Spur der autobahnähnlichen Schnellstraße M3 zu absolvieren, während daneben der Verkehr fleißig weiter rollt. Zudem geht es ausgerechnet dieses Stück noch einmal hauptsächlich bergan. Und als Krönung wird auch der Schatten hier wieder deutlich seltener.
Da helfen Motivationsschilder, die von Hauptsponsor Old Mutual – einer Versicherung – an praktisch jedem Laternenpfahl angebracht sind, auch nicht mehr wirklich. Das „Looking good“ auf manchen dieser Tafeln, das man in englischsprachigen Ländern auch von den Zuschauern oft zu hören bekommt, trifft ohnehin nur für die wenigsten zu – zumindest so kurz vor dem Ziel. Und „So beautiful it hurts“ klingt fast schon ein wenig zynisch, wenn man sich mit reichlich verbrauchten Kräften der Linie entgegen schleppt.
Um diese zu erreichen, geht es den letzten halben Kilometer noch über den Rasen des Sportgeländes. Nach 55,5 Kilometern auf Asphalt fühlt sich dieser seltsam weiche Untergrund allerdings reichlich ungewohnt an und lässt so manchen Muskel dann doch noch krampfen. Zumal viele die Zuschauerbrücke, die auf der Mitte der Zielgeraden aufgebaut ist, fälschlicherweise als Ziel ansehen und viel zu früh anfangen zu sprinten. Doch dahinter geht es noch zweihundert Meter weiter, bis wirklich die Zeit angehalten werden kann.
Auch wenn es bis wenige Kilometer vor dem Ziel so aussah, muss um den Sieg bei den Männern nicht gespurtet werden. Denn kurz nach der Fünfzig-Kilometer-Marke fällt Josiah Thugwane plötzlich zurück, greift sich in die Seite. Netshifhefhe nutzt das Seitenstechen seines Begleiters aus und vergrößert den Abstand innerhalb kürzester Zeit auf über eine Minute.
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Erster "Unter-7-Stunden-Bus" | Zieleinläufe in den letzten Minuten | Nachzügler ohne Medaille |
Zwar kann Thugwane sich wieder fangen, aber den enteilten Netshifhefhe, der in 3:07:56 das Zielband durchreißt, bekommt er nicht mehr zu Gesicht. Der Olympiasieger wird nach 3:09:39 ungefährdet Zweiter, darf sich aber immerhin noch mit 75.000 Rand Preisgeld trösten. Nach drei simbabwischen Siegen in Folge sind beim zweitwichtigsten Rennen Südafrikas jedenfalls wieder zwei Einheimische vorne.
Hatiwande Nyamande als schnellster Simbabwer kann seinen dritten Platz halten und kommt mit 3:11:07 ins Ziel. Sein Landsmann Moses Njodzi (3:12:21) muss allerdings kurz vor dem Ziel den Südafrikaner Claude Moshiywa, für den am Ende 3:12:03 in der Ergebnisliste ausgewiesen werden, ziehen lassen. Die restlichen der für die ersten Zehn ausgelobten Medaillen aus purem Gold bleiben ebenfalls im Land und gehen an Mabule Raphotle (3:14:21), Sipho Ngomane (3:14:56), John Mboko (3:14:59), Joseph Maerman (3:15:28) und den noch etwas nach hinten durchgereichten Neo Molema (3:16:06).
Ganz anders sieht die Verteilung bei den Frauen aus, wo gerade drei Südafrikanerinnen sich die prestigeträchtigen Goldmedaillen sichern, von denen bereits fünf für eine zukünftig blaue Startnummer ausreichen. Allerdings landen Mamorallo Tjoka (3:52:55), die aufgrund dieser Regelung bereits mit einer solchen Nummer versehene Farwa Mentoor (3:53:03) und Angeline Molaba (3:57:58) nur auf den Rängen acht bis zehn.
Mit ihrem sechsten Platz ist Samukeliso Moyo in 3:49:00 schnellste Afrikanerin. Auf den letzten Kilometern rückt ihr allerdings die Russin Tatyana Zhirkova noch einmal ziemlich auf die Pelle. Von über zwei Minuten Vorsprung der Simbabwerin bei Kilometer fünfzig bleiben bis zum Ziel gerade einmal neunundzwanzig Sekunden übrig. Simona Staicu läuft dagegen völlig unbedrängt nach 3:40:39 den fünften Rang nach Hause.
Doch um die ersten Plätze wird bis zum Schluss hart gekämpft. Ganze fünfzig Sekunden trennen die vier Russinnen am Ende. Es ist die Älteste von ihnen, die 42 Jahre alte Madina Biktagirova, die als erste die Chipmatte zum Piepen bringt. Mit ihren 3:35:04 erreicht sie die zweitbeste Zeit, die je von einer Frau beim Two Oceans gelaufen wurde. Der Rekord von Frith van der Merwe ist allerdings noch fast fünf Minuten schneller und liegt bei 3:30:36.
Elf Sekunden hinter Biktagirova folgt mit Lilia Yadzhak die zweite Russin ebenfalls im roten Trikot des südafrikanischen Mr. Price Teams. Die beiden Nurgalievas laufen diesmal in schwarz für den zweiten großen „Rennstall“ Harmony und müssen sich mit den Plätzen drei und vier begnügen. Wieder einmal ist Yelena in Kapstadt die Schnellere von beiden und wird mit 3:35:34 einundzwanzig Sekunden vor ihrer Schwester Olesya gestoppt.
Doch nicht nur beim Zieleinlauf der Erstplatzierten kommt auf dem Platz, der durch die Pavillons, der vielen südafrikanischen Laufclubs von oben wie ein riesiges Zeltlager aussieht, Stimmung auf. Jede Stunde steigt Spannung und Lärmpegel. Dafür sorgen die nach Leistung gestaffelten unterschiedlichen Medaillenfarben. Ein in Südafrika bekanntes Schema, an dessen Anwendung bei den ersten deutschen Volksläufen sich ganz alte Haudegen vielleicht auch noch erinnern können.
Wer es bis vier Stunden ins Ziel schafft, bekommt eine Medaille aus Silber. Wer bis zu sechs braucht, muss sich mit Bronze begnügen. Und um es dazwischen auch noch einmal interessant zu machen, wird seit dem Vorjahr bis fünf Stunden eine silberne mit Bronzerand ausgegeben. Benannt ist sie nach dem scheidendem Rennleiter „Sainsbury medal“. Und natürlich gibt es für jede Marke eine von erfahrenen Two-Oceans-Läufern geführte Tempogruppe, die man hier flapsig Bus nennt.
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Zielgelände mit Clubpavillons | Zielgerade auf dem Sportplatz der Universität von Kapstadt | Vor dem geschlossenen Ziel |
Die größte Dramatik ergibt sich allerdings, als sich die Uhr mit der Laufzeit langsam auf die sieben Stunden zu bewegt. „Ten minutes to go“ verkündet der Ansager. Es wird knapp. Denn die sieben Stunden zu unterbieten, heißt alles oder nichts. Wer es schafft erhält wenigstens noch eine „Blue medal“ als Trostpreis.
Ist man aber auch nur eine Sekunde zu langsam, steht man mit leeren Händen da. Man darf dann zwar noch ins Ziel laufen. Und der Chip registriert auch eine im Internet abzurufende Endzeit. Doch gilt der Lauf als nicht wirklich beendet. Und wer auf dem Weg zu einer blauen Nummer ist, muss es ein weiteres Mal versuchen. Dieser zählt nämlich nicht.
„Eight minutes to go“. Es wird immer lauter. Entscheidend ist nur die Bruttozeit. Startverzögerung gilt nicht als Ausrede. „From gun to gun“ heißt das kurz und knapp, denn der Lauf wird mit einem Pistolenschuss nicht nur gestartet sondern auch beendet.
„Six minutes to go“. Der erste von zwei Sieben-Stunden-Bussen kommt an. Innerhalb von zwanzig Sekunden sind fünfzig Medaillen zu verteilen.
„Four minutes to go“. Die aufgebauten Tribünen werden immer voller. Kaum ein Plätzchen ist noch zu finden. Das will sich einfach niemand entgehen lassen. Und man muss es wohl gerade als Europäer, der von zu Hause einen wesentlich laxeren Umgang mit dem Zielschluss kennt, wirklich einmal erlebt haben.
„Two minutes to go“. Am anderen Ende der endlosen Zielgerade beginnen verzweifelte Sprints. Das könnte noch reichen.
„One minute to go“. Die Zeit rennt schneller als mancher Läufer. Wer jetzt erst auf den Sportplatz kommt, hat keine Chance mehr.
„Thirty seconds“. Jubelschreie hinter und verzerrte Gesichter vor der Ziellinie.
„Twenty seconds“. Kaum noch zu hören, so ohrenbetäubend ist der Lärm.
„Ten, nine, eight, seven“. Jede Sekunde zählt.
„Five, four, three, two“. Noch immer retten sich Läuferinnen und Läufer ins Ziel.
„One“ – Ein Schuss beendet den Countdown.
Und schon ist da eine Leine vor dem Einlaufkanal. Wer nun noch kommt, muss durch den Nebeneingang. Direkt vor der Schnur steht völlig entgeistert ein Läufer, der schon der Meinung war, es geschafft zu haben und ein paar Schritte zu früh ins Gehen verfiel. Gnadenloser geht es kaum. Langsam ebbt der Jubel ab. Doch auch die geschlagenen Helden, denen nur wenige Meter fehlten, werden noch ehrenvoll beklatscht.
Immerhin 137 Ultramarathonis, die man bei der letzten Zwischenkontrolle auf die letzten zehn Kilometer gelassen hat, scheitern am Ende am Zeitlimit. Und das ist vielleicht sogar ein wenig beabsichtigt. Schließlich überträgt auch das Fernsehen diese Bilder. Doch kommen zwischen 6:50 und 7:00 fast genau fünfhundert der 6498 Finisher des Jahre 2007 an.
Schon alleine, um diese Dramatik einmal zu erleben, lohnt sich ein Start bei einem der großen südafrikanischen Rennen. Bei dem noch etwas höheren Stellenwert, den der Comrades Marathon im Land einfach hat, bleibt den Kapstädtern zwar auf absehbare Zeit weiter „nur“ Rang zwei. Ernsthafte Konkurrenz ist aber auch nicht in Sicht. Und für ausländische Touristen ist er durch seinen Termin im Spätsommer - gegenüber dem im südafrikanischen Winter gelaufenen Comrades – vielleicht sogar etwas interessanter.
Zumal es in der Region ums Kap der Guten Hoffnung viel zu sehen gibt. Zwar ist es kein Marathon und über die Berechtigung des Namens kann man sehr wohl diskutieren, aber auch als „Schnupperultra“ hat es seinen Reiz. Vielleicht ist er ja nicht wirklich „der Schönste“. Wenn man allerdings bei der Titelvergabe ernsthaft mit debattieren will, sollte man den Two Oceans eventuell doch einmal gemacht haben.
Teil 1: Laufen in Südafrika - der Johannesburg Marathon HIER
Weitere REISEN+LAUFEN-Beiträge über Südafrika
- Trilogie 2009:
Teil 1: Bloemfontein Marathon klick HIER
Teil 2: Peninsula Marathon Kapstadt klick HIER
Teil 3: Pretoria Marathon klick HIER
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Bericht und Fotos von Ralf Klink Infos unter: www.twooceansmarathon.org.za Zu aktuellen Inhalten im LaufReport HIER |
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