25.3.07 - 61. Jackie Gibson Marathon Johannesburg (RSA)

“Geh bloß nicht nach Johannesburg“

Es ist oft der erste Satz, den man hört, wenn die Rede von einer Südafrika-Reise ist: „Geh bloß nicht nach Johannesburg“. Die größte Stadt des Landes im Süden des schwarzen Kontinents hat einen wahrlich miserablen Ruf. Selbst die gegenüber europäischen Verhältnissen ohnehin schon höhere Kriminalitätsrate Südafrikas wird in der Millionenmetropole noch einmal um ein Mehrfaches übertroffen. Johannesburg gilt nicht völlig zu unrecht als einer der gefährlichsten Orte der Welt. In jedem Reiseführer wird davon abgeraten, sich auf eigene Faust in die City zu begeben, schon gar nicht außerhalb der Geschäftszeiten, sondern stets empfohlen grundsätzlich auf organisierte Rundfahrten zurückzugreifen. Und sogar die an die Verhältnisse viel eher gewöhnten Einheimischen meiden den Innenstadtbereich so gut es geht. Spöttisch wird dann auch das Autokennzeichen „GP“ des Großraumes Johannesburg, das eigentlich „Gauteng Province“ bedeutet, von den Bewohner der übrigen acht südafrikanischen Provinzen als „Gangster’s Paradise“ interpretiert.

Doch nicht nur in der Kriminalität liegt der mit Abstand kleinste Landesteil – Gauteng umfasst nicht einmal zwei Prozent der südafrikanischen Fläche - weit vorne. Nur noch knapp folgt man in der Bevölkerungsstatistik hinter KwaZulu-Natal auf dem zweiten Rang. Und setzt sich der Zustrom in die Gegend weiter so fort, wird bald ein Viertel aller Südafrikaner rund um Johannesburg und den nur fünfzig Kilometer entfernten Regierungssitz Pretoria leben.

Noch etwas dämmrig nach ... ... vier Kilometern in Kibler Park Im Stadtteil Alan Manor bei Kilometer 7

Denn hier wird auch das große Geld gemacht. Fast ein Zehntel des Bruttosozialproduktes nicht alleine Südafrikas – da steuert man weit über ein Drittel der Gesamtsumme bei - sondern des ganzen Kontinentes erwirtschaftet die Provinz Gauteng. Und rund die Hälfte bringt davon alleine wieder die Stadt Johannesburg ein. Kein internationaler Großkonzern kann es sich erlauben, nicht in dieser Wachstumsregion vertreten zu sein. Ganze Gewerbeparks wachsen praktisch über Nacht auf der grünen Wiese aus dem Boden. Nirgendwo in Südafrika sind die Löhne - und die Preise - höher.

So zieht es dann auch ständig neue Menschen in diesen Schmelztiegel. Nicht nur aus dem Inland. Mindestens genauso viele wandern aus den umliegenden Staaten wie Simbabwe, Botswana, Mozambique oder Angola zu, in denen es wirtschaftlich deutlich schlechter läuft. Aber die soziale Kluft ist auch in Südafrika noch riesig groß. Erste und dritte Welt prallen gelegentlich innerhalb weniger Straßenblocks aufeinander. Den Glasfronten der überall neugebauten Bürogebäude stehen am anderen Stadtrand die wild wachsenden Elendsquartiere, in denen insbesondere die illegalen Einwanderer aus den Nachbarländern hausen, gegenüber. Den vollständig europäischen Standards entsprechenden Wohnvierteln der noch immer größtenteils weißen Mittelschicht die Wellblech- und Bretterbuden ohne Strom- und Wasseranschluss in den heruntergekommensten der schwarzen Townships.

Die Spuren des vor gerade einmal einem guten Dutzend Jahren überwundenen Apartheidregimes sind weiterhin deutlich zu erkennen. Eigentlich ist es angesichts solcher Gegensätze gar nicht besonders verwunderlich, dass so mancher am unteren Ende der sozialen Leiter auf den Gedanken kommt, sich einen Teil des anderswo fast im Überfluss vorhandenen Reichtums mit Gewalt zu holen.

Im Stadtteil Alan Manor bei Kilometer 7 Verpflegung mit Wasserbeuteln Steigung im Stadtteil Mondeor bei Kilometer 9

Doch „Joburg“, wie die Einheimischen in ihrem Hang zu Abkürzungen die Stadt in der Regel nennen, alleine auf Gewalt und Kriminalität zu reduzieren, wäre völlig falsch. In den sich über unzählige Quadratkilometer erstreckenden Vororten lebt man – wenn auch zur Sicherheit meist hinter hohen Zäunen – in der Regel recht friedlich und gar nicht schlecht. Und wer gewisse Viertel einfach meidet, braucht sich eigentlich nicht mehr zu fürchten als in jeder europäischen oder nordamerikanischen Großstadt.

Zumal die völlige Trennung der Gesellschaft nach unterschiedlichen Hautfarben, die Südafrika jahrzehntelang in der internationalen Staatengemeinschaft zum Geächteten werden ließ, nicht nur auf dem Papier abgeschafft sondern im täglichen Leben tatsächlich auf dem Rückmarsch ist. Immer mehr gelangen auch Farbige und Schwarze – das war nach der verquerten Logik der Apartheid nämlich auch noch ein Unterschied – in Führungspositionen, entwickelt sich eine schwarze Ober- und Mittelschicht.

Und selbst im früher berüchtigten Township Soweto gibt es – obwohl insgesamt immer noch eine der ärmsten Gegenden der Stadt - inzwischen bessere Viertel mit vernünftiger Infrastruktur. Die meisten Südafrikaner, mit denen man spricht, legen deshalb dann auch Wert darauf, dass das eigentliche Problem des Landes nun nicht mehr „Schwarz und Weiß“ sondern „Arm und Reich“ lautet.

Einer der Bereiche, in dem die unsägliche Rassentrennung am schnellsten überwunden war, ist der Sport. Auch wenn es sehr wohl noch „eher weiße“ und „eher schwarze“ Sportarten gibt, spielt das keine Rolle mehr, wenn ein südafrikanisches Team zu einem Länderspiel antritt oder gar ein Athlet eine Medaille bei einer internationalen Meisterschaft gewinnt. Dann vertritt man nämlich total unabhängig von Herkunft und Hautfarbe die sportbegeisterte „Regenbogennation“ und erfährt auch von allen Seiten ihre Unterstützung.

Am deutlichsten wurde das wohl, als Südafrika im Jahre 1995 als erstes großes Ereignis nach der Wiederaufnahme in die Völkerfamilie die Rugby-Weltmeisterschaften ausrichtete. Denn obwohl das früher rein weiße „Springbok-Team“ mit Chester Williams nur einen einzigen schwarzen Spieler im Kader hatte, versetzte der Titelgewinn das gesamte Land in einen Freudentaumel. Spätestens als der damalige Präsident und Friedensnobelpreisträger Nelson Mandela die Spiele seiner Mannschaft im Springbok-Trikot verfolgte, war das Eis endgültig gebrochen.

Mandela soll es übrigens auch gewesen sein, der sich persönlich dafür eingesetzt hat, dass jenes Logo mit der südafrikanischen Gazelle, das einige schwarze Sportfunktionäre eigentlich durch ein neues ersetzten wollten, überhaupt erhalten blieb. Schließlich war das alte Wappen aus der Vergangenheit doch ziemlich belastet.

Stadtteil Winchester Hills bei Kilometer 10 Steigung im Stadtteil Winchester Hills bei Kilometer 11 Gefälle an der Schnellstraße bei Kilometer 13

Der Boykott der Olympischen Spiele des Jahres 1976 durch viele afrikanische Mannschaften hatte seine Ursache zum Beispiel auch in mehreren Matches der Springboks gegen die neuseeländischen All Blacks. Als sich das IOC weigerte, deswegen das Olympiateam der Kiwis auszuschließen, nahmen im Gegenzug über zwanzig afrikanische Staaten – darunter die Läufernationen Kenia und Äthiopien - nicht teil.

Schon der Spitzname „Bafana Bafana“ – aus der Sprache der Zulu für „die Jungs“ – zeigt, dass Fußball dagegen eher - aber eben nicht nur - unter der schwarzen Bevölkerung verbreitet und beliebt ist. Die Fußball-WM im Jahr 2010 ist jedenfalls auch schon Jahre vor den ersten Spielen ein Thema im gesamten Land.

Doch während sich Mitteleuropa fast nur Gedanken über nicht fertige Stadien oder Sicherheitsprobleme macht, sieht man den Titelkämpfen in Südafrika mit freudiger Erwartung entgegen. Und selbst die kritischsten Einheimischen sehen eigentlich einzig und allein den Spielort Johannesburg etwas skeptisch. Jedenfalls hört so mancher Tourist die Frage: „Du kommst doch 2010 wieder?“ während seines Aufenthaltes gleich mehrfach.

Auch der dritte wichtige Mannschaftssport des Landes geht auf britische Ursprünge zurück. Es ist das für jemanden, der nicht irgendwo im früheren britischen Empire aufgewachsen ist, nahezu völlig unverständliche Cricket.

Die selbst in ihrer neuerdings fernsehgerecht verkürzten Form viele Stunden dauernden Spiele der „Proteas“ - dieses Auswahlteam hat seinen Namen von der Nationalblume - binden ebenfalls die halbe Nation an den Bildschirm. Und eine Weltmeisterschaft wie die im Frühjahr 2007 in der Karibik ausgerichtete liefert Südafrika für ihre komplette Dauer von fast zwei Monaten – auch hier hat man sich der Langatmigkeit des Spiel angepasst – ständigen Gesprächsstoff. Geduld ist so oder so gefragt.

Noch eine andere Sportart fasziniert Südafrika. Und vielleicht verschwimmen bei ihr sogar die noch immer vorhandenen Unterschiede zwischen den vielen Bevölkerungsgruppen des Landes am stärksten. Die Rede ist vom Langstreckenlauf - und zwar von richtig langen Strecken.

Wohl nur in wenigen Ländern dürfte die Marathondichte gemessen an der Größe der Bevölkerung höher sein. Rund einhundert Marathonrennen finden sich im südafrikanischen Veranstaltungskalender - bei einer Einwohnerzahl, die nur halb so groß wie die deutsche ist. Kein Wochenende, an dem man sich nicht irgendwo im Land auf die klassische Distanz begeben könnte. Und praktisch alle diese Läufe haben mehrere hundert bis einige tausend Teilnehmer auf den 42,195 Kilometern.

Aber dennoch sind das in der Regel nur Vorbereitungswettkämpfe und führen an die wirklich wichtigen Rennen heran. Denn die wahren Könige des Laufsports werden an der Südspitze des afrikanischen Kontinents auf den noch längeren Strecken ermittelt. Die Republik Südafrika ist definitiv das Ultralangstreckenland überhaupt.

Gefälle an der Schnellstraße ... ... bei Kilometer 14 Im Stadtteil Mulbarton bei Kilometer 18

Nirgendwo gibt es größere Läufe auf den Distanzen jenseits des Marathons. Nirgendwo ähnlich viele - alleine bei Streckenlängen zwischen fünfzig und einhundert Kilometern kann man aus über fünfzig Angeboten wählen. Nirgendwo ist das Interesse der Öffentlichkeit höher. Und nirgendwo gibt es auch mehr Geld zu verdienen. An fünfstelligen Eurobeträgen als Siegprämie im Ultrabereich braucht man im Rest der Welt keinen Gedanke zu verschwenden. In Südafrika sind sie bei den ganz großen Läufen absolute Realität.

Am dicksten sind die Preisgelder natürlich beim prestigereichsten Wettkampf des Landes, dem knapp neunzig Kilometer langen Comrades-Marathon. Mit bisher 81 Austragungen seit 1921 ist der abwechselnd von Pietermaritzburg nach Durban oder in umgekehrter Richtung gelaufene Comrades nach dem inzwischen 110 Jahre alten Boston Marathon wohl das geschichtsträchtigste Rennen weltweit. Unzählige Legenden ranken sich um diesen Ultralauf.

Und ohne mindestens einmal am Comrades teilgenommen zu haben ist eine südafrikanische Läuferkarriere einfach nicht komplett. Zehn- bis fünfzehntausend Teilnehmer machen sich jedes Jahr im Juni auf den langen Weg zwischen den beiden größten Städten der Provinz KwaZulu-Natal. Dimensionen, die man sich in Europa, wo die knapp zweitausend Starter beim Bieler Hunderter schon als Riesenfeld empfunden werden, kaum vorstellen kann.

Dazu überträgt das Fernsehen das Rennen in kompletter Länge live und die Begeisterung an der Straße ist ebenfalls riesig. Es gibt da halt einen Traum, der von einem Läufer in Südafrika ständig geträumt wird.

Auch der zweite große Ultrawettkampf der Kapstädter Two Oceans, der immerhin sieben- bis achttausend Startnummern für die 56 Kilometer lange Königsdistanz ausgibt, ist hierzulande noch ein Begriff. Aber wer kennt schon den Fünfziger „Om die Dam“? Dabei stellt doch dieser Lauf mit über dreitausend Langstrecklern an der Startlinie ebenfalls nahezu alles in den Schatten, was es weltweit sonst in diesem Bereich gibt.

Der übermächtige Comrades Marathon hat irgendwie der gesamten südafrikanischen Laufszene seinen Stempel aufgedrückt. Doch nicht nur die reine Vorbereitung auf diesen unzweifelhaften Jahreshöhepunkt hat die Zahl der Marathon- und Ultrarennen so anwachsen lassen.

Im Stadtteil Mulbarton bei Kilometer 18 Steigung im Stadtteil Mulbarton ... ... bei Kilometer 19

Vielleicht genauso wichtig ist, dass sowohl für den Comrades wie auch für den Two Oceans Qualifikationsleistungen gefordert sind. Die sind zwar nicht ganz so hart wie für den in der Zulassung ebenfalls recht rigiden Klassiker von Boston. Aber ohne nachgewiesene fünf Stunden über einen „Standard-Marathon“ innerhalb der letzten zwölf Monate werden Meldungen bei den beiden Großen gar nicht erst angenommen. Als zulässige Alternative gilt einzig noch das Absolvieren eines anderen Ultralaufes im dortigen Zeitlimit, das aber relativ betrachtet nur in den seltensten Fällen wirklich viel großzügiger ausfällt.

Bei weit über einem Dutzend Marathons kann man alleine in Gauteng seine Qualifikationsleistung erbringen. Fast an jeder Ecke des in die Breite wuchernden Siedlungsbreis lassen sich mindestens einmal im Jahr 42,195 Kilometer absolvieren. Praktisch keine größere Gemeinde ohne eigenes Rennen über die klassische Distanz.

Das älteste von ihnen wird im Süden der Stadt Johannesburg nun auch schon zum einundsechzigsten Mal gelaufen. Der Jackie Gibson Marathon des Johannesburg Harriers Athletic Club fand zum ersten Mal 1946 statt. Nach Boston sowie den seit den Zwanzigern bestehenden Rennen von Yonkers im amerikanischen Bundessstaat New York und Kosice in der Slowakei ist man damit auf einer Stufe mit den japanischen Otsu, Kochi und Fukuoka der Marathon mit den meisten Austragungen.

Benannt ist er nach einem früheren Olympiateilnehmer und Commonwealth-Rekordhalter. Keine absolute Ausnahme, die Südafrikaner geben ihren Rennen gerne die Namen von Lauflegenden. Am liebsten natürlich von Comrades-Siegern. So haben auch der Premierengewinner Bill Rowan, der fünfmalige Sieger Wally Hayward und der sogar neunmal erfolgreiche Bruce Fordyce ihre „eigenen“ Wettkämpfe. Wobei Fordyce, dessen Rekord wohl nahezu unerreichbar sein dürfte, als noch immer jährlich am Comrades teilnehmender M50er sehr wohl in der Lage wäre, bei „seinem“ 52 Kilometer langen Ultralauf selbst zu starten.

Steigung im Stadtteil Glenvista ... ... bei Kilometer 20 Verpflegung bei Halbbzeit

Jahrelang wurde der Jackie Gibson Marathon in Innenstadtnähe ausgetragen. Als man dann in den Neunzigern versuchte, in Johannesburg einen richtigen Citymarathon aus der Taufe zu heben, fiel die Veranstaltung einmal aus. Doch richtig durchsetzen konnte sich die neue Konkurrenz - wohl auch aufgrund des inzwischen wirklich üblen Rufes der Stadt - nicht. Und der Traditionsmarathon verließ in der Folge ebenfalls das immer unsichere Stadtzentrum und wird seitdem in den Wohnsiedlungen am südlichen Stadtrand gelaufen.

Klipriviersberg Recreation Centre heißt das Wettkampfzentrum, ein Sportgelände mit Turnhalle im Stadtteil Kibler Park. Aber alleine das heraus zu finden, ist für den interessierten Europäer schon schwer genug. Denn während hierzulande kaum ein Volkslauf mehr ohne eigene Internetseite auskommt, hat sich das World Wide Web in der südafrikanischen Laufszene noch nicht wirklich etabliert.

Eine Terminliste entdeckt man in den Weiten des Netzes mit etwas detektivischem Geschick unter www.runnersworld.co.za, www.runnersguide.co.za oder www.runsa.co.za. Aber viel mehr Informationen als Ort, Termin und Distanz lässt sich dort eben meist nicht finden.

Eine Postanschrift und eine Telefonnummer für Nachfragen gibt sie in der Regel noch preis. Und wenn es der Zufall will, hat man auch die passende e-Mail-Adresse für eine erste Kontaktaufnahme.

Links zu einer Homepage der Veranstaltung gibt es aber fast nie. Nur einer Handvoll der wirklich Herausragendsten ist es bisher gelungen, Läufer so anzusprechen. Natürlich sind der Comrades und der Two Oceans mit einer Seite im Internet vertreten. Auch für die Nummer drei im Ultrabereich „Om die Dam“ lässt sich einiges nachlesen.

Doch dann wird es schon langsam eng. Von der Vielzahl der „Standardmarathons“ im Land verfügt nahezu keiner über diese Variante der Informationsverteilung. Noch arbeitet man in Südafrika hauptsächlich mit gedruckten Ausschreibungen, an die man im Ausland natürlich nur schwer heran kommt und die zudem in der Regel über Anreise, Streckenführung oder ähnliches oft auch etwas dürftig Auskunft geben.

Fröhliche Verpflegung bei Halbbzeit Am Einkaufszentrum "The Glen" ... ... bei Kilometer 22

Angemeldet werden kann meist völlig problemlos vor Ort. Häufig werden auch einige Geschäfte - in der Regel Laufläden - genannt, bei denen man sich im Vorfeld direkt einschreiben kann. Doch nur in seltenen Fällen wird auf den Meldeschluss, den man bei großen europäischen Stadtläufen - egal über welche Distanz - meist nicht vergessen darf, wirklich entscheidenden Wert gelegt.

Und eine Staffelung der Meldegebühren nach Terminen, wie sie hierzulande inzwischen fast überall vorgenommen wird, gibt es schon gar nicht. Da bildet der Jackie Gibson Marathon absolut keine Ausnahme. Überhaupt muss man an einen Druckfehler glauben, wenn man die Höhe des Startgeldes sieht. Denn da steht etwas von 50 Rand, was bei einen Umrechnungskurs von fast eins zu zehn gerade einmal gute fünf Euro bedeuten würde.

Nun ist Südafrika – wenn man dann erst einmal dort ist - für Mitteleuropäer sowieso kein wirklich teures Land. Zwei bis dreimal so viel bekommt man dort für das umgetauschte Geld. Ein komplettes Essen inklusive Getränke und Vorspeise oder Nachtisch für etwa hundert Rand ist eher die Regel als die Ausnahme. Und auch bei der Übernachtung werden selbst in Hotels manchmal nur Beträge berechnet, die in Europa kaum für eine Jugendherberge ausreichen würden.

Doch fünf Euro für einen Marathon, der auf einer einzigen großen Runde über öffentliche Straßen gelaufenen wird, scheinen wie ein Rückblick in eine längst vergangene Epoche. Allerdings sind das für die südafrikanische Laufszene eigentlich völlig normale Startgebühren, für die es zudem auch noch eine Medaille und ein T-Shirt gibt - bei denen zugegebenermaßen jedoch die Namen der Sponsoren den des Marathons dominieren.

Wenn man sich aber darüber klar ist, dass nicht nur die Preise sondern auch das Einkommen selbst der Mittelschicht nur die Hälfte bis ein Drittel europäischer Werte beträgt, sieht die Sache dann auch schon wieder etwas anders aus.

Noch weitere Dinge sind beim Jackie Gibson Marathon für Nicht-Südafrikaner äußerst gewöhnungsbedürftig. Der Startschuss fällt zum Beispiel bereits um sechs Uhr morgens. Dann, wenn man sich zu Hause normalerweise erst auf die Strecke begeben würde, ist die Johannesburger Veranstaltung fast schon wieder beendet. Auch dies gehört zu den Normalitäten im Land, hat unter anderem damit zu tun, dass man dem Autoverkehr aus dem Weg gehen will.

Gerade in einer Megastadt wie Johannesburg, wo es kein wirklich funktionierendes Nahverkehrssystem gibt, lässt er sich gar nicht vermeiden. Ganze Straßenzüge für einen Marathon völlig zu sperren, ist da kaum möglich ohne vollkommenes Chaos zu produzieren und würde selbst im laufbegeisterten Südafrika einiges an Protesten hervor rufen.

Gefälle bei Kilometer 25 Gefälle bei Kilometer 25 Einweisung in die Steigung nach Mulbarton bei Kilometer 27

Und der drohenden Hitze entgeht man damit ebenfalls wenigstens etwas. Denn da viele Rennen eben auch bewusst vor den Klassikern Two Oceans (immer am Ostersamstag und damit im Spätsommer bzw. frühen Herbst der Südhalbkugel) und Comrades (Mitte Juni, also im späten Herbst) angesetzt werden, ist in Südafrika selbst im Hochsommer volle Laufsaison.

Mit einem Termin Ende März oder Anfang April liegt der Jackie Gibson Marathon durchaus noch in der warmen Periode, auch wenn sich die Fernflieger unter den Zugvögeln wie Störche oder Schwalben zu diesem Zeitpunkt bereits wieder auf ihren Weg nach Norden gemacht haben.

Doch sind die Nächte bereits genauso lang wie die Tage. Und so ist es noch angenehm kühl, als sich viele Hundertschaften von Läuferinnen und Läufern in der Dunkelheit auf die Parkplätze rund um das Recreation Centre einweisen lassen. Mit etwa sechshundert Marathonis und rund doppelt so vielen auf der ebenfalls gelaufenen halb so langen Distanz kommt da schon einiges an Fahrzeugen im eigentlich nur mit dem Auto zu erreichenden Vorort zusammen.

Wirklich kalt ist es allerdings auch nicht. Kaum einer, der sich da kurz vor sechs für den Marathon – die Halbmarathonis werden eine halbe Stunde später auf die Strecke geschickt - unter dem Starttransparent auf der Straße vor dem Sportgelände einfindet, trägt dann überhaupt ein T-Shirt. Netzhemden und kurze Hosen dominieren eindeutig das Bild.

Irgendwie sieht das ganze jedoch auch sonst etwas anders aus, als von Rennen in Europa oder Nordamerika gewohnt. Nicht nur, dass die Trikots um einiges bunter - die von den wenigen Standardserien der großen Sportartikelkonzerne geprägte farbliche Gleichförmigkeit gibt es in Südafrika nicht - ausfallen. Auch praktisch keines von ihnen ist ohne Vereinsaufschrift.

Denn während hierzulande nach amerikanischem Vorbild immer weniger Läufer ihrem Sport in organisierter Form nachgehen, spielt sich in Südafrika eigentlich nichts ohne Mitgliedschaft in einem Laufclub und eine Lizenz des Verbandes ab – nicht nur für Spitzenläufer sondern auch am Schwanz des Feldes. Und in den meisten Ausschreibungen oder Teilnehmerinformationen wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass man in den Farben seines Teams zu starten hat.

Steigung in Mulbarton bei Kilometer 27 Brücke über Schnellstraße ... ... bei Kilometer 30 Kirche bei Kilometer 30

Dabei gibt es völlig unterschiedlich Varianten von Mannschaften. Da gibt es den lokalen Sportverein eines Ortes, einer Stadt oder eines Stadtteils – oft mit großer Tradition und Namen wie „Athletic Club“ oder „Harriers“ ausgestattet. Da gibt es unseren Betriebssportgruppen ähnliche Teams zum Beispiel der Polizei, der Telekom oder großer Firmen. Originelle Bezeichnungen wie „Pirates“ deuten dagegen eher auf einen Freizeitclub hin, der hierzulande völlig ohne offizielle Vereinsgründung auskäme.

Und da gibt es auch so etwas wie Rennställe nach Radfahrerart. Die beiden dominierenden Teams bei den großen Veranstaltungen heißen „Harmony“ und „Mr. Price“. Hinter den mit Geldprämien bedachten Platzierten des Comrades oder des Two Oceans finden sich seit Jahren eigentlich keine anderen Namen mehr als der des Goldproduzenten und der Bekleidungskette. Denn auch die ausländischen Asse werden nahezu immer „eingekauft“ und fürs Fernsehen in die schwarzen (Harmony) oder roten (Mr. Price) Trikots gesteckt.

Nach Jahrzehnten der Apartheid ist es durchaus erwähnenswert, dass die Laufclubs keineswegs noch nach Hautfarben getrennt sind. Natürlich ist es wahrscheinlicher, dass in einem Soweto-Trikot ein schwarzer Läufer steckt als ein weißer. Doch da stehen durchaus auch Teilnehmer aller vier Bevölkerungsgruppen, in die jeder Südafrikaner vor gar nicht allzu langer Zeit noch einsortiert wurde, nämlich Schwarze, Weiße, Farbige und Asiaten, locker miteinander plaudernd in den gleichen Teamfarben nebeneinander an der Startlinie.

Überhaupt ist die Stimmung recht gelöst, als das erste Starterfeld noch in der Morgendämmerung auf die längere Strecke geschickt wird. In Wortfetzen, die man aufschnappt, ist immer wieder von „Trainingslauf“ und „nur locker“ die Rede.

„Zu dicht am Two Oceans“ lautet das Argument meist. Der ist keine zwei Wochen später und jedem der vielen selbsternannten Trainingswissenschaftlern hierzulande würden angesichts dieser Frequenz die Haare zu Berge stehen. Doch von den Marathonis scheint zumindest im Mittelfeld kaum einer nicht den zweitwichtigsten Ultraklassiker des Landes auf dem Terminplan zu haben.

Lange Gerade ... ... bei Kilometer 34 Typisch südafrikanisches Trikot mit "permanent numbers" und Lizenznummer

Allerdings ist nicht jedes Gespräch wirklich verständlich. In etlichen unterschiedlichen Sprachen kommuniziert man im Läuferfeld miteinander. Wohl kein Land hat nämlich mehr offizielle Sprachen als Südafrika. Elf sind es an der Zahl. Da ist selbst die Schweiz mit ihren immerhin vier verschiedenen fast schon hoffnungslos zurück.

Neun der Sprachen sind afrikanischen Ursprungs. Jede der schwarzen Volksgruppen hat ihre eigene. Zulu und Xhosa sind die häufigsten, nördliches und südliches Sotho oder Tswana sind andere. Doch auch die weiße Bevölkerung ist sich bei der Muttersprache keineswegs einig. Denn obwohl Südafrika lange zum britischen Empire gehörte, ist nicht wie meist geglaubt Englisch die Nummer eins.

Weit über die Hälfte der Weißen hat von den Eltern zuerst Afrikaans gelernt. Jene aus dem alten niederländischen Dialekt der ersten Siedler am Kap - den sogenannten Buren -  entstandenen Sprache, die später mit Begriffen der nachfolgenden deutschen, französischen und englischen Einwanderer ergänzt wurde und zudem Wörter aus den Bantu-Dialekten der Schwarzafrikaner integrierte.

Da sich auch die Grammatik immer weiter vom Standard-Niederländisch entfernt hat, gilt sie mittlerweile längst als eigenständige Schriftsprache. Die Mehrzahl der aus der Verbindung zwischen den Weißen und der Urbevölkerung hervor gegangen Farbigen redet ebenfalls Afrikaans, das als Muttersprache in der südafrikanischen Statistik damit immerhin an dritter Stelle steht.

Das heißt natürlich nicht, dass man mit Englisch nicht sehr gut durchkommen könnte. Zumindest als Zweitsprache wird es von fast allen verstanden. Es ist sogar zu einer Art „Lingua Franca“ dieses so vielstimmigen Landes geworden. Denn die schwarze Bevölkerungsmehrheit versucht das durch die - hauptsächlich burische - Apartheidpolitik doch ziemlich ungeliebte Afrikaans zu meiden, wo es nur geht.

Fernseh- und Radioprogramme springen jedenfalls ständig zwischen Afrikaans und Englisch hin und her. Nachrichten werden meist in stündlichem Wechsel verlesen. Allerdings zeigt so manche doch ziemlich harte Aussprache der englischen Wörter im Dialog, dass nicht jeder es auch wirklich fließend beherrscht.

Schon auf den ersten Kilometern durch Kibler Park wird klar, dass die Wärme zumindest in der Anfangsphase nicht das Hauptproblem sein wird. Gleich zwei weitere Schwierigkeiten werden dafür sorgen, dass der Jackie Gibson Marathon einiges mehr an Energie kosten wird als andere. Beide sind geographischer Natur.

Lange Gerade bei Kilometer 34 Aufmunterung durch freundlichen Streckenposten In Mayfield Park bei Kilometer 37

Johannesburg – eine der größten Städte der Welt, die nicht an einem Gewässer gegründet wurden – liegt nämlich in einer Höhenlage von 1600 bis 1800 Metern. Also da, wo sich in den Alpen Orte wie Zermatt, Davos oder St. Moritz finden. Wäre da nicht die in einer Millionenmetropole eher schlechte Luft, könnte man dort durchaus ins Höhentrainingslager gehen. Für einen Marathon findet sich jedenfalls schon recht wenig Sauerstoff.

Aber „richtige“ Berge gibt es rund um die Stadt dennoch nicht. Die hat Südafrika mit den fast 3500 Meter hohen Drakensbergen zwar auch. Doch liegen sie etliche hundert Kilometer entfernt in KwaZulu-Natal an der Grenze zum von Südafrika völlig umschlossenen Lesotho.

Etliche Wanderwege unterschiedlichster Schwierigkeitsgrade durchziehen dort die hochinteressante Mischung afrikanischer Vegetation und alpiner Landschaften. Insbesondere die fast fünf Kilometer lange und fünfhundert Meter senkrecht abfallende, als „Amphitheater“ bezeichnete Felswand im Royal Natal National Park zählt zu den am häufigsten besuchten Touristenzielen Südafrikas.

Doch auch der Rest des Landes liegt meist oberhalb der Tausend-Meter-Marke. Hinter einem schmalen Küstenstreifen steigt das Gelände schnell und mit einer ziemlich schroffen Felsstufe, deren markanteste Ausprägung eben die Drakensberge sind, zu einem Hochplateau an, das den größten Teil des südafrikanischen Territoriums einnimmt.

Obwohl das sogenannte Highveld durchaus auch von flachem Weideland bedeckte Gegenden hat, ist es keineswegs durchgehend eben. Und gerade rund um Johannesburg wandelt es sich zu einem welligen Hügelland. Keine übermäßigen Höhenunterschiede, aber ein ständiges Auf und Ab, in das die Stadt mit ihren Vororten da hinein gewachsen ist.

Letzter Kilometer auf Peggy Vera Road

Und durch dieses Gelände führt eben auch der Jackie Gibson Marathon. Die Anfangspassage durch den Stadtteil Kibler Park wird gefolgt von dem Umlaufen des gleichnamigen Naturschutzgebietes, das allerdings wenig von einem Park hat, sondern schon etwas an die afrikanische Dornensavanne erinnert, die man aus dem Fernsehen kennt.

Mit der ersten Verpflegungsstelle nach drei Kilometern – ein Abstand, der bis zum Ziel in etwa eingehalten wird - folgt die nächste Überraschung für Marathonis, die mit den südafrikanischen Gepflogenheiten nicht vertraut sind. Es gibt da wie von zu Hause gewohnt sehr wohl Wasser.

Allerdings nicht etwa in Bechern. Nein, in kleinen Plastikbeuteln eingeschweißt. Das Öffnen mit den Zähnen erfordert einiges an Übung und endet anfangs oft mit einer Dusche für die Mitläufer, wenn der Beutel mal wieder am falschen Ende aufgeht. Hat man den Trick allerdings erst einmal heraus, gerät das Loch nicht zu groß und nicht zu klein, kann man die Flüssigkeit dann aber wirklich recht gut aufnehmen. Trotzdem gibt es da als Alternative auch immer noch Cola in den bekannten Pappbechern.

Schon die dritte Welle im Profil hat man zu diesem Zeitpunkt erklettert. Etliche weitere werden folgen. Kurze, zum Teil wirklich giftige Stiche, die sich am Ende dann auf viele hundert Höhenmeter summiert haben werden, das Feld nie einen echten Rhythmus finden lassen und schon am Anfang ordentlich Kraft aus den Beinen ziehen. Der Rat „Geh nicht nach Johannesburg“ erscheint auf einmal noch in einem ganz anderen Licht.

Langsam erhebt sich auch die Sonne über die Hügel und erlaubt einen genaueren Blick auf die doch etwas ungewöhnlichen Trikots der Südafrikaner. Da fallen zum Beispiel die schmalen Spaghettiträger auf, mit denen da manche über den Schultern gehalten werden. Während die Sportartikelindustrie im Rest der Welt zuletzt die Laufhemden immer mehr an die Form ärmelloser T-Shirts angenähert hat, gibt es rund ums Kap noch immer jenen spartanisch einfachen Netzhemdschnitt, mit dem sich altgediente Haudegen hierzulande vor einem Vierteljahrhundert auf die Strecke begeben haben.

Letzter Kilometer auf Peggy Vera Road

Weil die Stoffmenge dabei deutlich geringer ausfällt, hat so mancher dann auch Schwierigkeiten, all die vielen Aufnäher unterzubringen, mit denen die Trikots verziert sind. Als erstes hat da nämlich eigentlich jeder seine jährlich zu erneuernde Lizenznummer permanent zu tragen. Die wird in der Regel – da ebenfalls aus Stoff -  am Rücken aufgenäht und jedes Mal mitgewaschen. Am Grad der Verblasstheit kann man am Ende des Jahres dann auch schon einmal die Wettkampfhäufigkeit ablesen.

Dann gibt es kleinere Stoffstücke, auf denen die Altersklasse vermerkt ist und die man an allen möglichen und unmöglichen Ecken des Dresses befestigt. Mit ihnen entfällt dann die bei uns durchaus schon einmal übliche Frage an den Konkurrenten: „Bist du auch schon in der...?“

Aber am wichtigsten sind für ihre Träger wohl die „permanent numbers“ der großen Laufveranstaltungen. Es ist sogar fast schon ein kleiner Kult, der sich um diese kleinen Aufnäher entwickelt hat. Denn mit ihnen kann ihr Träger die in der südafrikanischen Laufszene durchaus geschätzten Eigenschaften „Beständigkeit“ und „Zuverlässigkeit“ belegen.

Wer zehnmal einen bestimmten Lauf innerhalb des Zeitlimits beendet hat, erhält nämlich fast überall im Land seine beim jeweiligen Rennen für alle Zeiten feste Startnummer. Inzwischen haben auch einige Veranstalter hierzulande ähnliche Jubiläumsklubs gegründet. Doch in Südafrika wird dieses Konzept schon seit vielen Jahrzehnten verfolgt. Und die Zahl der „permanent numbers“ beim Comrades geht längst in die Tausende. Rekordsieger Bruce Fordyce läuft zum Beispiel jedes Jahr mit der 2403 über die Strecke.

So mancher Läufer kann gleich mit mehreren dieser Serien aufwarten. Und etliche tragen dann auch einige der dazu gehörenden Aufnäher mit den persönlichen Nummern auf dem Trikot spazieren – vorzugsweise natürlich die von den ganz bedeutenden Rennen. Auch in dieser Rangliste gibt es die übliche Reihenfolge: Comrades vor Two Oceans. Doch von einigen anderen Marathons oder Ultras drehen an diesem Morgen ebenfalls Logos ihre Runde im Johannesburger Süden.

Letzter Kilometer auf Peggy Vera Road

Diese Herausstellung der Konstanz passt zur Einstellung der ganzen südafrikanischen Laufszene. Mit Hartnäckigkeit und Beharrlichkeit immer wieder einen Anlauf zu unternehmen, ein Ziel ständig weiter zu verfolgen, wird keineswegs negativ gesehen. Wer trotz geringer Chancen mit allen ihm noch zur Verfügung stehenden Mitteln kämpft, seine Hoffnung nicht fallen lässt und einfach nicht aufgibt, erfährt am Ende vielleicht doch größere Beachtung.

In Südafrika kann man nämlich nicht nur durch Siege bei Laufwettbewerben zum Star werden. Auch ganz hinten im Feld werden Helden gemacht. Das Schlüsselwort dazu heißt „Cutoff“. Wohl nirgendwo sonst werden die Zielschlusszeiten nämlich gnadenloser durchgesetzt als rund ums Kap. Eine Sekunde über der gemachten Vorgabe bedeutet eben keine Medaille und keine Aufnahme in die Ergebnisliste, ein „DNF“ hinter dem Namen. Wenn man sich dagegen mit letzter Kraft kurz vor dem Ende des Countdowns ins Ziel rettet, wird man manchmal mehr gefeiert als die Gewinner.

Fünf bis fünfeinhalb Stunden als Cutoff sind für Marathons üblich. Beim Two Oceans ist nach sieben Stunden Schluss. Und beim Comrades gibt man immerhin zwölf Stunden Zeit. Wobei die letzte allerdings erst vor ein paar Jahren hinzu gekommen ist, da auch in Südafrika die Felder langsamer wurden und die Zahl der nicht gewerteten Läufer immer größer wurde.

In stetig wechselnden Anstiegen und Gefällen verläuft der Kurs weiter durch die typischen Wohnvororte Alan Manor, Mondeor und Winchester Hills. Wenig spektakulär ist das alles, fast beliebig austauschbar. Unzählige Einfamilienhäuser, meist hinter Sicherheitszäunen oder Mauern versteckt. Einzig auf dem kurzen Stück über die sie durchziehende Verbindungsstraße Columbine Avenue ändert sich das Bild ein wenig. Auf diesem Kilometer dominieren Tankstellen, Supermärkte und Schnellimbisse. Alles ziemlich autogerecht angelegt und stark an amerikanische Vorstädte erinnernd.

Nur diese Passage ist übrigens auch von der Polizei halbseitig für den Marathon gesperrt. Der größte Teil des Rennens führt über - zwar um diese Uhrzeit ziemlich leere – aber eben doch befahrbare Straßen. Allerdings ist eigentlich jede Ecke mit einem oder zwei Streckenposten abgesichert. Zwar begegnet man manchen von ihnen im späteren Verlauf des Laufes noch einmal wieder, aber dennoch dürfte die Gesamtzahl der Ordner und der Helfer an den Verpflegungsstellen bei mindestens zwei- bis dreihundert liegen.

Zieleinlauf

Auch nur halbwegs gleichmäßige Kilometerabschnitte sind auf solch einem Terrain wie im Süden von Johannesburg eigentlich gar nicht zu laufen. Doch die Zwischenzeitentabellen, die erfahrenere Marathonis längst abrufbereit im Kopf haben, sind sowieso nicht zu benutzen.

Von Anfang an ist die Distanz nämlich rückwärts markiert. Schon nach zweihundert Metern taucht das erste Schild auf: „Noch 42 km“. Anschließend kann man sich zwar mit den Kilometerzeiten weiter helfen, denn 41 weitere Tafeln werden im Abstand von tausend Metern folgen. Aber um zu wissen, wo man den nun eigentlich genau ist, muss man trotzdem ständig umrechnen.

Nach einem knappen Drittel der Distanz weisen die an dieser Stelle als Streckensicherung eingesetzten Harriers das Feld eine Rampe hinunter auf eine autobahnähnlich Schnellstraße. Das wirkt erst einmal ziemlich gefährlich, denn da unten rollt doch schon einiges mehr an Verkehr. Aber eigentlich sind die nun folgenden Kilometer mit die sichersten des ganzen Marathons.

Denn während man in den kurvigen und welligen Seitenstraßen nicht wirklich weit sehen kann und ständig damit rechnen muss, dass doch ein Auto um die Ecke gebraust kommt – was gelegentlich sogar passiert - reicht nun der Blick fast schon kilometerweit. Dazu trägt auch bei, dass man das bebaute Gebiet für einige Zeit verlassen hat und inzwischen auf der Rückseite des Klipriviersberg Nature Reserve entlang rennt.

Luftlinie wären es nur ein kleines Stück über den Berg zu Start und Ziel. Doch selbst die Halbmarathonläufer, deren Strecke sich bald vom Marathonkurs trennen wird, müssen das größere der beiden Naturschutzgebiete südlich der Stadt noch vollständig umrunden.

Rechts auf dem mehreren Meter breiten Standstreifen dem Verkehr entgegen – in Südafrika herrscht nach guter britischer Tradition Linksverkehr – laufend, kann man es zum ersten Mal gleich mehrere Kilometer lang rollen lassen. Ein langes Gefällestück bringt für einen kurzen Moment die Hoffnung, dass das Schlimmste jetzt überstanden ist.

Wer sich allerdings den Streckenplan genauer angesehen hat, weiß dass man bald nach links in das nächste Wohngebiet – Mulbarton mit Namen – einschwenken wird. Und dessen Häuser kann man schon oben in den Hügeln auf der anderen Seite der Straße entdecken. Grob gesprochen wird beim Marathon eine große „8“ gelaufen. Die Halbmarathonis beschränken sich auf einen der beiden durch ein kurzes Begegnungsstück verbundenen Kringel.

Zieleinlauf

Eine Brücke über die Autobahn ist der Beginn dieser Anbindung. Und auf der anderen Seite geht es gleich wieder mit den Steigungen los. Denn noch muss der höchste Punkt der Strecke erklettert werden. Dass das Quecksilber inzwischen dank der unbehinderten Sonneneinstrahlung deutlich über die Zwanzig-Grad-Markierung gestiegen ist, macht diese Rampen noch steiler, als sie es ohnehin schon sind. „Geh bloß nicht nach Johannesburg“ kommt wieder in den Sinn.

Kurz hinter der Halbzeitmarke ist nahe des Einkaufszentrums „The Glen“ dann aber doch die höchste und gleichzeitig auch die von Start und Ziel am weitesten entfernte Stelle des Marathons erreicht. Das darauf folgende recht steile Gefällestück bringt allerdings auch kaum noch die erhoffte Erholung. Zum einen knallen die Sonnenstrahlen schon einigermaßen direkt auf den Asphalt – schattenspendende Bäume sind auf der ganzen Strecke nämlich eher selten.

Aber die inzwischen doch ziemlich müde Beinmuskulatur bekommt langsam auch Probleme, die beim Bergablaufen auftretenden Schläge abzudämpfen. Da ist man beinahe schon froh, dass es zur Abwechslung durch den Stadtteil Glenvista mal wieder bergan geht. Denn zwischen dem Ende des Gefälles und der nun wieder anzusteuernden Brücke liegt fast schon selbstverständlich wieder ein Hügel.

Erst als man gut zehn Kilometer vor dem Ziel wieder auf die Autobahn eingeschwenkt ist, wird das Profil endlich flacher. Einfacher wird die Sache dadurch allerdings auch nicht mehr. Denn lange Geraden durch völlig offenes Gelände warten auf die Läufer. Jetzt schlägt die Wärme langsam zu, auch wenn sich die Dichte der Wasserstellen sogar noch etwas erhöht.

Und psychologisch bauen ewig weit einzusehende Passagen zu einem so späten Zeitpunkt auch alles andere als auf. Die fast drei Kilometer lange „Zielgerade“ Peggy Vera Road steigt zudem zum Recreation Centre wieder etwas an. Eigentlich fast lächerlich wenige Prozente im Vergleich zu den schon bewältigten Stichen. Aber in der Kombination mit all den anderen Komponenten gibt sie vielen den Rest. Und schon im Mittelfeld wird eifrig gewandert.

Das Ziel selbst ist allerdings nicht am Ende jener Zielgerade. Dazu muss man auf das Sportgelände einbiegen. Denn in Südafrika ist es einfach üblich, die letzten Meter auf dem Rasen eines Rugby- oder Cricket-Platzes zu absolvieren.

Es sind mit Charles Tjiane (1:07:25), Sello Legodi (1:07:55) und Mkopane Seqhobane (1:08:25) drei schwarze Läufer, die mit angesichts des Streckenprofils und der Höhenlage doch wirklich bemerkenswerten Zeiten als Erste vom Halbmarathon zurück kommen und in den Zielkanal einbiegen. Da ergeben sich die auch aus Europa üblichen Bilder. Kaum ein weißer Läufer kann in der Spitze mithalten.

Zieleinlauf Im Zielbereich Vereinszelte am Ziel

Und wie mit den hierzulande bekannten ostafrikanischen Assen hat das auch bei den lokalen Rennen in Südafrika wenig mit genetischen Unterschieden zu tun. Vielmehr haben jene für den Sieg bei jedem der Jackie-Gibson-Wettbewerbe ausgeschriebenen 600 Rand für einen Township-Bewohner eben eine ganz andere Bedeutung als für einen in einer besseren Wohngegend aufgewachsenen Südafrikaner mit europäischen Vorfahren.

Auch der Marathon wird durch Michael Mnisi (2:31:17), Adam Motona (2:32:40) und Kevin Ramothokgo (2:34:18) mit vor allem aus dem deutschen Blickwinkel inzwischen phantastischen Zeiten von Läufern dunkler Hautfarbe dominiert.

Doch etwas ist völlig anders als zum Beispiel in Kenia, wo man nur rennt, um Geld zu verdienen, und es ansonsten eben sein lässt. Im Mittel- und Hinterfeld gibt es nämlich weiterhin eine bunte Mischung aller Bevölkerungs- und Altersgruppen. Noch sind die Weißen ein wenig überrepräsentiert, doch die Laufbegeisterung hat dennoch sichtbar das gesamte Land unabhängig von der Herkunft erfasst.

Bei den Frauen ist das Bild auch an der Spitze etwas gemischter. Tshifhiwa Mondalamo gewinnt den Halbmarathon mit 1:25:44. Lesley Sopper folgt in 1:29:50 vor Annetjie Strydom (1:31:27). Und im Marathon wird Reinette Duvenage mit 3:32:14 als Erste von den Zeitnehmern registriert. Tracy Jarman gewinnt auf Rang zwei nach 3:39:11 immerhin die W40.

Eine Stunde und zwanzig Minuten später beginnt der erste, laut mitgezählte Countdown, als sich die fünf Stunden der Qualifikationszeit dem Ende nähern. Und weitere dreißig Minuten später wird das Ziel auch beim Jackie Gibson Marathon sekundengenau geschlossen. Mit einem Eintrag von 5:30:00 endet die Ergebnisliste. Eine Leistung, die man angesichts der Verhältnisse durchaus noch ein ganzes Stück höher bewerten muss. Dennoch ist die Warnung „geh nicht nach Johannesburg“ an einen halbwegs vernünftig trainierten Marathonläufer nicht unbedingt zu geben. Der Jackie Gibson Marathon ist sicher ein wenig schwerer. Und er ist auch nicht wirklich spektakulär. Von dieser Art gibt es fast unzählige Rennen im Land.

Es muss ja auch nicht unbedingt genau dieser Lauf sein, selbst wenn er als ältester Wettkampf über 42,2 Kilometer in Südafrika schon etwas besonderes ist. Doch wer als Läufer sowieso zum Urlaub im Land unterwegs ist, sollte sich vielleicht  einmal die Mühe machen, die spärlichen Informationen über solche Rennen aus dem Netz zu holen und an einem von ihnen teilzunehmen.

Nicht alles, aber doch einiges ist in der südafrikanischen Laufszene nämlich etwas anders als zu Hause. Erlebenswert ist sie auf alle Fälle. Selbst wenn der Comrades auf der Wunschliste ganz oben steht, man kann noch an vielen anderen Orten seine Sammlung ergänzen. Südafrika ist und bleibt jedenfalls ein echtes Läuferland – auch für Europäer.

Teil 2: Laufen in Südafrika - der Two Oceans Marathon HIER

Weitere REISEN+LAUFEN-Beiträge über Südafrika - Trilogie 2009:
Teil 1: Bloemfontein Marathon klick HIER
Teil 2: Peninsula Marathon Kapstadt klick HIER
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Bericht und Fotos von Ralf Klink

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