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18. Hongkong Marathon - (16.02.2014)Über und unter einer Weltstadt |
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von Ralf Klink
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Hongkong stellt Menschen, die gerne in klaren, einfachen Kategorien denken, vor erhebliche Probleme. Denn was hat man dabei vor sich? Eine "fast normale" Stadt in der Volksrepublik China? Schließlich wurde im Jahr 1997 die Verwaltung der früheren britischen Kolonie in chinesische Hände übergeben, was nicht nur in Ostasien sondern auch im Rest der Welt große Beachtung fand. Und tatsächlich wird Hongkong nun international nicht mehr von London sondern von Peking vertreten.
Doch gibt es einige Indizien, die einer solchen Einordnung komplett widersprechen. So existiert in der Stadt im Gegensatz zur kommunistischen Volksrepublik eine der am wenigsten regulierten Marktwirtschaften überhaupt. In dieser gibt es zum Beispiel nahezu keinerlei soziale Sicherungssysteme. Jeder ist weitgehend selbst für Kranken- oder Rentenversicherung verantwortlich. Mit dieser Rigorosität übertrifft man sogar das aus kontinentaleuropäischer Sicht diesbezüglich ziemlich laxe Vorbild USA bei weitem.
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Bei Tag und Nacht beeindruckend ist die Skyline von Hongkong mit dem fast fünfhundert Meter aufragenden ICC als höchster Spitze |
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Hongkong kann eigene Steuern oder Zölle erheben und ist sogar eigenständiges Mitglied bei der Welthandelsorganisation WTO. Auch bezahlt man nicht mit dem chinesischen "Renminbi" sondern mit einer ganz anderen Währung, dem "Hongkong-Dollar". In der Stadt werden besondere Briefmarken durch die "Hongkong Post" herausgegeben. Und das Rechtssystem orientiert sich noch immer am angelsächsischen Vorbild. So kennt man völlig konträr zum für seine vielen Hinrichtungen berüchtigten Ein-Parteien-Regime in Peking keine Todessstrafe.
Während man für einen Besuch im übrigen China im Vorfeld ein Visum beantragen muss, reicht bei Bürger der Europäischen Union für die Einreise nach Hongkong ein gültiger Reisepass. Hongkong gibt für seine Einwohner ebenfalls eigene Pässe aus. Und an der Grenze zur Volksrepublik nimmt man genaue Ein- und Ausreisekontrollen vor, denn die Stadt ist für Chinesen keineswegs frei zugänglich. Hongkong besitzt - was für viele bei der Entscheidung, ob ein Gebiet wirklich als "Land" gelten kann, durchaus wichtig ist - auch eigene Nationalmannschaften.
Dabei hat man den Chinesen aus der Volksrepublik in deren Nationalsportart Tischtennis bei internationalen Meisterschaften doch tatsächlich auch schon die eine oder andere Medaille weggeschnappt. Und einmal - allerdings noch zu Zeiten der britischen Kolonialherrschaft - warf man diese bei einer Qualifikation zu einer Fußball-Weltmeisterschaft aus dem Wettbewerb.
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Kapitalistische Moderne und chinesisch-buddhistische Tradition treffen in der Stadt direkt aufeinander |
Und im Gegensatz zu Schottland oder Wales, die in einigen Disziplinen die Voraussetzung des eigenen Teams ebenfalls erfüllen würden, bei Olympischen Spielen aber unter dem Union Jack als Briten antreten, gibt es sogar ein Nationales Olympisches Komitee mit dem Namen "Sports Federation and Olympic Committee of Hong Kong". Schon seit 1952 nimmt eine Mannschaft aus der Metropole an Sommerspielen teil. Im Winter schickte man zuletzt außerdem immer wieder Shortrack-Athleten.
Ist Hongkong am Ende also doch eher ein selbstständiger Stadtstaat, den man ziemlich gut mit dem noch etwas weiter südlich gelegenen Singapur vergleichen könnte? Diesem entspricht es schließlich nicht nur ungefähr bezüglich Größe, Einwohnerzahl und damit natürlich auch der Bevölkerungsdichte. Die wirtschaftliche Bedeutung als wichtiger Hafen und Handelsplatz sowie die Geschichte als frühere britische Kolonie sind ebenfalls recht ähnlich.
Nun Hongkong ist irgendwie beides - Stadt und Staat - und doch eben auch nichts davon. Es handelt sich vielmehr um eine ganz spezielle Konstruktion, die sonst eigentlich nirgendwo sonst in dieser Form existiert und deswegen auch in keines der üblichen Raster passen will. Denn auf Englisch nennt sich die Stadt offiziell "Hong Kong Special Administrative Region of the People's Republic of China" und hat den Status einer chinesische "Sonderverwaltungszone" mit weitgehender innerer Autonomie.
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Im räumlich beengten Hongkong ist eher selten Platz für großflächige Tempelanlagen und weite Parks |
Mit der Kurzformel "ein Land, zwei Systeme" wird diese Situation meist beschrieben. Und es ist wohl genau die Dualität "China und doch nicht China", die dafür gesorgt hat, dass Hongkong nach dem Rückzug der Briten sogar noch weiter an Bedeutung gewinnen konnte und heute zu den absoluten Weltstädten gezählt wird. In den unterschiedlichen Ranglisten landet die Sieben-Millionen-Metropole eigentlich immer unter den ersten Zehn, wenn nicht gar unter den ersten Fünf. Stets liegt man dabei auch vor Peking oder Shanghai, den wichtigsten Zentren des Mutterlandes.
Neben der Attraktivität die solchen Megametropolen in irgendeiner Form immer zu Eigen ist, bietet Hongkong als Reiseziel weitere Vorteile. Die gegenüber der Volksrepublik relativ unkomplizierten Einreisemodalitäten wurde ja schon genannt. Und da von knapp einem Dutzend großer Flughäfen in Europa Direktverbindungen - aus dem deutschsprachigen findet man Frankfurt, München und Zürich auf der Liste - angeboten werden, ist die Stadt zudem gut erreichbar.
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Kunstvolle Beleuchtung macht die Metropole nachts beinahe noch interessanter als am Tag |
Doch kommt man angesichts der langjährigen Zugehörigkeit zum britischen Empire eben auch mit Englisch nahezu überall einigermaßen problemlos weiter. Immerhin ist es nach der Übergabe weiterhin eine der offiziellen Amtssprachen der Sonderverwaltungszone. So ist die Stadt eine gute Möglichkeit, um sich erst einmal ohne das Risiko übermäßig großer Verständigungsprobleme und völliger Orientierungslosigkeit langsam an Asien heran zu tasten.
Wirklich groß ist der Anteil der Besucher aus Europa allerdings nicht. Vielmehr kommen etwa siebzig Prozent aller Touristen aus China nach Hongkong. Und da ein weiteres Fünftel auf Ost- und Südostasien entfällt, bleibt für den Rest der Welt nicht mehr als ein Anteil von ungefähr zehn Prozent übrig. Zieht man davon außerdem Amerikaner und Australier ab, die in dieser Kategorie natürlich ebenfalls enthalten sind, verringert sich der Wert noch einmal auf etwa die Hälfte.
Nur jeder zwanzigste Übernachtungsgast hat also den zehn- bis zwölfstündigen Flug quer über die eurasische Landmasse hinter sich. Wenig überraschend nimmt die ehemalige Kolonialmacht Großbritannien unter ihnen die Führungsposition ein. Die Zahl der britischen Besucher ist drei- bis viermal größer der deutschen, von denen jeden Monat gerade zehn- bis fünfzehntausend die Grenzkontrollen passieren. Und selbst wenn der Anteil nur schwer festzustellen ist, dürfte Geschäftsreisende unter ihnen keinen unerheblichen Teil bilden.
Noch weniger Interesse findet die Stadt als Ziel einer Laufreise. Denn obwohl der Marathon von Hongkong eine Megaveranstaltung mit insgesamt fast siebzigtausend Teilnehmern ist, von denen immerhin weit über zehntausend die namensgebende Königsdistanz - es gibt außerdem noch einen Lauf über zehn Kilometer und einen Halbmarathon - absolvieren, ist die Zahl der Einträge in den Ergebnislisten mit der Länderbezeichnung "Germany" nicht einmal dreistellig. "Switzerland" liest man noch seltener. Und um die Österreicher abzuzählen, reichen zwei Hände völlig aus.
Allerdings hat auch praktisch keiner der inzwischen recht zahlreichen Sportreiseagenturen den Lauf in seinem Programm. Wobei man natürlich die Frage stellen kann, ob das fehlende Angebot eine schwache Nachfrage verursacht oder ob es nicht doch eher umgekehrt ist. Denn auf den New York Marathon, dessen Startnummern man allerdings auch eigentlich nur über diese professionelle Tour-Veranstalter bekommen kann, verzichtet kaum eine von ihnen.
Wer in Hongkong dabei sein möchte, muss - für überzeugte Individualreisende könnte man als Gegenentwurf zum Rennen im "Big Apple" umgekehrt auch sagen "darf" - sich um die Organisation schon selbst kümmern. Aber dies ist schwierig genug. Denn eines hat der Lauf in der chinesischen Weltstadt mit dem in der amerikanischen Megametropole gemein. Bei beiden sind die vorhandenen Startplätze absolut ausgebucht.
Wenn im Herbst zu einem mit langem Vorlauf angekündigten Terminen - für jede Distanz gibt es einen eigenen - das Meldeportal für den Hongkong-Marathon freigeschaltet wird, sollte man jedenfalls keinen einzigen Tag zögern. Denn in der Regel sind die vierzehntausend für den Marathon zur Verfügung stehenden Plätze genauso innerhalb von wenigen Stunden vergeben wie die zweiundzwanzigtausend beim Halbmarathon oder die sechsunddreißigtausend beim Zehner.
Die "registration" nach Ortszeit beginnt um sieben Uhr am Morgen. Da die Unterschiede zwischen Hongkong und Mitteleuropa während der Sommerzeit sechs ansonsten sieben Stunden beträgt, liegen die meisten Menschen hierzulande um diese Zeit aber eigentlich im Bett. So heißt es für Interessierte entweder ziemlich lange aufzubleiben oder aber den Wecker zu stellen, um mitten in der Nacht aufzustehen.
Zwar gibt es für "overseas participants" noch die Möglichkeit von "late entries" vor Ort, die Einheimischen nicht zur Verfügung steht. Doch sich darauf zu verlassen, einfach aufs Geradewohl nach Hongkong, was sich übrigens ungefähr mit "Duftender Hafen" ins Deutsche übersetzen lässt, zu fliegen und damit das Risiko einzugehen, am Ende vielleicht dann doch keine Startnummer zu erhalten, ist sicherlich nicht der beste Ratschlag.
Über die Staffelung der Meldegebühren muss man sich unter diesen Voraussetzungen natürlich keinerlei Gedanken machen. Diese beträgt unabhängig von der gewählten Distanz dreihundert Hongkong-Dollar. Bei einem Wechselkurs von etwas mehr als eins zu zehn ist das Startgeld mit nicht einmal dreißig Euro eindeutig der kleinste Teil der Kosten. Für einen großen internationalen Stadtmarathon fällt es jedenfalls relativ niedrig aus.
Doch selbst ein Zehn-Kilometer-Lauf, bei dem es mit der Startnummer ein Funktions-T-Shirt und im Ziel eine Medaille gibt, ist wohl nicht unbedingt überteuert. Man kann sich schließlich ohnehin fragen, weswegen bei - abgesehen von der Länge der abzusichernde Strecke und der Zahl der Verpflegungsstellen - nahezu gleichen Gegenleistungen anderswo erhebliche Preisunterschiede zwischen den einzelnen Distanzen existieren.
Nur zum Vergleich seien einmal die Werte für New York genannt, wo Amerikaner umgerechnet fast zweihundert und internationale Teilnehmer etwa zweihundertfünfzig Euro für die Teilnahme berappen müssen. Beim Marathon mit der weltweit eindeutig größten Historie in Boston - das Rennen wird ohne Unterbrechung seit 1897 gelaufen - liegen die entsprechenden Werte bei etwa hundertdreißig und hundertsechzig Euro. Und auch Chicago bewegt sich in entsprechenden Regionen. Da wirken die knapp hundert in Berlin fast wie ein Schnäppchen.
Neben der Tatsache, dass als Ausrichter kein an Gewinnen interessiertes Unternehmen sondern die "Hong Kong Amateur Athletic Association", also der lokale Leichtathletik-Verband auftritt, spielt für die eher günstigen Startgebühren - in der Summe werden dabei allerdings dennoch rund zwei Millionen Euro umgesetzt - sicher auch die großzügige Unterstützung durch den Hauptsponsor eine Rolle. Von Beginn an ist nämlich schon die Standard Chartered Bank mit im Boot.
Und nicht nur deswegen ist diese weit mehr als ein bloßer Geldgeber, der dafür bezahlt, dass eine Sportveranstaltung einige Zeit seinen Namen im Titel hat. Das Finanzunternehmen beschränkt sich schließlich keineswegs nur auf einen Lauf sondern unterstützt noch eine ganze Reihe weiterer Marathons - hauptsächlich in Asien. Und alleine wenn man sich deren verschiedene, aber trotzdem alle ziemlich ähnlich aussehenden Logos betrachtet, lässt sich erkennen, dass der Einfluss auf die Organisation wohl doch ein bisschen größer ist als bei anderen Webepartnern.
So führt der von seiner Größe mit Hongkong durchaus vergleichbare Lauf von Singapur genauso die grün-blauen Farben der Bank in der Grafik wie die Rennen in der thailändischen Hauptstadt Bangkok und der malaysischen Kapitale Kuala Lumpur. Man hat den Marathon im indischen Mumbai unter Vertrag und auch den - wohl nicht nur durch das Geld der Standard Chartered Bank so finanzstarken - Lauf von Dubai. Das einzige afrikanische Rennen der Serie findet im Läuferland Kenia statt, nämlich in Nairobi. Und jüngster Zuwachs ist ein Marathon in Taipeh.
Die Wahl der Orte ist keineswegs zufällig. Denn obwohl die Konzernzentrale auch weiterhin in London zu finden ist, macht die Standard Chartered den größten Teil ihres Geschäftes in Afrika, Asien und dem mittleren Osten. Schon die beiden Vorgängerinstitute, die "Standard Bank of British South Africa" und die "Chartered Bank of India, Australia and China" hatten dort unverkennbar ihre Schwerpunkte.
Natürlich besitzt das seit den Sechzigerjahren fusionierte Unternehmen an einem der wichtigsten Bankenplätze der Welt - auch in diesen Ranglisten ist Hongkong nahezu immer unter den ersten fünf - eine ihrer größten Niederlassung. Mehr als hundertachtzig Meter ragt der Büroturm in den Himmel. Doch was fast überall sonst eines der auffälligsten Gebäude der Skyline wäre, reicht in Hongkong gerade noch zu einem Platz unter den ersten hundert.
Und angesichts der Geschwindigkeit, mit der in der südchinesischen Metropole die Hochhäuser aus dem Boden schießen, dürfte es eher eine Frage von Monaten als von Jahren sein, bis man in der Auflistung der höchsten Gebäude nur noch eine dreistellige Ordnungsnummer hat. Abgesehen von New York hat vermutlich keine andere Stadt der Welt eine auch nur annähernd vergleichbare Dichte von Wolkenkratzern.
Alleine sechzig Bauten übertreffen die Zweihundert-Meter-Marke. Zieht man die Grenze fünfzig Meter weiter unten, sind es schon rund dreihundert. Und mehr als einhundert Meter können weit über zweitausend Gebäude vermelden. In Dubai oder Shanghai mag man zuletzt wesentlich höher gebaut haben. Um einen solch gigantischen Hochhauswald wie Hongkong wachsen zu lassen, reichen die dortigen Bemühungen jedoch noch immer nicht aus.
Das zumindest im Hintergrund meist mitschwingende Bestreben, durch besonders hohe Gebäude Aufmerksamkeit zu erregen, ist in Hongkong aber beileibe nicht der einzige Grund dafür, dass mit Vorliebe nach oben gebaut wird. Baugrund ist in der Sieben-Millionen-Metropole vielmehr ein ziemlich rares Gut, das man möglichst optimal nutzen muss. Auf einer Fläche, die mit gut tausend Quadratkilometern nur unwesentlich größer als die von Berlin ist, leben schließlich rund doppelt so viele Menschen.
Zusätzlich verschärft wird die Situation noch durch die Topologie. Denn das Gebiet der Sonderverwaltungszone erstreckt sich über eine ziemlich zerfranste Halbinsel und auf mehr als zweihundert Inseln und Eilande, die insgesamt etwa ein Drittel der Gesamtfläche beisteuern. Zu allem Überfluss ist sowohl der Festlands- als der Inselteil extrem gebirgig. Auf beinahe eintausend Meter schwingen sich die höchsten Gipfel auf. Und mehrere Dutzend Kuppen ragen über fünfhundert Meter empor.
An ihren oft extrem steilen Hängen lässt sich nur mit viel Mühe überhaupt bebaubares Gelände entdecken. Und so verteilen sich die Besiedlungsbänder hauptsächlich auf jenen schmalen Küstensteifen, der am Fuß der Berge noch existiert, einige wenige breitere Täler sowie eine kleine Ebene im Nordwesten an der Grenze zu China, die überhaupt den einzigen etwas flacheren Abschnitt des Territorium von Hongkong bildet.
Für freistehende Einfamilienhäuser mit großen Gärten ist unter solchen Vorgabe natürlich kaum Platz vorhanden. Auch beim Wohnen muss man in Hongkong etwas enger zusammen rücken. Und so handelt es sich beim größten Teil der Wolkenkratzer deswegen auch keineswegs um Büro- oder Hoteltürme, die in anderen Städten meist das Bild dominieren, sondern um ganz profane Wohnbauten.
Selbst wenn die "skyscraper" sich praktisch über die gesamte für Gebäude nutzbare Fläche verteilen, findet sich die größte Ballung auf Hong Kong Island, der zweitgrößten Insel im Stadtgebiet, die gleichzeitig auch die Keimzelle der einstigen britischen Kolonie bildet. Denn bereits 1841 hissten Marinesoldaten auf ihr den Union Jack. Und ein Jahr später trat das Kaiserreich China die Insel, auf der sich damals nur einige Fischerdörfer befanden, offiziell an das Vereinigte Königreich ab.
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Der Phantasie der Architekten sind wenige Grenzen gesetzt, Bauten wie das Lippo Centre (mitte) oder die Bank of China (rechts) haben deswegen einen unverwechselbaren Charakter |
Auslöser für die Inbesitznahme war der sogenannte "Erster Opiumkrieg" zwischen Briten und Chinesen. Im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert begann in Europa die Nachfrage nach ostasiatischen Gütern wie Seide, Porzellan oder Tee immer stärker zu wachsen. Einzige Stadt, in der allerdings überhaupt Handel mit den Fremden getrieben werden durfte, war das heute "Guangzhou" geschriebene Kanton, das etwa hundert Kilometer nordwestlich ebenfalls am bei Hongkong ins Meer mündenden Perlfluss liegt.
Obwohl die europäischen Kaufleute dort in einer Art Getto leben mussten, nahm das Volumen der Exporte ständig zu. Allerdings hatten die Briten umgekehrt wenige Waren zu bieten, die auf großes chinesisches Interesse gestoßen wären. Und so blieb ihnen nichts anders übrig, als den größten Teil mit so viel Silber - der in China üblichen Währung - zu bezahlen, dass es in Europa zu einer regelrechten Knappheit kam.
Die Situation änderte sich erst, nachdem die "British East India Company" begann ihre negative Handelsbilanz dadurch aufzubessern, dass sie im Gegenzug Opium aus Indien einführte. Denn für dieses fanden die Briten deutlich mehr Abnehmer als für Wolle oder Textilien. Dass man dabei - mit einer im Königreich selbst übrigens verbotenen Droge - die Zahl der Rauschgiftabhängigen in China vervielfachte, wurde billigend in Kauf genommen.
Als auf Anordnung des chinesischen Kaisers 1839 die Opiumbestände der Händler beschlagnahmt und vernichtet wurden, schickte die britische Marine einen Kampfverband. Und innerhalb von zwei Jahren nahm das Expeditionskops mit relativ geringen eigenen Verlusten mehrere Städte ein. Zudem blockierte man noch eine Reihe wichtiger Flüsse und Häfen. Die zahlenmäßig zwar weit stärkere, in Ausrüstung und Taktik aber völlig unterlegene chinesische Armee erlitt dabei gleich mehrere schwere, fast vernichtende Niederlagen.
Das durch die Leichtigkeit des Vormarsches der "Barbaren" aus Übersee auch in seinem Selbstverständnis als Hochkultur und asiatische Führungsmacht schwer erschütterte Kaiserreich musste am Ende klein beigeben und im "Vertrag von Nanking" neben Guangzhou noch mehrere weitere Handelsplätze für die Briten öffnen. Auch der Opiumhandel wurde durch das Abkommen wieder erlaubt. Und außerdem bestätigte man - damals eher eine Randnotiz - eben noch die Abtretung von Hong Kong Island.
Diese war eigentlich schon ein Jahr zuvor bei einem zwischenzeitlichen Waffenstillstand vereinbart worden. Es zählt zu den vielen Ironien der Geschichte, dass nach dieser ersten Übereinkunft sowohl der britische als auch der chinesische Unterhändler abberufen wurden. Denn die Führung beider Seiten erachteten dieses Ergebnisses, dass sich bald als historisch ziemlich bedeutend heraus stellen sollte, ursprünglich als "schlecht"
In der Folgezeit erkannte das Empire aber langsam, was für ein Juwel ihm da in die Hand gefallen war. Denn die später nach der damaligen Königin "Victoria Harbour" genannte Meerenge zwischen der Insel und dem Festland bot geradezu ideale Voraussetzungen für einen Handelshafen. Und innerhalb eines guten Jahrzehnts hatte sich die anfangs nur aus wenigen tausend Menschen bestehende Bevölkerung dann auch schon verzehnfacht.
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Der Victoria Harbour trennt Hong Kong Island vom auf dem Festland gelegenen Stadtteil Kowloon und bietet deswegen an beiden Ufern faszinierende Aussichten |
Noch weiter wuchs die Bedeutung Hongkongs nach dem Zweiten Opiumkrieg, der von 1856 bis 1860 ausgefochten und von Großbritannien nach einem formalen Vorwand - der Beschlagnahme eine britischen Schiffes, das Opium schmuggelte - aus ähnlichen Gründen wie sein Vorgänger geführt wurde. In Wahrheit ging es natürlich um die Ausweitung des eigenen Einflussbereiches gegen das geschwächte Kaiserreich.
Neben weiteren Handelserleichterungen wurde als Ergebnis diesmal zusätzlich die Hong Kong Island gegenüber liegende Halbinsel Kowloon wie neunzehn Jahre zuvor schon die Insel "auf alle Zeiten" an das britische Königreich übertragen. Wer nicht zuvor schon wegen der genannten Jahreszahlen gestutzt haben sollte, fängt spätestens jetzt an sich zu wundern. Irgendetwas stimmt hier doch nicht. Musste denn Hongkong nicht an China zurück gegeben werden, weil der auf neunundneunzig Jahre geschlossene Pachtvertrag abgelaufen war und nicht verlängert wurde?
So hat man es zumindest im Kopf. Und ganz falsch ist diese Aussage auch nicht. Doch bezieht sie sich einzig und alleine auf die sogenannten "New Territories", die sich noch weiter nördlich anschließen und fast neunzig Prozent des Areals von Hongkong einnehmen. Diese wurden dem chinesischen Kaiserreich 1899 in einem weiteren - aufgrund der Kräfteverhältnisse ziemlich ungleichen - Vertrag abgenötigt. Und nur die "Neuen Territorien" hätten aus rechtlicher Sicht dann auch von den Briten aufgegeben werden müssen, Hong Kong Island und Kowloon dagegen nicht.
Auch wenn das eigentliche Zentrum Hongkongs tatsächlich in diesen beiden Gebieten zu finden ist, wäre eine saubere Trennung kaum möglich gewesen. Denn über die Jahre waren die alten, "auf ewig" abgetretenen und die neuen, nur auf Zeit gepachteten Teile der Kolonie so fest miteinander verwachsen, dass man sie selbst dort, wo sich die einstige Grenze noch einigermaßen zu erkennen war, praktisch nicht mehr auseinander hätte dividieren können.
Bei der "Boundery Street", deren Namen schon einiges über ihre frühere Rolle als nördliche Begrenzung des britischen Herrschaftsgebietes aussagt, handelt es sich zum Beispiel um eine in ihren schmalsten Abschnitten gerade einmal zwei- bis dreispurige Straße, die zudem zu beiden Seiten extrem dicht bebaut ist. Und die Bahnstrecken des "MTR" - die Abkürzung für "Mass Transit Railway" - genannten Metrosystems greifen genauso über diese gedachte Linie hinaus wie das Schnellstraßennetz.
Doch selbst bei Lösung dieser Probleme wäre die anschließend übrig gebliebene Kronkolonie ohne das Hinterland nicht mehr lebensfähig gewesen. So benötigt man für die Wasserversorgung von Hongkong unbedingt die Reservoirs in den Bergen der New Territories. Und auch die für den Handelsplatz unverzichtbaren Hafenanlagen waren längst von den dicht bebauten Ufern des Victoria Harbour weiter nach Norden verlegt worden.
Da China seinerseits jede Verlängerung des Pachtvertrages kategorisch ablehnte, einigte man sich schließlich auf die Übergabe des kompletten Territoriums unter der Bedingung, dass in Hongkong auch nach 1997 noch fünfzig Jahre lang das zuvor bestehende kapitalistische Wirtschaftssystem erhalten bleiben sollte. Das anschließend sogar in der Verfassung der Volksrepublik verankerte Prinzip "one country, two systems" entstand.
Abgesehen vom Flughafen "Chek Lap Kok", der sich ebenfalls im Bereich der New Territories befindet, wird man bei einem kurzen Besuch eher wenig von diesem eigentlich größten Stück der Stadt zu Gesicht bekommen. Denn die wichtigsten Anlaufpunkte für Touristen verteilen sich zu ungefähr gleichen Teilen auf Hong Kong Island und Kowloon. Während man sich dort einfach treiben lassen kann und trotzdem an fast jeder Ecke sehenswertes entdeckt, sind es in den nördlichen Gebieten eher Einzelziele, die man nur ansteuert, wenn noch ein wenig Zeit übrig ist.
Wegen der räumlichen Trennung durch den Victoria Harbour präsentiert sich Hongkong als Großstadt mit zwei völlig separaten Kernen, von denen jeder für sich durchaus auch dann wie eine bedeutende Metropole wirken würde, wenn am jeweils anderen Ufer des knapp zwei Kilometer breiten Meeresarmes nicht ebenfalls wieder Dutzende von Wolkenkratzer in den Himmel wachsen würden.
So muss man sich bei der Besichtigung der Stadt immer erst einmal auf eine der beiden Seiten festlegen. Allerdings ist der schnelle Wechsel zwischen Festland und Insel kein wirklich großes Problem. Denn gleich drei U-Bahn-Tunnel tauchen unter dem Wasser hindurch. Zwei von ihnen verbinden dabei in relativ kurzem Abstand zueinander die zentralen Teile. Und die Züge verkehren durch sie im Abstand weniger Minuten. Daneben hat man auch noch drei Straßentunnel unter dem Victoria Harbour gegraben. Abgeschnitten ist Hong Kong Island also keineswegs.
Die billigste und gleichzeitig auch die schönste Art das Hafenbecken zu überqueren bieten jedoch die ständig hin und her pendelnden Fähren der "Star Ferry Company". Zwischen den jeweils zwei Anlegestellen an beiden Ufern verkehren sie auf den sich daraus rein kombinatorisch ergebenden vier verschiedenen Routen. Und alle von ihnen bieten hervorragende Ausblicke auf die Hochhausdschungel am Ufer.
Auf der kürzesten dieser Strecken sind von Kowloon nach Hong Kong Island ganze zwei Hongkong-Dollar für die etwa fünf Minuten dauernde Fahrt zu zahlen. Auf dem "upper deck" der zweistöckigen Boote ist das Übersetzen aus irgendwelchen Gründen um einen halbe Dollar teurer. Doch ob man nun zwanzig Euro-Cent oder fünfundzwanzig im Münzeinwurf an den Drehkreuzen versenkt, ist am Ende eigentlich beinahe egal. Denn anderswo müsste man sicher deutlich tiefer in die Tasche greifen.
Natürlich muss man sich auch im Hinblick auf die Unterkunft entweder für Hong Kong Island oder für Kowloon entscheiden. Und selbst, wenn man sich dabei am Marathon orientieren will, um möglichst kurze Wege zu haben, wird die Wahl nicht wirklich leichter. Denn auch dieser verteilt sich auf beide Ufer. Während das Ziel für alle Läufe nämlich auf der Insel zu finden ist, beginnen zumindest die Rennen über zweiundvierzig und einundzwanzig Kilometer auf dem Festland.
Die Startnummern bekommt man freitags und samstags im Victoria Park - erneut ist die Königin, deren Rekord für die als längste Zeit auf dem britischen Thron trotz ihrer über dreiundsechzig Jahre dauernden Regentschaft langsam durch ihre Ur-Ur-Enkelin Elizabeth bedroht wird, die Namensgeberin - auf Hong Kong Island ausgehändigt, in dem sich am Sonntag auch das Ziel befindet wird.
In diesem Karree von etwa einem halben Kilometer Seitenlänge, das einem der wenigen übrig gebliebenen grünen Flecken in den flacheren Teilen Hongkongs darstellt, dient eine kleine Zeltstadt als Veranstaltungszentrum. Wirklich groß ist der Andrang allerdings nicht. Denn bereits am Wochenende zuvor konnten alle einheimischen Teilnehmer ihre Unterlagen an gleicher Stelle in Empfang nehmen.
Die Wahl dieses Ausgabeortes lässt sich durchaus als "mutig" bezeichnen, nachdem man sich das Klima Hongkongs einmal ein wenig genauer betrachtet hat. Denn zusammen mit dem Januar bildet der Februar eindeutig die kälteste Phase des Jahres. Die Durchschnittstemperaturen betragen in beiden Monaten nur wenig mehr als fünfzehn Grad. Zwar kann das Quecksilber zur wärmsten Zeit des Tages sehr wohl auch immer wieder einmal deutlich über die Zwanzig-Grad-Marke klettern.
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Auch bei der hypermodernen Architektur der Bürotürme im Zentrum tauchen immer wieder einmal traditionelle chinesische Motive auf |
Doch gerade die Woche zwischen den beiden Phasen der Startnummernausgabe zeigt, dass man umgekehrt genauso gut auch unter zehn Grad hängen bleiben kann. Erstaunlich ist dies insbesondere, weil Hongkong geographisch auf zweiundzwanzig Grad nördlicher Breite liegt, also in einem Bereich, der eigentlich schon den Tropen zugerechnet wird. Vergleichspunkte sind in der Karibik zum Beispiel Kuba oder die Dominikanische Republik.
Immerhin hat man seit Beginn der Wetteraufzeichnungen im Stadtzentrum noch nie Temperaturen unterhalb des Gefrierpunktes gemessen. Der absolute Rekordwert wird vom "Hong Kong Observatory" mit exakt null Grad angegeben. Doch datiert diese Messung auf das Ende des neunzehnten Jahrhunderts. Und den letzten leichten Schneefall hat man dort vor rund vierzig Jahren notiert. In den Hochlagen der Berge können die Zahlen aber natürlich trotzdem in Extremfällen einmal ins Negative rutschen.
Eines sind die Wintermonate in Hongkong allerdings eindeutig, nämlich relativ trocken. Rein statistisch fallen in jedem von ihnen maximal ein bis zwei Prozent der jährlichen Regenmenge. Im Sommer können die Niederschläge dagegen fast einhundert Mal so hoch werden. Und da die Jahressumme sich auf das drei- bis vierfache der hiesigen Werte addiert, wird es zwischen Mai und September dann wirklich ziemlich feucht.
Doch selbst wenn der Februar verhältnismäßig niederschlagsarm ausfällt, wäre es ein gewaltiger Irrtum, deswegen gleich strahlenden Sonnenschein zu erwarten. Denn im langjährigen Mittel lässt sich das Zentralgestirn in diesem Monat nicht einmal hundert Stunden zwischen den meist dichten und oft auch ziemlich tief hängenden Wolken blicken. Das Marathonwochenende bildet da keine Ausnahme.
Eigentlich nur freitags kann man überhaupt ein bisschen blauen Himmel erkennen, bevor er sich endgültig hinter dichtem Dunst versteckt. Dabei geht es aber auch ziemlich kühl zu. Der nur unwesentlich wärmere Samstag wird durch die dicken Wolken und zusätzlichen Wind fast noch unangenehmer. Und der Wettkampftag präsentiert sich dann wenigstens einigermaßen durchschnittlich, also mit schon am frühen Morgen zweistelligen Temperaturen.
Die Tiefstwerte, die ja in der Regel kurz vor Sonnenaufgang gemessen werden, sind beim Hongkong Marathon für die Teilnehmer durchaus von Interesse. Denn die Sonne zeigt sich - wenn überhaupt - im Februar erst gegen sieben Uhr am Horizont. Die ersten Rennen der Veranstaltung werden dagegen schon um halb sechs gestartet. Gleichzeitig, aber auf verschiedenen Seiten des Victoria Harbour gehen nämlich die Teilnehmer von "Half Marathon Challenge" und "10km Challenge" auf die Strecke.
Das Wort "Challenge" ist dabei keineswegs ein rein aus Marketingaspekten angefügter Schnörkel sondern hat durchaus Bedeutung. Die Läufe über die verschiedenen Distanzen werden nämlich allesamt in mehreren Wellen mit erheblichem Zeitversatz gestartet. Bei der Anmeldung musste man sich je nach der erwarteten Zielzeit für einen von ihnen entscheiden. Mit "Challenge" wird das jeweils schnellste Rennen bezeichnet, in dem auch die Elite am Start steht.
Alle übrigen Läufe tragen dann den Namen "run" und sind weiter durchnummeriert. Über zehn Kilometer geht diese Zählung bis fünf, so dass sich insgesamt sechs Starts ergeben. Und da zwischen ihnen jeweils eine halbe Stunde eingeplant ist, geht die letzte Gruppe also erst um acht Uhr und damit ziemlich genau zwei Stunden, nachdem die Schnellsten bereits die Ziellinie überlaufen haben, auf die Reise.
Noch weitaus länger ziehen sich die Prozedur beim Halbmarathon hin. Denn nach der ersten Startwelle über einundzwanzig Kilometer werden um 6:10, um 6:40 sowie um 7:10 vom gleichen Punkt erst einmal die drei Läufe des Marathons losgeschickt. Erst um acht geht es dann wieder mit Halbmarathonis weiter. Und da man zwischen den drei über diese Strecke angebotenen "runs" auch noch eine Dreiviertelstunde eingeplant hat, dauert es in Kowloon sogar bis halb zehn, bevor die letzten Läufer auf der Strecke sind und der Startbogen wieder abgebaut werden kann.
Um das Frühstück muss man sich um diese Uhrzeit natürlich selbst kümmern. Selbst wenn es - was in Hongkong eher die Ausnahme als die Regel ist - zum Leistungspaket des Hotels gehört, wird es wegen einiger Läufer so gut wie nie mehrere Stunden früher aufgebaut. So etwas ist wohl tatsächlich nur denkbar, wenn das Rennen eine ziemlich tiefe Verwurzelung in der gesamten Bevölkerung hat. Beim traditionsreichen Comrades Marathon in Südafrika ist zum Beispiel ein mitten in der Nacht angebotenes, voll bestücktes Frühstücksbuffet beinahe selbstverständlich.
Von einem gewissen Interesse am Lauf oder gar echter Begeisterung, die man in anderen Städten gelegentlich erlebt und dann doch einmal die Erfüllung eines diesbezüglichen Sonderwunsches möglich macht, ist in Hongkong allerdings nicht das Geringste zu spüren. Weder vor noch nach dem Rennen nimmt irgendjemand groß Notiz von der Veranstaltung. Und wenn man als Grund für den Besuch der Metropole "the marathon on sunday" angibt, erntet man meist nur ein erstauntes Schulterzucken.
Immerhin ist es wie in allen Ländern mit angelsächsischer Tradition üblich, dass Gästezimmer mit Wasserkochern oder Kaffeemaschinen ausgestattet sind. Die entsprechenden Päckchen werden jeden Tag beim Saubermachen der Räume durch das Hotelpersonal kostenlos neu bereit gelegt. Ganz ohne morgendlichen Koffeinstoß muss die Unterkunft also selbst um vier oder fünf Uhr nahezu niemand verlassen.
Und es lässt sich zudem auch kaum vermeiden, auf dem Weg zum Start an einem der auch in der südostchinesischen Hafenstadt ziemlich weit verbreiteten und gut angenommenen Coffee-Shops vorbei zu kommen. Ein Blick durch die Schaufenster zeigt an diesem Morgen, dass es sich bei einer klaren Mehrheit der Kundschaft um Menschen mit sportlicher Bekleidung und Laufschuhen an den Füßen handelt.
Neben der an ihrem grünen Logo leicht zu erkennenden und hierzulande ebenfalls ziemlich populären Kette aus dem amerikanischen Seattle und dem inzwischen ebenfalls in Kaffeegeschäft eingestiegenen Frikadellen-Braten mit dem gelben "M" gibt es dabei auch noch eine einheimische Firma mit ähnliche hoher Präsens. Selbst wenn diese "Pacific Coffee Company" weiterhin hauptsächlich in Hongkong aktiv ist, hat man inzwischen auch Filialen in anderen Ländern Asiens.
Natürlich stellt sich angesichts so früher Startzeiten für den Morgen des Rennens auch die Frage der Anreise. Unter normalen Voraussetzungen wäre dies nämlich wirklich ein Problem. Denn die Fahrpläne der öffentlichen Nahverkehrsmittel wie der U-Bahn und der mehreren hundert Buslinien, die Touristen schon alleine durch ihre bloße Anzahl vor ein nahezu unlösbares Problem stellen, beginnen selbst an Werktagen erst gegen sechs Uhr.
Wie groß die Bedeutung des Marathons trotz geringen Interesses der Bevölkerung allerdings für die Stadt inzwischen ist, lässt sich daran ablesen, dass der Betriebsbeginn der MTR-Strecken zum Teil mehr als zwei Stunden nach vorne verlegt wird, um die Teilnehmer rechtzeitig zu ihren Startplätzen zu bringen. Bereits um halb vier in der Nacht rollen nämlich in den Vorortsiedlungen der New Territories die ersten Züge aus den Endbahnhöfen. Und auch auf den nicht ganz so weit in die Außenbezirke reichenden Innenstadtlinien kann man ab vier Uhr in die Bahn einsteigen.
Verglichen mit ihren Gegenstücken in anderen Metropolen liegen die Anfänge der Hongkonger Metro noch nicht lange zurück. Erst Ende der Siebziger begann man mit dem Bau. Doch innerhalb von dreieinhalb Jahrzehnten ist das Streckennetz auf rund zweihundert Kilometer mit beinahe einhundert Stationen angewachsen. Mehrere Erweiterungen sind zudem bereits im Bau und werden in den nächsten Jahren eröffnet, andere - zum Beispiel ein vierter Tunnel zwischen dem Festland und Hong Kong Island - befinden sich in der Planung.
Gleich in doppelter Hinsicht sind die MTR-Züge abgeschottet. Denn zu einen sind die eigentlichen Stationen keineswegs für alle frei zugänglich. Man kann sie vielmehr nur durch mechanische Bahnsteigsperren betreten, die sich ohne eine gültige Fahrkarte nicht öffnen. Und auch beim Verlassen wird diese noch einmal auf die gleiche Art geprüft, so dass man auch nicht zu weit fahren kann. Was hierzulande eher ungewöhnlich erscheint, ist allerdings international gerade bei großstädtischen Metro-Netzen absolut üblich.
Ein wenig verwirrend für Besucher sind allerdings die verschiedenen Arten der Tickets. Denn einige Automaten werfen noch Papierkarten mit Magnetstreifen aus, die an den Zugangskontrollen eingezogen und wieder ausgeworfen werden. An anderen bekommt man dagegen schon Plastikarten mit Chip, die zum Öffnen der Schranke nur auf das Lesegerät am Eingang aufgelegt werden müssen.
Dass beide Tickettypen beim Verlassen der Station erneut kontrolliert und dabei zur Wiederverwertung eingezogen werden, man dabei aber verschiedene Apparate nutzen muss, verkompliziert das Ganze zusätzlich. Zwar gibt es Schilder und Symbole, die angeben welche Ausgangstür für welche Fahrkarte geeignet ist, doch sind diese eher klein und im Getümmel der Metro - trotz extrem dichter Taktfolge sind die Züge fast immer brechend voll - dauert es aber einem Moment, bis man sie entdeckt und verstanden hat.
Und zu allem Überfluss existiert noch eine dritte Variante. Denn statt Einzeltickets kann man auch eine sogenannte "Octopus card" erwerben - oder genauer gesagt eigentlich "leihen", denn für diese wiederaufladbare Karte gibt es ein Pfand, das man zurück erhält, wenn man sie wieder abgibt. Bei Zugang zum Bahnhof wird sie auf das Lesegerät gehalten, beim Verlassen erneut. Der - in diesem Fall sogar ein wenig günstigere - Fahrpreis wird in Sekundenbruchteilen ermittelt und herunter gebucht.
Während sich vergleichbare Systeme in Europa nur sehr langsam durchsetzen, ist die Benutzung der "Octopus cards" in Hongkong der allgemeine Standard. Fast alle Bewohner der Stadt, die regelmäßig öffentliche Verkehrsmittel benutzen, besitzen eine oder gar mehrere von ihnen. Das Beobachten der Einheimischen, die ihre Karte ja gerade nicht am Ausgang abgeben müssen sondern sie nur auflegen, verwirrt also eher noch zusätzlich.
Eine zweite Barriere sind dann die Sicherheitstüren am Bahnsteigrand, die sich erst dann öffnen, wenn der einfahrende Zug zum Stehen gekommen ist. In Europa begegnet man ihnen meist nur auf kurzen, oft automatischen und führerlosen Zubringerbahnen, die zum Beispiel auf Flughäfen zwischen den Terminals verkehren - wie übrigens auch am "Hong Kong International Airport". Sicherlich ist ein solches System etwas teurer. Allerdings verhindert es praktisch vollständig, dass irgendjemand aufs Gleis und dabei unter die Räder geraten kann.
Um die wirklich ziemlich außergewöhnliche dritte Besonderheit im MTR-Netz zu erkennen, muss man dagegen schon ein wenig genauer hinsehen. Gleich bei mehreren Gelegenheiten verlaufen nämlich zwei sich treffende Linien über zwei oder drei Bahnhöfe parallel zueinander, jedoch auf jeweils eigenen Schienen. Die intelligente Streckenführung ermöglicht dabei mit einer jeweils anderen Umsteigevariante am Nachbargleis eine Optimierung der Fußwege.
Wer von außen ins Zentrum der Metropole fährt, findet in solche Fällen auf jeder der beiden Ebene der ersten Station jeweils einen auf der anderen Linie wieder stadtauswärts rollende Zug am gleichen Bahnsteig. Nachdem sich die Tunnelniveaus unmerklich gekreuzt haben, wartet am nächsten ebenfalls wieder zweistöckigen Bahnhof gegenüber dann eine Richtung Innenstadt fahrende Bahn. Im Streckenplan ist die jeweilige Wechselvariante entweder mit einem Halbkreis oder einem diagonalen Strich im Stationsfeld angezeigt.
Angesichts der Menschenmassen, die tagtäglich zu umgeschlagen werden, ist es eindeutig ein Vorteil, wenn diese sich zum Umsteigen nicht auch noch über Treppen und Gänge schieben müssen. Im Jahr befördert die Metro von Hongkong nämlich die unglaubliche Zahl von eineinhalb Milliarden Passagieren. Pro Tag sind es immerhin vier bis fünf Millionen. Damit liegt man etwa gleichauf mit New York, London oder Paris, die jedoch allesamt deutlich größere Netze besitzen.
Im Gegensatz zum meist üblichen Methode, die einzelnen Linien mit Nummern oder Buchstaben zu versehen, tragen sie in Hongkong nach dem Vorbild der London Underground abhängig von ihrem Verlauf verschiedene Namen. Und während man sich unter "Island Line" eindeutig etwas vorstellen kann und auch mit den Bezeichnungen "East Rail Line" oder "West Rail Line" keine Probleme hat, tut man sich als Europäer mit den meist nach den Endstationen benannten übrigen Strecken schon etwas schwerer.
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Im Durcheinander der für die meisten Europäer nicht zu entschlüsselnden chinesischen Reklametafeln entdeckt man manchmal dann doch Bekanntes |
Um die "Tsuen Wan Line" und die "Tseung Kwan O Line" voneinander unterscheiden zu können, muss man angesichts der ziemlich ähnlichen Buchstabenkombinationen theoretisch schon ziemlich aufpassen. Immerhin sind beide nicht direkt miteinander verknüpft und verlaufen in unterschiedliche Richtungen, so dass dann zumindest in der Praxis eine Verwechslung eher unwahrscheinlich ist.
Doch auch die Bezeichnungen Kwun Tong Line", "Ma On Shan Line" oder "Tung Chung Line" dürften sich die meisten kaum im ersten Anlauf merken können. Kaum anders verhält es sich auch mit den Stationsbezeichnungen. Denn selbst wenn es darunter Begriffe wie "North Point", "Diamond Hill", "Admiralty" oder "Causeway Bay" gibt, tragen die meisten Haltestellen natürlich ebenfalls chinesische Namen. Doch lässt sich so irgendwie auch erahnen, wie es Besuchern aus Ostasien in Europa oder Nordamerika gehen muss.
Viel leichter fällt da die Orientierung an der für jede einzelne Linie vergebenen speziellen Farbe, die sowohl im Netzplan als auch bei der Beschilderung der Stationen durchgängig verwendet wird. Wer am frühen Sonntagmorgen zum Startpunkt von Marathon und Halbmarathon gelangen möchte, sollte dabei am Besten das Rot der "Tsuen Wan Line" wählen, die den Stadtkern auf Hong Kong Island mit dem zentralen Teil von Kowloon verbindet und deswegen fast rund um die Uhr extrem hoch frequentiert wird.
Die Fahrt zum Start endet am Haltepunkt "Tsim Sha Tsui", was sich bei der Ansage im Zug für ungeübte Ohren fast wie jenes "ching chang chung" anhört, mit dem Kinder hierzulande vorgeben, dass sie auch "Chinesisch" sprechen können. Auf Deutsch bedeutet die Wortkombination ungefähr "sandige Spitze". Und tatsächlich verbirgt sich hinter diesem Namen das Gebiet im äußersten Süden der Halbinsel von Kowloon - was sich seinerseits übrigens mit "neun Drachen" übersetzen lässt.
Das selbst wieder eine etwa einen Quadratkilometer große Halbinsel bildende Viertel, ist einer der zentralen touristischen Anlaufpunkte der Stadt. Denn neben fast allen großen und bekannten Museen der Stadt - namentlich sind dies das "Hong Kong Museum of History", das "Hong Kong Science Museum", das "Hong Kong Museum of Art" und das "Hong Kong Space Museum" - findet sich dort direkt am Ufer des Victoria Harbour zum Beispiel auch noch das "Hong Kong Cultural Centre".
Von außen wirkt der fensterlose Bau, der in den Achtzigern einen historischen Bahnhof ersetzte, trotz seiner geschwungenen Dachkonstruktion eher klobig und fast wie ein Bunker. Doch mit Konzertsaal, Opernhaus und Theater im Inneren hat das Zentrum Hongkong endgültig auch in kulturelles Hinsicht zu einer der bedeutendsten Metropolen Ostasiens gemacht. Der von der alten "Kowloon Station" übrig gebliebene Uhrenturm bildet dazu einen ungewöhnlichen Kontrastpunkt.
Allerdings ist es weniger die hohe Kultur, die einen Besuch an der Südspitze Kowloons zum absoluten Pflichtprogramm macht. Vielmehr legen dort zu einen auch die Hafenfähren ab. Und auf diesen kann man - selbst wenn eine Handvoll Überfahrten im wissenschaftlichen Sinn sicherlich noch keine statistisch verwertbare Stichprobe liefern - eindeutig mehr auswärtige Gäste entdeckt als sonst im Stadtbild.
Zum anderen bietet die ungefähr einen Kilometer lange Uferpromenade eine der faszinierendsten Aussichten auf die Hochhäuser, die sich jenseits des Wassers in einer nahezu endlosen Reihe die Nordküste von Hong Kong Island entlang ziehen. Insbesondere in den Abendstunden, wenn die Wolkenkratzer der Stadt dank Beleuchtung in den buntesten Farben erstrahlen, wimmelt es an der "waterfront" nur so von Menschen mit klickenden Kameras. Und es da auch auf der Kowloon-Seite Lichtspiele gibt, bekommt selbst das tagsüber so "kalte" Kulturzentrum eine wärmere Note.
Selbst wenn einige Ausgänge der weitverzweigten Tunnelnetzes der Station zur Promenade führen, sind für die Marathonläufer eher die nördlichen "exits" interessant. Denn der Start befindet sich ein ganzes Stück vom Wasser entfernt und ziemlich genau in der Mitte des Viertels auf der Nathan Road, die sich vom Victoria Harbour kilometerlang schnurgerade quer durch Kowloon nach Norden zieht.
Rund um die eigentliche Startzone ist alles weiträumig abgesperrt. Eine Vielzahl von Ordnern und Polizisten achtet darauf, dass niemand von der Seite in den Bereich hinter der Linie hinein kommt, wenn er dort nicht zu suchen hat. Zuerst einmal werden die Teilnehmer sowieso zum parallel verlaufenden Kowloon Park Drive geleitet, auf dem die Kleinlaster stehen, an denen man seinen Kleiderbeutel abgeben kann.
Diesen hat man zusammen mit den Unterlagen erhalten. Und genau wie der Startnummer, die mit verschiedenen Farben und Nummernkreisen sowie aufgedruckten Anfangsbuchstaben neben der gewählten Distanz zudem die Startgruppe anzeigen, kann man den Plastiksäcken ganz genau ansehen, wo jeder Läufer hingehört. Denn auch sie sind für jeden der Blöcke in einer anderen Farbnuance gehalten. Da die Grundfarben rot, grün, blau und gelb angesichts der vielen Startwellen natürlich nicht ausreichen, muss man dabei auch auf braun oder rosa zurück greifen.
Statt mit den gewohnten Aufklebern wird der Beutel mit einem vorgefertigten Anhänger markiert, der neben der persönlichen Ziffernkombination auch die Nummer des Fahrzeugs anzeigt, an dem man ihn abzugeben hat. Mit der Medaille um den Hals wird man hinter dem Ziel seinen Kleidersack auch unter genau dieser Zahl wieder finden. Das an den Türen der in einer langen Reihe hintereinander parkenden Autos angebrachte deutlich größere Gegenstück des Schildes hat dann übrigens ebenfalls wieder die jeweils zum Beutel passende Farbe.
Mehr als zwei verschiedene Töne bekommt man dabei aber nie gleichzeitig zu Gesicht. Denn schon etwa eine Viertelstunde bevor sich in einigen hundert Metern Entfernung die Läufer in Bewegung setzen, rollen die Gepäckautos in Richtung Ziel, um damit gleich wieder Platz für die nächste Fahrzeuge zu machen. Alles scheint perfekt organisiert. Aber das muss es wohl bei solch gigantischen Gesamteilnehmerzahlen auch sein. Und all diese Vorkehrungen ist machen es natürlich ziemlich schwer, in der falschen Stadtgruppe loszulaufen.
Der Weg von der Kleiderbeutelabgabe führt in großem Bogen von hinten an den Startbereich heran. Und erst einmal bleibt man dabei auch in einer vorgelagerten Aufstellungszone zwei Straßenblöcke weiter hinten hängen. Es dürfte allerdings doch eher Zufall sein, dass diese "waiting zone" genau an einer Filiale des Hauptsponsors beginnt. Erst wenige Minuten vor der festgesetzten Uhrzeit, darf man hinter einer Polizeikette dann bis zur Linie nach vorne rücken.
Die Ansagen vor dem Start lassen sich allerdings ohne Chinesisch-Kenntnisse genauso wenig verstehen wie das Herunterzählen der letzten Sekunden. Wobei es sich bei dem, was da aus den Lautsprechern kommt, wohl eigentlich um Kantonesisch handelt. Denn entgegen der landläufigen Meinung ist "Chinesisch" keineswegs eine Einzelsprache sondern eine ganze Familie, die sich etwa mit den germanischen oder romanischen Sprachen in Europa vergleichen lässt.
Zwar dominiert - auch anhand der langjährigen Bemühungen, es als alleinige Standardsprache zu installieren - unter ihnen das aus der Gegend um die Hauptstadt Peking stammende "Mandarin". Als zentrale Verwaltungssprache des Reiches keineswegs zufällig den gleichen Namen hat wie einst die hohen kaiserlichen Beamten. Zwischen acht- und neunhundert Millionen Menschen sprechen Mandarin und machen es damit zur weltweit am häufigsten benutzten Sprache.
Doch diese verteilen sich eben hauptsächlich auf den Nord- und Zentralchina. Im Süden und Osten des Landes gibt es insbesondere entlang der Küste daneben aber noch sieben weitere chinesische Sprachen oder Dialektgruppen wie "Wu", "Min", "Hakka" oder eben Kantonesisch, das seinerseits ebenfalls mindestens siebzig Millionen Sprecher zählt und damit nicht gerade in die Rubrik "unbedeutend" fällt.
Als Europäer ohne jegliche Chinesisch-Kenntnisse kann man sie natürlich nicht unterscheiden. Und wo in den angeblich sowohl in Kantonesisch als auch in Mandarin erfolgende MRT-Ansage beim Zugehen der Türen das eine endet und das andere beginnt, lässt sich kaum erahnen. Der Sinn erschließt sich dennoch problemlos, denn sie ertönt als "please stand back from the door" zudem auf Englisch aus dem Lautsprecher.
Da diese Sätze sich in jeder Station wiederholen - und das zum Teil gleich mehrfach, bis in den fast immer ziemlich vollen Zügen bei wirklich allen Türen niemand mehr in der Lichtschranke steht - hat man sich allerdings relativ schnell an ihren für europäische Ohren so völlig fremdartigen, irgendwie aber recht melodischen, fast singenden und deswegen keineswegs unangenehmen Klang gewöhnt.
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Fast an jeder Straßenecke entdeckt man traditionelle chinesische Apotheken, in denen man alle möglichen tierischen und pflanzlichen Produkte erwerben kann |
Die verschiedenen Chinesisch-Varianten weichen jedenfalls nicht nur in der Aussprache sondern auch in Vokabular und Grammatik manchmal recht weit voneinander ab und sind deswegen keineswegs immer untereinander verständlich. Doch obwohl deswegen aus wissenschaftlicher Sicht ihre Einordnung als "Sprache" absolut gerechtfertigt wäre, werden sie außerhalb von Ostasien praktisch nicht wahrgenommen und gelten auch ich China selbst meist nur als "Dialekte".
Zum einen sind die Übergänge zwischen diesen beiden linguistischen Kategorien natürlich ziemlich fließend. Und die Entscheidung, wo man die Grenze zieht, ist häufig eher willkürlich. Je nachdem, wie man rechnet, findet man bezüglich der Anzahl der verschiedenen Sprachen weltweit in der Fachliteratur dann auch völlig verschiedene Werte, die durchaus schon einmal um den Faktor zwei oder drei voneinander abweichen können.
So exotisch, wie es sich anfangs anhört, ist das Thema übrigens keineswegs. Man muss gar nicht weit gehen um auch in Europa entsprechende Fälle zu finden. Niederländisch ist zum Beispiel vom deutschen Sprachstandard nicht weiter entfernt als Schwitzerdütsch. Doch wird nur ersteres allgemein als Sprache angesehen. Beim Lëtzebuergesch scheiden sich dann endgültig die Geister. Denn während es in Luxemburg inzwischen den Status "Nationalsprache" besitzt, käme niemand auf den Gedanken, ähnliches für die nahezu identischen Eifeler Mundarten zu fordern.
In Europa gibt es noch eine einfache - wenn auch manchmal etwas zu simple - Faustregel zur Entscheidungsfindung. Ein Idiom gilt nämlich im Allgemeinen dann als eine echte Sprache und nicht mehr als Dialekt, wenn dazu eine normierte Schriftform existiert. Für das Niederländische gibt es sie Jahrhunderten, für das Lëtzebuergesch findet sie erst seit einigen Jahrzehnten stärkere Verbreitung. In der Schweiz wird dagegen eine nur in wenigen Nuancen abgewandelte Form des Standarddeutschen als Schriftsprache verwendet.
Doch auf die chinesische Sprachfamilie lässt sich diese Methode nicht anwenden. Im Gegensatz zu den mit einem eigenen Buchstaben für jeden einzelnen Laut geschriebenen europäischen Sprachen wird zur schriftlichen Fixierung nämlich eine Symbolschrift benutzt, in der jedes Wort ein eigenes Zeichen besitzt. An diesen ist eben gerade nicht die exakte Aussprache sondern nur die Bedeutung zu erkennen. Und da sie von allen Varianten des Chinesischen in mehr oder weniger identischer Form benutzt werden, scheidet Schrift als Kriterium aus.
Es existieren etwa achtzigtausend verschiedene dieser Schriftzeichen, von denen im täglichen Gebrauch aber nur etwa fünftausend Verwendung finden. Und obwohl es viel mehr Symbole gibt, ist dies auch ungefähr die Zahl, die chinesischen Kindern in der normalen Schule beigebracht wird. Der Prozentsatz, der sich in gewöhnlichen Texten damit nicht abdecken lässt, bewegt sich im Nachkommabereich. Und in der Regel ergibt sich der Sinn eines unbekannten Symbols häufig aus dem Kontext.
So wenig wie es klingt, ist das übrigens keineswegs. Denn auch hierzulande beläuft sich der durchschnittliche aktive Wortschatz eines Einzelnen auf nicht mehr als fünf- bis zehntausend Wörter. Und Hand auf Herz, wer hat noch nicht beim Lesen von Zeitungsartikeln den einen oder anderen Begriff entdeckt, bei dem man zwar anhand der Buchstaben die Aussprache vielleicht noch erahnen, den Sinn aber trotzdem nicht verstehen konnte. Trotz völlig anderer Konzepte liegt man also gar nicht so weit auseinander.
Für das Chinesische hat die Schrift jedenfalls eine eher verbindende Wirkung. Geschriebene Texte sind nämlich völlig unabhängig von der gesprochenen Sprache für alle verständlich. Gibt es zwischen Chinesen aus verschiedenen Regionen des Landes während eines Gespräches einmal Schwierigkeiten bei der Verständigung, hilft oft das mit dem Finger in die Luft oder auf die Hand gemalte Zeichen weiter.
In Europa ist es dagegen eher umgekehrt. Denn hier kann sich zwischen zwei in gesprochener Form praktisch identischen Dialekten durch die Zuordnung zu unterschiedlichen normierten Standardsprachen in der geschriebenen Variante auf einmal eine gewaltige Kluft auftun. Es mag überraschen, da man wie oben schon erwähnt ja gerne in einfachen, klaren Strukturen, also Sprach- und Ländergrenzen denkt, doch lassen sich ohne Probleme mindestens zwei Dutzend Beispiele dafür finden.
Allerdings gibt es bezüglich der Schrift trotzdem eine Trennlinie zwischen der Volksrepublik China und Hongkong. Denn während man in der früheren Kronkolonie weiterhin die traditionellen, oft extrem komplexen Zeichen verwendet, werden auf der anderen Seite der Grenze für viele Symbole deutlich vereinfachte Versionen benutzt, für die man beim Schreiben einerseits weit weniger Striche benötigt, die dafür andererseits aber auch untereinander größere Ähnlichkeiten und nicht so klare Unterscheidungen haben.
Obwohl alles Wichtige zusätzlich auch in lateinischen Buchstaben und englischer Sprache beschriftet ist, so dass man mit der Orientierung zu keiner Zeit Probleme bekommt, dominieren im Stadtbild eindeutig chinesische Schriftzeichen. Doch sind eben auch rund fünfundneunzig Prozent der Bevölkerung Hongkongs chinesischer Abstammung. Die ehemalige Kronkolonie Hongkong ist weit weniger britisch geprägt, als man es erwarten könnte, sondern eine durch und durch chinesische Stadt.
Wie ein Widerspruch zu dieser Aussage wirkt allerdings die große Moschee, die sich praktisch direkt neben dem Startbereich befindet. Wenig überraschend haben die - durchaus miteinander verbindbaren - asiatischen Lehren Buddhismus, Taoismus und Konfuzianismus den höchsten Stellenwert unter den Bewohnern Hongkongs. Doch neben etwa einer halben Million Christen gibt es auch ungefähr ein- bis zweihunderttausend Moslems in der Metropole.
Außer Chinesen, die entweder aus der islamischen Volksgruppe der Hui stammen oder aber in ihrer Ahnenreihe Moslems haben, die während der britischen Herrschaft aus ebenfalls zum Empire gehörenden südasiatischen Kolonien eingewandert waren, handelt es sich dabei um Indonesier und Malaysier, die in den letzten Jahrzehnten insbesondere als Dienstboten - noch häufiger arbeiten Filipinos in diesen Jobs - angeworben wurden. Aber selbst wenn ihre Zahl inzwischen sechsstellig ist, unter sechseinhalb Millionen Chinesen fallen sie eigentlich kaum auf.
Es ist deswegen auch keineswegs ein Zufall, dass die Durchsagen am Start praktisch nur in Kantonesisch erfolgt. Denn obwohl in der gesetzlichen Regelung nur allgemein von "Chinesisch" die Rede ist, hat dieses de facto den Rang den Rang einer Landessprache. Das ebenfalls als Amtssprache bezeichnete Englisch wird hingegen nur von ungefähr der Hälfte der Bevölkerung überhaupt flüssig beherrscht. Und nur ganz wenige haben es als Muttersprache. Auf der Straße bekommt man deswegen praktisch ausschließlich kantonesische Sprachfetzen zu hören.
Damit unterscheidet sich Hongkong zum Beispiel deutlich von Singapur. Denn obwohl sich die Briten fast vier Jahrzehnte früher aus dem Stadtstaat verabschiedet haben, ist Englisch dort wesentlich stärker verbreitet und im täglichen Umgang ständig ziemlich präsent. Allerdings ist die Bevölkerung Singapurs auch deutlich weniger homogen. Neben Chinesen besteht diese zudem zu einem nicht unerheblichen Teil aus Malaien und Tamilen, so dass Englisch zwischen den einzelnen Bevölkerungsgruppen die allgemein akzeptierte Verständigungsbasis bildet.
Dennoch gibt es auch in Hongkong, in jenen Gebieten der Stadt, in die man als auswärtiger Besucher im Normalfall kommt, eigentlich keine Verständigungsprobleme. Bei einem europäisch aussehenden Gesprächspartner wechseln Einheimische nämlich ganz automatisch ins Englische hinüber. Das kann allerdings durchaus anders aussehen, wenn man sich ein wenig abseits der touristisch ausgetretenen Pfade bewegt. Die Nathan Road, in der sich der Start des Marathons befindet, gehört jedoch eindeutig zu den Hauptanziehungspunkten für Touristen.
Denn fast auf ihrer kompletten Länge reihen sich die unterschiedlichsten Geschäfte, Restaurants und Hotels aneinander. Einmal sind es moderne Einkaufszentren, Luxusboutiquen und Nobellokale. Nur wenige Schritte weiter sieht man dann Schnellimbisse sowohl ostasiatischer als auch amerikanischer Prägung und kleine chinesische Läden.
Es sind zwei Typen von völlig unterschiedlichen Enden der Skala, die besonders auffallen. Denn zum einen passiert man auf einem Spaziergang von Tsim Sha Tsui entlang der Nathan Road nach Norden eine dreistellige Zahl von Juweliergeschäften, die zum Teil zu großen Filialketten gehören, denen man in der Stadt immer wieder begegnet. Und zudem handelt es sich in der Regel nicht etwa irgendwelche kleinen Lädchen, vielmehr arbeitet in ihnen oft eine zweistellige Zahl von Verkäufern gleichzeitig.
In Hongkong muss wohl einiges an Geld vorhanden sein, was sich auch daran ablesen lässt, dass man jeweils gleich an mehreren Punkten der Stadt auf Geschäfte von nicht unbedingt für ihre niedrigen Preise bekannten Designermarken wie "Gucci", "Prada", "Dior", "Versace" oder "Louis Vuitton" - um nur einige zu nennen - stößt. Noch gesteigert wird diese Vermutung durch die Schlangen, die sich manchmal sogar noch vor diesen Verkaufsstellen bilden, weil Wachleute nur eine gewisse Zahl von Kunden gleichzeitig einlassen.
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Im Victoria Park, eine der wenigen Grünflächen im Großstadtdschungel werden die Startnummern ausgegeben |
Gerade in jenem Abschnitt der Nathan Road, in dem sich der Startbereich befindet, werden allerdings Passanten - selbstverständlich zu anderen Tageszeiten als am frühen Sonntagmorgen - auch mit schöner Regelmäßigkeit angesprochen, ob sie nicht Interesse an "watches" hätten. Und obwohl dies oft praktisch direkt neben den Juwelieren passiert, steht zu vermuten, dass es sich in solchen Fällen dann keineswegs um teure Originale handeln dürfte.
Die zweite Art von Geschäften, die man in Hongkong einfach nicht übersehen kann, sind chinesische Apotheken. Sie finden sich nämlich wirklich an jeder Straßenecke. Und selbst bei eher zurückhaltender Schätzung dürfte ihre Zahl im Stadtgebiet in die Zehntausende gehen. Doch mit ihren nüchternen europäischen Gegenstücken, in denen in Kittel gekleidete Spezialisten irgendwelche abgepackten Medikamente aus großen Schubladen herausholen, haben diese rein gar nichts zu tun.
Sie erinnern in ihrem Aussehen vielmehr eher an Obst- und Gemüseläden oder Marktstände. Denn in großen offenen Körben werden direkt der Straße in getrockneter Form verschiedenste Produkte angeboten. Einiges erinnert an Dörrobst oder Nüsse. Doch die Beschriftung ist eigentlich stets nur in chinesischen Schriftzeichen. Und vermutlich ist es auch besser, wenn man nicht nachfragt, mit was denn da tatsächlich alles gehandelt wird.
Neben unterschiedlichsten Heilkräutern sollen schließlich auch alle etliche Tiere oder Teile von Tieren eine heilende Wirkung besitzen. Und so werden aus Knochen und Innereien, aus Käfern und Seepferdchen, aus Skorpionen und Schildkröten irgendwelche Pülverchen zusammengestellt oder Tränke gebraut. Wie gut solche Mittel helfen können, zeigt angeblich nur auf Training und Schildkrötenblut beruhende Leistungsexplosion der Läufergruppe von Ma Junren in den Neunzigern. Gerade in diesem Fall gibt es allerdings auch durchaus andere Vermutungen.
Die reine Zahl der Geschäfte zeigt schon, wie verbreitet diese Methoden sind. Und unabhängig von den Diskussionen über die tatsächliche Wirksamkeit, bedroht die hohe Nachfrage inzwischen eine ganze Reihe von Tier- und Pflanzenarten in ihrem Bestand. Bei Seepferdchen oder Schildkröten, Muscheln oder Krebsen nimmt man davon eher wenig Notiz. In Fall von Tigern, Schneeleoparden oder Kragenbären - Raubkatzenknochen und Bärengalle gelten ebenfalls als Heilmittel - sieht das schon etwas anders aus.
Und bereits der über dem einen oder anderen Laden dann doch auch in Englisch zu lesende Begriff "deer horn medicine" lässt gewisse Assoziationen entstehen. Denn selbst wenn der Verkauf von "Hirschhorn" legal sein sollte, kann man sich schon fragen, ob nicht unter mancher Theke trotz Verbot zusätzlich noch das angeblich als Potenzmittel so beliebte Nashornhorn oder Elefantenelfenbein gehandelt wird.
Die fast ununterbrochene Aufreihung von Einkaufsmöglichkeiten sorgt dafür, dass selbst wenn es eigentlich fast überall in Hongkong vor Menschen wimmelt, dazu auf der Nathan Road noch einmal eine erhebliche Steigerung existiert. Einigermaßen ruhig kann man die Straße, die Shoppingmeile und Hauptverkehrsachse in einem ist, eigentlich nur am frühen Morgen erleben. Doch spätestens um neun oder zehn Uhr wird es auf den keineswegs schmalen Trottoirs langsam eng.
Und bis zum späten Abend scheint der Strom der Passanten nie zu versiegen. Dann flaniert man unter bunten Leuchtreklamen mit chinesischen Schriftzeichen, von denen am Marathonmorgen jedoch nur ein kleiner Teil im Einsatz ist. Und abgesehen von den Pressevertretern, Offiziellen und Ordnern, wenigen Freunden und Angehörigen sowie den Startern der jeweils nächsten Wellen sind auch die Straßenränder noch relativ leer, als sich die Läufer auf die Strecke begeben.
Ihre ersten Meter absolvieren sie unter dem Blätterdach einer Allee. Auch ohne botanische Ausbildung sind die Pflanzen in der Allee anhand ihrer manchmal regelrechte Stangenwälder bildenden Luftwurzeln leicht zu erkennen. "Banyan" nennt man diese in Süd- und Ostasien weit verbreitete Feigengattung, deren Sprösslinge sich anfangs als Aufsitzerpflanze in den Kronen beliebiger Bäume ansiedeln.
Haben ihre anfangs nur lose nach unten hängenden Wurzeln erst einmal Kontakt zu Boden bekommen, werden sie bald dicker und versteifen sich, da sie nun aus Nährstoffe aus der Erde aufnehmen können. Der ursprüngliche Wirtsbaum wird durch das schnelle Wachstum dann irgendwann erdrückt. Doch die sich aus den Wurzeln bildenden frischen Stämme tragen die alten Äste. Die Banyan-Feige überwuchert regelrecht das Skelett ihres Vorgängers.
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Rund um die "Runner's Pack Collection" in der Grünanlage führt sogar eine eigens für Jogger angelegte Laufstrecke |
Der "neue" Baum dehnt sich gehalten von immer weiteren "Säulen" ständig in die Breite aus und kann schließlich als eine Art natürlicher Pavillon etliche hundert Quadratmeter überdecken. Auf dem Asphalt der Nathan Road haben die Banyans selbstverständlich keine Möglichkeit, überall ihre Stützpfeiler ausbilden. Doch da die Bäume von beiden Seiten über die Straße wachsen, ergibt sich an mehreren Stellen trotzdem ein praktisch geschlossenes Gewölbe.
Es ist allerdings der einzige wirklich baumbestandene Abschnitt der in ihrem langen Verlauf weitgehend von vielstöckigen Geschäfts- und Wohnhäusern geprägten Nathan Road. Ansonsten sorgen nur Pflanzkübel, einige Verkehrsinseln sowie ein fast schon winziger Park, der sich im Schatten der Häuser beinahe versteckt, für letzte Reste von Natur im Betondschungel der Metropole. Der Bereich von Tsim Sha Tsu, in dem sich der Startbereich des Marathons befindet, ist hingegen nicht nur wegen den Banyans für Hongkonger Relationen ungewöhnlich grün.
Zwar kann man es wegen eines sich dazwischen schiebenden Riegels aus niedrigen Pavillons mit meist eher teuren Geschäften eher erahnen als wirklich erkennen. Aber eine relativ große Fläche westlich der Nathan Road wird vom Kowloon Park eingenommen, der auch jenem Kowloon Park Drive, der ihn auf der anderen Seite begrenzt und an dem man zuvor seinen Beutel mit Wechselbekleidung loswerden konnte, den Namen gegeben hat.
Die Grünanlage erstreckt sich rund um einen Hügel, der die sonst eher flache "sandige Spitze" und damit auch den Victoria Harbour deutlich überragt. Wenig überraschend hatten die Briten dort auch lange Zeit eine Geschützbatterie postiert. Inzwischen lässt sich angesichts der Vielzahl ringsherum aufragender Hochhäuser von dieser exponierten Position nicht mehr viel bemerken. Statt weit über die Bucht zu reichen, endet der Blick selbst vom höchsten Punkt meist ziemlich schnell irgendwelchen an Gebäuden.
Neben der Moschee, die eine Ecke des Geländes besetzt, und einem Sportgelände mit Hallen und Schwimmbad grenzt auch das Hauptquartier der "Scout Association of Hong Kongs" an den Kowloon Park. Diese findet mit etwa hunderttausend Mitgliedern durchaus Zuspruch. Auch beim Marathon stellen sie durch ihre Halstücher unverkennbar eine Vielzahl von Helfern. Die nicht immer jugendlichen Pfadfinder geben die Startunterlagen aus oder nehmen an den Lastwagen die Kleidersäcke entgegen. Und auch an einigen Verpflegungsständen unterwegs entdeckt man sie.
Dass in dieser Organisation nicht nur Wege gesucht werden sondern außerdem noch Musik gemacht wird, lässt sich am Vortag beobachten. Denn auf einer Platz zwischen "Headquarters" und Park findet am Marathonwochenende auch die "Founder's Day Musical Rally" statt, bei der, anlässlich des Geburtstages des Gründers der Pfadfinderbewegung Robert Baden-Powell, der sich wenige Tage später zum hundertsiebenundfünfzigsten Mal jährt, mehrere Kapellen der Scouts aufspielen.
Eine von ihnen hat sich dabei für Dudelsäcke als Instrumente entschieden. Und so bekommt man unter tropischer Vegetation plötzlich wehmütige Melodien zu hören, bei denen man eher die kahlen Highlands vor dem inneren Auge hat. Allerdings muss man eigentlich überall, wo einmal der Union Jack flatterte, mit dem durchdringenden Klang der "Bagpipe" rechnen - nicht nur in Kanada, Australien, Neuseeland oder Südafrika mit ausreichend vielen Einwohnern schottischer Abstammung sondern auch in ostasiatischen Staaten wie Singapur, Malaysia oder Brunei.
Dennoch ist der Anblick dieser vollständig aus Chinesen bestehenden, jedoch trotzdem mit Tartanröcken bekleideten Pipe Band, die im unverwechselbaren Rhythmus ihrer hart bespannten Schnarrtrommeln den Platz auf und ab marschiert, einigermaßen ungewöhnlich. Mindestens genauso überraschend ist allerdings, dass die nächste Pfadfinderkapelle dann gleich am Anfang ihrer Darbietung einen Titel intoniert, den man im deutschsprachigen Raum als "Mein Vater war ein Wandersmann" kennt.
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Mit dem Start in der Nathan Road von Kowloon und dem Ziel im Victoria Park auf Hong Kong Island ist der Marathon keine Veranstaltung der kurzen Wege |
Nicht allzu lange orientiert sich die Marathonstrecke an der Hauptachse Kowloons. Schon nach wenigen hundert Metern verlassen die Läufer die Nathan Road an der nächsten großen Kreuzung und biegen nach links in die Austin Road ein. Diese verläuft ziemlich genau dort, wo sich die Halbinsel nördlich der "sandigen Spitze" zu weiten beginnt, und bildet deswegen dann auch die Grenze zwischen "Tsim Sha Tsui" und dem angrenzenden Stadtviertel "Yau Ma Tei".
Dieses präsentiert sich weit weniger herausgeputzt als sein südlicher Nachbar mit seinen noblen Geschäften und modernen Einkaufszentren sowie vielen touristischen Anlaufpunkte. Doch zeigt das Areal dafür eben auch weitaus eher das wahre Hongkong. Je weiter man sich dort von den Hauptstraßen weg in schmale Seitengassen treiben lässt, umso kleiner und - zumindest auf den ersten Blick - unsortierter werden die Geschäfte, die sich auch dort im Erdgeschoss nahezu jedes Gebäudes finden.
Dazu kommen etliche Märkte, deren Stände sich keineswegs auf großen Plätzen finden, sondern sich in den ohnehin schon nicht gerade breiten Nebenstraßen drängen. Lebensmittel sucht man dort meist vergeblich. Dafür kann man billige Bekleidung, Taschen, Spielzeug, Souvenirs erwerben. Und eigentlich immer sind sie gut besucht. Wo man bei ihnen dann allerdings die Grenze zwischen "idyllisch romantisch" und "schmuddelig chaotisch" zieht, ist sicher individuell verschieden.
Einigen der Märkte sind dann allerdings auch ziemlich spezialisiert. Und die Geschäfte ringsherum haben ihr Angebot dann meist ebenfalls angepasst, so dass in manchen Straßen eine regelrechte Monokultur herrscht. Blumenmärkte kennt man zwar noch aus Europa. Bei einem Jademarkt, auf dem praktisch nichts als in verschiedenen Größen und Formen geschliffene Steine verkauft werden, sieht das dann schon etwas anders aus.
Und endgültig exotisch gerät zu Bespiel dann die Straße, in der man hauptsächlich auf Goldfische als Handelsware setzt. Abgepackt in kleinen wassergefüllten Plastikbeuteln hängen diese dann zu Tausenden an der Wand. Nur noch mehr Mitleid mit den vom Menschen zum bloßen Objekt degradierten Lebewesen bekommt man dann beim Bummel über den "bird market, auf dem man herrlich bunte und wunderbar singende Vögel in winzigen sowie häufig noch total überfüllten Käfigen feil bietet.
Bei all dieser Geschäftigkeit drängt sich der Eindruck auf, dass Hongkong-Chinesen eigentlich den ganzen Tag nichts anderes tun als mit irgendetwas zu handeln. Und tatsächlich wird die Wirtschaft der Stadt nicht nur im Kleinen sondern auch im Großen längst von reinem Warenaustausch und dem Finanzsektor dominiert. Durchaus bezeichnend sind Hochhäuser mit Namen wie "Revenue Tower" oder "Prosperity Tower". Anderswo käme man jedenfalls kaum auf den Gedanken ein Bürogebäude "Ertragsturm" oder "Wohlstandsturm" zu nennen.
Das berühmt-berüchtigte "Made in Hong Kong" vergangener Tage wird kaum noch auf Billigprodukte gedruckt. Denn die Fabriken sind längst in die im Norden Hongkongs praktisch direkt angrenzende Millionenmetropole Shenzhen weiter gezogen, die als "Sonderwirtschaftszone" zumindest in ökonomischer Hinsicht im Vergleich zum Rest der Volksrepublik ebenfalls gewisse Freiheiten genießt und deutlich geringere Lohnkosten als die benachbarte frühere Kronkolonie bieten kann.
Aus der riesigen Baustelle, auf die man nach kaum mehr als einem absolvierten Kilometer am Ende der Austin Road stößt, soll dann auch irgendwann einmal der "West Kowloon Terminus" einer "Guangzhou-Shenzhen-Hong Kong Express Railway" genannten neuen Bahnlinie in die beiden benachbarten Metropolen sowie das noch dazwischen liegende ebenfalls mehrere Millionen Menschen zählende Dongguan werden. Der dortige Anschluss an das chinesische Schnellbahnnetz ermöglicht dann auch Züge in viele andere Städte.
Noch ist an dieser Stelle nichts als eine gigantische Grube. Doch bereits in wenigen Jahren sollen dort jeden Tag zigtausend Menschen die in den Fernbahnhof integrierten Grenzkontrollstellen durchqueren. Wie im ständig nach Platz suchenden Hongkong üblich wird die Station zum Teil mit Wohn- und Bürohäusern überbaut sein. Allerdings haben die Architekten auf einem Teil des Daches ihres ziemlich futuristischen Entwurfes auch eine Grünanlage vorgesehen.
Wie bei fast allen Gebäuden der Stadt ist davon auszugehen, dass die Planer auch für den "West Kowloon Terminus" den Rat von Experten für "Feng Shui" eingeholt haben. Es ist nämlich absolut üblich diese im Taoismus begründeten Lehren, die absolute Harmonie zwischen dem Menschen und seiner Umwelt anstreben, sowohl bei großen Bauprojekten als auch bei der Einrichtung einzelner Räume zu berücksichtigen.
In Hongkong, das so etwas wie die inoffizielle Hauptstadt des Feng Shui ist, haben sich diese Methoden genau viele andere alte Traditionen besonders gut gehalten. Schließlich war die zu jener Zeit noch unter britischer Herrschaft stehende Metropole von der "Kulturevolution" Maos, während der dieser - offiziell auch heute noch immer verbotene - "Aberglaube" massiv verfolgt wurde, verschont geblieben.
Zu praktisch jedem neuen Gebäude in der Stadt gibt es Geschichten über Details, die einzig und allein wegen der Vorgaben der Feng-Shui-Meister entstanden sind. Außerhalb Honkongs am bekanntesten ist dabei wohl jenes Wohngebäude an der Repulse Bay auf der Südseite von Hong Kong Island, in dem nur deswegen ein mehrere Stockwerke hohes Loch in der Mitte eingebaut wurde, damit dem Drachen, der nach einer Legende in den dahinter aufragenden Bergen wohnt, nicht der Blick aufs Meer versperrt wird.
Dort wo gegenüber der Großbaustelle die drei mehr als zweihundert Meter hohen Wohnblöcke der "Victoria Towers" aufragen schwenkt die Strecke wieder nach Norden. Und nachdem die Marathonis noch ein Stück am Bauzaun entlang gelaufen sind, erreichen sie schon kurz hinter der Zwei-Kilometer-Marke den "West Kowloon Highway" - eine Autobahn, die sie von nun an immer weiter aus dem Zentrum der Metropole hinaus führt.
Man sollte sich unter dem Hongkong Marathon nämlich auf keinen Fall einen echten Stadtlauf wie zum Beispiel in Berlin oder Hamburg vorstellen, wo während des Rennens praktisch nie bebaute Gebiete verlassen und hunderttausende Menschen am Streckenrand gezählt werden. Große Teile des Kurses führen vielmehr abseits der eigentlichen Besiedlung über Schnellstraßen, die für Zuschauer eigentlich kaum erreichbar sind.
Hinter den Fußgängerbrücken, durch die der MTR-Bahnhof "Olympic" über die breite Asphaltpiste hinweg mit den ihn umgebenden Wohnhochhäusern verbunden ist, bewegt man sich sogar noch - zwischen wohl als Lärmschutz gedachten - Mauern auf beiden Seiten. Die vierzig-, fünfzig- oder gar sechzigstöckigen Türme, die sich auch in der Folgezeit auf deren Rückseite erheben, wären anderswo wohl im wahrsten Wortsinne etwas Herausragendes. In Hongkong versammeln sie sich dagegen zu regelrechten Formationen.
Die Straße beginnt dabei zudem spür- und sichtbar zu steigen. Denn auch das Profil des Laufes von Hongkong unterscheidet sich deutlich von jenen fast topfebenen Rekordpisten, die man hierzulande für die großen Marathons zusammen zu basteln versucht. Mit in der Summe mehr als zweihundert zu überwindenden Höhenmeter stößt man vielmehr in Regionen vor, die ansonsten eher moderaten Landschaftsläufen vorbehalten sind.
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Aus der Wartezone wird man erst wenige Minuten vor dem noch in der Dunkelheit ertönenden Startsignal nach vorne zur Linie geführt |
Wen man sich dabei ein wenig als Vorbild genommen hat, wird klar, als die Strecke bei Kilometer fünf erst leicht nach rechts zieht, um dann über ein sich über mehrere Etagen verteilendes Autobahnkreuz in weitem Bogen links weg zu schwenken. Man läuft nämlich nun auf eine riesige Schrägseilbrücke zu, die sich in einer lichten Höhe von mehr als siebzig Metern zu einer Insel hinüber spannt. New York lässt schön grüßen.
Schon alleine die Rampe zur "Stonecutters Bridge" zieht sich rund zwei Kilometer mit sanfter aber stetiger Steigung hinauf. Dabei bekommen die Marathonis zunehmend weitere Ausblicke über den Containerhafen Hongkongs, der sich unter ihnen mehrere Kilometer die Küste entlang zieht. Fast das gesamte Gelände, auf dem er sich ausdehnt. ist erst in den letzten Jahrzehnten durch Aufschüttungen entstanden. Auch jene "Stonecutters Island", die der Brücke ihren Namen gab, ist durch diese zu einer schnöden Halbinsel geworden ist.
Allerdings hat man praktisch schon seit der Übernahme Hongkongs durch die Briten immer wieder Projekte zur Landgewinnung zur gestartet. Große Teile des bebaubaren, weil ebene Stadtgebiets bestehen deswegen dann auch aus "reclaimed land". Für den neuen Flughafen "Chek Lap Kok", der 1998 den für seinen gefährlichen Anflug über Berge und Hochhäuser berüchtigten "Kai Tak Airport" ablöste, wurde sogar die gleichnamige einst etwa hundert Meter hohe Insel fast bis auf Meereshöhe abgetragen und mit dem gewonnenen Material auf die vierfache Fläche erweitert.
Am Ende der Zufahrtsrampe dreht die zuvor dem offenen Meer entgegen führende Autobahn mit einer lang gezogenen Kurve nach rechts, um auf die eigentliche Brücke einzuschwenken. Wegen dieser Streckenführung konnte man den imposanten Bau dafür aber auch praktisch während des gesamten Anstieges in voller Pracht bewundern. Beinahe dreihundert Meter ragen die beiden Pylonen in den Himmel auf. Und da diese über einen Kilometer auseinander stehen, steht sie auch bezüglich der Durchfahrtsweite für diesen Brückentyp weit oben in den Rekordlisten.
Gerade einmal vor fünf Jahren wurde sie eröffnet. Und so steht sie dann auch logisch durchaus nachvollziehbar erst zum fünften Mal auf dem Streckenplan des Marathons. Doch hat dieser, was die Kurssetzung angeht, ohnehin eine recht wechselhafte Vergangenheit hinter sich. Bei der Premiere führte die Route zum Beispiel angesichts der wenige Monate später anstehenden Übergabe Hongkongs über die Grenze nach Shenzhen.
Die nächste Auflage führte die Teilnehmer dann zum kurz vor der Eröffnung stehenden neuen Flughafen, wo das Ziel mitten auf dem Rollfeld aufgebaut war. Auch in der Folgezeit wurde viel an der Streckenführung herum gebastelt. Und erst in den letzten Jahren hat man das Konzept schließlich weitgehend unverändert beibehalten. Was allerdings keine Garantie darstellt, dass es nicht insbesondere wegen gigantischer Neubauprojekte, mit denen man Hongkong immer rechnen muss, dann doch wieder komplett über den Haufen geworfen wird.
Auf dem Weg hinüber zur Insel "Tsing Yi" werden die Fotohandys zuhauf heraus gekramt. Schließlich ist die riesige Brücke ansonsten einzig und allein dem Autoverkehr vorbehalten. Doch auch sonst wird unterwegs eifrig geknipst. Ein "Selfie" nach dem anderen landet so in den Speichern der Geräte. Dabei hatten die Veranstalter ausdrücklich darum gebeten, es nicht zu tun, nachdem es im Vorjahr bei einer dieser Aktionen zu einem Massensturz mit mehreren Verletzen gekommen war. Doch scheint die Mühe ziemlich vergebens gewesen zu sein.
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Schnell führt die Strecke aus dem Zentrum hinaus und beginnt nach einigen Kilometern beim neuen Containerhafen spürbar anzusteigen |
Man kann sich nämlich auch sonst des Eindrucks nicht erwehren, dass Fotografieren zu den Lieblingsbeschäftigungen von Ostasiaten gehört. In Hongkong klicken gerade an den touristischen Brennpunkten die Auslöser jedenfalls in extrem dichter Frequenz. Jene berühmt-berüchtigten "Japaner" - inzwischen in Wahrheit übrigens ziemlich oft Chinesen - die ihre Kurztrips quer durch halb Europa hauptsächlich durch die Sucher ihrer Kameras erleben, wirken nach solchen Beobachtungen plötzlich keineswegs mehr so exotisch wie zuvor.
Natürlich bieten moderne Mobiltelefone noch viel mehr Funktionen. Und so haben dann auch ziemlich viele Marathonis während des Rennens zusätzlich Stöpsel in den Ohren, um sich mit der jeweils gewünschten Musik zu versorgen. Ein wenig ungewöhnlich sind dann aber doch diejenigen, die meinen gleich ganz auf Kopfhörer verzichten zu können und dabei alle in ihrem Umfeld Laufenden gleich mit beschallen zu müssen.
Was für die meisten Läufer, die schon etwas länger "im Geschäft" sind, eine nur sehr schwer nachzuvollziehende Unsitte darstellt, ist für die nachrückende Generation wohl einfach eine Selbstverständlichkeit. Und vielleicht sind Asiaten sogar noch ein wenig fixierter auf ihre Smartphones als Europäer. Jedenfalls ertönt in vielen Stationen der MTR auf den Rolltreppen in kurzen Abständen die warnende Durchsage, man solle nicht nur auf den kleinen Bildschirm seines Handys zu achten.
Wenn man neugierig genug ist, um - zum Beispiel in einer der überfüllten U-Bahnen - einmal auf die Nachrichten zu schauen, die von den Nebenleuten gesendet und empfangen werden, wird schnell klar, dass man eigentlich gar kein schlechtes Gewissen wegen der Indiskretion haben muss. Denn auch diese bestehen fast immer aus chinesischen Schriftzeichen und sind deswegen für einen Durchschnittseuropäer ohnehin nicht lesbar.
Das ist im ersten Moment eigentlich ziemlich erstaunlich. Denn natürlich kann die Tastatur eines Mobiltelefons nicht die viele tausend Varianten hergeben, die man für die Bildung sinnvoller Texte benötigen würde. Doch man hat im Laufe der Jahre viele verschiedene Eingabesysteme entwickelt, mit denen die verschiedenen Zeichen grob gesprochen aus mehreren Einzelteilen zusammengesetzt werden können. Immerhin mehr als ein halbes Dutzend von ihnen werden auch in der Breite genutzt.
Da die chinesischen Schriftsymbole jedoch keineswegs nur rein mathematische Kombinationen einer überschaubaren Menge klar definierter Linien ist, so dass auch nur entfernt ähnliche Bestandteile mit der gleichen Taste erzeugt werden, und zudem auch noch die Reihenfolge, in denen man sie drückt, eine Rolle spielt, muss man wohl mit dieser Schrift aufgewachsen sein, um die Logik überhaupt irgendwie verstehen zu können. Trotzdem tippen junge Chinesen in ähnlicher Geschwindigkeit auf ihren Geräten herum wie ihre Altersgenossen in Europa oder Amerika.
Ziemlich genau am höchsten Punkt wird zwischen den beiden Pylonen der Stonecutters Bridge die Markierung mit der "8" passiert. Zwar ist - wie es sich für einen großen Stadtmarathon gehört - in Hongkong jeder Kilometer gekennzeichnet. Doch bildet die Ausschilderung trotzdem einen der wenigen Kritikpunkte, die sich an der ansonsten meist völlig tadellosen Organisation finden lassen. Denn diese stellt sich als wenig zuverlässig heraus.
Spätestens wenn zwischen den Tafeln "23" und "24" gerade einmal zwei Minuten vergehen, darf man als Mittelfeldläufer endgültig seine Zweifel bekommen, ob es dabei noch mit rechten Dingen zugehen kann. Und auch die Markierungen von Halb- und Vollmarathon, die nach dem Zusammenführen der Strecken eigentlich in einem Abstand von nahezu exakt hundert Metern stehen müssten, lassen sich in ihrer Sprunghaftigkeit sehr gut als Beleg heran führen.
Immerhin benutzt man Kilometer und nicht mehr die Meile, die nur von Briten und Amerikanern noch verbissen gegen den international üblichen Standard verteidigt wird. Offiziell hat Hongkong schließlich längst vollständig auf das metrische System umgestellt. Dass gerade im Handel auf den Märkten allerdings zusätzlich dazu auch noch britisch-imperiale und kaiserlich-chinesische Maße weiter im Gebrauch sind, ist wieder ein ganz anderes Thema. Aber auch hierzulande kauft man gewisse Dinge ja gelegentlich noch immer in "Pfund" oder "Zentner".
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Die Stonecutters Bridge, die in luftigen siebzig Metern Höhe die Zufahrt zum Hafen überspannt, ist die erste von drei großen Brücken auf der Strecke |
Kaum haben die Läufer die Brücke hinter und Tsing Yi unter sich, verschwindet die Autobahn auch schon in einem Tunnel, der unter den bis zu dreihundert Meter hohen Bergen der Insel hindurch führt. Mehr als einen Kilometer bleiben sie in diesem "Nam Wan Tunnel" unter der Erde, bevor am anderen Ende wieder Tageslicht auftaucht. Wegen tief hängender Wolken und Dunst in der Luft ist dies aber auch weiterhin eher diffus. Große Helligkeitsunterschiede zum gut beleuchteten Tunnel sind so kaum festzustellen.
Die seit dem Scheitelpunkt der Brücke konstant leicht fallende Strecke wird nach dem Verlassen der Röhre wieder flacher und bekommt bald darauf leichte Wellen, als von rechts eine weitere Schnellstraße über eine Rampenkombination einfädelt, die erneut wie ein Knoten in mehreren Etagen übereinander angelegt ist. Man wird sie im späteren Verlauf des Marathons noch einmal genauer zu Gesicht bekommen.
Kurzzeitig wächst die Zahl der parallel zueinander verlaufenden Fahrbahnen auf ein volles Dutzend an. Da ist es durchaus zu verschmerzen, dass einige von ihnen nicht mehr alleine den Läufern vorbehalten, sondern für den Autoverkehr geöffnet sind. Doch befindet man sich eben auch auf der wichtigsten Zubringerstrecke zwischen der Innenstadt und dem neuen Flughafen, die man selbst um diese Uhrzeit natürlich nicht völlig sperren kann.
Inzwischen kann man auf der Gegenspur erste Marathonis entdecken, die bereits wieder auf dem Rückweg ins Stadtzentrum befinden. Denn die Streckenführung in Hongkong setzt sich aus einer bunten Mischung von Elementen aus Punkt-zu-Punkt-, Rund- und Wendepunktkursen zusammen. Auf den folgenden zehn Kilometern wird nun jedenfalls durchgängig im Begegnungsverkehr gelaufen werden.
Ein wenig verwirrend wird die Angelegenheit allerdings, als einige hundert Meter später dann plötzlich sogar auf vier Spuren Läufer in verschiedene Richtungen unterwegs sind. Denn nachdem man die Schleife zum ersten Umkehrpunkt hinter sich gebracht hat, läuft man zurück bis zu einer Gabelung der Schnellstraße, an der mit einer weiteren Hundertachtzig-Grad-Kehre noch ein zweiter Wendeabschnitt beginnt, der dann erneut zu dieser Stelle führt.
Erst einmal geht es an jenem kaum zu entwirrenden Spaghetti-Knoten, aus dem auch dieses Autobahndreieck wieder besteht, nun aber über eine der Rampen nach links, wo sich die nächste hohe Brücke vor den Marathonis dem trüben Himmel entgegen streckt. Die Türme der "Tsing Ma Bridge" sind zwar mit etwas mehr als zweihundert Metern zwar nicht ganz so hoch wie bei ihrer Schwester am Containerhafen, doch kann auch sie mit dem einen oder anderen Superlativ aufwarten.
So ist zum Beispiel der Abstand zwischen den beiden Pylonen mit beinahe vierzehnhundert Metern noch etwas imposanter. Weltweit liegt man in dieser Hinsicht unter den ersten Zehn der Rangliste. Und da im auf der unteren Ebene der zweistöckigen Brücke auch die Gleise der MTR geführt werden, kann sich der gewaltige Bau sogar mit dem Rekord schmücken, von allen Bahnbrücken die größten Spannweite überhaupt zu besitzen.
Im Gegensatz zur Stonecutters Bridge, die von den meisten zwar ebenfalls in die Kategorie "Hängebrücke" einsortiert werden würde, in Wahrheit aber wegen der Anordnung ihrer Tragseile, die von der Fahrbahn direkt zu den Türmen verlaufen, eine "Schrägseilbrücke" ist, hat die Tsing Ma Bridge tatsächlich diesen Bautyp, mit dem sich noch etwas größere Distanzen überwinden lassen. Die Aufhängung des Brückendecks erfolgt dabei durch zusätzliche senkrechte Halteseile zum Hauptkabel zwischen den beiden Pfeilern.
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Direkt hinter der Stonecutters Bridge verschwindet man erst einmal in einem langen Tunnel und bald nachdem dieser wieder verlassen wird, beginnt der Begegnungsverkehr |
Benannt ist die Überführung nach den Anfangssilben der beiden Inseln, die sie verbindet - nämlich "Tsing Yi" und "Ma Wan". Viel wichtiger ist allerdings, dass sie der zentrale Bestandteil des "Lantau Link" ist, mit dessen Eröffnung die gleichnamige, zuvor nur per Schiff zu erreichende Insel durch die Aneinanderreihung mehrerer Brücken eine durchgängige Straßen- und Eisenbahnverbindung zum Zentrum erhielt. Allerdings war dabei weniger Lantau selbst das Ziel.
Denn obwohl es sich um das größte Eiland des Territoriums von Hongkong handelt, leben dort - insbesondere für die Maßstäbe dieser Metropole - nicht übermäßig viele Menschen. Rund die Hälfte dieser hunderttausend Bewohner hat sich zudem erst nach der Fertigstellung der Brückenkombination dort angesiedelt. Die Insel ist eher so etwas wie eine grüne Lunge der Stadt. Vielmehr ist die von Lantau nur durch einen schmalen Kanal getrennte Flughafeninsel Chek Lap Kok der eigentliche Grund für diese Verkehrsachse.
Und während das neue Luftdrehkreuz entgegen der anfänglichen Planungen erst ein Jahr nach der Übergabe Hongkongs an China eröffnet werden konnte, war die Tsing Ma Bridge bereits im Frühjahr 1997 fertig gestellt. Nur etwas mehr als einen Monat bevor der Union Jack endgültig eingerollt werden musste, wurde sie von der damaligen britischen Premierministerin Margaret Thatcher offiziell eingeweiht.
Während auf der linken, der südlichen Seite der Brücke Autos und Busse in Richtung Flughafen rollen und man für die Gegenrichtung am Marathontag als Ausweichlösung die Fahrspuren der unteren Ebene zur Verfügung gestellt hat, dürfen die Läufer die nördliche Hälfte der Brücke zur Überquerung nutzen. Wie auch sonst auf den Straßen Hongkongs herrscht dabei der von den Briten übernommene Linksverkehr.
Dass im übrigen China dagegen auf der rechten Seite gefahren wird, ist angesichts der immer enger werdenden wirtschaftlichen Verbindungen dabei natürlich ein gewisses Problem. An den Grenzübergängen gibt es deswegen jeweils sogenannte Überwerfungsbauten, mit denen eine Fahrbahn über die andere hinweg geführt wird, oder aber auf den ersten Blick ziemlich verwirrende Rampenkombinationen zum Spurwechsel.
Gleiches gilt übrigens auch für Macao am gegenüber liegenden Ufer der Perlflussmündung, was allerdings etwas seltsam scheint, da es nie zum Empire gehörte sondern eine portugiesische Kolonie war. Allerdings wurde in Portugal erst in den Zwanzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts offiziell von Links- auf Rechtverkehr umgestellt. Und da Fahrzeuge früher vor allen aus Hongkong importiert wurden, machte man den Wechsel im Mutterland nicht mit.
Im Gegensatz zu den Briten kamen die Portugiesen kamen bereits Mitte des sechzehnten Jahrhunderts nach Südchina. Und sie blieben auch noch zwei Jahre länger als die Nachbarn, bevor sie 1999 die langlebigste Überseebesitzung der gesamten europäischen Kolonialgeschichte unter ähnlichen Bedingungen - also der Beibehaltung von Marktwirtschaft und innere Autonomie als "Sonderverwaltungszone" - ebenfalls an die Chinesen zurückgaben.
Praktisch direkt unter dem ersten Brückenturm ist mitten zwischen den beiden Laufrichtungen eine Verpflegungsstelle aufgebaut, so dass gleich beide Seiten von ihr bedient werden können. Die ohnehin schon zweistellige Zahl der Versorgungsposten wird dadurch noch einmal erhöht. Im Schnitt kann man deswegen jeden zweiten bis dritten Kilometer neue Getränke aufnehmen. Selbst bei deutlich höheren Temperaturen als jenen, die am Renntag herrschen, dürfte das wohl absolut ausreichend sein.
Dass es sich beim Wasser, das dort ausgegeben wird, um die destillierte Variante handelt, erscheint jedoch ziemlich ungewöhnlich. Schließlich werden durch diese überhaupt keine Salze zugeführt sondern die verbliebenen Elektrolyte tendenziell eher noch aus dem Körper heraus gelöst. Doch ganz so schlimm stellt sich das Ganze dann auch wieder nicht dar. Schließlich ist es im gesamten ostasiatischen Raum absolut üblich, "distilled water" zu trinken. Und irgendwelche Gesundheitsschäden lassen sich trotz des massiven Konsums nicht erkennen.
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An einer Stelle des Kurses sind auf vier Spuren Läufer in verschiedene Richtungen unterwegs |
"Watsons Water" stellt nicht nur einen der größten Produzenten dieses in Asien als "besonders sauber" empfundenen Wassers dar. Die in Hongkong beheimatete Firma ist eben auch einer der wichtigsten Sponsoren des Marathons. Als solcher liefert man dann außerdem auch noch Elektrolytgetränke. Und da diese in vermutlich nicht gerade umweltfreundlichen, aber ziemlich praktischen Trinkbeuteln ausgegeben werden, geht während des Marathons kaum ein Tropfen verloren.
Die Beschriftung auf den Schildern vor den Tischen ist zwar zweisprachig. Doch von den Helfern angepriesen werden diese Getränke sowie die an einigen Verpflegungsstellen bereit liegenden Bananen und Riegel nahezu ausschließlich auf Chinesisch oder - weitaus wahrscheinlicher - auf Kantonesisch. Und auch im Läuferfeld selbst unterhält man sich nahezu ausschließlich in diesen für den Laien nicht wirklich unterscheidbaren Sprachen.
Dass man bei genauerem Hinhören trotzdem ab und zu einmal einen zwischen die chinesischen Worte eingestreuten englischen Halbsatz aufschnappt, ist dazu keineswegs ein Widerspruch. Auch auf der Straße, in der U-Bahn oder in Geschäften lässt sich ähnliches erleben. Dabei geht man auch weit über allgemein übliche Floskeln wie "ok" oder die bei genauerer Betrachtung oft ziemlich inhaltsleeren "Denglisch"-Phrasen von Unternehmensberatern, Führungskräften und Werbeagenturen, die auch hierzulande zu Ohren bekommt, hinaus.
Natürlich gibt es nach rund einhundertfünfzig Jahren britischer Herrschaft etliche als Fremdwörter übernommene Begriffe. Doch zweisprachige Hongkonger wechseln eben auch immer dann kurzzeitig vom Kantonesischen ins Englische hinüber, wenn sie die gewünschte Aussage dort unmissverständlicher oder einfacher formulieren können. Kulturell bedingte Einschränkungen - im Chinesischen tut man sich zum Beispiel schwerer damit, Emotionen auszudrücken - lassen sich so ebenfalls umgehen. "Code switching" nennen Linguisten dieses Phänomen.
Man kann während des Rennens allerdings durchaus das Gefühl bekommen, dass weit weniger geredet wird als bei Marathons in anderen Regionen der Welt. Und das kann eigentlich kaum mit einem größeren Ehrgeiz zu tun haben, mit dem man in Hongkong zu Werke gehen würde. Die Durchschnittszeiten sind vielmehr eher noch schwächer als hierzulande. Keine zweihundert Läufer unterbieten die Drei-Stunden-Marke. Und selbst vier Stunden unterbietet weniger als ein Viertel aller Teilnehmer.
Vielmehr dürfte der Mangel an Kommunikation eher auf die in dieser Hinsicht ziemlich zurückhaltende asiatische Mentalität zurück zu führen sein. Einfach so mit einem Fremden einen Dialog zu beginnen, gehört sich auch dann eigentlich nicht, wenn man schon etliche Kilometer neben diesem her läuft. Sogar als im weitgehend ostasiatisch geprägten Marathonpulk aufgrund des Aussehens durchaus auffallender Europäer wird man kaum angesprochen. Selbst wenn es tatsächlich so etwas wie Neugier geben sollte, zeigt sie praktisch niemand offen.
Rund zwei Kilometer zieht sich die Strecke schnurgerade über die Tsing-Ma-Brücke. Den zweiten Pylonen lässt man dabei ebenfalls noch hinter sich. Und nicht nur der aus etlichen tausend Wohneinheiten bestehende Gebäudekomplex, der fast die Hälfte des nicht einmal einen Quadratkilometer umfassenden Ma Wan in Beschlag nimmt, kommt dabei immer näher. Auch die hohen Stützpfeiler der "Kap Shui Mun Bridge", die das kleine Eiland auf der anderen Seite mit dem mehr als hundertmal größeren Lantau verbindet, scheinen nicht mehr allzu weit entfernt.
Bevor man jedoch auf dem Lantau Link noch eine weitere große Brücke - auch ihre Türme ragen mehr als hundertfünfzig Meter in den Himmel und die Fahrbahn hängt rund fünfzig Meter über dem Wasser - unter die Füße nehmen kann, wird zwischen den Kilometermarken "15" und "16" am "1st turning point" praktisch direkt auf dem Absatz gewendet. Der selbstverständlich auch in umgekehrter Richtung wieder rund drei Kilometer lange Rückweg zum Ausgangspunkt beginnt.
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Ein Wendepunkt sorgt dafür, dass man die Tsing Ma Bridge direkt nacheinander gleich zweimal überqueren kann |
Egal wohin man auf diesem Streckenabschnitt unterwegs ist, ob man dem Flughafen oder dem Zentrum entgegen strebt, ein wirklicher Bruch lässt sich in der Masse der Entgegenkommenden nicht mehr bemerken. Obwohl gerade einmal ein gutes Drittel der Distanz bewältigt ist und zwischen den drei Starts erhebliche Zeitabstände lagen, haben sich die Gruppen nämlich schon ziemlich stark vermischt. Eigentlich genügt ein kurzer Blick auf die verschiedenen Farben der Startnummern, um dies festzustellen.
Während die Schnellsten von "Run 1" längst die langsameren Challenge-Läufer eingeholt haben, wird der Schwanz ihres eigenen Feldes bereits von den ersten Marathonis der letzten Welle aufgerollt. Die einzelnen Startblöcke sind weit weniger einheitlich zusammengesetzt, als aufgrund der klaren Zeitvorgaben zu vermuten gewesen wäre. Doch gerade dadurch ergibt sich ziemlich schnell eine recht gleichmäßige Verteilung des Läuferpulks über die Strecke. Die Organisatoren haben mit ihren Planungen diesbezüglich also alles richtig gemacht.
Am Treffpunkt der beiden Wendestrecken herrscht deswegen dann auch ein ziemliches Gewusel. Inzwischen sind nämlich alle vier vorhandenen Richtungsspuren gut besetzt. Nach dem ersten nach Westen führenden Ausflug steht nun noch eine etwas kürzere Schleife nach Norden auf dem Plan. Ein Kilometer führt dabei an den ganzen Auf- und Abfahrtsrampen des Verkehrsknoten vorbei zur Nordwestspitze der Insel Tsing Yi, ein weiterer über die dort beginnende "Ting Kau Bridge".
Die dritte gewaltige Brücke, die es während des Marathons zu überqueren gilt, gehört wieder zur Kategorie "Schrägseilbrücke". Das besondere an ihr ist aber, dass sie dank einer kleinen Insel in der Mitte des Durchfahrtskanals über gleich drei Pylonen verfügt. An ihrem nördlichen Ende ragen wieder die Berge der New Territories empor, denn das durch die Aufschüttungen für die Hafenanlagen nahezu rechteckige Tsing Yi ist gleich auf zwei Seiten von Festland umgeben.
Auf der Nordseite der Überführung setzt sich die Autobahn, auf der man gerade unterwegs ist, ins nahe gelegene Shenzhen fort. Und da diese die schnellste Verbindung vom Hafen der Sonderwirtschaftszone ins restliche China darstellt, ist es eigentlich kein Wunder, dass die Ting Kau Bridge unter normalen Umständen zu dem mit Abstand am meisten befahrenen Brücken der Metropole gehört. Am Marathonsonntag sind allerdings nur die nach Norden führenden Spuren für den Autoverkehr geöffnet. Die Ostseite der Brücke ist dagegen für die Läufer reserviert.
"Mainland China" nennt man in Hongkong die von dieser Stelle nur noch ungefähr einen Halbmarathon entfernte Volksrepublik. Gerade in deutschen Ohren klingt dies ein wenig seltsam, schließlich wird der Begriff oft mit "Festland" übersetzt. Dabei liegt doch einerseits auch ein großer Teil des Territoriums von Hongkong auf dem eurasischen Kontinent. Und andererseits gehören zum Rest des Landes ebenfalls viele Inseln, von denen Hainan als größte in ihren Ausmaßen sogar die Fläche Belgiens übertrifft.
Doch auch im hiesigen Sprachgebrauch wird trotz dieser Widersprüche ja häufig die Bezeichnung "Festlandchina" verwendet, wenn man eine klare Unterscheidung zwischen Hongkong und Macao sowie dem zwar durch die Volksrepublik beanspruchte, de facto aber unabhängigen Taiwan und dem Rest des Landes benötigt. Hinter dem allgemeineren "China" könnten sich schließlich - je nachdem, ob man einen politischen, geographischen, kulturellen oder ethnischen Blickwinkel hat - durchaus ziemlich verschiedene Dinge verbergen.
Wirklich beliebt sind die "mainlanders" längst nicht bei allen Bewohnern Hongkongs. Zwar gibt es relativ strenge Reglementierungen, doch lässt sich eben trotzdem ein Zuzug aus der Volksrepublik beobachten, der den ohnehin eng bemessenen Raum in der Metropole noch weiter beschränkt und - im wahrsten Wortsinne - noch kostbarer macht. In den letzten Jahren sind nämlich die Immobilienpreise deutlich gestiegen. Wenn sich dann auch noch reiche Festlandchinesen Zweitwohnungen in der Stadt zulegen, ist der Unmut vorprogrammiert.
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Kurz vor dem Eintauchen in den Cheung Tsing Tunnel endet der Gegenverkehr wieder |
Auch gefällt es nicht jedem, dass viele schwangere Frauen aus der Volksrepublik in die Stadt kommen, um die dortige Ein-Kind-Politik zu umgehen. Damit schlagen sie zudem noch zwei Fliegen mit einer Klappe, denn der in Hongkong geborene Nachwuchs hat so auch gleich ein zukünftiges Niederlassungsrecht für die Metropole erhalten. Es hat sich sogar ein regelrechter Geburtstourismus entwickelt. Bei zentausenden solcher Fällen ist es verständlich, dass der Ruf laut wird, dadurch würden den Einheimischen zu viele Plätze in den Kliniken weggenommen.
Und gelegentlich öffnet sich zudem eine gewaltige kulturelle Kluft zu den Festlandchinesen, denen man ein ziemlich schlechtes Benehmen nachsagt. So können die mit britischen Ordnungsregeln groß gewordenen Hongkonger zum Beispiel fuchsteufelswild werden, wenn sich wieder einmal ein "mainlander" irgendwo nach vorne drängelt anstatt sich in einer Wartschlange hinten anzustellen. Davon dass man seinen Müll nicht einfach auf die Straße fallen lässt, sondern am besten sogar in den überall aufgestellten Behältern noch sauber trennt, ganz zu schweigen.
Allerdings sorgt auch die Politik immer wieder für Verstimmungen. Denn trotz innerer Autonomie Hongkongs versucht die Regierung der Volksrepublik mit schöner Regelmäßigkeit starken Einfluss auf die Entscheidungen in der Stadt zu nehmen. So wird zum Beispiel der Regierungschef keineswegs wie anderswo durch Direktwahlen oder vom Parlament bestimmt. Vielmehr sucht ihn ein Wahlkomitee aus, bei dessen Zusammensetzung das ZK in Peking massiv mitredet. Wenig überraschend setzen sich dann auch immer die von ihm gewünschten Kandidaten durch.
Auch im Parlament von Hongkong werden längst nicht alle Sitze in freien und gleichen Wahlen vergeben. Die Hälfte von ihnen ist nach dem aus kommunistischen Ländern wohlbekannten Modell für "gesellschaftlich relevante Gruppen" reserviert und wird von Berufsorganisationen bestimmt, die ihre Entscheidungen meist durchaus pekingfreundlich treffen. Durch dieses System ist gewährleistet, dass selbst bei einem überwältigenden Wahlerfolg demokratischer Parteien diese keineswegs eine Mehrheit im "Legislative Council" beanspruchen können.
Auch der Marathon hat deswegen eine durchaus politische Note. Denn wenn man genau hinsieht, lässt sich erkennen, dass an ziemlich vielen Lauftrikots irgendwo eine kleine blaue Schleife angeheftet ist. Und diese stellt einen Protest gegen die langsam aber sicher eingeschränkte Freiheit der Presse in der Stadt dar. Zwar gibt es weder eine formale Zensur noch offen sichtbare Beeinflussung durch die Volksrepublik. Doch mit subtilem Druck auf die Zeitungs- und Fernsehredaktionen verhindert Peking immer häufiger eine kritische Berichterstattung.
Noch bevor die Marathonis den Brückenturm auf der Festlandseite endgültig erreichen können, müssen sie kurz vor der Halbmarathonmarke an einer Wendemarke eine dritte und letzte scharfe Kehre um hundertachtzig Grad auf den Hongkonger Asphalt zaubern. Die am südlichen Ende der Ting Kau Bridge aufgebaute Verpflegungsstation passiert man deswegen dann innerhalb von gerade einmal zwei Kilometern gleich noch einmal.
Einige der Helfer tragen Mützen, die sich mit ein wenig Phantasie als Pferdeköpfe deuten lassen. Sie spielen damit auf das "Jahr des Pferdes" an, das für die Chinesen gut zwei Wochen vor dem Rennen begonnen hat. Der klassische chinesische Kalender unterscheidet sich nämlich deutlich vom europäischen. Seine Monate orientieren sich nämlich tatsächlich und nicht nur dem Namen nach - die beiden Wörter "Mond" und "Monat" haben schließlich den gleichen Ursprung - an den Mondphasen.
Dadurch bekommt das Jahr allerdings eine vom Sonnenlauf abweichende Länge, die alle zwei bis drei Jahre durch einen kompletten Schaltmonat ausgeglichen werden muss. Auch der Beginn des neuen Jahres schwankt deswegen und findet sich irgendwo zwischen Mitte Januar und Mitte Februar. Selbst wenn für die offizielle Zeitrechnung längst der westliche Kalender benutzt wird, ermitteln sich traditionelle Feiertage wie das Neujahrsfest weiterhin nach den althergebrachten Regeln. Jedes Jahr bekommt zudem den Namen eines Tieres zugeordnet.
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Auf dem Rückweg wird der Containerhafen nun auf der anderen Seite passiert und damit komplett umrundet |
Diese zwölf "Tierkreiszeichen" tragen ihre Bezeichnung im Gegensatz zu den europäischen Namenvettern, unter denen sich ja auch die keineswegs aus der Biologie stammenden Begriffe "Waage"; "Jungfrau" oder "Schütze" finden lassen, meist durchaus zu Recht. Nur der "Drache" fällt diesbezüglich ein wenig aus der Reihe. Wie den westlichen Gegenstücken werden auch ihnen gewisse Eigenschaften zugeschrieben, die in der völlig anders konzipierten chinesischen Astrologie eine Rolle spielen. So ein besitzt "Pferd" angeblich einen eher ungeduldigen Charakter.
Rund zwei Wochen ziehen sich die verschiedenen Feierlichkeiten und Bräuche des chinesischen Neujahrfestes hin. Auch in Hongkong enden sie erst kurz vor dem Marathon, da sich diesmal für das Jahr des Pferdes der letzte Januartag als Beginn ergeben hat. Die Festbeleuchtungen, mit denen die nachts ohnehin in allen nur denkbaren Farben angestrahlten Wolkenkratzer noch einmal spektakuläre Lichtspiele bieten, verschwinden zwar langsam. Doch immer wieder entdeckt man in der Stadt - gerade in Einkaufszentren - noch aufwendige Dekorationen mit Pferdmotiven.
Zu Pferden hat man in Hongkong ohnehin eine spezielle Beziehung. Insbesondere Galopprennen stehen nämlich bei der Bevölkerung hoch im Kurs. Obwohl - oder gerade weil - sie von Chinesen regelrecht geliebt werden, sind Glücksspiele in der Stadt nämlich grundsätzlich verboten. Macao auf der anderen Seite der Perlflussmündung hat diese dagegen als Einnahmequelle entdeckt. Und längst setzten die dortigen Kasinos ein Mehrfaches der Beträge um, die im vermeintlichen Zocker-Mekka Las Vegas bewegt werden.
Allerdings sind Pferdewetten absolut legal. Deswegen wandern dann auch an den Totalisatoren der beiden Hongkonger Rennbahnen sowie den über die Stadt verbreiteten Wettbüros aus hiesiger Sicht kaum glaubliche Geldmengen über die Tresen. Ein einziger guter Renntag soll angeblich genügen, um die Summe aller deutschen Bahnen in einem kompletten Jahr - die Rede ist hierbei von mehr als hundert Millionen Euro - zu übertreffen.
Als jährlicher Gesamtumsatz werden sogar zehn Milliarden Euro genannt. Kein Sportclub auf der Welt kann größere Zahlen bieten als der "Hong Kong Jockey Club". Wenig überraschend gehört dieser dann auch zu den mit Abstand größten Steuerzahlern der Metropole. Fast ein Zehntel der gesamten Haushaltseinnahmen Hongkongs lassen sich auf Erträge aus den Pferdewetten des Rennvereins zurückführen.
Auch fanden 2008 die Reiterwettbewerbe der Olympischen Spiele von Peking in Hongkong statt. Die offizielle Begründung für die Austragung zweitausend Kilometer von allen anderen Sportlern entfernt bestand in der fehlenden Garantie darüber, dass die chinesische Hauptstadt frei von Tierseuchen ist, womit die Gefahr bestand, dass die Pferde eventuell nicht mehr nach Europa, Nordamerika oder Australien hätten zurück kehren dürfen.
Doch dürften für im Hintergrund durchaus auch andere Motive eine Rolle gespielt haben. Dabei kann man die Entscheidung auf der einen Seite durchaus positiv interpretieren. Dann nämlich wenn man annimmt, die Organisatoren hätten nur ein gutes Jahrzehnt nach der Übergabe auch den Hongkongern die Möglichkeit eine Teilhabe an den "chinesischen" Spielen eröffnen wollen. Man könnte allerdings umgekehrt auch einen eindeutigen und klaren Besitzanspruch Pekings auf die Stadt heraus lesen.
Der Verkehrsknoten, an dem sich die beiden Wendepunktstrecken treffen, wird zum dritten Mal passiert. Doch am nächsten Abzweig eine Kilometer später führt die Strecke dann nicht mehr weiter nach Süden und damit in den Nam Wan Tunnel hinein. Sie wählt vielmehr einen neuen Weg und schwenkt nach Osten. Allerdings taucht die Straße auch dort ziemlich schnell unter die Berge der Insel ab.
Der Cheung Tsing Tunnel ist nicht unbedingt kürzer als sein praktisch im rechten Winkel zu ihm verlaufender Nachbar. Rund eineinhalb Kilometer verschluckt die Erde die Marathonis, bevor sie auf der anderen Seite der Insel wieder ans weiterhin ziemlich trübe Tageslicht kommen. Fast noch abrupter als bei Stonecutters Bridge und Nam Wan Tunnel ist dabei der Übergang zur nächsten Brücke. Denn nur wenige Meter nachdem man den Tunnel verlassen, überquert die Autobahn auch schon die an diesem Punkt eher schmale Durchfahrt zwischen Tsing Yi und dem Festland.
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Die weite Autobahn zurück zum Stadtzentrum füllt sich, als die Läufer der hinteren Startwellen Halbmarathons den Marathonis aus der anderen Richtung entgegen kommen |
Verglichen mit ihren Schwestern, die man bisher auf der Strecke bereits passiert hat, fällt diese Überführung ziemlich unscheinbar aus. Sie kann weder mit gewaltigen Türmen noch mit einer großen Spannweite aufwarten. Und ihre Durchfahrtshöhe ist ebenfalls eher bescheiden. Man war aber schließlich auch während des gesamten Streckenabschnittes im Tunnel ununterbrochen bergab gelaufen. Seit dem höchsten Punkt auf der inzwischen etwa fünf Kilometer entfernten Ting Kau Bridge sind rund zwei Drittel aller Höhenmeter verloren gegangen.
Diese engste Stelle des ohnehin nie mehr als eine Kilometer breiten "Rambler Channel" bildet den Übergang zwischen dem Containerhafen, dessen anderes, rund vier Kilometer entferntes Ende bereits auf dem Hinweg umlaufen worden war, und der sich nördlich der Brücke anschließenden Wohnbebauung. Und dorthin, wo man die Runde um die "Kwai Tsing Container Terminals" begonnen, führt die Strecke nun auch zurück.
Auf der vielspurigen Autobahn verliert sich das keineswegs auseinander gerissene Läuferfeld optisch dennoch beinahe. Und wirklich abwechslungsreich ist die Streckenführung entlang der weitgehend von Hafenanlagen und dazu gehörigen Verwaltungsgebäuden geprägten Umgebung auch kaum zu nennen. Obwohl sie architektonisch ebenfalls nicht unbedingt herausragend sind, bekommen die Wohnhochhäuser, die sich die angrenzenden Hügel hinauf ziehen, dadurch auf einmal etwas durchaus Interessantes.
Eines der Gebäude oben am Hang ist für eine Renovierung komplett eingerüstet. Und wie in Hongkong und auch im Rest Ostasiens üblich hat man diese Konstruktion nicht etwa aus jenen vorgefertigten Stahlelementen zusammengesetzt, die man in der westlichen Welt für solche Zwecke verwenden würde. Obwohl es dreißig oder vierzig Stockwerke empor ragt, besteht das Gerüst einzig und allein aus Bambusstäben.
Ganz egal, ob es nur darum geht, in wenigen Metern höhe eine Leuchtreklame anzubringen oder einen der höchsten Wolkenkratzer der Stadt zu errichten, überall werden sie benutzt. Und auf den ersten Blick europäischer Augen noch viel unheimlicher werden diese Gebilde, wenn man entdeckt, dass sie einfach nur Stück für Stück mit Plastikbändern zusammen gebunden sind. Auf so ein vermeintlich lebensgefährliches Ding würden sich wohl die wenigsten hinauf trauen.
Doch trotz ihres wackeligen Aussehens sind die Bambusgerüste keineswegs unsicherer als ihre massiveren Gegenstücke hierzulande. Sonst würde man die traditionelle Methode bei ansonsten hochmodernen Mega-Projekten, wie es sie in Hongkong zuhauf gibt, wohl kaum weiterhin einsetzen. Durch ein relativ geringes Gewicht verbunden mit gleichzeitig dennoch vorhandener Stabilität der einzelnen Stangen bieten sie sogar gegenüber den herkömmlichen Konstruktionen manche Vorteile.
Innerhalb kürzester Zeit können Spezialisten ein solch zerbrechliches Gebilde selbst in den Dimensionen eines Hochhauses zusammen basteln. "Spinnenmenschen" nennt man diese in schwindelerregenden Höhen mit minimalen Sicherungen ohne Netz und doppelten Boden herum turnenden Artisten nicht zu Unrecht. Alleine in Hongkong verbauen sie etliche Millionen Bambusstäbe jährlich für ihre filigranen Kunstwerke.
Nach der längeren Bergabpassage im Tunnel warten auf dem Abschnitt entlang des Hafens nun wieder einige kleinere Kuppen auf die Marathonläufer. Dafür bekommen sie nach zwei Dritteln der Distanz dafür auch wieder deutlich mehr an Gesellschaft. Denn etwa einen Kilometer bevor die Stelle erreicht ist, an der zu Beginn des Rennens der Aufstieg zur Stonecutters Bridge anfing, kommen aus der anderen Richtung die hinteren Startwellen des Halbmarathons entgegen, um sich an ihrem Wendepunkt mit dem Feld der doppelten Strecke zu vermischen.
Die Schnellsten über diese Distanz sind da allerdings längst geehrt. International präsentiert sich dabei das Podest. Doch sind es nicht die ansonsten dominierenden Ostafrikaner, die ganz oben zu finden sind, denn gut dotiert ist nur der Marathon. Wang Kun aus der Volksrepublik China genügen deswegen im internationalen Vergleich eher bescheidene 1:09:08 zum Sieg gegen den 1:09:26 laufenden Japaner Tsukasa Kawarai und den in 1:11:55 gestoppten Australier Klarie Mcintyre.
Ebenfalls von Down Under kommt Jane Richards, die bei den Frauen ganz oben steht. Allerdings lebt sie inzwischen in Hongkong, ist also auch so etwas wie eine Lokalmatadorin. Ihre Siegerzeit ist mit 1:26:05 allerdings noch deutlich schwächer als das Herrenergebnis. Die Einheimische Karen Hung Shee Yeung folgt exakt zwanzig Sekunden später auf Rang zwei. Auch der dritte Platz auf dem Treppchen bleibt in der Stadt. Sarah Cheung Hoi Wah sichert ihn sich nach 1:26:59.
Und noch ein weiteres Mal darf sich ein "Aussie" in Hongkong als Sieger ehren lassen. Denn Clinton Mackevicius ist als Schnellster im Rennen über zehn Kilometer der Allererste, der die Ziellinie im Victoria Park überquert. Angesichts einer Zeit von 32:22 müssen ihm dabei sogar noch Scheinwerfer den Weg erleuchten. Er ist allerdings eher die Ausnahme. Denn auf den nächsten Plätzen folgen nahezu ausschließlich Hongkong-Chinesen, von denen Lo Ching Hin (32:59) und Mak Yun Leung (33:07) die Schnellsten sind.
Während es bei den Herren hinten dem früheren australischen Mittelstreckenmeister mit acht Läufern unter 33:30 schnell ziemlich eng wird, sind die Abstände im ebenfalls lokal dominierten Frauenrennen doch deutlich größer. Denn hinter Siegerin der 36:14 laufenden Yiu Kit Ching klafft eine dreiminütige Lücke. Erst dann folgen mit Fan Ka King (39:16) und Siu Wai Yue (39:40) die beiden Nächstplatzierten.
Gemeinsam mit den Halbmarathonläufern geht es über die jetzt wieder ziemlich gefüllte Autobahn zurück zum Stadtzentrum. Durch den Gegenverkehr - diesmal übrigens auf der rechten Seite - ist es auf der weiterhin nur halbseitig von den Läufern benutzten Schnellstraße noch ein wenig enger. Und da man dabei außerdem auch wieder längere Abschnitte mit Lärmschutzwällen passiert, wird dieser Eindruck optisch zusätzlich verstärkt.
Für Publikum wäre da - selbst wenn man denn überhaupt eine Chance hätte, diese nur wenige Kilometer vom Zentrum Kowloons entfernten, aber trotzdem eher abgelegenen Streckenteile irgendwie zu erreichen - kaum Platz vorhanden. Immerhin zeigen sich auf den schon bekannten Fußgängerbrücken der "Olympian City" einige Neugierige. Doch hoch oberhalb der Marathonis dürfte es für sie recht schwierig sein, einzelne Personen aus der Masse heraus zu identifizieren. Umgekehrt kommt aus einer solchen Distanz auch kaum Anfeuerung ins Läuferfeld zurück.
Die sich zu beiden Seiten der Autobahn erhebende Komplex der "Olympian City" ist eine für Hongkong gerade in den Randbereichen des Zentrums durchaus typische Kombination aus Wohn- und Bürotürmen. Immobiliengesellschaften haben meist innerhalb nur weniger Jahre auf diese Art in Hongkong gleich mehrere komplett neue Stadtviertel mit zehntausenden Bewohnern aus dem oft erst kurz zuvor frisch aufgeschütteten Boden gestampft.
Neben einer Bahnstation gehört in der Regel auch ein großes Einkaufszentrum zu einem solchen Bauprojekt. Untereinander werden die einzelnen Gebäude dann durch ein Netz von Gängen, Brücken und Tunneln direkt miteinander verbundenen, so dass man im Zweifelsfall längere Zeit verbringen könnte, ohne das Gelände überhaupt verlassen oder auch nur eine einzige Straße überqueren zu müssen.
Das Musterbeispiel für ein solch riesiges Bauvorhaben ist sicher "Union Square", das man einen Kilometer später erreicht. Auf dem Hinweg hatte man ihn nur aus einer gewissen Entfernung betrachten können. Nun führt die Strecke nach inzwischen etwa vierunddreißig zurück gelegten Kilometern hinter der Auffahrt, über die man nach dem Start die Autobahn betreten hatte, direkt an ihm vorbei.
In jede Richtung mehrere hundert Meter Seitenlänge hat dieser Komplex im äußersten Südwesten Kowloons. Aus einer selbst bereits ein halbes Dutzend Etagen hohen Basis, in dem sich unter anderem ein Shopping Center findet, ragt eine zweistellige Zahl von Hochhäusern empor. Von den zwanzig höchsten Gebäuden Hongkongs stellen sie zurzeit fast die Hälfte. Dank ihrer kreisförmigen Anordnung lassen sie auf dem Dach des Zentralbaus in der Mitte zudem Platz für eine kleine, aufgrund der Umgebung leicht futuristische wirkende Grünanlage.
Im Untergeschoss befindet sich nicht nur die MTR-Station "Kowloon" sondern zudem noch eine gleichnamige Haltestelle des "Airport Express", der zwar zum Metronetz gehört, aber nicht nur deutlich schneller sondern auch wesentlich teurer und damit weniger überfüllt als die "normalen" U-Bahnen ist. Wer möchte, kann dabei sogar schon direkt im Bahnhof für den Flug einchecken und auch das Gepäck aufgeben.
Das Einkaufzentrum darüber trägt den Namen "Elements". Und jeder seiner Teilbereiche ist einem der "klassischen" Elemente gewidmet und entsprechend ausgestaltet. Im Gegensatz zum antiken europäischen Lehre, die vier verschiedene kannte, gibt es in der chinesischen Philosophie allerdings fünf von ihnen. "Wasser", "Feuer" und "Erde" sind dabei in beiden Ansätzen identisch. Die "Luft" ist allerdings in Ostasien durch "Holz" und "Metall" ersetzt.
Ohnehin übernimmt die Zahl "Fünf" im chinesischen Kulturkreis eine ähnliche Funktion, die im Westen von der Vier eingenommen wird. Es gibt zum Beispiel fünf Himmelsrichtungen, denn neben Nord, Süd, Ost und West wird auch die Mitte als eine solche angesehen. Und auch die Anzahl der Jahreszeiten werden mit fünf angegeben, was zwar im ersten Moment für jemanden, der von Kindesbeinen an nur Frühling, Sommer, Herbst und Winter kennt, ein wenig seltsam erscheint, aber bei einer etwas anderen Abgrenzung keineswegs vollkommen unlogisch ist.
Umgekehrt wird die Ziffer vier gerade in Hongkong vermieden, wo es nur geht. Denn sie wird im Kantonesischen praktisch genauso ausgesprochen wie das Wort "Tod". Als Unglückszahl hat sie eine ähnliche Bedeutung wie hierzulande die Dreizehn und wird bei der Durchnummerierung häufig einfach ausgelassen. So gibt in vielen Gebäuden Hongkongs keinen vierten Stock. Und bei gleich zwei über dem Union Square aufragenden Hochhausgruppen sucht man den Turm mit der Ordnungszahl vier vergeblich.
Zumindest lassen sich die Spitzen der "Waterfront-" und der "Sorrento-Towers" - so heißen die Blöcke nämlich - noch gut erkennen. Der obere Teil des ebenfalls aus dem Einkaufszentrum heraus wachsenden "International Commerce Centre" lässt sich dagegen nicht einmal erahnen. Eine auf kaum dreihundert Metern hängende dichte Wolkendecke macht jeden Blick weiter nach oben nahezu unmöglich.
Und das ICC - wie es in Hongkong eigentlich fast immer abgekürzt wird - kann mit seinen stolzen 484 Metern dann doch deutlich mehr bieten. Erst 2010 wurde der Bau fertig gestellt. Doch ob er seine lange Spitzenposition lange halten können wird, bleibt abzuwarten. Zu schnell sind die Veränderungen in der asiatischen Metropole. Der immerhin auch 418 Meter hohe Turm zwei des "International Finance Centre", der sich auf der anderen Seite der Einfahrt zum Victoria Harbour ebenfalls im Hochnebel versteckt, durfte den Titel schließlich nur wenige Jahre führen.
Man wird auch ihm ziemlich nahe kommen. Denn gleich nach dem Passieren des Union-Square-Komplexes taucht die Schnellstraße und mit ihr auch die Laufstrecke in den "Western Harbour Tunnel" ab, um für den Schlussteil des Rennens hinüber nach Hong Kong Island zu wechseln. Nachdem man lange Zeit auf den Brücken hoch über der Weltstadt unterwegs war, bewegt man sich nun für die nächsten beiden Kilometer tief unter ihr.
Relativ steil sinkt die Unterführung nach unten. Erst bei dreißig Meter unter dem Meeresspiegel endet das noch einmal ziemlich viel Schwung in die langsam müde werdenden Beine bringende Gefälle. Kaum ein großer Stadtmarathon der Welt dürfte deswegen dann auch ein noch tiefer aufgestelltes Kilometerschild haben als jene Tafel, auf der in Hongkong die "35" zu lesen ist.
Die Steigung, die jenseits dieser Marke hinauf zum Nordufer der Insel führt, ist nicht weniger heftig als der Abstieg zum niedrigsten Punkt. Und sie endet keineswegs mit dem Wiedererreichen des Tageslichtes. Vielmehr schwingt die Laufstrecke, die in westlicher Richtung aus dem Tunnel aufgetaucht ist, gleich wieder nach Osten und klettert über eine halbkreisförmige Zufahrtsrampe ein weiteres Dutzend Höhenmeter.
Die in diesem Bereich auf Stelzen verlaufenden "Connaught Road ist das Ziel. Gemeinsam mit mehreren anschließenden Straßenzügen bildet diese als "Route 4" die Hauptverkehrsachse im Norden von Hong Kong Island und passiert dabei natürlich auch die gesamte Innenstadt. Sogar auf den wenigen Kilometern, die sie im eigentlichen Zentrum zurücklegen dürfen, bleiben die Marathonis also vorerst einmal auf einer - abgesehen von den Helfern der dort aufgebauten Verpflegungsstellen - weitgehend menschenleeren Stadtautobahn.
Dafür bewegt man sich jedoch von nun an auch praktisch nur noch entlang nahezu geschlossener Hochhausreihen. Denn selbst wenn inzwischen in Kowloon und den New Territories ebenfalls immer höher nach oben gebaut wird, stehen die Türme nirgendwo dichter als in jenem nur wenige hundert Meter schmalen Landstreifen im Norden von Hong Kong Island, der früher unter "Victoria City" bekannt war und in dem bis heute das wirtschaftliche Herz der Metropole schlägt.
Zwischen hochmodernen Neubauten steht dabei immer wieder einmal ein altes Wohngebäude, das unverkennbar schon mehrere Jahrzehnte auf dem Buckel hat und dringend eine Renovierung oder zumindest einige Eimer Farbe nötig hätte. Auch im - geographisch eigentlich überhaupt nicht zentralen - Stadtteil "Central" bietet Hongkong eine nicht selten im ersten Moment ziemlich seltsam wirkende Mischung aus alten und neuen, westlichen und östlichen Bestandteilen.
Gleich neben den glänzenden Bankentürmen und teuren Luxusläden beginnen da zum Beispiel traditionelle chinesische Märkte. Zum Teil muss man von den bedeutenden Geschäftsstraßen, in denen viele "wichtige" Leute in feinen Anzügen unterwegs sind, tatsächlich und im wahrsten Wortsinne nur einige Schritte in eine Seitengasse hinein gehen, um in einer völlig anderen Welt zu landen. Und nach jedem Richtungswechsel kann man auf eine neue Überraschung stoßen.
Auch im Central-Bezirk lassen sich nur wenige Meter voneinander entfernt sowohl wertvolle Kunst und Antiquitäten als auch billigen Trödel kaufen. Überall - selbst rund um die glitzernden Türme der wichtigsten Banken - finden sich einfache Imbissstände. Und mitten im Getümmel entdeckt man gelegentlich winzige Parks oder kleine buddhistische Tempel. Jedenfalls hat man beim Bummel durch die Straßen Hongkongs fast immer entweder den Geruch von Räucherstäbchen oder aber von Essen in der Nase.
Die Auswahl ist dabei weit vielfältiger als das, was man geboten bekommt, wenn man in Europa zum "Chinesen" geht. Denn natürlich gibt es im sich über viele verschiedenen Klimazonen ersteckenden China völlig unterschiedliche regionale Küchentraditionen. So wird im Großraum Hongkong und Kanton völlig anders gekocht als im mehr als tausend Kilometer entfernten Shanghai oder dem in zweitausend Kilometer Distanz liegenden Peking.
Und ähnlich wie bei den vielen "Italienern" oder "Griechen" hierzulande findet man auch in der früheren Kronkolonie Spezialisten für Gerichte aus anderen Gebieten Chinas und Ostasiens. Obwohl die meisten von ihnen durchaus Fleisch beinhalten, beschränkt man sich dabei doch eher auf Schwein, Rind oder Geflügel. Das gerne als fester Bestandteil chinesischer Küche zitierte Hundefleisch findet sich dagegen nicht auf den Speisekarten. Dessen Verkauf und Verzehr ist in Hongkong nämlich sogar verboten.
Trotzdem ist es nicht unbedingt von Nachteil, sich bei der Essensauswahl auf Dinge zu beschränken, die auch auf Englisch beschriftet sind, um unangenehme Überraschungen zu vermeiden. Wenn man nicht auf die Schilder achtet, kann sich zum Beispiel hinter dem vermeintlich süßen Kaffeestückchen, das man in der Bäckerei erworben hat, sonst durchaus auch einmal eine fleischgefüllte Pastete verbergen. Diese werden nämlich in weit größerer Bandbreite angeboten als ihre gezuckerten Gegenstücke.
Die Trambahnen, die relativ langsam - die Durchschnittsgeschwindigkeiten erreicht oft nur mit Mühe zweistellige Werte - durch die Innenstadt und zum Teil auch unter der Stadtautobahn entlang rumpeln, wirken gerade angesichts der sonstigen Betriebsamkeit ebenfalls wie ein Anachronismus. Seit Beginn des letzten Jahrhunderts fahren sie die gesamte Nordseite Hong Kong Islands entlang. Und obwohl es praktisch genau unter ihnen inzwischen auch die Island Line der MTR gibt, ist die Straßenbahn noch immer ziemlich beliebt.
Für Touristen gehört eine Fahrt mit "Ding Ding" - so der Spitzname, der aufgrund des typischen Klingelns entstand - zum Pflichtprogramm. Das liegt weniger an der durchaus interessanten und abwechslungsreichen Streckenführung als vielmehr daran, dass es sich bei den Waggons genau wie bei den in der Stadt verkehrenden Linienbussen um Doppeldecker handelt. Nur wenige Straßenbahnen der Welt haben überhaupt noch zweistöckige Wagen im Einsatz. Doch nirgendwo außer in Hongkong besteht der gesamte Fuhrpark aus ihnen.
Eine Fahrt mit "Hong Kong Tramways" ist neben der Benutzung der Hafenfähren außerdem so ziemlich die günstigste Art der Fortbewegung in der Metropole. Denn als man bezahlt gerade einmal 2,30 für den Transport - und zwar völlig unabhängig von der Länge der Strecke. Ziemlich ungewöhnlich ist allerdings das System, mit dem dieser bescheidene Betrag entrichtet werden muss. Denn man steigt erst einmal, ohne den Geldbeutel zu zücken, einfach hinten ein und wirft die abgezählten Münzen erst beim Aussteigen in ein Kästchen neben dem Fahrer.
Völlig kostenlos ist allerdings der "Central Mid-Levels Escalator", bei dem es sich um ein System von hintereinander gesetzten und überdachten Rolltreppen handelt, das in einer der Seitengassen von Central beginnt und sich von dort hinauf zum wegen seiner Lage am Berghang "Mid-Levels" genannten Wohnbezirk zieht. Auf einer Länge von fast einem Kilometer lässt sich dabei eine Höhenunterschied von fast hundertfünfzig Metern überwindet. Auch dieses Gebilde ist zumindest in seinen Dimensionen ziemlich einzigartig.
Allerdings gibt es in jedem Abschnitt nur jeweils eine Rolltreppe und nicht wie sonst meist üblich zwei, also eine für jede Richtung. So laufen die Bänder am frühen Morgen erst einmal nur abwärts, um die weiter oben am Berg Wohnenden hinunter ins Zentrum zur Arbeit zu bringen. Ab zehn Uhr dreht man dann den kompletten Fluss um und lässt die Anlage bis zum späten Abend nur noch aufwärts laufen. Wer in die jeweils "falsche" Richtung möchte, muss dann doch auf die traditionelle Treppe direkt daneben zurück greifen.
Nicht einmal mehr fünf Kilometer der Gesamtdistanz sind zurück zu legen, als die Laufstrecke die Schnellstraße an der folgenden Ausfahrt nach links verlässt. Dadurch wird auch erneut der Blick über den Victoria Harbour hinüber zum Festland geöffnet, der zuvor für einige Zeit durch die beiden auf der Nordseite der Connaught Road empor wachsenden Hochhäuser des "Shun Tak Centre" mit ihren ungewöhnlichen in einigen Etagen offen liegenden roten Stahlträgern versperrt war.
Während man wenig von dem in diesen Einkaufs- und Bürokomplex integrierten Fährterminal, wo die meisten der Schnellboote hinüber nach Macao ablegen, zu sehen bekommt, endet das Gefälle der Rampe direkt vor den Piers der Hafenfähren. An dieser seit der Startphase praktisch ersten für Zuschauer gut erreichbaren Stelle des Kurses können die Marathonis dann zumindest ein wenig - in dieser Phase des Laufes durchaus willkommene - Anfeuerung entgegen nehmen.
Direkt gegenüber der Schiffsanleger ragen die beiden Türme des "ifc" - die offizielle Abkürzung des "International Finance Centre" benutzt Kleinbuchstaben - in den trüben Himmel. Während sich das Ende des neueren, des zweithöchsten Gebäudes der Stadt in den Wolken nicht einmal erahnen lässt, zeigen sich zumindest ältere "Tower 1" und das an den Komplex angebundene "Four Seasons Hotel" komplett. Doch sind diese beiden ja auch gerade einmal halb so hoch.
Wie bei der anderen gigantischen Säule, von der die Hafeneinfahrt auf der Festlandseite bewacht wird, dem großgeschrieben "ICC", befindet sich auch dabei unterhalb der Hochhäuser ein großes Einkaufszentrum. Und dieses geht seinerseits wieder direkt in den aus drei weiteren Türmen bestehenden Komplex des "Exchange Square" über. Dort hat - Nomen est Omen - unter anderem die "Hong Kong Stock Exchange" ihren Sitz, die zu den wichtigsten Börsen der Welt gehört und deren "Hang Seng Index" auch in Europa genau beobachtet wird.
Sowohl die Piers als auch das Finanzzentrum stehen übrigens an einer Stelle, an der noch vor etwas über zwei Jahrzehnten die Wellen des Victoria Harbour schwappten. Denn seit Anfang der Neunziger hat man die Küste des Zentrums durch Aufschüttungen um einige hundert Meter nach Norden verschoben. Dass dieser Landgewinnung unter anderem auch das zwar nicht gerade schöne, aber traditionsreiche alte Fährterminal geopfert werden musste, war in der Stadt Anlass heftiger Kontroversen.
Neben Raum für weitere Hochhaustürme hat man dabei auch eine neue Uferpromenade geschaffen, die sich östlich an die neuen Fähranleger anschließt. Hinter dem eigentlichen Spazierweg erstreckt sich eine mehrere Fußballfelder große Anlage, die hervorragende Ausblicke auf die unzähligen Türme des Stadtzentrums bietet und sich damit demnächst wohl zu einer ernstzunehmenden Konkurrenz für die Südspitze von Kowloon entwickeln dürfte.
Der vielleicht beste und auch beliebteste Aussichtspunkt auf die faszinierende Skyline Hongkongs ist allerdings der Victoria Peak, der in gerade einmal zwei Kilometer Entfernung vom "Star Ferry Terminal" praktisch direkt hinter dem Zentrum über fünfhundert Meter hoch aufragt. Wobei streng genommen gar nicht der Gipfel selbst gemeint ist. Denn dieser ist mit Antennen vollgepflastert und für die Öffentlichkeit gesperrt. Die klassischen Fotopunkte finden sich vielmehr rund einhundert Meter tiefer, wo ein Hangweg immer neue Perspektiven auf das Stadtpanorama eröffnet.
Die überwiegende Zahl der Touristen verzichtet allerdings sogar auf diesen kurzen Spaziergang und begnügt sich mit dem Blick von Plattform des "Peak Tower". Entgegen seines Namens liegt dieser eigentlich im Sattel zwischen dem Victoria Peak und dem benachbarten Mount Gough. Neben Aussichtsterrasse und einigen Geschäften beherbergt der sich gerade wegen seiner futuristischen Form als ein auf einer schmalen Basis balancierender Halbkreis von unten nahezu ideal in die Landschaft einpassende Bau auch die Bergstation der "Peak-Tram".
Ohne diese Standseilbahn würden sicher weit weniger Menschen von oben auf die Stadt hinunter sehen - wenn denn die oft im Berg hängenden Wolken es überhaupt ermöglichen. Der Aufstieg zu Fuß ist schließlich ziemlich steil und mühsam, was sich schon alleine daran erkennen lässt, dass die "funicular railway" in ihren extremsten Abschnitten eine Steigung von mehr als fünfzig Prozent - oder umgerechnet beinahe dreißig Grad - überwindet. Doch die von einer Schweizer Firma gebaute Anlage befördert im Schnitt pro Tag mehr als zehntausend Passagiere hinauf.
Auch am Marathonsonntag würden sie jedoch oben nur dichte Nebelsuppe sehen. Zumindest die unteren Teile der Berge können die Läufer aber hinter den Hochhäusern erkennen, als sie den Piers den Rücken zudrehen, um kurzzeitig dem wirklich zentralsten Teil des Stadtteils Central entgegen zu laufen. Trotzdem ist das Umfeld dabei nur bedingt attraktiv. Denn bereits seit sie die Hochstraße verlassen haben und wieder auf Meereshöhe angekommen sind, bilden Bauzäune den ständigen Begleiter der Marathonis. Und sie werden es rund einen Kilometer lang bleiben.
Ein weiterer wichtiger Grund für die großräumige Erweiterung des Inselareals war nämlich auch die Idee, quer durch dieses Gelände eine unterirdische Umgehungsstraße für den durch den Autoverkehr chronisch verstopften Stadtkern zu bauen. Auf mehreren Kilometern soll die "Route 4" in den Boden abtauchen. Und dieses Projekt ist längst noch nicht endgültig fertig gestellt. Rund um die Promenade und die neuen Nordküste von Hong Kong Island wird vielmehr noch ziemlich eifrig gewerkelt.
Da die Straße und Laufstrecke in diesem Abschnitt einen eher kurvigen Verlauf nehmen, schlüpfen die Läufer auf dem kurzen Schlenker Richtung Süden gleich dreimal unter jenem Fußgängersteg hindurch, der den Fähranleger hoch oben und auf einer Länge von mehreren hundert Metern kreuzungsfrei mit den dahinter aufragenden Hochhaustürmen verbindet. Er ist aber nur der Anfang einer wahrlich verwirrenden Netzes aus vielen Dutzend Brücken und Gängen, das etliche Gebäude miteinander verknüpft.
Wenn man die richtigen Wege kennt, lässt sich praktisch damit die komplette Innenstadt in jeder Richtung durchmessen, ohne dass man dabei eine Straße überqueren müsste. Allerdings sind diese nicht immer wirklich direkt. Trotz vielfacher Beschilderung kann man deswegen anfangs durchaus einmal in einer Sackgasse landen oder einen großräumigen Kreis beschreiben, der nur genau dorthin zurück führt, wo man einige Minuten zuvor aufgebrochen war.
Zu einem noch größeren Labyrinth wird das etliche Kilometer lange Wegesystem dadurch, dass es sich - hierzulande kaum denkbar - in den unteren Geschossen fast aller Bürohäuser noch weiter auffädelt, um Platz für lange Reihen von Geschäften, Cafés und Restaurants zu machen. Da viele der Verbindungsbrücken zudem komplett verglast sind, so dass man nicht einmal mehr an die frische Luft muss, um sie zu überqueren, entstehen Einkaufszentren, die sich über etliche Gebäude erstrecken.
Fast noch erstaunlicher wirkt allerdings, dass selbst die nebeneinander liegenden Gebäude der Standard Chartered Bank und der HSBC direkte Durchgänge zueinander besitzen. Schließlich sind beide große Konkurrenten auf dem umkämpften asiatischen Markt. Wobei das letztgenannte Finanzunternehmen im Stadtbild sogar noch viel präsenter ist als der Marathonsponsor. Doch hat die "Hong Kong and Shanghai Banking Corporation", die sich hinter der Abkürzung verbirgt, trotz längst weltweiter Aktivitäten eben in der Metropole auch ihre ursprünglichen Wurzeln.
Während sich das Hauptgebäude der Standard Chartered Bank zwar als schlanker, eleganter, aber im Hochhausdschungel von Hongkong ansonsten eher unspektakulärer Wolkenkratzer präsentiert, gehört der etwa gleich hohe Stammsitz der HSBC zu den unbestrittenen Wahrzeichen der Stadt - und dies obwohl inzwischen weit mehr als einhundert Türme höher in den Himmel über der Metropole ragen. Doch mit Baukosten von mehreren Milliarden Hongkong-Dollar - das ist kein Schreibfehler - war es seinerzeit das teuerste Gebäude der Welt.
Der vom Stararchitekten Norman Foster entworfene Bau zeichnet sich zum Beispiel durch ein mehr als fünfzig Meter hohes Atrium im Inneren aus, das durch ein komplexes System von Spiegeln mit Tageslicht beleuchtet wird. Durch dessen gläsernen Boden führen zwei Rolltreppen zur offenen Plaza, die sich auf Straßenniveau unter dem Gebäude öffnet. Der ungewöhnliche Winkel, in dem sie zueinander und zum Hochhaus selbst stehen, wurde genau wie viele andere Details übrigens von Feng-Shui-Meister festgelegt.
Auch diesbezüglich gilt den Hongkongern das HSBC Building nämlich als Meisterwerk. Dass es mit seinen außen liegenden Verstrebungen ansonsten manchmal eher an eine Industrieanlage erinnert, ist da nebensächlich. Damit das Meer ständig Geld in die Kassen spült, hat sich die Konzernleitung auf Rat der Spezialisten von der Stadtverwaltung sogar zusichern lassen, dass der freie Blick zum Victoria Harbour nicht verbaut werden darf. Schon deswegen können also auf dem gewonnen Land neben den Piers gar keine neuen Hochhäuser mehr wachsen.
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Nachdem man die Schnellstraße "Route 4" auf einer Brücke überquert hat, verändert sich das Bild entlang der Strecke ausgerechnet für den letzten Kilometer noch einmal erheblich |
Das Gegenstück zur HSBC-Zentrale ist der gut dreihundert Meter hohe "Bank of China Tower", dem man aus Feng-Shui-Sicht eine ziemlich negative Aura zuschreibt. Denn der Architekt des Turmes benutzte - ob mit Absicht oder nicht - praktisch durchgängig Dreiecke als geometrische Grundelemente. Und diese stehen im Ruf, extrem aggressiv zu sein. Dass eine der scharfen Kanten des 1990 - also einige Jahre vor der Übergabe Hongkongs an China - fertig gewordenen Wolkenkratzers genau auf früheren Gouverneurspalast zeigt, scheint dies nur zu bestätigen.
Eines haben alle drei genannten Gebäude allerdings gemein. Sie sind auf Geldscheinen des Hongkong-Dollar zu sehen. Und zwar jeweils auf solchen, die von der entsprechenden Bank heraus gegeben wurden. Nach britischem Vorbild, wo neben der Bank of England auch mehrere schottische und nordirische Privatbanken das Recht haben Banknoten zu drucken, hat man auch in der ostasiatischen Metropole diese Aufgabe an die HSBC, die Standard Chartered und die Bank of China übertragen.
In Farbe und Größe sind die Varianten für die einzelnen Werte jeweils identisch, so dass man mit der Zuordnung keine Probleme hat. Doch bei genauerer Betrachtung entdeckt man, dass da viele völlig verschiedene Exemplare im Geldbeutel gelandet sind. Denn die Motive sind für die Serien der einzelnen Banken vollkommen anders gewählt. Bei den Münzen, die nicht nur beim Euro sondern auch in vielen anderen Währungen oft ziemlich ungleiche Prägungen zeigen, herrscht diesbezüglich hingegen eher Monotonie.
Noch eine ganze Reihe anderer architektonisch höchst interessanter Gebäude kann man bewundern, nachdem die Strecke wieder nach links parallel zur Küstenlinie eingeschwenkt ist und die Marathonis deswegen an den Wolkenkratzern wie an einer Ehrenformation entlang laufen. In Hongkong kann sich die Phantasie der Planer ziemlich austoben. Um im Hochhausdschungel der Stadt aufzufallen - zumindest unterschwellig schließlich oft das Ziel der Erbauer - muss man schon etwas ganz besonders bieten.
Da sind zum Beispiel die beiden Türme des "Lippo Centre", die wegen ihrer scheinbar von außen aufgesetzten Vorsprünge den Spitznamen "koala trees" erhalten haben. Unübersehbar ist auch der golden glänzende Turm des "Far East Finance Centre". Und beim Blick auf die geschwungene Form des "AIA Central" hat man fast den Eindruck, beim Zeichnen der Baupläne wären sämtliche Lineale verschwunden gewesen.
Besonders markant ist aus dieser Perspektive allerdings eine Gebäudegruppe, die trotz weit über einhundert Metern Höhe und vierzig Stockwerken zwischen den meist doppelt so hohen Wolkenkratzern ringsherum wohl untergehen würde, stünde sie nicht zum Victoria Harbour hin vollkommen frei. Der "Central Government Complex", in dem neben sich vielen Büros für die Verwaltung auch die Räume des Parlamentes von Hongkong befinden, bildet durch einen Querteil, der weit oben die beiden Seitentrakte verbindet, nämlich einen riesigen Torbogen.
Vor dem Gebäude flattert zwar die rote Fahne mit einem großen und vier kleinen gelben Sternen, die für die Volksrepublik China steht. Doch in der Sonderverwaltungszone tritt sie eigentlich nie ohne eine zweite ebenfalls rote Flagge auf, in deren Mitte sich eine stilisierte fünfblättrige Bauhinien-Blüte befindet. Denn diese ist das neue, seit der Übergabe gültige Symbol Hongkongs. Zuvor führte man wie viele britische Überseegebiete eine blaue Fahne mit dem Stadtwappen und dem Union Jack in der linken oberen Ecke.
Nach einer ausdrücklichen Vorgabe aus Peking darf diese Bauhinien-Flagge aber auf keinen Fall größer oder in prominenterer Position angebracht sein als die chinesische Fahne. Selbst vor dem Regierungs- und Parlamentskomplex ist dies nicht anders. Eine Ausnahme von dieser strengen Regel gibt es allerdings dennoch. Denn bei einem sportlichen Erfolg eines Hongkongers über einen Festlandschinesen würden seine Farben während der Siegerehrung selbstverständlich höher gezogen.
Zum Passieren des "Central Government Complex" taucht der Kurs kurz in eine Unterführung ab. Denn die in diesem Bereich schon fertige Uferpromenade geht fußgängerfreundlich direkt in die "Tamar Park" genannte Grünanlage vor dem zentralen Verwaltungsgebäude über. Selbst wenn die nach der Passage des Tunnels zu überwindenden Höhenmeter verglichen mit den bisher schon bewältigten Steigungen eigentlich eher bescheiden sind, stellen sie nach inzwischen fast vierzig Kilometern dann doch eine gewisse Herausforderung dar.
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Zum Abschluss führt der Marathon noch einmal - nun auch vor Publikum - durch enge Straßen und unter bunten chinesischen Leuchtreklamen hindurch |
Dem anschließenden weiten Rechtsbogen folgt sofort eine scharfe Linkskurve, so dass man weiter grob die Laufrichtung nach Osten behält. Auch die hohe, oben spitz zulaufende "Central Plaza" bleibt weiter im Blick. Rund um das dritthöchste Hochhaus der Stadt drängen sich etliche weitere Wolkenkratzer. Im Stadtpanorama ergibt so von Kowloon aus gesehen neben der am Fährterminal beginnenden zentralen Zone eine zweite markante Zusammenballung, während man im Bereich dazwischen - zumindest für Hongkonger Verhältnisse - etwas niedriger gebaut hat.
Der Turm rettete einst irgendwie die Ehre Hongkongs gegenüber der Pekinger Zentralmacht. Denn er übertrifft sowohl bezogen auf die Höhe des obersten Etage als auch hinsichtlich der Antenne auf dem Dach den Turm der Bank of China, der nach seiner Fertigstellung Anfang der Neunziger zwei Jahre lang das höchste Gebäude darstellte, um einige Meter. Die "Central Plaza", die zwar eigentlich auch eine dreieckige Grundform, aber abgerundete Ecken und damit ein weniger negatives Feng Shui hat, blieb dagegen immerhin rund ein Jahrzehnt lang Titelträger.
Genau in dem Moment, in dem man in die Hochhauschluchten eintauchen könnte, vollführt die Laufstrecke einen weiteren kleinen Schlenker hinüber zum "Hong Kong Convention and Exhibition Centre", das auf einer in den Victoria Harbour hinaus ragenden Halbinsel erbaut ist. Unter der geschwungenen Dachkonstruktion des Kongresszentrums fanden 1997 die offiziellen Zeremonien zur Übergabe Hongkongs an China statt.
Auch rund um diesen Komplex, der neben Ausstellung und Versammlungsräumen außerdem noch zwei Luxushotels umfasst, stehen Bauzäune. Zum eine sollen nämlich für den neuen Straßentunnel im Bereich des Kongresszentrums mehrere Zufahrten gebaut werden. Zum anderen ist an dem inzwischen rund zwei Jahrzehnte alten Bau längst erste Renovierungs- und Modernisierungsarbeiten nötig.
Ohne diesmal an Höhe zu verlieren unterquert man das sich über die Straße hinweg erstreckende Gebäude, um einen halben Kilometer später - nachdem auch die letzte Verpflegungsstelle passiert ist - nach rechts genau in die Rampe einer Brücke hinein zu biegen. Auf dieser kann man über die in diesem Abschnitt keineswegs mehr für den Marathon gesperrte sondern vielmehr sogar ziemlich stark befahrene Route 4 hinweg setzen.
"Flyover" nennt man in Hongkong ziemlich anschaulich diese nicht nur in den bergigen Teilen der Stadt sondern auch mitten im Zentrum weit verbreiteten Konstruktionen, mit denen man versucht dem Verkehr Kreuzungen zu ersparen. Zusammen mit den unzähligen "footbridges" entstehen so manchmal verzwickte dreidimensionale Gebilde, die bei der Projektion auf eine Karte endgültig undurchschaubar werden und es Ortsfremden trotz der auch für Fußgänger vorhandenen guten Beschilderung nicht gerade einfach machen, das richtige Schlupfloch zu finden.
Jenseits der wichtigsten Ost-West-Achse der Insel verändert sich das Bild entlang der Strecke dann ausgerechnet für den letzten Kilometer noch einmal erheblich. War man bisher nahezu ausschließlich auf vier-, sechs- oder achtspurigen Ausfallpisten unterwegs, von denen sich die Bebauung meist in gebührendem Abstand hielt, rücken die Häuser nun dicht an die deutlich schmaler gewordenen Straße heran.
Hätten - trotz der für Hongkong so typischen hohen Konzentration - die passierten Hochhäuser bisher nahezu überall in der Welt stehen können, wird es für den Schlussabschnitt noch einmal wirklich chinesisch. Wie in der Nathan Road wimmelt es nur so von bunten Werbetafeln und Leuchtreklamen mit Schriftzeichen, die man als ungebildeter Europäer nicht im Entferntesten entschlüsseln kann.
Von den glänzenden Fassaden der modernen Wolkenkratzer ist auch nicht mehr viel zu sehen. Obwohl die Gebäude neben den Läufern selten weniger als zwanzig Stockwerke besitzen, handelt es sich meist um nicht mehr ganz taufrische Wohnhäuser, von denen so manches einen fast schon heruntergekommen Eindruck macht. In den Untergeschossen reiht sich schnell Laden an Laden. Und sogar auf dem zweiundvierzigsten Kilometer eines Marathons fällt es nicht allzu schwer zu erkennen, dass unter ihnen wieder einmal viele chinesische Apotheken sind.
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Hinter dem Ziel im Victoria Park warten die von den verschiedenen Startpunkten herüber transportierten, je nach Distanz und Startgruppe in einer anderen Farbe gehaltenen Kleiderbeutel auf die Läufer |
Zudem füllen sich auch die auf den einundvierzig Kilometern davor nahezu weitgehend vollkommen menschenleeren Streckenränder langsam immer mehr mit Zuschauern. Kurz hinter dem Schild, das die letzten tausend Meter ankündigt, beginnen auf beiden Straßenseiten die von nun an durchgängig aufgebauten Absperrgitter. Nur noch an ganz wenigen Stellen gibt es gut durch Polizisten gesicherte Übergänge über die Marathonstrecke.
An diesen Querungspunkten zeigt sich dann auch, welch tiefe Spuren die einstigen Kolonialherren aus Großbritannien im Verhalten der Hongkonger noch immer hinterlassen haben. Denn geduldig reihen sie sich in den ebenfalls mit Gittern abgegrenzten Wartebereichen in die Schlange. Da die Dichte des Feldes allerdings ziemlich wenige Möglichkeiten lässt, die Seiten zu wechseln, rücken die Anstehenden nur sehr langsam vor und erst vielen Minuten später können sie, ohne dass darüber ein großes Murren zu hören wäre, nach Aufforderung der Ordner passieren.
Wenn es um die Absicherung der Laufstrecke geht, lässt sich beim Marathon von Hongkong jedenfalls wirklich nicht das geringste Haar in der Suppe finden. Und auch beim Zieleinlauf, vor dem man noch einen kleinen Haken schlagen muss, um zum letzten Mal einen der "flyovers" zu unterqueren, haben die Organisatoren nicht gekleckert sondern geklotzt. Denn die mehrere Fußballfelder große Fläche vor und hinter dem Zielbogen ist komplett im Grün und Blau des Sponsors ausgelegt.
Im Normalfall befinden sich darunter tatsächlich ein halbes Dutzend Sportplätze, deren Boden allerdings aus Rasen noch aus roter Asche sondern aus nur mit einer dünnen Kunststoffschicht überzogenem Asphalt besteht. Ähnlich große und zudem auch noch ebene Freiflächen gibt es in Hongkong nicht unbedingt viele. Und nicht nur zum Marathon wird der Südteil des Victoria Park deswegen recht gerne für Veranstaltungen genutzt.
Sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen fallen die Entscheidungen im Marathon tatsächlich erst auf den grün-blauen Matten. Denn obwohl die Zeiten an der Spitze angesichts des alles andere als ebenen Streckenprofils nicht gerade herausragend ausfallen, sind die Rennen extrem spannend. Eine große praktisch ausschließlich aus Kenianern und Äthiopiern bestehende Spitzengruppe fällt nämlich ziemlich spät auseinander.
Und der entscheidende Vorstoß kommt erst, als der zu diesem Zeitpunkt immer noch beinahe zwanzigköpfige Pulk durch den Hafentunnel hinüber nach Hong Kong Island hastet. Allerdings gehen auch nach dieser Attacke immer noch zu fünf Läufer gemeinsam auf die letzten Kilometer. Am Ende hat Feyera Gemeda aus Äthiopien am meisten zuzusetzen und zerreißt das Zielband nach 2:15:05.
Dahinter spurten Bedada Abdisa Sori und Elisha Kiprop heftig um Rang zwei. Der Kenianer Kiprop muss sich dabei in 2:15:12 dem eine Sekunde schnelleren Äthiopier geschlagen geben. Innerhalb weit weniger als einer Minute gehen auch noch Willy Kibor Koitile (2:15:30) und Vorjahressieger Julius Kiplimo Maisei (2:15:45), der im Kampf um die Plätze als Erster abreißen lassen muss, über die Linie.
Nicht viel deutlicher ist der Ausgang auch im Frauenrennen, wo gleich drei Äthiopierinnen auf dem Treppchen stehen. Auch in diesem Fall kommt nämlich noch mehrere Athletinnen gemeinsam auf Hong Kong Island an. Die größten Reserven hat dabei Rogele Rehima Kedir, die mit 2:34:53 verhindert, dass Demise Misker Mekonen (2:35:05) zum dritten Mal in Folge ganz oben auf dem Treppchen steht. Debellu Shitaye Gemechu sichert sich nach 2:35:18 das dritte Preisgeld, während für die Kenianerin Emily Chepkemoi Samoei (2:35:56) nur Rang vier bleibt.
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Der komplette Zieleinlauf ist mit grünen und blauen Matten in den Farben des Sponsors ausgelegt |
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In die weltweiten Schlagzeilen kommt man mit solchen Ergebnissen natürlich nicht. Und mit den großen Läufen in London, New York oder Boston, Berlin, Chicago, Tokio oder Paris kann man es ohnehin weder bezüglich der Teilnehmerzahlen - wohlgemerkt auf der dort jeweils ohne Rahmenwettbewerbe ausgetragenen Hauptdistanz - noch hinsichtlich des Budgets aufnehmen. Angesichts einer vollständig ausgebuchten Veranstaltung gäbe es allerdings zumindest bei ersterem eindeutig noch weiteres Steigerungspotential.
Doch ausgestattet mit einem "Silver Label" der IAAF gehört der Marathon von Hongkong immerhin auch offiziell zur zweiten Liga. Es ist jedoch nebenbei bemerkt trotzdem eine der wenigen internationalen Ranglisten, in denen Hongkong hinter Peking und Shanghai, deren Rennen zuletzt mit Gold bedacht wurden, auftaucht. Doch bewerten diese Klassifizierungen ohnehin eher den Elitebereich als den mittleren und hinteren Teil des Läuferfeldes, über dessen Ausmaße man sich wahrlich nicht beschweren kann.
Selbst wenn Hongkong damit zu den zwanzig bis dreißig größten Marathons weltweit gehört, spielt der Lauf - ähnlich wie das Schwesterrennen von Singapur - im internationalen Vergleich zumindest auf der namensgebenden Distanz nicht die Rolle, die diesen Metropolen ansonsten zukommt. Vielleicht muss man dabei angesichts der dynamischen Entwicklung der Veranstaltung allerdings dabei auch sagen "noch".
Als Reiseziel wäre die Weltstadt, die man während des Marathon sowohl von oben als auch von unter zu sehen bekommt jedenfalls gerade wegen ihrer spannenden Mischung aus fernöstlichen und westlichen Einflüssen auch für Europäer oder Nordamerikaner durchaus attraktiv. Und ob man nach dem Rennen dann den Strich in der Ländersammlung bei "China" macht oder einen eigenen Eintrag "Hongkong" einfügt, ist am Ende eigentlich egal.
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Bericht und Fotos von Ralf Klink Info & Ergebnisse www.hkmarathon.com Zurück zu REISEN + LAUFEN aktuell im LaufReport HIER |
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