14.2.09 - Bloemfontein Marathon RSA

Qualifying season in der Vrystaat-Hauptstadt

von Ralf Klink 

Wenn es in Europa kalt und dunkel ist, wenn der Winter sich dort entweder mit Frost oder mit Düsternis oder auch mit beidem über dem Land festbeißt, herrscht auf der anderen, der südlichen Erdhalbkugel ja bekanntlich Sommer. Und Südafrikas Lage auf der gegenseitigen des Äquators wird schon durch dessen Namen recht gut belegt.

Nun hat das Land ganz unten an der Spitze des Kontinents durchaus einen Ruf als Läufernation. Die Menge der Rennen kann sogar – zumindest in manchen dichter besiedelten Regionen – sehr wohl mit dem nahezu lückenlosen deutschen Volkslaufnetz mithalten. Aber ausgerechnet im Hochsommer, wo sich das ohnehin nicht wirklich kühle Klima im südlichen Afrika in der Regel noch etwas wärmer präsentiert, erwartet man nun vielleicht doch nicht unbedingt eine Vielzahl von Marathons. Allerdings ist gerade in den Monaten Januar bis März das Geflecht von Rennen auf der klassischen Distanz rund ums Kap besonders engmaschig geknüpft. Es herrscht nämlich „Qualifying season“.

Zwei große Veranstaltungen dominieren die südafrikanische Laufszene, der 56 Kilometer lange Two Oceans Marathon in Kapstadt und der knapp neunzig Kilometer lange Comrades Marathon, der abwechselnd von Pietermaritzburg nach Durban oder von Durban nach Pietermaritzburg gelaufen wird. Und beide verlangen für die Anmeldung einen Leistungsnachweis.

Die kürzeste Variante dafür ist ein Marathon in weniger als fünf Stunden. Man kann allerdings auch einen der im Land alles andere als seltenen Ultras in der dort vorgegebenen Zielschlusszeit absolvieren. Wer meint, das wäre vielleicht einfacher, dem sei gesagt, dass zum Beispiel bei einem Fünfziger in der Regel dabei auch nur sechs Stunden angesetzt werden. Eine nicht wirklich leichtere Alternative.

Und so sind im Spätsommer der Südhalbkugel nahezu an jedem Wochenende gleich mehrere Marathons irgendwo im Land angesetzt. Keine der neun Provinzen, keiner der sechszehn Landesverbände von Athletics South Africa ohne mindestens ein Rennen über zweiundvierzig oder mehr Kilometer. Auch die Stadt Bloemfontein hat natürlich ihr eigenes, das „Festival of Running“, zu dem neben einem vollen auch ein halber Marathon sowie ein Zehner gehören.

Anmeldung im Vereinsheim des Achilles Club Aushang der Startgebühren Start in der Dunkelheit

Zieht man von der südwestlichsten Ecke des Landes am Kap eine Linie zur nordöstlichsten an der Grenze zu Zimbabwe und sucht dann den Mittelpunkt dieser Geraden, wird man ziemlich genau bei der Hauptstadt der Provinz Free State landen. Viel zentraler, allerdings dadurch auch ein ganzes Stück von den Ballungszentren entfernt, kann man eigentlich kaum liegen.

Nun hat Bloemfontein sicher nicht den Bekanntheitsgrad wie Johannesburg, Kapstadt oder Pretoria, aber eine Kleinstadt ist es angesichts von fast vierhunderttausend Einwohnern dennoch nicht unbedingt. Als Sitz mehrerer, wenn auch nicht aller obersten Bundesgerichte, als eine Art südafrikanisches Karlsruhe hat die Stadt ganz im Gegenteil eine ziemliche Bedeutung. Man ist sogar ganz offiziell die „judicial capital“ des Landes, die Hauptstadt der Judikative.

Diese doppelte Hauptstadtrolle auf Provinz- und Bundesebene hat Bloemfontein einige durchaus sehenswerte Bauwerke verschafft. Doch ein Touristenmagnet, ein wirkliches Reiseziel für Südafrikabesucher ist die Stadt nun auch nicht unbedingt. Im Großen und Ganzen ist alles recht unspektakulär, wuchern rund um ein kleines Zentrum hauptsächlich weite, großflächig angelegt Wohngebiete in die noch weitere Landschaft hinaus. Das Außergewöhnlichste ist sicher noch der mitten in der Stadt gelegene Naval Hill, auf dem rundherum umgeben von Straßen und Häusern in einem kleinen Naturschutzgebiet Antilopen, Zebras und Giraffen leben.

Am Rande der Innenstadt – allerdings auf der entgegengesetzten Seite – wird auch das Festival of Running gestartet. Doch es bedarf schon einiger detektivischer Anstrengungen, um als Ausländer an Informationen über die Veranstaltung heran zu kommen. Zwar kommt auch in Südafrika langsam Bewegung ins Internet, doch in Verbreitung und Ausstattung hinkt man Europa oder Nordamerika noch um mindestens ein halbes, wenn nicht sogar ein ganzes Jahrzehnt hinterher. Beileibe nicht jeder Laufclub oder jedes Rennen hat eigene Seiten im Netz.

Terminlisten gibt es allerdings in ausreichender Zahl. Und hat man erst einmal ein Datum und einen Lauf entdeckt, findet sich in der Regel dann doch noch das eine oder andere zusätzliche. Zumindest eine Telefonnummer, eine Post- oder auch eine Mailadresse für eine erste Kontaktaufnahme lassen sich nahezu immer ausmachen.

Auch über den Lauf in Bloemfontein steht kaum mehr als Termin, Streckenlängen, Startzeiten und die letztjährige Teilnehmerzahl im weltweiten Datenwust. Auch die Tatsache, dass es für alle Teilnehmer Medaillen geben soll, kann man dort noch nachlesen. Und ebenso den genauen Ort der Veranstaltung, das Bloemfontein Achilles Sports Centre.

Das Vereinsheim jenes „Bloemfontein Achilles“ heißenden Laufclubs liegt von vielen anderen Geländen zur körperlichen Betätigung umgeben direkt westlich des Stadtkerns. Es ist ein regelrechter Sportpark mit etlichen unterschiedlichen Anlagen. Tennis- und Hockeyplätze, Tartanbahnen und Schwimmbecken belegen die weit gestreuten sportlichen Interessen der Südafrikaner.

Auf dem Nelson Mandela Boulevard Wohngebiet bei Kilometer 7 Hansie Steyn

Einiges davon ist aber auch für – in mitteleuropäischen Augen ziemlich seltsamen – Disziplinen wie zum Beispiel dem als eine Mischung aus dem französischen Boule und dem deutschen Kegeln wirkenden Lawn Bowling erbaut. Eine Sportart, die außerhalb des einstigen britischen Weltreiches von praktisch niemandem verstanden wird, die aber in Südafrika eine Vielzahl von Anhängern hat. Das noch wesentlich populärere Cricket kann man hier natürlich ebenfalls spielen.

Die wichtigste Sportanlage in dieser Ecke der Stadt ist jedoch das Free State Stadium, in dem 2010 einige Spiele der Fußball-WM stattfinden werden. Hier trägt auch der Erstligist Bloemfontein Celtic seine Heimspiele aus. Richtig voll werden die Tribünen des Stadions, das nach dem Ende der Umbauarbeiten zur Weltmeisterschaft fast fünfzigtausend Zuschauer fassen soll, allerdings vor allem, wenn die „Cheetahs“ auflaufen.

Die „Geparden“ sind nämlich eine Rugby-Mannschaft. Und Rugby besitzt in Südafrika einen ziemlich hohen Stellenwert. Die Popularität der Springboks, wie man die Nationalmannschaft meist mit ihrem Spitznamen bezeichnet, wird wohl weltweit nur noch von den All Blacks in Neuseeland übertroffen. Doch während die Erzrivalen bei der letzten WM 2007 schon im Viertelfinale ausschieden, konnten sich die Südafrikaner zum zweiten Mal den Titel sichern.

Jedenfalls gibt es kein Sportgeschäft im Land, in dem man sich nicht aus einer großen Auswahl ihrer grün-gelben Trikots einkleiden könnte. Und es findet sich kaum ein Souvenirgeschäft, in dem nicht der Springbok auf diversen zum Teil vielleicht sogar nützlichen, zum Teil aber auch völlig unnützen Gegenständen angeboten würde.

Die Rivalität mit den Neuseeländern trägt auch zum großen Interesse an den Spielen der Cheetahs bei. Denn diese kämpfen keineswegs in einer nationalen Klasse um das ovale Leder. Vielmehr ringt man in der „Super XIV“ genannten Liga um Punkte, in der sich fünf Teams aus Südafrika – neben den Geparden noch die Stormers aus Kapstadt, die Sharks aus Durban, die Lions aus Johannesburg und die Bulls aus Pretoria - mit fünf aus Neuseeland messen. Dazu kommen, um die vierzehn voll zu machen, noch vier Mannschaften aus Australien.

Ein internationaler Wettbewerb, der die wichtigsten Rugby-Nationen der Südhalbkugel umfasst und eine große Fangemeinde hat. Nicht nur in den beteiligten Nationen sondern auch in vielen anderen Ländern weltweit werden die Spiele übertragen. Vor allem aber auch ein riesiger Markt. Denn erst durch die Kooperation mit den Sendern des australischen Unternehmers Rupert Murdoch wurde professionelles Rugby Mitte der Neunziger möglich und die Liga zum Erfolg. Sowohl die beteiligten Verbände wie auch der Medienzar machten dabei gute Gewinne.

Das Stadion erhebt sich jedenfalls am anderen Ende der At Horak Avenue, in der auch das Gelände des Achilles Clubs liegt, und macht die aus diesem Grund einigermaßen gut ausgeschilderte Anfahrt zur Abholung der Startunterlagen recht einfach. Das kann man schon am Freitagabend tun. Einige Stunden vor dem Start, denn gelaufen wird – wie in Südafrika durchaus nicht unüblich – am Samstagmorgen.

Ein klein wenig Geld kann man dabei auch noch sparen. Die Anmeldung am Wettkampftag, die allerdings aufgrund einer fehlenden offiziellen Meldeadresse – ein Online-Verfahren existiert schon überhaupt nicht – für die meisten Teilnehmer Standard ist, kostet nämlich ein klein wenig mehr. Allerdings wirklich nur ein ganz, ganz klein wenig. Wer samstags seinen Meldezettel ausfüllt, legt gerade einmal zehn südafrikanische Rand mehr auf den Tisch – umgerechnet achtzig Cent.

Angesichts einer Vormeldegebühr von sechzig Rand liegt man dabei zwar in der prozentualen Steigerung durchaus im auch hierzulande üblichen Rahmen. Die absoluten Zahlen treiben dem an ganz andere Beträge gewöhnten Mitteleuropäer allerdings das pure Staunen ins Gesicht.

Wohngebiet bei Kilometer 7 Auf dem Weg aus der Stadt hinaus bei Km 10 Über Land auf der N8

Denn obwohl bei Nichtmitgliedschaft in einem südafrikanischen Laufverein noch weitere fünfzehn Rand für eine „temporary licence“ fällig werden – eine Vorgehensweise, die aus dem Triathlonbereich auch in Deutschland bekannt ist – beträgt das maximal überhaupt denkbare Startgeld beim Marathon gerade einmal fünfundachtzig Rand.

Auch wenn der Lauf in Bloemfontein sicher keine Großveranstaltung ist, sind in Europa bestimmt nicht mehr allzu viele Rennen auch auf deutlich kürzeren Distanzen für sieben Euro zu haben. Und für einen auf einer einzigen großen Runde gelaufenen Marathon, an dessen Ende es dann auch noch eine Medaille gibt, hat man bei uns wohl zuletzt vor zwei Jahrzehnten so wenig bezahlt.

Die beiden kürzeren Strecken kosten noch weniger. Und als über Sechzigjähriger erhält man zusätzlich einen „senior discount“. Selbst angesichts des in Südafrika insgesamt deutlich niedrigeren Preisniveaus, das sich für die Dinge des täglichen Lebens nur bei einem Drittel bis maximal der Hälfte der hiesigen Werte bewegt, eine mehr als gute Kosten-Nutzen-Relation.

Wer allerdings dann auch noch ein perfekt durchorganisiertes, mit viel Brimborium aufgezogenes – nutzen wir doch einfach mal das neudeutsche Modewort, selbst wenn es eigentlich auch nichts anderes als „Ereignis“ bedeutet – Event erwartet, wird enttäuscht. Marathon ist in Südafrika zuallererst einmal Sport. Und obwohl das Leistungsniveau durchaus im international üblichen Rahmen breit gestreut ist, betreibt man Laufen hauptsächlich aus Freude an der Bewegung und nicht, um gesehen und als „Held“ bejubelt zu werden.

Die Startkartenausgabe ist jedenfalls ziemlich spartanisch. Mitten im von Vitrinen mit Erinnerungsstücken – die bemerkenswerteste davon ist eine Tafel, in der für einen Läufer des Vereins seine fünfzig aufeinander folgenden Teilnahmen beim jährlichen Zehner rund um den Naval Hill dokumentiert werden – umgebenen Vereinsraum stehen ein paar kleine Tischchen. Auf einigen davon liegen durch den Kopierer gejagte Meldezettel.

Hinter zwei anderen Tischen sitzen Helfer und nehmen die ausgefüllten Papiere entgegen. Irgendwo an der Wand hängt noch der Streckenplan und wird von einem dort postierten Mitglied des Achilles Clubs immer und immer wieder erläutert. Eine angenehm entspannte, familiäre Atmosphäre, die stets Zeit für ein kurzes Gespräch lässt und die man von kleinen Volksläufen hierzulande durchaus auch noch kennt.

Nicht einmal Startnummern gibt es. Stattdessen erhält man ein kleines Kärtchen, auf dem man Name, Verein und Alter eintragen muss. Dieses wird dann in ein von der Größe her passendes Plastiksäckchen gesteckt. Während des Rennens am Trikot befestigt wird es im Ziel dann wieder abgegeben und zur Erstellung der Ergebnisse verwendet.

Ein simples, praxisnahes Verfahren, an das sich Läufer, die schon länger im Geschehen und nicht erst im Boom der letzten Jahre dazu gestoßen sind, auch auf unseren Breitengraden in ähnlicher Form vielleicht noch erinnern können. Auf eine saubere Handschrift sollte man dabei allerdings doch wert legen, um sich später in der Liste auch in halbwegs korrekter Schreibweise wieder zu finden.

Läufer dieser Generation werden sich vielleicht auch noch an die in Bloemfontein geborene Zola Budd erinnern können. Im Alter von gerade einmal siebzehn Jahren bekannt geworden, als sie den Weltrekord über 5000 Meter unterbot, startete sie später für Großbritannien, um dem Sportboykott gegen ihr wegen seiner Apartheidspolitik international geächteten Heimatlandes zu entgehen.

Über Land auf der N8 Bei Kelly's View ... ... nach 15 Kilometern

Die erhoffen großen Erfolge blieben allerdings aus. Einzig zwei Weltmeistertitel im Crosslauf errang sie für die Briten. In den Gedächtnissen hängen geblieben ist sie vor allem als Barfußläuferin und für ihre Kollision mit Mary Decker im Endlauf über 3000 Meter bei den Olympischen Spielen 1984 in Los Angeles, die für beide hoch gewetteten Favoritinnen das Ende der Medaillenaussichten bedeutete.

Ein wenig feucht ist es an diesem Abend schon. Und auch für den Samstag sind gelegentliche Schauer angekündigt. Wirklich ungewöhnlich ist das in Bloemfontein um diese Jahreszeit nicht unbedingt. Denn während der Südwesten des Landes rund um Kapstadt im Sommer eher trocken und dafür im Winter niederschlagsreich ist, stellt sich die Situation im Norden und Osten genau umgekehrt dar. Dort gibt es in den Monaten Januar bis März in der Regel den meisten Regen.

Doch kommt der natürlich in recht warmer Form vom Himmel. Wirklich heiße Temperaturen sind jedoch nicht zu erwarten. Und da trotz ziemlich feuchten Bodens auch die Schwüle ausbleibt, lässt es sich sogar für den aus dem mitteleuropäischen Winter kommenden Läufer ganz gut aushalten. Von einer bevorstehenden Hitzeschlacht kann keine Rede sein, selbst wenn sich andererseits auch die Frage nach der passenden Bekleidung nicht wirklich stellt. In der Qualifying Season läuft man in Südafrika eigentlich immer in kurz.

Ein probates Mitteln, um der Wärme ein bisschen aus dem Weg zu gehen, ist ein früher Start. Und wer schon in den Tropen gelaufen ist, dem sind Startzeiten von fünf Uhr oder sogar noch früher nichts Neues. Auch in Bloemfontein ist die Nacht ziemlich kurz. Denn bereits um halb sechs werden die Marathonis auf die Strecke geschickt. Um sechs Uhr folgen dann die Halbdistanzler und noch einmal dreißig Minuten später die Zehner.

Doch der Grund dafür sind weniger die zu diesem Zeitpunkt niedrigeren Temperaturen – die sind nur ein angenehmer Nebeneffekt – als vielmehr die Tatsache, dass südafrikanische Rennen in der Regel auf nicht vollständig gesperrten Straßen ausgetragen werden. Und so kann man dann wenigstens am Anfang ohne allzu großen Autoverkehr auf der Strecke laufen.

Es ist also noch stockdunkel, als sich die Marathonis langsam am Achilles Sports Center einfinden. Nicht nur aufgrund der Uhrzeit sondern auch wegen des nicht wirklich gut ausgebauten öffentlichen Verkehrsnetzes zumeist mit dem eigenen Auto. Doch an Parkplätzen mangelt es rund um den Sportpark eigentlich nicht.

Und es ist noch immer stockdunkel, als sich eine deutlich über zweihundert Köpfe und vierhundert Beine umfassende Läuferschar langsam in eine Parallelstraße hinüberbewegt. Dort ist der Start. Aber auch hier ist man recht pragmatisch, denn von über die Straße gespannten Transparenten oder sonstigen Aufbauten ist nichts zu sehen. Einzig eine am Zaun aufgehängte große „42“ zeigt an, dass hier der Marathon beginnt.

Die beiden anderen Rennen werden an anderen Stellen gestartet, denn das Ziel ist für alle Distanzen gleich. Und mit der Streckenlänge nimmt man es in Südafrika schon recht genau. Auch in Bloemfontein und gerade beim Marathon. Man ist schließlich ein Qualifikationsrennen für den Comrades und den Two Oceans.

Mit einem einfachen Megaphon werden die Läufer zum Start gerufen. Manchmal auch in Englisch, doch meist in Afrikaans. Denn obwohl Südafrika zum britischen Weltreich gehörte, ist das Englische nicht einmal für ein Zehntel der Bevölkerung Muttersprache. Und nicht nur jene neun schwarzafrikanischen Idiome, die inzwischen als offizielle Landessprachen zugelassen sind, machen ihm – vor allen Dingen im privaten Umfeld – Konkurrenz.

Eisenbahnübergang bei Kilometer 16 Verpflegung bei Halbmarathon Begegnung mit der Eisenbahn

Auch unter den Südafrikanern europäischer Abstammung spricht kaum mehr als ein Drittel zu Hause wirklich Englisch. Für die Mehrheit ist dagegen Afrikaans, jene aus dem alten Niederländisch der ersten Siedler entstandene und später unter anderem mit deutschen, französischen und englischen Wörtern – einige Begriffe der einheimischen Bantuvölker hat man ebenfalls übernommen – angereicherte Sprache, erste Wahl.

Zwar kommt man in der Regel mit Englisch überall ziemlich gut durch. Und nahezu jeder beherrscht es neben Afrikaans zusätzlich in einigermaßen flüssiger Form. Manchmal ist es sogar ganz amüsant zu bemerken, wie mitten in Gesprächen zwischen den Sprachen hin und her gewechselt wird. Dennoch wird man als Europäer gerade in Bloemfontein und in der Provinz Free State zuerst einmal auf Afrikaans angesprochen. Denn nur dreißigtausend ihrer knapp drei Millionen Einwohner nennen Englisch als ihre Muttersprache.

Das hat geschichtliche Gründe. Denn der Vrystaat – wie der Name des Bundeslandes auf Afrikaans lautet – ist aus einer jener unabhängigen Burenrepubliken hervorgegangen, die dem britischen Empire lange zähen Widerstand entgegen setzten.

Nachdem während der napoleonischen Kriege ihr ursprüngliches Siedlungsgebiet rund ums Kap von den Briten erobert worden war, wichen die Buren den zunehmenden Spannungen mit den neuen Herren immer mehr ins Hinterland aus. Die Ochsenwagenkolonnen, mit denen sie sich auf den Weg machten, lieferten einen später auch in andere Sprachen übernommenen Begriff, den man hierzulande allerdings eher Nordamerika zuordnen würde. Das Wort „Treck“ bedeutet nämlich eigentlich nichts anderes als Zug.

An etlichen Stellen im Land gibt es Denkmäler für jene ersten Siedler, die sogenannte Voortrekker. Und kaum eine Stadt, in der man nicht eine „Voortrekker Street“, eine „Voortrekker Avenue“ oder eben auf Afrikaans eine „Voortrekkerlaan“ finden würde.

Um einer übermäßigen Glorifizierung dieser Pioniere gleich vorzubeugen, soll nicht unerwähnt bleiben, dass es dabei auch darum ging, dem Verbot der Sklaverei in der britischen Kapkolonie zu entgehen. Denn ohne die billige Arbeitskraft schwarzer Zwangsarbeiter wären die riesigen Farmen der Buren – die eingedeutschte Schreibweise des nichts anderes als Bauer bedeutenden Wortes „Boer“ – nicht zu bewirtschaften gewesen.

Nach einer Übergangszeit mit einigen kleineren selbständigen Staaten entstanden schließlich die beiden großen Republiken Transvaal und Oranje-Vrystaat. Das ebenfalls von den Buren gegründete Natalia, an der Ostküste Südafrikas, war zu diesem Zeitpunkt auch schon wieder von den Briten annektiert worden, was eine erneute Wanderungsbewegung auslöste.

Mit der in Bloemfontein unterzeichneten Orange River Convention erkannte das Empire 1854 schließlich die Unabhängigkeit des Freistaates an. Doch dann wurde auf dem Gebiet der Burenrepubliken sowohl Gold wie auch Diamanten entdeckt und die britischen Begehrlichkeiten erneut geschürt.

Während der Oranje-Freistaat anfangs relativ ungeschoren davon kam, eskalierten die Spannungen zwischen Transvaal und dem Vereinigten Königreich 1880 im ersten Burenkrieg. Auch dank unkonventioneller Taktiken – den in offener Formation und im traditionellen Scharlachrot mitten in unbekanntem Gelände aufmarschierenden Briten standen dank ihrer khakifarbenen Alltagskleidung gut getarnte burische Scharfschützen mit perfekten Ortskenntnissen gegenüber – wurde dieser erste Versuch der Übernahme abgewehrt.

Weites Land bei Kilometer 22 Anstieg bei Kilometer 25

Doch knapp zwanzig Jahre später 1899 gipfelte der weiterhin schwelende Konflikt – die beiden großen Gegenspieler waren dabei die auch hierzulande nicht völlig unbekannten Paul „Ohm“ Kruger und Cecil Rhodes – in einem erneuten Krieg, von dem diesmal auch der Vrystaat betroffen war. Anfangs konnten sich die Buren zwar wieder behaupten. Doch die Briten hatten gelernt. Nicht nur, dass sie auf rote Uniformen und leuchtend weiße Helme verzichteten und ebenfalls Tarnfarben trugen. Diesmal setzte das Empire auch seine gesamte wirtschaftliche Macht und zahlenmäßige Überlegenheit ein. Auf südafrikanischem Boden kämpften nicht nur Einheiten von den britischen Inseln. Auch Kanadier, Australier, Neuseeländer und Inder wurden eingesetzt. Und mit fast zehnfacher Überzahl waren die Burenrepubliken nach einem Jahr vollständig erobert.

Noch war der Krieg allerdings nicht beendet. Denn die in offenen Feldschlachten hoffnungslos unterlegenen Buren änderten ihre Vorgehensweise und attackierten in kleinen Kommandos aus dem Hinterhalt immer wieder die gegnerischen Versorgungslinien. Bis kurz vor das damals bereits seit einem Jahrhundert britische Kapstadt trugen sie ihren hartnäckigen Guerillakrieg.

Das Vereinigte Königreich reagierte schließlich mit voller Härte und einer Politik der verbrannten Erde. Die Farmen von burischen Kämpfern wurden zerstört, ihre Frauen und Kinder in sogenannten Concentration Camps – die Bezeichnung stammt ursprünglich aus dem Burenkrieg – interniert. Dabei starben am Ende wesentlich mehr Menschen als während der tatsächlichen Kampfhandlungen. Der erste Krieg des zwanzigsten Jahrhunderts nahm viele der Entwicklungen folgender Konflikte schon vorweg.

Nach fast drei Jahren zähen Ringens gaben die Buren schließlich auf. Im Mai 1902 wurde der Frieden von Vereeniging geschlossen, der Transvaal und den Oranje-Freistaat endgültig zu britischen Kolonien machte. Nachdem der Gegner mit ziemlich drastischen – man könnte auch noch deutlichere Worte wählen – Methoden nieder gerungen war, zeigte sich das Empire jedoch wieder großzügig. Den Buren wurden volle Bürgerrechte gewährt und Afrikaans als Amtssprache zugelassen.

Trotz des erbittert geführten Krieges ging die Versöhnung recht schnell voran, selbst wenn das Verhältnis zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen noch immer ein wenig angespannt wirkt, wenn das Thema Burenkrieg auf den Tisch kommt. Doch als 1910 aus den nun vier britischen Territorien – neben Transvaal und dem Freistaat noch die Kapkolonie und Natal – die Südafrikanische Union wurde, füllten gleich mehrere ehemalige Generale der Buren das Amt des Premierministers aus.

Die Hauptstadtaufgaben wurden dabei verteilt. Das Parlament blieb in Kapstadt, doch die Regierung zog nach Pretoria, der früheren Kapitale von Transvaal. „Legistlative capital“ und „administrative capital“ hieß das dann. Bloemfontein im kleineren Oranje-Freistaat erhielt als Trostpflaster die obersten Gerichte.

Der größte Verlierer des Krieges war am Ende die an den Kämpfen eigentlich gar nicht beteiligte schwarze Bevölkerungsmehrheit. Denn um die Buren zu beschwichtigen, wurde ihr entgegen ursprünglicher, deutlich liberalerer Ansätze der Briten auch weiterhin jedes Mitspracherecht verwehrt. Eine Politik, die später in der berüchtigten Apartheid gipfelte, die hauptsächlich von den sich selbst „Afrikaaner“ nennenden Buren getragen wurde.

Anstieg bei Kilometer 25

Die Rassentrennung ist seit fünfzehn Jahren endgültig überwunden. Und inzwischen würde auch kaum noch jemand zugeben, sie einst befürwortet zu haben. Bei solch gravierenden Umwälzungen scheint man überall auf der Welt ähnlich zu reagieren. Doch noch immer gelten die Buren als deutlich konservativer als die anglophonen Südafrikaner.

Deutlich wird das zum Beispiel in dem Augenblick, als kurz vor dem Start plötzlich alle die Hände falten und den Kopf senken, als der Sprecher etwas sagt. Der des Afrikaans nicht mächtige Besucher braucht eine Weile um zu begreifen, dass es ein Gebet ist, mit dem das Marathonfeld in noch immer ziemlicher Dunkelheit auf die Strecke entlassen wird.

Ein für Mitteleuropäer sicher ziemlich ungewöhnlicher Moment der Besinnung direkt vor dem Rennen. Und ebenso sicher nicht jedermanns Geschmack. Aber ob es besser ist, wie zum Beispiel in den Vereinigten Staaten mit der Hand an der Brust zur Nationalhymne stramm zu stehen oder – wie hierzulande oft üblich – bei hämmernder Musik von einem professionellen Einpeitscher ohne jede Ahnung vom Laufsport zu künstlicher Fröhlichkeit mit Händeklatschen und einer Welle aufgefordert zu werden, mag jeder für sich selbst entscheiden.

Der Marathon beginnt mit einer kleinen Schleife um eine Grünanlage. Nach zwei Linksschwenks ist man wieder am Clubgelände angekommen, nach zwei weiteren erneut an der Startlinie. Und bis man endlich das Schild mit der „1“ passieren darf, hat man schon eine weitere Linkskurve durchlaufen. Doch befürchten, es ginge so weiter, muss man nicht. Nach einer und noch einer halben Runde nimmt der Kurs das Free State Stadion ins Visier.

Die Cheetahs haben zwar am Vorabend gespielt. Allerdings nicht zu Hause sondern bei den Lions in Johannesburg. Natürlich haben die rugbyverrückten Bloemfonteiner das Spiel dennoch an den Bildschirmen verfolgt. In nahezu jedem Restaurant und Kneipen liefen die Fernsehapparate. Die Niederlage der Geparden – deren Farben übrigens wenig überraschend Orange und Blau sind – machte die Gesichter der Gäste allerdings nicht wirklich fröhlicher.

Mit den schnellsten Landtieren überhaupt hat man es im Free State sowieso. Sie zieren als Schildträger das Wappen der Provinz. Sie sind in voller Jagd auf den Nummernschildern abgebildet. Und in Sesotho, der Sprache des in der Region dominierenden Sotho-Volkes heißt Bloemfontein auch „Mangaung“, was wörtlich übersetzt nichts anderes als „Heimat der Geparden“ bedeutet. Da klingt „Blumenquelle“ doch schon deutlich weniger exotisch. In Süddeutschland hätte man die Stadt wohl Blumbronn genannt.

Hinter dem Stadion schwenkt der Kurs wieder einmal nach links. Die Innenstadt mit ihren Kirchen und Verwaltungsgebäuden aus dem letzten und vorletzten Jahrhundert läge jedoch noch ein Stück weiter geradeaus. Der Marathon wird sie – genau wie auch die beiden kürzeren Distanzen – nicht berühren.

Von den Sehenswürdigkeiten der Stadt wird nur das Shopping Center am Loch Logan wenig später passiert. Doch von der Straßenseite ist auch das wenig attraktiv. Kaum mehr als die Betonbauten der Parkhäuser kann man erkennen. Seinen Charme entdeckt man erst von innen. Denn im Halbkreis um einen künstlich angelegten Teich in einem sattgrünen Park angeordnet, lassen die dortigen Restaurants und Cafés zumindest ein bisschen südländischen Flair aufkommen.

Nach Nelson Mandela ist die Straße benannt, auf der die Läufer stadtauswärts streben. Dinge mit dem Namen eines noch lebenden Politikers zu versehen, ist nicht nur bei uns sondern auch in Südafrika ziemlich ungewöhnlich. Doch bei Nelson Mandela – der wie die Voortrekker auch nahezu überall seine Straße hat – stellt sich die Frage, ob das berechtigt sei, nicht im geringsten.

Rückweg auf der N8 Verpflegung bei Kilometer 36 Über die Autobahn bei Kilometer 36

Ohne den inzwischen über Neunzigjährigen wäre Südafrika wohl auseinander gefallen und im Chaos versunken. Das attestieren ihm sogar politische Gegner. Obwohl er über ein Vierteljahrhundert seines Lebens im Gefängnis verbrachte, reichte Mandela seinen Unterdrückern gleich nach seiner Freilassung die Hand und sorgte für den Aufbau einer Demokratie, in der die Menschen aller Hautfarben ihre Stimme abgeben konnten.

Trotz einiger Unruhen in der Umbruchphase verlief der von Mandela maßgeblich mitgeprägte Übergang halbwegs friedlich und geregelt. Noch immer spricht man wohl nicht zu Unrecht vom „Wunder am Kap“. Nelson Mandela wurde 1994 zum ersten schwarzen Präsidenten des Landes und hielt – oft einzig und allein durch kleine, aber bedeutsame Gesten – Südafrika in den ersten Jahren zusammen.

Auch 2009 wird wieder gewählt. Und gerade auf dem Mandela Boulevard ist das unübersehbar. An nahezu jedem Laternenpfahl der Ausfallstraße hängen Wahlplakate. „Een Nasie, een Toekoms“ steht da zum Beispiel auf einem. Doch ein längeres Grübeln, was das denn nun wieder bedeuten soll, erspart das genauso aussehende und mit „One Nation, one Future“ beschriftete Schild am nächsten Pfosten.

Es ist der Slogan der Oppositionspartei DA, der Democratic Alliance. Nicht wirklich aussagekräftig. Aber das direkt darunter angebrachte „Working together we can do more“ des mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit die Regierung stellenden ANC ist fast sogar noch banaler.

Der Ausgang der Wahlen wird mit ziemlicher Spannung erwartet. Zwar rechnet praktisch niemand damit, dass der African National Congress nicht auch wieder die nächste Regierung stellen wird. Doch das Führungspersonal ist seit Mandela immer schlechter geworden. Gleich mehrere hohe Parteifunktionäre sind wegen Korruption verurteilt oder angeklagt. Dass man die vor einigen Jahren gegründete und recht erfolgreiche Spezialeinheit zur Bekämpfung organisierten Verbrechens „Scorpions“ im Januar 2009 wieder aufgelöst hat, scheint da vielleicht doch nicht absolut zufällig.

Und einige der von ANC-Politkern vertretenen Thesen lassen nur mit dem Kopf schütteln. So wollte eine – inzwischen allerdings abgelöste – Gesundheitsministerin die in Südafrika recht verbreitete Krankheit AIDS nicht mit Medikamenten sondern mit Kräutern bekämpfen.

Insbesondere der neue Vorsitzende Jacob Zuma ist vielen ein Dorn im Auge. Der ist nämlich nicht nur ebenfalls in mehrere Bestechungsskandale verwickelt sondern außerdem noch bekennender Polygamist. Ein Apparatschik vom allerfeinsten, der weniger aufgrund seiner Qualitäten als aufgrund seiner Seilschaften nach oben gekommen ist. Ob Südafrika mit einem solchen Präsidenten wirklich Staat machen kann, steht wohl zu bezweifeln.

Inzwischen haben sich auch einige parteiinterne Kritiker abgespalten und – nach längeren Namensstreitigkeiten – den „Congess of the People“ als weitere Oppositionspartei neben der DA gegründet. Beiden zusammen rechnet man zumindest in einigen Provinzen – insbesondere in Western Cape rund um Kapstadt – durchaus Chancen aus, den ANC von der Macht zu verdrängen.

Eine Situation, mit der die an absolute Mehrheiten gewöhnten ANC-Granden erst einmal klar kommen müssen. Und entsprechend vergiftet ist die Atmosphäre im Wahlkampf, entsprechend rau und manchmal auch beleidigend ist der Umgangston. Dass dabei plötzlich auch wieder die Rassismus-Karte gespielt wird, gehört zu den noch weniger schönen Dingen in diesem Zusammenhang.

Über die Autobahn bei Kilometer 36 In der Stadt bei Kilometer 38 In der Stadt bei Kilometer 38

Der deutschstämmigen DA-Vorsitzenden und Kapstädter Bürgermeisterin Helen Zille wird dabei schon einmal vorgeworfen, dass ganz bewusst nur schwarze Mitarbeiter betroffen waren, als sie mit eisernem Besen durch ihre Verwaltung kehrte, um die Korruption zu bekämpfen. Und den schwarzen Sprecher jener Partei beschimpfte der Vorsitzende des ANC-Jugendverbandes als „Garden-Boy“, ein unterwürfiger Diener, der sich nur an Zille anbiedern würde. Dessen Antwort, dass er auf die Worte eine Gartenzwerges nichts geben würde, war jedoch dann auch kaum weniger deftig.

Aber vielleicht ist Südafrika ja tatsächlich genau deshalb auf dem Weg zu einer richtigen Demokratie westlichen Vorbildes, in der sich die unterschiedlichen Parteien und Fraktionen an der Regierung einmal ablösen. Ein wenig mehr Vielfalt in der politischen Landschaft, weg von der de facto Allmacht einer einzigen Partei, könnte der Nation wohl gar nicht schaden. Und noch hoffen viele auch darauf, dass Zuma – aufgrund eines laufenden Korruptionsverfahrens gegen ihn – selbst bei einem ANC-Sieg als Präsident verhindert werden kann.

Von all dem merkt man beim Laufen jedoch wenig. Im Marathonfeld ist der Umgang miteinander völlig entspannt. Die Hautfarben sind in nahezu allen Zeitbereichen bunt gemischt, wenn auch nicht wirklich im gleichen Verhältnis wie in der Gesamtbevölkerung. Auch und gerade in Südafrika hat der Sport eine verbindende Wirkung. Er ist wohl sogar durchaus ein wichtiger Faktor, die „Regenbogennation“ mit so vielen unterschiedlichen Volksgruppen zu einer Einheit zusammen zu bringen.

Ein ganzes Stück führt der Mandela Boulevard immer geradeaus durch nicht wirklich sehenswerte Gewerbebauung. Am auffälligsten ist da noch die Palmenreihe, die auf den grünen Mittelstreifen der in jede Richtung mehrspurigen Piste gepflanzt worden ist. Erst nach sechs Kilometern verlässt der Kurs dann die zu diesem Zeitpunkt noch wenig befahrene Straße.

Direkt hinter dem Abzweig steht schon die zweite Verpflegungsstelle. Wie meist in Südafrika sind sie im Abstand von etwa drei Kilometern positioniert. Und ebenfalls typisch ist das Angebot. Man reicht neben Cola aus Bechern nämlich Wasser aus kleinen Beuteln – den sogenannten Sachets. Mehr Auswahl an Getränken wird es auch den Rest der Strecke nicht geben, nur einige spätere Stationen haben zusätzlich dann noch etwas Obst auf den Tischen liegen.

Die Strecke ist in ein Wohngebiet eingeschwenkt. Allerdings erst einmal nicht vollständig, denn auf der linken Seite bietet eine große Brachfläche einen weiten Blick über die doch schon etwas unterhalb liegenden Hochhäuser der Innenstadt. Unmerklich hat man ein wenig an Höhe gewonnen. Wirklich große Steigungen türmen sich vor den Läufern zwar nicht auf, aber völlig eben ist der Marathon eben auch nicht. In der Summe wird man auf dem Rundkurs am Ende zwischen ein- und zweihundert Metern gewonnen und wieder verloren haben.

Viel eher könnte da die Lage von Bloemfontein 1400 Meter über dem Meer ein wenig problematisch werden. Denn so mancher Höhentrainingsort hat kaum mehr zu bieten, die Luft wird in solchen Regionen dann doch schon etwas dünner. Die Südafrikaner sind das allerdings zumeist gewohnt. Schließlich erhebt sich hinter den schmalen Küstenebenen der Rest des Landes schnell in vierstellige Bereiche. Über die Hälfte der Bevölkerung lebt jenseits dieser Marke.

Auf der Zielgeraden

Und Bloemfontein ist sowieso eher eine lokale Veranstaltung. Denn obwohl die Zahl der Helfer, die auf der Strecke Wasser reichen, die Läufer an Abzweigen in die richtige Richtung schicken und dabei gegebenenfalls auch den Autoverkehr einmal kurz anhalten, sicher den Wert einhundert weit übersteigt, sieht man unterwegs doch gleich etliche grüne Trikots – das Tragen der Vereinsfarben ist in Südafrika nicht nur üblich sondern sogar vom Verband vorgeschrieben – des ausrichtenden Achilles Club. Man will ja auch den eigenen Leuten die Chance auf die Qualifikation bieten. Und mehr als fünfzig Vereinsmitglieder versuchen sie zu nutzen.

In einem dieser Trikots steckt zum Beispiel Hansie Steyn, der zufälligerweise den gleichen Nachnamen wie der letzte Präsident des unabhängigen Oranje-Freistaates trägt. Der also unverkennbar mit burischen Vorfahren ausgestattete Läufer absolviert bei seiner Heimveranstaltung seinen ersten Marathon. Mit einer 43er-Bestzeit über zehn Kilometer ausgestattet sollte das Durchkommen für ihn eigentlich kein Thema sein. Aber er sei doch ein wenig trainingsfaul und sein persönlicher Halbmarathonrekord wäre schon deutlich schlechter, gesteht er ein.

Und doch ist der Marathon für Hansie kein Selbstzweck, kein Ziel an sich. Das ist keine Heldentat, für die man sich feiern lassen müsste. Das ist eine Pflichtaufgabe. Auf die Frage, was er sich denn vorgenommen habe, kommt nämlich sofort zurück, dass es nur darum ginge, unter fünf Stunden anzukommen. „...denn das ist die Quali für den Two Oceans“. Der findet nebenbei bemerkt ja gerade einmal zwei Monate später am Ostersamstag statt.

Die Zahl der von weiter her angereisten Besucher ist dagegen ziemlich überschaubar. Weit über ein Drittel des Feldes stammt aus Bloemfontein selbst. Entweder vom Achilles Club, vom Nachbarverein Bloemfontein Striders oder aus einer der Betriebssportgruppen, die Firmen und Behörden aufgestellt haben. Auch aus dem durch seine Diamantminen und das dabei entstandene Big Hole bekantgewordenen, rund 150 Kilometer entfernten Kimberley ist ein größeres Kontingent angereist. Der größte Teil des restlichen Feldes kommt ebenfalls aus dem Free State.

Julian Karp ist einer der wenigen, die aus einem anderen, weiter entfernten Landesverband stammen. Der Achtundvierzigjährige mit den auffällig langen Haaren kommt aus der Provinz KwaZulu-Natal und ist ein anderes typisches Beispiel für südafrikanische Laufkultur. Allerdings ein zu Hansie Steyn ziemlich gegensätzliches Beispiel. Siebenundzwanzig Marathons und fast genauso viele Ultraläufe hat er im vergangenen Jahr angesammelt. Fast jedes Wochenende war er irgendwo im Land unterwegs.

Kein Problem, denn die Terminkalender sind nicht nur in der Qualifying Season proppenvoll. Die Zahl der „Standard Marathons“, wie man in Südafrika jene „nur“ über 42,195 Kilometer führenden Rennen nennt, ist dabei kaum kleiner wie die Zahl der Ultras. Und nicht nur der Two Oceans und der Comrades, die beide ja auch die Bezeichnung „Marathon“ im Namen tragen, ziehen dabei die Massen an. Auch einige andere Veranstaltungen mit längeren Distanzen stoßen in die Bereiche weit jenseits der tausend Teilnehmer vor.

Noch immer ziemlich menschenleer – abgesehen von den Läufern – ist die vom nächtlichen Regen feuchte Straße. Selbst wenn man nun zwischen Wohnhäusern hindurch läuft, verirrt sich kaum jemand an den Streckenrand. Nur eine einzelne ältere Dame hat ihr Stühlchen auf dem breiten Bürgersteig gestellt und klatscht den Marathonis Beifall.

Auf der Zielgeraden vor Free State Stadion

Das hat natürlich mit der frühen Uhrzeit zu tun. Aber auch damit, dass in solchen – etwas besseren – Wohngebieten größerer Städte grundsätzlich kaum jemand etwas zu Fuß unternimmt. Die Häuser verstecken sich hinter hohen Mauern, die zudem oft auch noch von Elektro- oder Stacheldrahtzäunen gekrönt sind. Der Zugang wird in der Regel durch elektrische Rolltore gesichert. Auch wenn in Deutschland die Ausstattung mit Alarmanlagen und Sicherungseinrichtungen wächst, setzt Südafrika da ganz andere Maßstäbe.

Kriminalität ist und bleibt ein Dauerthema in einem Land, in dem nach wie vor Erste und Dritte Welt direkt aufeinander prallen. Dabei gilt die Faustregel, dass die Größe der Stadt mit der Menge der Straftaten meist in direktem Zusammenhang steht. Während man in kleinen und mittleren Städten auf dem Land ohne Probleme zu Fuß überall hin gehen kann, bekommt man in den Ballungszentren meist geraten, in der Dunkelheit auch für kürzere Strecken das Auto zu nutzen.

Südafrika allerdings – wie zur Zeit gerade hierzulande ein wenig in Mode – nur auf Kriminalität zu beschränken, ist auch nicht gerecht. Ohne die Sache verniedlichen zu wollen, besteht das Land definitiv nicht nur aus Gewaltverbrechen. Wer sich an gewisse Regeln hält und manche Gegenden eben meidet, muss eigentlich nicht mehr befürchten als anderswo.

Wurden nicht früher auch Urlauber vor dem angeblich so verbrecherischen Italien gewarnt? Würde man nicht auch in den Vereinigten Staaten um manche Großstadt-Slums einen großen Bogen machen? Und ist nicht selbst in Deutschland zu jeder Zeit und in jedem Stadtviertel das Risiko unterschiedlich?

Rund ein Viertel der Distanz haben die Marathonis in den Beinen, als das Bild sich erneut ändert. Man schwenkt nämlich wieder auf eine jener breiten Ausfallstraßen ein, die aus Bloemfontein sternförmig hinaus streben. Und wenig später hat man die hier als Autobahn ausgebaute N1 überquert und lässt die Stadt langsam hinter sich.

Nicht einmal diese vermutlich absolut wichtigste Straße des Landes, die Kapstadt mit Johannesburg und Pretoria verbindet und dabei auch Bloemfontein passiert, ist in ihrer vollen Länge vierspurig angelegt. Nur rund um große Städte und Ballungszentren rollt der dort ziemlich dichte Verkehr kreuzungsfrei auf Schnellstraßen.

Über Land reichen für das im Vergleich zu Deutschland fast viermal so große Südafrika normale Straßen jedenfalls völlig aus. Und in manchen dünn besiedelten Regionen kann man auch auf den mit einem „N“ gekennzeichneten Hauptverbindungsrouten manchmal eine Viertelstunde unterwegs sein, ohne einem einzigen Auto zu begegnen. Bis zur nächsten richtigen Kreuzung oder Ortschaft sind es dann gerne auch einmal einhundert Kilometer. Und so manches, was da auf den Karten eingezeichnet ist, stellt sich bei genauerer Betrachtung als eine reine Schotterpiste heraus.

Auch die Straße, auf der man nun nach Westen aus der Stadt hinausläuft, ist mit einem „N“ bezeichnet. Es ist die N8. Sie verbindet Bloemfontein in dieser Richtung mit der Diamantenstadt Kimberley. Auf der anderen Seite der Stadt führt sie nach Osten zur Grenze des als Enklave vollständig von Südafrika umgebenen Kleinstaats Lesotho.

Es hat leicht zu nieseln angefangen. Doch richtig nass wird es im Verlauf des Rennens nicht werden. Auf dem linken Seitenstreifen geht es kilometerlang ständig geradeaus. Immer dünner ist die Besiedlung an Rand. Doch langweilig ist das nun wirklich nicht unbedingt. Denn aus dem vorgeblichen Stadtmarathon wird langsam ein richtiger Naturlauf, der einen schönen Einblick in die Landschaft des Freistaates gibt.

Auf der Zielgeraden Am Zieleinlauf Ziel vor dem Vereinsheim

Eine weite Hochebene prägt den Großteil der Provinz. Dazwischen erheben sich gelegentlich kleiner Hügel, die man in Afrikaans „Koppies“ nennt. Manche haben sich zu kleinen Gruppen zusammengefunden, manche stehen aber auch ganz alleine über den sattgrünen Wiesen.

Der Vrystaat ist dank seiner recht hohen Niederschlagsmenge und des gemäßigten Klimas nicht nur eines der besten Weidegebiete sondern auch so etwas wie die Kornkammer des Landes. Immer wieder stößt man bei der Fahrt durchs Land auf scheinbar endlose Mais-, Hirse- und Getreidefelder. Rund die Hälfte der landwirtschaftlichen Produktion Südafrikas stammt aus dieser Region.

Nicht von Nachteil ist dabei, dass der größte Teil der Grenzen des Free State aus den beiden größten Flüssen Südafrikas besteht. Zwischen dem Oranje im Süden und dem Vaal – nicht ganz ohne Grund ähnlich wie der niederländische Rheinmündungsarm heißend – im Norden ist genug Wasser vorhanden. Nach ihrem Zusammenfluss jedoch verschwindet der Oranje recht bald in der niederschlagsarmen Karoo, die den größten Teil des westlichen Südafrika einnimmt.

Und auf den letzten tausend Kilometern bis zum Meer nimmt der Strom bei seinem Weg durch diese Halbwüste dann keinen einzigen ständig Wasser führenden Nebenfluss mehr auf. Doch auch weiterhin erzeugt er ein schmales extrem fruchtbares Oasen-Band, in dem dank ausgeklügelter Bewässerungsmethoden Obst und sogar Wein angebaut wird.

Noch weiter flussabwärts – kurz bevor er zur natürlichen Grenze zwischen Südafrika und Namibia wird – wachsen rund um die gigantischen Augrabies Falls, über die der Oranje in eine tiefe, lange Schlucht stürzt, im nach den Wasserfällen benannten Nationalpark dann aber praktisch nur noch vereinzelte Dornensträucher und die markanten Köcherbäume.

Spätestens nachdem der Marathon nach fünfzehn gelaufenen Kilometern bei Kelly’s View auch die N8 verlassen hat, wird es richtig beschaulich. Denn das Sträßchen, das die Läufer aufnimmt, ist kaum mehr als ein besserer Feldweg. Und Kelly’s View ist trotz des Schildes an der Hauptstraße keineswegs eine geschlossene Ortschaft sondern nur eine Streusiedlung aus vereinzelten Farmen.

Kurz darauf überquert man die parallel zur Straße verlaufende Bahnlinie an einem ganz normalen, unbeschrankten Übergang. Dabei ist die Strecke, die ebenfalls nach Kimberley führt, alles andere als stillgelegt. Und dem einen oder anderen Marathoni bleibt dann auch nichts anderes übrig, als erst einmal einen der gelegentlich durchkommenden Züge vorbei zu lassen.

Was hierzulande eventuell in wilden Diskussionen über die Gutschrift der dabei verlorenen Zeit enden würde, nimmt man in Südafrika einfach hin. Und über Dinge wie Brutto- oder Nettowertung regt man sich schon überhaupt nicht auf. Selbst dort, wo in eher seltenen Fällen ein Zeitmesschip eingesetzt wird, gilt die Regelung, dass für die Ergebniserstellung einzig und alleine die „Guntime“ zählt. Folgerichtig wird man dann auch nirgendwo Startmatten finden.

Weit, sehr weit kann man nun die fruchtbaren Weideflächen der Free State überblicken. Gerade im Bereich der Halbzeitmarke erinnert das ganze schon etwas an Bilder, die man aus der amerikanischen Prärie kennt. Auch ein Cowboy auf einem Pferd würde in diesem Moment nicht wirklich deplaziert wirken.

Ziel vor dem Vereinsheim

Die bereits siebte Verpflegungsstelle kündigt sich mit einigen Fahnen des Namensponsors adidas an. Hier stehen auch noch einige zusätzliche Autos am Rand, die nichts mit der offiziellen Versorgung zu tun haben. Denn so mancher Läufer oder Verein hat eigene Betreuungsteams. Auf einer nicht für den Verkehr gesperrten Strecke haben die natürlich nicht das geringste Problem immer neue Punkte anzufahren. Eine Möglichkeit, die unübersehbar auch genutzt wird.

Der zweite Geldgeber des „Kloppers / Adidas Festival of Running“ – eine an der Loch Logan Waterfront ansässige, für Mitteleuropäer doch etwas ungewöhnlich anmutende Mischung aus Kauf- und Möbelhaus, Elektro- und Baumarkt – steht wie bei allen anderen Kilometermarken auch auf dem Schild mit der „21“. Diese sind ziemlich zuverlässig und in absolut plausiblen Abständen über den Kurs verteilt. Natürlich für jede Distanz separat. Bei solchen Dingen, die hierzulande doch manchmal etwas laxer gesehen werden, ist man in Südafrika recht genau.

Das Sträßchen nähert sich langsam der Hügelgruppe, die schon eine ganze Zeit in der Ferne zu sehen war. Doch anfangs gelingt es ihm einen einigermaßen ebenen Verlauf zwischen den Kuppen zu finden. Erst als bei Kilometer 24 die während der ganzen Zeit parallel verlaufende N8 wieder erreicht und der Rückweg angetreten wird, geht es wirklich spürbar bergauf. Rund einen Kilometer lang dauert es, bis die Kuppe erklommen ist.

Es ist jedoch wirklich der einzige langgezogene Anstieg der Strecke. In der im Internet zu entdeckenden kurzen Beschreibung des Profils ist dann auch etwas von „serious hillwork“ auf dem dritten Viertel bei einem ansonsten ziemlich flachen Kurs zu lesen. Doch im Endeffekt werden dabei bei weitem nicht einmal hundert Höhenmeter gewonnen.

Noch immer läuft man zwar über Land, doch ein wenig verändert hat sich die Lage schon. Denn neben einer vierspurigen Schnellstraße, auf der nun doch langsam etwas Verkehr aufkommt, läuft es sich irgendwie nicht mehr ganz so geruhsam wie auf einem einsamen Feldweg. Die meisten Autofahrer sind zwar ausgesprochen rücksichtsvoll – was zum einen sicher ein Ausdruck der Sportbegeisterung der Südafrikaner ist, aber auch mit im allgemeinen deutlich weniger hektischen Lebensgewohnheiten zu tun hat.

Aber der eine oder andere Laster, der in hohem Tempo vorbei braust, versetzt der inzwischen doch ziemlich lang gezogenen und auseinander gerissenen Läuferschlange auf dem Seitenstreifen trotzdem einen ordentlichen Luftzug. Zumal es auf der nun für rund zehn Kilometer absolut geradeaus führenden Straße kein allzu großes Problem ist, die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 120 Kilometern pro Stunde auch wirklich zu erreichen.

Zwei leichte Wellen im Profil und genauso viele Verpflegungsstellen sorgen auf diesem ansonsten doch eher abwechslungsarmen Stück für kleine Zwischenziele. Beim dritten Versorgungsposten auf dieser langen Gerade ist man in der Nähe von Kilometer 36 dann wieder an der Autobahn angekommen.

Kurz zuvor war der Wendepunkt für die Halbmarathonis markiert. Nur kurz laufen sie auf der N8 aus Bloemfontein hinaus, nur um dann fast direkt hinter der Autobahnbrücke wieder umzukehren. Denn den Stadtteil der Strecke dürfen sie auch in Augenschein nehmen, der eigentlich schönere Landschaftsteil bleibt ihnen verwehrt.

Nyedimane Chabeli heißt der Sieger auf dieser Distanz und ziemlich überzeugende 1:07:27 benötigt er für die 21,1 Kilometer. Sein erster Verfolger und Teamkamerad aus der Firmenmannschaft der Eisenbahngesellschaft Transnet Pule Hlabahlaba ist mit 1:07:48 kaum langsamer. Und auch P. Mphetens aus der Sportgruppe des Stromversorgers Escom bleibt als Dritter in 1:09:07 noch unter der Marke von siebzig Minuten.

Siegerehrung: Frauenzweite Yvonne Trullick Siegerehrung: Herrensieger Johannes Mpho Mantswe Siegerehrung: Frauendritte Anna Polydorou Siegerehrung: Frauensiegerin Berdine Smit

Der Sieg im Frauenrennen geht ebenfalls an den neben Bahnlinien auch noch Häfen und Pipelines betreibenden Transnet-Konzern. Paulina Njeja läuft bei ihrer 1:29:21 mehr als zehn Minuten Vorsprung vor der Siebzehnjährigen Victoria Polydorou heraus, die in 1:41:40 gestoppt wird. Die Dritte Adele van der Walt vom Ausrichterclub hat mit 48 dagegen schon fast dreimal so viele Jahre auf dem Buckel, zeigt diesen aber nach 1:43:20 als Gesamtzweiunddreißigste noch immer weit über einhundert Startern.

Es ist wohl durchaus bemerkenswert, dass es in Bloemfontein die Halbdistanz ist, die das deutlich kleinere Feld anzieht. Und auch über zehn Kilometer kommen noch fast vierzig Läufer weniger ins Ziel als auf der langen Strecke. Die kürzeren Rennen sind hier tatsächlich nur Rahmenwettbewerbe und haben in ihren Meldezahlen die Königsdistanz noch lange nicht an den Rand gedrängt. Doch qualifizieren für die in Südafrika wirklich bedeutenden Veranstaltungen Comrades und Two Oceans kann man sich dort ja auch nicht.

Den Zehner gewinnt Samuel Segoaba. In 30:04 die dreißig Minuten wirklich nur hauchdünn verpassend sorgt er für den dritten Transnet-Sieg an diesem Tag. Maryna Swanepoel kommt dagegen als Frauensiegerin ins Ziel, bevor die Uhr auf die nächste Anfangsziffer umspringen kann. Eine 39:42 wird für sie in der Ergebnisliste verzeichnet. Übrigens ganz nebenbei bemerkt, auch Swanepoel läuft für Transnet.

Der Weg zurück in die Innenstadt führt die Marathonis zuerst einmal noch ein ganzes Stück weiter auf der nun Haldon Road heißenden N8 geradeaus. Wie auf dem Mandela Boulevard wachsen auch hier Palmen auf dem Grünstreifen in der Mitte. Erst kurz vor der letzten, der dreizehnten Verpflegungsstelle schwenkt der Kurs noch einmal nach rechts in eine Seitenstraße ab und steuert in großem Bogen das Ziel an.

Der gelegentliche Nieselregen, der für gar nicht einmal unangenehme Abkühlung sorgte, hat sich längst verzogen. Und inzwischen tun sich sogar einige Wolkenlücken auf. Langsam aber sicher wird es – obwohl ja eigentlich noch recht früh am Morgen – dann doch warm. Es ist eben nicht nur Qualifying Season in Südafrika sondern zudem noch immer Hochsommer.

Und auch das Wohngebiet, durch das man gerade läuft, wird umso weniger ansprechend je näher man dem Stadtzentrum kommt. War in den „besseren“ Vierteln alles recht sauber und gepflegt, wirkt auf den letzten Kilometern doch einiges, was man da am Streckenrand sehen kann, ziemlich herunter gekommen. Das hat mit den wirklichen Elendsquartieren, die man bei der Fahrt durchs Land auch immer wieder entdecken kann, noch nicht einmal etwas zu tun. Aber die noch immer bestehenden extremen sozialen Gegensätze lassen sich eben doch nicht übersehen.

Es liegt nun auch so einiges an Müll auf der Straße. Doch ein wirkliches Umweltbewusstsein wie in Europa hat man eben in Südafrika noch nicht entwickelt. Dafür hat man ganz andere, dringendere Probleme. Dazu gibt es auch einfach noch viel zu viel ungenutztes Land, auf das man im Fall der Fälle ausweichen kann. Und so lässt man dann zum Beispiel Lebensmittel- oder Getränke-Verpackungen oft einfach dort fallen, wo man sie gerade geleert hat.

Am Free State Stadion biegt man dann wieder auf die Horak Avenue ein. Nur noch einige hundert Meter sind es bis zum Ziel. Keine Jubelgerade mit Zuschauermassen. Aber die begleitenden Familienmitglieder und Freunde am Streckenrand oder auch Läufer, die schon im Ziel sind und sich nun auf dem Rückweg zum Auto befinden, lassen schon ein paar aufmunternde Worte fallen. In unterschiedlichen Sprachen, neben Englisch eben auch Afrikaans oder Sesotho. Und manchmal in einer bunten Mischung aus allem. Man versteht sie nicht immer, doch der Sinn ist klar.

Am Vereinsheim nach dem Zieleinlauf Ehrentafel für fünfzig Teilnahmen im Vereinsheim

Im Ziel direkt vor dem Vereinsheim erhält man seine Medaille. Auch die ist ziemlich pragmatisch gestaltet, zeigt das Metall doch selbst nur den Namen der Veranstaltung. Das Jahr und die gerade eben zurück gelegte Distanz sind auf das Band gedruckt. Der Vorteil davon ist, dass man bei den Restbeständen einfach nur das Band austauschen muss, um sie dann das nächste Mal noch einmal verwenden zu können. Auch mit solchen kleinen Tricks kann man die Kosten niedrig halten.

Dort im Zielkanal wird dann auch der Plastikbeutel mit dem Namenskärtchen abgegeben. Und dabei klärt sich erst die eigentliche Bedeutung dieses Säckchens. Es ging nicht nur darum, den kleinen Karton vor der Feuchtigkeit durch Schweiß und Regen zu bewahren. Die Helfer, die es entgegen nehmen, stecken nämlich einen kleinen Chip hinein, den sie von einer langen Kette herunter fädeln.

Danach wird der Beutel einfach in ein Körbchen geworfen. Doch damit lässt sich die Ergebnisliste ziemlich schnell erzeugen. Denn auf den Plastikchip aufgedruckt ist die jeweilige Platzziffer. Und der Zettel, auf dem die Einlaufzeiten notiert wurden, muss dann nur noch an der entsprechenden Stelle um Namen, Verein und Altersklasse ergänzt werden.

Und sofort danach kann man diese Liste dann auch aushängen. Handschriftlich erstellt wohlgemerkt. Nur wenige Läufer werden sich hierzulande überhaupt erinnern können, so etwas schon einmal gesehen zu haben. Im Computerzeitalter in Deutschland inzwischen nahezu undenkbar, ist das in Südafrika jedoch noch immer nicht unüblich.

Als Erster ist auf dieser Liste Johannes Mpho Mantswe verzeichnet. Gerade einmal 2:38:15 braucht das siebenundzwanzigjährige Leichtgewicht – das übrigens für die südafrikanischen Streitkräfte und nicht für Transnet unterwegs ist – für die 42,195 Kilometer und verdient sich damit ein Paar neue, vom Sponsor gestiftete Laufschuhe.

Saoane Ntbu ist gut zwei Minuten später nach 2:40:39 im Ziel. Schnellster Läufer des ausrichtenden Achilles Club ist der Gesamtdritte William Malekele in 2:46:11. Noch in der gleichen Minute sind auch Joseph Motlhabane (2:46:58) und Samson Mkhize (2:46:59) durch. Eine angesichts von gerade einmal 216 im Ziel verzeichneten Marathonläufern recht beachtliche Leistungsdichte.

Stehen bei den Herren nur Schwarze ganz oben, gehen im Damenfeld die ersten Plätze ausnahmslos an Südafrikanerinnen mit europäischen Vorfahren. Die Siegerin Berdine Smit kann dabei nicht nur den Preis für den Gesamterfolg sondern auch noch die Ehrung für die beste Veteranin – also Läuferinnen jenseits der vierzig – entgegen nehmen. Mit 3:12:02 ist sie Yvonne Trullick, die mit 3.25.58 gestoppt wird, fast eine Viertelstunde voraus.

Noch einmal zehn Minuten muss der Zeitnehmer warten, bis die Dritte Anna Polydorou in 3:35:44 ankommt. Doch direkt dahinter folgen dann mit Chermaine Van der Walt (3:36:18) und Riëtte Douglas (3:36:39) noch zwei weitere Frauen.

Auch der Sieger der hier Grand Master genannten Altersklasse M60 Simon Mokone läuft für den organisierenden Verein. Und das nicht nur bei einer 3:13:48 über den Marathon, sondern auch noch während der Siegerehrung bei seiner Ehrenrunde um alle Anwesenden herum. Womit er belegt, dass er wohl noch ein paar Reserven gehabt hätte. Doch nicht nur für den Ansager sondern auch für die meisten anderen Läufer ist, wie die zu beobachtenden Reaktionen zeigen, dieser anscheinend übliche Auftritt des schnellen Originals alles andere als neu. Man kennt sich eben.

Exakt mit dem einhundertsten Eintrag springt die Stundenangabe in der Ergebnisliste auf eine vier. Über die Hälfte aller Läufer lässt sich also mehr als vier Stunden Zeit. Doch für viele gibt es ja auch gar keinen Grund schnell zu laufen. Der Marathon ist schließlich nur eine Durchgangsstation. Und fünf Stunden reichen zur Qualifikation für die wichtigeren Rennen doch aus.

Die holen sich dann bis auf sechs auch alle der im Ziel Ankommenden. Hansie Steyn muss seinem fehlenden Trainingsfleiß und seinem auf deutlich unter vier Stunden ausgerichteten Anfangstempo zwar Tribut zollen. Doch er kämpft sich bei seinem ersten Marathon mit 4:26 ins Ziel. Das erste Zwischenziel hat er erreicht. Inzwischen steht sein Name in der Startliste des Two Oceans.

Es ist definitiv davon auszugehen, dass es nicht der einzige Teilnehmer des Marathons von Bloemfontein ist, der sich dort finden lässt. Schließlich ist Qualifying Season in Südafrika. Und wer als Läufer um diese Zeit dem deutschen Winter mit einem Urlaub am Kap entkommen will, dem sei schon alleine wegen der Atmosphäre nahegelegt, vielleicht doch einmal an einer dieser Veranstaltungen teilzunehmen. Irgendwo im Lande lässt sich bestimmt immer ein in die Tourplanung passendes Rennen finden.

Teil 2 der Südafrika-Trilogie: Peninsula Marathon Kapstadt klick HIER
Teil 3: Pretoria Marathon klick HIER

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Johannesburg Marathon klick HIER
Kapstadt Two Oceans Marathon klick HIER

Bericht und Fotos von Ralf Klink

Infos und Ergebnisse unter: www.bloemachilles.co.za

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