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Otillie Nitsche

geboren 1949

SG Nussloch

Bestzeiten

800 m

2:18,48 

1994

1500 m

4:42,9

1996

3000 m

10:26,97

1993

10 km

37:29

1998

42,2 km

3:25

1990

Eine Geschichte, die Mut macht

Als Energiebündel bekannt, war Ottilie Nitsche auch in der W50 noch auf den Gesamtsieg geeicht. Ihre großen Erfolge erzielte sie in der W45 auf internationalem Parkett. Echte Altersklassen-Konkurrentinnen auf der Bahn und auf Cross-Strecken waren selbst weltweit rar. Jetzt in der W55 taucht sie plötzlich wieder auf Top-Plätzen auf. Lange Zeit vermisste man sie bei Laufveranstaltungen gänzlich.

Was war passiert?

Constanze Wagner von LAUFREPORT traf Ottilie Nitsche beim Hardtseelauf in Ubstadt-Weiher. Ottilie Nitsche war sofort bereit, ihre sehr persönlichen Aussagen zur Veröffentlichung im LaufReport freizugeben. Bereits 1999 porträtierte Birgit Schillinger Ottilie Nitsche für das Laufsportmagazin SPIRIDON. Das Portrait von damals ist unten angehängt (Klick HIER).

„Im September 2002 wurde bei mir ein Magenkarzinom festgestellt,“ schildert Ottilie Nitsche den Beginn eines traumatischen Lebensabschnitts. „Ich hatte gedacht, als Sportlerin könne mir so was nicht zustoßen.“ Nach der Diagnose „bösartig“ war im Oktober 2002 sofort operieren angesagt. „Der ganze Magen müsse raus, wurde befürchtet, aber ein Fünftel konnte erhalten bleiben“, so Ottilie Nitsche weiter. Eine erhebliche Verbesserung der Lebensqualität. Aber dann war die Zeit in der REHA doch arg lang. Sie, die von Birgit Schillinger schon 1999 als Leichtgewicht bezeichnet wurden, zurecht mit 48 Kilogramm bei 1,64 Meter Größe, magerte ab. Der Magen machte Probleme und bei der allgemeinen Schwäche war an Laufen vorerst nicht zu denken.

Anfang 2003 fing sie an mit Walken. Bald folgten die ersten Laufversuche. „Doch dann kam der zweite Schock“, berichtet Ottilie Nitsche weiter, „es wurde eine Zyste im Unterleib festgestellt, mit Verdacht auf Bösartigkeit.“ Also ging es im August 2003 wieder in den OP. „Erst jetzt stellte sich bei mir die Angst ein, dass das so weiter geht.“ Erinnerungen an bedrückende Momente. „Die Operation verlief ganz gut, die Zyste war gutartig und überraschend schnell war ich wieder fit.“ Ende 2003 erneuter Einstieg in den Sport mit Walking und vier Wochen später wurde schon wieder gelaufen.

Auszug besonderer Erfolge der letzten Jahre

1996

EM Malmö Schweden

2te 800 m und 2te 1500 m
1997 WM Durban Südafrika 2te 800 m und 1te 1500 m
1999 WM Gateshead England 2te 800 m und 2te 1500 m
2001 10 km Straßenlauf DM 1te W50 in 38:29

Seit Januar 2004 ist sie wieder an ihrem Arbeitsplatz bei Heidelberger Druckmaschinen in der Produktionssteuerung. Im Frühjahr wagte sie in Bad Bergzabern über 7 km einen vorsichtigen Versuch zurück in den Wettkampfzirkus. „Aber ganz langsam.“ In Neustadt an der Weinstraße gab es beim Altstadtlauf dann aber schon den ersten Sieg in der W55 und in einer Zeit von 42 Minuten.

Der Hardtseelauf in Ubstadt-Weiher war ihr dritter Start. „Heute war es schwer wegen der Hitze. Aber mit der 43er Zeit bin ich ganz zufrieden.“ Die harten kurzen Läufe und Trainings wird sie wohl nicht mehr angehen. Aber richtig arg vermisst hat sie die Läufe in der Volkslaufszene und ist froh, jetzt wieder dabei zu sein.

3. August 2004 - Constanze Wagner

Folgendes Porträt wurde 1999 von Birgit Schillinger erstellt:

Zeit wichtiger als Titel

„Einen Titel mit einer schlechten Zeit? – Das tue ich mir nicht an!“ Wenn Ottilie Nitsche etwas nicht leiden kann, dann sind das taktische Bummelrennen. Besonders bei wichtigen Meisterschaften sollte doch auch eine gute Zeit rauskommen. „Da trainiert man das ganze Jahr auf den Höhepunkt zu – in der Hoffnung auf ein schnelles Rennen. Und wenn die Läufer dann diese Top-Form nicht ausnützen, ist das verschenkte Energie.“

Die Konsequenz für Ottilie Nitsche: Dann geht sie eben selber in Führung und sorgt beherzt fürs Tempo. Die Folge: Am Ende spurtet vielleicht doch noch eine Mitstreiterin vorbei. So kommt es, dass sie zahllose Silbermedaillen in ihrer Läuferkarriere sammelt. Aber die bescheidene Athletin bereut nichts. Da hat sich auch schon mal eine Konkurrentin dafür bedankt, zur persönlichen Bestzeit gezogen worden zu sein, und sich gleichzeitig dafür entschuldigt, am Ende noch vorbeigegangen zu sein.

Bei der Weltmeisterschaft der Senioren in Gateshead 1999 gibt es wieder zwei Silbermedaillen für die sympathische Badenerin aus St. Ilgen, die für die benachbarte SG Nußloch startet. Den Stichtag für die internationale W50 verpaßt sie um einen Monat, so ist sie also in der W45 die „Oldie Ottilie“ im Feld. Was sie wieder nicht davon abhält, aufs Tempo zu drücken. Über 1500 m hat sie ihren WM-Titel zu verteidigen. Erst auf den letzten 20 Metern wird sie von einer Kanadierin abgefangen. „Wer von hinten kommt, hat halt immer einen Vorteil.“ Aber sie lässt sich die Laune nicht verderben: „Das Rennen war okay so.“ Die Zeit von 4:53,37 Minuten ist ja auch nicht schlecht. Über 800 m muss sie ihrer deutschen Kollegin Dagmar Gocht am Ende hauchdünn den Vortritt lassen. Auch hier kann sich Nitsche freuen: Ihre 2:21,35 sind nicht nur in Deutschland Spitze für eine 50-Jährige.

Nitsches Silbersammlung begann mit ihren ersten Deutschen Seniorenmeisterschaften 1991: Rang zwei über 800 m in 2:22,27 min. Und manchmal hält ihre Taktik, die Rennen vorne zu laufen, ja auch bis zum Ziel durch. Das war bei den 1500 m der Fall. Hier siegte sie in 4:58,39 min. Heute ist sie sogar noch ein wenig schneller – von wegen langsamer werden im Alter...

Wieso ist diese Frau mit ihren - nicht sichtbaren - 50 Jahren so schnell?

Hypothese Nr.1: „Wie üblich tummelte ich mich in der Jugend auf den Sprintstrecken.“ Bei so manchem Kreismeister-Titel wurde vielleicht die Grundlage für die beachtliche Grundschnelligkeit der heutigen Senioren-Läuferin gelegt. „Aber mit 17 hatte ich dann andere Dinge im Kopf“, schmunzelt Nitsche. Nach einer langen Pause wollte sie mit 35 Jahren wieder etwas für die Gesundheit tun. „Die üblichen Gymnastikgruppen konnten mich nicht befriedigen.“

Hypothese Nr. 2: Durch den Lauftreff kam sie übers Gesundheitsjoggen zum Wettkampfsport. „Eigentlich hatte ich keine Wettkämpfe vor. Aber als die St. Ilgener eine dritte Frau für das Frauenteam suchten, ließ sich Ottilie Nitsche überreden. „Na gut, dann komme ich eben auch mal ins Training.“

Hypothese Nr. 3: Wer den ersten Volkslauf über zehn Kilometer auf Anhieb in 46:52 Minuten rennt, muss wohl eine Portion Talent haben. Fünf Jahre später „knackt“ sie die 40 Minuten-Marke und 1996 läuft sie ihre Bestzeit von 37:45. Zum Talent passt die Figur: Mit 48 Kilogramm auf 1,64 Meter scheint das Leichtgewicht über die Bahn und den Asphalt zu fliegen.

Hypothese Nr.4: Das richtige Trainings- und Familienumfeld motiviert. Über fünf Jahre führte der Trainer Rainer Koch die begabte und begeisterte Läuferin zur Leistung hin. „Jetzt komme ich durch die Erfahrung ohne Trainer aus.“ Ihre Trainingswoche mit 60 bis 80 Kilometern besteht aus drei Tempotagen und drei regenerativen Dauerlauftagen im Wechsel. Bei letzteren läuft mal der Ehemann mit, mal geht sie zum Lauftreff – „zurück zu den Anfängen“. Die Tempoarbeit – meist Intervalle - erledigt sie „kurz und zackig“. Zu viel Zeit will sie ja auch nicht in den Freizeitsport stecken – ihre Vollkorn-Brötchen verdient sie sich schließlich noch als Sachbearbeiterin bei den „Heidelberger Druckmaschinen“. „Und ein bißchen Haushalt muss auch sein.“ Die Arbeitsteilung im Hause Nitsche funktioniert: „Mein Mann nimmt mir viel ab.“

„Im Alter muss man auf die längeren Strecken.“ Bloß weil das alle sagen, muss das eine Ottilie Nitsche nicht auch tun. Sie hatte 1990 sogar einen Marathon-Versuch in 3:25 Stunden erfolgreich bestanden. „Aber das ist mir zu lang. Und zu viel Trainingsaufwand.“ „Auch dieses Jahr wollte ich aufs Längere umstellen, aber mir machen die Mittelstrecken einfach zu viel Spaß.“ Und so lange noch regelmäßig Plätze auf dem Treppchen bei den DM´s, EM´s und WM´s herausspringen, lässt sie sich den Spaß nicht nehmen.

1999 - Birgit Schillinger für Laufsportmagazin SPIRIDON