Ein heißes Eisen packt Dr.-Ing. Markus Heidl in seinem Pro & Kontra Beitrag an. Da wird er sich nicht nur Freunde machen. Doch kann dies nicht das Ziel dieser Rubrik sein. Zudem ist eine anregende offene Diskussion bestimmt besser, als später nachzutreten, wenn die Fakten auf dem Tisch liegen. Und wie immer bei einem solchen Thema spricht manches dafür und manches dagegen, hier müssen selbst die Betroffenen, Sebastian Hendel und Philipp Pflieger, zustimmen.

Walter Wagner 12.7.2018

Ein Doppelstart bei der EM?

von Markus Heidl

Das Highlight im diesjährigen Leichtathletik-Kalender ist zweifelsohne die Europameisterschaft. Besonders strahlt sie dieses Jahr für uns, weil sie daheim, in der deutschen Hauptstadt Berlin, ausgetragen wird. Und es freuen sich nicht nur alle auf die EM in Berlin, weil die Stimmung vor Heimpublikum immer einzigartig ist, sondern auch, weil das Stadion ein ganz besonderes ist - spätestens seit den dort bei der Weltmeisterschaft 2009 gelaufenen Weltrekorden von Usain Bolt.

Vielleicht ist es die Strahlkraft des Berliner Olympiastadions, die jetzt einen Streit im Läuferlager des DLV auslöst: Marathonmann Philipp Pflieger möchte nämlich gerne doppelt starten. Sowohl auf der Königsdistanz durch die Berliner Straßen als auch im Stadion über die 10.000 m. Die Normen hat er dafür (mit 2h13'39 in Hamburg und 28:41,75 in Regensburg) erfüllt.

Während er beim Marathon sicher gesetzt und nominiert ist, verwehrt ihm der Deutsche Leichtathletikverband jedoch den zweiten Start über die 25 Stadionrunden. Der DLV hat seinen Läuferinnen und Läufern Doppelstarts verboten. Sie sollen sich zugunsten des maximalen Erfolges auf die Strecke konzentrieren, auf denen ihre Aussichten am besten sind. In den Nominierungsrichtlinien ist das schriftlich aber nicht festgehalten. Deshalb erwägt Philipp juristische Schritte.

Außerdem gibt es zu jeder Regel natürlich auch eine Ausnahme. Athleten mit berechtigten Medaillenhoffnungen dürfen auf zwei Strecken starten. Ein solcher Kandidat ist beispielsweise Richard Ringer, der in dieser Saison bereits sehr starke Rennen über fünf- (in Tübingen) und zehntausend Meter (beim Europacup) mit jeweils überzeugenden Schlussspurts zeigen konnte.

Für Philipp hingegen gilt das nicht. Während er in diesem Jahr über die Marathondistanz aktuell auf Rang 11 der europäischen Bestenliste gelistet wird, liegt er über die 10.000 m nur auf Platz 36. Die reinen Zeiten sind bei Meisterschaftsrennen zwar mit dem Startschuss meist völlig nebensächlich, durch das Marathontraining sind die Spurtqualitäten von Philipp aber nicht so stark einzuschätzen, wie sie es wären, wenn er sich nur auf die kürzere Distanz konzentrierte. Beim Marathon sieht das anders aus: dort hat er aufgrund des kontrollierten Rennens in Hamburg noch Potential nach oben.

Deutscher 10.000m Meister Sebastian Hendel Doppelstart-Anwärter: Philipp Pflieger

Soweit zum aktuellen Stand. Während über die 25 Stadionrunden also Richard Ringer und Amanal Petros gesetzt sind, geht es um den dritten zu vergebenden Platz, der derzeit an den deutschen Meister Sebastian Hendel vergeben ist, und den Philipp gerne hätte.

Im Fall der Fälle sähe die Praxis so aus, dass er am Dienstagabend über 10.000 m starten würde und direkt am Sonntag, viereinhalb Tage später, den Marathon laufen würde. Machbar, ja - "Marathonläufer erholen sich von den vergleichsweise kurzen Distanzen schnell" - aber nicht ideal. Und für die bestmögliche Platzierung über die 42,195 km - vielleicht sogar mit einer Medaille, wer weiß? - braucht es ein perfektes Rennen. Wäre die volle Konzentration auf den Marathon am 12. August nicht also doch die klügere Variante?

Zu berücksichtigen ist außerdem, dass Sebastian Hendel der aktuelle deutsche Meister über besagte 10.000 m ist - und der Sieger des Meisterschaftsrennens sollte, sofern wie hier die Norm erfüllt ist, ein Vorrecht auf einen internationalen Startplatz haben. Von der Jahresbestzeit her ist er außerdem nur knappe drei Sekunden langsamer als Philipp.

Für Philipp sprechen die schnellere Bestzeit sowie die größere Erfahrung. Weiterhin freuen wir uns, dass sich jemand, der mit dem Laufen seinen Lebensunterhalt verdient, unser Land bei Meisterschaften vertreten will. Für den Schwaben wäre es natürlich eine weitere Möglichkeit, sich vor Kameras zu zeigen - allerdings im Nike-Dress des DLV und nicht für seine Sponsoren.

Aber ist das den Energieaufwand wert? Ja, das Training scheint gut zu laufen, mit für aus dem Marathontraining gelaufenen überraschend schnellen Rennen über 5000 (13'50 in Tübingen) und 10.000 m. Auch das EM-Rennen wäre aber ein Bahnrennen aus dem Marathontraining heraus. Da muss man sicher Abschläge bei der Spurtstärke machen, wobei der Endspurt gerade bei Meisterschaftsrennen so wichtig ist. Auch deshalb ist es nachvollziehbar, dass sich der Verband durch zwei verschiedene Starter bessere Chancen ausrechnet, die sich jeweils spezifisch auf ihre Distanz vorbereiten können.

Schließlich muss sich Philipp vorhalten lassen, noch nicht allzu viele gute Marathons gelaufen zu sein. Neben dem kontrollierten Rennen in Hamburg glänzte er vor allem mit seiner Bestzeit in Berlin vor Rio. Demgegenüber stehen die Rennen in Frankfurt und Berlin, die er völlig entkräftet aufgeben musste. Der volle Fokus auf den Marathon scheint deshalb auch aus dieser Sicht vernünftiger.

Ich würde derzeit gerne die Daumen für einen voll konzentrierten Marathon drücken - auch, weil ich denke, dass der deutsche Meister Sebastian Hendel starten sollte. Ein gewisses Risiko gehört im Leistungssport aber immer dazu. Was also tun, wie würdet ihr entscheiden?

Beitrag von Markus Heidl
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