Lange schon jagen die Datenspinnen nach Beute, mit zunehmender Gier und ohne Skrupel. Bisher weitgehend ungehindert und bar jedweder Kritik. Das Deckmäntelchen der Gutmenschen wird Konzernen und ihren Vordenkern aber langsam entzogen, die aus ihren ausgeworfenen Netzen Informationen abfischen und vermarkten. Der Preis für etwas Bequemlichkeit, Spaß und Unterhaltung ist gar nicht abzuschätzen, denn unser sich komplettierender digitaler Zwilling ist nie ein Freund, sondern als hartnäckiger Lebensbegleiter unser verräterischer Feind. Bewegendes dazu von Markus Heidl im Pro & Kontra.

Walter Wagner,1. Februar 2018

Du bist mehr als dein

digitaler Zwilling!

von Markus Heidl

Dass vor jedem Lauf mittlerweile kurz gewartet wird, bis die eigene Uhr mithilfe von Satelliten weiß, wo genau wir stehen, ist Normalität geworden. Dann legen wir los und können uns hinterher ganz genau anschauen, wo wir wann gewesen sind, wann wir wie schnell waren usw. Noch größer wird der Spaß, wenn wir anderen zeigen können, wie fleißig wir waren. Für manche ist es gar die wichtigste Motivation, dass die Freunde sehen, wie wir gelaufen sind. Oder eben auch nicht.

Aber selbst wenn wir unsere Aktivitäten nur unseren Bekannten zeigen wollen - ausschließlich diesen vorbehalten bleiben unsere Daten leider nicht. Ein aktueller Test zeigt einmal mehr, dass unsere Daten, sind sie einmal im Netz, ohne Skrupel weitergegeben werden: So eindeutig fällt das Urteil der Stiftung Warentest (test 12/2017) aus: "Nur ein Produkt ist gut: die Laufuhr von TomTom. Alle anderen bieten coole Technik, aber Kundenrechte von gestern." Das gibt zu Denken. Weil es nämlich um wirklich sensible Messwerte und Daten geht. Unseren Aufenthaltsort und unsere Pulsfrequenz, teilweise 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. So manch ein Gerät weiß auch unser Gewicht. Unser digitaler Zwilling wird uns immer ähnlicher.

Ich war auch mal so jemand, der es klasse fand, durch meine Daten einfach so Geld zurückzubekommen (payback) oder dass ich, wenn ich schon Werbung sehe, Produkte gezeigt bekomme, die mich auch interessieren. Bald aber wird aus einer Spielerei, die dem Einzelnen Vorteile bringt, ein allgemeiner Zwang. Nach und nach geben wir einfach so unsere Freiheit auf. Was Dave Eggers in "Der Circle" beschreibt, ist längst schon in Teilen Realität geworden, wenn wildfremde Menschen Dinge über uns wissen, an die wir uns selbst nur noch schemenhaft erinnern. Oder wenn Besitzer der Apple Watch vielleicht einen überteuerten oder gar keinen Kredit erhalten und nicht einmal wissen, warum.

Hochmodern, aber extrem neugierig sind längst nicht mehr nur unsere Uhren, sondern eigentlich alles, was Verbindung zum Netz hat. So manch einer hat gar schon seine eigene Überwachungsbox in der Wohnung stehen, mit der man sich unterhalten kann. Natürlich ist nicht das Internet an sich schlecht. Auch die Digitalisierung aller Lebensbereiche hat großes Potential. Wenn durch die rasanten technischen Entwicklungen unsere Gesellschaft und unser Denken revolutioniert wird, müssen wir mithalten.

Normal ist es geworden, dass Krankenkassen Aktivitätstracker verschenken, um die eigenen Mitglieder zu überwachen und einzustufen. Schön und gut, wenn man etwas geschenkt bekommt, das man sowieso einmal ausprobieren wollte. Und gerade wir Läufer sind schnell dabei, solche Maßnahmen gutzuheißen. Wir bewegen uns ja genug und sehen unseren persönlichen Vorteil. Aus freiwilliger Kontrolle wird so aber bald ein Zwang zur Kontrolle, weil es für den Einzelnen vermeintlich gut und für die Allgemeinheit billiger sei.

Der nächste Schritt, in allen Lebenslagen überwacht zu werden, ist dann ein kleiner. Und der übernächste, dass wir in unserer eigenen Filterblase, unserem Zugang zu Informationen, nur noch die politischen und kulturellen Informationen erhalten, die unseren vermuteten Interessen entsprechen schnell denkbar. Dagegen müssen wir uns wehren!

Wie schnell es gehen kann, dass man plötzlich nur noch die Summe der eigenen Daten ist, zeigt China. Dort wird ab 2020 ein Social Credit System eingeführt, gegen das sich niemand wehren kann. Alles wird überwacht und die Handlungen einer Person werden bewertet. Selbst diejenigen, die sich nicht digital ausweisen, werden über Gesichtserkennung den Handlungen zugeordnet.

Es wird daran gearbeitet, unsere emotionalen Regungen und sozialen Beziehungen in ein ökonomisches Verwertungsmodell zu überführen. Nicht nur in China. Wer setzt unseren digitalen Zwilling wie zusammen? Der kann dem Einzelnen sehr wohl Vorteile bringen. Aber es wird jeden von uns zu einem Teil einer Rechnung machen. Eine Rechnung ohne unsere Kenntnis, unser Zutun und unsere Interventionsmöglichkeiten.

Wir müssen kritisch bleiben und uns fragen, was die Konsequenz bzw. der eigentliche Preis dafür ist, dass wir unsere (Lauf)Daten nur allzu bereitwillig für den Spaß und die vermeintliche Motivation mit aller Welt teilen und Minicomputer am Handgelenk tragen, die Bewegungsprofile von uns aufzeichnen und Gesundheitswerte abspeichern. Inwieweit wollen wir die Datensammelwut von Konzernen unterstützen und unsere private Daten öffentlich zugänglich machen?

Beitrag von Markus Heidl
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