Laut Kenenisa Bekele solle Sport nichts mit Politik zu tun haben. Eine Ansicht, die viele vertreten, doch ist die Trennung von Sport und Politik kaum möglich. Abverlangt wird die Haltung dennoch gern vom einzelnen Sportler. Die Politik nutzt dagegen sportliche Großereignisse mit ihrer Medienbeachtung immer gern, bis hin zum geforderten Boykott, mit Ausschlüssen ganzer Nationen und weiteren Drohgebärden.

Nun lief Feyisa Lilesa in einer Protestgeste ins Marathonziel bei den Olympischen Spielen in Rio und konfrontierte das sportbegeisterte Publikum mit den politischen und gesellschaftlichen Zuständen im ostafrikanischen Binnenland Äthiopien.

Walter Wagner, 17. März 2017

Was ist da los in Äthiopien?

von Markus Heidl

Olympiamarathon in Rio 2016. Feyisa Lilesa läuft als Zweiter ins Ziel und jubelt mit verschränkten Armen. Eine Protestgeste, die Folgen haben würde: er konnte nicht mehr nach Hause zurückkehren, fand glücklicherweise Zuflucht in den USA. Doch ob er seine Familie je würde wiedersehen können, war ungewiss.

Doch was war der Auslöser? Mit den gekreuzten Armen lenkte Lilesa die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Unterdrückung durch die äthiopische Regierung. Denn Lilesa gehört zur Volksgruppe der Oromo (etwa 1/3 der 102 Millionen Einwohner), die von den politisch dominanten Tigray unterdrückt werden. Zwar hieß es offiziell, er könne sicher nach Hause zurückkehren und werde als Held gefeiert, Lilesa glaubte aber nicht daran. Als Konsequenz für seine Geste hat er Angst vor einem Reiseverbot, Gefängnis oder gar getötet zu werden.

Grund dafür hat er genug. Sein Schwager Tokkuma Mulisa ist schon seit einem Jahr im Gefängnis und wird gefoltert, sein jüngerer Bruder Aduna - ebenfalls Läufer - war im Oktober vom äthiopischen Militär geschlagen und gefangen genommen worden. Ein enger Freund, Kebede Fayissa, der im August festgenommen wurde, starb mit 20 anderen Insassen in einem mysteriösen Feuer im Kilinto Gefängnis, außerhalb von Addis Abada. Laut der Opposition hatten die Toten Einschusswunden.

 

Auch Human Rights Watch berichtet (im World Report 2017), dass 2016 in Äthiopien ein Jahr der Brutalität und der Einschränkung war. Während meist friedlicher Proteste in den Regionen Oramia, Somali und Amhara - die bereits seit November 2015 wegen Vertreibungen, des verfassungsmäßigen Rechts sowie politischer Reformen andauern - töteten Sicherheitskräfte hunderte und nahmen tausende in Gewahrsam, von denen viele berichteten, in der Gefangenschaft gefoltert worden zu sein, was in Äthiopien zu einem langfristigen Problem wird. Die Grundrechte müssen wieder eingeführt werden, die Regierung Gespräche aufnehmen statt Kritik einfach zu unterdrücken.

Die gekreuzten Arme finden bereits Nachahmer. Hier der Sieger des Halbmathons in Altötting W.S. Egasso

Lilesa hat das Exil gewählt, weil die Situation seit den Olympischen Spielen noch schlimmer geworden sei. Er redet von einem Leben in der Hölle, in der jeden Tag gestorben wird. Nach den Spielen ist er in Brasilien geblieben und im September dann in die USA ausgewandert. Er hat dort die Green Card als Daueraufenthaltsgenehmigung der Kategorie "individuals of extraordinary ability in the sciences, arts, education, business and sports" bekommen.

Mittlerweile, nach sechs Monaten ohne einander, hat es auch geklappt, die Familie nachzuholen. Am Valentinstag gab es die Wiedervereinigung mit seiner Frau Iftu Mulisa, der fünfjährigen Tochter Soko und dem dreijährigen Sohn Sora. Sie leben jetzt in einem Apartment in Sedona, ganz in der Nähe von Flagstaff, Arizona, wo Lilesa für den London Marathon trainiert.

 

Auch Kenenisa Bekele wird dort laufen. Bereits in Berlin waren die beiden Läufer aufeinander getroffen, die nicht nur sportliche Spannungen trennen. Bekele gehört auch zu den Oromo, scheint die Dinge aber etwas anders zu sehen: seiner Meinung nach hat jeder das Recht zu protestieren, man solle aber gut darüber nachdenken, wie man protestiert und die Dinge ändern will. Laut Bekele solle Sport nichts mit Politik zu tun haben. Er denkt, dass die Regierung versuche, die Dinge auf demokratische Weise zu lösen.

Aussagen, die Lilesa nicht verstehen kann. Er wird wütend, wenn er bei solchen Worten an die Toten denkt. Auch die äthiopische Laufgemeinde scheint sich zwischen den Standpunkten der beiden Spitzenläufer aufzuteilen.

Lilesa hat mittlerweile eine Stimme, die genauso stark ist wie seine Beine. Er spricht mit US-Senatoren und Abgeordneten des EU-Parlaments, hat einen Artikel für die Washington Post geschrieben und Interviews gegeben, um die Geschichte der Oromo zu erzählen und ihnen damit zu helfen. Dass wieder Frieden einkehren kann in Äthiopien.

Dorthin würde Feyisa Lilesa gerne zurückkehren, wenn sich die politische Situation beruhigt. Er glaubt aer nicht daran.

Ob der Protest nun laut ist oder leise, in Äthiopien muss sich etwas ändern!

Beitrag von Markus Heidl
Foto © René van Zee & LaufReport

leserbriefe@laufreport.de

Aktuelles im LaufReport HIER

© copyright
Die Verwertung von Texten und Fotos, insbesondere durch Vervielfältigung oder Verbreitung auch in elektronischer Form, ist ohne Zustimmung der LaufReport.de Redaktion (Adresse im IMPRESSUM) unzulässig und strafbar, soweit sich aus dem Urhebergesetz nichts anderes ergibt.