Die Dosis macht das Gift. Leidenschaft schafft Leiden. Das richtige Maß finden um definierte Ziele zu erreichen. Beizeiten einzulenken, Unerreichbares erkennen und davon ablassen. Verletzungen vermeiden. Was im Laufsport gilt, hat auch im Leben Bedeutung. Nach eigener Fasson glücklich werden und doch mit Ehrgeiz die Herausforderungen annehmen. Gar nicht leicht, die Stellschrauben richtig zu justieren, zumal die Erfahrungen gemacht sein wollen ...

Walter Wagner, 10. Februar 2017

Der Fluch der Leidenschaft

von Markus Heidl

Es gab einst einen Geschäftsführer einer 60-Milliarden-Dollar-Firma, der hatte sich das Credo der Leidenschaft auf die Fahnen geschrieben. Es gab keine Eigenschaft, die er höher einstufte - nur die Bewerber mit der größten Leidenschaft wurden eingestellt, deren Leistung dann, koste es, was es wolle, mit allen Mitteln gefördert wurden. Ebenso lebte er vor, was Leidenschaft ausmacht: er kam morgens früh und blieb bis abends spät. Mit Erfolg, denn unter seiner Führung wurde die Firma vom Fortune Magazine als die innovativste in Amerika eingestuft und stach auch sonst alle anderen aus.

Dieser Mann hieß Jeffrey Skilling, seine Firma Enron. Weil beide Namen keine Assoziationen wecken, wird klar, dass etwas schiefgegangen sein muss. Die völlige Leidenschaft weiter zu wachsen führte schließlich zu einem großen unternehmerischen Betrug und schließlich einer Pleite.

Ein Beispiel unter vielen, dennoch heißt es immer wieder, man solle seinen Leidenschaften folgen. Es ist ein beliebter Rat von Eltern, Lehrern, Trainern; das Sprichwort "a life of passion is a good life" geht amerikanischen Rednern wie von selbst über die Lippen.

Die Lehre für uns: Leidenschaft kann genauso destruktiv wie konstruktiv sein, auch im Laufsport. Denn der Laufsport lebt von Leidenschaft, ohne viel Wille lässt sich der teilweise horrende Trainingsaufwand nicht aufbringen. Ein Wille, der in die sogenannte obsessive Leidenschaft umschlagen kann, was passiert, wenn Menschen so viel Leidenschaft für ein Ziel entwickeln, dass sie ihre ganze Identität nur noch mit dem Ziel verbinden und darum vergessen, was sie überhaupt zu diesem Ziel geführt hat. Ein Weg, der zum Desaster führt.

Hier liegt er, der Unterschied zwischen harmonischer und obsessiver Leidenschaft, und hier liegt ebenso der Schlüssel für anhaltende Gesundheit, Glück und Leistung. Natürlich führt auch die obsessive Leidenschaft zunächst zu Erfolg. Das Problem mit dem Obsessiven: es gibt keine Grenzen, man will immer mehr. Mehr Geld, mehr Erfolg, mehr Medaillen, mehr "Follower". Ein Teufelskreis mit dem fortbestehenden Ziel der Genugtuung. Es ist schon einige Zeit her, da nannte Buddha diesen Teufelskreis "Leiden".

Das Gegenteil der obsessiven Leidenschaft ist, wenn man etwas tut, nur weil die Aktivität an sich Spaß macht. Laufen, weil Laufen Spaß bereitet. Die reine Freude am Tun. Diese "harmonische" Leidenschaft führt Psychologen zufolge zu Glück, Gesundheit und Lebenszufriedenheit. Langfristig.

Wer es demzufolge richtig macht läuft nicht für eine Platzierung oder die Anerkennung, sondern um sich selbst weiterzuentwickeln, besser zu werden. Wobei diese positiven externen Aspekte nicht völlig außen vor gelassen werden sollten (und können): jede Läuferin und jeder Läufer freut sich über einen Sieg (wie auch immer "Sieg" definiert sein mag) - dieser sollte aber nicht alles sein, um was es geht.

Fragen wir uns also selbst - im Laufen wie im Leben - warum wir etwas machen: gehe ich arbeiten, um etwas Neues zu lernen und zu etwas Größerem beizutragen oder nur, um Geld zu verdienen? Gehe ich laufen/trainieren und nehme an Wettkämpfen teil, um mich zu verbessern und mir etwas Gutes zu tun oder nur um zu gewinnen oder in den Bestenlisten weiter oben zu stehen? Der Großteil unserer Leidenschaften muss von innen kommen, nicht von außen. Um Pro & Kontra der Leidenschaft kurz zusammenzufassen: Pro hieße in diesem Fall harmonisch, Kontra hieße obsessiv.

Im Endeffekt kommt es auch darauf an, wie wir Erfolg definieren. Insbesondere im Laufsport, wo Leistung gut messbar ist. Streben wir danach, Anerkennung von anderen zu bekommen oder geht es uns um das Laufen an sich? Wenn es uns um das Laufen an sich geht, den steten Rhythmus unserer Schritte - ob langsam oder schnell - der den Kopf freimacht, die Anstrengung, die dazu führt, dass wir uns hinterher viel besser fühlen, dann hilft uns unsere Laufleidenschaft bei einem sehr harmonischen Leben.

Beitrag von Markus Heidl
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